Thema: Filmklassiker
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Alt 22.07.2023, 07:02   #1446  
Nante
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Wieder mal ein Klassiker des DEFA-Kinos.

„Die Abenteuer des Werner Holt“
(Joachim Kunert 1965) dürfte neben „Ich war 19“ von Konrad Wolf der bekannteste DDR-(Anti-)Kriegsfilm gewesen sein. So ziemlich jeder von meiner Generation (+wenigstens 20 ältere und einige jüngere Jahrgänge) hat ihn wohl mal gesehen .

Natürlich spielte dabei eine Rolle, daß der gleichnamige Roman von Dieter Noll (genauer gesagt, dessen erster Teil) im Schulunterricht Pflichtliteratur und der Film parallel dazu immer im Fernsehen zu sehen war. (Ich bin mir nicht mehr sicher, ob der Film nun freiwillig oder eine Art Hausaufgabe war.)

Fakt ist jedenfalls, daß zumindest der männliche Teil der Schüler kaum dazu angehalten mußte, ihn sich anzuschauen. Im Gegenteil: Wie dem Film fieberte man dem Roman entgegen, der so ganz anders war als die sonstigen Bücher aus dem eher langweiligen Pflichtkanon.

Für die älteren Zuschauer kam wahrscheinlich noch etwas anderes hinzu: Während der oben genannte Film von K. Wolf die Sícht der extrem kleinen (und inzwischen damals nicht mehr sonderlich beliebten) Minderheit der Exilanten auf den Krieg schilderte, konnte sich mit dem Titelhelden hier die ganze „Generation Flakhelfer“ identifizieren.

Die Handlung entspricht weitestgehend dem Roman, nur daß man im Film das letzte Kapitel, als Holt und Wolzow in den letzten Kriegstagen eine Stellung halten sollen, als Rahmenhandlung konzipiert hat, in denen sich Holt in einzelnen, immer wieder durch aktuelle Ereignisse unterbrochenen Rückblenden an die Zeit seit dem Sommer 1943 erinnert, in denen er und Wolzow Freunde wurden.
(Der zweite Unterschied, daß nämlich dieser“Endkampf“ nicht wie im Buch gegen die Amerikaner sondern gegen die Rote Armee geführt wird, dürfte weniger ideologische als logistische Gründe gehabt haben: Im Gegensatz zu Sherman-Panzern war der russische T34 damals noch reichlich in Beständen der NVA verfügbar. Die Kampfszenen wurden dann auch gleich auf einem NVA-Truppenübungsplatz gedreht.)

Die Rückblenden beginnen 1943, als Holt (Klaus- Peter Thiele) noch in der Schule ist , wo er sich mit dem starken und brutalen Gilbert Wolzow (Manfred Karge) anfreundet, der nur dem Militäreinsatz entgegen fiebert (In seiner Familie sind seit über 100 Jahren alle Söhne Offizier geworden.) Ihnen schließt sich noch der wegen seinem Gewicht gehänselte Christian Vetter sowie der nachdenkliche aber trotzdem entschlußstarke Sepp Gomulka (Arno Wyzniewski) an.

Diese Vier (alle zwischen 16 und 17) bilden ab nun eine eingeschworene Clique und stehen in den folgenden Monaten die sich steigernde Hölle aus Flak im Ruhrgebiet, Reichsarbeitsdienst (incl. „Partisanen-Bekämpfung“ und Massaker an Zivilisten in der Slowakei )und schließlich den Drill und die Schikanen bei der Ausbildung zu Panzersoldaten der Wehrmacht durch.

(Die komplette Handlung schenke ich mir hier, man kann sie ausführlich auf Wiki nachlesen.)

Holt reift dabei allmählich, lehnt sich aber trotz steigender Zweifel an dem Sinn des ganzen immer wieder an Wolzow an, dessen unerschütterliche Gewißheit ( „Wo ich bin, wird gekämpft!“) scheint ihm Halt zu geben und dem er vergeblich nachzueifern versucht. („Ich wünschte, ich wär ein Fanatiker. Das Nachdenken und Grübeln, das macht mich fertig.“)

Auch Begegnungen mit seinem gemaßregelten Vater und dem Mädchen Gundel (Monika Woytowicz), in die er sich verliebt, können daran erst einmal nichts ändern. Ebenso ignoriert er die Hinweise, die ihm Gomulka auf seine sich ändernde Haltung gibt („Es darf nicht sein, daß so etwas siegt!“). Vetter dagegen entwickelt sich zum perfekten Landsknecht („Leute, genießt den Krieg, der Frieden wird furchtbar sein.“) und Kettenhund von Wolzow.

Dieses Gefühl, nur ein machtloser Getriebener des Schicksals zu sein, nicht selbst verantwortlich zu sein, quält Holt fast die ganze Zeit, dient aber auch als Ausrede, nicht aus diesem Kreislauf auszubrechen. Auch nicht, als sich die erste Gelegenheit ergibt und Gomulka dersertiert. (Aus heutiger Sicht wohl auch ein etwas zu euphemistischer „Ausweg“ mitten in der Winteroffensive der Roten Armee Anfang 1945.)

Erst nachdem der Großteil der Einheit im letzten von Wolzow „gewonnenen“ Gefecht gefallen ist, rafft Holt sich auf („Mein Schicksal heißt Wolzow!“ ) und zwingt diesen mit vorgehaltener Waffe, die Truppe in Gefangeschaft gehen zu lassen. Er selbst zögert noch. Wolzow droht damit, er werde die in der Nähe gelegene SS zu Hilfe zu holen und „Euch Alle aufhängen“ lassen.
Am Ende ist er selbst es, der gehängt wird, weil der Anführer der SS ein ehmaliger HJ-Führer ist, den Wolzow zu Beginn der Handlung tödlich gedemütigt hat und der nun Rache nimmt.

Holt, der dies aus einem Versteck heraus mit ansieht, kann oder will es nicht verhinden. Aber dann lädt er das MG im Bunker und erschießt im Dauerfeuer die SS-Leute. (Im Buch wird die Motivation deutlich genannt: „Wenigstens EINMAL auf der richtigen Seite stehen!“)

Nachdem die SS tot und der Ladegurt leer ist, verläßt er den Bunker und geht nun allein den gleichen Weg wie vorher die Kompanie; -wahrscheinlich also auch in die Gefangeschaft . Damit endet der Film.
(Im Buch überlebt er noch einige Monate amerikanische Kriegsgefangenschaft und kommt dann schwer krank zum Haus seines Vaters; - wo es Gundel ist, die ihm Tür öffnet.)

Zum Erfolg trug sicherlich auch die exzellente Besetzung bis in die kleinsten Nebenrollen bei: Thiele und Wyzniewski, aber auch Angelika Domröse, Volkmar Kleinert oder Rolf Röhmer standen am Anfang einer erfolgreichen Karriere, während Helga Göring, Jochen Thomas oder Wolf Kaiser bereits etablierte Stars waren, um nur mal einige zu nennen.

Thiele spielt die Hauptrolle in ihrer ganzen Zerrissenheit, der seine Meinung immer wieder ändert und zwischen Gomulka und Wolzow hin und her schwankt. - Ironischerweise habe ich ihn in späteren Produktionen zu diesem Thema fast immer nur als „Jungen Mann“, sprich Assistenten des SS-Oberbösewichts in diversen DDR-Fernsehserien in Erinnerung.

Auch Arno Wyzniewski wurde später mit seiner hageren, asketischen Gestalt gern oft in „bösen“ oder zumindest ambivalenten Rollen besetzt, sei es als Inquisitor, Friedrich II oder gar Joseph Goebbels.

Unterm Strich kann man sagen, daß es ein sehr gelungener Film war, dem zu dieser Thematik aus westdeutscher Produktion in dieser Zeit eigentlich nur „Die Brücke“ an die Seite gestellt werden kann.
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