Thema: Filmklassiker
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Alt 21.07.2023, 06:26   #1445  
Peter L. Opmann
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Danke für die Erläuterungen.

Ich will mich nochmal mit einem Film beschäftigen, der in dieser Reihe nichts zu suchen hat: „My Week with Marilyn“ (2011) von Simon Curtis. Aber irgendwie paßt er doch hierher, denn er handelt von den Dreharbeiten zu „Der Prinz und die Tänzerin“, einem Film von 1957, den ich oben schon besprochen habe. Es ist gewissermaßen ein Making-of, aber weitaus besser, als was man an solchen Dokus sonst geboten bekommt. Allerdings ist es ein Spielfilm, basierend auf den Erinnerungen von Colin Clark von 1995, und man muß immer im Kopf behalten, daß dieser Film zwar nicht auf mehr oder weniger gutes Dokumaterial angewiesen, aber dafür auch weniger dokumentarisch ist. Es geht darum zu zeigen, wie Marilyn Monroe auf dem Höhepunkt ihrer Karriere abseits der Kinoleinwand wirklich war. Aber es ist durch die Augen von Clark betrachtet, und es ist mit künstlerischen Mitteln dargestellt.

Hier weiche ich besser von meiner Gewohnheit ab, nicht Rollennamen, sondern die der Schauspieler zu nennen, denn die Rollennamen gehören untrennbar zur Geschichte. Marilyn Monroe wird von Michelle Williams, der Star und Regisseur des Films, Laurence Olivier, von Kenneth Branagh dargestellt. Colin Clark ist Eddie Redmayne. Olivier will eine „seichte Komödie“ namens „Der schlafende Prinz“, mit der er im Theater in England schon großen Erfolg hatte, in den Pinewood-Studios mit Monroe verfilmen. Colin Clark ist der Sohn einer einflußreichen englischen Familie, der zum Film möchte, auch um nicht nur wegen des Namens seines Vaters voranzukommen. Olivier stellt ihn schließlich als dritten Regieassistenten ein, und Clark will sich entschlossen hocharbeiten. Außerdem versucht er, Kontakt zu einer hübschen Garderobistin (Emma Watson) zu knüpfen, die er aber (siehe unten) bald vergessen wird.

Schon kurz nach der umjubelten Ankunft von Monroe in England beginnt die Konfrontation von Olivier, für den die Schauspielerei allein Handwerk ist, und Paula Strasberg, die will, daß ihre Schülerin Monroe sich zuerst in die Rolle hineinfindet (Method Acting). Monroe, zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt, kann ihren Text nicht; sie hat Versagensangst, und ihr setzen bereits Alkohol und beständiger Mißbrauch von Psychopharmaka zu. Meist liegt sie, der Bewußtlosigkeit nahe, auf ihrem Sofa. Sie weiß nicht, daß sie sich überhaupt nicht anzustrengen braucht, um auf der Leinwand natürlichen Liebreiz auszustrahlen, womit sie den Theaterheroen Olivier mit Leichtigkeit an die Wand spielt. Doch die Produktion gerät durch ihre dauernde Abwesenheit in großen Verzug.

Alle am Set halten Monroes Probleme lediglich für Allüren. Da wird sie auf Clark aufmerksam, der sie an den jungen König im Film erinnert, mit dem ihre Figur eine kurze Liebesaffäre hat. Clark ist 23 und hat nicht einen Bruchteil der Erfahrungen, den Monroe nach drei Ehen besitzt. Sie fragt ihn: „Auf welcher Seite stehen Sie?“ Und sie faßt etwas Vertrauen zu ihm. Er versucht, ihr zu erklären, warum das ganze Filmteam und besonders Olivier wütend auf sie sind, aber vor allem baut er ihr Selbstbewußtsein auf. Danach läßt sie ihn mehrmals in ihre Wohnung holen. Leute, die sie kennen, warnen ihn, daß sie mit ihm spielen wolle und ihn schnell fallenlassen werde. Aber erstens bleibt die Beziehung weitgehend platonisch, und außerdem ist er für sie die Chance, Abstand zum Filmgeschäft zu bekommen. In gewisser Weise fühlt sie sich auch erdrückt vom „Mythos Marilyn“ und sehnt sich danach, eine normale Frau zu sein. Colin Clark wiederum sieht sich einerseits als ihr Beschützer, andererseits will er das Geheimnis ergründen, das diese komplizierte Frau umgibt.

An einem Tag schleichen sie sich weg und besichtigen gemeinsam englische Sehenswürdigkeiten. Kurz darauf gerät sie in der Nacht in eine Krise, und ein Notarzt muß geholt werden. Colin wacht an ihrem Bett. Gegen Ende der Dreharbeiten bessert sich Marilyns Arbeitsdisziplin, und Olivier erkennt, was ihre wahren Qualitäten als Schauspielerin sind. Dann ist der Film fertig, und sie verläßt England wieder. Clark hatte ein bißchen davon geträumt, daß er ihre Bezugsperson bleiben könne. Für sie ist das aber nun tatsächlich vorbei, und mit erstaunlich grausamem Realismus sagt sie: „Ich kann meine Hollywood-Karriere nicht aufgeben.“ Dann aber signalisiert sie, daß er für sie doch nicht nur eine flüchtige Bekanntschaft war: „Vielleicht können wir uns zuzwinkern…“ Ganz am Ende taucht sie in einem Pub auf, in dem er traurig am Tresen sitzt, und es kommt zu einem Abschiedskuß.

Man stellt sich diesen Film als Zweieinhalb-Stunden-Werk vor, aber das Drehbuch ist sehr straff gehalten. Regisseur Curtis bleiben in 90 Minuten dennoch genug Szenen, in denen er den Zauber dieser unwirklichen Beziehung entfalten kann. „My Week with Marilyn“ ist von der BBC produziert und mußte vielleicht ein Fernsehformat einhalten. Er hat aber sonst nichts von einem Fernsehfilm. Einmal sagt Marilyn im Film mit Abscheu: „In Hollywood gibt es viele ältere Typen!“ Das hat mich daran erinnert, daß Co-Produzent Harvey Weinstein war. Ich hoffe allerdings, daß der wunderbare Film nicht durch ihn diskreditiert ist.

Ein Problem ist, daß Michelle Williams ihrer Figur nur wenig ähnlich sieht. Aber sie hat Marilyns Bewegungen bewundernswert gut einstudiert, und ansonsten sehen wir ja hauptsächlich eine Marilyn im wirklichen Leben, von der wir gern glauben, daß sie nicht die Schminke und vielleicht auch nicht die aufgedonnerte Frisur wie im Film trug. Branagh gibt Laurence Olivier immer als Schauspieler, der auch wenn die Kamera nicht läuft, am liebsten Shakespeare deklamiert. Eddie Redmayne spielt die Naivität und das allmähliche Reifen seiner Figur sehr gut. Letztlich ist dies wohl eine Coming-of-Age-Geschichte.

Letztlich wird hier der Mythos Marilyn ein weiteres Mal ausgebeutet. Mich würde interessieren, ob sie in diesem Film als „starke Frau“ durchgeht – auf jeden Fall sind die meisten Männer hier Marionetten in ihrer Hand. Aber egal, ich gestehe, daß ich auch zu denen gehöre, die liebend gern hinter Marilyn Monroes Geheimnis kommen würden, und ich sehe sie auch gern mit den Augen von Colin Clark. Ich habe „My Week with Marilyn“ damals natürlich im Kino gesehen, und er ist ganz schnell in den Kreis meiner Lieblingsfilme aufgestiegen.
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