Thema: Filmklassiker
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Alt 18.07.2023, 06:22   #1430  
Peter L. Opmann
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Nach „Things to come“ habe ich mir jetzt nochmal „Die Zeitmaschine“ (1960) von George Pal zu Gemüte geführt. Dabei sind mir eine Menge logischer Fehler und Holprigkeiten aufgefallen, die ich früher weniger wahrgenommen habe. Dennoch ist der Film ein Erlebnis und hat sicher dem Science-Fiction- und vor allem dem Fantasygenre Impulse gegeben. Unverständlich ist mir allerdings der Oscar, den der Film 1961 für die Spezialeffekte erhielt. Da sind mir nicht viel mehr als Zeitraffer-Effekte aufgefallen. Der Rest erinnerte mich an schlechte „Star Trek“-Episoden. Bemerkenswert finde ich hingegen die Bauten, insbesondere die der Zukunftswelt, und das Design der Steampunk-Zeitmaschine.

Die Handlung folgt grob der Romanvorlage des großen H. G. Wells, und Drehbuchautor David Duncan (der auch „Die phantastische Reise“ schrieb) hat den eher philosophisch-intellektuellen Charakter des Romans nur teilweise durch eine Actionhandlung ersetzt. Rod Taylor, der Zeitreisende, lädt zu Silvester 1899 vier Freunde ein, um sie mit seiner Erfindung bekannt zu machen. Bis auf einen tun aber alle die Idee einer Zeitreise als Humbug ab, obwohl er sie an einem Modell demonstriert. Darauf lädt er sie eine Woche später erneut ein – bis dahin will er selbst in die Zukunft gereist und zurückgekehrt sein. Taylor setzt sich in seine Maschine und macht zunächst dreimal in der näheren Zukunft Halt: 1917 während des Ersten, 1940 während des Zweiten und 1966 während des Dritten Weltkriegs, in dem erwartungsgemäß Atomwaffen eingesetzt werden. Geschockt wagt er darauf einen weiten Sprung in die Zukunft (etwa 800 000 Jahre).

Er landet in einem Naturparadies, in dem es anscheinend keine Menschen mehr gibt. Dann entdeckt er jedoch eine Gruppe junger Leute, die quasi als Frühhippies (bezogen auf die Entstehungszeit des Films) an einem Flußufer in den Tag hineinleben. Taylor muß feststellen, daß sie keine seiner Fragen beantworten können und auch emotional völlig abgestumpft zu sein scheinen. Er rettet ein Mädchen (die liebreizende Yvette Mimieux) vor dem Ertrinken, kommt mit ihr in näheren Kontakt und erfährt schließlich zumindest bruchstückhaft, was mit dieser Zukunftswelt los ist. Neben ihrem Volk der Eloi gibt es noch die Morlocks, die seit dem Ende des Atomkriegs unter der Erde leben und die Eloi kontrollieren. Durch einen Luftschacht (?) steigt er zu ihnen hinunter und entdeckt, daß die Morlocks die Eloi wie Vieh halten und als Nahrungsquelle benutzen. Kein Eloi erreicht ein höheres Alter, weil er schon in jungen Jahren von den Morlock-Kannibalen verspeist wird. (Kinder gibt es allerdings auch keine – vermutlich vermied man alles, was mit Sex zu tun haben konnte.)

Als Mimieux den Gang ins Morlock-Reich antreten muß, folgt ihr Taylor und befreit sie und ihre Leidensgenossen. Er erkennt, daß die monstermäßigen Morlocks Angst vor Feuer haben. Darauf fackelt er gleich ihr gesamtes Höhlensystem ab. An die Erdoberfläche zurückgekehrt, findet er seine Zeitmaschine wieder und beschließt, in seine Zeit zurückzukehren. Zum verabredeten Treffen mit seinen Freunden ist er wieder da, allerdings gezeichnet von seinen Kämpfen und Anstrengungen. Die Freunde glauben nach wie vor nicht, daß er in der Zeit unterwegs war, auch wenn er eine völlig fremdartige Blume aus der Zukunft mitgebracht hat. Als sie gegangen sind, besteigt er wieder die Zeitmaschine. Nun möchte er Mimieux wiedertreffen und die Zukunft verändern.

Seltsam berührt hat mich, daß sich Taylor bei den Eloi nach Büchern erkundigt; es gibt zwar welche, aber sie zerfallen bei der ersten Berührung zu Staub. Ich könnte mir vorstellen, daß sich die total verblödeten Eloi seit Jahrtausenden nur noch mit ihren Smartphones und sozialen Medien beschäftigt haben. Soweit konnte George Pal freilich 1960 noch nicht denken. Pal war eigentlich Tricktechniker, drehte aber in den 50er Jahren eine Reihe von SF-Filmen (auch „Der Kampf der Welten“, ebenfalls nach H. G. Wells). Alles in allem ist „Die Zeitmaschine“ für mich eher eine Fantasygeschichte – nicht sehr stimmig, aber es macht nichts. Die Atmosphäre des Films kann in seinen besten Momenten noch immer faszinieren; die Story hat aber zu viele Schwächen (überall da, wo man notgedrungen von Wells‘ Vorlage abweichen mußte), als daß ich mir das Werk bald noch einmal ansehen würde.
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