Thema: Filmklassiker
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Alt 09.06.2023, 06:26   #1280  
Peter L. Opmann
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Jetzt habe ich mir erstmal den dritten Film von der „Black Cinema“-Box angesehen, „Kennwort 777“ (1948) von Henry Hathaway. Es handelt sich um eine Billig-DVD ohne jegliche Zusatzausstattung, und zunächst muß man festhalten, daß alle drei Filme keine Film noirs sind. Doch zwei von ihnen sind nicht schlecht, nämlich „Die Maske runter“, den ich zuletzt besprochen habe, und der, um den es jetzt geht. Er ist auch interessant als Star-Vehikel von James Stewart; jedenfalls habe ich in einer Biografie von Jonathan Coe gelesen, daß Stewart sich damit in Richtung härterer Rollen entwickelte, die er dann bei Hitchcock und Anthony Mann spielte. Insgesamt ist der Film, der wiederum in einem quasidokumentarischen Stil gedreht ist und auf Tatsachen beruht, aber in meinen Augen nicht ganz überzeugend.

In einer Anzeige in der „Chicago Times“ werden demjenigen, der die Unschuld eines verurteilten Polizistenmörders (Richard Conte) beweist, 5000 Dollar geboten. Reporter Stewart schreibt darüber ein paar reißerische Artikel, die große Aufmerksamkeit erregen, aber er glaubt eher, daß Conte schuldig ist. Gespräche mit seiner Mutter, die die Anzeige geschaltet hat, seiner inzwischen geschiedenen Frau und Conte selbst, der seine Unschuld beteuert, bringen kein Licht in den Fall. Der Richter, der von Contes Schuld offenbar selbst nicht ganz überzeugt war, ist inzwischen gestorben. Die einzige Zeugin, die ihn als Täter identifiziert hat, ist unauffindbar. Aber ein Lügendetektor-Test (der vor Gericht nicht als Beweismittel anerkannt wird) deutet darauf hin, daß Conte die Wahrheit sagt. Allmählich sieht Stewart die Sache nicht mehr nur als Story, sondern schlägt sich auf die Seite Contes. Er wird sozusagen zum Detektiv, der den Fall aufzuklären versucht (was kein wirklicher Journalist tut).

Stewart sucht die übelsten Ecken Chicagos nach der Zeugin ab, die ihn hinter Gitter gebracht hat, und schließlich findet er sie. Sie weigert sich jedoch kategorisch, ihre damalige Aussage zu widerrufen. Die Sache sollte vor einen Begnadigungsausschuß kommen, aber die Zeitung sieht sich gezwungen, ihren Antrag zurückzuziehen, da ein Unschuldsbeweis fehlt und eine gescheiterte Begnadigung für Conte ungünstig wäre. Stewart gibt jedoch nicht auf, obwohl auch Polizei und Staatsanwaltschaft zunehmend mauern und Beweismittel verschwinden lassen wollen (wohl aus Korpsgeist). Schließlich gelingt es ihm, durch ein Foto die Aussage der Zeugin, sie habe Conte nach dem Mord erst bei der Gegenüberstellung wiedergesehen, zu erschüttern, und er wird doch begnadigt. In dem Film wird also mehrmals für die Zeit neueste Technik vorgeführt: neben dem Original-Lügendetektor von Leonarde Keeler (der sich zudem selbst spielt) eine Methode der Fotovergrößerung und der Fotoübermittlung per Funkbild (heute natürlich alles hoffnungslos veraltet).

Die Zeugin hatte offensichtlich Angst, die Wahrheit zu gestehen. Warum und vor wem, wird in dem Film aber nicht weiterverfolgt. Geschweige denn, warum der Polizist erschossen wurde und wer der wirkliche Täter ist. Da der Mord in der Prohibition in einem Speakeasy geschah, wäre das in meinen Augen nicht uninteressant gewesen. Nicht nur weil er sich in Ermittlungen einschaltet, ist Stewart für mich nicht glaubwürdig. Er ist durch seine eher phlegmatische Art kein Reportertyp (jedenfalls nicht der beste der „Times“, als der er präsentiert wird). Außerdem führt er ein glückliches Eheleben – für einen Journalisten eher untypisch. Trotz dieser Minuspunkte finde ich „Kennwort 777“ ganz annehmbar. Manchmal wird der Film für meinen Geschmack etwas zu melodramatisch, aber ich habe doch gespannt mitverfolgt, ob es gelingt, die Unschuld des Verurteilten zu beweisen.

Vielleicht bin ich zu sehr James-Stewart-Fan, aber obwohl er seine Rolle nicht ganz ausfüllt, habe ich ihn gern gesehen. Man sollte auch noch Lee J. Cobb als Chefredakteur erwähnen, der keinen entscheidenden Part hat und trotzdem auffällig und markant agiert. Die Regie von Hathaway ist ganz geradlinig; trotz zahlreicher Figuren verliert man in der Geschichte nie den Überblick. Allerdings sieht man hier Journalismus, wie ihn sich Hollywood vorstellt. Grinsen mußte ich, als ich sah, wie viel Vertrauen die Leute hier im Allgemeinen der Presse entgegenbringen, egal, ob Stewart eine Boulevardstory schreibt oder sich ernsthaft um die Geschichte kümmert. Das ist aber, denke ich, nicht Hollywood, sondern zeugt von einer Zeit, als man die Medien noch positiver bewertete.
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