Thema: Filmklassiker
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Alt 26.05.2023, 06:11   #1249  
Peter L. Opmann
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Auch Flynns ersten Swashbuckler-Film „Unter Piratenflagge“ („Captain Blood“, 1935) habe ich auf DVD, aber den werde ich vorläufig nicht besprechen. Als Bonus ist jedoch eine Dokumentation drauf, die sich mit der Rückkehr des Filmgenres mit den Curtiz-Flynn-Filmen beschäftigt. Sie heißt „Errol Flynn – ein Held wird geboren“. Das ist vielleicht eine ganz gute Ergänzung zu meiner letzten Besprechung. Turner Entertainment hat die Doku 2005 produziert (Regie: Karen Hillhouse). Zahlreiche Fachleute kommen zu Wort, hauptsächlich Rudy Behlmer, Kritiker, Lincoln D. Hurst, Filmwissenschaftler, Robert Osborne, Filmhistoriker, und Tim Weske, Choreograf. Da sie permanent durcheinandergeschnitten werden, gebe ich nicht an, wer was sagt.

In den 1920er Jahren gab es große Mantel-und-Degen-Filme mit Douglas Fairbanks. Dann kam 1929 die große Depression, und diese Filme waren nicht mehr in Mode. Jetzt handelten die Filme von der Gegenwart. Als 1934 die Legion of Decency gegründet wurde, kamen die Studios wieder auf den Kostümfilm, mit dem sie sich manche Sorge ersparen konnten. 1934 erschienen zwei Filme: „Die Schatzinsel“ (MGM) und „Der Graf von Monte Christo“ (United Artists), die beide große Erfolge waren.

„Captain Blood“ basierte auf dem bekannten Roman von Rafael Sabatini. Erste Wahl für die Hauptrolle war Robert Donat, der auch in „Monte Christo“ die Hauptrolle gespielt hatte, aber er lehnte ab. Man ging die Liste der bei Warner unter Vertrag stehenden Schauspieler durch, aber keiner war geeignet. Andere wie Leslie Howard oder Frederic March waren beschäftigt. Errol Flynn war völlig unbekannt. Er hatte in einem Film von Warner Brothers England gespielt, der in den USA nicht gezeigt wurde. Warner holte ihn, weil Jack Warner von seiner Frau auf ihn aufmerksam gemacht wurde. Sie testeten ihn und fanden ihn ziemlich gut. Sie dachten auch an Clark Gable, Ronald Colman oder George Brent. Doch sie dachten: Warum versuchen wir’s nicht mal mit Flynn? Es war riskant, denn er hatte wenig Erfahrung. Man kann nicht einfach jemanden vor die Kamera stellen und annehmen, daß er den Film trägt. Es waren sogar zwei unbekannte Schauspieler, denn Olivia de Havilland kannte auch niemand. Aber es zahlte sich aus.

Olivia de Havilland war gerade zum Studio gekommen, um in „A Midsummer Night’s Dream“ unter der Regie von Max Reinhardt zu spielen. Sie sollte die Rolle nur bekommen, wenn sie einen Sieben-Jahres-Vertrag unterschrieb. Sie war eigentlich nicht so sehr am Schauspielen interessiert, aber sie dachte: Ein Sieben-Jahres-Vertrag ist nicht so schlecht. Es schien, daß sie und Flynn das ideale romantische Paar sein würden. Basil Rathbone war zu dieser Zeit der archetypische Hollywood-Schurke. Er war der perfekte französische Pirat. Man brauchte einen zweiten Schurken, Lionel Atwill. Er war schon lange dabei und spielte immer seltsame Charaktere. Leute wie Atwill brauchten nur zu erscheinen, und das Publikum wußte, wer der Bösewicht war und im Auge behalten werden mußte. Traurig war der Fall von Ross Alexander. Er war ein aufgehender Stern bei Warner Brothers. Aber kurz nachdem „Unter Piratenflagge“ abgedreht war, beging er Selbstmord.

Michael Curtiz war ein Ungar, der früh ins Filmgeschäft einstieg. Harry Warner hatte einen Film von ihm gesehen, als er in Europa war. Es war ein monumentaler Bibelfilm, der ihn sehr beeindruckte. Also verpflichtete er ihn Mitte der 20er Jahre. Curtiz war sehr einfallsreich und beherrschte sein Handwerk. Er war manchmal etwas schwierig, denn er sprach mit Akzent und brüllte herum. Manche Schauspieler wurden in seiner Gegenwart nervös. Aber er schaffte es, im Lauf der Jahre wunderbare Leistungen aus ihnen herauszuholen. Wir vergessen manchmal, daß er ein sehr vielseitiger Regisseur war. Er konnte Musicals wie „Yankee Doodle Dandy“ drehen oder ein romantisches Abenteuer wie „Casablanca“. Er war wirklich gut bei Action-Szenen, Kamerabewegungen, Licht und Schatten. Er hatte einen sehr europäischen Stil. Selbst wenn eine Szene nicht sehr lebhaft war, brachte er durch die Kamera Bewegung hinein.

Hal Wallis war der ausführende Produzent bei Warner. Er unterstand direkt Jack Warner. An allen seinen Filmen nahm er aktiv teil. Sein Verhältnis zu Michael Curtiz war angespannt, das änderte sich während seiner ganzen Karriere nicht. Curtiz irritierte ihn, denn ihm war nichts zu teuer. Wenn Curtiz zum Beispiel eine Nahaufnahme drehte, positionierte er im Hintergrund Statisten, die nichts taten. Denn er wollte eine Komposition aus Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Aber Hal dachte: Das ist genug, ich will eine Darbietung. Dauernd schickte er Curtiz Memos: „Warum tun Sie das? Sehen Sie nicht, daß diese Szenen ein Vermögen kosten?“ Errol Flynn war sicher nervös, weil das seine große Chance war, und Curtiz war ihm keine Hilfe. In den ersten Szenen zitterte er vor Angst. Und Hal schickte Curtiz ein Memo: „Seien Sie nett zu dem Jungen. Er wird das schon schaffen.“ Und er verbesserte sich schnell. Darauf drehten sie viele Szenen der ersten beiden Wochen noch einmal. Seine Szenen mit Olivia de Havilland waren sehr natürlich. Sie sahen gut zusammen aus und spielten gut zusammen.

Warner war sicherlich besorgt wegen des Budgets. Sie hatten in den Jahren davor einige Rückschläge erlitten. Als sie zu drehen begannen, dachten sie: Okay, wir bauen die Schiffe im Studio. Das meiste wurde in Tonstudios gemacht, denn dort konnte man Belichtung und Ton besser kontrollieren. Es hatte einen Studio-Look, aber die Leute liebten das damals. Sie ließen Miniaturschiffe bauen, doch die waren 5,5 Meter lang. Windmaschinen erzeugten die geblähten Segel. Es fand nicht auf See statt. Damals ging man nicht oft an Original-Drehorte. Sie hatten großartige Techniker in den Studios, die jede Stadt genauso bauten, wie du sie haben wolltest. Und die Leute reisten noch nicht so viel – sie akzeptierten die Ansichten einfach. Das berühmte Duell zwischen Flynn und Rathbone wurde in Laguna Beach gedreht, und zwar als die Sonne gerade unterging.

Maestro Fred Cavens begann mit den Schwertkämpfen in Filmen. Er trainierte die Schauspieler und plante die Kämpfe, die so waren, wie sie sein sollten: Sein Tempo, sein Timing, wie sie das Gleichgewicht halten, ihre Beinarbeit. Basil Rathbone wurde Schüler von Cavens und hatte bald den Ruf, der beste Schwertkämpfer Hollywoods zu sein. Errol Flynn hatte eine natürliche Anmut und athletisches Können. Er lebte ganz in seiner Rolle.

(Ich lasse hier ein paar Bemerkungen über den Komponisten Erich Wolfgang Korngold aus.)

„Captain Blood“ war der Prototyp der Swashbuckler-Filme. Er überraschte die Zuschauer. Viele verließen die Kinos und fragen sich: Wo waren diese Stars bisher? Es war ein Riesen-Kassenerfolg und machte Errol Flynn über Nacht zum Superstar. Es ist das erstaunlichste Debüt eines Neulings in der Geschichte Hollywoods. Ich bin sicher, als sie im Vorführraum die ersten Kopien sahen, sagten sie: Oh, seht, was wir gefunden haben! Wie viele Leute haben wir heute, die Errol Flynn das Wasser reichen können? Seine Präsenz auf der Leinwand ist magnetisch. Und was für ein Glück, daß sie zwei zum Preis von einem bekamen, denn auch Olivia de Havilland wurde zum Star. Sie hat eine Fröhlichkeit, Sensibilität und Eleganz, die sie von einigen leading ladys ihrer Zeit abhob. Jack Warner war klug genug zu erkennen, daß sie das Traumpaar waren. Sie waren definitiv ein durchschlagendes Team, und es herrschte eine tolle Chemie zwischen ihnen.
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