Thema: Filmklassiker
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 08.05.2023, 06:21   #1202  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.596
Es hat sich abgezeichnet, daß der Film, den ich gestern abend gesehen habe, nicht besonders gut ist. Er stammt wieder mal von einer Billig-DVD, und zwar einer, auf der drei Vertreter des Film noir versammelt sind. Die anderen beiden Filme scheinen ganz lohnend zu sein, nämlich „Kennwort 777“ von Henry Hathaway und „Die Maske runter“ von Richard Brooks. Beide spielen im Pressemilieu und präsentieren einen heldenhaften Reporter und einen aufrechten Chefredakteur. Da ich sowas hier schon ein paarmal hatte, habe ich mich für den dritten Film entschieden, „Schonungslos“ (1956) von Abner Biberman, und der scheint nicht ganz auf dem Niveau der anderen beiden zu sein.

Immerhin gibt es ein paar Gründe, ihn trotzdem zu sehen: einmal der Auftritt von Merle Oberon (bekannt etwa aus „Sturmhöhe“), die für ihre Rolle eigentlich schon zu alt war, aber sich wie Joan Crawford oder Bette Davis in Hollywood behaupten konnte, zum anderen die Mitwirkung von Lex Barker – allen Karl-May-Fans wohlbekannt. Zudem scheinen die Filme auf der DVD zusammenzupassen, auch wenn man eher vermuten würde, daß sie wahllos draufgepackt wurden. Sie haben alle einen mehr oder weniger dokumentarischen Anstrich. Halbdokumentarische Krimis waren, wie ich gelesen habe, um 1950 ein Kinotrend.

Worum geht’s? Lex Barker betreibt einen Hunderennplatz, aber sein Partner wird von einer Art Mafia aus dem Geschäft gedrängt und erschossen. Barker will - verständlicherweise - mit diesen Leuten nichts zu tun haben. Gangsterboß Warren Stevens geht über Leichen und will nun auch Barker beseitigen. Bei einer Taxifahrt bemerkt er, daß er verfolgt wird, und steigt unbemerkt aus dem Cab aus. Während er zu Fuß flieht, stößt er auf ein herrenloses Auto, das er kurzerhand klaut, um sich in Sicherheit zu bringen. Mit diesem Auto hat allerdings Merle Oberon soeben einen alten Mann angefahren. In einer Telefonzelle will sie die Polizei verständigen, aber als sie sieht, daß ihr Auto weg ist, meldet sie es stattdessen als gestohlen und sagt von dem schwer verletzten Fußgänger nichts.

Stevens will Barker den Mord an seinem Geschäftspartner in die Schuhe schieben, aber der hat unversehens ein Alibi: Er wird nun nämlich beschuldigt, mit Oberons Auto Fahrerflucht begangen zu haben. Und nun kommt die Geschichte ins Rollen. Oberon ist nicht unter Verdacht, tut aber so, als wolle sie Barker helfen. Barker seinerseits sucht nach dem Taxifahrer, der bezeugen kann, daß er weder mit dem Toten noch mit dem angefahrenen Alten etwas zu tun hat. Und Stevens will nun den Taxler zum Schweigen bringen, damit niemand Barker entlasten kann. Dabei zieht er Oberon auf seine Seite. Zwischendurch stirbt der angefahrene Mann an seinen Verletzungen. Am Ende gesteht sie Barker, daß sie es war, die Fahrerflucht begangen hat. Wegen der Schande will sie sich ins Ausland absetzen. Barker folgt ihr in den Zug, mit dem sie über die Grenze will. Stevens hat inzwischen den Taxifahrer zum Schweigen gebracht und befindet sich ebenfalls im Zug, um Barker endgültig zu töten. Nun entert auch Polizeiermittler Charles Drake den Zug, gerade rechtzeitig zum Showdown. Am Ende opfert sich Oberon für Barker auf, weil sie ihn irgendwie doch geliebt hat…

Man sieht: Das Hauptproblem des Films ist die überkonstruierte und oft unglaubwürdige Story. Die Verknüpfung eines Mordes und einer Fahrerflucht ist schon abenteuerlich. Aber warum wird ausgerechnet der Partner des Mordopfers als Täter verdächtigt? Warum kommt dagegen niemand darauf, daß Merle Oberon selbst Fahrerflucht begangen haben könnte? Die Motive des Mafiabosses, der lange Zeit ziemlich im Hintergrund bleibt, sind unklar. Warum begnügt er sich überhaupt zunächst mit der Hälfte des Hunderennen-Geschäfts und baut offenbar darauf, daß er mit Barker schon gut auskommen wird? Und Merle Oberon – hin- und hergerissen zwischen dem Bestreben, sich reinzuwaschen, und Gefühlen für Barker – ist so zwielichtig, daß ihre Figur nie so richtig plastisch wird. Liebesszenen fehlen in dem Film völlig, durch die man grübeln könnte, ob ihr Verhalten echt oder gespielt ist.

Insgesamt liefert der Film durchaus Spannung, auch wenn es wegen des dokumentarischen Anstrichs keinen Nervenkitzel bis zum Letzten gibt. Ich habe mich aber mitunter gefragt, was Hitchcock oder auch Wilder aus diesem Stoff gemacht hätten, die sich hauptsächlich auf ein ausgefeiltes Drehbuch stützten. Diese Geschichte hätte ich mir so ähnlich als Herbert-Reinecker-Krimi vorstellen können. Über das Einspielergebnis von „Schonungslos“ konnte ich nichts erfahren; auch liefert wikipedia keine Kritiken. Die Katholische Filmkommission urteilte hierzulande: „Fahrerflucht mit tödlichen Folgen und eine Kontroverse zwischen Gangstern sind zu einem Krimi gekoppelt, dessen erpreßte Heldin undurchsichtig zwischen Liebe und Verrat schwankt, bis sie in den Selbstmord flüchtet. Weder logisch noch glaubwürdig und nur mäßig spannend.“
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten