Thema: Filmklassiker
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Alt 01.05.2023, 06:21   #1177  
Peter L. Opmann
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Dann jetzt to something completely different, wie man so sagt...

„Eine Frau, die alles weiß“ (1957) von Walter Lang – diese DVD war ein Gelegenheitskauf. Zum einen kostete sie nur fünf Euro, zum anderen war das immerhin ein Film mit Katherine Hepburn und Spencer Tracy. Also dachte ich, da kann nichts schiefgehen. Es war der achte von neun Hepburn/Tracy-Filmen nach einer Pause von fünf Jahren. Das Paar scheint also nicht mehr so zugkräftig gewesen zu sein, und sie wirken beide auch persönlich etwas angejahrt. Es ist ein seltsamer Film; ich habe aber eine ganze Weile gebraucht, bis ich draufkam, woran das im einzelnen liegt. Die Komödie überrascht in einigen Aspekten positiv, weist aber auch ein paar Webfehler auf. Insgesamt finde ich den Film unterhaltsam.

Tracy ist ein Ingenieur für Arbeitsmethodik, der eines Tages in die Informationsabteilung (reference department) einer New Yorker Radiostation hereinschneit. In dieser Abteilung werden Informationsfragen aller Art der Hörer beantwortet. Er stellt allerlei Messungen und Untersuchungen an, ohne zu verraten, was genau er vorhat. Leiterin der Abteilung mit vier Mitarbeiterinnen ist Hepburn. Die Frauen arbeiten bislang mit einer großen Bibliothek und betreiben bei kniffligen Fragen Telefonrecherchen. Nach und nach freundet Hepburn sich mit Tracy an. Eigentlich ist sie mit Gig Young quasi verlobt, ihrem Chef. Der ist allerdings immer schwer beschäftigt und kümmert sich nur wenig um sie, was sie bisher klaglos hingenommen hat. Nun geht sie bisweilen mit Tracy essen; nach einem Regenguß nimmt sie ihn sogar mit in ihre Wohnung, wo beide von Young überrascht werden, der Hepurn darauf eine unschöne Szene macht.

Tracy braucht für seine geheimnisvolle Untersuchung mehrere Monate, schließlich kommt aber ans Licht, daß er in der Abteilung die Installation eines Computersystems plant, das künftig die Anfragen schneller und präziser beantworten soll, als das irgendein Mensch könnte. Die Mitarbeiterinnen bangen um ihren Job. Dies umso mehr, als die Stärken des Computers bei einer Vorführung allen offenbart werden. Tracy schränkt allerdings ein: Der Computer macht nur dann keine Fehler, wenn der Mensch, der ihn bedient, keine Fehler macht. Während der Weihnachtsfeier der Abteilung erhalten die Frauen ihre Lohntüte (damals noch buchstäblich), und darin findet sich zugleich ihre Kündigung – wie sie befürchtet hatten. Das wundert Tracy freilich. Zudem erweist sich, daß die neue Mitarbeiterin, die den Computer bedient, immer wieder Fehler produziert, weil ihr Allgemeinwissen sehr beschränkt ist und sie die Fragen nicht richtig eingeben kann. Aber wie ist es zu den Kündigungen gekommen? Auch in der Personalabteilung steht neuerdings ein Computer, und er hat durch falsche Bedienung die gesamte Belegschaft des Radiosenders entlassen. Der Computer, so wird jetzt klar, soll die Mitarbeiterinnen keineswegs ersetzen, sondern ihnen nur Routinearbeit abnehmen. Hepburn und Tracy sprechen sich aus und entdecken dabei (endgültig), daß sie sich lieben. Young, der eben zum Vizepräsident ernannt worden ist und nun um ihre Hand anhalten will, kommt zu spät.

Das Thema „Rationalisierung am Arbeitsplatz“ wird hier für meine Begriffe sehr früh angeschnitten. Ich glaube, in Deutschland kam das erst in den 1970er Jahren auf. Der Computer, um den es im Film geht, nimmt praktisch die Hälfte des Großraumbüros ein, blinkt und läßt Magnetbandspulen rotieren, auch wenn er als Fragenbeantworter schon ein wenig an ChatGBT erinnert. Die IBM hat an dem Werk beratend mitgewirkt. Wir sehen also offenbar tatsächlich Computertechnik, wie sie im Jahr 1957 möglich war. Positiv an dem Film aufgefallen ist mir zudem, daß er im Stil einer Screwball-Komödie inszeniert ist mit geschliffenen Dialogen in atemberaubendem Tempo. Auf der Negativ-Seite ist zu vermerken, daß die Liebesgeschichte leider nicht richtig funktioniert – trotz Hepburn/Tracy, die bekanntlich auch im wirklichen Leben ein Paar waren. Das hat wiederum mehrere Gründe. Zunächst sind sie zu alt für eine Romanze, wie man sie im Kino erwartet. Außerdem gibt es so gut wie keine amourösen Verwicklungen. Es ist von vorneherein klar, daß die Verbandelung von Hepburn mit Gig Young nicht klappen wird. Überhaupt fehlen Konflikte, die einem Film seine Würze geben. In dem hier gezeigten Büro herrscht eine bemerkenswerte Harmonie, und auch sonst sind in dem Radiosender weit und breit keine Charaktere zu entdecken, die irgendwelche Schwierigkeiten bereiten könnten. Selbst der Vorstandsvorsitzende ist ein gütiger Opa. Auch von den 50er-Jahre-Neurosen sieht man hier angenehm wenig – schon gar nicht bei Hepburn, die auffallend pragmatisch und lebenstüchtig wirkt. Das einzige Problem ist die latente Bedrohung durch den Computer. Vielleicht hat das die Kinozuschauer damals mächtig aufgeregt, während man sich heute mit der IT am Arbeitsplatz arrangiert hat.

Regisseur Walter Lang war ein Komödienspezialist in Hollywood, der aber nie besonders auf sich aufmerksam machen konnte. Sein bekanntester Film ist wohl das Musical „Rhythmus im Blut“ mit Marilyn Monroe (nicht zu verwechseln mit den Elvis-Vehikeln „Rhythmus hinter Gittern/Jailhouse Rock“ und „Mein Leben ist der Rhythmus/King Creole“). „Eine Frau, die alles weiß“ floppte an der Kinokasse und bekam auch zunächst keine guten Kritiken. Es ist (wieder mal) ein Film, der zuerst in Frankreich geschätzt wurde. Heute wird er laut wikipedia allgemein als gute Komödie angesehen und kommt bei rotten tomatoes bei 22 Kritiken auf 100 Prozent. Dieser Wert würde durch meine Kritik zumindest wieder auf 95 Prozent zurückgehen…
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