Thema: Filmklassiker
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Alt 01.03.2023, 06:46   #946  
Peter L. Opmann
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„Blade Runner“ (1982) ist ein Science Fiction-Film, der in mehrfacher Hinsicht mit mir zu tun hat. Schon einige Monate, bevor er ins Kino kam, habe ich einen zweiseitigen Schülerzeitungs-Artikel über Philip K. Dick geschrieben, auf dessen Roman „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ der Film basiert. Damit will ich nicht renommieren; vielmehr frage ich mich, was meine Quellen waren. Ich hatte damals schon das eine oder andere von ihm gelesen (der erste Roman war „Das Jahr der Krisen“/„The Crack in Space“, der zu seinen schwächeren gehört, mich aber ungeheuer ansprach), aber viel kannte ich noch nicht. Ich hatte das „Lexikon der Science Fiction-Literatur“, aber auch das war nicht alles, was ich über Dick wußte. Ausgerechnet „Do Androids…“ benutzte dann Stanislaw Lem als Musterbeispiel eines schlechten SF-Romans. Ein gravierender Denkfehler war für ihn, daß Androiden revoltieren, obwohl sie gar nicht wissen, daß sie keine Menschen sind.

Den Film, der vom Roman teilweise deutlich abweicht, aber die von Lem kritisierte Prämisse übernimmt, habe ich dann immer wieder gesehen, und ich kam erst nach und nach auf alle Zusammenhänge in der Story. Ich wußte wiederum nicht, daß „Blade Runner“ anfangs nicht so viel Publikum hatte (vielleicht ein weiteres Opfer von „E.T.“) und erst nach und nach zum Kultfilm wurde. An den Director’s Cut, in dem der Off-Kommentar fehlt, mußte ich mich mühsam gewöhnen. Vor etwa 15 Jahren kam ich dann mit der vierstündigen Dokumentation „Dangerous Days“ in Berührung, als ich mir die DVD besorgte, und erfuhr noch einmal einiges, was ich über Scotts Werk nicht wußte. Insbesondere, daß „Blade Runner“ einer der letzten SF-Filme war, die ohne Computereffekte auskamen.

Auch hier möchte ich auf die Story eingehen (es mag ja inzwischen eine Menge Jüngere geben, die „Blade Runner“ nicht kennen). Harrison Ford ist ein Androidenjäger, der sich aus dem Geschäft zurückgezogen hat, jetzt aber zurückgeholt wird, weil vier Replikanten (so werden die hier offiziell genannt) von dem Planeten abgehauen sind, wo sie zu dessen Kolonisation Sklavenarbeit verrichteten, und nun unerkannt wieder auf der Erde sind. Ford soll sie „ausknipsen“, auch wenn man ihnen eine Sicherung eingebaut hat: Sie leben nur vier Jahre lang (auch das wissen sie übrigens). Ein anderer Blade Runner ist bereits beinahe getötet worden, als er auf einen von ihnen traf. Ford versucht zuerst herauszufinden, warum sie bei der Tyrell Corporation einbrechen wollten (obwohl der Firmenchef der Konstrukteur der Replikanten ist). Er stellt mittels des Voight-Kampff-Tests fest, daß Tyrells Sekretärin (Sean Young) selbst eine Replikantin ist. Sie hat künstlich implantierte Erinnerungen an ihre angebliche Kindheit und weiß es daher selbst nicht. Ford tröstet sie; es bahnt sich eine Beziehung zwischen ihnen an.

Schritt für Schritt kommt Ford mit seinen Ermittlungen weiter und tötet zwei der Replikanten. Die beiden übrigen (Rutger Hauer und Daryl Hannah) erschleichen sich das Vertrauen eines Mitarbeiters Tyrells und verschaffen sich durch ihn Zugang zu ihrem „Vater“; sie wollen länger leben. Der enttäuscht sie jedoch: Er will und kann ihnen nicht helfen; medizinisch ist eine längere Lebenserwartung nicht drin. Hauer tötet ihn darauf. Inzwischen hat Ford auch Hannah aufgespürt und „versetzt sie in den Ruhestand“. In Hauer hat er aber offenbar seinen Meister gefunden. Er erweist sich ihm bei weitem überlegen und jagt ihn über Hochhausdächer. Als Ford schließlich abzustürzen droht, rettet ihn Hauer. Man denkt zunächst: Damit sich der Androidenjäger nicht durch einen Unfall von seiner Rache davonstehlen kann. Aber Hauer ist tatsächlich so weit, daß er im Töten keinen Sinn mehr sieht. In dem Moment, als die beiden konfrontiert sind, endet Hauers Lebenszeit. Ford kehrt zu Young zurück, und hier gibt es nun zwei mögliche Filmschlüsse. Die Produktionsfirma wollte, daß Ford und Young fliehen können und sie zudem eine Replikantin ohne Zeitbeschränkung ist. Scott hatte ein offenes Ende vorgesehen. Auch bei ihm fliehen Ford und Young, aber man hat den Eindruck, daß sie nicht weit kommen werden. Und es gibt noch einen deutlichen Hinweis darauf, daß auch Ford, ohne es zu ahnen, ein Replikant ist. Auch er hat offenbar eine künstlich implantierte Erinnerung. Ich glaube, Dick hätte das Scott-Ende gefallen – er starb, bevor der Film in die Kinos kam.

„Blade Runner“ war und ist enorm einflußreich. Scott entwarf eine neuartige Zukunft, die nicht leuchtend weiß war, wie bis dahin oft üblich, und von der Gegenwart gar nicht weit abwich – man sieht allerdings, wie Entwicklungen weitergehen: Umweltverschmutzung, soziale Prozesse, Architektur, Werbung… In einer Menge Filmen sieht man seitdem eine Blade Runner-Welt. In „Dangerous Days“ ist von einem Architekturbüro die Rede, wo man sich den Film regelmäßig ansieht, um Anregungen für die eigene Arbeit zu gewinnen. Es ist auch interessant, wie in dem Film Verfremdungseffekte durch traditionelle Mittel wie Modellbau oder Matte painting erzielt werden. „Blade Runner“ hatte ein relativ niedriges Budget; Scott legte dennoch Wert auf ungewöhnliche Bilder in nahezu jeder Einstellung. Übrigens ist die Zukunft, die hier entworfen wird (2019), inzwischen Vergangenheit, und man hat das Gefühl, einiges ist wirklich so gekommen, wie vor 40 Jahren vorhergesagt. Es gäbe noch eine Menge zu diesem Film zu sagen, aber vielleicht kommen wir in der Diskussion ja noch auf das eine oder andere.
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