Thema: Filmklassiker
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Alt 28.02.2023, 06:31   #942  
Peter L. Opmann
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Jetzt kommen ein paar Filme, die fast jeder kennen dürfte und die ich deshalb immer wieder zurückgestellt habe. Aber es gibt zu ihnen halt auch einiges zu sagen. Ich beginne mit dem berühmten Western „Zwölf Uhr mittags“ (1952) von Fred Zinneman. Eine sehr einfache Geschichte, bei der ein politischer Subtext mitläuft, um eine geschätzte Kollegin zu zitieren. Man kann den Film aber auch schlicht als Actionreißer sehen, und obwohl er gar nicht so viel Action aufweist, funktioniert er auch so einwandfrei. Er ist in USA wohl nicht so umstritten, wie ich bisher dachte. Doch John Wayne und Howard Hawks erschien er sehr „unamerikanisch“, weil niemand dem bedrohten Sheriff zu Hilfe kommt. Und Drehbuchautor Carl Foreman arbeitete mit so deutlichen Anspielungen auf die McCarthy-Hexenjagd, dass manche – einschließlich der Academy of Motion Picture Arts and Sciences – sehr verstimmt waren. Immerhin erhielt der Film jedoch vier Oscars.

Wer weiß, vielleicht gibt es ja jemanden, der „Zwölf Uhr mittags“ noch nicht kennt: Genau in dem Moment, als Gary Cooper seinen Dienst als Stadtsheriff quittiert und sich anschickt, Grace Kelly, eine Quäkerin, zu heiraten, trifft die Nachricht ein, daß ein brutaler Gangster, den er hinter Gitter gebracht hat, vorzeitig aus der Haft entlassen worden ist. Witzigerweise heißt er im Film Frank Miller, und er wird sich mit drei Kumpanen (darunter Lee van Cleef als junger Mann) treffen, um mit Cooper abzurechnen. Die Bürger überreden Cooper, mit seiner Frau schnellstens die Stadt zu verlassen, obwohl der neue Sheriff erst einen Tag später eintreffen wird, aber kurz darauf kehrt er um – er fühlt die Pflicht, sich der Bande zu stellen. Und er ist auch überzeugt, daß er in kürzester Frist eine Bürgerwehr aufgestellt haben wird. Nun folgt ein langer Mittelteil des Films, in dem eigentlich gar nicht viel passiert. Cooper ruft dazu auf, ihn bei der Abwehr der Revolvermänner zu unterstützen. Aber niemand will ihm helfen. Es gibt fruchtlose Diskussionen, Freunde sind plötzlich für ihn nicht zu sprechen oder entschuldigen sich vielmals: Sie sind Familienväter oder zu alt. Ein noch unreifer Hilfssheriff (Lloyd Bridges) legt sein Amt nieder, weil Cooper ihn nicht den Helden spielen läßt. Nur eine Schnapsdrossel und ein 14-jähriger Junge sind bereit, Cooper zu unterstützen – beide kann er nicht brauchen.

Kelly hat eine eigene kleine Geschichte: Sie lehnt jegliche Gewalt ab, nachdem ihr Vater und ihr Bruder bei einer Schießerei sterben mußten. Nun lernt sie eine Mexikanerin (Katy Jurado) kennen, die mal die Geliebte von Cooper war. Sie schätzt die Lage absolut nüchtern ein und reist ab, weil sie ihn, auf den sie große Stücke hält, in diesem Konflikt für unterlegen hält. Die beiden Frauen wollen zusammen mit dem nächsten Zug die Stadt verlassen. Mit ebendiesem Zug trifft Miller ein. Gemeinsam mit seinen Kumpanen sucht er die Stadt nach Cooper ab. Der sitzt weinend – wegen der extremen Anspannung und weil er ganz auf sich allein gestellt ist – in seinem Sheriffbüro; als er den Zug hört, geht er auf die Straße. Sobald der erste Schuß fällt, springt Kelly aus dem noch wartenden Zug und läuft zu ihrem Mann. Zwei Banditen kann Cooper erledigen, beim dritten hat er weniger Glück, aber Kelly erschießt ihn von hinten aus einem Fenster heraus. Frank Miller, der allein noch übrig ist, nimmt Kelly als Geisel, aber sie reißt sich los, und im gleichen Moment erschießt ihn Cooper. Die Bürger, die sich in ihren Häusern verkrochen hatten, kommen heraus und sehen sich das Ergebnis der Schießerei an. Cooper steht wie unbeteiligt dabei und wirft seinen Sheriffstern in den Staub. Dann verläßt er mit seiner Frau die Stadt.

„Zwölf Uhr mittags“ baut eine unerträgliche Spannung auf, weil man genau weiß, wann Miller in der Stadt eintreffen wird, und die Lage für Cooper immer aussichtsloser wird. Der Film läuft beinahe in Echtzeit ab, und es wird immer wieder eine Standuhr eingeblendet, deren Zeiger unaufhaltsam vorrücken (manche finden, dieses Stilmittel wurde übertrieben eingesetzt). Die Filmmusik von Dimitri Tiomkin verstärkt die Wirkung noch. Cooper, der zu dieser Zeit beliebteste Westerndarsteller, hatte in den Jahren zuvor keinen richtigen Kassenerfolg mehr – er wurde für seine Paraderolle zu alt. Hier wirkt er sehr gequält; das war nicht nur gespielt, weil er unter einem Magengeschwür litt. Er fand hier zu einem neuen überzeugenden Ausdruck.

Ich kann mir vorstellen, daß man diesen Film in Europa mit anderen Augen sieht als in USA. Auf mich wirkte er sehr realistisch. Ein Held, der allen Gefahren stets lachend ins Auge sieht und sie mit schlafwandlerischer Sicherheit besteht, ist oftmals angenehm zu betrachten, aber es ist klar, daß er eine Kinofantasie ist. Gary Cooper dagegen hat in diesem Film Angst, nur etwas weniger als die Menschen, die er um Hilfe bittet. Die Amerikaner störte dagegen, daß die Stadtbewohner so wenig Pioniergeist zeigen und sich lieber mit der Gangsterbande arrangieren wollen, als ihre friedliche Welt gegen sie zu verteidigen. Einige meinten, so etwas wäre in der Wildwestzeit niemals vorgekommen - das war aber die Erfahrung der hysterischen Kommunistenjagd des Senators Joseph McCarthy und des Komitees für unamerikanische Umtriebe, vor dem Drehbuchautor Foreman ebenfalls aussagen mußte.
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