Thema: Filmklassiker
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Alt 11.02.2023, 07:45   #788  
Peter L. Opmann
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Beim Aufräumen bin ich gestern auf eine Mappe gestoßen, in der ich Informationsblätter zu Filmen gesammelt habe. Im Studium habe ich ein Filmseminar besucht. Das war eine offene Veranstaltung; dabei wurden in einem Hörsaal Filme gezeigt, hinterher gab es eine Diskussion. Manchmal kamen zu den Filmen um die 50 Leute, zur Diskussion blieben aber nie mehr als zehn, was der Seminarleiter bedauerte. Er erinnerte sich noch an Zeiten, in denen die Studenten über die Filme leidenschaftlich diskutiert haben. Ich war jedenfalls beim Durchblättern der Mappe überrascht, was ich da alles gesehen habe. Über drei bis vier Jahre sind da eine Menge Filme zusammengekommen, an die ich teilweise überhaupt keine Erinnerung mehr habe. Aber es ist auch 30 Jahre und mehr her.

Sehr wohl erinnere ich mich noch an „Das Testament des Dr. Mabuse“ (1933) von Fritz Lang. Aber ich werde dennoch manches von dem Infoblatt übernehmen. An diesen Film erinnert man sich nicht wegen der Handlung, sondern wegen der Inszenierungsweise. Und bekannt ist er, weil er als Warnung vor dem Nationalsozialismus gedeutet wird – übrigens taten das die Nazis auch selbst und verboten den Film, sobald sie an die Macht gekommen waren. Ursprünglich wollte Lang den Film offenbar gar nicht machen. Er sagte rückblickend: „Die Produzenten haben mit dem ,Mabuse‘ unheimlich viel Geld gemacht, deshalb wollten sie eine Fortsetzung.“ 1922 hatte er bereits einen zweiteiligen „Mabuse“ gedreht, und als er am Ende seines Lebens nach Deutschland zurückkehrte, mußte er 1960 auch noch „Die tausend Augen des Dr. Mabuse“ fabrizieren.

Wieder mal kann ich den Anfang dieses Films (also des „Testaments“) vor meinem inneren Auge ablaufen lassen. Man sieht einen Mann in panischer Angst, der in einem Raum sitzt, in dem sich das Rütteln und Stampfen irgendwelcher Maschinen vermittelt: Um den Mann herum stehen vollgestopfte Regale, und alles darin zittert und klirrt. Ein Bild klaustrophobischen Schreckens. Mabuse (Rudolf Klein-Rogge) ist in ein Irrenhaus eingesperrt (völlig zu Recht) und macht ständig Notizen – verbrecherische Pläne schreibt er nieder. Und das, was er plant, setzen Gangster anschließend um, obwohl Mabuse in der Klinik völlig isoliert ist. Ein Aussteiger verständigt Kommissar Lohmann (Otto Wernicke); es stellt sich jedoch heraus, daß Mabuse gestorben ist. Zuvor hat er allerdings mental die Kontrolle über den Anstaltsleiter (Oscar Beregi) übernommen und lebt in ihm weiter. Der Irrenarzt war es auch, der Mabuses Anweisungen an die Unterwelt weitergab. Nun kommt die Polizei in die Offensive und kann den nächsten Anschlag vereiteln. Lohmann jagt den Irrenarzt, der sich, ebenfalls wahnsinnig geworden, in seine Klinik flüchtet und sich selbst in eine Zelle begibt.

Die Kritik, insbesondere Siegfried Kracauer, hat Lang bescheinigt, er habe mit diesem Film „die Methoden nationalsozialistischer Gewaltanwendung“ vorausgeahnt. So wollte das Lang selbst auch verstanden wissen, der kurz nach der Machtübernahme aus Deutschland geflohen war, obwohl ihm Propagandaminister Goebbels eine Schlüsselposition im deutschen Film geben wollte. „Das Testament des Dr. Mabuse“ verbot er trotzdem. In dem wahnsinnigen Mabuse sah man folgerichtig ein Bild Hitlers, der in Festungshaft in Landsberg „Mein Kampf“ geschrieben hatte. Und diese Anspielung hatten die Nazis offenbar genau verstanden.

Die Filmstory ist beunruhigend und spannend, aber nicht besonders raffiniert. Lang macht alles mit filmischen Effekten: Bei einer Autoverfolgungsjagd bei Nacht wird etwa die Bewegung durch vorbeiziehende Lichtstreifen ausgedrückt. Als ein Autofahrer erschossen wird, sieht man das daran, daß sein Auto mitten im Stadtverkehr stehenbleibt, während der Verkehr umher weiter tost. Eine Geheimbotschaft, die in eine Fensterscheibe eingekratzt ist, wird dadurch sichtbar, daß das Glas mehrfach umgewendet wird. Und auch Zusammenhänge werden rein bildlich deutlich gemacht. Kommissar Lohmann rätselt, und durch einen schnellen Schnitt sieht man die Lösung des Rätsels. Oder Lang blendet von einem Gangster zu Mabuse über, um zu verdeutlichen, was ihn antreibt.

Laut wikipedia war die Uraufführung des Films in Budapest, und in Österreich konnte er 1933 noch gezeigt werden. 1943 kam er in die USA, und erst 1951 erlebte er in Deutschland seine Premiere. Es waren gekürzte und entschärfte Fassungen in Umlauf. Es gab übrigens eine französische Version des Films (damals wurden Szenen nacheinander in verschiedenen Sprachen und teils mit verschiedenen Schauspielern gedreht – eine Synchronisation gab es noch nicht). Dieser Film mußte nach Frankreich geschmuggelt werden und wurde dort fertig geschnitten.
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