Thema: Filmklassiker
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Alt 05.02.2023, 09:03   #744  
Peter L. Opmann
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Ab und zu möchte ich einen Western besprechen. Und hier habe ich einen, den ich erst vor wenigen Jahren auf youtube entdeckt habe: „Nevada“ (1948) von William A. Wellman. Er lief in Deutschland auch unter dem Titel „Herrin der toten Stadt“, ist aber, wie mir scheint, eher übersehen worden und in Vergessenheit geraten. Wellman hat ihn nach dem „Ritt zum Ox-Bow“ gedreht, den ich auch auf meiner Liste habe, wieder für die 20th Century Fox, und es sollte auch wieder ein ähnlich ambitionierter Film werden, was irgendwie nicht ganz gelungen zu sein scheint. Ich sehe eigentlich selten ganze Filme auf youtube, weil der Großteil des Angebots nach meiner Einschätzung Durchschnittsware ist; wenn dort mal gute Filme auftauchen, dann sind sie meist verstümmelt. Aber „Nevada“ ist ein guter Western.

Er steht in meinen Augen zwischen den naiven Western im Stil von „Ringo“ und den adult Western der 50er Jahre. Außerdem sehe ich Einflüsse des Film noir, zu dem Wellman auch Beiträge geliefert hat. Man hat zunächst den Eindruck, es fehle eine zielgerichtete Story. Gregory Peck befehligt eine fünfköpfige Bande von Bankräubern. Im Bürgerkrieg war er Offizier, hat aber mit seinen Leuten nicht ins bürgerliche Leben zurückgefunden. Nach einem gelungenen Überfall wird die Bande überraschend schnell von einer Armeeeinheit verfolgt und rettet sich in eine Salzwüste. Fast das erste Drittel des Films zeigt, wie sich Pecks Bande durch diesen mörderischen Glutofen kämpft, weil Umkehren für sie keine Alternative ist. Für einen (Charles Kemper) ist die Sache besonders gefährlich, weil er Whisky in seine Wasserflasche gefüllt hat. Am Ende sehen sie aber zu Füßen einer Bergkette eine Stadt vor sich – es handelt sich allerdings um die Geisterstadt „Yellow Sky“ (das ist auch der Originaltitel des Films), die mal eine boomende Goldgräberstadt war.

Nun erst beginnt die eigentliche Story. Die Bande entdeckt, daß noch eine junge Frau (Anne Baxter) mit ihrem Großvater hier lebt. Sie führt die Männer zu einem Wasserloch, weigert sich aber, sie auch mit Essen zu versorgen. Baxter will, daß die Männer so schnell wie möglich wieder verschwinden, aber ihre Pferde brauchen dringend eine Pause. Außerdem fühlen sich die Männer, vor allem Peck, von ihr angezogen. Sie kommen schnell darauf, daß die Frau und der Oldtimer deshalb geblieben sind, weil sie Gold gefunden haben. Das wollen sie nun an sich bringen. Baxter (von der es heißt, sie sei bei den Apachen aufgewachsen) hat alle Annäherungsversuche abgewehrt: Erst hat sie Peck mit der Faust niedergeschlagen und ihn dann mit ihrem Gewehr einen Streifschuß am Kopf verpaßt. Als es um das Gold geht, setzt sich die Bande aber in einer Schießerei durch. Der Großvater wird angeschossen, darauf gibt auch Baxter auf.

Zu Pecks Bande gehört auch Richard Widmark. Während Peck im Sinn hat, den beiden Goldsuchern die Hälfte ihres Goldes zu lassen, sieht Widmark nicht ein zu teilen. Sobald sie das Gold in einer verschütteten Mine gefunden haben, wählt die Bande ihn zum neuen Anführer, und nun kämpfen sie gegen Peck und Baxter. Einschub: Kurz vorher kommen Apachen in die Geisterstadt, und der Häuptling hat eine Unterredung mit dem Alten. Der erklärt der Bande jedoch, die Indianer hätten Ärger in ihrem Reservat, und er habe ihnen einen Rat gegeben. Sie ziehen auch schnell wieder ab und helfen ihm keineswegs. Diese Episode hat keinen Einfluß auf den Storyverlauf. Zuerst stirbt das jüngste Bandenmitglied, was die anderen aber nicht zur Besinnung bringt. Es kommt zum finalen Showdown, der im verlassenen Saloon der Stadt endet. Wellman wiederholt seinen Kniff aus „Public Enemy“. Die Kamera bleibt außen, man hört nur einen Schußwechsel. Dann tritt Stille ein, und Baxter geht nachsehen. Widmark und ein weiteres Bandenmitglied sind tot, Peck hat überlebt.

Am Ende scheint sich der Banküberfall vom Anfang zu wiederholen. Peck kommt aber, um das geraubte Geld zurückzubringen. Er ist endlich ehrlich geworden. Beim Gehen sieht er eine Bankkundin mit einem hübschen Hut, den er ihr abkauft. Den Hut bekommt Anne Baxter, die noch zu einer „richtigen“ Frau werden muß, bevor er sie vermutlich heiratet und sich als Farmer niederläßt. Peck schenkt ihr den Hut, das weitere läßt der Film geschickterweise offen.

Obwohl die Handlung eher dahinmäandert, finde ich den Film ungemein spannend. Wellman gelingt es, eine Atmosphäre von ständiger Bedrohung und Todesnähe zu erzeugen. Und noch etwas gefällt mir: Über weite Strecken gibt es keinerlei Dialog. „Nevada“ ist beinahe ein Stummfilm, was aber natürlich daran liegt, daß es nichts zu erklären und wenig zu verhandeln gibt. Selbst wenn man nicht wüßte, daß die Bande aus dem Bürgerkrieg kommt, würde man nichts Wichtiges verpassen. Aber auch das trägt zu der ungemein intensiven Atmosphäre bei. Der Schwachpunkt ist wohl die Figurenzeichnung. Auch wenn jedes Bandenmitglied seinen eigenen Charakter hat (und Anne Baxter hat sicherlich eine für einen Western sehr ungewöhnliche Rolle), haben wir hier ein recht simples Gut-Böse-Schema mit den Polen Peck und Widmark vor uns. Gebrochene Helden kamen doch erst in den 50er Jahren.
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