Thema: Filmklassiker
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Alt 03.02.2023, 07:10   #721  
Peter L. Opmann
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Gelegentlich behandle ich hier Filme, die im Lauf der Zeit in meinem Ansehen gesunken sind. „Das Gewand“ (1953) von Henry Koster ist ein Historienschinken, von dem ich ergriffen war, als ich noch sehr, sehr jung war. Vor einiger Zeit habe ich mich mit einer Bekannten unterhalten, und wir kamen dabei auf diesen Film. Als ich die DVD kurz darauf als Billigangebot im Handel fand, habe ich sie ihr geschenkt, und sie hat sich sehr darüber gefreut – auch, als sie ihn dann wieder gesehen hatte. Naja, für mich ist es heute ein zweifelhaftes Vergnügen, den Cinemascope-Film anzuschauen, aber er hat filmhistorische Bedeutung, und auch wenn der Stil mir inzwischen fast unerträglich ist, kann man doch auch über den Inhalt ein paar Minuten nachdenken.

Es handelt sich im weiteren Sinne um einen Jesus-Film, und er steht zweifellos in der Tradition von Cecil B. DeMille, der seit der Stummfilmzeit Bibelfilme drehte und damit immer enormen Erfolg hatte. Die DeMille-Filme kann man vielleicht auch insofern akzeptieren, als darin ein naiver Glaube überzeugend zum Ausdruck kommt, der mit großer Phantasie (und natürlich großem Aufwand) umgesetzt wird. Wer will, kann darin Märchen sehen oder Fantasy. Henry Koster, gebürtiger Berliner, war ein verläßlicher Filmhandwerker, der die Hollywoodstudios zufriedenstellte (sein bekanntester Film dürfte „Mein Freund Harvey“ mit James Stewart sein). Er lieferte auch hier das, was gebraucht wurde. „Das Gewand“ war der erste Cinemascope-Film im Kino. Dieses Riesenformat sollte zusammen mit monumentalen Bildern, knallbunten Farben und ohrenbetäubendem Ton das Publikum ins Kino zurückholen, das inzwischen lieber zuhause fernsah, wo aber solche Spektakel nicht geboten wurden.

Wer den Film nicht wie ich an hohen christlichen Feiertagen im Fernsehen gesehen hat, dem sei gesagt, daß es sich nicht um eine filmische Umsetzung der Geschichte Jesu handelt. Er zeigt lediglich seinen Einzug in Jerusalem, seinen Prozeß und seine Hinrichtung. Das verfolgt ein nach Palästina strafversetzter römischer Offizier (Richard Burton), und er befehligt dann auch die Kreuzigung und gewinnt beim Würfelspiel Jesu Obergewand. Sein Sklave (Victor Mature) ist, beeinflußt durch die Ereignisse, zu einem Anhänger Jesu geworden und bringt das Gewand an sich – in den Augen des skeptischen Römers nur ein wertloses Kleidungsstück. Wenig später wird der Offizier jedoch von Ängsten und Wahnvorstellungen gepeinigt und gilt als wahnsinnig. Er kommt zu der Überzeugung, daß er das Gewand zurückbekommen muß, um seinen Seelenfrieden wiederzufinden. Darauf macht er die Bekanntschaft von Petrus (Michael Rennie) und darf das Gewand berühren, das tatsächlich Wunder bewirken kann. Nun kehrt er geheilt nach Rom zurück. Gegenüber Kaiser Caligula bekennt er sich als Christ und geht freiwillig in den Tod.

Das ist alles in meinen Augen etwas zu viel: Zu viel Tragödie, zu viel Wundertätigkeit, zu viel schreiende Effekte und emotionale Überwältigung. Ein Kniff, den Koster wohl aus der Romanvorlage übernommen hat, hat mich als Teenie besonders angesprochen: Wenn Jesus selbst im Film auftritt, sieht man ihn immer nur von fern, von hinten oder nur seine Hand oder seine Füße. Man nimmt stets die Position eines zufälligen Augenzeugen ein, wie das der römische Offizier gewesen ist, und meine Gedanken kreisten damals um die Frage: Wie wäre es gewesen, wenn ich dabei gewesen wäre? Außerdem ergibt sich ein gewisser Suspense, denn der Zuschauer kennt das Geschehen rund um das Gerichtsverfahren und den Kreuzestod auf Golgatha, während die Figuren im Film von dessen Bedeutung nichts ahnen. Jesus wurde übrigens von Kosters Regieassistenten dargestellt – es war keine schwierige Rolle.

Inzwischen ist mir aufgefallen, daß es hier im Kern um reinste Reliquienverehrung geht, Den Autoren der Evangelien fehlte die Phantasie für Gegenstände aus dem Umfeld Jesu, die nach seinem Tod (und seiner Auferstehung) noch Wunder bewirken konnten. Dabei ist der Autor des Romans, Lloyd Douglas, zwar Pfarrer, aber ein evangelischer. Von Douglas stammt übrigens auch der Roman „Magnificent Obsession“, den kurz nach „The Robe“ Douglas Sirk erfolgreich verfilmte (davon war oben schon mal kurz die Rede). Der Film „The Robe“ war ein großer kommerzieller Erfolg, hatte im Jahr darauf eine Fortsetzung ("Die Gladiatoren") und konnte auch bei der Oscar-Verleihung nicht übergangen werden. Er gewann aber nur bei Kostümen, Art-Direction und Farbe.
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