Thema: Filmklassiker
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Alt 25.01.2023, 06:35   #643  
Peter L. Opmann
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„Die Faust im Nacken“ (1954) von Elia Kazan habe ich erst vor wenigen Jahren gesehen. Ich fand die DVD auf dem Grabbeltisch. Ehrlich gesagt hatte ich eine völlig falsche Vorstellung – ich habe den Film für etwas ähnliches wie „Endstation Sehnsucht“ gehalten (immerhin auch von Kazan gedreht und auch mit Marlon Brando in der Hauptrolle). Die Hülle zeigte allerdings etwas anderes. Als ich den Film sah, wußte ich immer noch nicht, daß ein so politisches Thema wie die kriminellen Machenschaften einer Hafenarbeitergewerkschaft damals im Kino höchst selten war – der Politthriller war offenbar noch nicht etabliert. Mir fiel eher auf, daß Brando hier eine Figur spielt, die sich von dem berühmten Kowalski ziemlich unterschiedet. Der Film ist viel weniger sexuell aufgeladen, dafür gewalttätiger, als ich gedacht hatte. Aber mich hat beim ersten Betrachten vor allem die Beziehung zwischen Brando und Eva Marie Saint angesprochen.

Kazan zeigt die Arbeitsbedingungen auf einem Dock in Hoboken/New Jersey relativ dokumentarisch (gedreht wurde am Originalschauplatz). Ich schränke die Aussage etwas ein, weil die Spielhandlung eindeutig im Vordergrund steht, aber die Kulisse (auch die Geräuschkulisse) ist echt. Brando ist ein eher unterdurchschnittlich intelligenter Arbeiter, ein gescheiterter Profiboxer, der nicht weiß, was er nun aus seinem Leben machen soll. Sein Bruder (Rod Steiger) arbeitet als Rechtsanwalt für die Gewerkschaft und verschafft ihm einen Job im Hafen. Wer nicht Gewerkschaftsmitglied ist, hat keine Aussicht auf eine Stelle. Mehr als das: Wer sich ihr und ihrem skrupellosen Boß (Lee J. Cobb) nicht unterordnet, wird aus dem Weg geräumt. Einen solchen aufsässigen Arbeiter lockt Brando unwissentlich in eine Falle und wird so an seiner Ermordung mitschuldig.

Wenig später lernt er die Schwester dieses Arbeiters (Saint) kennen. Er ist sich gar nicht bewußt, was er ihr angetan hat, und er ist auch nicht in der Lage, irgendwie seine Zuneigung zu ihr auszudrücken. Aber sie bringt ihn dazu, sich gegen die allmächtige Gewerkschaft aufzulehnen. Ebenso drängt ihn ein Priester (Karl Malden) dazu, der verhindern möchte, daß ihr weitere Arbeiter zum Opfer fallen. Kurz darauf wird jedoch ein Arbeiter von einem herabstürzenden Container „zufällig“ erschlagen. Brando beschließt also, etwas zu unternehmen. Das bleibt Cobb allerdings nicht verborgen, und er beauftragt Steiger, seinem Bruder eine Lektion zu erteilen. Bei einer Aussprache erkennt Brando, daß Steiger ihn in die verhängnisvolle Abhängigkeit von der Gewerkschaft gebracht hat. Wenig später fällt Steiger, der nichts erreicht hat, der Gewerkschaftsführung zum Opfer. Nun ist Brando bereit, vor Gericht gegen Cobb auszusagen. Der verhält sich im Prozess unklug und arrogant und verspielt so seine Macht. Es kommt zu einer finalen Begegnung von Brando und Cobb im Hafen, bei der sich Brando in einem brutalen Faustkampf knapp durchsetzt. In einer kleinen Szene zeigt Kazan jedoch, daß nur Cobb am Ende ist. Auch er war eine Marionette in den Händen noch mächtigerer Kreise, die sich jetzt einen anderen Gewerkschaftsführer suchen.

Die Meinungen über „Die Faust im Nacken“ waren lange recht geteilt. Manche sahen darin einen Anti-Gewerkschafts-Film und meinten, die Kritik ziele auf die Falschen. Gegen solche Vorwürfe hatte sich Kazan geschützt, indem er einen wahren Fall aufgriff. Für Zeitungsberichte darüber hatte es bereits 1949 den Pulitzerpreis gegeben, und auch Arthur Miller plante, diesen Stoff künstlerisch zu verarbeiten. Andere sahen jedoch in dem Film eine Aufforderung, sich gegen Unrecht zu engagieren. Eigentlich sei es ein Film über Amerika und dessen verlorene Ideale.

Das Drehbuch ist von Budd Schulberg, einem der „Hollywood Ten“, und es geht natürlich unterschwellig auch um den Kongreßausschuß für unamerikanische Umtriebe. Jedenfalls: Zu dieser Zeit sah man in dem Filmthema keine geeignete Kinounterhaltung, und nachdem zwei Studios abgewinkt hatten, produzierte Sam Spiegel den Film privat (deshalb konnte auch Schulberg das Drehbuch schreiben). Das Budget lag bei 800 000 Dollar. Hinterher wurden die Machart des Films und die Schauspielerleistungen einhellig gelobt. Er war mit acht Auszeichnungen der Gewinner des Oscar-Jahrs 1955.
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