Thema: Filmklassiker
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Alt 14.01.2023, 06:46   #576  
Peter L. Opmann
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Ich glaube, ich hatte in dieser Reihe noch keinen Dokumentarfilm. Hier ist einer: „Super Size Me“ (2004) von Morgan Spurlock. Der Grund, warum ich ihn ausgewählt habe, ist, daß er für mein Empfinden sehr unterhaltsam ist. Gleichzeitig wirft er ein paar Probleme auf, auf die ich auch eingehen werde. Man kann hier, wie bei „American Splendor“, der ebenfalls erst nach 2000 ins Kino kam, daran zweifeln, ob es sich bereits um einen Klassiker handelt. Doch da will ich mal großzügig sein. „Super Size Me“ war jedenfalls sowohl in Deutschland als auch auf dem Heimatmarkt USA ein größerer Erfolg und hat wissenschaftliche Diskussionen und sogar eine Änderung der Geschäftspolitik von McDonalds, der Zielscheibe der Kritik, ausgelöst.

Spurlock führt an sich selbst ein Experiment durch: Er will einen Monat lang ausschließlich bei McDonalds essen (morgens, mittags und abends – wobei er bevorzugt das damals angebotene „Supersize“- Menü wählt), sich zudem möglichst wenig bewegen, dafür aber ärztlich untersuchen lassen, welche Auswirkungen das auf seinen Körper hat. Dann beschreibt er filmisch den Ablauf dieses Experiments, wobei es sehr witzig zugeht. Sein Vorgehen schildert er stets mit einem Augenzwinkern. Er stellt sich als McDonalds-Fan vor, der bisher durchaus öfters dort gegessen hat und es zu Beginn genießt, nun immerzu all die leckeren Sachen zu bekommen. Nach einer Weile bekommt der Zuschauer allerdings mit, daß sich Spurlock nach einem Restaurantbesuch aus dem Fenster seines Autos übergeben muss. Er will jedoch zunächst durchhalten.

Während der Zeit geht er immer wieder zum Arzt (mutmaßlich seinem Hausarzt) und läßt sich auch von seiner Freundin überwachen. Das Ergebnis ist, daß er schon vor dem Ende des Experiments von etwa 85 auf 95 Kilo zugenommen hatte (die Werte differieren in der deutsch- und der englischsprachigen Wikipedia etwas), unter Antriebslosigkeit leidet, was auch seine sexuelle Aktivität einschließt, und beunruhigende Blutwerte aufweist (Schäden vor allem an der Leber). Der Arzt bringt ihn schließlich dazu, das Experiment kurz vor dem Ende abzubrechen. Laut Abspann brauchte Spurlock danach lange, um sein Übergewicht wieder loszuwerden. Der Film veranlaßte McDonalds, seine „Supersize“-Menüs von der Speisekarte zu nehmen und den Kunden die Möglichkeit zu geben, statt Pommes Frites einen Salat zu bestellen (der allerdings auch eine Menge kalorienreiche Zutaten aufweist).

Ein Ernährungsexperte, der im Film – unter anderem – zu Wort kommt, erwies sich als Unterstützer des McDonalds-Konkurrenten „Subway“. „Subway“ nutzte auch den Film, um sich als gesunde Alternative anzupreisen, wovon sich Spurlock dann distanzierte. Damit kommen wir zu den problematischen Aspekten des Films. Daß das ganze Experiment lustig und nicht wissenschaftlich-dröge rüberkommt, liegt daran, daß der ganze Film minutiös gescriptet ist und nur den Anschein erweckt, rein dokumentarisch zu sein (was man sich hätte denken können). Was Spurlock zeigt, ist dann auch in vielfacher Hinsicht in Zweifel gezogen worden. Es hieß, durch die Dreharbeiten habe er sich sehr wohl viel bewegt (er war Regisseur, Hauptdarsteller und auch Produzent des Films). Und es wurden ähnliche Experimente angestellt, bei denen die Probanden keineswegs so extrem wie er zunahmen. Zu allem Überfluß wurde auch behauptet, Spurlock sei Alkoholiker, und das sei die eigentliche Ursache für seine Leberprobleme, nicht das Essen bei McDonalds.

Anlaß für „Super Size Me“ war ein Prozeß in den USA gewesen, bei dem McDonalds-Kundinnen die Kette wegen gesundheitlicher Probleme verklagt hatten, aber nicht Recht bekamen. Man glaubt nur zu gern, daß McDonalds doch eine Strafe verdient gehabt hätte, und Spurlock beweist es dem Anschein nach. Ich mußte bei dem Fall an Michael Moore denken, der mit den gleichen Methoden Dokumentarfilme dreht („Bowling for Columbine“, „Sicko“), die – jedenfalls für nicht so konservative Zuschauer – alle ein ehrenwertes Anliegen haben, aber auch vorrangig auf Unterhaltung setzen und sich die Fakten notfalls zurechtbiegen. – Doch rein filmisch ist „Super Size Me“ für mich ein empfehlenswertes Werk.
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