Thema: Filmklassiker
Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 03.01.2023, 06:29   #506  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.608
Es heißt, „Haie der Großstadt“ (1961) von Robert Rossen sei der erste richtige Spielerfilm gewesen. Aber auch wenn es das Genre schon gegeben hätte, beeindruckt dieser Film durch seine unwiderstehliche Spielhallen-Atmosphäre. Mir kommen Schach-Filme in den Sinn, auch Poker-Filme, obwohl ich hauptsächlich Szenen aus Western im Kopf haben könnte. Hier aber geht es um Poolbillard. Zu dem Spiel gehören auch eine halbkriminelle Umgebung und eine bestimmte Spieler-Choreografie, die die beiden Hauptdarsteller und Kontrahenten, Paul Newman und Jackie Gleason, für den Film ziemlich genau erlernt haben (Gleason war tatsächlich ein guter Billard-Spieler). Die Spannung liegt in der einfachen Frage: Wer gewinnt? Aber nicht nur. Es treffen auch sehr unterschiedliche Charaktere aufeinander, die eingehend gezeichnet werden. Es ist also ein höchst anspruchsvolles Werk, das dennoch auch schlicht mitreißt. Andererseits gibt es einige bewußt quälende Passagen, die das 130 Minuten lange Werk mitunter in die Länge ziehen. Aber es lohnt sich für den Zuschauer dranzubleiben.

Man muß berücksichtigen, daß Rossen, ehemals Kommunist, vor dem McCarthy-Ausschuß für unamerikanische Umtriebe Namen genannt hatte, um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Das reflektiert er hier (verschlüsselt), und deshalb hat er wohl den zugrundeliegenden Roman von Walter Tevis, „The Hustler“, ausgewählt. Im Kern geht es um Gewinnen und Verlieren, und der Film zieht die amerikanische Überzeugung in Zweifel, daß der Gewinner auch stets im Recht ist. Paul Newman lebt als aufstrebender Berufsspieler davon, daß er seine Gegner am Tisch so lange gewinnen läßt, bis sie unvorsichtig werden und er ihnen hohe Einsätze abnehmen kann. Jackie Gleason gibt dagegen einen berühmten, aber alt gewordenen Billardspieler („Minnesota Fats“), der nur noch selten an den Tisch kommt, und Newman möchte gern herausfinden, ob Gleason wirklich nicht mehr so gut ist oder ob es sich um einen genialen Bluff handelt. Eine wichtige Rolle hat außerdem George C. Scott, der Spielpromoter, der bei den Duellen immer Provision kassiert und auch den Spielverlauf manipuliert.

Beim ersten Aufeinandertreffen unterschätzt Newman seinen Gegner und verliert. Die Niederlage wirft ihn psychisch beinahe aus der Bahn. Piper Laurie spielt eine Alkoholikerin, die ihn liebt und wieder aufbauen möchte, ihm auch rät, mit dem Spielen aufzuhören, aber er ist so besessen vom Billard (und sie so in den Fängen des Alkohols), daß ihre Beziehung scheitert. Am Ende begeht sie Selbstmord. Es hilft nur eins: die Revanche gegen Gleason, aber Newman hat immer noch damit zu kämpfen, daß er nach den Bedingungen von Scott spielen muß. Am Ende gewinnt er gegen Gleason. Damit ist seine Spielerkarriere beendet – Scott wird ihn nicht wieder antreten lassen. Aber Newman und Gleason respektieren sich nun gegenseitig als große Spieler. Was hat das mit McCarthy zu tun? Es gewinnt nicht der Bessere, sondern das Spiel ist korrumpiert, und man muß sich immer genau überlegen, welche Wirkung der nächste Zug (oder Stoß mit dem Queue) hat. Die Spielerszene wird nicht glorifiziert, sondern ins Zwielicht gerückt.

Der Film wurde in Schwarzweiß gedreht. Beim Namen des Kameramanns stutzt man: Eugen Schüfftan. Er war ein stilbildender deutscher Künstler der Stummfilmzeit, der „Metropolis“, „Napoleon“ und „Menschen am Sonntag“ fotografiert hat. 1933 ging er zunächst nach Frankreich, dann nach Hollywood. Bei „Haie der Großstadt“ war er bereits 75 Jahre alt, trug aber mit zwingenden Bildeffekten wesentlich zur Wirkung des Films bei. Der Film wurde von Rossen selbst produziert und kam in den Verleih der 20th Century Fox. Er war an der Kasse erfolgreich. Außerdem gewann er zwei Oscars (für Kamera und Szenenbild); sämtliche Hauptdarsteller waren ebenfalls für einen Oscar nominiert.

Martin Scorsese drehte 1986 eine Mischung aus Remake und Fortsetzung: „Die Farbe des Geldes“, wiederum mit Paul Newman und mit Tom Cruise als ehrgeizigem Nachwuchsspieler. Kleine Anmerkung: Wir haben ja anfangs über Superheldenfilme gesprochen, aber ich habe mich entschieden, vorerst keine Franchises zu behandeln. Dann müßte man nämlich eigentlich alle Fortsetzungen besprechen, und das finde ich sinnlos – oder zumindest zu aufwendig. Aber hier handelt es sich genau betrachtet doch nicht um eine Serie.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten