Thema: Filmklassiker
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Alt 08.12.2022, 07:35   #378  
Peter L. Opmann
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Nun geht es um einen Film, den viele nicht kennen dürften, weil er meines Wissens nie im Kino gelaufen ist. Er wurde jedoch auf Festivals gezeigt, unter anderem dem Fantasy Filmfest. Ich rede von „Aufbruch der Blutcrew“ (1984) von Rochus Hahn und Michael Gutmann. Weil ich Kontakte zur „Blutcrew“ (Rochus Hahn, Mille Möller und Bilder-Micky) hatte, habe ich sowohl das Drehbuch gesehen als auch die Dreharbeiten in der Rhön und im Raum Fulda verfolgt. Ich muß gestehen, das Drehbuch fand ich anfangs nicht schlüssig – ich war noch jung und habe nicht kapiert, daß dieser Film als eine große Hommage an bestimmte Filme (und Comics) zu verstehen ist und die Story daher nicht unbedingt schlüssig sein sollte. Entstanden ist das Werk an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film.

Eine Terrororganisation hat das schwer bewachte Integral an sich gebracht, mit dem das Ende der Welt herbeigeführt werden kann. Was genau das Integral ist, wird nie so recht klar; es könnte direkt aus der „luftdichten Garage des Jerry Cornelius“ stammen. Die Wachmannschaft hat sich übertölpeln lassen. Nun müssen die Drei von der Blutcrew ran, um es wiederzubeschaffen. Hahn liegt schwerverletzt in einem Sanka, wird aber „fitgespritzt“. Bilder-Micky wird aus seiner strengen Mönchs-Existenz geholt, und Möller ersteht gar aus dem Grab (er ist anscheinend eine Art Vampirwesen). Sie beugen sich über einen Zettel, den die Terroristen hinterlassen haben. Das Integral befindet sich demnach jetzt im „Zauberwald“, aus dem noch nie jemand lebend zurückgekommen ist. Dennoch schwingen sie sich in ihr „Blut-Zgobl“, einen technisch enorm aufgerüsteten Kampfwagen, und rauschen ab.

Jeder von ihnen muß auf dem Weg eine Probe bestehen: Micky eine Pokerpartie, bei der es nicht mit rechten Dingen zugeht, Möller ein Duell mit einer mächtigen Zauberin und Hahn einen Kampf mit einer überlegenen Karate-Lady, gegen die auch kein Spinat hilft. Beharrlich und trickreich setzen sie sich durch und gelangen ins „Knochenmehltal“, wohin sich die Terroristen zurückgezogen haben. Es kommt zu einem wilden Feuergefecht. Am Ende sind alle Terroristen tot. Unversehens taucht die berüchtigte Oma Plissken auf und mäht die Blutcrew mit ihrem Maschinengewehr nieder. Die Mission ist gescheitert, denn nun scheint das Integral in Omas Gewalt zu sein. Doch das Blut-Zgobl ist auch noch da. Das Auto tötet Oma selbständig mit seiner Bordkanone. Das Integral wird eingeladen, der Wagen rollt in den Sonnenuntergang…

Das alles ist auch mit einem gewissen Augenzwinkern inszeniert, und es wird deutlich, daß diese Geschichte nicht ernst gemeint ist. Es war allerdings immer noch die Zeit des neuen deutschen Problemfilms, und irgendwie hatte ich sowas auch von Rochus Hahn und seinen Freunden erwartet. Er sagte mir später in einem Interview mit für ihn typischer Macho-Attitüde: „Der Unterhaltungsfilm ist eine Frau, aufregend, oberflächlich, vordergründig. Und der intellektuelle Film ist der Mann, von dem man erwartet, daß er steuert und denkt; aus dieser Verbindung können viele Kinder rauskommen, auch Mischlinge. Aber einer kann ohne den anderen nicht sein.“ Auch wenn diese bald 40 Jahre alte Aussage heute Stirnrunzeln hervorruft, drückt sie wohl ganz gut aus, wie er das Filmemachen gesehen hat.

„Aufbruch der Blutcrew“, ein etwa 25 Minuten langer Kurzfilm, lebt ganz von seinen vielen Anspielungen, und es ist gelungen, die Atmosphäre von vielen großen Vorbildern, Horror- und Actionfilmen der 1980er Jahre, zu erzeugen. Das funktioniert nicht nur innerhalb dieser Freundesgruppe, sondern hat auch das Publikum auf den Festivals angesprochen. „Aufbruch der Blutcrew“ wurde zu so etwas wie einem Geheimtipp und lief dann innerhalb obskurer Shows auch mal auf RTL. Trotzdem ist es schwer zu sagen, ob mir der Film auch so gut gefallen würde, wenn ich an seiner Entstehung nicht so nahe dran gewesen wäre und viele aus dem Cast und der Crew kennen würde. Aber ich habe ihn erst kürzlich einer Bekannten vorgespielt, die von der Blutcrew überhaupt nichts wußte, und – siehe da: Er hat auch sie erreicht.
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