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Alt 18.11.2022, 10:42   #6984  
God_W.
Captain Rezi
 
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Die Türme von Bos-Maury – Integral 1 (Hermann)



Vor einiger Zeit hat mich das Mittelalter-Epos Die 7 Leben des Falken (7 Alben, Gesamtausgabe aktuell bei Splitter) zusammen mit der Vorgeschichte/Fortsetzung Der Rote Falke (10 Alben, aktuell antiquarisch von Kult Editionen und Vollendung bei Finix) maximal begeistert. Schnell wurden in der Comic-Community Stimmen laut, dass doch Hermanns Die Türme von Bos-Maury das stärkere Werk rund ums Mittelalter sei. Manche finden es ebenbürtig, einige besser, so Mancher sieht den Falken doch noch vor dem Ritter von Bos-Maury.

Hermann Huppen konnte mich vor einiger Zeit mit zwei seiner in Afrika spielenden Alben überzeugen und die Comanche-Gesamtausgabe wartet ebenfalls auf dem Lese-K2 auf Sichtung. Bei so vielen unterschiedlichen, aber durchweg positiven Stimmen zu seinen „Türmen“ wollte ich mir dahingehend auf alle Fälle selbst ein Bild machen, weshalb ich die Bände einpackte, als wir unsere diesjährige Urlaubsreise antraten. Leider komme ich erst jetzt dazu ein paar Zeilen dazu zu tippen, aber besser spät als nie.

Kurz zum Umfang: Die Reihe umfasst mittlerweile 16 Alben, allerdings erzählen die Ausgaben 11 bis 15 wohl recht lose Einzelgeschichten über Personen, die in der Hauptreihe nur am Rande auftreten, oder über Jugendjahre eines Protagonisten, oder auch ein Abenteuer, welches ein Nachfahre ganz andernorts erlebt. Ich habe mich jetzt vorerst an die Hauptstory gehalten, welche die ersten Zehn Alben umfasst und bei Erko in drei Integral-Ausgaben erschienen ist. Als Ergänzung oder auch „Vervollständigung“ habe ich mir noch das recht frische Album „Der Mann mit der Axt“ dazu gepackt, welches von Hermann als Band 9b geführt wird, also zwischen den regulären Bänden 9 (Khaled) und 10 (Oliver) angesiedelt ist. Die Geschichte umfasst bei mir also 11 Alben, weshalb ich bei der Lektüre der dritten Integral-Ausgabe nach drei Alben eine kleine Pause für Band 9b gemacht habe. Jetzt aber los…

Die hübsche Bauerstochter Babette ist unsterblich in den strammen Jüngling Gereon verliebt. Von einem fahrenden Hilfsmaurer als Schwiegersohn hält Babettes gestrenger Vater allerdings äußerst wenig, weshalb er den Flegel lautstark vom Felde jagt. Die Tochter, verzweifelt durch die harten Worte des Vaters und verschreckt durch die Schläge, welche ihr von ihrem alten Herrn angedroht werden, sucht ihr Heil in einer vorübergehenden Flucht in die Wälder. Dort ist gerade eine adelige Jagdgesellschaft auf der Suche nach Beute, einem der „edlen“ Herren scheint jedoch die wohlgeratene Bäuerin als weit lohnenswerteres Ziel. Gierig macht er sich über die verschreckte Babette her. Tief verzweifelt und starr vor Angst ergibt sie sich in ihr Schicksal, doch was ist das? Ein Speer im Rücken des Edelmannes macht dem grausigen Treiben ein jähes Ende, doch ein Nachspiel ist gewiss, denn der Tod eines Höhergestellten blieb in früheren Tagen, ganz im Gegensatz zu einer Vergewaltigung eines wertlosen Mauerblümchens, nur selten ungestraft…

Erst nach dieser grandios komponierten Eröffnung, bei der sofort klar wird, dass Herrmann hier nicht zimperlich zu Wege geht, das harte Leben der Bevölkerung und die harschen Klassenunterschiede schonungslos und realistisch darstellt, lernen wir bei einem Festmahl den Ritter Aymar von Bos-Maury kennen. Ein frommer, edelmütiger, doch nahezu mittelloser, fahrender Ritter auf der Suche nach Verbündeten und einem Weg seine Heimat-Feste Bos-Maury mit ihren wunderbaren, beeindruckenden Türmen für sich zurückzugewinnen. Fortan folgen wir dem Weg des stolzen und ehrbaren Mannes und dem seines getreuen Dieners auf ihrer Reise, während der es allerlei Abenteuer zu bestehen gibt, vor allem aber die Lebenswege vieler Personen gekreuzt werden, wodurch sich Geschichten verflechten und Schicksale verweben.

Im ersten Band „Babette“ stehen selbstredend die Bauerntochter und der von ihr geliebte Maurer im Fokus, im zweiten Album „Der Schäfer“ verwebt der Autor mittelalterlichen Aberglauben und schaurige Lagerfeuergeschichten mit dem Geschick einer Räuberbande, die ihr Unwesen treibt und im abschließenden dritten Album dieses ersten Gesamtausgabenbandes besuchen wir „Das Kloster“, in welchem vieles von Statten geht, nur nichts Frommes oder Heiliges.

Das war mein Einstieg in Die Türme von Bos-Maury und ich muss sagen, dass ich ordentlich beeindruckt, ja nahezu begeistert bin. Die Geschichte(n) sind unglaublich dicht, realistisch und nachvollziehbar erzählt, die Epoche wird glaubhaft und lebendig dargestellt und es ist einfach packend und ich somit gespannt, wie es weiter geht. Kleine Wermutstropfen gibt es allerdings auch. Nach dem Aufschlagen des Bandes dachte ich bei den ersten Seiten „Uägh! Wie sieht das denn aus?!?“. Das liegt per se jedoch nicht an Hermanns Artwork, sondern an der seltsam plakativen Kolorierung, die streckenweise echt so aussieht, als hätte die unser Krümelchen (7 Jahre) besser und stimmungsvoller hinbekommen können. Sehr plakativ, großflächig eintönig und nur selten wirklich passend und stimmungsvoll. Die Geschichte ist derart gut, dass dieses Manko schnell in den Hintergrund rückt, beim zweiten Band wird es sogar besser, beim dritten aber wieder schlechter. Keine Ahnung was das soll, aber das trübt den Gesamteindruck schon ein Wenig. Das Bonusmaterial am Ende, über die Entstehungsgeschichte der Alben und ihre ersten Veröffentlichungen, ist stellenweise ganz interessant, wirkt aber ehrlich gesagt auch wie eine große Selbstbeweihräucherung des Verlegers. Wenn ich mir dann vor Augen halte, wie „wertig“ diese Gesamtausgabe, immerhin kleiner als Albenformat und von der Farbgebung nicht so prächtig, im Vergleich zu einer Gesamtausgabe von beispielsweise Splitter, All oder Schreiber & Leser wirkt, dann kommt mir das fast ein wenig lächerlich vor. Sorry, ist nicht böse gemeint, aber das schmälert den Gesamteindruck schon ein wenig.

8,5/10

VG, God_W.
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