Thema: Filmklassiker
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Alt 17.11.2022, 06:17   #225  
Peter L. Opmann
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Ah, es gibt also doch noch ein paar Louis-de-Funes-Fans.

Da wir gerade bei den Komödien sind, komme ich jetzt mal zu einem Film von Charlie Chaplin. Ich habe ja schon über Buster Keaton und über Laurel und Hardy geschrieben, möchte aber nicht den Eindruck erwecken, als würde ich Chaplin nicht schätzen. Hier kommt, etwas willkürlich ausgewählt, ein Frühwerk von ihm: „Arbeit“ (1915). Chaplin war zu dieser Zeit bei der Firma Essanay beschäftigt, wurde deutlich besser bezahlt als vorher bei Keystone, aber war nicht am Erfolg seiner Filme beteiligt, weshalb er bei Essanay nicht lange blieb. Der Film ist etwa eine halbe Stunde lang, also schon länger als die Tworeelers, die die gesamten 20er Jahre hindurch bei Slapstick noch Standard waren. Für mich hat er Bedeutung wegen der Szenen mit Edna Purviance. Ich finde, der Zuschauer merkt, daß die beiden damals auch privat ein Paar waren, obwohl der Abschnitt nicht direkt erotisch ist.

Chaplin ist in „Arbeit“ der Gehilfe eines Malers und Tapezierers und wird deutlich erkennbar ausgebeutet. Die ersten Minuten zeigen, wie er seinen Chef auf einem Karren zum Arbeitsort ziehen muß; der Karren ist voll beladen mit Werkzeug und Material. Zu allem Überfluß muß der Wagen auch noch einen steilen Hang hinaufgezogen werden, was Chaplin erst nach mehreren Anläufen schafft. Sein Chef treibt ihn dabei mit einer Reitgerte an. Unterwegs nimmt er sogar einen Bekannten mit, der auch noch auf dem Wagen Platz nimmt. Aber diese miese Behandlung wird er später noch bereuen. Im Haus, wo tapeziert werden soll, verlangt der Familienvater nach seinem Frühstück. Seine Frau scheucht er dabei in der Küche herum, was ihm ebenfalls in gewissem Sinn heimgezahlt wird. Die beiden Tapezierer treffen ein und machen sich ans Werk. Chaplin zeigt dabei nicht das geringste Talent, Bahnen an die Wand zu kleistern. Sein Chef kann es aber auch nicht viel besser. Am Ende stürzt er den Kopf voran in einen Eimer mit Tapetenkleister, wo er erstmal feststeckt. Chaplin bemüht sich zwar pflichtschuldig, ihn wieder freizubekommen, aber als es endlich geschafft ist, ist der Meister erstmal groggy.

Chaplin nimmt sich derweil lieber einen anderen Raum vor, wo er mit dem Hausmädchen (Purviance) zusammentrifft, das er vorher nur mal kurz gesehen hatte. Sie schimpft ihn wegen seiner dilettantischen Arbeitsweise aus, aber dann setzen sich beide zusammen aufs Bett und erzählen sich gegenseitig ihre Lebensgeschichte. Sie fühlen sich seelenverwandt, denn beide werden von ihren Arbeitgebern schikaniert. Inzwischen kommt der Liebhaber der Hausfrau zu Besuch. Da ihr Ehemann noch da ist, tut sie so, als würde er zu der Tapezierertruppe gehören. Der Gatte ist aber ziemlich mißtrauisch. Der Liebhaber tritt den Rückzug an und gerät dabei mit Chaplin aneinander. Der Hausherr hat inzwischen erkannt, daß er gehörnt ist, holt seinen Revolver aus der Schublade und knallt im ganzen Haus herum. Zudem ist der Tapezierer nun endlich vom Kleister befreit und sucht nach Chaplin, um ihm eine Abreibung zu verpassen. Dabei landet er aber in einer vollgelaufenen Badewanne. Irgendwie endet alles in Chaos und Zerstörung. Chaplin steckt nochmal seinen Kopf aus den im Treppenhaus angehäuften Trümmern, zieht ihn aber schnell wieder ein, weil noch Mauerwerk herabfällt.

Es ist selbstverständlich nicht die Handlung, die mich anspricht, sondern viele kleine Details, wenn die auch oft typisch Slapstick sind, wie das Chaplin bei Mack Sennett gelernt hat. Und es gibt immer wieder Szenen, wo die Figuren nicht mehr Knallchargen sind, sondern ganz menschlich werden. Mich hat bei diesem Film besonders das Zusammensein von Chaplin und Purviance berührt. Da gibt es Blicke und Bewegungen, die mehr zu sein scheinen als geschauspielert, wobei man sich da natürlich nicht sicher sein kann. Jedenfalls endet da plötzlich der Slapstick, und es beginnt eine Art Melodram, was man bei einer solchen Klamotte, noch dazu einer so frühen, nicht vermuten würde.

Geändert von Peter L. Opmann (17.11.2022 um 06:27 Uhr)
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