Thema: Filmklassiker
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Alt 11.11.2022, 06:35   #197  
Peter L. Opmann
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Werfen wir einen Blick auf den Film, der Carpenters Inspiration war. „Rio Bravo“ (1959) von Howard Hawks. Ich werde gleich die Handlung zusammenfassen, aber ich finde, die Handlung ist nicht das Wichtige hier (obwohl es nicht wenig ausgezeichnet inszenierte Action gibt), sondern der Charakter der Figuren. Es ist für mich bezeichnend, daß meine Lieblingspassage in dem Film für den Hauptstrang der Story ohne großen Belang ist. Darin dringt John Wayne, der Sheriff von Rio Bravo, in das Hotelzimmer der angeblichen Falschspielerin Angie Dickinson ein, um sie zu überführen, muß aber unverrichteter Dinge wieder gehen.

Der Film beginnt mit einer Szene, in der sich Hilfssheriff Dean Martin im Saloon zum Gespött macht. Der Alkoholiker braucht dringend einen Whiskey, und ein Mitglied der Familie Burdette, die in der Stadt ihre eigenen Gesetze macht, wirft ein Geldstück in einen Spucknapf am Tresen, mit dem er den Drink bezahlen kann. Martin zögert nicht, es herauszufischen, da betritt Wayne die Bühne und hindert ihn daran. Worauf er von seinem Deputy niedergeschlagen wird. Wayne behält aber alles unter Kontrolle und wirft den Mann, der Martin entwürdigt hat, ins Gefängnis. Kurz zuvor hat der nämlich einen unbeteiligten Saloonbesucher kaltblütig abgeknallt. Aber damit macht sich Wayne die Familie Burdette und ihre Handlanger zu Feinden. Für eine Gerichtsverhandlung muß der Marshal anreisen, was ein paar Tage dauert.

Ein weiterer Zwischenfall verschärft den Konflikt: Ein Rinderzüchter, der in die Stadt kommt, schlägt sich offen auf Waynes Seite und wird daher von einem von den Burdettes beauftragten Heckenschützen ermordet. Dean Martin entdeckt den Täter im Saloon und erschießt ihn. Darauf ziehen sich Wayne und Martin ins Sheriff’s Office zurück. Der Kopf der Burdettes kündigt offen an, daß er seinen Bruder bald aus dem Knast befreien wird, aber Wayne droht, ihn zu töten, falls sich Burdette oder seine Männer dem Haus nähern sollten. In dem Office befinden sich Wayne, bei dem sich allmählich das Alter bemerkbar macht, Martin, der unter Alkoholentzug seinen Revolver nicht ruhig halten kann, und ein Oldtimer (Walter Brennan), den niemand richtig ernst nimmt. Hinzu kommt ein Halbstarker (Ricky Nelson), der aber gut schießen kann.

Obwohl die Hüter des Gesetzes den Burdettes hoffnungslos unterlegen zu sein scheinen, versucht Wayne, so gut es geht die Ordnung in der Stadt aufrechtzuerhalten und zumindest bei Dunkelheit auf Streife zu gehen. So kommt er dem Falschspiel im Saloon auf die Spur. Dickinson sieht einer Frau auf einem Steckbrief ähnlich, also fordert er sie unter vier Augen auf, die Stadt zu verlassen. Obwohl er sich korrekt verhält, ist sie empört, daß sie ohne Beweise verdächtigt wird. Sie will, daß er sie nach gezinkten Karten durchsucht, was seine Moralvorstellungen nicht zulassen. Er macht auf dem Absatz kehrt – sie folgt ihm jedoch und verlangt eine Entschuldigung (Super-Szene!). Im Anschluß wird der wirkliche Falschspieler enttarnt.

Das Sheriff’s Office ist permanent im Visier der Burdettes und ihrer bezahlten Helfer. Doch Wayne und seine Leute zeigen sich nach außen hin unbeeindruckt. Martin versucht allerdings verzweifelt, vom Alkohol loszukommen. Dabei gerät er in die Gewalt der Burdettes. Sie wollen ihn gegen den inhaftierten Bruder austauschen. Wayne läuft kurz darauf in eine Falle, kann sich aber mithilfe seiner Freunde wieder befreien. Nun soll der Gefangenenaustausch stattfinden. Die Burdettes verschanzen sich dazu in einem Lagerhaus. Es kommt zu einer wilden Schießerei. Am Ende besorgt Brennan Sprengstoff, mit dem das Lagerhaus in die Luft gejagt wird. Die Burdettes ergeben sich. Wayne und Dickinson sind sich inzwischen nähergekommen und haben sich ausgesprochen. Es wird angedeutet, daß sie zusammenbleiben werden.

Hawks hat diese Geschichte ein paar Jahre später noch einmal verfilmt („El Dorado“, 1966), aber ich vermute, nicht deshalb, weil er von der Story so überzeugt war, sondern weil er sie gut benutzen konnte, um diesmal etwas andere Charaktere zu zeigen. John Wayne spielte wieder die Hauptrolle, daneben waren Robert Mitchum und James Caan zu sehen. Beide Filme haben große Momente, aber insgesamt gefällt mir „Rio Bravo“ besser. Kennzeichen der Hawks-Western ist, daß die Figuren nie emotional agieren, sondern professionell. Das bedeutet auch, sie sind nicht ängstlich („Rio Bravo“ war auch ein Statement gegen die Stadt voller Angsthasen in „Zwölf Uhr mittags“). Gefühle sind natürlich unterschwellig dennoch im Spiel. Die Helden in beiden Western sind außerdem von ihren körperlichen Gebrechen gekennzeichnet, was sonst in Western kein Thema ist. Auch Mitchum in „El Dorado“ ist Alkoholiker. Während Nelson unerfahren ist, hat Caan keinerlei Erfahrung mit Feuerwaffen. Helden werden also hier nicht glorifiziert, sondern sie setzen sich nur mit knapper Not und großer Anstrengung durch. Und Hawks ist ein Meister in der Umsetzung einer schlüssigen Handlung in seinen Actionfilmen (er war auch ein guter Komödienregisseur).

Es wäre einen eigenen Text wert, was Carpenter von der Hawks-Vorlage übernommen hat und was nicht.
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