Thema: Filmklassiker
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Alt 06.11.2022, 07:17   #174  
Peter L. Opmann
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„Der verrückte Professor“ (1963) von (und mit) Jerry Lewis ist für mich ein schwieriger Fall. Ganz klar: Das ist ein Film, der mich schon als Jugendlichen ansprach, und der seine Wirkung auch heute noch ausübt. Damit gehört Lewis für mich zu den großen Filmkomikern. Allerdings habe ich eine Menge Jerry-Lewis-Filme gesehen, die mich nicht überzeugt oder richtig enttäuscht haben. Immerhin hat Lewis eine ganz eigene Form der Komik entwickelt. Aber in seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Dean Martin hatte er wohl den undankbareren Part. Auch viele Filme, die er nach dieser Zeit drehte, finde ich nicht besonders witzig. So geht es mir mit den Pionieren aus der Slapstick-Ära nicht. Die haben alle eine ganze Reihe von Filmen vorzuweisen, die mir gut gefallen. Aber selbst wenn ich „Der verrückte Professor“ innerhalb des Schaffens von Lewis für sich betrachte, fällt es mir nicht leicht zu sagen, was nun genau die Qualität dieses Films ausmacht.

Erstmal zum Inhalt. Lewis spielt einen vertrottelten Chemieprofessor an einer US-Uni, der höchstens Mitleid zu erregen vermag. Außerdem ist er äußerst ungeschickt, weshalb seine chemischen Experimente öfters schiefgehen. Von seinen Studenten wird er daher nicht ernst genommen, und auch mit der Universitätsleitung bekommt er zunehmend Ärger. Immerhin bemerkt Lewis das selbst und beschließt, dem mit einer selbst zusammengebrauten chemischen Substanz abzuhelfen, die ihn für begrenzte Zeit in einen höchst attraktiven, smarten und selbstsicheren Playboy verwandeln soll. Das Experiment gelingt, und der Professor läuft fürderhin als Frauenschwarm Buddy Love durch die Gegend und macht die Nachtclubs unsicher. Eine Studentin (Stella Stevens), die schon für den Professor eine gewisse Sympathie hegte, läßt sich von Buddy Love beeindrucken und verliebt sich in ihn.

Ungünstig ist nur: Die Wirkung der Chemikalie läßt stets nach wenigen Stunden nach, und Buddy Love muß dann schleunigst verschwinden, bevor er sich in den Professor zurückverwandelt. Es gibt aber auch noch weitere Probleme. Buddy Love ist nicht nur selbstbewußt, sondern arrogant und egozentrisch, so daß Stella Stevens ins Grübeln gerät, ob er wirklich der geeignete Liebhaber ist. Der Professor wiederum leidet unter der Spaltung seiner Persönlichkeit. Als wieder einmal die Rückverwandlung ansteht, bleibt er auf dem Fest, das er gerade besucht, und gesteht vor allen Besuchern, daß er eine Doppelexistenz führt. Sein Wundermittel wird jedoch zu einem Verkaufsrenner, was Lewis und Stevens eine glückliche gemeinsame Zukunft eröffnet.

Man sieht, die Handlung macht den Film nicht unbedingt zu einem Klassiker. Es ist eher die schauspielerische Leistung von Lewis (und des gesamten Ensembles). Sowohl der Professor als auch der Playboy sind zwar stark verzeichnete Karikaturen, aber beide werden ebenso prägnant wie komisch gestaltet und bleiben dem Zuschauer anhaltend im Gedächtnis. Es ist bekannt, daß Jerry Lewis ein Workaholic war und seine Komödien stets hart erarbeitete. Er empfand sich selbst wohl als Komiker keineswegs als Naturtalent. Lange Zeit arbeitete er an dem Film „The Day the Clown cried“, der möglicherweise eine sehr persönliche Botschaft vermitteln sollte, aber Lewis vollendete ihn nicht und zeigte nie etwas von dem Material öffentlich. In den 70er Jahren legte er aus Erschöpfung und auch, weil sein Erfolg nachließ, eine mehrjährige Pause ein.

„Der verrückte Professor“ spielt auf den Horrorklassiker „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von Robert Louis Stevenson an, der in Hollywood mehrmals verfilmt wurde. Dabei dreht Lewis das Motiv um: Die Gruselgestalt ist bei ihm der Wissenschaftler, und die durch Verwandlung erscheinende Kreatur wirkt, zumindest oberflächlich betrachtet, positiv. Stevenson thematisierte eine Doppelexistenz; später wurde dieses Motiv zunehmend psychologisch interpretiert. Bei Lewis gibt es das beides. Doch er stellt einfach zwei gegensätzliche Komödienfiguren einander gegenüber – Anlaß für eine tieferschürfende Interpretation ist das nicht.

Es wäre wohl nicht uninteressant zu überlegen, wie dieser Film nach 1968 hätte aussehen können. Buddy Love hat noch wenig mit der Jugendkultur zu tun, die damals noch nicht sehr ausgeprägt war. Letztlich ist diese Figur kein Rebell, sondern ein Idealbild der etablierten Unterhaltungskultur, die dann an Bedeutung verlor. In dieser Hinsicht merkt man dem Film sein Alter an. Das mindert aber die komische Wirkung kaum. Was mir von Lewis noch gefällt: Da möchte ich „Besuch auf einem kleinen Planeten“ (1960) und „Zu heiß gebadet“ (1961) nennen, wenngleich diese Filme an den „verrückten Professor“ nicht herankommen.
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