Thema: Filmklassiker
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Alt 04.11.2022, 06:30   #140  
Peter L. Opmann
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Kommen wir zu einem meiner All-time-favourites: „Robin Hood – König der Vagabunden“ (1938). Robin-Hood-Filme sind wohl ein ähnliches Phänomen wie Dracula-Filme. Es gab sie schon ganz früh in der Filmgeschichte, und der Stoff wurde immer wieder neu verfilmt. Ich hätte zwar nicht übel Lust, den Stummfilm von 1921 mit Douglas Fairbanks sr. zu besprechen, der auch ziemlich bemerkenswert ist, aber vielleicht mache ich das später mal. Die Verfilmung, mit der ich mich beschäftige, mit Errol Flynn in der Hauptrolle wird häufig als bester Abenteuerfilm aller Zeiten angesehen, und er steht stellvertretend für ein ganzes Genre, das der Swashbuckler-Filme. „Swashbuckler“ ist nicht ganz einfach zu übersetzen. Man kann dafür „Draufgänger“ oder „Haudegen“ sagen, aber in gewissem Sinn ist auch Baron Münchhausen ein Swashbuckler – also auch eine nur behauptete Heldentat ist damit angesprochen. Vielleicht hat Errol Flynn wesentlichen Anteil an dieser Bedeutungserweiterung, denn er vollbringt seine riskanten Aktionen mit einem unverwechselbaren Augenzwinkern, so daß es beinahe egal ist, ob es wirklich so war oder nicht. Burt Lancaster, der vielleicht einer der letzten Swashbuckler war, sagt in „Der rote Korsar“: „Glaubt nur, was ihr seht – ach was, glaubt nicht einmal die Hälfte davon!“

Die Robin-Hood-Legende dürfte zwar bekannt sein, aber da sie sich aus vielen, teils auch einander widersprechenden Episoden zusammensetzt, will ich doch darauf eingehen, welche Robin-Hood-Geschichte in diesem Film erzählt wird. Es gibt keine Einleitung, die das Verhältnis von Robin Hood zu König Richard Löwenherz erklärt. Vielmehr wird nur verkündet, Richard sei auf einem Kreuzzug in Gefangenschaft geraten. Die Herrschaft übernimmt sein Bruder John (Claude Rains), der sofort für die Angelsachsen die Steuern erhöht und sie rücksichtslos und brutal eintreiben läßt. Das Verhältnis von Angelsachsen und Normannen bleibt auch weitgehend unbeleuchtet. Aber die Zuordnung von Gut und Böse ist nach wenigen Szenen klar.

Wilderei ist von Prinz John bei Todesstrafe streng verboten. Trotzdem schießt ein armer, hungriger Angelsachse (Midge, der Sohn des Müllers – Herbert Mundin) ein Reh und wird dabei von Guy of Gisbourne (Basil Rathbone) und seinen Truppen gestellt. Da taucht aus dem Nichts Robin of Locksley auf und mischt sich ein. Mit Pfeil und Bogen verteidigt er den Delinquenten, und Sir Guy tritt wutentbrannt den Rückzug an. Kurz darauf verschafft sich Robin Hood Zutritt zu einem Bankett Prinz Johns, wo er für seinen Mut zunächst Respekt erntet. Maid Marian (Olivia de Havilland), die Sir Guy versprochen ist, findet ihn dagegen abstoßend, obwohl sie ihm Bewunderung nicht völlig versagen kann. Robin geht jedoch noch weiter und sagt Johns Terrorherrschaft den Kampf an, bevor er sich mit Gewalt seinen Weg aus dem Festsaal bahnt. Darauf versammelt er eine Schar Angelsachsen um sich und ruft sie dazu auf, sich gegen die Normannen aufzulehnen. Johns Leuten fällt es von da an nicht mehr so leicht, Steuern einzutreiben und Angelsachsen zu foltern oder hinzurichten. Im Sherwood Forest kann niemand Robin aufspüren.

Es folgen die bekannten Begegnungen Robins mit Little John und Bruder Tuck. Wir sehen auch den Transport von Steuergeldern durch den Wald, bei dem Guy of Gisbourne von Robin Hoods Leuten gefangengenommen und festlich bewirtet wird, dafür allerdings mit der Goldkiste bezahlen muß. Der Sheriff von Nottingham, der bei dieser Episode dabei ist, ist hier nicht Robins Hauptgegner, sondern eher eine Witzfigur. Aber er kommt auf die Idee, den Rebellen durch ein Bogenschützenturnier nach Nottingham zu locken und so festzunehmen. Das gelingt, auch wenn Robin erst nach seinem letzten, siegreichen Schuß enttarnt wird. Aber seine Leute befreien ihn, als er schon unter dem Galgen steht.

Inzwischen ist König Richard aus dem Verlies von Leopold von Österreich frei gekommen und auf dem Weg zurück nach England. (Daß das voraussetzt, daß das Lösegeld für ihn bezahlt wurde, woran John nicht im Traum denkt, bleibt unberücksichtigt.) John trifft Vorkehrungen, seinen Bruder umzubringen, damit er den Thron nicht räumen muß. Das erfährt Maid Marian, die sich inzwischen in Robin Hood verliebt hat. Sie will ihn einschalten, um Richard zu retten, aber ihr Brief wird abgefangen und sie wegen Hochverrat zum Tod verurteilt. Ritter Dickon, der mit dem Mord an dem König beauftragt ist, wird von Midge aufgehalten und getötet. Gleichzeitig will sich John zum König krönen lassen.

Richard, der gute König, reist zusammen mit seinen Kreuzfahrern verkleidet durch England und erfährt, welche Zustände in seinem Reich inzwischen herrschen. Er trifft Robin Hood, und die beiden Gruppen tun sich zusammen, um bei der Krönungsfeier einzugreifen. Robin befreit Marian aus der Todeszelle, dann muß er ein Duell auf Leben und Tod mit Guy of Gisbourne bestehen. Als Guy tot ist, gibt sich Richard zu erkennen und zieht die Herrschaft über England wieder an sich. John und seine Komplizen haben ausgespielt. Zum Schluß gibt der König seinen Segen zur Vermählung von Robin und Marian.

Nicht nur die Vorgeschichte, auch der Schluß wird anders erzählt als in anderen Robin-Hood-Sagen. Manchmal endet Robin durch einen Anschlag der Äbtissin von Kirklees (die ihn verbluten läßt), und die Heirat mit Maid Marian fällt aus. Manche Figuren haben mitunter andere Funktionen. Insbesondere Guy of Gisbourne wird teils auch als ein Kopfgeldjäger dargestellt, der nur einmal Robin begegnet. Aber die Abenteuergeschichte in Michael Curtiz‘ Film funktioniert sehr gut, und zum heiteren Grundton paßt das sicher etwas schmalzige Happy End.

Ich denke, Errol Flynn hat mit seiner Darstellung Maßstäbe gesetzt. Nach ihm konnte Robin Hood nur noch in dieser Art porträtiert werden oder eben völlig anders. Richard Lester zeigt ihn zum Beispiel in „Robin und Marian“ (1976) alt und müde geworden, auch wenn er hier von Sean Connery gespielt wird. Flynn spielt Robin Hood in einer unwiderstehlichen Mischung aus akrobatischem Heldentum und Ironie. Man kann sich in Anekdoten über die Dreharbeiten verlieren, aber ich will zumindest erwähnen, daß Havilland mit Flynn angeblich nicht so gut zurechtkam, zumal er Mundgeruch hatte.

Der Film ist viele Jahre lang immer wieder im Kino eingesetzt worden und hat so sicher einen beträchtlichen Gewinn erzielt. Aber wirtschaftlich muß man ihn auch wieder unter dem speziellen Hollywood-Gesichtspunkt betrachten. Warner Brothers hatten zu dieser Zeit gerade einige Flops gelandet und brauchten dringend wieder einen Kassenerfolg. Sie versuchten es noch einmal mit einer Produktion, an der niemand vorbeikam. Bei „Robin Hood“ wurde an nichts gespart. Er ist ein früher Technicolor-Film, für den elf Kameras (damals ein ungeheurer Aufwand) eingesetzt wurden. Der ursprüngliche Regisseur William Keighley wurde durch Curtiz abgelöst, weil man ihm diese Mammutproduktion nicht zutraute. Curtiz spielte seine ganze Routine aus (jemand wie er drehte zu dieser Zeit mehrere Filme pro Jahr) und war doch zugleich sehr kreativ. Trotzdem war der Kassenerfolg am Ende zunächst überschaubar, weil der Film so teuer war.

Ich habe noch einen Blick auf das Abschneiden des Werks bei der Oscar-Verleihung 1939 geworfen. Als bester Film zog es den Kürzeren gegen eine Frank-Capra-Komödie, die mir allerdings unbekannt ist („Liebeskünstler“). In wichtigen Kategorien war „Robin Hood“ nicht nominiert, und er gewann nur drei eher technische Auszeichnungen: Bester Schnitt, bestes Szenenbild und beste Musik (da war der Kunstmusik-Komponist Erich Wolfgang Korngold am Werk, der die Musik auch beinahe sinfonisch gestaltete). Schwer erklärbar – vielleicht lag es daran, daß „Robin Hood“ ein britischer und kein amerikanischer Stoff ist.
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