Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 01.04.2022, 15:49   #6042  
God_W.
Captain Rezi
 
Benutzerbild von God_W.
 
Ort: Nähe Aschaffenburg
Beiträge: 19.474
Rork – Gesamtausgabe 1



Rork ist auch so ein Kandidat, den ich bereits vergangenes Jahr während der Renovierungs- bzw. Nerdroom-Bauphase gelesen hatte, damals jedoch keine Zeit fand etwas dazu zu schreiben. Die Lektüre von Quintos hat mich die Tage dann wieder auf den Andreas-Geschmack gebracht und da dort in dem tollen beigefügten Dossier natürlich auch Rork angesprochen wird lag es nahe die Bände nochmal aus dem Regal zu ziehen. In Gänze konnte ich mich nämlich nicht mehr an jedes Detail erinnern, was neben meinem vermeintlich schwachen Gedächtnis sicher auch der nicht zu verachtenden Komplexität des Stoffes zu verdanken ist, denn auch wenn sich Andreas ob der grandiosen Zeichnungen, die oft auch ohne Text auskommen, vergleichsweise schnell lesen lässt, so macht es doch Sinn sich für Text und Bild ordentlich Zeit zu nehmen, sonst gerät man nämlich leicht ins Straucheln. Also ja, nicht allzu viel Text aber dennoch äußerst gehaltvoll, gerade wenn man mit diesem wundervoll gestalteten Sammelband gleich eine massive Breitseite Rork abbekommt. Ganze vier Alben und zwei Kurzgeschichten wollen entdeckt werden, also auf geht’s.



Band 0: Geister
Die Nullnummer, die zwar später entstanden ist, gehört zweifelfrei an den Beginn. Hier bekommt Rork einen fulminanten Auftritt spendiert und wird stimmungsvoll eingeführt. Ein alter Bekannter, der sich auf das Aufspüren von vermissten Personen spezialisiert hat, kommt bei einem Fall nicht weiter. Seine wichtigste Informationsquelle ist versiegt und so hat er sich nach langem Zögern dazu durchgerungen Rork um Hilfe zu bitten. Klar, denn Rork ist der Mann den man ruft, wenn die Geister nicht mehr mit einem sprechen.

Ja, richtig gelesen, Andreas geht bei der Etablierung seiner Welt in der Rork spielt gleich in die Vollen. Schon von Seite 1 an wird klar, hier ist nichts unmöglich, es kann jederzeit alles passieren, und im Grunde lassen sich die Figuren, die das Rork-Universum bevölkern davon auch nicht allzu sehr aus dem Takt bringen. Das herrlich Verschrobene und Entrückte dieser Welt generiert zusammen mit den beeindruckend detaillierten Schraffur-Zeichnungen eine schräge und faszinierende Atmosphäre. Rein optisch erinnert dieser Prequel-Band klar an Andreas‘ Cromwell Stone mit den wunderbar untypischen Perspektiven und vielen gestochen scharfen geometrischen Formen, gerade bei den Gebäuden. Da wird es schon gewahr, dass der Mann auch mal was mit Architektur am Hut hatte. Für mich ein perfekter Türöffner für alles was mich da noch erwartet.



Band 1: Fragmente
Das eigentlich erste Rork-Album ist sozusagen gar kein „richtiges“ Album, also zumindest wird erstmal keine durchgehende, zusammenhängende Geschichte erzählt. Vielmehr unternahm der Autor mit einigen für sich selbst stehenden, kürzeren Rork-Abenteuern erste Gehversuche mit der Figur, die erst auf das Drängen seines damaligen Verlags, als eine Albenveröffentlichung anstand, durch die finalen Geschichten des Bandes eine Verbindung mit einem roten Faden erhielten. Vor dem Hintergrund dieses Wissens ist es richtiggehend erstaunlich wie sehr sich die einzelnen Erzählungen zu seinem schlüssigen Ganzen zusammenfügen, welches nach einer Handvoll verrückt und fantastisch anmutender „Fragmente“ schließlich in einen bösen Cliffhanger mündet. Man kann gar nicht anders als sofort umzublättern und weiterzulesen.

Irgendwo zwischen Mystery und Science-Fiction angesiedelt beginnt der Band mit „Einem Haus für ein Jahrhundert“. Das optisch beeindruckende Bauwerk steht an einer steilen Klippe, darunter das tosende Meer, welches einen Teil des Gebäudes offenbar schon als Tribut gefordert hat. Der neue Bewohner, ein junger Autor namens Bernard Wright (Ähnlichkeiten zu Bernie Wrightson sind NICHT zufällig!) hat des Nachts seltsame Vorgänge festgestellt, die ihn schließlich dazu trieben, Rork zu rufen. „Der Druckpunkt“ ist ein außergewöhnliches wissenschaftliches Phänomen, welches ein sehr guter Freund von Rork entdeckt hat. Doch diese Entdeckung birgt ein enormes zerstörerisches Potential, sollte also tunlichst nicht in falsche Hände geraten. „Der Fleck“ vereint die Liebe zur Kunst mit Horror nach Art der „Körperfresser“, bevor mit Rork mit „Low Valley“ auf eine äußerst faszinierende und rätselbehaftete Dame trifft, die nicht nur ganz besondere Fähigkeiten entwickelt, sondern uns auch noch häufiger begegnen wird. Ihre Geschichte leitet uns schließlich über in „Fragmente“, beschert uns die Rückkehr des Flecks und führt Rork nach New York, wo bereits eine ausgeklügelte Falle auf ihn wartet.

Ich liebe es ja, wenn ich etwas zu lesen bekomme was nicht nur wunderschön anzuschauen ist, sondern auch mit Überraschungen aufzuwarten weiß. Andreas‘ Artwork ist in diesen frühen Geschichten noch deutlich anders als später, der Einfluss von Herr Wrightson ist beispielsweise klar zu erkennen, wenn ich mir so den Creepy-Band des Meisters anschaue. Dennoch bietet Andreas‘ Stil schon hier ganz viele Eigenheiten, die mit der Zeit zu seinen Markenzeichen wurden. Die tollen Blickwinkel, die schmalen Panels, ob horizontal oder vertikal, die Markanten Nasen und die üppige Architektur von Gebäuden. Es ist einfach beeindruckend und wunderschön, viel wichtiger aber ist mir, dass ich bei Rork nie weiß, was mich im Verlauf der Geschichte erwartet. Hier ist nichts vorhersehbar, hier kann immer alles passieren und das ist sowas von erfrischend und gut so.



Band 2: Passagen
Eine kurze, prägnante und famos bebilderte Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse und dann ist es so weit: Auftritt Raffington Event. Der etwas zu klein geratene, leicht pummelige Detektiv mit der großen runden Brille auf der langen, spitz zulaufenden Nase hat einen außergewöhnlichen Fall angenommen, und das, ohne seinen Auftraggeber zu kennen. Für 500$ pro Woche soll er den Aufenthaltsort einer seltsamen Person namens Rork ausfindig machen. Nicht nur der Name der Person ist seltsam, auch der ganze Fall und die seltsamen Fakten die Raffington bislang bekannt sind. Noch seltsamer wird es allerdings, als Mister Event versucht in die Wohnung einzudringen, in welcher sich der Gesuchte vermeintlich befindet, denn die Geschichte die er dort aufgetischt bekommt ist mehr als nur abenteuerlich.

Endlich lernen wir Raffington Event kennen, eine Nebenfigur der Rork-Reihe die später aufgrund ihrer Beliebtheit bei Leser und Autor sogar einen eigenen Band spendiert bekam. Viel wichtiger ist aber, dass der Privatdetektiv allerhand über Rorks Herkunft und Vergangenheit herausfindet, und wir mit ihm. Endlich erfahren wir mehr über den uralten Mittdreißigjährigen, seine besonderen Fähigkeiten und seinen speziellen Blick auf die Dinge, seine Erlebnisse und Lehrmeister, die ihn zu dem machten was er heute ist. Doch Moment mal, wie ging es denn jetzt weiter, nachdem wir Rork am Ende von Band 1 mit so ungewissem Schicksal verlassen mussten? Tja, um das zu erleben sind schon so einige „Passagen“ nötig…

Größer und faszinierender wird Rorks Welt (oder Welten), ebenso wie der Fundus an spannenden Charakteren und faszinierenden Bildern. Aber das soll es noch lange nicht gewesen sein.



Kurzgeschichte: Die Vergessenen
Der Shorty, der die beiden Bände zwei und drei voneinander trennt bietet im Grunde eine weitere Passage, einen Abstecher zu einem besonderen Ort, einer kleinen Insel, einem Abenteuer, einer Mission – und zu einem Creature-Feature.



Band 3: Der Friedhof der Kathedralen
Das Tagebuch des Professor Wallace de Wolf beschreibt eine atemberaubende Expedition ins Herz des dichtesten Amazonas-Dschungels. Im Archiv von St. Jakob de Compostela hatte der Forscher einige außergewöhnliche Hinweise auf die Existenz eines unglaublichen Ortes inmitten der „Grünen Hölle“ ausgemacht. Zusammen mit seinem Sohn und seiner Schwiegertochter machte er sich auf den Weg, um dem Geheimnis rund um den „Friedhof der Kathedralen“ auf die Spur zu kommen. Was die kleine Gruppe am Ziel ihrer Reise erwartet hätte sich zuvor niemand träumen lassen, selbst der seltsame Mann mit weißen Haaren und langem Bart, den sie unterwegs aufgelesen haben und der offensichtlich schon lange im Urwald umherstreift…

Ein weiteres faszinierendes und auch spannendes Kapitel der Sage um Rork, mit einem ganz anderen Background, überraschenden Wendungen und Symbolträchtigen Szenen. Die beeindruckende Splashpage mit den Kathedralen war mir noch sehr gut von der ersten Lektüre in Erinnerung, was die Faszination auch das Staunen aber auch beim zweiten mal nicht schmälern konnte. Mit meinem Laienhaften Blick meine ich zu erkennen, dass Notre Dame de Paris und das Straßburger Münster teilweise als Vorlage herhalten durften, aber Kenner können mich dahingehend bestimmt berichtigen oder noch weitere Architektonische Eigenheiten berühmter Bauten ausmachen. Durch und durch ein Augenöffner.



Kurzgeschichte: Retter der Kreidezeit
Zum Abschluss bekommen wir noch einen kryptischen Zweiseiter aufgetischt, den ich als Allegorie zu Tod und Wiedergeburt verstehe. Aber vielleicht findet Andreas auch nur Dinos cool und interpretiere da irgendwelchen Blödsinn rein.

Selten habe ich Geschichten so gerne zum zweiten mal gelesen wie Rork. Stets gilt es Neues zu entdecken und Überraschendes zu erleben, vom Staunen über die außergewöhnlichen Bilder ganz abgesehen. Der komplexe Aufbau und die vielen ungewöhnlichen Ideen sorgen dafür, dass es auch bei der Wiederlektüre ganz viel Neues zu entdecken und Altes wiederzuentdecken gibt. Genau das ist es, was Autor/Zeichner Andreas mit seinen Geschichten bezweckt, wie wir in der umfassenden Einleitung erfahren. Die macht den Band auch zur perfekten Lektüre, wenn man zuvor „Quintos“ gelesen hat, denn das Dossier von Finix erläutert schon viel von Andreas‘ Werdegang und beleuchtet wieviel von seinem Werk bei uns noch unveröffentlicht war, mit Schreiber & Leser kann man jetzt den nächsten Schritt gehen und gleichzeitig noch mehr über Andreas, seine Vorbilder, Gedanken und Beweggründe erfahren. Eine ganz feine Ausgabe in hochwertigem, großem Hardcover, perfektem Druck und, wie bereits erwähnt, lesenswertem Bonusmaterial. Ein Wunschlos-Glücklich-Paket würde ich sagen.

9,5/10

VG, God_W.


PS: Gibt es hier eigentlich noch mehr Andreas-Leser?

Geändert von God_W. (01.04.2022 um 16:47 Uhr)
God_W. ist offline   Mit Zitat antworten