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Alt 29.10.2021, 16:38   #242  
Peter L. Opmann
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Fazit des Barry-Smith-Runs

Manche der Besonderheiten dieser Marvel-Serie sind heute nicht mehr so leicht erkennbar. Als „Conan“ 1970 startete, war die Figur schon etwa seit zehn Jahren wieder populär. Einen Teil der Faszination machte sicherlich aus, daß Robert E. Howard ein für Pulp-Verhältnisse außergewöhnlich begabter Autor war. Sein Konzept eines Tarzan-ähnlichen Wilden in einer Fantasy-Umgebung sprach die Leser wieder genauso an wie in den frühen 1930er Jahren. Hinzu kam, daß in den Comics nun mehr als eine Prise Gewalt in die Abenteuer hineingebracht werden konnte. Die Storys wirkten dadurch realistischer als der bis dahin übliche Superhelden-Stoff. Gleichzeitig wurde mit Mythen und Magie gespielt, was zugegeben einen reizvollen Kontrast ergibt. Einerseits weiß der Leser, daß es die Conan-Welt nie gegeben hat, andererseits werden hier Menschen durch echte Schwerter durchbohrt, mitunter geköpft oder es geht ihnen auf andere grausame Weise ans Leben.

Roy Thomas kannte die „Conan“-Neuausgaben bereits und war nach eigener Darstellung von ihnen begeistert. Er mußte aber Überzeugungsarbeit leisten, daß sich dieses Material für eine erfolgreiche Comicserie eignet. Stan Lee hatte zwar 1961 selbst die Superhelden-Genreregeln erfolgreich umgekrempelt, konnte sich aber offenbar nicht vorstellen, daß das noch einmal mit einem anderen Stoff klappen könnte. Nur so kam Barry Smith, damals ein hoffnungsvoller Anfänger aus England, der sich zunächst in New York nicht halten konnte, als Zeichner zu dieser Serie: Er war billiger als die etablierten Marvel-Künstler. Smith nutzte seine Chance und orientierte sich von vorneherein nicht an angesagten Zeichenstilen (ganz am Anfang hatte er bei Marvel deutliche Einflüsse von Jack Kirby erkennen lassen).

Als Manko empfinde ich heute, daß „Conan“ fast nie raffinierte Handlungsstrukturen aufweist. Howard konnte so etwas durchaus, was besonders an seinem Klassiker „The Frost Giant’s Daughter“ zu erkennen ist. Aber in den Marvel-Comics taucht Conan immer wieder als Dieb oder als Söldner auf, kommt in Kontakt mit einem zauberischen Monster und macht es ein, beziehungsweise rettet knapp seine Haut. Immer wieder hat er es mit ebenso leichtbekleideten wie schutzbedürftigen Frauen zu tun; manchmal versuchen sie, ihn für ihre Zwecke zu benutzen. Die ersten etwa 20 Folgen sind nicht nur in sich abgeschlossen, sondern auch nach einem stets ähnlichen Strickmuster aufgebaut. Das konnte den Lesern damals nur deshalb entgehen, weil „Conan“ eben etwas mehr handfesten Realismus bot als andere Comicserien und weil Thomas und Smith sich viel Mühe mit ungewöhnlichen Storydetails gaben, was die Episoden mitunter aber auch unübersichtlich macht. Die zwei Ausgaben, die Gil Kane zwischendurch gezeichnet hat, sind klarer gestaltet, spielen aber offensichtlich in der typischen Kane-Welt, nicht in der von Smith kreierten Fantasy-Welt.

Eine Kontinuität ist nur gegeben, indem Conan durch die imaginäre hyborische Welt reist und nicht von Schauplatz zu Schauplatz springt. Gelegentlich tauchen Figuren aus früheren Ausgaben noch einmal auf. Am Ende wird durch die Figur des Priesters Kharam-Akkad eine längere Fortsetzung gestartet, aber die einzelnen Hefte lassen sich nach wie vor für sich lesen. Der Abdruck der Serie in den Condor-Taschenbüchern geht anfangs ziemlich durcheinander, was ärgerlich ist, ohne daß das freilich groß auffällt. Festzuhalten ist, daß die Details der Zeichnungen von Smith zudem erst in der Gesamtausgabe von Panini richtig zur Geltung kommen – von den stark gekürzten Texten in den Taschenbüchern nicht zu reden. Nebenbei bemerkt: Zum Mythos von „Conan“ gehört sicherlich die Mühe, die Smith investierte und die sich deutlich von der professionellen Sparsamkeit anderer Zeichner abhebt.

„Conan“ ist insgesamt ein etwas getrübtes Lesevergnügen. Die Faszination der Wiederentdeckung den Howardschen Werks ist verblaßt, die Einförmigkeit der Handlung tritt stärker hervor. Nun habe ich die meisten Conan-Comics nicht mit den „Weird“-Vorlagen verglichen, aber ich würde dafür hauptsächlich Roy Thomas verantwortlich machen, obwohl er sich häufig eng an die Vorlagen angelehnt hat. Aber er mußte eben immer alles auf 20 Seiten unterbringen, und da war ihm offenbar wichtiger, daß die typischen Ingredienzien vorhanden sind, als daß die Geschichte einen Twist aufweist oder sonst überrascht. Hinzu kommt, daß – wie auch in der „Red Sonja“-Folge zu sehen - selten etwas erklärt wird. Gleichwohl hat „Conan“ seinen Platz in der Comic-Geschichte. Daß die Serie den Weg für weitaus grausamere Sachen (wie etwa „Sin City“) ebnete, steht auf einem anderen Blatt.
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