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Alt 09.09.2020, 21:04   #494  
Peter L. Opmann
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Ich will mich mal darauf beschränken, mich mit der politischen Brisanz des „Roter Wächter“- Zweiteilers auseinanderzusetzen. Diese Ausgabe hat ja heftige Leserbriefreaktionen ausgelöst. Womöglich hätte es die aber nicht gegeben, wenn nicht die Williams-Redaktion vorauseilend schon ein Editorial über Zeiterscheinungen im Comic veröffentlicht hätte. Sie legte dem Leser nahe, daß Comics eben auch Zeiterscheinungen widerspiegeln und daher die Rächer auch mal gegen Kommunisten kämpfen, weil 1967 der Kalte Krieg in vollem Gange war.

Grund, sich aufzuregen, bietet diese Ausgabe eigentlich nicht – finde ich. Man sieht einen namenlosen General, der offenbar Russe ist, und einen namenlosen vermutlich chinesischen Oberst sowie den Roten Wächter, eine Markenkopie von Captain America, wie Crackajack schon zutreffend feststellte. Von einer kommunistischen Diktatur oder Ideologie sieht man nichts. Der einzige Bezugspunkt ist die Doppelagentin Schwarze Witwe, deren amerikanischer Ehemann (welch‘ Zufall wieder mal) zum klassenkämpferischen Ost-Superheld wurde. Der Rote Wächter könnte allerdings ebenso ein völlig unpolitischer Superschurke sein (die folgende Ausgabe habe ich freilich noch nicht gelesen). Der damalige Ost-West-Konflikt bildet also nur den sehr zaghaft angedeuteten Hintergrund der Geschichte.

Und doch gab es offenbar Leser, die sich dafür aussprachen, jegliche politischen Bezüge aus den Comics zu tilgen. Erinnert mich an heutige Auswüchse politischer Korrektheit, wenn etwa der Begriff „Neger“ aus Sprache und Schrift entfernt werden soll, als würde das das Problem des Rassismus lösen. Die Redaktion hat recht – sieht man davon ab, daß dieses Comicheft kaum geeignet ist, etwas vom ideologischen Streit der 1960er Jahre zu vermitteln. Wie auch Stan Lee bei jeder Gelegenheit betonte: die Marvel-Comics sind bloß Unterhaltung – in diesem Fall sogar recht gute. Auch die „Spider-Man“-Ausgaben, in denen sich Harry Osborn als Drogenopfer erweist, haben das Drogenproblem nicht gelöst, eine derartige Absicht hat es nie gegeben.

Doch noch eine kleine Bemerkung: George Bell (oder Roussos) inkt inzwischen erfreulich sorgfältig und präzise. Grobe Pinselstriche sind nirgendwo mehr zu entdecken, und so kann man auch das Artwork von John Buscema richtig genießen.
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