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Alt 02.08.2020, 08:49   #21  
Peter L. Opmann
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Die Rächer # 21
Williams, September 1975 ("Avengers" # 22, November 1965)



Wie beim vorhergehenden Zweiteiler hat Stan Lee auch hier nochmal eine Schippe draufgelegt. Zum einen hat nun der Zirkus des Grauens einen Gastauftritt, und zum anderen wird die Beziehung zwischen Kraftmann und der Zauberin näher betrachtet. Von der Story her finde ich die Ausgabe wie auch den gesamten Zweiteiler ganz vorzeigbar. Dieses Heft scheint noch einmal Wally Wood geinkt zu haben, Er macht noch immer einen guten Job, aber so brillant wie in „Rächer“ # 19 kommt mir sein Inking nicht mehr vor.

Die Rächer sind nun sozusagen illegal. Das löst den üblichen Streit zwischen Captain America und Falkenauge aus. Die Rächer-Mitglieder sind jedoch ratlos, was sie nun tun und wie sie Geld verdienen sollen (haben sie eigentlich als Rächer ein Gehalt bezogen?). Während Cap abtaucht, erhalten die übrigen Teammitglieder im Showbusiness nur Absagen, weil die Rächer einen sehr schlechten Ruf haben. Das trifft jedoch nicht auf den Zirkus des Grauens zu, von dem die Rächer offenbar noch nie gehört haben. Der Zirkusdirektor ist aber nicht an den artistischen Fähigkeiten der Rächer interessiert, sondern will sie unter Hypnose für seine Zwecke einsetzen. Da spielen Falkenauge, Quecksilber und die Scharlachhexe allerdings nicht mit. Sie haben aber erneut Pech: Der Zirkusdirektor holt die Polizei, und die Rächer stehen noch einmal als Gesetzesbrecher da.

Nach einem Seitenblick auf die alten Rächer (Thor und der Eiserne sind schwer beschäftigt, der Gigant ist verschwunden) kommen Kraftmann und die Zauberin ins Spiel. Sie möchte nun seine Annäherungsversuche abstellen, da er immerhin nur ein Sterblicher ist, fühlt sich aber doch irgendwie zu ihm hingezogen (Thor scheint vergessen zu sein). Da bekommen die beiden Besuch von einem zwielichtigen PR-Agenten, der sie als „die neuen Rächer“ groß herausbringen will. Kraftmann will davon nichts wissen und verrät dem schmierigen Typen, daß er und die Zauberin an der Misere der Rächer schuld sind. Nun stellt sich heraus: Der Agent ist tatsächlich Captain America, und er hat die Aussagen von Kraftmann aufgezeichnet. Es kommt zum Kampf mit Kraftmann, in dem Cap schließlich unterliegt. Aber da tauchen die übrigen Rächer auf und kommen ihm zu Hilfe. Die Auseinandersetzung wogt hin und her – Kraftmann kann die Rächer nicht so einfach besiegen, wie er gedacht hatte, und Cap ist dann auch wieder kampfbereit.

Das veranlaßt die Zauberin, sich lieber wegzuzaubern, was Kraftmann schwer trifft: Ohne sie will er auch nicht weiterkämpfen. Er räumt das Feld – angeblich liegt nichts gegen ihn vor, wofür er ins Gefängnis wandern müßte. Auf Grund der Tonbandaufnahme werden die Rächer rehabilitiert. Sie werden ziemlich schnell wieder zu Helden der Polizei, der Stadtverwaltung und sicher auch der New Yorker. Cap hat allerdings keine Lust mehr, die Rächer zu führen. Er will das Team verlassen. Die Episode endet mit lauter Fragen (wie einst zu Lehning-Zeiten): „Macht Cap wirklich ernst? Stecken die Rächer wieder einmal in einer Krise? Sollten wir etwa in der nächsten Ausgabe eine Handvoll packender Überraschungen für Euch bereithalten?“

Ich hoffe, Du findest die Antworten, Crackajack…

Nun aber erst noch das Fazit der ersten 20 (genaugenommen 21) Ausgaben.

„Rächer“ war eine meiner Lieblingsserien, als ich etwa zehn bis 14 Jahre alt war. In der Anfangsphase von Williams habe ich von diesem Titel die meisten Hefte gekauft, und als ich dann ab „Rächer“ # 48 Stammleser wurde, machte die Serie auch durchaus Spaß. Wenn ich mir allerdings die Anfänge bewußt und mit etwas kritischer Distanz ansehe, stelle ich fest: Es gab kein Konzept, es herrschte Mangel an überzeugenden Gegnern, und die Rächer-Mitglieder, die anfangs ja Marvels Star-Superhelden waren, konnten sich nicht richtig entfalten. Die neuen Rächer konnten dagegen mit der Ur Besetzung nur mühsam mithalten.

In meinen Augen hätte sich Stan Lee vorab überlegen müssen, wozu dieses Team eigentlich gut sein sollte. Es leitete sich jedoch mehr oder weniger von den schon gut laufenden Einzelserien ab („Thor“, „Hulk“, „Iron Man“, „Giant Man and Wasp“). Es wurde kaum kaschiert, daß sich diese Helden nur zufällig und aus einer Laune heraus zusammentaten. Außerdem waren sie alle nach wie vor auch noch solo unterwegs. Das war zwar beim DC-Vorbild, der "Justice League of America“ nicht anders, aber die Aufgaben von Superman, Batman und Co. einerseits und der JLA andererseits waren doch voneinander abgegrenzt, und das erschien auch sinnvoll (ich muß einschränken, daß ich von JLA kaum etwas gelesen habe und auch von den DC-Soloserien nur wenig).

Weil aber unklar war, was die Rächer eigentlich beschützen/bewachen/verteidigen sollten und warum, blieb eigentlich nur das Uralt-Motiv: Ein Schurke strebt nach Weltherrschaft und muß dazu die Rächer aus dem Weg räumen. Es fehlte anfangs generell an originellen Schurken. Loki, Henker und Zauberin und auch die Lavamänner kamen aus „Thor“, der Maulwurf und der Geist waren aus „FV“ ausgeborgt, Zemo war ein alter Gegner von Captain America, und der Mandarin und der Schwertträger gehören eigentlich zum Umfeld des Eisernen. Neuschöpfungen waren nur Kang, obwohl dieser Mann aus der Zukunft ursprünglich auch in „FV“ debütierte, und Graf Nefaria – ein Bösewicht, der keinen starken Eindruck hinterlassen hat. Die Außerirdischen wie das Phantom oder die Kallusianer lasse ich mal beiseite; sie gehören nicht eigentlich in eine Superheldenserie. Bei den neuen Rächern scheint sich indes abzuzeichnen, daß nun verstärkt neue Gegner zum Zuge kommen: der Schwertträger, der allerdings auch nicht sehr überzeugende Kommissar, Kraftmann und die vorerst nur angedeutete Organisation „Hydra“.

Die neuen Rächer mußten kreiert werden, weil Stan Lee noch Probleme beim Umgang mit dem Marvel-Universum hatte. Es fiel ihm schwer, Thors Solo-Abenteuer mit seinen Auftritten bei den Rächern in Einklang zu bringen, und so war es auch bei den übrigen Teammitgliedern, die ja alle eigene Serien hatten. Also mußten Helden her, die sich vorrangig oder ausschließlich bei den Rächern austobten. Wichtig war wohl auch, die Gruppe zu schwächen, damit sie leichter in Bedrängnis gebracht werden konnte. Das Team, das aus Cap, Falkenauge, Quecksilber und der Scharlachhexe besteht, fand ich aber nie überzeugend. Natürlich gibt es eine Gruppendynamik, wie das auch schon bei den Ur-Rächern war, aber der Streit um die Führungsposition ist mir zu wenig; die einzelnen Figuren treten nicht richtig als Persönlichkeiten hervor. Man muß freilich zugestehen, daß „Rächer“ eine actionbetonte Serie war und persönliche Probleme nicht im Mittelpunkt stehen sollten.

(Mein Freund, der DC-Spezialist, hat mir noch ein ganz interessantes Erklärungsmuster geliefert: Die neuen Rächer ähneln in der Gruppenstruktur den Fantastischen Vier: Cap ist der Anführer (wie Mr. Fantastic), Quecksilber ist der Youngster (wie die Fackel), die Scharlachhexe ist die Frau (wie die Unsichtbare), und Falkenauge ist der mit den respektlosen Scherzen (wie Ding).)

Für mich gibt es bisher nur wenige Ausgaben, die gelungen sind. Ein bemerkenswerter Schachzug war zweifellos die Wiederbelebung von Captain America; er kommt auf eine Weise wieder zum Vorschein, die in Erinnerung bleibt, und ist dann für lange Zeit Dreh- und Angelpunkt der Rächer. Die Story um Wundermann macht Eindruck, vor allem deshalb, weil er zwischen Gut und Böse schwankt. Die Ausgabe mit der Spinne gehört zu den besseren, obwohl wir hier nicht die richtige Spinne vor uns haben. Stan Lee hat auch schon mehrfach versucht, die Dramatik zu steigern, indem er Figuren sterben (Zemo) oder dem Tod nur knapp entrinnen ließ (Wespe, Captain America). Insgesamt kann die Serie aber einen etwas älteren Leser kaum fesseln. Da gab es bei Marvel auch zu dieser Zeit schon Serien, die erheblich mehr zu bieten hatten.
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