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Alt 25.12.2018, 10:24   #451  
Peter L. Opmann
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Spinne (Williams) 100

Erscheinungstermin: 12/1977

Originalausgabe:
1) Amazing Spider-Man # 99
2) Mighty Thor # 132

Story-Titel:
1) Ein Tag im Leben von… oder: Chaos im Knast!
2) Rigel – wo selbst Götter sich fürchten!

Original-Storytitel:
1) A Day in the Life of…
2) Rigel, where Gods may fear to tread!

Zeichnungen:
1) Gil Kane / Frank Giacoia
2) Jack Kirby / Vince Colletta

Text:
1) Stan Lee
2) Stan Lee



Für Williams war dies die „marvelige Jubiläumsnummer“, im Original aber nur die # 99. Eigentlich sehe ich in der Ausgabe einen Füller. Die Gefängnisrevolte, die auf dem Cover gezeigt wird, konnte Stan Lee offenbar nicht auf 19 Seiten ausdehnen, daher absolviert die Spinne anschließend noch einen Fernsehauftritt (was wir zuletzt in „Spinne“ # 83 hatten). Beide Episoden sind notdürftig miteinander verbunden, es ist aber (für mich heute) offensichtlich, daß eine ordentliche heftfüllende Story nicht zur Verfügung stand. Für runde Nummern gab es damals eine feste Tradition: daß nämlich der Held gegen eine Menge seiner Superfeinde antritt (vorexerziert in „Fantastic Four“ # 100 und noch einige Male wiederholt). Wenn sich Lee auf die Gefängnisstory richtig eingelassen hätte, hätte daraus ein wesentlich besseres Jubiläumsheft werden können.

Formal fällt auf, daß hier mit groben Farbrastern gearbeitet wird. Ich tippe darauf, daß dahinter der Williams Verlag steckt. Ab der nächsten Produktion der Marvel-Serien wird Glanzpapier eingeführt; man war offenbar zu der Erkenntnis gelangt, daß die Hefte am Kiosk deshalb zum Ladenhüter werden, weil das Papier grauer und schlechter ist als bei den übrigen damals erhältlichen Comics. Die Raster sehen störend aus, nehmen teilweise den feinen Tuschezeichnungen von Gil Kane und Frank Giacoia ihre Wirkung. In der # 101 werden die Raster erträglicher. Seltsam nur: Die Zweitserie „Thor“ weist in # 100 keine Farbraster auf, in # 101 werden sie ebenfalls zurückhaltend eingesetzt.

Peter und Gwen haben sich wieder; Peter deutet sogar an, daß er sie heiraten möchte. Als nächstes stattet er dem Daily Bugle einen Besuch ab. Von seinem Job bei Norman Osborn (dem Grünen Kobold) will er lieber die Finger lassen. Er kommt gerade richtig: Jonah Jameson sucht gerade einen Fotografen, der ihm Bilder von Knastunruhen liefert, die gerade im Gange sind. Peter nutzt die Gelegenheit, mehr Geld auszuhandeln; er wird als Aushilfsfotograf eingestellt. Dann bricht er als Spinne zum Stadtgefängnis auf. Zunächst quetscht sie einen Wachposten aus, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Hinter dem Aufstand stecken die schlechten Haftbedingungen; ein Häftling namens Turpo will damit etwas dagegen unternehmen. Es stellt sich aber sehr schnell heraus, daß Turpo nur das Durcheinander für seine persönliche Flucht nutzen will. Die anderen Sträflinge kommen soeben im Büro des Gefängnisdirektors auch dahinter. Die Spinne mischt die Knastis im Nullkommanix auf. Der Direktor verspricht, sich für Straffreiheit für diejenigen einzusetzen, die die Waffen niederlegen und in ihre Zellen zurückkehren. Außerdem will er sich mit den Beschwerden der Häftlinge befassen. Die Revolte wird abgeblasen. Wir sind auf Seite 12.

Als die Spinne gerade in den Sonnenuntergang reiten will (oder so ähnlich), macht jemand von einem Bürofenster aus sie auf sich aufmerksam. Es ist der Moderator einer Fernsehshow, der offenbar gerade höchstselbst die nächste Sendung vorbereitet. Als die Spinne vorbeischwang, kam er auf die Idee, sie in seiner Show zu präsentieren. Ihm schwebte vor, sie ohne Honorar auftreten zu lassen, aber die Spinne besteht darauf, bezahlt zu werden. Dann kehrt sie erstmal zum Bugle zurück, um in Gestalt von Peter Parker ihre Fotos vom Gefängnisaufstand abzuliefern. Für die Bilder gibt’s erst in ein paar Tagen Geld. Damit Peter Gwen zum Essen einladen kann, braucht er also nun dringend das TV-Honorar. Im Fernsehstudio taucht die Spinne gerade rechtzeitig auf. Allem Anschein nach ist es eine Liveshow. Der Moderator hat sich offenbar blind darauf verlassen, daß die Spinne erscheinen wird. Geprobt oder abgesprochen ist nichts. Die Spinne führt zunächst ein paar Tricks vor und klopft dazu lockere Sprüche. Als sie aufgefordert wird weiterzumachen, hält sie eine Rede, in der sie das Gefängnissystem kritisiert und sich für die Strafgefangenen stark macht. Noch bevor sie mit ihrem Appell fertig ist, stürmen Polizisten das Studio – sie haben einen Haftbefehl gegen die Spinne. Sie muß schleunigst den Rückzug antreten. Damit ist das TV-Honorar futsch.

Niedergeschlagen geht Peter zu seiner Verabredung mit Gwen. Er hat kein Geld, um mit ihr auszugehen. Aber ausnahmsweise wendet sich alles zum Guten: Gwen sagt (überraschenderweise): „Peter! Ich wußte, daß du pünktlich sein würdest!“ Sie eröffnet ihm, daß sie gar nicht ausgehen möchte, sondern für ihn gekocht hat und sich darauf freut, den Abend mit ihm allein zu verbringen. Im Zusammenhang dieser Story denkt man da an nichts Unmoralisches. Beachtung verdient die Ankündigung, die sich ursprünglich auf die # 100 bezog: „Nächste Ausgabe: Das sensationellste Heft, das ihr jemals in eurem Marvelleben gelesen habt… Das Resümee! Plus: Das schockierendste, unerwartetste Ende der Spinne!“ Gemeint ist damit wohl das Ende einer Spinne-Story. Aber das nächste Heft hätte ich mir sowieso gekauft.

In dieser Ausgabe ist ein altes Miniposter des Grünen Kobolds enthalten; es stammt noch aus der Ditko-Zeit. Seit ein paar Ausgaben gibt es nun keine Fremdanzeigen in den „Spinne“-Heften mehr, nicht mal die Sea-Monkeys. Die Rückseite wird nun mit Eigenwerbung für den Nelson-„Spirit“-Band belegt.

Fazit: Es ist keine mißlungene Ausgabe, aber auch alles andere als überzeugend. Was Green Arrow und Green Lantern später mit ihrer Reise durch Amerika gelingt, schafft Marvel hier noch nicht: einen Blick auf reale soziale Mißstände zu werfen. Von den Zuständen in Gefängnissen bekommen wir praktisch nichts mit, auch was sich im Strafjustizsystem ändern müßte, ist Lee nur ein paar dürre Zeilen wert. Außerdem entwertet er sein Thema durch eine herkömmliche Lumperei des gewissenlosen Turpo. Blauäugig wirkt die Story obendrein, denn ein Gefängnisdirektor kann auf das System kaum Einfluß nehmen. Das wäre Sache der Politik, die aber hier keine Rolle spielt. Und auch was der Daily Bugle mit Peters Fotos anfängt, wie er das Thema aufbereitet, bekommt der Leser nicht mit. Sicher wäre ein für Jugendliche gedachter Comic mit all dem überfrachtet, aber ein guter Scripter würde sich dadurch auszeichnen, diese Dinge am Rande mit anklingen zu lassen, ohne die Spannung zu beeinträchtigen.



Geändert von Peter L. Opmann (25.04.2019 um 14:39 Uhr)
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