Besuch bei Van Gogh - ein utopischer Film (Deutsche Demokratische Republik 1985, DEFA-Gruppe Roter Kreis und Allianz Filmproduktion GmbH), Szenarium: Horst Seemann und Heinz Kahlau frei nah der Erzählung
Vincent van Gogh (1972) von Sewer Gansowski | Север Феликсович Гансовский, Drehbuch: Horst Seemann, Dramaturgie: Christel Gräf, Musik und Regie: Horst Seemann, 105 min
Als der Science-Fiction-Film im Oktober 1985 in den Kinos der DDR anlief, war Michail Gorbatschow | Михаил Сергеевич Горбачёв zwar schon einige Monate Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Präsident der Sowjetunion wurde er jedoch erst im März 1990. Seit einiger Zeit schwirrten die Schlagwörter Glasnost und Perestroika herum, die für eine neue Offenheit warben. Die Regierung der DDR und die kommunistische SED vertrauten lieber der traditionellen Linie und wahrten deutlichen Abstand zum neuen Kurs. Insofern verblüfft das dystopische Zukunftsbild.
Der sowjetische Science-Fiction-Autor Sewer Gansowski (1919 - 1990) zählte in der DDR, in Polen und der Tschechoslowakei zu den festen Größen des Genres, was sich in zahlreichen Übersetzungen zeigt. Horst Seemann und die DEFA-Gruppe Roter Kreis nutzen die Möglichkeiten, indem sie die Hauptrollen prominent mit Stars wie der Polin Grazyna Szapolowska und der Tschechin Dagmar Patrasová (Xenia in
Die Märchenbraut, Emilia Fernandez in
Die Besucher) besetzten.
Gansowskis Zeitreisegeschichte wandelt sich immer stärker zum Biopic eines Künstlers, wodurch die Hauptfigur eine eigensinnige Entscheidung trifft.
Im 22. Jahrhundert leben die Menschen in einer künstlichen Welt aus Glas und Plastik. Viele Entscheidungen treffen umständlich programmierte Computer, bezahlt wird in kostbaren Energieeinheiten.
Der größte Fluch ist jedoch die Staubkrankheit, durch die eine Depression der gesamten Menschheit droht. Die junge Marie Grafenstein forscht an einem Gegenmittel und scheint auf dem richtigen Weg sein; allerdings fehlen ihr die Mittel. Deswegen wendet sie sich an Andreas Bergk, einen alten Bekannten, der die Energieeinheiten verwaltet. Der verspricht ihr, etwas zu deichseln.
Dabei erwähnt er, daß das Regionalmuseum zwei Millionen Energieeinheiten für das Gemälde "Die Kartoffelesser | De Aardappeleters" (1885) ausgebeben hat. Zeitreisen sind zwar technisch möglich, sind aber verboten.
Dennoch planen Bergk und Grafenstein eine Zeitreise, um Theo van Goghs Witwe Johanna van Gogh[-Bonger] (1862 - 1925) ebendieses Gemälde aus dem Nachlaß abzukaufen. Zu ihrem Erstaunen weigert sich die Witwe des Künsthändlers standhaft, denn ihrer Meinung nach gehören van Goghs Werke der Menschheit.
Also führt die zweite Zeitreise weiter zurück, denn Marie Grafenstein nimmt sich vor, Vincent van Gogh (1853 - 1890) das Gemälde abzukaufen, bevor die Farbe getrocknet ist. Mit dem Wert des merkwürdigen Papiers namens Geld hat die Amerikanerin Marie Miller, wie Marie Grafenstein sich nennt, so ihre Schwierigkeiten, zumal sie nur 1000-Gulden-Scheine dabei hat.
Van Gogh weigert sich beharrlich, mehr als 125 Gulden zu nehmen, mit denen er seine Unkosten decken kann. Wie von ihm erwartet, hat Marie Miller Schwierigkeiten, den großen Schein zu wechseln. Irgendwie gelingt es Marie, in den Besitz des Gemäldes zu gelangen.
Bei ihrer Rückkehr muß sie feststellen, daß es die falsche Fassung ist. Eigentlich hatten Bergk und Grafenstein vor, dem Regionalmuseum das verschwundene Gemälde für zwei Milllionen zu verkaufen. Verschwunden ist aber die Fassung aus dem Kröller-Müller Museum in Otterlo.
Durch weitere Zeitreisen begleitet Marie Miller Vincent van Gogh durch sein weiteres Leben - bis an sein Totenbett. In Arles essen Marie und Kati mit Vincent van Gogh und Paul Gauguin (1848 - 1903). Auf die Weise kommen vier Gemälde zusammen.
Bergks Assistentin Kati begleitet Marie als Zofe in die Vergangenheit. Um die Gemälde zu verkaufen, verkleidet sie sich als Mann und sagt, sie habe die Bilder auf dem Dachboden gefunden. Zuerst sind die Experten auch begeistert über die verschollenen Werke, die so plötzlich aufgetaucht sind. Bei der Spektralanalyse stellt sich jedoch heraus, daß die Farbe nur 150 bis 200 Tage alt ist. Kati sucht eilends das Weite.
Der erdverbundene Vincent van Gogh wird von gewöhnlichen Leuten häufig als verrückter Rotschopf verspottet, als typischer Künstler, der trotz widriger Umstände niemandem etwas Böses kann. Im Gegensatz zu Gauguin kann van Gogh niemanden betrügen.
Zum Schluß verzichtet Marie Grafenstein auf ihre Rückkehr ins 22. Jahrhundert. Das Regionalmuseum hingegen zeigt neue van Goghs.
In einer Szene beklagt sich Vincent van Gogh über den Kunstmarkt: Dort werden für Werke toter Maler Millionen gezahlt, während die lebenden Künstler am Hungertuch nagen.
Ansonsten bleibt das notorische Zeitparadox ziemlich schwach, sobald es um den Kunstmarkt geht: Wenn van Gogh schon zu Lebzeiten eine treue, freigiebige Sammlerin gehabt hätte, wäre das nicht unbemerkt geblieben. Denn Marie Miller nimmt eine ähnliche Stellung ein wie später Peggy Guggenheim. Das da so überhaupt nichts passiert, ist enttäuschend.
Wie in der Dr Who Episode "Vincent und der Doktor" können auch Marie und Kati van Goghs Selbstmord nicht verhindern.