Michael (Deutschland 1924, Erich Pommer für Universum-Film AG (UFA), Abt. Decla-Bioscop), Drehbuch: Thea von Harbou und Carl Theodor Dreyer nach dem Roman
Mikaël (1904) von Herman Bang, Regie: Carl Theodor Dreyer, 1.935 Meter ~ ca, 90 min stumm
In der Stummfilmzeit besaß das skandinavische Kino einen guten Ruf, teilweise wurde in deutschen Ateliers gedreht. Das Spektrum reichte dabei von Komikerduos wie Pat und Patachon (eigentlich Fyrtaarnet og Bivognen, also Leuchtturm und Sozius) bis hin zu ernsten Dramen.
Vor allem mit seiner Verfilmung der Leidensgeschichte der Jeanne d’Arc,
Die Passion der Jungfrau von Orléans (Frankreich 1928), hat sich Carl Theodor Dreyer einen festen Platz in der Filmgeschichte erobert.
Zu Lebzeiten wurde er von Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau geschätzt, später beeinflußte er Robert Bresson, Ingmar Bergman, Andrei Tarkowski | Андрей Арсеньевич Тарковский und den lautstarken Provokateur Lars von Trier.
Der Künstlerroman des Dänen Herman Bang wurde auf diese Weise zweimal auf die Leinwand gebracht, das erste Mal vom Entdecker Greta Garbos, dem Schweden Mauritz Stiller, in
Vingarne (Schweden 1916).
Carl Theodor Dreyers Kammerspiel schildert ein Dreiecksverhältnis, in dem sich der alternde Maler Claude Zoret zwischen seinen beiden jungen Modellen Eugène Michael und der verarmten russischen Fürstin Lucia Zamikow verzehrt und zerrieben wird.
Weil Bang homosexuell war, läuft der Stummfilm heutzutage auch in LGBT-Filmreihen. Allerdings halten sich Thea von Harbou und Dreyer in ihrer filmischen Bearbeitung stark zurück: Ohne ein gewisses erotisches Interesse kann hier kein künstlerisches Werk gelingen. Zoret scheint jedoch in erster Linie die Vitalität seiner Modelle zu reizen, während der alte Mann durch seine Kunst zu einem körperlosen, reinen Kopfwesen geworden ist. Eine fast drei Meter hohe Skulptur eines Kopfes drängt sich wiederholt ins Bild.
Zoret ist ein Malerfürst, der von seiner Entourage bewundert wird. Von allen wird er ehrfurchtsvoll Meister genannt und entsprechend behandelt. Dabei verbindet Zoret ein besonderes Schicksal mit Michael, der vor vier Jahren anklopfte, um vom Meister das künstlerische Handwerk zu erlernen. Von seinen Werken hielt Zoret nichts, dennoch fragt seinen abgewiesenen Schüler, ob der ihm nicht Modell stehen könne.
Erst nach dieser Begegnung gelingt Zoret der Durchbruch in den Olymp der Kunstwelt. Obwohl der Markt für seine algerischen Skizzen von Michael schon 30.000 Dollar geboten hat, will er sich nicht von ihnen trennen.
Der Meister residiert auf einem stattlichen Anwesen und leistet sich einen Majordomus. Der Journalist Charles Switt leistet ihm freundschaftlich Gesellschaft und notiert erbauliche Tischgespräche für eine Biographie, die nach dem Tod des Meisters erscheinen soll.
Michael hat freien Zugriff auf das Konto des Meisters, und nachdem er sich in Gräfin Zamikow verguckt, bedient er sich ein wenig zu schamlos. Zorets Bankier will Zahlungsschwierigkeiten vorbeugen, deshalb unterrichtet er den Meister. Der läßt daraufhin ein eigenes Konto für Michael einrichten.
Michael weicht deshalb auf sein späteres Erbe aus und verscherbelt das Gemälde "Der Sieger" an den Kunsthändler Mercier. Als Zoret sein Guthaben durch den Verkauf eines Gemäldes aufbessern will, rät ihm der Kunsthändler LeBlanc davon ab, weil gerade ein anderes Werk von Zoret feilgeboten werde.
Dreh- und Angelpunkte werden zwei Szenen: Mit dem Auftragsporträt der Gräfin Zamikow kommt Zoret nicht zurecht, denn die Augen wollen ihm nicht gelingen. In der Not läßt er Michael in die Bresche springen, der seine Aufgabe mit Bravour erfüllt. Ein Kunstkritiker verreißt das Porträt als leblos und lobt nur die lebendigen Augen.
Das Finale wird durch die Vernissage seines letzten Gemäldes, "Hiob", eingeleitet. Das Triptychon zeigt Zoret im großen Mittelteil als gebeugten, alten, einsamen Mann, während die beiden Flügel von einem jungen Mann und einer jungen Frau eingenommen werden.
Zoret zeichnet realistisch und figürlich, seine Motive nutzen jedoch biblische, historische ("Cäsar und Brutus") und mythologische Elemente.
Die Szene ist erkennbar in der jüngeren Vergangenheit, Frankreich um 1900, angesiedelt, weshalb er dem Symbolismus und der Dekadenz zugeordnet werden kann.
Über das reale Vorbild Zorets sind sich die Exegeten nicht einig: Die
italienische Wikipedia verweist nur auf Auguste Rodin (1840 - 1917), die
französische Wikipedia auf Rodin und Claude Monet (1840 - 1926).