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Alt 27.01.2017, 16:12   #260  
Servalan
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Standard Wallenstein (ZDF 1978)

Regie: Franz Peter Wirth, Drehbuch: Leopold Ahlsen nach der Biographie (1971) von Golo Mann

Aus heutiger Sicht wirkt der Vierteiler kompromißlos: Die historischen Figuren sprechen ziemlich zeitgemäß, also mit verschachtelten Sätzen und den Worten des 17. Jahrhunderts. Ich bin mir sicher, daß einige Zuschauer gerne einige Redeweisen und Begriffe knapp erläutert hätten, um dem Geschehen folgen zu können. Außerdem kommt die Serie vergleichsweise langsam in Fahrt.
Szenen wie der Prager Fenstersturz haben etwas vom bebilderten Geschichtsunterricht, aber das knappe Budget zeigt sich auch, wenn Schlachten durch Boten berichtet werden statt ein großes Spektakel zu inszenieren.

Der Vorspann zeigt in vier Teilen, wie die Sonne aufgeht, ihren Zenit erreicht und wieder untergeht - parallel verläuft Wallensteins Schicksal.
Wallenstein wurde als niederer Landadliger aus der Provinz von den anderen Feldherren und Kaiserlichen als dahergelaufener Parvenü und Tartüffe verachtet, dessen Name geringschätzig verballhornt wurde. Seine Taten lassen sich aber nicht unter den Tisch kehren, und darauf baut Wallenstein zielstrebig sein Vermögen und seine Karriere.
Der zweite Teil zeigt ihn als Warlord, der in seinen Werkstätten moderne Massenfabrikation in drei Standardgrößen auf Vorrat einführt (= wirtschaftlicher Vorreiter) und die hungernden Bauern mit einem sicheren Sold für seine Zwecke rekrutiert.

Die Serie zeigt deutlich, wie die herrschende Klasse des Establishments geteilt ist: Zur Spitze gehört eigentlich nur der Hochadel, der den Kaiser küren darf, und die Geschlechter der dritten oder vierten Generation - der Rest waren Emporkömmlinge wie Wallenstein, die als nützliche Idioten eingekauft und von oben herab behandelt wurden.
Die Kluft wird im Finale spürbar: Als Neureicher und Adliger zweiter Klasse ist Wallenstein inzwischen lästig geworden. Wie wird er beseitigt? Durch eine List, die mich an das Nationalepos der Nibelungen erinnert hat: Er und seine Getreuen werden zu einer neutralen Aussprache bei Tische eingeladen. Aber wie bei Kriemhilds Rache an Etzels Tafel erwartet die geladenen Gäste bloß ein heimtückischer Schnitt durch die Kehle oder ein gezielter Schwertstoß.
Anscheinend kannte der pragmatische, materialistische Wallenstein das Werk nicht, sonst hätte er irgendwann stutzig werden müssen ...

Geändert von Servalan (28.04.2017 um 16:17 Uhr)
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