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Alt 12.05.2013, 13:34   #64  
Michi
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Hier würde mich jetzt schon interessieren, was sich in den letzten drei Jahren auf dem Gebiet getan hat. Ich halte das Projekt aus deutscher Sicht ja schon deswegen (derzeit) für zum Scheitern verurteilt, weil es nicht einmal die nun wirklich alles andere als unübersichtliche deutsche Comicszene schafft, mal irgendwo an einem Strang zu ziehen. Stattdessen Separatisten und Grabenkämpfe, wohin man nur schaut. Die einen lästern über die anderen und wollen mit den nächsten am liebsten gar nichts zu tun haben.

Es gibt ja durchaus Bestrebungen für Verlags- und szeneübergreifendes Engagement, die sich dann aber immer wieder durch engstirnigen Abgrenzungshabitus in ihren eigenen Möglichkeiten sabotieren. Die graphic-novel.info-Plattform ist dazu ein schönes Beispiel. Da arbeiten mal fünf verschiedene Verlage an einer gemeinsamen Außenkommunikation zur Erhebung des Ansehens von Comics in der Öffentlichkeit (super Ansatz!), und was machen sie? Gattungstechnische Organtransplantation eines normativ abgegrenzten Teiles des Comicmarktes in den Buchmarkt hinein, bei der dem Rest der Szene dann auch noch rückblickend der Stinkefinger gezeigt und dessen Repräsentanten in den zugehörigen Flyern verhöhnt werden.

Eine andere verlagsübergreifende Kooperation war kürzlich der World-of-Manga-Bereich auf der Leipziger Buchmesse, wo sich Carlsen, Egmont und Tokyopop für einen gemeinsamen Manga-Bereich zusammengetan und jeweils einen Star-Mangaka aus Japan einfliegen ließen. Das weist zumindest nicht den Ausgrenzungsgestus von GN.info auf, aber bei der LBM muss man sich ja auch immer wieder fragen, warum die Messeleitung es nicht wie die Kollegen aus Frankfurt schaffen, mal einen Comicbereich aufzuziehen, der tatsächlich mehr als eine Gattung umfasst.

Überhaupt, was Messen, Cons und Veranstaltungen angeht: Ich krieg das ja hauptsächlich aus der Perspektive der Mangaszene mit, aber bei den hunderten regelmäßigen Veranstaltungen, bei denen Manga eine Rolle spielen, sind eigentlich nur zwei dabei, wo der Mangabereich mit der restlichen Comicszene zusammentrifft: die Frankfurter Buchmesse und der Comic-Salon Erlangen. Das Comicfestival München hat es geschafft, nicht einen einzigen Aussteller, Programmpunkt oder Gast mit Manga-Bezug für das Festival zu gewinnen. Selbst in Erlangen ist man da weiter, obwohl dort von Veranstalterseite ja ähnliche Vorbehalte gegenüber der Mangaszene vorherrschen wie in allen von alten Comic-Hasen bererrschten Szenebereichen (einschließlich dieses Forums) und man Max-und-Moritz-Juroren öffentlich über die Auszeichnung eines deutschen Mangas beim Publikumspreis ablästern hört. ("Da sieht man ja, was man davon hat, wenn man das Publikum fragt!") Folglich nehmen Carlsen und Egmont zur LBM immer nur das Manga-Programm mit und zum Comicfestival nur die Graphic Novels und Alben, obwohl man beides im selben Haus hat.

Mit den übergreifenden Verbänden ist das auch so eine Sache. Die ComFor bemüht sich ja seit einiger Zeit, wenigstens eine Deutschland übergreifende gemeinsame Comicforschung auf die Beine zu stellen. Ich finde das eine super Sache, aber ich höre auch immer wieder Comicforscher hinter vorgehaltener Hand über das Projekt und die Organisation ablästern, weil die da eine gewisse Professionalität vermissen. Wobei ich mich dann eben frage, wie sinnvoll es ist, einen Ansatz, den alle für löblich halten, über organisatorische Kleinigkeiten niederzumachen und nicht einfach mal das Glas halbvoll sein lassen kann und selbst aktiv an der Berbesserung eines Projektes mitzuwirken, auch wenn man nicht mit allem einverstanden ist. Aber das Problem hat irgendwie jeder Verband oder Verein, mit dem ich bisher in Kontakt war. Da können sich der Animexx und die ComFor die Hand reichen (also wenn sie denn mal miteinander reden würden).

Mit dem ICOM hatte ich mal vor ein paar Jahren eine aufschlussreiche Kurzdiskussion, wo ich mal nachgefragt hatte, warum denn, wo der ICOM doch eigentlich die ganze deutsche Independent-Comicszene vertreten will, eigentlich keinerlei Repräsentanz für die aufblühende Indie-Mangaszene zeigt. Da hieß es dann: Die können ja kommen, wir sind für alle offen. Worauf ich dann zurückfragte, warum sie denn sollten, wenn sie nicht das Gefühl haben, dass der ICOM sich in irgendeiner Form auch für sie zuständig fühlt, weil nichts in der Außenwahrnehmung darauf hindeutet, und warum der ICOM sich selbst nicht auf Manga-relevanten Boards präsentiert, damit die Leute überhaupt erst einmal erfahren, dass es ihn gibt?

Das ist diese ewige self-fullfilling prophecy der deutschsprachigen Comicszene: Formal grenzt man zwar niemanden aus, tut es dann aber trotzdem, indem man sein Engagement einseitig eingrenzt und gar nicht erst versucht, szeneübergreifende Knotenpunkte zusammenzubringen. Die Comicbörse/-messe in Berlin ist ja da auch ein schönes Beispiel.

Beim ICOM hat sich das in den letzten Jahren durchaus etwas relativiert, hauptsächlich Dank Frauke Pfeiffer, die sich auch gezielt an Leute aus dem Manga-Bereich gewendet hat und sich auch für Auszeichnungen beim ICOM-Preis einsetzte. Und dann sitzt eben auch mal 'ne Anne Delseit in der ICOM-Jury (wenn ich das jetzt richtig in Erinnerung habe) und ich schreib Artikel für der COMIC!-Jahrbuch. Ich wette, das mit dem Manga-Markt auf dem letzten Comic-Salon lief auch irgendwie über sie. Daran merkt man mal, was einzelne Personen an Szeneknotenpunkten bewirken können, wenn sie sich denn aktiv in anderen Bereichen engagieren und sich offen für den Comicszene-internen "Kulturaustausch" präsentieren.

Daran fehlt es in Deutschland noch vorne und hinten. Da schreibt ein Carsten Laqua in Pressemitteilungen zur Berliner Comicbörse/-messe, dass sie jetzt auch diese sogenannten Graphic Novels haben, auch wenn die alle aussehen wie von Anfängern gezeichnet. Man kann den ganzen Graphic-Novel-Vermarktungstick ja gerne doof finden. Tue ich aus oben genannten Gründen ja auch. Aber wenn man sich einen Verlag wie Reprodukt ins Haus holt, verkneift man sich solche Sprüche. Als Comicfestival München könnte man die Mangaszene auch mal stärker mit ins Festival einbinden, wo der Animexx schon dort vor der Haustür sitzt, und jenen nicht immer nur als last-minute-Organisator für die Manga-Kategorien beim PENG!-Preis angraben (auch noch ohne jegliche angebotene Gegenleistung). Und andersrum könnte die Buchmessenleitung in Leipzig vielleicht auch mal irgendwann einsehen, dass ein Tsunami aus asiatischen Bootleg-Ramschbuden vielleicht nicht unbedingt die wünschenswerteste Kulisse für einen gattungsübergreifenden Comicbereich ist.

All das sind so Punkte, wo ich mich immer wieder frage, warum man sich nicht einfach mal einig sein kann, sich uneinig zu sein, und trotzdem für dieselben Ziele einzustehen. Die deutschsprachige Comicszene ist einfach viel zu klein für diese ganzen Zersplitterungen und Anfeindungen. Comics zu intellektualisieren oder in anderer Form zu spezialisieren, bevor es überhaupt einen Massenmarkt gibt, von dem man sich abheben kann, kann auf Dauer nicht gutgehen.

Und damit ich auch mal was Konstuktives schreibe - ich denke, auf drei Ebenen könnte man die deutschsprachige Comiclandschaft gemeinschaftlich stärken:

- auf der intellektuellen Ebene durch einen weiteren Ausbau der ComFor (und bitte mal etwas frischere Themen als zum tausendsten Mal "Comics und Politik")

- auf Szeneebene mit mehr gattungsübergreifenden Veranstaltungen für die ganze Szene jenseits von Erlangen (und auch in Erlangen ein Ablegen von normativen Vorurteilen gegenüber amerikanischen Mainstream-Comics und Manga)

- auf Verlagsebene zum Beispiel durch einen gemeinsamen Lizenzkatalog sämtlicher aktuellen deutschsprachigen Eigenproduktionen für potentielle ausländische Lizenznehmer. So wie sich aufkommende Filmnationen wie beispielsweise Korea auf internationalen Filmmärkten als Filmländer mit ihren sämtlichen Lizenzen präsentieren (und das einige Comicländer wie Taiwan ja auch auf der Frankfurter Buchmesse machen), könnte man so auch das deutschsprachige Europa im Ausland wahrnehmbar werden lassen.
Im zweiten Schritt gäbe das vielleicht auch mal irgendwann Fördergelder, wenn irgendwann noch oben durchsickert dass es so etwas wie einen aufblühenden deutschen Comic gibt, der auch nach und nach im Ausland wahrgenommen wird. Genügend vorzeigbare heimische Künstler haben wir dafür ja mittlerweile, quer durch alle Gattungen.

Sollte das alles mal irgendwann möglich sein, könnte an in einem nächsten Schritt auch mal über ein Comic-Europa nachdenken. Aber beim gegenwärtigen Stand der deutschen Szene werden es immer nur Einzelkämpfer sein, die vielleicht mal auf internationaler Ebene agieren. Und die haben da natürlich viel weniger Möglichkeiten.
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