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Alt 14.09.2012, 19:02   #2117  
michidiers
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BLUTPRINZESSIN



von: Max Cabanes, Patrick Manchette und Doug Headline

Inhalt: Florida 1950 - Drei Männer entführen die siebenjährige Nichte Alba des internationalen Waffenhändlers Aaron Black. Ein Lösegeld wird nie gezahlt, die Entführung endet in einem Blutbad und in einem Haus am Meer findet man mehrere Leichen. Alba und einer der Entführer sind verschwunden - die Welt vergisst. Aber im Hintergrund arbeitet eine ganze Maschinerie von Geheimdiensten und Lobbyisten weiter, bis das Mädchen eines Tages wieder auftaucht…

Diese Romanadaption eines Politthrillers, wenn man es überhaupt so nennen kann, istbislang meine Comic-Überraschung des Jahres. Nach seinem Tod hinterließ der Romanautor Jean-Patrick Manchette „Blutprinzessin“ als halb fertig gestelltes Romanfragment (Blutprinzessin - La princesse du sang, 1996). Der französische Zeichner Max Cabanes und Doug Headline (Manchettes Sohn, soweit mir bekannt) setzten mit Hilfe hinterlassener Arbeitsnotizen die Geschichte fort und entwickelten nach einem atemberaubenden Showdown ein würdiges Ende, welches wahrlich zum Nachdenken anregt.

Blutprinzessin ist ein verschachtelter Politthriller mit Elementen aus klassischen Abenteuerromanen. Er verbindet reale Ereignisse dieser Zeit, Kuba, Castro, Algerienkonflikt, Aufstand in Ungarn, geschickt mit fiktiven Personen, Agenten, Geheimdiensten, Killern, Milizen, Staatsstreichen, schönen Frauen, politischen Aufständen. So verschlungen die Handlung ist, so lakonisch ist am Ende die Lösung und heute, 60 Jahre nach den Ereignissen frage ich mich, was die Welt ohne die Machenschaften und Intrigen der Geheimdienste wohl heute wäre? Vielleicht dieselbe, eine schlechtere oder eine bessere? Das damalige Tagesgeschehen war für die um Macht und Einfluss ringenden Geheimdienste brandaktuell und wichtig, heute sind es nicht mehr als Randnotizen der Geschichte, eher für das Altpapier geeignet.

Der komplexen und verschlungenen Handlung stehen die glasklaren Zeichnungen gegenüber, gut strukturierte Bilder und klare Seitenaufteilungen. Rückblenden sind dagegen mit schmutzigen Farbfiltern bearbeitet. Viele Ebenen tummeln sich übrigens in der Geschichte, neben den zeitlichen Ebenen finden sich viele „Metaebenen“, die Raum für Spekulationen und eigene Gedanken lassen. Das sowohl in Hinblick auf die gewollten Handlungslücken, die geschlossen werden wollen, als auch die Aspekte, die zum Nachdenken und Interpretieren anregen.

Aber lest es eventuell selbst. Wer sich auf dieses Leseabenteuer einlässt, der wird es am Ende vielleicht merken, welch wenig beachtetes, fast schon avantgardistisches Kunstwerk hier vollkommen am Mainstream und an fast uns allen vorbeigegangen ist.
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