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Alt 05.04.2011, 17:10   #1  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Standard Gilgamesch Epos als Graphic Novel

Die Graphic Novel ist vom Konzept her an die Serien des (neuen) Splitter-Verlags angelehnt, sprich: zunächst fertigte Burkhard eine zwölfteilige Reihe im großen Albumformat an, was natürlich einige Jahre in Anspruch genommen hat. 2011 erschien die Gesamtausgabe dann in etwas kleinerem Format unter dem Label "Graphic Novel". Die fast 400 Seiten sind überwiegend schwarzweiß gestaltet, aufgelockert durch eine kurze Farbstrecke. Die ergänzenden Begleittexte sind erfreulich kurz gehalten (weniger als 0,3% der Seiten!): Eine ein doppelseitiger Artikel im Lexikonstil weist auf den historischen Hintergrund hin und liefert eine Inhaltsangabe des Epos; auf der letzten halben Seite verweist Pfister auf die benutzte Ausgabe seiner Vorlage und gibt einen lakonischen Einblick in seine Werkstatt. Im Impressum wird darauf hingewiesen, daß das gesamte Buch in Handarbeit hergestellt wurde - preislich ist es dennoch vergleichsweise günstig (gebunden, Fadenheftung).

Pfister nutzt verschiedene Techniken, um die überwiegend schraffierten Figuren von den aquarellierten Kulissen abzuheben. Neu eingeführte Figuren und wichtige Orte werden in Porträts meist beim ersten Auftritt vorgestellt.
Vorher kannte ich den Mythos in der Übersetzung von Raoul Schrott (als Hörspiel), die ziemlich detailliert und plastisch ist; Pfisters Vorlage eines Assyrologen ist dagegen ziemlich schlicht, was zu einer der drei Ebenen allerdings vorzüglich paßt - der modernisierten. Pfister verlangt viel von seinem Publikum, zumal die Gestaltung erheblich von klassischen Comics abweicht: Splash Panels bestimmen wie Filmstandbilder das Geschehen, die Sequentialität ergibt sich eher im großen Umfang. Hinzu kommen die (eben angesprochenen drei Ebenen):
Einerseits modernisiert er den Inhalt, indem er zum Beispiel aus Uruk eine Metropole mit Hochhäusern und Autos macht, die zugleich zeitlos wirken, weil klare Modelle nicht erkennbar sind. Die hauptsächlich mit Körperkraft arbeitenden (ausschließlich) Männer wirken deswegen leicht verstaubt, eine Mischung aus "Realem Sozialismus" und 19. Jahrhundert.
Dann gibt es die Ebene mit den Göttern in antiken Gewänden (mehr oder minder freizügig), und schließlich finden sich Abbildungen von Tontafeln, auf denen der Mythos beruht (im Stil von Buchillustrationen).

Wegen der Komplexität ist es ein Band für ältere Jugendliche und Erwachsene, die außerdem an experimentellen Erzählformen Gefallen finden müssen.
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