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Alt 22.01.2009, 10:38   #325  
michidiers
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Aus gegebenem Anlass:

Schön, dass ich nach so langer Zeit langsam aber sicher immer mehr über Marvel hinaus in Richtung Vertigo schaue und ich bei einer Verlosung ein passendes Losglück hatte. Wäre mir doch sonst glatt die Serie „Invisibles“ völlig an mir vorbeigegangen.

Ohne kleinstes Vorwissen konnte ich unvoreingenommen an diesen 324-Seiten-Wälzer herangehen. Und es sollten einige völlig neue Comicerfahrungen auf mich warten. Zunächst war der Erzählstil Morrisons allerdings recht verwirrend. Insbesondere dann, wenn es um unbekannte mystische Namen und Orte ging, die nicht weiter erläutert wurden und deren Herkunft wohl nur aus dem Geiste Morrisons entsprangen. Und da ist nach meiner Auffassung die einzige Schwachstelle des Comics.

Nach einiger Zeit hatte ich mich dann auf Morrisons ungewöhnlichen Schreibstil eingestellt und die Story als solche dann auch recht gut verfolgen können. Ein Lob an dieser Stelle soll auf jeden Fall an Panini gehen, die die Story nicht zerstückelt, sondern leserfreundlich in einem fetten Monster präsentiert.

Die Story an sich hat es echt in sich und bringt sicherlich viele neue innovative Ideen mit, die sicherlich in den nächsten Jahren von anderen Autoren immer wieder aufgegriffen werden. Schon alleine der Versuch einer grafischen Darstellung der „Klangfarben“ von Musik und LSD im Schädel von John Lennon war genial gelöst. Ja, und neben den Protagonisten sind die es besonders diese Personen des realen Lebens, die in Nebenrollen zu den heimlichen Stars des Comics avancieren. So treffen wir neben dem Beatle auf Jimi Hendrix, Lord Byron, Mary Shelley oder de Sade.

Der Comicgenuss selber wirkt tatsächlich wie ein Kater nach einer durchzechten Nacht, erst lange Zeit später nach dem Lesen erschloss sich mir (in dem Glauben bin ich zumindest) das Werk. Ich persönlich habe den Grundzug der Story für mich persönlich so aufgenommen, dass die Invisibles einen wohl schon Jahrhunderte alten Kampf mit einer Gegenmacht austrägt. Auf der einen Seite das freie Denken, die Aufklärung aber auch die Fantasien oder Begehrlichkeiten des Geistes der sich wandelnden Gesellschaften. Und auf der anderen Seite eine Gegenmacht, die dieses freie Denken, aus welchen Gründen auch immer, zu unterdrücken versucht. Es wirkt mit fast so, als wenn Morrison beinahe autobiografisch aus seinem kreativen Geiste eigene Begehrlichkeiten und Fantasien und die Unterdrückung dieser Begehrlichkeiten wegen gesellschaftlicher oder persönlicher Moralvorstellungen gegeneinander antreten lässt.

Seien es Begehrlichkeiten wie die Gier nach Geld und Macht, sexuelle Begierden und Freiheiten, die literarische Befreiung von alten Werten, alles wird auf die eine oder andere Art und Weise mit verarbeitet (Fankenstein, Die 120 Tage von Sodom, Marquis de Sade, Beatles, Jimmy Hendrix). Und nicht nur deren Drang nach Befreiung, sondern auch deren Unterdrückung und negativen Ausartungen, wie es in Zeiten der französischen Revolution oder bei den „120 Tagen von (So dumm) Sodom“ der Fall war.

Dass die Invisibles auf dieser Seite kämpfen, leuchtet durch die Besetzung dieser Agentenzelle schnell ein: ein jugendlicher Aufwiegler, eine Transe, eine Schwarze, King Mob mit SM-Outfit und eine clownähnlich geschminkte Frau. Auf der anderen Seite, die unveränderliche konservative Aristokratie in Jagdkleidung auf der Hatz nach dieser Veränderung…

Naja, diese „Interpretation“ alles entspringt meinem eigenen (recht bescheidenen) Geiste. Aber so hat das Comic nach einigen Tagen auf mich gewirkt. Auch wenn diese in die völlig falsche Richtung gehen sollte und ich hier gerne eines Besseren belehrt werde, so hat dieses Comic etwas erreicht, was kaum ein anderes schafft. Es regte mich noch lange nach dem Lesegenuss zum Nachdenken und Überlegen an…

Für Interessierte siehe auch:
http://www.comicguide.de/index.php/c...=long&id=94435

Geändert von michidiers (22.01.2009 um 13:16 Uhr)
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