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Nafi ibn Azraq 21.06.2021 09:48

Digedag und das Scheitern als erzählerischer Erfolg
 
Wie einige von euch wissen, fasziniert mich weiterhin die Erzählung der Digedag-Abenteuer in der Runkelserie. Ich weiss auch nicht, ob das Thema schonmal in einer Fanpublikation eingehend besprochen wurde; wenn ja, mögt ihr mir verzeihen, dass ich es hier nochmal aufbringe.
Ich habe mich gefragt, warum gerade die Digedagabenteuer in der Runkelserie so eine Faszination bei mir auslösen und bin darauf gekommen, dass sie letztlich viele Erzählungen des tragischen Scheitern sind: Digedags heroische Bemühungen um den Erhalt Monticulis und der Untergang der Stadt, sein Eintreten für seinen Hammel Cäsar und dessen Schlachtung sowie Digedags Einkerkerung, sein Sieg beim Wagenrennen und die Flucht und der Verlust des Pokals. Im Gegensatz dazu enden die meisten Abenteuer der Abrafaxe (Dalmatien und Österreich-Ungarn möchte ich hier explizit ausnehmen) mit einem Happy-End, was erzählerisch vielleicht im ersten Moment befriedigender ist, aber auch langweilig. Das tragische Scheitern verbindet uns dagegen viel stärker mit einem Protagonisten, das Mitgefühl für den Helden und der Zorn über die Ungerechtigkeit der Weltläufte beschäftigen uns über das Ende der Geschichte hinaus.
Ich fand in dieser Hinsicht auch das Ende der Runkel- und Amerikaserie unbefriedigend, weil am Ende alles eitel Sonnenschein ist. Gute Geschichten leben aber eben davon, Konflikte nicht aufzulösen, sondern höchstens temporär zu vertagen oder den Helden mit immensen Verlusten zurück zu lassen.

Lange Rede, kurzer Sinn oder tl;dr: Ich fand die Geschichten der Digedags und Abrafaxe immer dann am besten, wenn die Geschichten nicht komplett hin zu einem Happy End auserzählt wurden, sondern unsere Helden Getriebene blieben und maximal ihre Haut retten konnten.

Ich wünschte mir, dass diese existentielle Erfahrung auch in den heutigen Serie wieder angesprochen würde. Was, wenn Pittipak niemals seine Eltern wiedersähe? Wenn die Abrafaxe zwar wiedervereint, aber vor einem deutschen Militärtribunal landeten und in letzter Minute durch ein Zeittor gingen? Das war immerhin etwas, was die Johannaserie gut gemacht hat; zwar haben die Begleitpersonen vorher ein Happy-End gefunden, aber zumindest die Abrafaxe mussten fliehen.

Nante 21.06.2021 10:01

"Was, wenn Pittipak niemals seine Eltern wiedersähe?"

Zwei relaxte Eltern und eine Hausse in der Süßigkeitenindustrie? - Sorry, das Wetter macht mich irgendwie bösartig.

Etwas ernsthafter: Bei Digedag bestand ja der Zwang, daß er sich sowohl in der Zeit als auch in der Distanz ständig fortbewegen mußte, um irgendwann bei Kublai Khan zu landen. Da hätten Happy End's gestört.

Bei den Abrafaxen ist es bei bei der heute offensichtlich angepeilten Zielgruppe wahrscheinlich zwingend erforderlich, daß am Ende ALLE "Guten" glücklich und zufrieden sind; - und sei es erst auf der letzten von 864 Seiten.

Chouette 21.06.2021 11:01

Zitat:

Zitat von Nafi ibn Azraq (Beitrag 709803)
Im Gegensatz dazu enden die meisten Abenteuer der Abrafaxe (Dalmatien und Österreich-Ungarn möchte ich hier explizit ausnehmen) mit einem Happy-End

Und genau das ist eben für die Dräger'schen Hefte nicht richtig.
Du hast ja selber schon Dalmatien und Ö/U ausgeklammert. Wenn wir uns den Rest anschauen, dann sehen wir folgendes:

- Das Ö/U-Kapitel endet streng genommen mit Heft 8/80 und dem Rausschmiss beim Lui 14, wodurch der Kuruzen-Aufstand zum Scheitern verurteilt ist. Das folgende kurze Kapitel endet mit der Flucht der Faxe zusammen mit Pierrots Truppe und den Kamisarden über die Pyrenäen. Definitiv kein Happy End.

- Danach kommt kommt das Don-Ferrando-Abenteuer, das zwar zwei Kapitel-Happy-Ends aufweist (Don Alfonso, Hakimstochter), dessen Ende aber ein Scheitern auf ganzer Linie zelebriert: Die Flasche ist verschütt, die Fischer und die Faxe im falschen Jahrhundert gefangen.

- Das lange Alex-Kapitel funktioniert genau so: Zwei Teil-Happy-Ends (erst Alex' Hochzeit mit Roxane, dann die Rehabilitierung des Brahmanen); das Ende des Kapitels um die goldene Säule war ganz speziell (der dem Wahnsinn verfallene Krishna Ghaunar), außerdem wird das Happy-End um die Hochzeit von A+R wieder negiert, und das letzte Kapitel (Orang Laut) lässt gar einen gebrochenen Freund zurück. Das Ende war zumindest für mich genau so deprimierend wie das des Harlekin-Abenteuers.

Dräger mochte also tatsächlich keine Happy Ends, zumindest keine uneingeschränkten. Da schwang immer was mit. Erst danach trifft deine oben zitierte Einschätzung sehr häufig zu. Insofern haben wir wohl auch die Erklärung für die Digedag-Episoden gefunden: Das war halt typisch Dräger. Man hätte bei ihm niemals sicher auf ein Happy End wetten wollen.

Chouette 21.06.2021 11:09

Zitat:

Zitat von Nafi ibn Azraq (Beitrag 709803)
Ich wünschte mir, dass diese existentielle Erfahrung auch in den heutigen Serie wieder angesprochen würde. Was, wenn Pittipak niemals seine Eltern wiedersähe? Wenn die Abrafaxe zwar wiedervereint, aber vor einem deutschen Militärtribunal landeten und in letzter Minute durch ein Zeittor gingen? Das war immerhin etwas, was die Johannaserie gut gemacht hat; zwar haben die Begleitpersonen vorher ein Happy-End gefunden, aber zumindest die Abrafaxe mussten fliehen.

Das kann ich nur unterschreiben. Aber alles andere als ein glückliches In-die-Arme-Fallen mit blauem Blitz würde mir die Kinnlade vor Überraschung runterklappen lassen. Und da haben wir auch das Problem, denn auf dieses Ende hätte ich schon nach Lektüre des ersten Heftes der Serie gewettet, und mit mir wohl mindestens 99% der Abrafaxe-Leser.

Max schwalbe 28.06.2021 11:57

Allein die Tatsache zu wissen, dass die Abrafaxe am Ende immer heile durchkommen werden, ist sehr viel happiness... der Rest kann da gern dramatischer ausfallen. Sehe ich auch so. Und das trifft meiner Erfahrung nach auch auf den Eindruck zu, den Kinder als Leser haben.

Meinem Sohn habe ich gar unzutreffenderweise die Geschichte so erzählt, dass die Digedags-Abenteuer damit enden, dass sie im Weltraum zugrundegehen ("Alarm in der Raumstation"). seither findet er auch die Abrafaxe-Geschichten spannender, weil er sich ernsthaft drum besorgt, dass auch sie endgültig scheitern könnten.

Dabei bietet gerade das scheitern ideale Bedingungen, um einen Szenario-Wechsel oder auch einen wundersamen Zeitsprung einzufädeln, der in eine andere Epoche führt. Es muss ja nicht gleich unmissverständliches Illustrieren des Sterbens und einem neuen Leben danach sein, wie bei den Brüdern Löwenherz. Da könnte man viel mit Symbolik arbeiten. Teilweise wurde das schon sehr gelungen umgesetzt, stimme aber zu dass man sowas eher in den Vorwende-Heften finden konnte/kann.


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