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Servalan 31.07.2016 09:46

Kunst machen in Filmen und Serien
 
Einen gewissen Einblick in den Kunstbetrieb sollen die vorgestellten Titel schon vermitteln. Spektuläre Kunstdiebstähle oder eingestreute Namen, um eine kleine Szene aufzupeppen, reichen nicht aus.
Ob die Künstlerinnen gelebt haben oder nur ausgedacht worden sind, spielt keine Rolle. Im Beitrag werden die einzelnen Aspekte genannt, die verhandelt werden, und der Status der jeweiligen Figur.

Zum Beispiel:

Arvingerne / The Legacy / Die Erbschaft
(Dänemark 2014-2017), 3 Staffeln in 26 Episoden, DR1 mit NRK, SVT, Ríkisútvarpið, YLE
  • Veronika Grønnegaard (Erblasserin), weltweit berühmte (fiktive) dänische Bildende Kunstlerin und Bildhauerin
  • Thomas Konrad (Ihr 2. Ehemann), Avantgardemusiker in starken Performance-Elementen
  • Gro Grønnegaard (1. eheliche Tochter), Kunsthistoriker und Galeristin, will eine Stiftung aus dem Erbe gründen und den Gutshof zum Museum umbauen, hat einen Kunstpreis in Kopenhagen ins Leben gerufen
  • Robert Eliassen (norwegischer Galerist), mit Gro befreundet, unterstützt Gro bei der Gründung der Stiftung und des Museums

Servalan 31.07.2016 09:53

Van Gogh (Frankreich 1948), Regie: Alain Resnais, Drehbuch: Gaston Diehl und Robert Hessens, 20 min

Anhand seiner Gemälde wird das Leben Vincent Van Goghs (1853–1890) erzählt.



Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft / Lust for Life (USA 1956), Regie: Vincente Minelli, Drehbuch: Norman Corwin und Irving Stone nach dem Roman von Irving Stone, 122 min, FSK: 12

Filmbiographie Vincent van Goghs von seiner Entscheidung, Maler zu werden, bis zu seinem Selbstmord.


Vincent & Theo (USA 1990), Regie: Robert Altman, Drehbuch: Julian Mitchell, 138 min (Kinofassung) bzw. 200 min (Fernsehfassung)

Schildert die Beziehung Vincent Van Goghs zu seinem Bruder, dem Kunsthändler Theo Van Gogh, von 1883 bis zu Vincents Tod 1891. Im Prolog erzielt sein Gemälde bei einer Auktion von Christie's 1987 einen Wert von 4 Mio Pfund, damals das teuerste Gemälde der Welt.


Van Gogh (Frankreich 1991), Drehbuch und Regie: Maurice Pialat, 158 min

Erzählt die letzten drei Monate Vincent Van Goghs von seiner Ankunft am Bahnhof von Auvers-sur-Oise bis zu seiner Beerdigung.

Servalan 31.07.2016 10:39

Die schöne Querulantin / La Belle Noiseuse (Frankreich 1991), Regie: Jacques Rivette, Drehbuch: Pascal Bonitzer, Christine Laurent und Jacques Rivette nach der Erzählung Das unbekannte Meisterwerk von Honoré de Balzac, 125 min (Divertimento bzw. Kurzfassung) bzw. 229 min

Edouard Frenhofer (fiktiv) betreibt seine Malerei in einem alten Schloss in der Provence. Im Fokus steht die Beziehung zwischen Maler (altem Mann) und Modell (junger Frau), konzentriert auf fünf Tage. Das Meisterwerk bleibt unbekannt, weil Frenhofer den Akt zwar vollendet, aber in den Mauern seines Schlosses versteckt.

Servalan 31.07.2016 14:26

Pollock (USA 2000), Regie: Ed Harris, Drehbuch: Barbara Turner und Susan J. Ernshwiller, 123 min, FSK: 12, JMK: 10

Jackson Pollock (1912-1856) ist 1941 verbittert, weil ihm der Durchbruch bisher nicht gelungen ist. In dem Jahr lernt er auf einer Vernissage die Künstlerin Lee Krasner (1908-1984) kennen, die sich zwar in den neuesten kunstheoretischen Entwicklungen auskennt, sich als Frau auf dem Kunstmarkt keine Chancen ausrechnet. Unter Pollocks Einfluß löst sie sich von der figurativen Malerei.
Weil Jackson Pollock jedoch mehr Talent hat als sie, zieht sie sich aus ihrer eigenen künstlerischen Tätigkeit zurück und beschränkt sich darauf, Pollock zu fördern.
Eine Schlüsselsequenz zeigt Pollock, wie er aus einem Patzer (Farbe tropft auf ein Bild am Boden) sein Markenzeichen des Drippings (eine Art des Action-Painting) entwickelt - sein Spitzname lautet fortan "Jack the Dripper".
Als Peggy Guggenheim seine Werke in ihrer Galerie Art of This Century in Manhattan ausstellt, entdecken ihn Markt und Medien, so daß ihm das Life Magazine als "wichtigsten Künstler" bezeichnet.
1945 hatte er seine Muse Lee Krasner geheiratet, aber er betrügt sie wiederholt und trinkt. Pollock spürt den Erfolg als Druck, dem er nicht gewachsen ist. Die Filmbiographie endet am 11. November 1956, als Pollocks alkoholisierte Rückfahrt mit seiner Geliebten für ihn tödlich endet.

Servalan 31.07.2016 14:59

Camille Claudel (Frankreich 1988), Regie: Bruno Nyutten, Drehbuch: Reine-Marie Paris, Bruno Nuytten und Marilyn Goldin, 168 min, FSK: 12

Die Malerin und Bildhauerin Camille Claudel (1864-1943) war die Schwester des Dichters Paul Claudel (1868-1955).
Die Filmbiographie beschränkt sich auf Claudels künstlerisches Schaffen. Folgerichtig beginnt er, als Camille 1883 in das Atelier des damal 43 Jahre alten Auguste Rodin (1840-1917) eintritt. Das Verhältnis des Meisters zu seiner Schülerin verwandelt sich in eine Liebesbeziehung, während Rodins monumentale Skulpturen entstehen. Als Camille merkt, daß Rodin seine Frau nie verlassen wird, bricht sie mit ihm und zieht in eine billige Souterrainwohnung.
Ihr künstlerisches Schaffen schwankt zwischen einem unbändigen Schöpfungsdrang und einem Gefühl ihrer Unzulänglichkeit. In diesen Phasen zerstört sie ihre Werke. Am 2. März 1913 stirbt ihr Vater. Kurz darauf lassen sie ihr Bruder Paul und ihre Mutter in eine psychiatrische Anstalt einwiesen - womit der Film endet.

Servalan 31.07.2016 15:30

Andrej Rubljow / Андрей Рублёв (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken 1966), Regie: Andrei Tarkowski / Андрей Арсеньевич Тарковский, Drehbuch: Andrei Kontschalowski | Андрей Сергеевич Михалков-Кончаловский und Andrei Tarkowski, 185 min

Im Mittelpunkt des Films steht der Ikonenmaler Andrei Rubljow / Андрей Рублёв (ca. 1360-1430) der russisch-orthodoxen Kirche.
Tarkowski zeichnet in seinem Bild ein düsteres Bild des russischen Mittelalters, in dem Tartarenheere Landstriche verwüsten und religiöse Sekten durch die Gegend streifen, weil sie vor der Obirgkeit fliehen.
Wie seine Begleiter Danila und Kirill ist Andrej Rubljow ursprünglich ein Mönch im Andronikow-Kloster. Die drei Mönche brechen auf, weil Andrej vom berühmten Theophanes, dem Griechen (ca. 1330 - ca. 1410) das Handwerk des Ikonenmalens erlernen will, Die drei Mönche fristen ihr Dasein, indem sie Kirchen und Klöster mit Fresken versehen, was ausführlich dargestellt wird.
Tarkowski stellt das künstlerische Schaffen einerseits zwischen Vorformen wissenschaftlicher Experimente (Zu Beginn geht ein Heißluftballon in Flammen auf) und andererseits dem Handwerk, das auf überlieferten Rezepten und Techniken beruht, aber eine gehörige Portion Glück verlangt (Der Sohn eines Glockengießers bewährt sich bei seinem ersten Auftrag, kann es aber selbst kaum fassen).

Schlimme 31.07.2016 16:54

In der englischsprachigen Wikipedia kann man viel finden:

https://en.wikipedia.org/wiki/Catego...ional_painters

https://en.wikipedia.org/wiki/Catego..._about_artists

Servalan 31.07.2016 17:03

Klar, aber eine endlose Liste bringt wenig bis nichts.

Wenn es so klappt, wie ich mir das vorstelle, wird das nach und nach eine Art Einführung für Leute, die sich für Kunst interessieren und sich das Thema selbst erarbeiten wollen - quasi eine Einführung ohne akademische Protzerei.
Sie ist auch für Leute gedacht, die sich zur Abwechslung mal einen Künstlerfilm ansehen wollen.

Deshalb sollte im Post eine kurze Beschreibung stehen.
Der kleine Kommentar macht deutlich, daß der Schreiber des Beitrags den Film gesehen hat - und kein Namedropping betreibt.
Mir ist es lieber, wenn die Liste langsam wächst, die Posts aber fundiert sind.

Servalan 10.08.2016 16:30

Le Mystère Picasso / Picasso (Frankreich 1955), Drehbuch, Produktion und Regie: Henri-Georges Clouzot, 78 min

Der Franzose Henri-Georges Clouzot hat Filme gedreht, die Klassiker geworden sind: In Lohn der Angst transportieren Lastwagenfahrer, die nichts mehr zu verlieren habe, eine explosive Fracht durch den südamerikanischen Dschungel. Die Teuflischen Hauptfiguren in seinem gleichnamigen Film (nach dem Roman von Boileau/Narcejac) befinden sich in einen Liebes- und Eifersuchtsdreieck aus zwei Frauen und einem Mann, das in einer bitterbösen Pointe kulminiert.

Clouzots Dokumentarfilm über Pablo Picasso ist natürlich eine Inszenierung für den Meister, ein Hochamt für ein künstlerisches Genie. Vor der Kamera deckt eine Leinwand das Blickfeld ab. Im Zeitraffer sieht das Publikum, wie der Pinsel Picassos über die zunächst leere Fläche huscht. Hier und da entstehen Figuren und kleine Kompositionen, aber solange Picasso nicht zufrieden ist, übermalt er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Nach und nach entstehen auf diese Weise 20 Gemälde.

Der Film lief zweimal auf dem Filmfestival in Cannes: 1956 erhielt er den Spezialpreis der Jury, 1982 lief er außer Konkurrenz.

Servalan 23.08.2016 15:29

The Fountainhead / Ein Mann wie Sprengstoff (USA 1949), Drehbuch: Ayn Rand nach ihrem gleichnamigen Roman Der ewige Quell (1943), Regie: King Vidor, 114 min

Ayn Rand ist die Säulenheilige der Extremlibertären, und ihr Roman über einen Architekten zählt mit einer Auflage von über 6,5 Millionen Exemplaren zu den Longsellern. Rand feiert Künstler und Unternehmer als bessere Herrenmenschen, die sich über gewöhnliche Gesetze hinwegsetzen dürfen sollten, denn der Plebs wird als dumm und stumpf verachtet.
Obwohl Rand als vehemente Predigerin des "Show, don't tell!" unter anderem von Vince Gilligan (Breaking Bad) bewundert wird, ist der Roman für das überlange Plädoyer seines Helden am Ende (10 eng bedruckte Seiten) berüchtigt.

1922 versiebt der Architekturstudent Howard Roark sein Examen an der Hochschule, weil er die konventionellen Prüfungen verachtet, die sich an vergangenen Epochen orientieren und die Möglichkeiten moderner Baustoffe (Zement, Glas, Plastik) nicht erkennen wollen.
In den nächsten 20 Jahren wirkt Roark teilweise als Pionier, muß aber immer wieder heftige Rückschläge (auch finanzieller Art) inkaufnehmen.
Dennoch bleibt er stur und ordnet sich niemandem unter, sondern tut, was er für richtig hält.

Angelpunkt der Story in Film und Roman ist der Bau eines Hochhauses in New York City. Als sich der Bauherr über Roarks Pläne hinwegsetzt, schleicht sich Roark nachts auf den leeren Bau und sprengt ihn.

Ayn Rand hat den fiktiven Howard Roark erkennbar an den Architekten Frank Lloyd Wright (1867-1957) angelehnt. Der jüdische Architekturkritiker Ellsworth Monkton Toohey wurde von Harold Laski (1893-1950), Lewis Mumford (1895-1990) und Clifton Fadiman (1904-1999) inspiriert.

Servalan 13.09.2016 17:20

Basquiat (USA 1996), Drehbuch: Lech Majewski, John F. Bowe und Julian Schnabel, Regie: Julian Schnabel, 102 min (deutsche Fassung) bzw. 106 min, FSK: 12

Julian Schnabel ist selbst ein bildender Künstler und wählte für sein Filmdebüt das Leben eines anderen Künstlers, Jean-Michel Basquiat (1960-1988).

Basquiat war der Sohn eines Haitianers und einer Puertoricanerin, der in der Lower Eastside des Big Apple aufwuchs. Wie Keith Haring gehörte er zur wilden Graffitti-Szene in New York City. Aufgrund seines frühen Todes an einer Überdosis Koks-Heroin ("Speedball") zählt der schwule (oder bisexuelle) Basquiat zu den Popstars des legendären Club 27. Von Selbstzweifeln zerfressen, hatte er Angst davor, wie seine Mutter in der Psychiatrie zu enden.
Nachdem ihn 1976 das Stadtmagazin Village Voice featurete, gelang ihn der Durchbruch: eine legale Karriere in Galerien und der Künstlerszene. Besonders Andy Warhol und seine Factory gaben ihm seelischen Halt. Warhols Tod machte in verwundbar, so daß das Verhängnis seinen Lauf nehmen konnte.

Schnabels Biopic ist etwas Besonderes, nicht nur weil Schnabel sich gewisse poetische Freiheiten erlaubt. Der Film lief auf dem Filmfestival von Venedig und gilt als erster Film eines Bildenden Künstlers, der kein Verlustgeschäft war. Neben Julian Schnabel treten noch sein Vater, seine Mutter und seine Tochter als Familie des fiktiven Albert Milo auf.

Schnabel gelang das mit einer prominenten Besetzung: David Bowie (als Andy Warhol), Dennis Hopper, Gary Oldman, Christopher Walken, Benicio del Toro, Parker Posey, Courtney Love, Tatum O'Neal, Willem Dafoe ... der Soundtrack mit Songs von Iggy Pop und David Bowie bis zu Tom Waits, Jim Cale und Peggy Lee triggert Erinnerungen.

Servalan 15.09.2016 18:46

Alles Schwindel (Österreich / Deutschland 2012), Drehbuch: Uli Brée, Rupert Henning und Gabriel Castaneda Senn, Regie: Wolfgang Murnberger, 88 min

Dreh- und Angelpunkt der Komödie ist Gustav Klimts (1862-1918) berühmtes Gemälde "Der Kuss" (1908/09), das in einem Wiener Museum hängt.

Als das Gemälde gestohlen wird, beginnt der Ärger. Museumswärter Albert Wolf bemerkt den Diebstahl und bekommt einen Herzinfarkt. Denn er weiß, dass das Bild im Museum eine Fälschung gewesen ist, weil sie von ihm stammt. Das Original versteckt in seinem Schlafzimmer.
Das Bild ist eine Dauerleihgabe der hochherrschaftlichen Grafenfamilie von Hohensinn, die allerdings bis zur Halskrause verschuldet ist. Onkel Nicki will die Bilanzen durch das Mafiageld eines usbekischen Adoptivsohns ausgleichen, wodurch er dessen Adoptivvater, den Grafen Leopold von Hohensinn, in die Bredouille bringt. Als Leopold erfährt, dass das Werk 100 Millionen Euro wert ist, glaubt er, endlich aus dem Schneider zu sein.
Aber das Museum ist leider nicht versichert ...

Trotz der vorzüglichen Besetzung (Ursula Strauss, Benno Fürmann, Bibiana Zeller, Udo Samel, Karl Fischer) gehört diese klassische Komödie zu den schwächeren Werken von Wolfgang Murnberger. Obwohl der Kunstbetrieb zwischen Kujau und Beltracchi gut getroffen ist, sind die Figuren zu überkandidelt. Manchmal läuft die Geschichte leider im Leerlauf. Ich hatte das Gefühl, hier wurde ein gescheitertes Theaterprojekt verwurstet.
Leider keine Schtonkiade! Schade.

Servalan 15.09.2016 19:12

Goya en Burdeos / Goya (Spanien / Italien 1999), Drehbuch und Regie: Carlos Saura, 106 min bzw. 102 min oder 99 min (gekürzte Fassungen), FSK: 12

Der Film konzentriert sich das Spätwerk des Malers und Graphikers Francisco Goya (1748-1828), besonders auf die Pinturas Negras (Le Pitture nere): Los Caprichos (1799) und I disastri della guerra (1810, erstmals 1863 veröffentlicht).

Durch die Napoleonischen Kriege und den sogenannten Befreiungskrieg auf der Iberischen Halbinsel (1807-1814) verfinstert sich die Weltsicht Goyas immer mehr, der schließlich im hohen Alter wie König Lear im Nachthemd durch die Straßen irrt.

Servalan 25.09.2016 14:47

The Draughtsman’s Contract / Der Kontrakt des Zeichners (Großbritannien 1982), Drehbuch und Regie: Peter Greenaway, 103 min (ursprüngliche Fassung ca. 180 min), FSK 16
  • englische Landschaftschaftsmalerei des späten 17. Jahrhunderts am Beispiel des fiktiven Mr Higgins
  • englischer Landschaftsgarten des britischen Landadels: Das aristokratische Ehepaar Herbert hat ihren Landsitz Compton Anstey in der Grafschaft Wiltshire (im Süden Englands) so angelegt, dass er wie eine natürlich gewachsene Landschaft aussieht - und nicht wie die geometrischen Parks im absolutistischen Frankreich. (Siehe auch den Englischen Garten in München)
Wie Julian Schnabel (siehe #11) ist Peter Greenaway ein Bildender Künstler, der mit Malerei anfing, aber dann rasch zum Dokumentar- und Experimentalfilm wechselte. Allerdings blieb der Erfolg bei Greenaway aus, weil das Publikum keinen Zugang zu seinen sperrigen Werken fand.
Mit Der Kontrakt des Zeichners gelang ihm endlich der Durchbruch.

Hier spielt Greenaway postmodern mit Genres, die sich am klassischen Erzählkino orientieren.
Die Herberts sind so stolz auf ihren idyllischen Landsitz, weshalb sie den Landschaftsmaler Mr Higgins engagieren, um die Idylle auf einen Zyklus von Leinwänden zu bannen. Bei dieser Gelegenheit erlebt das Publikum quasi live mit, welche Hilfsmittel der Maler beim realistischen, perspektivischen Zeichnen einsetzt.
Allerdings ist Mr Higgins von seiner eigenen Kunst derart gebannt, dass er erst zu spät merkt, welcher Fehler ihm unterlaufen ist: Sein Zyklus zeigt nämlich einen Mord, wodurch der Maler zu einem ärgerlichen Mitwisser geworden ist ...

In einem Pitch ließe sich der Plot zur Schlagzeile verdichten: Antonionis Blow Up wird mit den Mitteln von Kubricks Barry Lyndon neu inszeniert - mit freundlicher Unterstützung von Agatha Christies Whodunits.

Servalan 27.09.2016 13:14

Niki de Saint Phalle: Wer ist das Monster – Du oder ich? (Deutschland / Schweiz 1995), Produktion, Drehbuch und Regie: Peter Schamoni, 93 min, FSK: 0

Peter Schamoni gehörte 1962 zu den Unterzeichnern des Oberhausener Manifests, die mit dem gewohnten Erzählkino radikal brechen wollte. Neben Spielfilmen inszenierte er fast vierzig Jahre lang immer wieder Dokumentarfilme, häufig über Künstler: Max Ernst, Friedensreich Hundertwasser oder Fernando Botero.

Die französisch-schweizerische Bildhauerin und Malerin Niki de Saint Phalle (1930-2002) wurde 2002 Ehrenbürgerin der Stadt Hannover. Seit 1974 stehen einige ihrer berühmten "Nana"-Skulpturen am Leibnizufer, wo sie mittlerweile zu einem Teil der Skulpturenmeile geworden sind. Wenige Tage nach ihrer Ehrung vermachte sie der Stadt einen Vorlaß von 400 Werken, die in einem Ergänzungsbau des Sprengelmuseums eine Dauerausstellung bekommen sollen.

Der Dokumentarfilm zeichnet die künstlerische Karriere der höheren Tochter aus einem der vornehmsten Adelsgeschlechter von ihren Anfängen nach, wodurch es zu einem Porträt eines Künstlerpaares wird.
Nike de Saint Phalle begann als Aktionskünstlerin und machte 1956 mit ihren Schießbildern Furore. Seit 1965 entstanden ihre übergroßen "Nanas", üppige weibliche Figuren in bunten Farben, in denen sie das Trauma verarbeitete, dass sie als Kind von ihrem Vater sexuell mißbraucht worden war.
In den frühen 1960er Jahren lernt sie den Schweizer Bildhauer und Maler Jean Tinguely (1925-1991) kennen und lieben, der sinnlose Maschinen konstruiert, bewegliche Plastiken als kinetische Kunst. 1971 heiraten die beiden.
Beide stellen mehrfach gemeinsam aus.

Servalan 30.09.2016 14:10

Русский ковчег / Russian Ark – Eine einzigartige Zeitreise durch die Eremitage (Russland / Deutschland 2002), Drehbuch: Anatoli Nikiforow, Boris Chaimski und Swetlana Proskurina, Regie: Александр Николаевич Сокуров / Alexander Nikolajewitsch Sokurow, 96 min, FSK: 0

Wegen seines künstlerischen Konzeptes ist dieser Dokumentarfilm mit Spielfilmelementen eine technische Meisterleistung und eine Pioniertat, die mit insgesamt acht Filmpreisen gewürdigt wurde.
Zum einen besteht der Film aus einer einzigen Einstellung, in der ein unsichtbar bleibender Erzähler durch sämtliche Säle der Sammlung geht und dabei historische Figuren aus 300 Jahren russischer Geschichte trifft.
Zum zweiten ist das der erste Film in HDTV, der komplett auf einer Festplatte gespeichert wurde. Probleme mit Akkus und dem begrenzten Speicherplatz stellten hohe Anforderungen an den Kameramann Tilman Büttner. (Der Ton wurde wegen des hohen Pannenrisikos nachträglich aufgenommen.)

Denn die Russische Arche ist das berühmte Kunstmuseum Eremitage im Winterpalast in Sankt Petersburg (gebaut 1711). Zar Nikolaus I. trennte am 17. Februar 1852 in einem feierlichen Akt organisatorisch den Winterpalast von der Eremitage-Gemäldesammlung. 2002 jährte sich dieser Festakt zum 150. Mal, was in Russland und der Kunstwelt entsprechend zelebriert wurde.

Schauspielerisch geht diese wunderbare Besichtigungstour in Richtung Re-enactment (wie bei Guido Knopps Zeitgeschichtsserien) oder Tableaux vivants (Lebenden Gemälden).
Das gemeinsame russisch-deutsche Projekt stammt aus einer Zeit, in der beide Staaten um Versöhnung bemüht waren und war in ein langwieriges Projekt der Provenizenzforschung eingebunden: Kunsthistorische Experten bildeten eine Kommission, die in den Jahrzehnten zuvor die rechtmäßigen Eigentümer bzw. deren Erben ermittelte, damit die Raubkunst zurückgegeben werden konnte.
Diese Provenienz betraf beide Seiten, sowohl die von Nazis geraubte russische Kunst als auch die von den russischen Besatzern geraubte Kunst aus deutschen Museen und Sammlungen.

Servalan 03.10.2016 15:41

Love Is the Devil: Study for a Portrait of Francis Bacon (Großbritannien 1998), Drehbuch und Regie: John Maybury, 91 min, FSK: 16

Der irische Francis Bacon (1909-1992) lebte zeitweise in Berlin und Paris, verbrachte aber die meiste Zeit in London. Wie sein Freund und Kollege Lucian Freud (1922-2011) verweigerte sich Bacon der Mode des westlichen Kunstmarkts, abstrakt und nichtfigurativ zu malen.
Der belesene Intellektuelle Bacon war von der Körperlichkeit, vom menschlichen Leib besessen, und stellte ihn in einer Weise dar, in der sich Schmerz und Schönheit zu einer verwickelten Einheit verbinden.
In mehr als einer Hinsicht entsprach er dabei Künstlerklischees: Zum einen liebte er Männer, zum anderen war er ein unsteter Spieler, der erst spät zur Malerei fand.

Der Film entstand für die BBC, lief aber auf Filmfestivals. In Edinburgh erhielt das Biopic drei Auszeichnungen: eine für das Best New British Feature, eine für den besten Haupdarsteller (Derek Jacobi als Francis Bacon) und die dritte für die beste Nebenrolle (der junge Daniel Craig als George Dyer). Darüber hinaus lief die Filmbiographie 1998 auf dem Internationalen Filmfestival in Cannes (in der Reihe "Un Certain Regard").

Die bildgewaltige Montage konzentriert auf die Beziehung zwischen dem Kleinkriminellen George Dyer und Bacon. 1964 bricht Dyer in einem Atelier in South Kensington ein, wodurch Bacon eher zufällig zu einem Modell und einer Muse kommt.
Zum ersten Mal war der Maler der Ältere in einer Beziehung, allerdings war auch Dyer ein Alkoholiker mit Borderline-Syndrom wie Bacon. 24. Oktober 1971 findet diese Liebe ihr plötzliches Ende, als Dyer mit einer Überdosis Barbiturate tot in einem Pariser Hotelzimmer aufgefunden wiurde. Eigentlich sollte er am nächsten Tag bei Bacons Vernissage seiner Retrospektive in der französischen Hauptstadt zu den Gästen gehören.

John Maybury stammt aus der schwulen Szene der britischen Hauptstadt. Neben kurzen Dokumentar- und Experimentalfilmen profilierte er sich in den 1980er mit Videoclips, unter anderem für Boy George. Sein berühmtester Clip ist Sinéad O'Connor's Hit Nothing Compares 2 U (1990 mit Lyrics von Prince). Außerdem stattete er die Filme von Derek Jarman aus.
Dietrich Kuhlbrodt (epd) rechnet es Maybury hoch an, dass er lieber einen optischen Bilderreigen statt einer platten Nacherzählung bietet:
Zitat:

Der Film entzieht sich jedoch dem Plakativen. Einander Verletzungen zufügen, das gäbe noch keine Auskunft über das, was Bild wird. Man möchte Maybury dafür umarmen, daß er nicht ins Ober-/Unterschicht-Drama abirrt, Sado/Maso-Riten vorzeigt, Psychologie betreibt. Der Film beläßt es beim narrativen Minimum, verstreuten Plot-Fragmenten. „Study für a Portrait of Francis Bacon" ist der Zweittitel.

Maybury versucht mit filmischen Mitteln einer Malkunst nahezukommen, die nicht erzählt, sondern fühlt, und die nicht repräsentieren, sondern Kräfte einfangen will. Sein malerischer, sensibler, ungestümer Film kommt dem Kraft-Maler Bacon näher als es dem gleichgesinnten Philosophen Gilles Deleuze gelingt, der die berühmte Studie zu Francis Bacon geschrieben hatte - aber naturgemäß aufs Wort rekurrieren mußte.

Servalan 30.10.2016 18:41

Fluß der Zeit / Rivers and Tides – Andy Goldsworthy Working With Time (Großbritannien / Deutschland 2001), Drehbuch, Kamera, Schnitt und Regie: Thomas Riedelsheimer, Musik: Fred Frith, 90 bzw. 92 min, FSK: ohne Altersbeschränkung

Die Kunstbände des Land Art-Künstlers Andy Goldsworthy (Jahrgang 1956) gehörten zu den Bestsellern bei Zweitausendeins. Der Brite Goldsworthy dokumentiert als Fotograf seine vergänglichen Skulpturen in faszinierenden Einstellungen.

Im Gegensatz zu Christo und Jean-Claude benutzt er dabei keine künstlichen Materialien (wie Plastik), vielmehr bedient sich aus dem, was die jeweilige Landschaft hergibt: Blätter und Äste, Steinbrocken und Eisschollen.
Seine nachhaltige Kunst variiert eines der ältesten kunstgeschichtlichen Motive: die Vergänglichkeit alles Lebendigen (Vanitas).

In Thomas Riedelsheimer hat er eine verwandte Seele gefunden, denn der verdient sich seine Brötchen als Kameramann und Cutter in der Filmbranche. Riedelsheimer kommt von der Kunst und wurde mit zahlreichen Preisen gewürdigt.

Durch das bewegte Bild gewinnt der künstlerische Prozeß Goldsworthys eine neue Dimension: Wenn auf der Leinwand das Eis langsam schmilzt, verwandelt sich die sonst abstrakte Zeit zu etwas Greifbarem.
Untermalt wird der Dokumentarfilm durch Free Jazz-Kompositionen von Fred Frith, der inzwischen Musikgeschichte ist.

Wer Kinder für Kunst begeistern will, dem empfehle ich Fluß der Zeit.

Servalan 04.11.2016 15:08

Jahrhundertprojekt Museumsinsel: 3sat begleitet die Arbeiten am Museumskomplex (Deutschland / Österreich / Schweiz 2001-2020), ursprünglich auf 10 Teile angelegte Dokumentarreihe über die Museumsinsel in Berlin, diverse Regisseure, Medienpartner sind ZDF und 3sat

Im Mittelpunkt steht die Museumsinsel in Berlin, auf der sich fonf Museen befinden: Das Pergamonmuseum, das Alte Museum und Neue Museum, das Bode-Museum, die Alte Nationalgalerie. Das Ensemble beherbergt weltberühmte Kunstschätze wie den Pergamonaltar und die Büste der Nofretete. Seit 2001 wird das UNESCO-Weltkulturerbe unter der Leitung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von Grund auf saniert und mit einem Masterplan unter anderem um das Humboldtforum ergänzt.

Bislang besteht die Reihe aus folgenden Filmen, die in den Reihen Kulturzeit (3sat) und Terra X (ZDF) ausgestrahlt werden:
  • 2001: Die Rückkehr der Großen Meister
  • 2002: Die neue Museumsinsel
  • 2003: In den Katakomben des Pergamonmuseums
  • 2004: Jahrhundertprojekt Museumsinsel
  • 2005: Nofretete und das Geheimnis von Amarna
  • 2006: Schatzkammer der Könige
  • 2006: Live von der Museumsinsel
  • 2007: Die verlorenen Schätze der Museumsinsel
  • 2008: Die 434 oder das Geheimnis des Bunkers
  • 2008: Die Welt auf einer Insel
  • 2009: Umbau abgeschlossen
  • 2010: Nachts allein mit Nofretete
  • 2011: Schätze des Islam
  • 2012: Der Mann, der Nofretete verschenkte
  • 2013: Unterwegs zu den Kulturen der Welt
  • 2014: Geheimnisvolles Turfan
  • 2015: Die Indianer kommen!
  • 2016: Ein Eingang für die Ewigkeit
Die Liste wird bei Bedarf auf den neuesten Stand gebracht.

Servalan 20.11.2016 19:33

Galathea. Das lebende Marmorbild (Deutschland 1935), Animation und Regie: Lotte Reiniger, 11 min
  • Scherenschnittfilm von einer der bedeutendensten Animationsfilmerinnen.
    Die Geschichte erzählt den griechischen Mythos des Bildhauers Pygmalion von Zypern, der schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht hat. Unbewußt meißelt er eine Frauenstatue, eben Galathea, in die er sich nach und nach verliebt.
    Berühmte Fassungen der Sage finden sich bei Ovid und Vergil.


  • Lotte Reinigers Kunst (Großbritannien ca. 1957), Regie: John Isaacs, Louis Hagen, Sprecher: Louis Hagen, 13 min
  • Ein Scherenschnittfilm entsteht - The Art of Lotte Reiniger (Großbritannien 1971), Regie: John Isaacs, 15 min
  • Tanz der Schatten (Deutschland 2012), Regie: Susanne Marschall, Rada Bieberstein, Kurt Schneider, 60 min
Dokumentarfilme über Lotte Reiniger und die Kunst des Scherenschnittfilms.

Servalan 14.12.2016 19:12

Caravaggio (Großbritannien 1986), Drehbuch: Derek Jarman, Suso Cecchi d'Amico und Nicholas Ward-Jackson nach einer Idee von Nicholas Ward-Jackson, Regie: Derek Jarman, 93 min, FSK: 12

Wer durch Milo Manaras Comicbiographie neugierig geworden ist und mehr über den Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610), den Begründer der Barockmalerei, wissen möchte, stößt früher oder später auf Derek Jarmans fiktionalisiertes Biopic.

Derek Jarman (1942-1994) kam über den Umweg Kunstgeschichte und Kunst ins Filmgeschäft. Er gehört zu den Ikonen des Low-Budget/No-Budget-Films, die mit den Erzählweisen Hollywoods bricht und finanzielle Schwächen in ästhetische Statements verwandelt.

Caravaggio liebte Männer. Dieser Umstand trug dazu bei, sich diesem Pionier realistischen Malens zu widmen. Durch die HIV/AIDS-Panik (in der Presse auch "Schwulenpest" genannt!) fand die konservative Regierung unter Margaret Thatcher einen Vorwand, um öffentliche Aufklärung von Schwulenverbanden zu behindern und zu unterbinden. Diese protestierten vehement gegen das Gesetz Clause 28, das im Mai 1988 verabschiedet wurde.
Jarman erfuhr 1986 von seiner HIV-Infektion. Zu dieser Zeit ein klares Todesurteil.

Caravaggio entspricht den Klischees einer Renaissancebestie. Obwohl er materiell von der Gunst seiner Gönner und Mäzene wie dem Kardinälen Del Monte und Scipione Borghese abhängig bleibt, schert sich nicht um Konventionen und folgt seiner künstlerischen Vision. Modelle seiner lebensechten Figuren sind Arme, Prostituierte, Diebe und Säufer, die er in religiösen Motiven verewigt, häufig als Märtyrer.
Sein hitziges Temperament entflammt sich bei geringsten Anlässen, Messerstechereien sind an der Tagesordnung ...

Jarman filmte in einem verlassenen Lagerhaus und spart sich die Kostüme. Intensität ist ihm wichtiger als ein platter Schauwert. Deshalb tragen die (heute berühmten Schauspieler) Nigel Terry, Sean Bean, Tilda Swinton, Michael Gough und Robbie Coltrane Lederjacken, Jeans und andere Alltagskleidung der 1980er.
Der Bruch zeigt sich auch in den Kulissen und Requisiten: Elektrisches Licht beleuchtet eine Bar, Mopeds und Eisenbahnen sind im Hintergrund zu hören, außerdem werden Zigaretten geraucht. Eine mechanische Schreibmaschine, ein Taschenrechner und ein LKW sind weitere Anachronismen.

Servalan 20.12.2016 17:11

Les Mystères du Château de Dé | The Mysteries of the Chateau of Dice (Frankreich 1929), Drehbuch und Regie: Man Ray und Jacques-André Boiffard, 27 min

Man Ray (1890 - 1976) betätigte sich als Bildender Künstler vielfältig und nutzte nicht nur alle Medien, die ihm zur Verfügung standen, sondern experimentierte mit neuen (technischen) Verfahren. Aus dem Prinzip der Fotogramme entwickelt er seine Rayographien. Zeitweise gehörte er zu den Dadisten und den Surrealisten.
"Die Geheimnisse des Würfelschlosses" (so der wörtlich übersetzte Titel) ist der längste Film, bei dem Man Ray Regie geführt hat.

Das Würfelschloss ist eigentlich eine hochmoderne Villa, nämlich die Villa Noailles in den Hügeln über Hyères (Provence-Alpes-Côte d'Azur, Départment Var) an der Mittelmeerküste. Errichtet wurde sie zwischen 1923 und 1928 vom Ehepaar Charles und Marie-Laure de Noailles, die als spendable Mäzene unter anderem für Jean Cocteau und Salvador Dalì in die Kunstgeschichte eingegangen sind.
Charles de Noailles erbte das Grundstück in Hyères seiner Mutter. Der erste Architekt seiner Wahl wäre Ludwig Mies van der Rohe (1886 - 1969) gewesen. Als er den nicht bekam, wäre er auf Le Corbusier (1887 - 1965) ausgewichen, aber auch der Plan zerschlug sich. Zum Zuge kam hingegen der Franzose Robert Mallet-Stevens (1886 - 1945), ein Bekannter von Man Ray.

Mallet-Stevens ließ sich bei der Gestaltung von den Kunststilen De Stijl und den Konzepten des Bauhauses anregen, die mit der ansonsten prägenden Belle Èpoque brachen. Im Laufe der Jahre wird aus der kleinen Winterresidenz ein verschachteltes Labyrinth von 1.800 Quadratmetern auf mehreren Ebenen, das an einen Haufen Würfel erinnert.
Ergänzt wird das Ensemble mit einem dreieckigen kubistischen Garten, der von dem armenischen Gartenarchitekten Gabriel Guevrekian (1892? - 1970) gestaltet wurde. Darüber hinaus zeigt Man Rays Film Skulpturen von Pablo Picasso (1881 - 1973) und Joan Miró (1893 - 1983).

Man Ray nutzt das Motiv des Würfels, indem er die Handlungen seiner namenlosen Figuren mit dem Würfelspiel verknüpft: eine Variation von Wahrheit oder Pflicht.

Servalan 24.04.2017 12:45

Die Säulen der Erde | The Pillars of the Earth (Deutschland / Kanada / Ungarn 2010), Drehbuch: John Pielmeier nach dem gleichnamigen Roman (1990, deutsche Ausgabe 1992) von Ken Follett, Regie: Sergio Mimica-Gezzan, 8 Episoden à 50 min bzw. 4 Episoden á 100 min, FSK: 12 bzw. 16

Kunsthistorische Grundlagen der Serie:
  • Vorbild für den Bau der Kathedrale im fiktiven Ort Kingsbridge in Südengland war die Kathedrale von Salisbury | The Cathedral Church of St Mary in Salisbury (Grafschaft Wiltshire), erbaut 1220 bis 1479. Die Grundsteinlegung erfolgte durch Bischof Richard Poore mit dessen Baumeister Nikolaus von Ely.
  • Die zweite Referenz bildet die Kathedrale von Saint-Denis | Basilique de Saint Denis (1137 bis 1238) und dessen Bau unter Abt Suger von Saint-Denis (1081–1151) in den Jahren 1137 bis 1144.
Sowohl der historische Roman als auch dessen Verfilmung leisten sich erhebliche erzählerische Freiheiten, was schon an den Daten erkennbar wird. Der Bau der Kathedrale bildet den Hintergrund für eine verwickelte Familiengeschichte im Mittelalter, verflochten durch persönliche Eifersüchte, Intrigen in der Kirche und am Königshof sowie Aberglauben und den Anfängen wissenschaftlicher Erkenntnis.

Einen Streitpunkt zwischen Kirche und weltlichen Fürsten bilden in den ersten Episoden der Steinbruch und die (damit eben nicht verbundenen) Abbaurechte. Dennoch beschränken sich die Gewinnung des Steins und das Zuhauen auf seltene Szenen mit Statisten.
Wer mittelalterliches Bauen im Detail studieren möchte, den verweise ich auf die Dokumentationen von Reinhard Kungel über die Burg von Guédelon (Département Yonne), an der seit 1997 gebaut wird und die 2023 fertiggestellt werden soll.
Prächtiger läßt sich hingegen der Bildhauer Jack Jackson inszenieren, der mit Vorliebe Dämonen aus dem Block haut.
Der Einsturz von Kirchen und Kathedralen kam zu dieser Zeit häufig vor und forderte zahlreiche Opfer. Abt Suger weist Jack Jackson deswegen zurecht auf den antiken Euklid hin, denn ohne Mathematik gibt es keine Statik.
Wenn Jack Jackson herausfindet, daß die Kathedrale nicht unter ihrem eigenen Gewicht ächzt und stöhnt, sondern vom starken englischen Wind gedrückt und gezerrt wird, findet er eine praktische Lösung. Der frühe Stil der englischen Gotik, Early English, wird durch den an der Fassade angebrachten Stützbogen zu einer Notwendigkeit und charakterisiert die Kathedrale.

Servalan 15.05.2017 13:34

Die Architekten (Deutsche Demokratische Republik 1990, DEFA Gruppe Babelsberg), Drehbuch: Thomas Knauf und Peter Kahane, Regie: Peter Kahane, 107 min bzw. 97 min (DVD)

Der Film erlitt ein ähnliches Schicksal wie die leitende Architekt Daniel Brenner auf der Leinwand, der endlich seine lang ersehnte künstlerische Freiheit erhält und dennoch scheitert.

Thomas Knaufs Drehbuch entstand schon 1987, stieß jedoch auf erhabliche Widerstände bei den Parteifunktionären, und so verzögerte sich das Filmprojekt immer wieder. Als Knauf, Kahane & Co. endlich grünes Licht erhielten und mit den Dreharbeiten beginnen konnte, befand sich 1989 der "Arbeiter-und-Bauern"-Staat im Umbruch.
Im Gegensatz zu seinem Protagonisten konnte die Filmcrew ihr Werk beenden und Die Architekten im Mai 1990 in die Kinos bringen. Doch die Säle blieben leer, weil die Leute anderes im Kopf hatten. Mit 5.354 zahlenden Besuchern sah die Bilanz enttäuschend aus.
Wiederentdeckt wurde Die Architekten nach dem Erfolg der Komödie Good Bye, Lenin! mit dem jungen Daniel Brühl. Zehn Jahre nach dem Mauerfall, den ersten demokratischen Wahlen in der DDR und dem Anschluß an die Bundesrepublik lösten sich Berlin-Filme fast lückenlos ab (so meine Beobachtung in den hiesigen Kinos). Das Studio Babelsberg war mittlerweile privatisiert worden und nutzte das Jubiläum für Neustarts von DEFA-Filmen, die noch Publikum ins Kino locken konnten. Hinzu kam eine DVD-Auswertung.

Der Architekt Daniel Brenner bekommt allerdings keine zweite Chance.
Zu Beginn kann Brenner zwar kaum über mangelnde Arbeit klagen, aber seine Brotjobs bestehen aus der Konzeption und dem Bau von funktionaler Standardware: Trafohäuschen, Busbahnhöfe und Kaufhallen unterfordern ihn kreativ. Bis sich eines Tages Professor Vesely meldet, der ihm und seinen Kommilitonen damals im Hörsaal das Handwerk beigebracht und ihn mit der Kunst vertraut gemacht hat.
Der bietet ihm das große Los an: Brenner soll eine ganze Trabantenstadt nach seinen Ideen frei entwerfen dürfen - übrigens derselbe Stadtteil, in dem Familie Brenner wohnt. Das riesige Projekt wird mehrere Jahre dauern und Brenner wird auf die Hilfe von kompetenten Mitarbeitern angewiesen sein. Unter der Bedingung, daß er sich seinen Stab selbst aussuchen darf, willigt Brenner ein.
Technische Zeichnungen entstehen, während Brenner seine fünf besten Freunde sucht, mit denen er bei Vesely studiert hat. Doch die haben teilweise in den Westen rübergemacht oder sind von der bürokratischen Mühle des Alltags enttäuscht und ausgezehrt ...

Servalan 15.05.2017 21:12

Zwischendurch mal eine kleine Auswahl aus deutschen Serien, die noch fortgesetzt werden:

Mord mit Aussicht Staffel 2 Episode 1 (Folge 14): "Die Venus von Hengasch" (Deutschland, Pro TV Produktion GmbH für WDR 2012), Drehbuch: Benjamin Hessler, Regie: Christoph Schnee, 48 min

Nach der Episode "Fingerübungen" um einen weltbekannten Pianisten in der Eifel ist dies die zweite Folge um einen Künstler im ländlichen Grenzgebiet zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.
Weil beim Start der zweiten Staffel Sophie Haas erst einmal etliche Dinge ordnen muß, eilen Dietmar Schäffer und Bärbel Schmied an den Tatort.

Dort finden sie den Maler und Bildhauer Paul Egon Sieben erschlagen vor. Siebens Haushälterin und ehemalige Muse Helene Engelbracht verdächtigt einen Mann mit Narben im Gesicht, der sich am Grundstück herumgeschlichen haben soll.
Weil Dietmar und Bärbel der Name nichts sagt, fragen sie bei Frau Engelbracht nach. Die fühlt sich fast beledigt, setzt eine verdrießliche Miene auf und pocht darauf, daß Sieben ein "weltberühmter Maler" ist. Schließlich habe der Freunde in aller Welt. Ungerührt fragt Dietmar nach, und Frau Engelbracht korrigiert ihre Angaben, berühmt war Sieben in den siebziger Jahren - in der Eifel.

Zeichnungen spielen eine wichtige Rolle: Siebens letztes Bild liefert Kommissarin Haas das entscheidende Indiz, und Frau Engelbracht fühlt sich von Dietmars Versuchen, ein Porträt des Narbigen zu zeichnen, so beleidigt, daß sie selber freihändig loszeichnet.
Sophie Haas erweist hier Pater Brown ihre Ehre, denn der Fall gleicht einer Hommage an einen seiner berühmtesten Fälle: "The Hammer of God | Der Hammer Gottes" (1911 von G.K. Chesterton).

Servalan 16.05.2017 12:52

Großstadtrevier Staffel 28 Episode 10 (Folge 368) "Teufelsbrück"
(Studio Hamburg für Das Erste 2015), Drehbuch: Gert Steinheimer, Regie: Tom Zenker, 48 min

Diese Episode ist ein besonderer Leckerbissen für Kunstliebhaber:
  • Louis Gurlitt (1812 - 1897) war ein bedeutender Landschaftsmaler, von dem das titelgebende Gemälde stammt: "Teufelsbrück" (um 1860), hängt im Altonaer Museum in der Landschafts-Galerie.
  • Sein Urgroßenkel Rolf Nikolaus Cornelius Gurlitt (1932 - 2014) war ein Kunstsammler und -händler wie dessen Vater Hildebrand Gurlitt (1895 - 1956), der als "Hitlers Kunsthändler" berüchtigt war.
Cornelius Gurlitt erbte von seinem Vater 1.500 Kunstwerke, die er nach und nach verkaufte, wodurch er seinen Lebensunterhalt bestritt. Im September 2010 fiel der alte Herr Zollfahndern an der deutsch-schweizer Grenze auf, weil er erkleckliche Barmittel nicht angegeben hatte. Deshalb schaltete sich die Staatsanwaltschaft Augsburg ein und ließ seine Wohnung in München-Schwabing durchsuchen. Weil viele der 1.280 gefundenen Gemälde als verschollen galten, als NS-Raubkunst, wurden sie beschlagnahmt. Der Fall beschäftigte das Feuilleton weit über die deutschen Grenzen hinaus bis ins Jahr 2015 hinein.

In der Episode heißt die Familie Heubach statt Gurlitt:
Zitat:

Hannes Krabbe liefert einen ersten Hinweis darauf, was im Haus Heubach passiert sein könnte. Gustav Heubach, der Vater von Rudolph Heubach, war eine große Nummer im Hamburger Kunstmarkt. Gerüchte, dass Gustav Heubach Raubkunst in seiner Sammlung hatte, sind niemals verstummt. Und diese Sammlung hat sein Sohn Rudolph geerbt. Als Paul dann auch noch mitbekommt, dass Olli Schwacke aufwendige Sicherheitstechnik im Haus Heubach einbaut, ist das Team endgültig alarmiert.

Servalan 16.05.2017 15:22

Großstadtrevier Staffel 30 Episode 2 (Folge 392) "Harrys Jubiläum"
(Letterbox Filmproduktion GmbH für Das Erste 2017), Drehbuch: Linus Foerster, Regie: Jan Růžička, 48 min

Das Kommissariat des 14. Polizeireviers der Hansestadt Hamburg wird von Frau Küppers geleitet, einer kunstsinnigen und gut vernetzten höheren Tochter, die auch mit Pfeffersäcken und Senatoren auf Augenhöhe verhandeln kann. Gewisse Ähnlichkeiten mit Sjöwall/Wahlöös Gunvald Larsson sind unvermeidlich.

Kunsthistorische sowie in diesem Fall kunstkriminalistische Bezüge:
  • Die Einheit des Landeskriminalamtes der Hansestadt Hamburg, die sich auf Kunstdiebstähle und Kunstfälschungen spezialisiert hat, spielt auf die reale Einheit des LKA Berlin um den Ermittler René Allonge an, die 2010 Wolfgang Beltracchi überführte.
  • Deutliche Parallelen finden sich zum Fall des Kunsthändlers, Kunstfälschers und Betrügers Tom Sack. Wie die Galeristin Manuela Rüther-Spahn den Künstler GY Priess entdeckt und zur Marke auf dem Kunstmarkt aufgebaut hat, so hat Sack die frei erfundene Künstlerin Cara Gano vermarktet:

Diesmal geht es um Kunstfälschung:
Zitat:

Kommissariatsleiterin Küppers schaltet sich in die Ermittlungen in Sachen Kunstfälschung ein. Durchaus beschlagen beim Thema moderner Malerei, gibt sie sich in einer Galerie als Käuferin aus, die ein Gemälde von GY Priess erwerben will. Das LKA hat den Verdacht, dass systematisch Fälschungen der Werke dieses berühmten Malers in den Markt geschleust werden.
Den Hintergrund liefern neben dem 21. Dienstjubliäum der Zivilfahnderin Hariklia „Harry“ Möller zwei weitere Fälle: im ersten geht es um eine gestohlene Kamera mit Katzenbildern für einen Blog, im zweiten um die gestohlene Gitarre der Rockgruppe "Brings".

Servalan 19.05.2017 16:37

Kommissar Dupin – Bretonische Verhältnisse (filmpool fiction GmbH für ARD Degeto 2014), Drehbuch: Gernot Gricksch und Martin Ess nach dem Roman Bretonische Verhältnisse: Ein Fall für Kommissar Dupin (Kiepenheuer & Witsch 2012) von Jean-Luc Bannalec, Regie: Matthias Tiefenbacher, 88 min, FSK: 12

Kunsthistorische Bezüge:
  • Der Krimi kreist um die Frage, ob Paul Gauguin (1848 - 1903) ein zweites Original seines Gemäldes "Vision après le sermon ou la lutte de Jacob avec l'ange | Vision nach der Predigt oder Jakobs Kampf mit dem Engel" (1888/1889) angefertigt hat, das in der National Gallery of Scotland in Edinburgh hängt.
  • Dementsprechend finden viele Szenen in dem kleinen bretonischen Dorf Pont-Aven statt, denn Gauguin gehörte zur Schule von Pont-Aven. In der Vorlage wird diese Steilvorlage zum Namedropping strapaziert: Claude Monet (1840 - 1926), Vincent Van Gogh (1853 - 1890), Pablo Picasso (1881 - 1973), Henri Matisse (!869 - 1954), Robert Wylie (1839 - 1877), Émile Bernard (1868 - 1941), Charles Filiger (1863 – 1928), Henry Moret (1856 – 1913) und Louis Anquetin (1861 – 1932).
  • Zur Sprache kommt außerdem die Rivalität zwischen dem fiktiven örtlichen Kunstverein von Frédéric Beauvois’ Museum und dem Musée d'Orsay, Paris, im Streit um die fiktive Sammlung Pierre-Louis Pennec.
  • Die fiktive Kunsthistorikerin Marie Morgane Cassel aus Brest wird vom Kommissar Dupin als Sachverständige hinzugezogen.
Mittlerweile ist es ein offenes Geheimnis, daß der Kriminalroman keine Übersetzung eines französischen Originals ist, sondern vielmehr aus der Feder einer bekannten Persönlichkeit aus der Buchbranche stammt. Als Urheber gilt Jörg Bang, Programmleiter des S. Fischer Verlages.

Das Debüt der Krimireihe um den strafversetzten Commissaire Georges Dupin aus Paris, der seekrank wird und keinen Fisch mag, leidet (trotz oder wegen?) der Prominenz des Autors an exzessivem Namedropping. Dadurch kann Bannalec zwar mit seinem Bildungsbürgertum protzen, aber für gewöhnlich wären viele Passagen bei unbekannten Debütanten ersatzlos gestrichen worden.
Das Motiv der Kunstgeschichte bildet den Hintergrund für deutliche Kontraste: einerseits gibt es den skurrilen Lokalpatriotismus des Finisterre, der ein recht ausgewähltes Wissen schätzt, andererseits die kosmoplitische Weltläufigkeit des Parisers (das Konzept ähnelt Sophie Haas' Verbannung nach Hengasch in Mord mit Aussicht), der sich Experten von außen organisieren kann.

Servalan 23.05.2017 13:16

Tatort (Folge 650) "Schlaflos in Weimar" (Saxonia Media Filmproduktion für MDR 2006), Drehbuch: Andreas Pflüger, Regie: Uwe Janson, 87 min

Die Kommissare Ehrlicher und Kain ermitteln eigentlich in Leipzig, die Flucht eines Häftlings führt Ehrlicher zu einer längeren Stippvisite nach Weimar.
Die Serie gilt als Spiegel bundesdeutscher Befindlichkeiten und fängt seit Jahrzehnten Zeitgeschichte ein, was im schlimmsten Fall als didaktischer Thesenfilm endet.

Vor diesem Hintergrund nimmt sich der 21. Fall von Ehrlicher und Kain fast zeitlos aus, wobei er eher spielerisch das Gelände zwischen Kunst und Kunsthandwerk, Hobby, Mode und Denkmalschutz erkundet. Ehrlicher und Kain zählten nie zu den Stars der Serie, aber bei ihrem Schlußspurt (es folgten noch drei Episoden) holten sie einiges an Terrain auf.

Ich habe lange gegrübelt, warum diese Episode gerade in diesem Jahr produziert und gesendet wurde. Denn Kulturhaupstadt war Weimar schon 1999.
Bei meiner Suche bin ich fündig geworden, denn Filme brauchen ja einen gewissen Vorlauf:
  • Am 2. September 2004 brach im Hauptgebäude der Herzogin Anna Amalia Bibliothek (HAAB) ein Brand aus. Obwohl die Anwohner mithalfen, 28.000 Bücher vor den Flammen oder dem Löschwasser zu retten, mußten 50.000 Bücher als Verlust verbucht werden. Sammler konnten gleiche Ausgaben für den HAAB-Bestand spenden. Die kostspielige Restauration machte international bis 2015 Furore. - Wenn Ehrlicher und Kain anreisen, ist der abgedeckte Dachstuhl zu sehen.
  • Die Ausstellung "Schlaflos in Weimar" von Professor Robert G. Henze findet im 2005 eingeweihten "Neubau Bibliothek und Audimax der Bauhaus-Universität Weimar" statt. Das Gebäude von meck architekten, München wurde 2006 mit dem Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau ausgezeichnet. - Als sich Ehrlicher dem Eingang nähert, setzt die Kamera Hermann Bigelmayrs 7,50 Meter hohes Kunsterk "Lehrstuhl - leerer Stuhl" ins Bild.
  • Die Folge beginnt mit dem Freigang des Häftlings ins Museum der bildenden Künste in Leipzig, das nach Entwürfen von Karl Hufnagel, Peter Pütz und Michael Rafaelian gebaut und am 4. Dezember 2004 eröffnet wurde.
Die meisten Schauplätze sind um den Park an der Ilm angeordnet, der seit 1998 auf der UNESCO-Welterbeliste steht.
Zu den weiteren Kunstwerken, die touristengerechnet inszeniert werden, gehören:
  • Reiterstandbild Herzog Carl August (1875) von Adolf von Donndorf (1835 - 1916) vor der HAAB.
  • Das Tempelherrenhaus, das 1786/87 nach einem Entwurf von Johann Friedrich Rudolf Steiner (1742 - 1804) aus einem Gartenhaus umgebaut wurde.
  • Goethes Gartenhaus im Park an der Ilm.
  • Professor Henze plant die Eröffnung seines Kunstkollegs in einem denkmalgeschützten Gebäude, das teuer restauriert werden muß: Bei seiner kleinen Führung zitiert Henze dabei den MDM Location Guide der Villa Haar fast wörtlich:
    Zitat:

    Der dreigeschossige Bau wurde 1885 vom Architekten Otto Münkert entworfen und nach dem Vorbild der Villa d'Este in Tivoli im Stil der Neorennaissance gebaut. (...) Seit 1993 sind im Garten der Villa die "KünstlerGärten" angesiedelt. Ein Projekt der Bauhaus Universität Weimar im Rahmen dessen 20 langfristig angelegte Kunstwerke mit Pflanzungen von internationalen Künstlern realisiert wurden.
  • In der Praxis des Weimarer Arztes Martin Steingart, der seinen Freund Ehrlicher auf Herz und Nieren prüft, steht ein Gemälde von Neo Rauch, dem Star der "Neuen Leipziger Schule". Henze redet den Erfolg seiner Konkurrenz lieber klein: das sei "eine Riesenblase", sagt er verächtlich.

Servalan 25.05.2017 13:53

Doctor Who [Neue Serie] Staffel 5 Episode 10 (Folge 70 bzw. 210) "Vincent and the Doctor | Vincent und der Doktor" (Großbritannien 2010, BBC), Drehbuch: Richard Curtis, Regie: Jonny Campbell, 45 min

Auftritte von berühmten Persönlichkeiten aus allen Epochen der Geschichte gehören zum Stil dieser All-Age-Serie, die ursprünglich als lockerer Geschichtsunterricht für ein junges Publikum konzipiert worden war.

In dieser Hinsicht verkörpert Vincent van Gogh (1853 - 1890), zu Lebzeiten erfolglos und heute ein Superstar, den Künstler als verkanntes Genie und verkrachte Existenz schlechthin. Das lockere Spiel mit Klischees und historischen Fakten (die Comicserie Mosaik funktioniert ähnlich) erweist sich hier wieder einmal als Bildungsprogramm durch die Hintertür.

Der elfte Doktor (Matt Smith) besucht mit Amy Pond das Musée d'Orsay in Paris. Als der Van-Gogh-Experte Dr. Black den beiden gerade das Gemälde "L'Église d'Auvers-sur-Oise | Die Kirche von Anvers" (1890) erklärt, entdeckt der Doktor eine Kreatur in einem Fenster der gemalten Kirche. Kurzerhand reist der Doktor mit Amy in der Tardis nach Auvers-sur-Oise im Juni 1890.
Während gewöhnliche Menschen den Alien, den der Doktor als Krafayis identifiziert, nicht sehen können, hört van Gogh Farben. Seine synästhetische Wahrnehmung macht ihn zu einem Künstler, der seiner Zeit voraus ist und zugleich an seiner Weltsicht leidet.
Die beiden Zeitreisenden nehmen ihn in die Gegenwart mit, um ihm zu zeigen, daß er letzten Endes recht gehabt hat und als Künstler anerkannt worden ist. Denn Amy wollte ihm durch diesen Blick in seine Zukunft von seinem Selbstmord abhalten - was ihr aber nicht gelingt.

Weitere kunsthistorische Bezüge:
  • Die Szenen im Musée d'Orsay wurden im National Museum Cardiff aufgenoimmen.
  • Bei den Außenaufnahmen doubelte die kroatische Hafenstadt Trogir das provençalische Auvers-sur-Oise Ende des 19. Jahrhunderts. Ausstattung und Requisite richteten das Set so hin, dass sich weitere Anspielungen auf bekannte Van-Gogh-Gemälde im Bühnenbild finden, zum Beispiel "Terrasse du café | Caféterrasse am Abend" (1888).

Servalan 14.06.2017 11:07

Die Pfefferkörner Staffel 6 Episode 9 (Folge 74) "Bildertausch" (Studio Hamburg für NDR 2009), Drehbuch: Jörg Reiter, Regie: Miko Zeuschner, 28 min
- steht in der Mediathek

Weil aus Kindern schnell Leute werden und Minderjährige nur eine gewisse Zeit vor der Kamera stehen dürfen, wechseln die Teams der Pfefferkörner spätestens nach zwei Staffeln. Die dritte Gruppe schulpflichtiger Detektive aus der Hamburger Speicherstadt in der Hafencity bestand 2009 aus Lily Theede, Karol Adamek, Yeliz Surat sowie Laurenz und Marie Krogmann.
Die Konitinuität wird zum einen durch das Hauptquartier und zum anderen durch Verwandtschaftsbeziehungen, Schulfreundschaften und Nachmietungen erhalten.

Im Stil der Bakerstreet Boys ermittelt das gemischte Team diesmal in Sachen Kunstfälschung und -diebstahl:
  • Das Corpus delicti ist eine Fälschung von Caspar David Friedrichs (1774 - 1840) Gemälde "Wiesen bei Greifswald" (um 1827). Als Blickfang wird darüber hinaus "Der Wanderer über dem Nebelmeer" (um 1818) ins Bild gesetzt.
  • Tatort des Bildertauschs ist die Hamburger Kunsthalle (1869 eröffnet), genauer: Die Sammlung 19. Jahrhundert, die vom ersten Direktor Alfred Lichtwark (1852 - 1914) seit 1886 systematisch ausgebaut wurde. Caspar David Friedrich gehört zu den Schwerpunkten der Sammlung.

Servalan 17.06.2017 11:38

Bei den Verfilmungen von Henning Mankells Romanen um den Kommissar Kurt Wallander aus Ystad in Schonen wird es kompliziert: Zum einen gibt es eine stehende Figur in der zweiten Reihe, nämlich Wallanders Vater.
Zum anderen existieren drei Serien: Die schwedische SVT-Fernsehserie mit Rolf Lassgård, die BBC-Serie von und mit Kenneth Branagh sowie die internationale Koproduktion mit Krister Henriksson in der Hauptrolle.
Sämtliche Adaptionen erlauben sich teilweise erhebliche Abweichungen von den Romanvorlagen.

Im Gegensatz zu Wallanders Tochter Linda tritt Wallanders Vater Povel Wallander bzw. Karl Wallander zunächst eher sporadisch auf, was sich später ändert. Povel leidet an Alzheimer und wird zu einem Pflegefall, so daß sich Kurt Wallander notgedrungen um ihn kümmern muß.
Der fiktive Povel Wallander zeichnet als anerkannter Landschaftsmaler immer wieder das gleiche Motiv und ist zumindest in Schweden unter Kunstfreunden bekannt. In der SVT-Serie wird Karl Wallander von Keve Hjelm darsgestellt; bei der BBC spielt David Warner in fünf Episoden Povel Wallander; und Willie Andréason spielt Kurt Wallanders Vater in der SF-Serie mit Krister Henriksson.

Auch im deutschen Wikipedia-Artikel wird Mankell unterstellt, seine Krimis seien humorlos. Nun ja, ich erkenne in diesem Motiv eine ironische - oder sarkastische Volte - auf das Serienprinzip: Alle machen sie jedes Mal das Gleiche. Mankell schreibt den nächsten Wallander-Roman, Wallander löst den nächsten Fall, und Povel zeichnet das nächste Landschaftsbild. Wenn ich in dieser Perspektive bleibe, wird Alzheimer zu einem Hinweis auf die Vergeßlichkeit des Publikums.
Im Laufe der Serie stirbt Wallanders Vater und der Kommissar fürchtet, diese Krankheit von ihm geerbt zu haben.

Bei zwei Fällen geraten Kunstwerke in den Fokus des Interesses:
  • - Den 5:e kvinnan | Die fünfte Frau (Sveriges Television AB / Danmarks Radio / Norsk Rikskringkasting 2002), Drehbuch: Klas Abrahamsson und Birger Larsen nach dem Roman (Ordfront förlag 1996, dt. Zsolnay 1998), Regie: Birger Larsen, 240 min bzw. 224 min, FSK: 16
    - Wallander Staffel 2 Episode 3 (Folge 6) "The Fifth Woman | Die fünfte Frau" (BBC 2010), Drehbuch: Richard Cottan nach dem Roman, Regie: Aisling Walsh, 89 min, FSK: 16
    Bei einer Zeugin entdeckt Wallander ein Gemälde seines Vaters. Die Angestellte des Blumenhändlers fragt ihn, ob er mit dem Künstler Wallander verwandt sei, Daraufhin entwickelt sich ein längeres Gespräch.
  • Mankells Wallander Staffel 1 Episode 8 (Folge 8) "Fotografen | Bilderrätsel" (SF Films / ARD Degeto / TV 4 AB / Film i Skåne AB 2005), Drehbuch: Ola Saltin, Jonas Grimås und Henning Mankell nach der Novelle "Fotografens död | Der Tod des Fotografen" aus: Pyramiden | Wallanders erster Fall und andere Erzählungen (Ordfront förlag 1999, dt. Zsolnay 2002 bzw. dtv Großdruck 2005), Regie: Jonas Grimås, 89 min, FSK: 12
    In der Vorlage heißt der ermordete Fotograf Simon Lamberg, in der Verfilmung ist Robert Thuresson ein legendärer Kriegsfotograf, der sich als Nachfolger von Robert Capa (1913 - 1954) sieht.
    Als Vorbilder dieser fiktiven Figur kommen zwei Kriegsfotografen in Betracht: Ein internationales Publikum wird in ihm wahrscheinlich zuerst eine Karikatur von James Nachtwey (Jahrgang 1948) erkennen, der ebenso berühmt wie umstritten ist. Hinzu kommt der Umstand, daß Nachtwey wenige Jahre vorher vom Produzenten und Regisseur Christian Frei in War Photographer (Schweiz 2001, 96 min, FSK: 16) filmisch porträtiert wurde.
    Es gibt ein schwedisches Vorbild, nämlich Kent Klich (Jahrgang 1952), der an der Universität Göteborg zunächst Psychologie studierte. Zwischen 1998 und 2002 fotografierte er Reportagen für die renommierte Agentur Magnum.

Servalan 05.07.2017 13:37

Midsomer Murders | Inspector Barnaby Staffel 6 Episode 3 (Folge 26) "Painted in Blood | Der Tod malt mit" (Großbritannien 2003: Bentley Productions für Independent Television ITV), Drehbuch: Andrew Payne, basierend auf den Romanen von Caroline Graham, Regie: Sarah Hellings, 99 min bzw. 90 min (dt. Fassung)

Britische Lebensart und Kultur zelebriert diese Serie um die DCIs Barnaby, die von Fans manchmal mit Agatha Christie auf Speed verglichen wird. Midsomer ist wie Thomas Hardys Wessex eine fiktive Grafschaft, die dort liegt, wo England am englischsten ist, nämlich im Süden der Insel, irgendwo zwischen London und Oxford. Mittlerweile läuft die 19. Staffel, und die idyllischen Landschaftsbilder mit Leiche(n) sind inzwischen selbst Teil des British Lifestyle.

Die erste Episode um Malerei nähert sich dem Künstlerischen vom Hobby und der Freizeitgestaltung. Die Familie von DCI Tom Barnaby (Staffeln 1-13, 1997-2011) neigt sehr zum Künstlerischen. Während seine Tochter Cully professionell schauspielert, engagiert sich seine Ehefrau Joyce sozial und erkundet ihre künstlerischen Fähigkeiten.
In diesem Fall hat Joyce Barnaby einen Aquarellkurs unter freien Himmel bei (dem fiktiven) Barret Filby in Midsomer Flory belegt. Alle entstandenen Gemälde sollen nach dem Kurs für einen wohltätigen Zweck versteigert werden. Bei einer Freiluftsitzung findet Joyce Barnaby eine ermordete Teilnehmerin ...

Servalan 05.07.2017 14:24

Midsomer Murders | Inspector Barnaby Staffel 12 Episode 2 (Folge 68) "The Black Book | Morden ist auch eine Kunst" (Großbritannien 2009: Bentley Productions für Independent Television ITV), Drehbuch: Nicholas Martin, basierend auf den Romanen von Caroline Graham, Regie: Peter Smith, 93 min bzw. 90 min (dt. Fassung)

Dreh- und Angelpunkt des Falls ist der fiktive britische Landschaftsmaler Henry Hogson. In seinem Namen klingen zwei andere berühmte Landsleute an (die ein wenig anders geschrieben werden): der anglikanische Bischof von Edmundsbury und Ipswich, Henry Hodgson (1856 - 1921), sowie Major General Sir Henry West Hodgson KCMG CB CVO (1868 - 1930) aus der British Army.
In Hogsons Heimatort Casper Mills wird die Hogson Society von der über 80jährigen Felicity Law geleitet, die ein verschollenes Meisterwerk entdeckt haben will. Weil die Gesellschaft in finaziellen Nöten steckt, stellt sie Hogsons Gemälde "Bishop's Drift" zur Auktion, das für £400,000 verkauft wird.
Obwohl eigentlich das Duell zwischen den beiden Einhemischen Patricia Blackshaw und Alan Best läuft, erweist sich der texanische Kunstsammler George Arlington als der lachende Dritte.

Felicitys Tochter Matilda leitet die Arnold Simms School of Art, die von Neville Blackshaw beraten wird, Patricias Ehemann. Am Abend der Auktion wird bei Matilda eingebrochen und das schwarze Buch aus der Kunstschule gestohlen.
Zu den Verdächtigen zählen desweiteren der zwielichtige Kunständler Anthony Prideaux aus Casper Mills, der den örtlichen Schurken Graham Spate bezichtigt.


Servalan 12.07.2017 13:06

Die Sünderin (Bundesrepublik Deutschland 1950/1951), Drehbuch: Willi Forst, Georg Marischka und Gerhard Menzel, Regie: Willi Forst, 87 min bzw. 100 min, FSK: 12

Am 18. Januar 1951 lief das Melodram in den deutschen Kinos an und provozierte solch einen Sturm der Entrüstung, daß der Film sogar vom Spielplan abgesetzt und verboten wurde. Seither gilt die Darstellerin des "Mädchens Marina", Hildegard Knef, als Sünderin und das Werk als Skandalfilm. - Und das nur weil die junge Knef in einer Großaufnahme für fünf Sekunden undeutlich blank zieht.

Im Mittelpunkt steht eine bittersüße Liebesgeschichte zwischen einem Mädchen, das sich in den 40er Jahren auf Gedeih und Verderb emanzipieren will, und einem verkrachten Künstler. Bezeichnenderweise fehlt in den meisten Besetzungslisten der vollständige Name des Künstlers, häufig steht da nur der Vorname "Alexander".
Die Klischees werden dick aufgetragen: Seine erste Frau hat ihn mit ihrem Vermögen unterstützt, doch der ersehnte Erfolg blieb aus. Seine Frau trennte sich von Alexander Kless, und seitdem läßt der verkrachte und besoffene Künstler seinen Frust gewalttätig an seiner Umwelt aus. Denn er verzweifelt, weil er noch nichts Bleibendes geschaffen hat und in seinem Kopf ein Tumor sein Unwesen treibt, der ihn über kurz oder lang erblinden läßt. Als ihm der Arzt die verhängnisvolle Diagnose stellt, drängt der zur sofortigen Operation, aber die kann sich Kless nicht leisten.

Marina (deren Nachnamen das Publikum nie erfährt) wird zu seiner neuen Müse und unterstützt ihn, indem sie sich prostituiert. Gemeinsam unternehmen sie eine Italienreise (Außenaufnahmen in Rom, Neapel und Positano), die jedoch nicht das gewünschte Ergebnis zeitigt.

Marinas eigene Geschichte bestimmt in Rückblenden weite Teile des Films, weswegen Kless über eine längere Strecke in den Hintergrund gerät. Kunsthistorische Fachsimpeleien kommen kaum vor. Seinen erfolgreichen zeitgenössischen Konkurrenten aus der Moderne wirft er mangelndes Handwerk vor. Kless bevorzugt das Altmeisterliche und versucht es mit Bibelmotiven. Wenn ihm ein Bild mit pittoresken Fischerbooten nicht realistisch gelingt, hängt das mit seiner drohenden Erblindung zusammen.

Servalan 04.08.2017 13:10

Die Anwälte Staffel 1 Episoide 7 (Folge 7) "Selbstjustiz" (Deutschland, Studio Hamburg zunächst für RTL, später von ARD 2006), Headwriter und Creator: Marc Terjung, Drehbuch: Tim Krause, Regie: Züli Aladağ, 44 min

Kunst spielt in der Serie eine untergeordnete Rolle. Während sich Klienten aus allen Schichten einfinden, ist das Umfeld der angesehenen Kanzlei in Hamburg in der gehobenen Gesellschaft angesiedelt. Gemälde von alten Meistern bis zur zeitgenössischen Moderne finden sich immer mal wieder im Bildhintergrund. Kunst gehört zum Ambiente, keiner der Juristen und Juristinnen pflegt künstlerische Ambitionen.

In deutschen Gerichtssälen sind Filmen und Fotografieren untersagt. Die erste Folge "Leben und Tod" weist mehrfach auf diesen Umstand hin, indem sie im Publikum einem Zuschauer über die Schulter schaut. Der zeichnet mit flinker Hand die beteiligten Personen in aussagekräftigen Posen.

Häufig werden drei Fälle pro Folge inszeniert, die entsprechend pointiert dargestellt werden. Obwohl der Creator Marc Terjung auf Anwaltsserien spezialisiert ist, setzte RTL Die Anwälte nach einer Folge ab. Die flott geschnittenen Folgen orientieren sich an Vorbildern aus den USA, und die erste Hälfte bietet vorzügliche Episoden. In der zweiten Hälfte soll es jedoch menscheln, aber das überzeugt nicht und so kommt es hie und da zu Leerlauf.
Der Tonfall ist deutlich ernster als in den klassischen deutschen Anwaltsserien Liebling Kreuzberg und Der Dicke. Einige Fälle orientieren sich an berühmten Kriminalfällen wie zum Beispiel am Fall Monika Weimar.

Der Fall mit Bildender Kunst liefert eine skurrile Note, obwohl die Bezüge zur Realität erkennbar bleiben. Falls es ein konkretes Vorbild gibt, wahren alle Beteiligten Stillschweigen.
Zu den wichtigsten Mandanten der Kanzlei Blum-Franzen-Britten gehört der Reedereibesitzer Johannes Karst. Der hat seinen Freund Jörn Esche als Mäzen unterstützt und ihm beispielsweise Ausstellungen finanziert. Als Karst ein Porträt für die Ahnengalerie seiner Reederei benötigt, bittet er er Esche darum. Der hat sich künstlerische Freiheit ausbedungen, so daß Karst das Werk erst nach Ablauf der Frist sieht. Weil das Porträt den Reeder als sitzenden Akt zeigt, fotografiert Karst das Bild auf seinem Handy und läßt einen anderen Künstlern die fehlende Kleidung einfügen.
Daraufhin verklagt Esche den Reeder wegen Urheberrechtsverletzung an und fordert, das Bild wieder in den ursprünglichen Zustand zurück zu versetzen. Andernfalls fordert er 150.000 € Schadenersatz.
  • Die Pose des (unfreiwilligen) Männerakts ist deutlich von Francis Bacon (1909 - 1992) und Lucian Freud (1922 - 2011) inspiriert.
  • Modell für die Beziehung zwischen dem hanseatischen Mäzen und dem Künstler könnte die Familie Reemtsma und ihre Förderung von Horst Janssen (1929 - 1995) gewesen sein.

Servalan 04.08.2017 14:22

Donna Leon – Die dunkle Stunde der Serenissima [Folge 13] (Deutschland, Degeto Film für Das Erste 2008), Drehbuch: Holger Joos nach dem Roman Die dunkle Stunde der Serenissima. Commissario Brunettis elfter Fall (Diogenes 2003) | Willful Behavior. Commissario Guido Brunetti Mystery #11 (Heinemann und Arrow Books 2002) von Donna Leon, Regie: Sigi Rothemund, 90 min

Kunst und Kultur sind im Haushalt der Familioe Brunetti fest verankert. Commissario Guido Brunetti stammt aus einer aleingesessenen, wohlhabenden Familie mit Verbindungen in höchste Kreise, und Signora Paola Brunetti lehrt an der Universität von Venedig Anglistik - mit einer Vorliebe für Henry James. Gewisse Parallelen zu Donna Leons Lebenslauf und ihren eigenen Interessen fallen schon ins Auge. Familie Brunetti wohnt im historischen Zentrum in der Lagune. Die spektakuläre Premiere der Krimiserie mit einer Leiche im berühmten Opernhaus Gran Teatro La Fenice di Venezia spricht Bände.

Corpus delicti und McGuffin der dunklen Stunde stammen aus der faschistischen Vergangenheit: mal wieder geht es um Beutekunst, die diesmal ein venezianischer Kunsthändler fliehenden jüdischen Besitzern für einen geringen Preis abgekauft hat. Die 83jährige Witwe des Offiziers von Mussolini, Signora Jacobs, möchte gern die Ehre ihres Gatten wiederherstellen, aber dazu fehlt eine Aufstellung, die die Rechtmäßigkeit der Käufe belegt.
Die verborgene Sammlung der Signora Jacobs verbleibt allerdings im Ungefähren und wird eher in einer Halbtotale inszeniert. Darüber hinaus wird das einzige kursierende Gemälde nur aus schrägen Winkeln oder in Decken eingewickelt gezeigt, wodurch sich der Eindruck verstärkt.

Schon in ihrem fünften Band "Acqua alta" stand ein hartnäckiger Kunstsammler im Mittelpunkt, der allerdings Keramiken sammelte. Besonders der Feng-Shui-Subplot wirkt klamottig und wäre wohl männlichen Krimiautoren als frauenfeindlich angekreidet worden, so daß es eher eine der schwächeren Folgen ist.
  • Mussolinis Faschisten verfolgten zwar keine sogenannte "entartete Kunst", vielmehr besaßen sie über den Futurismus eine Verbindung zur künstlerischen Moderne. Die Faschisten arbeiteten jedoch der nationalsozialistischen Judenverfolgung zu (siehe zum Beispiel auch Das Leben ist schön | La vita è bella, 1997, von Roberto Benigni), insofern ist Donna Leons Plot plausibel.
  • Zur Inspiration dürfte eher ein Kunstskandal beigetragen haben, in dem es um antike Kunstwerke ging, die sogenannte Medici-Verschwörung. Seit 1986 der Kurator Jiří Frel seinen Hut nehmen mußte, weil sich fehlende Nachweise von Kunstwerken beim J. Paul Getty Museum häuften, bemühte sich das Museum in Los Angeles um eine Klärung der fragwürdigen Provenienzen.
    1991 brachte der Fall des diebischen Southeby-Angestellten James Hodges die Sache wieder aufs Tapet. Hodges' Aufzeichnungen gelangten in die Hände des investigativen Journalisten Peter Watson, der weitere Unregelmäßigkeiten unter anderem mithilfe de italienischen Polizei aufdeckte.
    Als der Zollbeamte Pasquale Camera 1995 bei einem Autounfall starb, flog der Schmugglerring auf. Denn im Autowrack wurden belastende Dokumente gefunden. Die antiken Kunstwerke erhielten in Genf gefälschte Echtheitszertifikate. Der Kopf des Kunstschmuggelrings, Giacomo Medici, wurde 1997 verhaftet und 2004 in Rom zu zehn Jahren Haft und einer Geldstrafe von zehn Millionen Euro verurteilt.

Servalan 07.08.2017 14:43

Peeping Tom | Augen der Angst (Großbritannien 1959/1960), Drehbuch: Leo Marks, Produktion und Regie: Michael Powell, 101 min bzw. 97 min (deutsche Fassung), FSK: 12

Das Drehbuch stammt vom Universalgelehrten und Mathematiker Leo Marks, der während des Zweiten Weltkriegs feindliche Codes entschlüsselte. Michael Powell produzierte seit den 1940ern mit seinem ungarischstämmigen Partner Emeric Pressburger in seiner Firma "The Archers" Filme, die reihenweise britische Klassiker geworden sind.
Mittlerweile hat sich auch dieser Thriller seinen festen Platz unter den besten Filmen erobert, aber das geschah über Umwege und vernichtete zunächst die Karrieren von Powell und seinem Hauptdarsteller Karlheinz Böhm.

Akademische und feuilletonistische Vergleiche mit Hitchcocks Psycho finden sich inzwischen zuhauf. Seinen hohen Status verdankt Peeping Tom jedoch eigenen Qualitäten. Obwohl der Film bei seiner Premiere von der Kritik mit Spott und Häme, Ekel und Abscheu bedacht wurde, zeichnet er sich visuell und akustisch durch eine Strenge aus, die an ein Experiment im Labor erinnert.
Besonders ersten Szenen sind so über alle Maßen pointiert, daß simpler Realismus hier bewußt aufgebrochen wird. Der Dialog wirkt eher wie ein Audiokommentar (mir fallen geniale Oneliner immer erst ein, wenn es zu spät ist), und eine der ersten Bildkompositionen macht sich über Diego Velázquez' "Las Meninas" (1656) lustig.
Vorbild für den skrupellosen Psychiater Lewis dürfte weniger Ted Bundy sondern der Erfinder des Schrebergartens gewesen sein. Der Leipziger Arzt und Hochschullehrer Moritz Schreber (1808 - 1861) traktierte seinen Nachwuchs mit "Schwarzer Pädagogik". Sohn Gustav (1839 – 1877) beging Selbstmord, während Daniel Paul (1842 - 1911) eine Psychose entwickelte. Sein Fall wurde 1903 durch Sigmund Freuds Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

Die vernichtende Kritik sorgte dafür, daß der Film entweder schnell aus den Kinos verschwand oder nur mit Schwierigkeiten ausländische Verleiher fand. In Finnland war er bis 1981 verboten. Trotz der widrigen Umstände entwickelte sich der Thriller zuerst zum Kultfilm und nach Martin Scorseses Neustart zum 20jährigen Jubiläum zum Meisterwerk.
Während sich der Kameramann Mark Lewis mit jedem Mord seiner Entdeckung nähert, passiert das Publikum nach und nach Stationen, die zeigen, wo und von wem Kameras überall verwendet werden. Die Technik (auch des Abhörens) drängt sich zwischen Mann und Frau - mit tödlichen Konsequenzen.
Auf der Straße benutzt Mark Lewis die leichte Arriflex, während er im Studio die riesige Kamera manövrieren muß. Scorsese zieht in der Dokumentation The Eye of the Beholder | Im Auge des Betrachters Parallelen zur filmischen Avantgarde der 1960ers. Er vergleicht Peeping Tom mit den Dokumenatrfilmen des Direct Cinema von Richard Leacock, Frederick Wiseman und den Maysles Brüdern sowie mit der Nouvelle Vague.

Eine besondere Schule des Sehens.

Servalan 09.08.2017 14:17

Pfarrer Braun: Das Erbe von Junkersdorf [Folge 11] (Deutschland und Österreich, TE Katharina M. Trebitsch für Das Erste und ORF 2007), Drehbuch: Cornelia Willinger und Stephan Reichenberger, sehr frei nach G.K. Chesterton, Regie: Wolfgang F. Henschel, 88 min

Während des Umzuges in seine neue Gemeinde, macht der wieder mal strafversetzte Pfarrer Braun einen Abstecher zur Burg derer von Junkersdorf. Dort soll er der sterbenskranken Gräfin Marietta von Junkersdorf die Sakramente spenden und gerät in eine verwickelte Erbschaftsintrige. Obwohl die Burg eher einer Restaurierung bedarf und der größte Reichtum im ausgedehnten Bodenbesitz besteht, scheint es allemal zwei Morde wert.
Pfarrer Braun wird stutzig, zumal das einzig ungewöhnliche Gemälde, ein Bildnis des heiligen Benno aus dem 17. Jahrhundert, sich als Massenware entpuppt. Der Künsthändler im nahe gelegenen Bayreuth schätzt den Heiligen unbesehen auf höchstens 15.000 Euro. Doch das Format des Gemäldes bringt Pfarrer Braun auf die richtige Spur.

Servalan 11.08.2017 14:38

Der letzte Zeuge Staffel 3 Episode 8 (Folge 21) "Das letzte Bild" (Odeon Film - Novafilm Fernsehproduktion GmbH für ZDF 2000), Serienidee und Drehbuch: Gregor Edelman, Regie: Bernhard Stephan, 50 min, FSK 16

Das dritte Staffelfinale führt den Pathologen Dr. Robert Kolmaar in die Kunstszene Berlins. Der (fiktive) Maler Willi Gütt liegt tot auf dem Boden seines Ateliers. Bei seinem letzte Gemälde muß er viel Gelb verwendet haben. Darauf deuten die Palette und Spuren an seiner Kleidung hin, aber das Gemälde ist verschwunden.
Die Spur führt durch Galerien auf den Kunstmarkt, denn Gütt war gefragt. Dabei geraten der (fiktive) Kunstsammler Karl Friedrich Sidor und seine erwachsene Tochter Johanna in den Kreis der Verdächtigen.

Servalan 11.08.2017 16:46

The Thomas Crown Affair | Die Thomas Crown Affäre (USA 1999, Irish DreamTime für United Artists und Metro-Goldwyn-Mayer), Drehbuch: Leslie Dixon und Kurt Wimme, Regie: John McTiernan, 113 min bzw. 109 min (deutsche Fassung), FSK 6

Die Bezüge zur Kunst finden sich nur im Remake des epochemachenden Heist-Movies The Thomas Crown Affair | Thomas Crown ist nicht zu fassen (USA 1968, Drehbuch: Alan Trustman, Regie: Norman Jewison, 102 min, FSK 12). In dem Filmklassiker mit Steve McQueen und Faye Dunaway in den Hauptrollen beraubt der gelangweilte Milliardar Thomas Crown eine Bank in Boston um 2,6 Millionen Dollar. Der Look zollte der zeitgenössischen Kunst ihren Tribut, denn die heute berühmten Splitscreens orientieren sich an zwei Filmen, die auf der Expo 67 in Montréal, Québec (Kanada) von April bis Oktober 1967 liefen:
  • Dans le labyrinthe | In the Labyrinth (Kanada 1967, National Film Board of Canada), Regie: Roman Kroitor, Colin Low und Hugh O'Connor, 21 min, 35mm und 70mm - Vorläufer des IMAX-Formats
  • A Place to Stand (Kanada 1967), Regie: Christopher Chapman, 17 min
Thomas Crown sollte auch in der neuen Version ein sympathischer Gentleman-Gauner sein, der charmant und intelligent sowohl seine angeheuerten kriminellen Komplizen als auch Polizei und Versicherung austrickst.
Deswegen wurde die anonyme Summe durch ein berühmtes Gemälde ersetzt, das aus einem ebenso berühmten Museum entwendet wird, damit Thomas Crown sein perfektes Verbrechen zelebrieren kann - nämlich Claude Monets (1840 - 1926) "Saint-Georges Majeur au Crépuscule | Abendstimmung in Venedig" (1908-1912), je eine Fassung des Gemäldes hängt im National Museum and Art Gallery in Cardiff, Wales, und im Bridgestone Museum of Art in Tokio. Im Film hängt das Original jedoch im Metropolitan Museum of Art, das am Central Park von New York City liegt. Geschätzter Marktwert: 100 Millionen Dollar.

Das Met verweigerte jedoch die Kooperation, weshalb das Museum im Studio und in der Forschungsbibliothek der New York Public Library gedoubelt wurde.
In derselben Manier wurden außer dem erwähnten Monet weitere berühmte Gemälde für die Kamera nachgemalt und in Szene gesetzt:
  • Claude Monet: "Meules, Effet de Neige, Le Matin | Heuschober in der Mittagssonne" (1891), hängt im J. Paul Getty Museum, Los Angeles
  • Vincent van Gogh (1853 - 1890): "La méridienne ou La sieste (d'après Millet) | Mittagsschlaf (nach Millet)" (1890), hängt im Musée d'Orsay, Paris
  • Camille Pissarro (1830 - 1903): "Jardin de l'artiste à Eragny" (1898), hängt in der National Gallery of Art (Washington, District of Columbia)
  • René Magritte (1898 - 1967): "Le fils de l'homme | Der Sohn des Mannes" (1964), hängt in einer Privatsammlung
  • Édouard Manet (1832 - 1883): "Au bord de la Seine chez Argenteuil | Banks of the Seine at Argenteuil" (1874), hängt in der Courtauld Institute of Art Gallery, London
  • Ein Gemälde im Stil von Cassius Marcellus Coolidges (1844 - 1934) "Dogs Playing Poker" (1910), ursprünglich Zigarrenwerbung im Auftrag des Verlags Brown & Bigelow (1903)

Servalan 13.08.2017 14:08

Heiter bis tödlich: Morden im Norden Staffel 1 Episode 4 (Folge 4) "Donners Dienstreise" (Deutschland 2011, neue deutsche Filmgesellschaft ndF: für Das Erste), Drehbuch: Marie Reiners, Regie: Esther Wenger, 48 min, FSK 12

Auf einem Lübecker Waldweg liegt die Leiche des Geldeintreibers und Auftragskillers Halvard Donner, Spitzname Hulk. Der Weg führt zu einem Bauernhof, auf dem auch der Kunstmaler Olsson mit seiner zwölfjährigen Tochter Natalie wohnt.
Bei den Ermittlungen über die Kiezgröße aus dem Hamburger Rotlichtmilieu stoßen Kommissar Finn Kiesewetter und sein Team auf die Galeristin Leonie Osterspring, die mit ihrer Entdeckung Bruno Würfel anscheinend das große Los gezogen hat. Denn wer eines seiner Werke haben will, muß mindestens 40.000 Euro berappen.
Der lange Schatten ihres Vaters sorgt allerdings für einige Zweifel, zumal der einen "unbekannten Picasso" entdeckt haben und verkauft haben wollte. Er konnte jedoch nie überführt werden.

Die einzigen Bilder, die das Publikum zu sehen bekommt, hängen in der Galerie. Über die Fälschungen wird nur gesprochen. Dürer und Picasso sind letztlich austauschbare Namen, bekannte Marken des Kunstmarkts, die einer breiten Öffentlichkeit geläufig sein sollten - auch wenn denen Kunst schnurz ist.

Servalan 13.08.2017 15:59

Achtung, Kunstdiebe 1 Staffel 13 Episoden [9 Folgen] (Bundesrepublik Deutschland 1979, ZDF), je Episode 25 min (teilweise Doppelfolgen)

Als die Serie lief, gab es noch kein Privatfernsehen, nur ARD, ZDF und das Dritte Programm des jeweiligen Sendegebiets. Privatleute konnten von so etwas wie Video nur träumen. In den Sendepausen und nach Sendeschluß lief ein Testbild, damit Fernsehtechniker das Gerät einstellen konnten, obwohl kein Programm lief.
Die Einschaltquote wurde zwar zur Kenntnis genommen (und in der Fernsehzeitschrift abgedruckt), aber noch bestimmte der bildungsbürgerliche Anspruch das Programm. Bärbeißige Haudegen wie Alexander von Cube und Hoimar von Ditfurth setzten bei ihrer VHS im Wohnzimmer höchste Ansprüche.

Die Serie verband leichte Unterhaltung mit dem Bildungsanspruch und richtete sich an ein breites Publikum, also auch an diejenigen, denen Kunst sonst fremd war. Weil die Serie ohne Mord und Totschlag auskommen konnte, mußten Privatleute ermitteln, und hier waren das zwei Reporter und eine Kunsthistorikern.
Durch die Aufdeckung des Watergate-Skandals waren Carl Bernstein und Bob Woodward von der Washington Post zu Helden geworden. Die US-Serie Lou Grant über eine investigative Lokalredaktion in Los Angeles zeichnete ebenfalls ein leuchtendes Bild von Journalisten.
Den Starring bilden die beiden Reporter Gerd Wieland und Peter Kohlhoff von der Illustrierten Die Aktuelle. Unterstützt werden sie bei ihren Fällen von der Kunsthistorikerin Helga Sladkovicz.
Die Serie fiel bei der Kritik durch, galt als lahm und umständlich. Die Chancen für ein Revival auf DVD/BluRay oder Streaming sehen eher düster aus.
  • Episoden 1 + 2 (Folge 1): "Mike macht's möglich", Drehbuch: Reinfried Keilich, Regie: Ulrich Stark
    Dem Trio Michael "Mike" Dichtel, seine Ehefrau Hannelore und Lagerverwalter Wachinger ist zwar der perfekte Kunstdiebstahl gelungen, aber danach gibt es Schwierigkeiten. Denn es läßt sich weder verkaufen noch an die Versicherung verscherbeln. Anonym handeln sie einen Deal mit der Illustrierten Die Aktuelle über 100.000 DM aus.
  • Episode 3 (Folge 2): "Die Alte und der Jüngling", Drehbuch: Irene Rodrian, Regie: Ulrich Stark
    Als Witwe eines reichen Unternehmers gönnt sich Julia Nossak einen Italienurlaub. Dabei verguckt sie sich in die Marmorstatue eines Jünglings, die sie rauben läßt.
  • Episoden 4 + 5 (Folge 3): "Der Canaletto", Drehbuch: Reinfried Keilich, Regie: Ulrich Stark
    Der Schweizer Immobilienmakler Pernau sammelt leidenschaftlich Kunst, ist jedoch ziemlich zugeknöpft. Die Reporter glauben, daß er der Unbekannte ist, der auf Auktionen die wertvollsten Objekte erwirbt. - über Canaletto, einen alten Meister mit vier Händen. Canaletto ist das gemeinsame Pseudonym von Giovanni Antonio Canal (1697 – 1768) und seinem Neffen Bernardo Bellotto (1722–1780)
  • Episode 6 (Folge 4): "Knastbrüder", Drehuch und Regie: Manfred Seide
    Eine Serie von Kunstdiebstählen in Italien schürt den Verdacht, daß ein Insider daran beteiligt sein muß. Alle Spuren weisen auf den (fiktiven) Kunstexperten Carlo Maggiera, genannt „Raffael“ - der sitzt jedoch im Knast.
  • Episoden 7 + 8 (Folge 5): "Der gute Mensch von K.", Drehuch und Regie: Manfred Seide
    Während der Nazizeit mußte ein Kunstmaler aus seinem Geburtsort Kirchblaich in die USA flüchten, wo er berühmt wurde. Zum 25. Todestag wiill sich Kirchlaich mit einer Gedenktafel rehabilitieren. Der reiche Möbelfabikant Fritz Paulmann kandidiert für den Landtag, und da sorgt der Kauf eines Gemälde des verlorenen Sohns der Gemeinde für 100.000 Dm für Publicity. Das Gemälde wird jedoch gestohlen.
  • Episode 9 (Folge 6): "Ein Gipskopf zuviel", Drehbuch: Reinfried Keilich, Regie: Manfred Seide
    Ernst Neugebauer verdient sein Geld mit Krediten und möchte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Das Geburtstagsgeschenk zum 50. seiner Gattin bietet ihm die Gelegenheit, Schwarzgeld zu waschen. Leider riuft der antike Bronzekopf aus Italien die Reporter auf den Plan.
  • Episoden 10 + 11 (Folge 7): "Beckmann in Genua", Drehbuch: Irene Rodrian, Regie: Ulrich Stark
    Kurz bevor eine Ausstellung von Max Beckmann (1884 - 1960) eröffnet wird, verschwindet eine Kiste mit Gemälden des Expressionisten.
  • Episode 12 (Folge 8): "Kennen Sie Cranach?", Drehuch und Regie: Manfred Seide
    Kürzlich wurde ein Lucas Cranach für 650.000 DM gehandelt. Zwei Einbrecher wittern ihre Chance, als sie in der Galerie eines alten Schlosses einen ungesicherten Cranach entdecken. Sie können ihn zwar rauben, aber niemand will ihre Beute kaufen. - über Lucas Cranach der Ältere (1472 - 1553) bzw. Lucas Cranach der Jüngere (1515 - 1586)
  • Episode 13 (Folge 9): "Hier irrt der Meister", Drehbuch: Irene Rodrian, Regie: Ulrich Stark
    Den jungen Kunstmalern Henner und Günther gelingt es trotz ihres Könnens nicht, auf dem Kunstmarkt zu reüssieren. Ihrem erfolgreichen Kollegen Gary P. Schweitzer neiden sie seinen Erfolg. Um ihm eins auszuwischen, wollen sie sein Gemälde in der Villa des Schauspielers Asendorf deshalb durch eine Kopie austauschen, um ihn bloßzustellen.
Mit freundlicher Unterstützung der Krimihomepage.

Servalan 22.08.2017 11:27

The Prisoner | Nummer 6 (Großbritannien 1967-1968, ITV), 1 Staffel, 17 Episoden) von Patrick McGoohan und George Markstein, Gesamtlänge: 17 x 50 min

Neben dem rätselhaften Plot beeindruckt diese Kultserie aus den 1960ern durch ihren unverwechselbaren Look. Ähnlich wie später Miami Vice hat die Serie ein visuelles Konzept, das über Kostüme, Ausstattung und Requisiten bis zum Drehort geht.
Einige Zeit wurde über den unwirklichen Drehort spekuliert, wobei über Marokko gemunkelt wurde. In der Serie selbst wird Das Dorf | The Village an die Ostsee verlegt, nach Litauen, dreißig Meilen von der polnischen Grenze entfernt. Im Remake von 2009 liegt Das Dorf tatsächlich in einer Wüste, aber die befindet sich matrixmäßig in einem Holodeck.

Agenten sind Geheimnisträger, und wenn die von sich aus kündigen, könnten sie Geheimnisse an feindliche Mächte verraten. Der britische Geheimdienst sorgt vor, indem alle Ex-Agenten in ein hermetisch abgeriegeltes Ferienresort verschleppt und dort festgesetzt werden. Die Serie zeigt, wie sich Nummer 6 widersetzt und zu entkommen versucht.

Gedreht wurde in Portmeirion an der Küste von Snowdonia in Nordwales. Obwohl die Krimiserie Hinterland | Inspector Mathias ebenfalls in Nordwales (Aberystwyth) spielt, zeigt diese eher eine unwirtliche, schroffe und abweisende Provinz in einem kühl-regnerischen Klima. Dieser Gegensatz trägt zur (alb-)traumhaften Qualität der Serie bei.

Das künstliche Dorf im mediterranen Stil liegt an der geschützten Bucht von Tremadog und wurde über fünfzig Jahre (1926 - 1975) lang von dem Architekten Sir Bertram Clough Williams-Ellis (1883 - 1978) errichtet. Als Vorbild diente ihm Portofino (Ligurien, Provinz Genua) an der italienischen Riviera.
Clough Williams-Ellis studierte eigentlich Naturwissenschaften in Cambridge, machte jedoch keinen Abschluß. Stattdessen studierte er einige Monate an der Architectural Association School of Architecture und arbeitete einige Monate für einen Architekten, bevor er sich selbständig machte.
Bauwerke von ihm finden sich in Frankreich, den Niederlanden, Irland, Argentinien, China, den USA und Südafrika - sowie in England, Schottland, Wales, Nordirland und auf der Insel Guernsey.
Neben dem Adelstitel wurde er mit dem Order of the British Empire (OBE) und dem Military Cross (MC) ausgezeichnet, die zu den höchsten Würden im Vereinigten Königreich zählen.

Servalan 23.08.2017 16:18

Heiter bis tödlich: Morden im Norden Staffel 1 Episode 5 (Folge 5) "Besuch der alten Dame" (Deutschland 2011, neue deutsche Filmgesellschaft ndF: für Das Erste), Drehbuch: Ralf Löhnhardt und Renate Martin, Regie: Edzard Onneken, 48 min, FSK 12

Erstaunlicherweise widmet sich gleich die nächste Folge der Serie dem Schicksal eines ambitionierten Künstlers aus bescheidenen Verhältnissen.

Frank Oderwald verdient sich seinen Lebensunterhalt, indem er Touristen bei der Lübecker Hafenrundfahrt porträtiert. Gemanagt wird er von seiner Mutter, der ehemaligen Hebamme Margarethe Oderwald.
Eines Tages porträtiert er eine reiche Dame, die nach Jahrzehnten aus den USA in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um "einen Kreis zu schließen". Am nächsten Tag wird die alte Dame tot auf ihrem Zimmer im Grand Hotel aufgefunden.
Mutter und Sohn werden natürlich als Zeugen vernommen. Wegen seines Zeichentalents soll Frank Oderwald Phantombilder nach Zeugenaussagen zeichnen. Seine Mutter handelt ein ordentliches Honorar für ihn aus.

Servalan 25.08.2017 15:18

Die Höhlen von Lascaux und Altamira mit ihren Höhlenmalereien bilden Fixpunkte, sobald es um die Anfänge der Kunst geht. Wer sich regelmäßig mit diesem Thema befaßt, wird festgestellt haben, daß sich die Gelehrten keineswegs einig sind. Auf diese Weise wandert der Ursprung der Kunst immer tiefer zurück in die Vergangenheit, was auch in der Wikipedia vermerkt wird:
Zitat:

Datierung der Höhlenbilder
Ursprünglich wurden die Höhlenmalereien dem frühen Magdalénien zugerechnet, etwa dem Zeitraum zwischen 17.000 und 15.000 v. Chr. Durch das Auffinden von älteren Artefakten aus dem Solutréen sind inzwischen Zweifel an dieser Zuordnung laut geworden. Autoren wie Norbert Aujoulat halten die Höhle sogar für noch älter und nähern sich somit wieder der von Breuil geäußerten Vermutung der Zuordnung zum Périgordien (ca. 36.000 - 19.000 v. Chr. ).
Weil die Atemluft die Höhlenmalereien angreift, dürfen Touristen nur ein dreidimensionales Faksimile in einer Höhle nebenan sehen. Für gewöhnliche Menschen sind die Originale tabu.
Ersatzweise bietet sich der 3D-Dokumentarfilm von Werner Herzog an:

Cave of Forgotten Dreams | Die Höhle der vergessenen Träume (Frankreich / Kanada / USA / Großbritannien / Deutschland 2010, deutsche Fassung produziert von TV+Synchron Berlin), Drehbuch und Regie: Werner Herzog, 90 min, FSK: 6 - Wandmalereien der Grotte Chauvet-Pont d'Arc (Vallon-Pont-d’Arc, Ardèche), UNESCO-Weltkultuerbe, vermutlich mehr als 30.000 Jahre alt

Servalan 15.09.2017 12:39

Graf Yoster gibt sich die Ehre Staffel 1 Episode 1 (Folge 1) "Die Kunst und wie man sie macht" (Deutschland, Bavaria Atelier GmbH für Rundfunkwerbung Stuttgart GmbH 1967), Drehbuch: Karl Heinz Willschrei, Regie: Michael Braun, 25 min

Die erste Folge einer Fernsehserie muß nicht nur die Hauptfiguren vorstellen und sie deutlich charakterisieren, sie setzt vielmehr den Tonfall und gibt ein Muster für Atmosphäre der weiteren Folgen vor. Wegen dieser ungewöhnlichen Verdichtung besteht die Gefahr, das Schema zu holzschnittartig zu nutzen.
Mitte der 1960er Jahre gab es noch das klassische Bildungsbürgertum, das sich von den ungebildeten Schichten absetzte und stolz auf seine Kenntnisse war. Der Fall um gefälschte Gemälde von Vincent Van Gogh (1853 - 1890) gehörte damals keineswegs zum Allgemeingut, weshalb die kurze Folge vergleichsweise tief in die Details geht.

Graf Yoster ist ein Gentleman-Detektiv, der sich dank seiner erfolgreichen Krimis, ein Schloß und einen Chaffeur, den vorbestraften Johann, leisten kann. Sein erster Fall führt ihn nach Wien auf eine Auktion der Galerie Nafziger, auf der ein gerade gefundener Van Gogh versteigert werden soll. Johann hat davon keine Ahnung: "Der Name steht jedenfalls nicht unserem Register."
Die Auktion hat sogar Kunstsammler aus Übersee angelockt. Graf Yoster unterläuft das Klischee, denn er ist gekommen, weil er eine Fälschung kaufen möchte. Galerist Nafziger teilt ihm jedoch mit, das Gemälde sei echt, dennoch wird es von der Auktion (gehandelt wird in Mark!) trotz vorliegender Expertise zurückgezogen. Nachdem ein Corot (1796 - 1875) versteigert wurde, gönnt sich Graf Yoster eine Skizze des unbekannten Künstlers Ludwig Krailing für 3.000 DM, weil ihn dessen Strich an Van Gogh erinnert.
Graf Yoster kennt den Kunstprofessor, bei dem Krailing gelernt hatte, und sucht ihn auf. Dort erfährt er, daß echte Van Goghs noch auf Dachböden oder Flohmärkten auftauchen können. Sein Bekannter erklärt ihm jedoch die Finessen der überzeugenden Kunstfälschung. Der vielversprechende junge Künstler Krailing ist jedoch seit einer Weile wie vom Erdboden verschluckt.

Servalan 15.09.2017 15:17

Tatort (Folge 235) zugleich Polizeiruf 110 (Folge 142) "Unter Brüdern", Arbeitstitel der Episode: "Ein Posten Kunst" und "Deutschland einig Vaterland" (Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik 1990, WDR für ARD und Deutscher Fernsehfunk DFF), Drehbuch: Helmut Krätzig und Veith von Fürstenberg, Regie: Helmut Krätzig, 94 min, FSK 12

Diese Episode zollt der deutschen Wiedervereinigung ihren Tribut und stellt sowohl film- wie fernsehgeschichtlich etwas Besonderes dar. Das Crossover von Ost und West zählt zu den letzten Produktionen des DFF, dennoch gilt die Gemeinschaftsproduktion in beiden Krimiserien jeweils als eigenständige Folge.
Die Vorspänne beider Serien wurden recht steif miteinander kombiniert, und weil hier zwei Teams mit insgesamt vier Kommissaren ermitteln, dauert die Episode wenige Minuten länger als anderthalb Stunden.

Zunächst ermitteln beide Teams für sich: Ein toter Stasi-Offizier führt die Duisburger Kommissare Schimanski, Thanner und Hänschen zum Kunsthändler Schrader, dem die ganze Sache peinlich ist. Offensichtlich hat er Raubkunst aus der DDR mit falschen Expertisen gehandelt, aber reumütig verspricht er, die Hehlerware zurückzugeben.
In Berlin, Haupstadt der DDR, entdecken die Kommissare Fuchs und Grawe ein obskures Kunstlager in einem leer stehenden Gebäude. Kriminaloberkommissar Grawe nimmt den Bestand jedoch unter die Lupe und entdeckt dabei, daß die Gemälde auf der Vorderseite nur der Ablenkung dienen. Denn auf der Rückseite finden sich teure Gemälde, alte Meister, die aus Museen der DDR verschwunden sind.


Servalan 18.09.2017 14:29

[Heiter bis tödlich] Hubert und Staller Staffel 2 Episode 12 (Folge 28) "Die Venus von Ambach" (Deutschland 2013, Tele München Gruppe TMG und Entertainment Factory EF für ARD-Werbung des Bayerischen Rundfunks), Drehbuch: Reinhard Krökel, Regie: Jan Markus Linhof, 45 min

Der Episodentitel klingt verdächtig nach dem einer anderen Regionalkrimiserie (siehe # 25) und auch hier ist der Humor wichtiger als ein spannender Fall.
Hubert und Staller sind zwei bayerische Streifenpolizisten aus der Gegend um den Starnberger See und Wolfratshausen.

Als sie ihre Bekannte aus der örtlichen Bäckerei beim Catering einer Vernissage unterstützen, finden sie den Künstler Nobo Grün erschlagen vor. Der Täter hat dazu eine Statue Grüns benutzt, eine weitere wurde gestohlen: Die Venus von Ambach. Zu Lebzeiten betrug der Schätzwert 20.000 Euro, nach dem Tod Grüns steigt der Wert um das Dreifache.

Servalan 07.10.2017 15:33

The Cremaster Cycle (USA, Nancy Spector für Solomon R. Guggenheim Foundation 1994-2002) 5 Teile, Drehbuch und Regie: Matthew Barney, 398 min, FSK: keine Altersfreigabe (ab 18)

Die Kunstwelt ist sich über dieses Kunstwerk nicht einig: Von Fans wird es als verschärfte Version von Twin Peaks verehrt, während es von anderen Teilen als selbstverliebt und ekelhaftes Kunsthandwerk abgelehnt wird.
Die Serie wurde von Matthew Barney nicht-chronologisch gedreht, weshalb die Produktionsdaten von der Reihenfolge der Einzelfilme abweichen: Teil 1 (1995), Teil 2 (1999), Teil 3 (2002), Teil 4 (1995) und Teil 5 (1997). Obwohl die meisten Teile gut eine Stunde lang sind, gibt es deutliche Abweichungen: Teil 1 dauert nur 41 Minuten, während Teil 3 mit 185 Minuten Sitzfleisch verlangt.
Die verwendeten Kostüme, Requisiten und Ausstattung gingen auf Tournee in renommierten internationalen Museen: Zuerst waren sie im Solomon R. Guggenheim Museum in New York City zu sehen, 2002 und 2003 dann im Museum Ludwig in Köln sowie im Musée d'art Moderne in Paris.

Im Gegensatz zu klassischen Fernsehserien gab es auf DVD bloß eine limitierte Auflage von 20 Stück, die für 100.000 US-Dollar verlauft wurden. International wird der Zyklus vom Kunstvertrieb Palm Pictures vermarktet, weshalb der Zugang extrem beschränkt ist.
Meist läuft der Zyklus in Museen oder im Rahmen der Ausstellung begleitend in Arthouse-Kinos und auch dort nur relativ spärlich. Wer das Werk sehen will, von dem oder der wird Disziplin verlangt. Meist läuft unter der Woche täglich je Teil, während der Zyklus am Wochende komplett durchläuft.

Matthew Barney war zeitweise mit Björk zusammen, so daß einige Barneys Ästhetik wohl schon kennen, ohne es zu wissen. Der Titel bezieht sich auf einen menschlichen Muskel, genauer gesagt: einen männlichen Muskel, der am Hoden auf Temperaturen reagiert.
Barney beschäftigt sich mit der Geschichte und Mythologie der Männlichkeit in den USA und spielt bildgewaltig diverse Modelle durch: der Mythos vom Serienkiller, die Martialität im Stockcar-Rennen, die Initiationsriten der Freimaurer ...

Ich war froh, als ich die Gelegenheit hatte, den Cremaster Cycle zu sehen. Wenige Tage später lief noch ein weiterer Barney im Kino, aber da habe ich kapituliert. Irgendwann war mir das zuviel.
Selbst für Erwachsene ist der Zyklus eine Zumutung. Wer den Zyklus aber trotzdem einmal im Leben gesehen haben möchte, muß die Augen offen halten ...

Servalan 07.10.2017 17:30

Die Kanzlei Staffel 1 Episode 8 (Folge 8) "Der nächste Zug" (Deutschland, Letterbox Filmproduktion GmbH für Das Erste 2015), Drehbuch. Thorsten Näter, Regie: Stephan Rick, 48 min, FSK: 6

Die Kanzlei ist keine eigenständige Serie, sondern eine direkte Fortsetzung von Der Dicke um den Hamburger Anwalt Gregor Ehrenberg, der in der Tradition seines Berliner Kollegen Robert Liebling kleine Leute in Strafsachen berät, auch wenn sich das nicht rechnet.
Wäre Hauptdarsteller Dieter Pfaff (geb. 1947) nicht am 3. März 2013 seinem Lungenkrebs erlegen, wäre das die 5. Staffel geworden - und die 8. Episode dann die 60. Folge der Serie.
Creator und Headwriter Thorsten Näter spinnt die ersten sechs Folgen der Nachfolgeserie um das merkwürdige Verhalten des abwesenden Gregor Ehrenberg herum. Die Episoden 5 und 6 mit der Todesnachricht und Ehrenbergs Begräbnis bilden insofern den Staffettenwechsel zum neuen Team mit den Rechtsanwälten Isabel von Brede und Markus Geffert. Yasmin Meckel, geborene Ülküm, Gudrun Wohlers und Hund Teddy sorgen für Kontinuität.

Der anerkannte Maler Lutz Siebholz hat Selbstmord begangen, indem er vor einen fahrenden Zug gelaufen ist. Zugführer Lutz Markwart hat seitdem ein Trauma und ist arbeitsunfähig geschrieben. Die Witwe Michaela Siebholz will jedoch den Suizid nicht wahrhaben und hat die Bahn verklagt. Ihr Mann wäre auf die Gleise geraten, weil kein Warnschild vorhanden gewesen sei, behauptet sie. Frau Markwart trifft sich mit Isabel von Brede, weil sie die Wtwe verklagen möchte.

Servalan 19.10.2017 15:41

Ich und Kaminski (Deutschland 2015, ED Productions Sprl, Potemkino, Velvet Films und X Filme Creative Pool), Drehbuch: Thomas Wendrich, Wolfgang Becker und Achim von Borries nach dem gleichnamigen Roman (Suhrkamp 2003) von Daniel Kehlmann, Regie: Wolfgang Becker, 124 min, FSK: 6

Danel Kehlmann weiß, wovon er schreibt, denn er stammt aus einer Künstlerfamilie: Seine Mutter Dagmar Mettler ist Schauspielerin, sein Vater Michael Kehlmann Regisseur und dessen Vater (also Kehlmanns Großvater väterlicherseits) war der expressionistische Schriftsteller Eduard Kehlmann (1882 - 1955).
Während Kehlmann seine überhebliche Hauptfigur gnadenlos scheitern läßt, gelang ihm mit diesem Roman, seinem fünften Werk und seinem dritten Roman, der Durchbruch. Mit seinem Nachfolger, Die Vermessung der Welt. Roman (Rowohlt Verlag 2005) über die deutschen Geistesgrößen Carl Friedrich Gauß (1777 – 1855) und Alexander von Humboldt (1769 – 1859), etablierte er sich als internationaler Bestsellerautor.

Der Regisseur und Co-Drehbuchautor Wolfgang Becker gehört zu den Köpfen der 1994 gegründeten Filmproduktionsgesellschaft X Filme Creative Pool. Becker selbst lockte das Publikum mit seinen Erfolgen Das Leben ist eine Baustelle (1997) nicht nur auf die Berlinale und mit Good Bye, Lenin! (2003) ins Kino. Das Unternehmen von den Regisseuren Tom Tykwer, Dani Levy und Wolfgang Becker sowie dem Produzenten Stefan Arndt wurde zum Synonym für ein junges, deutsches Kino mit spannenden Geschichten aus dem Alltag.
Eine internationale Resonanz gelang X Filme mit Tom Tykwers Lola rennt (1998), der die Kritik begeisterte und 22,9 Millionen Dollar weltweit einspielte. Angeregt vom Schmetterlingseffekt der Chaostheorie wird Lolas verzweifeltes Rennen gegen die Zeit fünfmal mit kleinen Variationen durchgespielt. Jeder neue Lauf beginnt mit einer Trickfilmsequenz (Studio Film Bilder von Thomas Meyer-Hermann und Gil Alkabetz), damals ein außergewöhnliches visuelles Konzept.

Becker nutzt diese Erfahrungen und setzt Animation ziemlich souverän ein, so daß der Realfilm teilweise bruchlos in Animationssequenzen übergeht. Ergänzt wird das Konzept durch einen ironischen Point-of-View: Wenn der eitle Sebastian Zöllner sich mal wieder aufregt und am liebsten jemanden umbringen möchte, dann sehen wir das - erst dann geht der Film mit den realen Gegebenheiten weiter.
Damit die Fiktion über (den ausgedachten) Maler Manuel Kaminski glaubwürdig wirkt, bringen (Kehlmann und) Becker zunächst anerkannte Größen der internationalen Kunstgeschichte ins Spiel: Pablo Picasso, Henri Matisse und Claes Oldenburg. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr steht Kaminski im Mittelpunkt, dessen fiktives Umfeld eine eigene Dynamik gewinnt.
Obwohl die Verfilmung kleine Längen hat (die Road-Movie-Sequenz), bietet er optisch Leckereien auf (die Angelsachsen nennen das eye-candy), die den Film zu einem Genuß machen.

Nach dieser Satire besteht der gesamte Kunstbetrieb aus zynischen Spitzen, Sottisen und Aperçus, die ein Eigenleben gewinnen. Denn jeder manipuliert jeden anderen und versucht, den größten Vorteil für sich selbst herauszuschlagen.
Bei Kaminskis erster großer Ausstellung im Big Apple mokiert sich Kollege Claes Oldenburg über den "Blind Painter", weshalb sich dieser spöttische Zusatz über Nacht zu Kaminski Markenzeichen entwickelt. Wenn der nun im Alter wirklich erblindet, ist das ein sarkastischer Witz der Kunstgeschichte.

Servalan 19.10.2017 19:13

Taxi (Deutschland 2015, B&T Film mit Zinnober Film, Schubert International Filmproduktion, cine plus Filmproduktion und Apollomedia in Zusammenarbeit mit Arte und WDR, gefördert von Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH), Film- und Medienstiftung NRW, Nordmedia, Deutscher Filmförderfond (DFFF), der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) sowie Filmförderungsanstalt (FFA)), Drehbuch: Karen Duve nach ihrem gleichnamigen Roman (Eichborn 2008), Regie: Kerstin Ahlrichs, 94 min, FSK: 6

Karen Duve hat sich mittlerweile im Literaturbetrieb etabliert. Dabei reicht ihr Spektrum von Romanen und Kurzgeschichten über Kinderbücher bis zu Essays, Kurzgeschichten und Beiträgen für Anthologien.
Szenisches Schreiben scheint ihr eher weniger zu liegen, denn für Film und Theater oder die Audioversion im Hörspiel oder Feature findet sich bei ihr kaum etwas. Das Drehbuch zu ihrer Romanverfilmung Taxi ist bis heute bezeichnenderweise ohne Folgen geblieben.

Was sich auf Papier gut lesen läßt, muß auf der Leinwand noch lange nicht funktionieren: Die Kombination aus einem Dreiecksmelodram und episodischen Geschichten aus dem Alltag (hier zu nächtlichen Zeiten) hängt auf der Leinwand ein wenig durch.
Angeregt wurde Karen Duve ihre eigenen Erfahrungen als Taxifahrerin (diese Tatsache wird im Roman und im Film betont), die Hamburg bei Nacht erlebt.
Mit dem Game of Thrones-Idol Peter Dinklage findet sich ein internationaler Star unter den Hauptrollen.

Das Plaudern aus dem eigenen Nähkästchen wirkt jedoch nicht glaubwürdig, denn schon der Vorspann erinnert mich unwillkürlich an eine klassische US-Serie, die auch im ZDF lief: Die Sitcom Taxi (ABC und NBC 1978-1983, 5 Staffeln mit 114 Episoden) heimste damals 18 Emmy Awards ein.
Denn in beiden heißt die Hauptfigur Alex: Bei der Sunshine Cab Company in Manhattan steuert der männliche Alex Reiger durch den Verkahr, bei Duve chauffiert die weibliche Alexandra Herwig ihre Gäste durch die Metropole. Auch der persische Besitzer des Taxiunternehmens, Mergolan, kann gewisse Ähnlichkeiten mit dem Besitzer des Unternehmens, dem cholerischen Louie De Palma, nicht verleugnen.
Skurrile Figuren geben in jeder Folge ihr Gastspiel. Außerdem spielen sowohl die US-Serie als auch der deutsche Film in den 1980ern, die Fernsehserie am Anfang der Dekade, die Verfilmung gegen Ende des Jahrzehnts.

Zu ihren Kollegen bei Mergolan gehört Dietrich, den ihre ausschließlich männlichen Kollegen für etwas Besonderes halten. Dietrich verschafft Alex eine Wohnung und erlaubt es Alex so, sich vom spießigen Elternhaus abzunabeln. Und die liegt zufälligerweise direkt unter Dietrichs Bude, der sich in Gemälden selbstverwirklicht, aber den richtigen Durchbruch noch nicht geschafft hat. In ihrer Freizeit steht Alex dem Künstler Dietrich Modell.

Servalan 27.10.2017 15:20

Tatort (Folge 471) "Totenmesse" (Deutschland 2001, Mitteldeutscher Rundfunk MDR für Das Erste), Drehbuch: Andreas Pflüger und Pim Richter, Regie: Thomas Freundner, 88 min, FSK. 12

Nach 21 Fällen in Dresden ist dies der fünfte Fall für die Kommissare Ehrlicher und Kain in Leipzig. Während die Kommissare erst in der Schlußphase an Beliebthei gewannent, aber ansonsten zum guten Mittelfeld zählten, erhielt dieser Fall aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität erstaunlich positive Kritiken.

Der Schauplatz der Episode findet sich in der Alten Messe Leipzig, die ziemlich heruntergekommen ist und nach einem Konzept generalüberholt werden soll. Der Kreis der Verdächtigen rekrutiert sich deswegen zum einen aus den Managern eines millionenschweren Investitionskonzerns sowie der Architektenszene im engeren Sinne und der kreativen Szene im weiteren Sinne.
Bruno Ehrlicher hängt dabei sentimentalen Erinnerungen nach, als die Leipziger Messe noch das internationale Aushängeschild der Deutschen Demokratischen Republik war.

Die Urban Invest AG hat einen internationalen Architekturwettbewerb für die Leipziger Messe ausgeschrieben, die für 800 Millionen Euro saniert werden soll.
Der in Leipzig ansässige Architekt Martin Frings mit seinem Büro rechnet sich als obligatorischer "Quotensachse" bloß geringe Chancen aus. Außerdem ist er von den nie zufriedenen Managern Hagen Peukert und Caspar Freyberg genervt, die immer neue Wünsche anbringen. Deswegen muß er die teuren Modelle der Bauten ständig umbauen.
Weiteren Ärger verursacht ihm die Steuerfahndung.
Der Sieg des Wettbewerbs bringt dem Gewinner eine Prämie von neun Prozent der Bausumme. Kain sieht in 70 Millionen Euro (mathematisch sind das sogar 72 Millionen) ein Motiv, das für einen Mord reicht.

Die Kamera lenkt das Auge auf folgende Baudenkmale:
  • Sie fliegt in einer Acht durch das Logo, das Doppel-M für „Messamt für die Mustermessen“. Entworfen wurde es vom Grafiker Erich Gruner (1881 - 1966), eingeweiht wurde es bei der Herbstmesse 1917 im Ersten Weltkrieg.
    Zitat:

    Ursprünglich gab es vier Doppel-M, welche die vier Hauptzugänge auf das Alte Messe Gelände markierten. Das Letzte ist mit einer Höhe von 27 Metern, einer gestreckten Länge der beiden M von 42 Metern und einer Gesamtfläche der Alu Profile von 1.125 m² schon von Weitem ersichtlich. Nach dem Umzug der Messe auf das neue Messegelände im Norden der Stadt Leipzig blieb das Doppel-M der Alten Messe erhalten.
  • Häufigster Schauplatz ist die Messehalle 12, offiziell Achilleion Leipzig, von Ehrlicher jedoch nur Sowjetischer Pavillon genannt. In den 1920er Jahren sollte Leipzig eine neue Sporthalle erhalten, für die eine Halle umgebaut werden sollte, die 1913 für die Internationale Baufach-Ausstellung errichtet worden war. Nach dem Entwurf der Architekten Oskar Pusch (1877 - 1970) und Carl Krämer wurde 1923-1924 das Achilleion gebaut. Durch Luftangriffe wurde die Halle im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und 1950 als Sowjetischer Pavillon neu eröffnet.
Das war nicht der erste Tatort, und der letzte wird es auch nicht sein. Wenn ich es recht überschlage, dürften so an die zehn Episoden zusammenkommen ...

Servalan 30.10.2017 14:31

Wholetrain (Deutschland / Polen, Goldkind Filmproduktion und Aerodynamic Film für ZDF - Das kleine Fernsehspiel 2006), Drehbuch und Regie: Florian Gaag, 89 min, FSK: 12, JMK: 14

In den meisten Filmen kommen Graffiti-Sprayer schlecht weg, weil sich deren Kunst meist im Illegalen bewegt. Mittlerweile bietet die Kunstszene Freiflächen für legale Pieces, häufig Auftragsarbeiten mit entsprechendem Werbewert oder als touristisches Lockmittel. Bei ihren häufig nächtlichen Aktionen versehen Sprayer allein oder in Gruppen öffentliche und private Oberflächen mit ihren Tags und Pieces. Rechtlich gesehen handelt sich in Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Sachbeschädigung, die häufig mit Sozialstunden, der zwangsweisen Entfernung der Graffiti und Schadensersatzforderungen geahndet werden.
Die Subkultur wehrt sich durch einen eigenen Slang, der für Laien kryptisch bleibt. So bezeichnet der "Wholetrain" eine Aktion, bei der ein kompletter Zug in einem Rutsch komplett als Bildfläche genutzt wird.
Da die Unternehmen die Flächen rasch reinigen, dolumentieren die Writer und Sprayer ihre Pieces selbst. Allerdings müssen sie ihre Dokumentationen sorgfältig verstecken, weil sie sich sonst selbst überführen könnten.

Auf der Leinwand mischen sich Spielfilm und Dokumentarfilm. Während die klassischen Werke schon in den 1980er Jahren in den USA entstanden, findet das Writing von Tags und Pieces erst in Nuller Jahren Resonanz in der deutschen Filmlandschaft. Die Pioniere hinter der Kamera wie Frank Lämmer oder Florian Gaag stammen aus der Szene, der sie vor allem über die Musikproduktion weiterhin verbunden bleiben.
Wholetrain ist ein Autorenfilm im engsten Sinne: Vom Regisseur Florian Gaag stammt nicht nur das Drehbuch, mit seiner Firma Aerodynamic Film fungiert er darüber hinaus als Co-Produzent und hat den Soundtrack produziert. Weil er sich in der Szene auskennt und die Kamera Writer und Sprayer in Aktion zeigt, suchte er Schauspieler mit entsprechenden Erfahrungen. Ergänzt wurde das Casting durch erfahrene Writer aus der Szene: Cemnoz, Neon, Won, Ciel, Mons und Pure.

So viel Lebensnähe hält den Film quicklebendig, zugleich bereitet er Mühe, sobald es um Drehgenehmigungen auf dem Bahngelände geht. Bei der Deutschen Bahn wurde höflich angefragt, doch die lehnte nicht nur erbost ab, vielmehr setzte sie alles daran, das Filmprojekt europaweit zu stoppen. Die polnische Bahngesellschaft Rozkład jazdy PKP sagte dennoch zu.
Einige Szenen wurden (aus Trotz oder Rache?) in München gedreht.

Die beiden Berliner Graffiti-Crews KSB und ATL sind einander in herzlicher Feindschaft verbunden und messen ihre Kräfte und Künste miteinander. Wer zuerst einen Wholetrain vorweisen kann, dessen Crew hätte gewonnen.
Im Mittelpunkt stehen der Autolackierer Elyas (gespielt von Elyas M’Barek, bekannt durch Türkisch für Anfänger und die Fack ju Göhte-Trilogie), der Schüler Achim und Tino, der trotz seines Sohnes Kenny ein chaotisches Leben führt. Leader of the Pack ist David.
Weil David, Elyas und Tino schon mehrmals erwischt worden sind, kennt die Polizei ihre Adressen. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus Schulden (wegen des Schadenersatzes), der Kontrolle durch Bewährungshelfer, der Flucht vor der Polizei und der Fehde mit der ATL-Crew.
David möchte wegen seiner Schulden aussteigen, und sein Bewährungshelfer empfiehlt ihm einen Kunstprofessor, bei dem er sich vorstellen soll ...

Servalan 14.11.2017 18:25

Michael (Deutschland 1924, Erich Pommer für Universum-Film AG (UFA), Abt. Decla-Bioscop), Drehbuch: Thea von Harbou und Carl Theodor Dreyer nach dem Roman Mikaël (1904) von Herman Bang, Regie: Carl Theodor Dreyer, 1.935 Meter ~ ca, 90 min stumm

In der Stummfilmzeit besaß das skandinavische Kino einen guten Ruf, teilweise wurde in deutschen Ateliers gedreht. Das Spektrum reichte dabei von Komikerduos wie Pat und Patachon (eigentlich Fyrtaarnet og Bivognen, also Leuchtturm und Sozius) bis hin zu ernsten Dramen.

Vor allem mit seiner Verfilmung der Leidensgeschichte der Jeanne d’Arc, Die Passion der Jungfrau von Orléans (Frankreich 1928), hat sich Carl Theodor Dreyer einen festen Platz in der Filmgeschichte erobert.
Zu Lebzeiten wurde er von Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau geschätzt, später beeinflußte er Robert Bresson, Ingmar Bergman, Andrei Tarkowski | Андрей Арсеньевич Тарковский und den lautstarken Provokateur Lars von Trier.

Der Künstlerroman des Dänen Herman Bang wurde auf diese Weise zweimal auf die Leinwand gebracht, das erste Mal vom Entdecker Greta Garbos, dem Schweden Mauritz Stiller, in Vingarne (Schweden 1916).
Carl Theodor Dreyers Kammerspiel schildert ein Dreiecksverhältnis, in dem sich der alternde Maler Claude Zoret zwischen seinen beiden jungen Modellen Eugène Michael und der verarmten russischen Fürstin Lucia Zamikow verzehrt und zerrieben wird.
Weil Bang homosexuell war, läuft der Stummfilm heutzutage auch in LGBT-Filmreihen. Allerdings halten sich Thea von Harbou und Dreyer in ihrer filmischen Bearbeitung stark zurück: Ohne ein gewisses erotisches Interesse kann hier kein künstlerisches Werk gelingen. Zoret scheint jedoch in erster Linie die Vitalität seiner Modelle zu reizen, während der alte Mann durch seine Kunst zu einem körperlosen, reinen Kopfwesen geworden ist. Eine fast drei Meter hohe Skulptur eines Kopfes drängt sich wiederholt ins Bild.

Zoret ist ein Malerfürst, der von seiner Entourage bewundert wird. Von allen wird er ehrfurchtsvoll Meister genannt und entsprechend behandelt. Dabei verbindet Zoret ein besonderes Schicksal mit Michael, der vor vier Jahren anklopfte, um vom Meister das künstlerische Handwerk zu erlernen. Von seinen Werken hielt Zoret nichts, dennoch fragt seinen abgewiesenen Schüler, ob der ihm nicht Modell stehen könne.
Erst nach dieser Begegnung gelingt Zoret der Durchbruch in den Olymp der Kunstwelt. Obwohl der Markt für seine algerischen Skizzen von Michael schon 30.000 Dollar geboten hat, will er sich nicht von ihnen trennen.
Der Meister residiert auf einem stattlichen Anwesen und leistet sich einen Majordomus. Der Journalist Charles Switt leistet ihm freundschaftlich Gesellschaft und notiert erbauliche Tischgespräche für eine Biographie, die nach dem Tod des Meisters erscheinen soll.
Michael hat freien Zugriff auf das Konto des Meisters, und nachdem er sich in Gräfin Zamikow verguckt, bedient er sich ein wenig zu schamlos. Zorets Bankier will Zahlungsschwierigkeiten vorbeugen, deshalb unterrichtet er den Meister. Der läßt daraufhin ein eigenes Konto für Michael einrichten.


Zoret zeichnet realistisch und figürlich, seine Motive nutzen jedoch biblische, historische ("Cäsar und Brutus") und mythologische Elemente.
Die Szene ist erkennbar in der jüngeren Vergangenheit, Frankreich um 1900, angesiedelt, weshalb er dem Symbolismus und der Dekadenz zugeordnet werden kann.

Über das reale Vorbild Zorets sind sich die Exegeten nicht einig: Die italienische Wikipedia verweist nur auf Auguste Rodin (1840 - 1917), die französische Wikipedia auf Rodin und Claude Monet (1840 - 1926).

Servalan 16.11.2017 13:44

Großstadtrevier Staffel 20 Episode 15 (Folge 239) "Fenstergespenster" (Studio Hamburg für Das Erste 2006), Drehbuch: Jan Schröter, Regie: Miko Zeuschner, 48 min

Alfred Hitchcocks Klassiker Rear Window | Das Fenster zum Hof (USA 1954) nach der Kurzgeschichte "It Had to Be Murder" von Cornell Woolrich erfreut sich auch unter Filmschaffenden hoher Beliebtheit.
Deswegen finden sich Hommagen in der Form einzelner Episoden in etlichen Fernsehserien, besonders seit Jahrzehnten laufende Serien bieten sich als Varianten an - siehe zum Beispiel den Berliner Tatort "Hitchcock und Frau Wernicke" (Folge 764, 2010) mit den Kommissaren Till Ritter und Felix Stark.

Der verletzte Dirk Matthies beobachtet gelangweilt, was sich in der Umgebung seines Hauses tut und ruft im Ernstfall seine Kollegen. In der Nacht sieht er im Hinterhof, wie sich eine Mann und Frau streiten. Kurz darauf werden die Fenster geschlossen und das Licht gelöscht.
Als die Kollegen von der Streife die Wohnung im Erdgeschoß kontrollieren, die den Schwestern Vera und Lara Tanner gehört, wiegeln diese ab. Es wäre überhaupt kein Mann in ihrer Wohnung. Der übereifrige Matthies habe Gespenster gesehen.
Matthies läßt nicht locker und schickt seine Partnerin Katja Metz los, da die Wohnungstür unten wegen der Katze Minka bloß angelehnt sei. Bei ihrer heimlichen Recherche hört sie eine männliche Stimme.
Die anerkannte Kunstmalerin Lara Tanner sitzt im Rollstuhl und hat im Souterrain ihr großes Atelier, in dem sie Landschaften und Porträts anfertigt.

Servalan 16.11.2017 17:22

Tatort (Folge 567) "Der vierte Mann" (ProVobis Film im Auftrag des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) für Das Erste 2006), Drehbuch: Hartmann Schmige, Regie: Hannu Salonen, 88 min, FSK: 12

Obwohl Harald "Harry" Wolter, gespielt von Stargast Jürgen Vogel, gerne ein ehrliches Leben führen will, weil er nur so seinen Sohn Andreas öfter sehen kann, wird er vom LKA Berlin als Einbrecher und Mörder gejagt. Die Kommissare Ritter und Stark sind sich sicher, ihn erkannt zu haben, als er aus der Wohnung des Restaurators Lohmeyer vor der Polizei flüchtete.
Wegen Graffiti und Einbrüchen ist Wolter einschlägig vorbestraft, so daß er ziemlich rasch gefaßt wird. Im Verhör bestreitet Wolter, den Mord begangen zu haben, allerdings kannte er Lohmeyer. Wolter bringt das Duo dazu, sich den Tatort ein zweites Mal anzusehen. Prompt nutzt er diese Gelegenheit zur Flucht und taucht in Berlin unter.
Bei ihrem Lokaltermin entdecken Ritter und Stark ein verstecktes Gemälde aus dem deutschen Impressionismus, das von Max Liebermann (1847 - 1937) stammt. Geschätzter Wert: 10 Millionen Euro.

Servalan 24.11.2017 19:37

Heiter bis tödlich: Akte Ex Staffel 1 Episode 5 (Folge 5) "Schweinkram" (Deutschland 2012, Saxonia Media Filmproduktion GmbH für MDR und Das Erste), Drehbuch: Stefan Dauck, Regie: Jorgo Pappavasilliou, 48 min, FSK: 12

Verglichen mit anderen Regionalkrimis aus der Reihe Heiter bis tödlich befindet sich diese Serie im passablen Mittelfeld. Die Chemie des Ensembles stimmt, die Krimis haben ein gewisses Tempo, während der Humor trotz des kalauernden Serientitels wohldosiert eingesetzt wird. In Sachen Screwball unterliegt die Serie Alles Klara, bleibt jedoch wie diese bei aller Kriminalität familientauglich.
Die Serie läuft noch. Bislang liegen 24 Episoden in 3 Staffeln vor.
Den Schauplatz gibt die Kulturmetropole Weimar im ländlichen Thüringen. Im Heiter bis tödlich-Vorspann weichen Goethe und Schiller auf ihrem Denkmalssockel einer fliegenden Kugel aus.

Die erste Staffel bestimmt ein biographischer Spannungsbogen: Vor 13 Jahren ließ sich die heutige Hauptkommissarin Kristina Katzer aus Weimar bei ihrer Klassenfahrt nach Berlin auf einen verlängerten One-Night-Stand mit dem Frauenhelden Lukas Hundt ein. Neun Monate später brachte sie ihre Tochter Jule auf die Welt.
In der Pilotfolge erhält sie zu ihrer Überraschung Hauptkommissar Lukas Hundt aus Berlin als neuen Vorgesetzten bei der Kriminalpolizei Weimar. Der ahnt nichts von seinem Vaterglück, und Kristina überlegt, ob sie ihm diese Tatsache überhaupt verklickern soll - und wenn ja, bei welcher Gelegenheit?
Kristina und Jule wohnen auf dem Weingut von Elli Katzer, Kristinas Mutter, die gut über Klatsch und Tratsch in Weimar unterrichtet ist - und auch mal eine Leiche findet.

Der fünfte Fall beginnt mit einem toten Metzgermeister.
Helmut Lehmann war mit seinem Konkurrenten Maik Schluchtenberger überkreuz, dem Besitzer eines Bio-Supermarkts. Deswegen wollte Lehmann sein Geschäft zu einer Wurstboutique modernisieren.
Nachdem die Kinder des Metzgerehepaares flügge geworden waren, entdeckte seine Gattin Sybille vor drei Jahren ihren Sinn für moderne Kunst. Ihr Alibi besteht denn auch in einer schlaflosen Nacht, die sie wegen einer anstehenden Vernissage mit der Hängung der Kunstwerke verbracht hatte.
Allerdings mißfiel es Metzgermeister Lehmann, daß Sybille junge Künstler aus der Region finanziell förderte. Weil der Müller-Thurgau vom Weingut Katzer ihr auf einmal nicht mehr gut genug war, zerbrach ihre alte Feundschaft mit Elli Katzer.
Im Rahmen ihrer Ermittlungen stoßen Katzer und Hundt auf den Stipendiaten Tobias Krüger, den Sohn eines Schweinezüchters, der ihm seinen Hof vererben möchte. Aber Tobias hat sich der Kunst, "oder was er dafür hält" (so sein Vater), verschrieben.

Servalan 27.12.2017 20:57

The Chief Staffel 5 Episode 6 (Folge 34) "Internal Affairs" (Großbritannien 1995, Anglia Television Entertainment Programme für ITV), Drehbuch: Susan Wilkins, Regie: Tom Cotter, 52 min

Im Mittelpunkt der Serie steht der Chief Constable (entspricht dem Polizeipräsidenten) der fiktiven "Eastland Constabulary" in Mittelengland. Deswegen hat die Serie gewisse Ähnlichkeiten mit der 3. und 4. Staffel von The Wire, zumal auch hier ein Polizeioffizier versucht, Drogen zu legalisieren, und sich Leichen ohne Kopf und Hände finden. Unterstützt von seinem Deputy versucht der Chief Constable, das Verbrechen zu bekämpfen, während Lokalpolitiker und das Innenministerium ihm immer wieder Knüppel zwischen die Beine werfen.
Wie in The Wire entpuppt sich der höchste Rang in der Hierarchie als explosiv, so daß es in der 3. Staffel (Folge 14) einen Wechsel gibt. Chief Constable John Stafford (gespielt von Tim Pigott-Smith) muß wegen Korruption gehen, weil einige seiner Polizisten nicht verurteilte Verbrecher eigenmächtig zu Krüppeln geschlagen oder ermordet haben.
Dank Alan Cade (dargestellt von Martin Shaw) von der MET, also der Mordkommission, wird Stafford überführt und muß seinen Hut nehmen. Cade soll ihn zunächst nur ersetzen, bis die Polizeikommission einen Nachfolger ernannt hat, und plant einen Umzug mit seiner mondänen französischen Freundin. Als er den Posten regulär annimmt, zieht seine Freundin enttäuscht vondannen: "London und Paris, das sind Städte. Das hier nicht."

Chief Constable Cade findet sich zwischen Baum und Borke wieder: Für seine Tochter ist er ein zynischer Reaktionär, während Politiker, Prominente und hohe Beamte in ihm eher einen Liberalen, manche sogar einen radikalen Linken sehen. Die Serie thematisiert häufig politische Konflikte: Evangelikale Abtreibungsgegner, Proteste gegen Immobilienspekulation, eine Sitzblockade samt Camp vor einem Atomkraftwerk und wütende Gewerkschafter, die eine Ölbohrplattform besetzen.

Die vorletzte Folge verknüpft (ähnlich wie die Tatort-Folge 290 "Mord an der Akademie", 1994) die beiden Themen Kunst und schwule Szene.
Der 17 Jahre alte Jamie Brewster begeistert sich für Kunst, malt und zeichnet gern, außerdem hat er sich in Simon Marriott verliebt. Sein Vater Tom, ein angesehener Lokalpolitiker, erwischt ihn beim Kiffen und sorgt für eine Razzia in Rensleigh Park, wo der Kunsthändler Archie Camfield gerade eine seiner berüchtigten Partys veranstaltet. Die verläuft im Sande.
Weil Jamie Brewster minderjährig ist, läuft ein Verfahren an, und er wird verhört. Cade gefällt das gar nicht. In diesem Moment wird er von der Regional Crime Squad (in etwa das LKA) angesprochen, weil Camfield verdächtigt wird, mit seinen Kunstwerken Geld für die Mafia zu waschen.

Servalan 15.01.2018 19:15

[Die] Fernfahrer Staffel 3 Episode 1 (Folge 9) "Spezialtransport" (Bundesrepublik Deutschland 1967, Süddeutschen Rundfunk für ARD), Drehbuch: Rolf Defrank, Regie: Theo Mezger, 51 min schwarzweiß

Die Serie schildert den Alltag von Fernfahrern in den 1960er Jahren, wobei die Touren allerdings selten ins Ausland führen. Die Länge der 12 Folgen, die zwischen 1963 und 1967 gesendet wurden, schwankt stark zwischen 30 und 62 Minuten. Während die ersten beiden Staffeln mit je vier Folgen im Jahresrhythmus aufeinander folgten, liegt vor der neunten Folge eine Funkstille von dreieinhalb Jahren.
Obwohl der Faden weitergesponnen wird, knüpft Folge 9 an Folge 1 an, denn in beiden steht eine Fehde zwischen zwei Fernfahrerduos in Mittelpunkt.

Bei der Premiere 1963 ist der frischgebackene Kleinunternehmer Martin Hausmann aus Neustadt a.B. stolz wie Bolle auf seinen ersten eigenen Lastzug, den er von seinem verstorbenen Chef Stadler übernommen hat. Der Büssing 8000 war in den 1950er Jahren modern, also mußte er ihn gründlich reparieren, bevor er mit seinem Beifahrer Philip Müdel die erste Tour annimmt.
Als größter Konkurrent erweist sich der großmäulige Kerrer, der sich den modernsten Lastkraftwagen gegönnt hat, einen Magirus-Deutz Pluto-Frontlenker, fabrikneu und blitzblank. Kerrers Beifahrer Bosk tritt ebenso großspurig auf wie sein Chef.

Folge 9 beginnt mit einem leisen Triumph Hausmanns. Kerrer und Bosk glauben, daß die Kiste, die sie in der Fernfahrerkneipe von Latzke öffnen, teuren schottischen Whisky enthält. Stattdessen packen sie nur Ziegelsteine und ein Stück Eisenbahnschwelle in Packpapier aus.
Kerrer schwört Rache und schanzt Hausmann über seinen Komplizen Cuno einen fingierten Auftrag zu: Hausmann soll eine Plastik einer Ziege aus der Kunstakademie in Wuppertal zum Haus eines Professors in Oberberg bringen. Dafür wird ein Honorar von 300 Mark vereinbart.
Hausmann und Müdel brechen um 5 Uhr morgens auf. Als sie in der Kunstakademie ankommen, hängt die 300 Zentner schwere Metallskulptur an einem mobilen Flaschenzug. Der Hausmeister der Kunstakademie ist froh, das sperrige Gebilde losgeworden zu sein.
Der Sockel paßt zwar auf die Ladefläche, allerdings ragt der hohe Kopf darüber hinaus und wackelt während der Fahrt. Hausmann und Müdel ernten Spott und Hohn von Autofahrern und Kollegen.
Als sie am Ziel ankommen, stehen sie jedoch vor einem geschlossenen Tor. Hausmann ruft von einem Nachbarn aus an, aber niemand ist da. Weil die schwere Skulptur noch auf der Ladefläche steht, muß er am nächsten Morgen auf eine geplante Tour verzichten.

Servalan 25.01.2018 19:53

Gerhard Richter – Painting (Deutschland 2011, zero one film in Koproduktion mit Terz Film, WDR, MDR in Zusammenarbeit mit ARTE mit Unterstützung von MEDIA, FILMSTIFTUNG NRW, BKM, DFFF), Drehbuch und Regie: Corinna Belz, 2. Kamera: Gerhard Richter, 97 min, FSK: 0

Auf den ersten Blick ähnelt das Konzept dieses Dokumentarfilms Henri-Georges Clouzots Le Mystère Picasso | Picasso (Frankreich 1955- siehe oben #9 in diesem Thread): Das Publikum schaut in die Werkstatt eines berühmten Malers und darf zusehen, wie Gemälde live entstehen. Leider täuscht der erste Eindruck.
In gewisser Weise gehen Picasso und Gerhard Richter diametral entgegengesetzt zu Werke: Picasso fabriziert seine 20 Gemälde (fast wie bei Ford am Fließband) in Serie - und verwirft keines. Richter hat dagegen bloß einen Auftrag für zwei abstrakte Gemälde angenommen, aber die verschwinden zum Schluß unter Deckweiß, weil sie ihn nicht zufriedenstellen.

Angenehmerweise verzichtet der Film auf einen platten Lebenslauf, statt dessen sind zu Beginn prägnante Szenen auf zwei früheren Dokumentationen eingestreut.
Gerhard Richter mag es nicht, wenn ihm jemand bei der Arbeit über die Schulter schaut (mir geht es ähnlich). Die erste Sequenz zeigt deshalb als Mini-Making-of, wie er die zweite Kamera auf einen Stativ befestigt.
Obwohl ihn andere Künstler beneiden, weil ihm der Durchbruch gelungen ist und er mit seinem Atelier quasi einen mittelständischen Betrieb erfolgreich führt, wird sein künstlerischer Zwiespalt deutlich. Bei einer Pressekonferenz bedauert er nämlich, daß ihm durch seine Verpflichtungen im Rampenlicht Zeit zum Malen verlorengeht.

Um sofort loslegen zu können, beschäftigt er zwei Assistenten in seinem geräumigen Atelier: Norbert Arns und Hubert Becker. Während die Ateliersekretärin Konstanze Ell seine Termine koordiniert und ihn von der Büroarbeit entlastet, sorgen Arns und Becker dafür, das sich Gerhard Richter nur noch mit der vorbereiteten Leinwand befassen muß. Alle möglicherweise lästigen Schritte wie den Bau der Leinwand, das Filtern der Farbe sowie die Dokumentation der Werke, teilweise in Modellen der jeweiligen Museums- und Galeriesäle, werden ihm abgenommen.
Trotz seiner Unmittelbarkeit wirkt der Film kontemplativ, ohne sich bei seinem Publikum irgendwie anzubiedern. Je länger ich über den Film nachdenke, desto mehr beschleicht mich das Gefühl, daß es vielleicht diese Abkürzung ist, die Richter eher schadet als nützt. Viele Leute werden ja gerade bei Routinearbeiten (Staubsaugen, Geschirr abwaschen oder im Garten arbeiten) oder beim Spazieren in der Natur kreativ ...

Servalan 29.01.2018 16:08

Inspector Morse Staffel 5 Episode 3 (Folge 18) "Who Killed Harry Field?" (Großbritannien 1991, Zenith Productions für Central Independent Television, Independent Television - ITV), Drehbuch: Geoffrey Case, Regie: Colin Gregg, 104 min

Im September 2017 lief der Prequel-Spin-off Endeavour | Der junge Inspektor Morse auf zdf_neo an. Die zweite Spin-off-Serie hingegen bildet ein lückenloses Sequel: Lewis | Lewis – Der Oxford Krimi, und das lief meines Wissens bisher vollständig über deutsche Bildschirme.
In der letzten Folge von Inpector Morse muß Lewis nämlich hilflos zusehen, wie sein Vorgesetzter auf dem College plötzlich leblos zusammenbricht - und stirbt, bevor der Verdächtige überführt werden kann.

Bei der Originalserie Inspector Morse | Inspektor Morse, Mordkommission Oxford wird es jedoch kompliziert, denn soweit ich weiß, wurden nur 18 der 33 regulären Folgen synchronisiert - von den 5 Specials ganz zu schweigen.
Deshalb habe ich oben auf den deutschen Serientitel verzichtet.
Wie Midsomer Murders | Inspector Barnaby (siehe oben) begann diese Serie, indem eine bestehende Reihe von Kriminalromanen für das Fernsehen bearbeitet wurde. Die Vorlage lieferte Colin Dexter (1930 - 2017), bald wurden jedoch eigene Stoffe für neue Episoden entwickelt.
Darüber hinaus gibt es ein kurioses Feedback: In den ersten Büchen fährt Morse einen Lancia, aber die Produzenten wollten, daß er ein britisches Auto fährt - seither fährt Morse seinen Jaguar in allen Romanen der Reihe.

Wie sein schwedischer Kollege Wallander mag DCI Morse Opern und genießt Hochprozentiges. Beide sind melancholische Grübler. Die Fernsehserie zeigt einen zahmeren Morse als in den Romanen. Dennoch ist der von Fernsehlegende John Thaw (Redcap, The Sweeney | Die Füchse, Kavanaugh QC) verkörperte Morse ein spleeniger Denker, der kein Blut sehen kann, extrem mißtrauisch ist und den einfachsten Lösungen aus dem Weg geht.
Die Serie zählt zu den Klassikern des britischen Fernsehens und hat im angelsächsischen Sprachraum eine große, treue Fanbase. 2013 veranstaltete die University of Oxford einen Crime Fiction Day, auf dem auch Colin Dexter sprach (ca. 66 min).

Der kultivierte Morse verfügt nicht nur über ein breites kulturelles Wissen, er weiß auch, wen er fragen muß, wenn ihm die Antworten fehlen.
Obwohl sich der Fall im Künstlermilieu durch eine liebevolle Produktion auszeichnet und bei vielen Fans unter den Top Ten rangiert, schwächelt er deutlich in der zweiten Hälfte auf der kriminalistischen Ebene.

Unterhalb eines Viadukts wird die Leiche eines Motorradfahrers gefunden, während die Maschine fehlt. Morse und Lewis finden heraus, daß es sich bei dem Toten um Harry Field handelt, einen Künstler und Lebemann.
Die Kriminalisten nehmen sein Umfeld näher unter die Lupe: seine Witwe und ehemalige Muse Helen Field, seine beiden Mäzene: Den Weinhändler Freddie Mortimer und den Schulleiter Tony Doyle. Fields jüngste Muse, die alleinerziehende Mutter und Schülerin Jane Mariott, spürt Lewis auf.
Im Laufe der Ermittlungen stoßen weitere Verdächtige hinzu: Der Adlige Paul Eirl, für den Field ein Wappen entwerfen sollte, besitzt nahebei ein Landhaus mit einer großen Kunstsammlung, und der Vater des Toten ist der Kunstfälscher Harry Field Senior.
Harry Field Junior beherrschte das handwerkliche Können, aber der große Durchbruch als ernsthafter Künstler blieb ihm versagt. Morse staunt, als er seine Bilder im Atelier betrachtet, denn dabei handelt es sich fast ausschließlich um Pastiches: Field hat berühmte Meisterwerke nachgemalt und die porträtierten Frauenakte durch seine Musen, die junge Helen Field und Jane Marriott, ersetzt.
Morse wittert einen Fall von Kunstfälschung und holt sich Rat sowohl bei seinem Freund, Professor Ian Matthews in Oxford, als auch am College of Arms in London, Spezialisten für Heraldik.

Unter anderem werden folgende Gemälde neu interpretiert:
- Jean Auguste Dominique Ingres (1780 – 1867): "La Grande Odalisque | Die große Odalike" (1814), Louvre, Paris
- Francisco Goya (1746 – 1828): "La Maja Desnuda | Die nackte Maja" (1795 - 1800), Museo del Prado, Madrid
- Edouard Manet (1832 – 1883): "Olympia" (1863), Musée d’Orsay, Paris
- René Magritte (1898 – 1967): "Les Liaisons dangereuses | Gefährliche Liebschaften" (1926), County Museum of Art, Los Angeles, der Titel bezieht sich auf den gleichnamigen Roman (1782) von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos
- Henri Matisse (1869 – 1954): "Carmelina" (1903), Museum of Fine Arts, Boston
- James Abbott McNeill Whistler (1834 – 1903): "Caprice in Purple and Gold, The Golden Screen" (1864), Freer Gallery of Art, Washington DC
- Rembrandt van Rijn (1606 – 1669): "Zelfportret met twee cirkels | Selbstporträt" (1665 - 1669), Kenwood House, London
- Sir Joshua Reynolds (1723 – 1792): "George IV when Prince of Wales" (1785), Royal Collection Trust, Tate Britain - National Gallery of British Art, London
- Zur Abwechslung finden sich auch Nachahmungen ohne Vorbild wie Albrecht Dürers (1471 – 1528) "Porträt von Giovanni Bellini" (Bellini lebte von 1430 – 1516). Dabei handelt es sich um ein Pastiche von Albrecht Dürers (1471 – 1528) "Der Apostel Jakob" (1516), Uffizien, Florenz
- eine Zeichnung von Giovanni Battista Tiepolo (1696 – 1770)
- Paul Cézanne (1839 – 1906): "Château Noir" (1900 - 1906), u.a. Museum of Modern Art, New York City, das Motiv ist Montagne Sainte-Victoire
- Paul Cézanne (1839 – 1906): "La Route tournante à Montgeroult | Straßenkurve in Montgeroult" (1898), Museum of Modern Art, New York City
- Giovanni Bellini (1430 – 1516): "Giovane donna nuda allo specchio" (1515), Kunsthistorisches Museum, Wien
- Henri Matisse (1869 - 1954): "Grand nu couché | Reclining Nude aka Pink Nude" (1935), Baltimore Museum of Art, Baltimore
- Pierre Bonnard (1867 – 1947): "Nu à contre jour" (1908), Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel
- Giovanni Bellini (1430 – 1516): "Madonna di Alzano aka Madonna col Bambino" (ca. 1480 - 1490), Accademia Carrara, Bergamo

Regisseur Colin Gregg und Kameramann Paul Wheeler nutzen zahlreiche Außenaufnahmen, um klassische Landschaftsgemälde von Turner, Whistler und anderen anklingen zu lassen.

Servalan 05.02.2018 13:32

Ein Fall für zwei Staffel 14 Episode 3 (Folge 116) "Tod eines Künstlers" (Deutschland 1994, Odeon Film GmbH für ZDF), Drehbuch: Volker A. Zahn und Eva Zahn, Regie: Dagmar Damek, 58 min, FSK: 12

Zuletzt gelang es dem international anerkannten Künstler Rainer Maria Hagen, ein Kunstwerk, das Laien als Nagelbrett bezeichnen, für eine Million DM an einen französischen Sammler zu verkaufen. Kurz darauf wird er mit drei Schüssen in seiner Wohnung ermordet. Weil die Waffe seinem Galeristen Karl März gehört, gerät der ins Visier der ermittelnden Beamten.
Dank seines Anwalts Dr. Franck bleibt der angesehene Kunsthändler zunächst auf freiem Fuß. Aber Dr. Franck glaubt, sein Mandat verschweige ihm etwas, und bittet deshalb Matula, sich in der Kunstszene umzuhören.
Hagen produzierte sich gern vor Publikum, provozierte lustvoll und stieß Leute vor den Kopf, um im Mittelpunkt zu stehen. Nach und nach finden der Anwalt und der Detektiv heraus, wie sich Privates und Berufliches dabei verzwirbelt haben.
Die Ehefrau des Galeristen, Greta März, war zuerst mit Hagen zusammen. Sie traut sich zu selbst eine Galerie zu leiten, und ist ziemlich oft mit Fenninger zusammen, März' Geschäftsführer und Kompagnon.
In dessen Räumen stellt auch Hagens Konkurent Gussmann aus, der bei weiten nicht so erfolgreich war. Gussmann bildet sich etwas darauf ein, sich dem Zeitgeist nicht angebiedert zu haben. Gussmann und Hagen sind der gleiche Jahrgang. Hagen spielt mit Paloma, Gussmanns Tochter, die ihm hörig ergeben ist, obwohl Hagen sie mies behandelt.

Zeitgenössische Kunst wird hier als teures Ambiente für die gehobenen Kreise in Szene gesetzt, während das einzelne Kunstwerk dezent im Hintergrund bleibt. Hagen wie Gussmann sind eher unangenehme Zeitgenossen, denen häufig das Temperament durchgeht. Im Gegensatz zur feinen Galerie sind die Künstler jedoch eigenwillige Handwerker, die im Schweiße ihres Angesichts arbeiten und keine Berührungsängste zu Arbeitern und kleinen Leuten haben.

Servalan 23.02.2018 17:30

Zur Abwechslung mal ein kurzer Klassiker:

Un chien andalou | Un perro andaluz | Ein andalusischer Hund (Frankreich 1929), Drehbuch: Luis Buñuel und Salvador Dalí, Regie: Luis Buñuel. 16 min bzw. 21 min schwarzweiß

Von dem surrealistischen Klassiker gibt es verschiedene Fassungen, während die ursprüngliche Fassung als verloren gilt. Am geläufigsten sind die rekonstruierten Fassungen von 1961 und Maurico Kagels von 1981.

1925 gründeten die beiden Schauspieler Armand Tallier und Laurence Myrga in der 107 Meter langen Rue des Ursuline Nr. 10 ihr Kino Studio des Ursulines, das bis heute als Kino überlebt hat. Spezialisiert auf Avantgardefilme war es das erste Arthouse-Kino. François Truffauts Ménage à trois trifft sich in Jules et Jim zufällig vor diesem Kino.
1928 prügelten sich André Breton und Louis Aragon, als dort Germaine Dulacs Film The Seashell and the Clergyman (nach einer Story von Antonin Artaud) aufgeführt wurde. Tallier unterbrach zwar die Aufführung, unterließ es jedoch, die Polizei zu verständigen. Wenige Wochen später wurde Dulacs Film jedoch ohne weiteren Skandal gezeigt.

Die beiden spanischen Künstler in Paris, der Katalane Salvador Dalí und der Aragonese Luis Buñuel (die Geburtsorte liegen nur gut 400 Kilometer voneinander entfernt), müssen etwas Vergleichbares im Sinn gehabt haben. Buñuel füllte bei der Premiere am 6. Juni 1929 seine Hosentaschen mit Steinen, die er zur Not gegen das aufgebrachte Publikum werfen wollte.
Seine Furcht erwies sich als unbegründet, denn der Film wurde ein voller Erfolg. Dalí und Buñuel wurden von Bréton als erste Filmkünstler bei den Surrealisten aufegnommen.

Der andalusische Hund läßt jeden erzählerischen Ansatz ins Leere laufen. Auf der Grundlage ihrer Träume bastelten Dalí und Buñuel mit der Methode des Cadavre exquis (des automatischen Schreibens) einen Kurzfilm, bei dem jede Konvention gebrochen wird:
Plötzlich zieht ein Mann ein Klavier und zwei gefesselte Seminaristen hinter sich her. Obwohl eine Szene bruchlos fortgeführt wird, erscheint der Zwischentitel "x Jahre später". Ein Mann wird in einem Zimmer erschossen und seine Leiche fällt auf eine Wiese.
Im Prolog zerschneidet ein Mann einer Frau mit einer Rasierklinge den Augapfel - diese Szene ist zu einer Ikone der Filmgeschichte geworden. Wenn das Kribbeln in einer Hand durch krabbelnde Ameisen gezeigt wird, dürfte das heute nur ein müdes Lächeln hervorrufen.

Die meisten Szenen werden einem jungen Publikum heute überlang vorkommen. Dieser Klassiker zeigt, wie sich das Kino in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. Was früher experimentell war, ist mittlerweile erzählerischer Standard in modernen Produktionen geworden.

Servalan 23.02.2018 18:06

Le Sang des bêtes | Das Blut der Tiere (Frankreich 1948, Forces et Voix de France), Drehbuch und Regie: Georges Franju, 21 min schwarzweiß

Der Dokumentarfilm entstand 1948 in den Schlachthöfen von la Villette und Vaugirard am Canal de l'Ourcq, auf der Île-de-France mitten in Paris. In seinem ersten Film zeigt Franju mit einem klinisch-unterkühlten Blick, wie Rinder, Schafe und Pferde geschlachtet werden. Bewußt tonlos und flach berichten Georges Hubert und Nicole Ladmiral von der täglichen Arbeit. Verfaßt wurde der emotionslose Text von Jean Painlevé.
Wenn das frische, warme Blut der geschlachteten Tiere abwärts rinnt und sich zu einem trägen Strom vereingt, kann das schon Gänsehaut verursachen. Ich habe den Film vor Jahren im Rahmen eines zweitägigen Filmfestivals im Kommunalen Kino in der Pumpe gesehen, wo er unter Kriegsfilmen, zum Beispiel aus dem Kongo, lief. Damals hat er seine Wirkung bewiesen.

Franju hatte eigentlich keine Absicht, eine Dokumentation zu drehen. Weil er aber unbedingt debütieren wollte, willigte er ein. Ästethisch hebt er das Filettieren und Zerschneiden der dampfenden Leiber auf eine höhere Ebene, so daß er Realismus und Surrealismus miteinander verschmelzen läßt.
Der Dokumentarfilm findet sich als Bonus auf der DVD-Ausgabe (The Criterion Collection) seines Klassikers Les Yeux sans visage | Augen ohne Gesicht bzw. Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff (Frankreich / Italien 1960, 90 min, FSK: heute 16, früher 18), einem Klassiker des Horrorfilms. Der Thriller gilt heute als einer der ersten Gore-Filme, und zu Franjus Bewunderer gehören George A. Romero und John Carpenter.
Franju beruft sich unter anderem auf die Tradition des Grand Guignol, steht mit Judex (Frankreich / Italien 1963) aber auch in der Nachfolge der Genreserien von Louis Feuillade.

Servalan 25.02.2018 15:28

Sånger från andra våningen | Songs from the Second Floor (Schweden / Dänemark / Norwegen / Frankreich / Deutschland 2000, Danmarks Radio, Easy Film A/S, Nordisk Film- & TV-Fond, Norsk Rikskringkasting, Roy Andersson Filmproduktion, SVT Drama und Svenska Filminstitutet), Drehbuch, Regie, Schnitt und Produzent: Roy Andersson, 90 min, FSK: 16

Die Uraufführung fand 2000 auf dem 53. Filmfestival in Cannes statt, wo das Werk mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde. In den folgenden Monaten tourte Roy Anderssons absurdes Miniaturenkabinett auf weiteren Filmfestivals durch Europa, Asien, Nord- und Lateinamerika. 2002 brachte der Verleih Rapid Eye Movies den bitterbösen Film in deutsche Arthousekinos, so daß der eine oder die andere den Film kennen kann.

Die "Lieder aus der zweiten Etage" wirken am besten auf einer großen Leinwand, weil sie aus einer Reihe langer statischer Einstellungen bestehen, in denen meist kaum etwas passiert. Die einzelnen Szenen sind nur locker miteinander verbunden, hie und da taucht mal eine der gewöhnlichen Figuren wieder auf. Auf Handlung im klassischen Sinne wird verzichtet.
Dadurch wird Songs from the Second Floor zu einer Serie von Tableaux vivants, lebendig gewordenen Gemälden. Anderssons Konzept steht in der surrealen Tradition des späten Luis Buñuel (Der diskrete Charme der Bourgeoisie, Das Gespenst der Freiheit, Dieses obskure Objekt der Begierde). Alltägliche Situationen laufen ins Leere oder spitzen sich auf groteske Weise zu. Manchmal besteht die Pointe darin, eine erwartete Pointe zu verweigern. Zumal sämtliche Figuren zum Scheitern verurteilt sind.

Weiteren Kitt liefern gut formulierte Kalenderweisheiten, die als Leitmotiv von verschiedenen Figuren ausgesprochen werden. Die Sprüche verstärken die kafkaeske Atmosphäre, stammen jedoch vom peruanischen Dichter César Vallejo (1892 - 1938), der zu den wichtigsten Erneuerern der Poesie im 20. Jehrhundert gezählt und mit Dante verglichen wird.
Wer André Franquins Idées noires | Schwarze Gedanken und Miguelanxo Prados Quotidiania delirante | Der tägliche Wahn mag, könnte auf den Geschmack kommen. Der berühmte Kritiker Roger Ebert meinte, das sei kein Film, den man mag, aber vergessen könnte man ihn nicht.

Was im kommerziellen Kino funktioniert, wird auch im Arthousekino benutzt: Roy Andersson hat Songs from the Second Floor in den nächsten anderthalb Jahrzehnten zu einer Trilogie ausgebaut.
Die beiden Fortsetzungen heißen Du levande | Das jüngste Gewitter (Schweden / Frankreich / Deutschland / Dänemark / Norwegen 2007, 95 min) und En duva satt på en gren och funderade på tillvaron | Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach (Schweden / Norwegen / Frankreich / Deutschland / Dänemark 2014, 101 min, FSK: 12).

Servalan 27.02.2018 14:10

Koyaanisqatsi: Life Out of Balance | Koyaanisqatsi (USA 1982, Institute for Regional Education und American Zoetrope für Island Alive und New Cinema), Drehbuch: Ron Fricke, Michael Hoenig, Godfrey Reggio und Alton Walpole, Produzent und Regie: Godfrey Reggio, Musik: Philip Glass und Michael Hoenig, 85 min bzw. 82 min, FSK: 6

Franjus bewußt verstörender Dokumentarfilm über die Schlachthöfe in Paris (siehe # 66) lief damals auf einen Filmfest der Kunsthochschule vor Ort. Der handelsübliche Dokumentarfilm nimmt sein Publikum meist brav in die Hand und sorgt peinlich genau dafür, daß ja keine Mißverständnisse aufkommen und die Botschaft klar herüberkommt.
Die Blockbuster unter den Dokumentarfilmen der letzten 20 Jahre gehen noch weiter, indem sich der Autor und Regisseur als Figur stilisiert und seinen (politischen) Standpunkt deutlich vertritt. Michael Moore, Errol Morris und Morgan Spurlock aus den USA oder Erwin Wagenhofer aus Österreich sind prominente Vertreter, deren Werke mit Erfolg in Kinos laufen.

Einen radikal anderen Ansatz nutzten Godfrey Reggio und sein Kameramann Ron Fricke. Doch der entwickelte sich allmählich über ein knappes Jahrzehnt.
Reggio stammt aus einer alten und wohlhabenden Familie aus Louisiana, die Wurzeln im italienischen Adel hat. Er engagierte sich zuerst ehrenamtlich in kommunalen Projekten und sozialen Bewegungen, vor allem in der Bürgerrechtsbewegung American Civil Liberties Union (ACLU).
1972 arbeitete er in Albuquerque, New Mexico, im Büro des Institute for Regional Education (IRE). Zusammen mit der ACLU konzipierte er eine Medienkampagne gegen die Technisierung des Privatlebens und die subtile Kontrolle der gewöhnlichen Menschenmassen.
Anfangs nutzte er 30 Werbetafeln. Reggio war frustriert, weil die Resonanz ausblieb. Deswegen wandelte er sein Konzept ab und engagierte den Kameramann Ron Fricke. Auf diese Weise entstanden kurze Spots, die zwei Jahre lang zur besten Sendezeit liefen und bald recht populär wurden. Als die Kampagne aus finanziellen Gründen abrupt eingestellt wurde, überlegte Reggio, was er aus dem vorhandenen Material machen konnte.
Daraus entstand die Idee eines einstündigen Dokumentarfilms, an dem Reggio und Fricke seit 1975 werkelten. Obwohl es ein 35mm-Film werden sollte, wurde wegen des knappen Budgets eine 16mm-Kamera eingesetzt. Als Reggio 1981 in der Postproduktion saß, bat der neugierige Francis Ford Coppola darum, sich den unfertigen Film ansehen zu dürfen.

Seine Premiere feierte Koyaanisqatsi im April 1982 auf dem Santa Fé Film Festival, im August und September desselben Jahres lief er beim Telluride Film Festival und dem New York Film Festival über die Leinwand. Reggio schlug das Angebot eines großen Verleihs aus, weil er die Kontrolle über sein Werk behalten wollte.
Koyaanisqatsi hatte einen Nerv getroffen und wurde zum Kultfilm der ökologischen, technologiekritischen Bewegung der 1980er Jahre. Der Filmkritiker James Monaco zählte ihn damals zu den fünf wichtigsten Filmen der Gegenwart.
Dennoch wurde es in den 1990er Jahren still um das Werk. Die Rechte für die weitere filmische Auswertung gingen durch etliche Hände, so daß die IRE vor Gericht zog, weil Reggio seine Rechte zurückhaben wollte. Der regional eingeschränkte Verleih durch Reggio hielt sich eine gewisse Zeit, obwohl der Preis für die DVD eine Spende von mindestens 180 US-Dollar an die IRE war.
2014 ehrte das Museum of Arts and Design in New York City Godfrey Reggio mit einer Retrospektive.

Natürlich gibt es auch Text in Koyaanisqatsi, aber der erklingt als Choral zur minimalistischen Musik von Philip Glass in der Sprache der Hopi. Bei ausgewählten Kinoaufführungen verteilte Reggio Pamphlete, auf denen unter anderen die drei Prophezeiungen der Hopi über ein apokalyptisches Zeitalter übersetzt worden waren.
Reggio und Fricke verdeutlichen schleichende Prozesse durch Zeitraffer und Zeitlupe, hinzu kommen ungewöhnliche Perspektiven beispielsweise aus einem Helikopter. Das eigene Material wurde durch Found Footage aus Archiven ergänzt.
Fundamental beruht das Konzept auf einer ausgefeilten Montage, die sich an den Theorien, Experimenten und Filmen der (sowjet-) russischen Pioniere Sergej Eisenstein, Dziga Wertow und Lew Kuleschow orientiert. Unsichtbares wird sichtbar, weil das Publikum zwischen Einstellungen Bedeutungen ergänzt und sich den Sinn zusammenreimt.
Die reine Kombination von Musik und visuellen Eindrucken kann natürlich auch rauschhaft erfahren werden.

Reggio setzte seinen Erfolg mit zwei weiteren Filmen fort, die die Qatsi-Trilogie ergeben: Powaqqatsi: Life in Transformation | Powaqqatsi (USA 1988, 99 min, FSK. 6) und Naqoyqatsi: Life as War | Naqoyqatsi (USA 2002, 89 min, FSK. 6).

Wer will, kann mittlerweile zahlreiche Anspielungen auf die Koyaanisqatsi in der populären Kultur entdecken, von den Simpsons und den Gilmore Girls bis zu Grand Theft Auto.
Vince Gilligans Breaking Bad spielt in Albuquerque, New Mexico, und besitzt als eines der Trademarks der Serie Stadt- und Landschaftsaufnahmen im Zeitraffer. Ich kann mir schon vorstellen, warum ihm das gefallen hat.

Servalan 27.02.2018 16:08

Berlin – Die Sinfonie der Großstadt (Deutschland 1927), Drehbuch: Karl Freund, Carl Mayer und Walther Ruttmann, Schnitt und Regie: Walther Ruttmann, ursprüngliche Fassung: 1.466 Meter, restaurierte Fassung: 1.446 Meter ~ 64 min

Durch die DJ-Kultur und den Techno-Boom rund um die Love Parade (personifiziert durch DJ Motte und Rainald Goetz) gingen Begriffe wie Loop, Remix und Mashup in die Alltagssprache ein. Sogar die billigsten Handys erlauben jederzeit Fotos, Filme und akustische Aufnahmen, die später neu geschnitten werden können.
Diese Entwicklungen begannen im 19. Jahrhundert. Während die ersten Fotografien eine lange Belichtungszeit, für die Porträtierten eine anstrengende Prozedur, kompliziertes Material (Glasplatten) und eine diffizile Entwicklung mit giftigen Chemikalien in der Dunkelkammer erforderten, konnte sich wenige Jahrzehnte später fast jeder ein Porträtfoto leisten. Zunächst geriet dadurch die Kunst realistischer Ölmalerei in Bedrängnis. Was beim Salon des Refusés noch Hohn und Spott erntete, entwickelte sich in den nächsten 50 Jahren zu einer Abfolge immer neuer Avantgarden in der Bildenden Kunst.
Bald kamen Film (ein teures Hobby für reiche Leute), Grammophon, Tonband und Radio hinzu. Künstler testeten die Möglichkeiten der neuen Medien aus und veränderten dabei die Ästhetik, die Wahrnehmung des gewöhnlichen Publikums eingeschlossen. Falls sich eine Neuerung durchsetzte, wurde sie rasch zum Standard, der im Gegenzug dann auch in der Unterhaltung erwartet wurde.

Walter Ruttmann (1887 - 1941) hatte Kunst und Architektur studiert. Mit Viking Eggeling (1880 - 1925), Hans Richter (1888 - 1976) und Oskar Fischinger (1900 - 1967) bildete er die experimentelle Avantgarde des abstrakten Films bzw. des absoluten Films. Dabei wurde der unbelichtete Film direkt bearbeitet, häufig durch abstrakte Muster oder indem die Filmrolle mit Hammern und Nägeln malträtiert wurde. Die meist kurzen Werke des Cinéma pur sollten zeitliche Verläufe und räumliche Wahrnehmung bewußt machen.
Weitere bedeutende Pionierleistungen schuf Ruttmann mit Deutscher Rundfunk, dem ersten abendfüllenden deutschen Tonfilm, der auf der 5. Großen Deutschen Funkausstellung 1928 seine Premiere feierte, und 1930 mit seiner Tonmontage Weekend, einem Meilenstein in Hörspielgeschichte.
Böse Kratzer erhält sein künstlerischer Rang, weil er sich seit 1933 bei den Nationalsozialisten anbiederte. Für die schuf er Propagandawerke wie den sogenannten Kulturfilm Blut und Boden (1933).

Angelehnt an das Prinzip einer musikalischen Symphonie zeigt der Film ohne Handlung und ohne Hauptfiguren, wie ein gewöhnlicher Tag in einer modernen Metropole abläuft. Und diese Millionenstadt ist das quirlige Berlin der Weimarer Republik.
In der Frühe läuft ein Schnellzug in den Anhalter Bahnhof ein. Morgens füllen sich die Straßen. Busse, U- und S-Bahnen nehmen Pendler auf, andere gehen zu Fuß durch die immer voller werdenden Straßen. Nach und nach verdichtet sich der Rhythmus. Die Turmuhr des Roten Rathauses sorgt für eine Zäsur zwischen den einzelnen Sätzen. Nach der Mittagspause wird weiter gewerkelt und gearbeitet. Danach mischen sich die Heimkehrenden mit Leuten, die in ihrer Freizeit unterwegs sind. Langsam leeren sich die Straßen. Das Schlußbild liefert das kreisende Licht des Berliner Funkturms (im Westend) am dunklen Nachthimmel.

Das Werk besitzt eine frappierende Ähnlichkeit mit Frans Masereels Meisterwerken Mon Livre d'Heures | Mein Stundenbuch (Kurt Wolff Verlag 1920) und La Ville | Die Stadt (Kurt Wolff Verlag 1925). Obwohl Masereel (siehe "Kunst machen in Comics" # 32) in der Kunstszene der Weimarer Republik bekannt war, läßt sich keine Verbindung zwischen den Werken nachweisen.
Außerdem findet sich immer jemand, der schon vorher die gleiche Idee hatte. Das erste abendfüllende Stadtportät der deutschen Filmgeschichte hat nämlich Adolf Trotz geschaffen. Sein 85-minütiger Klassiker Die Stadt der Millionen. Ein Lebensbild Berlins (Universum-Film AG (UFA) 1925) steht im Windschatten von Ruttmanns übermächtigem Berlin – Die Sinfonie der Großstadt und wurde erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt.

Servalan 01.03.2018 15:18

Minder | Der Aufpasser Staffel 3 Episode 3 (Folge 27) "Rembrandt Doesn't Live Here Anymore | Rembrandt? Kenn' ich nicht!" (Großbritannien 1982, Euston Films, a subsidiary of Thames Television für ITV), Drehbuch: Dave Humphries, Regie: Tom Clegg, 52 min

Mit insgesamt 106 regulären Episoden in 10 Staffeln, zwei abendfüllenden Specials, die als Doppelfolgen ausgestrahlt wurden, sowie zwei zusätzlichen Episoden außerhalb des Kanons zwischen 1979 und 1994 gehört die Serie zu den Erfolgen der 1980er Jahre. Ursprunglich schuf Leon Griffiths die Serie speziell für Dennis Waterman, nachdem die Krimiserie The Sweeney | Die Füchse eingestellt worden war, der Waterman seinen Ruhm verdankte. Dennoch stieg Waterman nach der siebten Staffel aus.
2009 lief das Revival auf Channel 5, produziert von Talkback Thames, über den Bildschirm. Es blieb bei der einen Staffel mit 6 Episoden.
In Deutschland lief Minder zunächst in der ARD, bevor die Serie in den Dritten Programmen versendet wurde. Diese Episode konnte das deutsche Publikum erst im Juli 1997 bei BR puls TV sehen.

Dennis Waterman spielt in Minder den vorbestraften Ex-Profiboxer Terry McCann, der dem halbseidenen Gauner und Geschäftsmann Arthur Daley zur Seite steht. Terry McCann ist wesentlich mehr als ein Leibwächter, denn Daley versucht überall, Profit herauszuschlagen, meist an der Grenze des Legalen. In der Pilotfolge holt der eine Generation ältere Daley McCann ab, als der aus Wormwood Scrubs entlassen wird, so daß die beiden eine Art Onkel-Neffe-Verhältnis haben.
Die beiden sympathischen Ganoven haben einiges auf dem Kerbholz und sollten nicht unterschätzt werden. Aber häufig geraten sie an gefährlichere Gangster aus dem Rotlichtmilieu und der Organisierten Kriminalität. Wie Henry Slesars Ruby Martinson aus Chicago oder Donald Duck und seine Neffen Tick, Trick und Track müssen sie meistens froh sein, mit heiler Haut ohne größere Blessuren davongekommen zu sein. Als Vorbilder sind auch die Trickbetrüger Henry Gondorff und Johnny Hooker aus dem Filmklassiker The Sting | Der Clou (USA 1973, Regie: George Roy Hill) zu erkennen.
Minder Terry redet Arthur meist schon im Vorfeld zu und versucht, ihn vor Schlimmerem zu bewahren. Doch der kann keiner Versuchung wiederstehen und landet ziemlich sicher in der Bredouille. Meist wird Terry zum mehr oder minder freiwilligen Komplizen, der mit seinen Fäusten die Lage rettet und ihnen die Flucht erlaubt.

Der Charme der Serie liegt in zwei Faktoren: Den Hauptschauplatz bldet das leicht verkommene Soho mit seinen Nachtclubs, Sexshops und billigen Restaurants sowie die angrenzenden Wohnbezirke. Zahlreiche Außenaufnahmen verbreiten heute ein nostalgisches Flair.
Während die ersten Staffeln die Komödie über den Krimi stellen, werden spätere Staffeln düsterer. Die Kleinkriminellen stammen aus dem Milieu der Arbeiter und der kleinen Angestellten, wodurch sich der lokale Cockney mit dem Gaunerslang der damaligen Zeit vermischt.
Wer es sich zutraut, sollte Minder unbedingt im Original genießen. Lieber zweimal schauen, statt sich mit einer halbgaren Synchronfassung zufriedengeben.
Kalauer und Anspielungen prägen darüber hinaus die Episodentitel. (Hier: Alice Doesn't Live Here Anymore | Alice lebt hier nicht mehr, USA 1974, Regie: Martin Scorsese)

Terry verdient sich seinen Lebensunterhalt im Nachtclub New Rockinham Club, aus dem ihn Arthur abholen will. Auf diese Weise entdeckt Arthur seinen alten Kumpel Frank Downing, der gerade ein freizügiges Wandgemälde pinselt. Obwohl er handwerklich einiges auf dem Kasten hat, gibt er Arthur offenherzig zu, daß er den gesamten Kunstbetrieb für eine Abzockerbude hält. Deshalb hat sich Downing darauf spezialisiert, Werke in der Manier berühmter Maler zu produzieren und über die Atelierwohnung MM Studio seiner Freundin Monica Mason zu verscheuern.
Arthur wird neugierig und läßt sich von Frank Downing zeigen, wie der Kunstmarkt funktioniert, zuerst in einer Galerie, danach auf einer Auktion. Dort entdeckt Arthur unter den Bietenden Rory Quinn, einen Buchmacher aus Fulham, dem er allzu gerne eins auswischen will.
Altklug liest sich Arthur etwas Grundwissen über Kunst an. Terry rät ihm davon ab, weil er sich nur blamieren kann. Aber Arthur bleibt stur und spaziert in die edle Peter Sergeant Fine Art Gallery im teuren Burlington Gardens, Westminister. Arthur will dem Galeristen eine Downing-Fälschung als gefundenes Gemälde vom Dachboden unterjubeln. Sergeant merkt schon beim Smalltalk, daß Arthur von Kunst nicht die geringste Ahnung hat. Er lockt Arthur mit 600 Pfund, weil er wissen will, wie der Fälscher heißt.
Frank Downing hat sich unterdessen mit der Künstlerin Monica Mason verkracht, weil der sich ihrer Meinung nach unter Wert verkauft und mit seinen unsignierten Fälschungen zuviel riskiert. Sie traut Downing einen Durchbruch als echter Künstler zu und ist zutiefst enttäuscht über seine Feigheit.

Die ersten zehn Minuten nutzt die Episode, um ausführlich die Kunstwelt an Gemälden aus zahlreichen Epochen zu zeigen, von Alten Meistern bis hin zu Zeitgenössischem. Mehrere Besucher werden gezeigt, wie sie kritisch die ausgestellten Werke mustern, bevor sie überhaupt einen Kauf in Betracht ziehen. Die Kunstszene wird als Welt mit eigenen Gesetzen inszeniert, die Laien skurril und bizarr anmuten, mit denen aber nicht zu spaßen ist.

Kunsthistorisch verengt sich das Geschehen allmählich auf frühviktorianische Malerei.
  • Eine Großaufnahme bekommt in Arthurs Vademecum das schwarzweiß reproduzierte Landschaftsgemälde "Whitby by Night" (1878) von John Atkinson Grimshaw (1836 - 1893) inklusive Bildunterschrift.
  • Den McGuffin für die Episode liefert ein Tiergemälde, das die englische Atmösphäre verstärkt, weil es einen Jockey samt Roß zeigt, der ein berühmtes Derby gewonnen hat: John Frederick Herring, Sr. (1795 - 1865) zählt zu den berühmtesten Tiermalern und wird heute unter anderem in der Tate Gallery, London, ausgestellt. Zeitweise arbeitete er als Nachtkutscher, weswegen er den Spitznamen "artist coachman" (in etwa "Kunstkutscher") erhielt. Er malte Schilder für Pubs, Wappen für Kutschen und war äußerst produktiv. Unter anderem porträtierte er die Sieger, Jockey und Pferd, von 33 St. Ledger Derbys und 21 Rennen des Epsom Derbys.
    Arthur handelt mit dem Sieger des 1821 St. Ledger Derby.
    Herring Sr. hatte vier Söhne, allesamt Maler, und zwei Töchter, die namhafte Maler heirateten. Einer seiner Söhne heißt John Frederick Herring Jr. (1820 - 1907) und war gleichfalls ein berühmter Tiermaler. Bei seinem Hausbesuch reibt Galerist Sergeant Arthur dieses Detail genüßlich unter die Nase.

Servalan 02.03.2018 18:11

Der Staatsanwalt Staffel 5 Episode 4 (Folge 18) "Fluch der Bilder" (Deutschland 2011, Odeon Film AG für ZDF), Drehbuch: Mike Bäuml, Regie: Michael Kreindl, 58 min, FSK: 12

Die Krimiserie startete 2005 mit einer Staffel aus lediglich zwei Episoden und wurde erst 2007 fortgesetzt. Obwohl die kurzen Staffeln meist aus vier bis sechs Episoden bestehen, selten bis zu acht, liegen inzwischen 69 Folgen in 13 Staffeln vor. Die Serie läuft noch.
Hauptfigur ist Oberstaatsanwalt Bernd Reuther, der lange in Berlin gearbeitet hat und nun in seine alte Heimatstadt Wiesbaden zurückkehrt. Sein Sohn Thomas Reuther ermittelt in der hessischen Landeshauptstadt als Kriminalhauptkommissar. In dieser Folge ist er mit seiner Partnerin, der Kriminalhauptkommissarin Kerstin Klar verheiratet. Eine familiäre Atmosphäre mit sämtlichen Höhen und Tiefen unterfüttert so die einzelnen Fälle.

Die Serie besitzt ein deutliches Faible für Kunst und verbindet auf diese Weise Elemente aus Hunolds alter Rolle als Rechtsanwalt Dr. Franck (siehe oben # 64) mit der persönlichen Biographie des Schauspielers.
Denn Hunold studierte von 1969 bis 1972 an der Hochschule für Künste in Braunschweig Malerei und Bildhauerei. 2003 präsentierte er erstmals eigene Werke in einer Ausstellung. Teilweise versteigert er seine Holzskulpturen zugunsten des Vereins SOS Kinderdörfer, für den er auch als Botschafter unterwegs ist. Bei Auktionen erzielen seine Werke Preise bis zu 4.000 Euro.
Zitat:

"Das beharrliche, tausendfach reproduzierte Einschlagen der Kupfernägel generiert Schutz. Schutz, der durch das gewählte Material ebenso entsteht wie durch künstlerisches Schaffen."
Michael Heindorff, London

Sowohl privat wie beruflich finden sich bei Oberstaatsanwalt Reuther Kunstwerke. Das Innere seines Büros wird standesgemäß in den Räumlichkeiten des Landesamts für Denkmalpflege im Schloss Biebrich, der barocken Residenz der Fürsten und späteren Herzöge von Nassau am Rheinufer, inszeniert.
Reiche Kunstsammler, die unter seltsamen Umständen ableben, kommen häufiger vor. Daß sich Oberstaatsanwalt Reuther in der örtlichen Kunstszene auskennt, wird meist en passant durch kleine Szenen in Galerien, auf Ausstellungen oder im Kreis anderer Kunstkenner eingestreut. In dieser Folge steht die Kunst im Mittelpunkt.

Als der leere Wagen des Galeristenehepaares Anke und Heinrich Lippert aus dem Rhein gefischt wird, bildet sich Reuther schnell ein vorläufiges Urteil. Denn der Ast im Fond deutet auf ein Verbrechen hin. Reuther hat in der Galerie, die sich auf englische Romantik, vor allem Graphiken und Aquarelle, spezialisiert hat, vor kurzen eine Constable-Graphik für sein Wohnzimmer gekauft.
Umgehend suchen Vater und Sohn die Räume der Galerie in Wiesbaden auf. Obwohl das Geschäft leergeräumt ist, treffen sie dort den Angestellten Leland von Brühl an, der ihnen von der drohenden Insolvenz erzählt. Weil sämtliche Konten gepfändet sind, liegen die Graphiken und Aquarelle bei dem Hauptgläubiger, der Hausbank.
Dort trifft Thomas Reuther seine ehemalige Klassenkameradin Julia Teerjung wieder - und muß zweimal hinschauen. Aus dem pummligen Mädchen, das auf der Schule böse gemobbt wurde, ist eine ranke, schlanke Femme Fatale geworden.
Die Kunsthistorikerin Teerjung hat sich auf Englische Romantik spezialisiert, die im Auftrag der Bank den Wert der beschlagnahmten Kunstwerke schätzt.
Kurz darauf taucht Anke Lippert am Rheinufer auf - erschossen. Und mit zwei falschen Pässen.

Als Blickfänger wird einmal Joseph Mallord William Turners (1775 - 1851) "Falls of the Rhine at Schaffhausen | Der Rheinfall von Schaffhausen" (1841) in Szene gesetzt.

Servalan 03.03.2018 17:06

Mordkommission Istanbul Folge 4 "Die steinernen Krieger" (Deutschland 2010, Regina Ziegler-Filmproduktion für ARD Das Erste), Drehbuch: Jörg Lühdorff, Regie: Michael Kreindl, 88 min, FSK: 12

Das Konzept der Serie basiert auf den Kriminalromanen von Hülya Özkan und nutzt nur die Figuren, während die ersten drei Folgen auf den literarischen Vorlagen basieren. Gedreht wurde vor Ort in Istanbul an Originalschauplätzen, wobei die Metropole am Bosporus als moderne Großstadt mit historischer Vergangenheit in Szene gesetzt wird.
Drehbuchautor Lühdorff nutzt die Chance eines freien Stoffes, indem er Kommissar Mehmet Özakıns Ehefrau Sevim Özakın, einer Lehrerin, eine wichtige Rolle im Hintergrund zukommen läßt.

Morgens entdeckt die Putzfrau die Leiche des angesehenen Kunsthändlers Alpay Ertem im Magazin seiner Galerie. Bei der Besichtung des Tatorts entdeckt Kommissar Özakın in einem Gully ein zerstörtes antikes Steinrelief.
Während Özakın und sein Assistent Mustafa Tombul Indizien sammeln, ist für die Schwiegereltern der Fall klar: Die böse Schwiegertochter Leyla Ertem muß ihren Sohn gemeuchelt haben, weil sie es auf sein Geld und die Kinder abgesehen hat.
In der Forensik wurde das Puzzle der Steinbrocken wenigstens soweit gelöst, daß ein Foto des rekonstruierten Reliefs erstellt werden konnte. Um mehr zu wissen, konsultiert Özakın den jungen Wissenschaftler Erhan Akalin, der im İstanbul Arkeoloji Müzesi | Archäologischen Museum Istanbul angestellt ist.
Vom bestallten Gutachter Dr. Bulut erfährt Özakın, daß es sich um "Die steinernen Krieger" handelt, ein wertvolles Relief aus dem 6. Jahrhundert, das in Antalya ausgegraben wurde. Dr. Bulut weist Özakın darauf hin, daß ein solches Fundstück ins Archäologische Museum gehöre und legal auf dem freien Markt nicht verkäuflich sei. Als Hehlerwäre wäre es Millionen Wert.
Daraufhin prüft Özakın, ob das Relief möglicherweise aus dem Museum gestohlen wurde, und trifft dort Erhan Akalin wieder an. Auf dem Weg ins Lager kommt ihnen der Direktor in die Quere, der um den Ruf des Museums besorgt ist, weil er politische Ambitionen als Kulturminister hegt.
Sein Vorgesetzter Yilmaz sähe es am liebsten, wenn Özakın den Fall als Eifersuchtsdrama rasch abschließen würde, doch der bleibt hartnäckig. Da erfährt er von Dr. Bulut das Gerücht, vor Jahren wären im Museum Artefakte verschwunden und durch billige Kopien ausgetauscht worden.

Eigentlich verweise ich am liebsten auf konkrete Künstler und Werke. Diese Krimiserie bleibt jedoch im Vagen, zudem gibt es eine große Überschneidung mit dem Sammelgebiet Antiquitäten. Der zweite Kunstfall, Folge 10: "Die zweite Spur" (2014), vertieft diesen Eindruck. Denn auch der spielt wieder im Archäologischen Museum Istanbul, wobei es diesmal um gefälschte Fayencen geht, also antike Keramiken (Sammelgebiete Antiquitäten bzw. Porzellan).

Servalan 15.03.2018 18:04

Tatort (Folge 920) "Im Schmerz geboren" (Deutschland 2014, Hessischer Rundfunk für Das Erste, ORF und SRF), Drehbuch: Michael Proehl, Regie: Florian Schwarz, 89 min, FSK: ohne

Innerhalb der Reihe Tatort wird die Serie um Kriminalhauptkommissar Felix Murot als Experimentierfeld genutzt. Wie bei anderen Teams üblich, hat Murot zwar eine Dienstelle (beim LKA Hessen in Wiesbaden) und eine Assistentin (Magda Wächter), allerdings bietet die Whodunit nur den Hintergrund für freies Fabulieren in eindrucksvollen Bildern. Der Freifahrtschein gilt jedoch nur für eine Folge pro Jahr; und 2012 wurde kein Murot-Tatort gesendet.
Dem Publikum wurde Murot 2010 nämlich als jemand vorgestellt, der unter einem Hirntumor leidet und deswegen eine teilweise verzerrte Wahrnehmung bewältigen muß. Deswegen konnten die Zuschauern nur spekulieren, ob Murots Schlußfolgerungen echte Indizien lieferten - oder ob er halluzinierte oder unter Paranoia litt. Der sprechende Name seiner Assistentin verstärkt den leicht psychedelischen Effekt.
Die Episode hatte ihre Erstaufführung am 28. Juni 2014 auf dem 32. Filmfest München, wo sie mit dem Bernd-Burgemeister-Fernsehpreis ausgezeichnet wurde. Weitere Aufführungen vor der Fernsehpremiere fanden auf dem 10. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen und dem Fernsehfilmfestivals Baden-Baden 2014 statt. 2015 wurde sie mit zwei Goldenen Kameras und dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

In dieser Folge trifft Murot auf seine Vergangenheit. Auf der Polizeischule bildete er mit seinem Kollegen Robert Harloff und Mariella eine Ménage à trois im Stile des Klassikers Jules und Jim. Der Schwerenöter Harloff, dem Murot alles zutraut, wurde als verdeckter Ermittler im Drogenmilieu eingesetzt. Bei diesem Einsatz verschwand er plötzlich - und Mariella ebenso. Murot verdächtigt Harloff, er habe eine größere Menge Marihuana unterschlagen und sich abgesetzt.
"Im Schmerz geboren" strotzt nur so vor literarischen, filmischen, musikalischen und eben auch künstlerischen Verweisen. Bildungsbürger können die Episode als postmodernen Rebus genießen, der munter und unbefangen Klassiker der Hochkultur mit Kultwerken des Entertainment mischt. Diese Folge ist vielfach detailliert besprochen worden, weshalb auf eine Wiederholung verzichtet wird.

Der Kriminelle Robert Harloff hat das Stendhal-Syndrom und nutzt es wie eine Droge, um seinen Größenwahn zu puschen und sich an seiner Allmacht zu berauschen. Dabei hilft ihm der Killer David, der ihm aus Frankreich ein besonderes Gemälde mitgebracht hat: Vincent van Goghs (1853 - 1890) "De sterrennacht | Sternennacht" (1889).

Servalan 15.03.2018 18:45

Großstadtrevier Staffel 31 Episode 9 (Folge 415) "Drah di ned um" (Letterbox Filmproduktion GmbH für Das Erste 2018), Drehbuch: Guntmar Lasnig und Balthasar von Weymarn, Regie: Nina Wolfrum, 48 min

Bei Familie Herder in Hamburg-Othmarschen wird eingebrochen. Das Trio Ivo, Goran und Branko wird jedoch schon von der Polizei erwartet, denn Major Prechtl aus Wien hat sich auf die Spur der Gangster gesetzt und seine Kollegen vom PK14 via Interpol um Amtshilfe gebeten. Bei ihrem nächtlichen Einsatz kommt es zu einem sprachlichen Mißverständnis, so daß Piet Wellbrook und Paul Dänning den flüchtigen Goran stellen und verhaften.
Weil die Villa keine Einbruchsspuren zeigt und Goran bald wieder freigelassen werden muß, kocht Prechtl vor Wut. In letzter Minute meldet "der kleine Anwalt" Jonas Herder dem Kommissariat den passenden Einbruch. Seine Tochter Janina sollte mit ihrer Freundin Elsa Kühne das Haus hüten, weil er untwegs war und seine Frau, die das große Geld verdient, gerade beruflich in Asien weilt. Janina und Elsa sagen, sie hätten sich auf dem Kiez vergnügt.
Vermißt wird neben der Designerkleidung seiner Frau und zwei Uhren eine Metallskulptur. Die Edelstahlskulptur von Berti Bernetti aus den 1990er schätzt Herder auf 500.000 Euro.
Zivilfahnderin Harry Möller wird jedoch stutzig, weil Janinas Tränen nach Zwiebeln gerochen haben. Über Posts im Internet kommen sie einer Einbruchsserie auf die Spur, bei der teure Markenklamotten gestohlen wurden - wie in Sofia Coppolas The Bling Ring (USA 2013). Am nächsten Morgen nehmen Harry Möller und Nina Sieveking die verdächtigen Schülerinnen Janina und Elsa ins Visier.

Namenspaten des fiktiven Künstlers Berti Bernetti sind die beiden Musiker Andrea Berti (Schlagzeug) und Luca Bernetti (Bass) der italienischen Bluesband The Big Blue House. Ästhetisch erinnert das Objekt der Begierde an Jeff Koons" (Jahrgang 1955) Werkserie "Made in Heaven" (1990), die mit der italienischen Pornodarstellerin und Politikerin Ilona Staller aka Cicciolina entstand.

Servalan 19.03.2018 16:00

La Jetée | Am Rande des Rollfelds (Frankreich 1962, Argos Films), Kamera: Jean Chiabaut und Chris Marker, Drehbuch und Regie: Chris Marker, 28 min bzw. 26 min schwarzweiß, FSK: nicht geprüft

Abgefilmte Fotografien werden in gewöhnlichen Filmen eher selten eingesetzt. Meist werden Requisiten und Accessoirs in den persönlichen Räumen einer Figur gezeigt, um sie in einer bestimmten Weise zu charakterisieren und um auf einen Zustand hinzuweisen.
Zyklen von Fotografien nach gesetzten Themen oder mit einem bewußten Fokus werden in Ausstellungen und Fotobänden präsentiert. Der nächste Verwandte hingegen, der Fotocomic, gilt als künstlerisches Leichtgewicht, zumal er in erster Linie als fortgesetzte Fotoromanze in Jugendzeitschriften (Bravo) oder als leicht verderbliche, satirische Collage eingesetzt wird.
Der Fotofilm bewegt zwischen all diesen Positionen, und La Jetée dürfte der berühmteste Vertreter dieser Gattung sein. Am häufigsten wird er als Inspiration für Terry Giliams Dystopie Twelve Monkeys | 12 Monkeys (USA 1999, FSK: 16) erwähnt. Terry Gilliam sagt, er habe Chris Markers La Jetée erstmals bei der Premiere seines Films gesehen.

Chris Marker (Jahrgang 1921) wuchs dreisprachig auf, studierte zunächst Philosophie und hinterließ dann ein vielfältiges Werk, das von Gedichten, Übersetzungen und Kritiken über Illustrationen und Multimedia-Projekten bis zu Romanen und Filmen reicht.
Dadurch hat er mit zahlreichen berühmten Persönlichkeiten zusammengearbeitet: von Costa-Gavras bis zu Alain Resnais, von Jorge Semprun bis zu Akira Kurosawa, von Joris Ivens bis zu William Klein.
Marker begeisterte sich für den Kommunismus und drehte im Auftrag der UNESCO Reisefilme. Sein Hauptwerk besteht aus bis zu dreistündigen Essayfilmen, die sich kommunistischen Entwicklungen in einzelnen Ländern (Kuba, China) widmen.
Verglichen damit ist La Jetée ein verspieltes Kleinod.

Am Rande des Rollfelds des Pariser Flughafens von Orly erzählt ein namenloser Mann von seinen Erinnerungen: Das einzige Fragment seiner Kindheit bildet eine Szene auf dem Flughafen, wo er eine geheimnisse Frau gesehen hat. Kurz darauf brach der Dritte Weltkrieg aus.
Die Überlebenden verschanzen sich in Katakomben, während Wissenschaftler den Krieg durch eine Zeitreise verhindern wollen. Der Erzähler ist eines der Versuchskaninchen, die in die Vergangenheit geschickt werden sollen. Dabei wird mit dubiosen Seren experimentiert ...

Servalan 19.03.2018 17:00

Menschen am Sonntag (Deutschland 1929, Filmstudio 1929), Drehbuch: Billie Wilder und Robert Siodmak, Regie: Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer, ursprüngliche Fassung: 2.014 Meter, restaurierte Fassung: 1.856 Meter ~ 74 min stumm und schwarzweiß, FSK: ohne Altersbeschränkung

Heute erlaubt selbst das billigste Handy Filmaufnahmen aus der Hüfte.
Ende des 19. Jahrhunderts, bis hinein in die ersten Jahrzehnte des 20. waren Filmkameras schwere, klobige Objekte, die anfangs noch von Hand gekurbelt wurden. Mit den Fabrikanten Lumière entstehen sowohl winzige Spielfilme als auch Dokumentarfilme; der Illusionist Georges Méliès nutzt in den 1890ern Filmtricks für phantastische Leinwandabenteuer.
Technischer Fortschritt sorgte für ein automatisches Gleichmaß beim Drehen und bei der Projektion in der Jahrmarktbude und im Kintopp. In den 1920ern konnten erfahrene Handwerker mit ihrer "entfesselten Kamera" den Stummfilm höchst beweglich in Schwung bringen, siehe Friedrich Wilhelm Murnaus Der letzte Mann (Deutschland 1924). Diese Epoche endete jäh, als sich erst der Ton- und dann der Farbfilm durchsetzten. Kameras wurden wieder zu riesigen Monstren, wie zum Beispiel im Dokumentarfilm The Making of a Legend: Gone with the Wind (USA 1988) deutlich wird.

Was heute geringschätzig als Hollywoodkino abqualifiziert wird, leichte Unterhaltung für ein großes Kinopublikum, fiel keineswegs vom Himmel. Einen entscheidenden Beitrag zu dieser Entwicklung lieferten zahlreiche Filmschaffende aus der Weimarer Republik, die vor den Nazionalsozialisten ins Exil flohen und in Hollywood auf eine Fortsetzung ihrer Karriere hofften. Obwohl die Studios reichlich Chancen vergaben, fremdelten geflohene Drehbuchautoren wie Bertolt Brecht und bekamen in dieser Hinsicht nie einen Fuß auf den Boden.
Menschen am Sonntag hingegen stammte zwar aus der Hand junger, hungriger Leute, die mit Ausschußmaterial von Agfa und fünf Laienschauspielern am Wochenende eine Geschichte aus dem Alltag von damals drehten. Der Klassiker der Neuen Sachlichkeit erweist sich im nachhinein als erster Markstein einer ganzen Riege, die in die Filmgeschichte eingegangen ist: ganz vorne Billy Wilder (Manche möge's heiß, Eins, zwei, drei, Sunset Boulevard), dann die Brüder Robert und Curt Siodmark, die vor allem Science-Fiction- und Horror-Fans ein Begriff sind, sowie Fred Zinnemann (Zwölf Uhr mittags, Verdammt in alle Ewigkeit) und Edgar G. Ulmer. Der Kameramann Eugen Schüfftan hat mit seiner Rückprojektion über Jahrzehnte bei Kameraeffekten einen Standard gesetzt.

Die lockere Clique aus der hektischen Haupstadt besteht aus fünf jungen Leuten, die in modernen Berufen arbeiten: Erwin fährt Taxi, Wolfgang verkauft Wein und Brigitte Schallplatten, während sich Christl als Komparsin behaupt und Annie als Mannequin modellt. Sie freuen sich schon aufs Wochenende, das sie gemeinsam am Wannsee verbringen werden.
Gastauftritte erhalten Berühmtheiten von damals: Valeska Gert und Kurt Gerron.

Gerald Koll interviewte in seinem Dokumentarfilm Weekend am Wannsee (KirchMedia in Zusammenarbeit mit ZDF/arte 2000) Curt Siodmak und Brigitte Busch, die letzten Überlebenden. Sie lassen eine Zeit lebendig werden, in der die Angestellten neben den Arbeitern als neue Schicht sichtbar wurden (siehe den Soziologen Georg Simmel). Die lockere, unbeschwerte Lebensart hat amerikanische Anklänge, Coming-of-Age und die Mittelschichten nach dem Zweiten Weltkrieg bekommen hier einen Prolog.
Menschen am Sonntag beeinflußte zunächst den poetischen Realismus (zum Beispiel eines Jean Vigo), später den italienischen Neorealismus. Menschen am Sonntag ist Spielfilm und Dokumentarfilm zugleich.

Ringmeister 19.03.2018 23:46

Zitat:

Zitat von Servalan (Beitrag 565743)

Abgefilmte Fotografien werden in gewöhnlicheen Filmen eher selten eingesetzt. Meist werden Requisiten und Accessoirs in den persönlichen Räumen einer Figur gezeigt, um sie in einer bestimmten Weise zu charakterisieren und um auf einen Zustand hinzuweisen.

Verstehe ich nicht. Was sind denn "abgefilmte Fotografien"?. Ist das was anderes, als wenn Fotos in Filmen gezeigt werden?
BtW: was sind denn "gewöhnliche Filme?"

Servalan 20.03.2018 16:09

Fotos werden in Spielfilmen ja meist als Requisiten eingesetzt.
Bei Fotofilmen ist das anders. Bei denen dient eine Reihe von Fotos als Grundlage für eine Geschichte oder einen Essay. Dabei bewegt sich die Kamera über die Fotos, zoomt hier hinein oder verfolgt, wohin die abgebildeten Figuren blicken. Der äußere Rahmen oder Rand bildet eine äußere Grenze, die nicht berührt wird.

Wie funktioniert das?
Erinnerst du dich an die Fernsehserie 100[0] Meisterwerke? 10 Minuten analysierte die Kamera ein berühmtes Gemälde aus einem bekannten Museum, während ein Kunsthistoriker aus dem Off erklärte, was gezeigt wurde.
Wenn du das Gemälde durch ein Foto austauschst, hast du einen Fotofilm.

"Gewöhnliche Filme" ... Nun ja, eigentlich ist das eine Verlegenheitslösung. Aber irgendwie muß ich die Nicht-Kunstfilme schon benennen. Sind ja nicht alles Blockbuster, und da pauschal vom Hollywoodkino zu reden, wäre Blödsinn. Viele laufen auf Festivals und im Arthousekino, aber die haben mittlerweile ein breiteres, publikumsfreundlicheres Programm.
Hast du einen besseren Vorschlag? ... Publikumsfilme ...

Servalan 21.03.2018 19:22

As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty (USA 2000), Drehbuch, Produktion, Kamera, Schnitt und Regie: Jonas Mekas, 288 min, FSK: Nicht geprüft

Unter den bekannten Stummfilmen dürfte Menschen am Sonntag (siehe # 76) derjenige sein, der einem Home Movie am nächsten kommt. In den ersten Jahrzehnten war die Filmerei ein kostspieliges Hobby für begüterte Leute, die zudem auf Personal angewiesen war, das sich vor der Kamera filmen ließ.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich die allmählich wachsende Mittelschicht eine 16mm-Kamera leisten, und Ethnologen oder andere Forscher nutzten leichtere Kameras wie Arriflex und Bolex für ihre Studien. Das Super-8-Format bot dann praktisch jedem mit einem geregelten Einkommen die Gelegenheit, sich als Amateurfilmer zu bewähren.
Meist wurde das eigene Familienleben stolz auf Zelluloid gebannt. Aber zwischen den Aufnahmen und dem fertigen Film liegt der zeitfressende Prozeß des Sichtens und Schneidens. Als Allround-Hardcore-Heimwerker mußte mein Vater das natürlich auch ausprobieren. Er las sich brav das nötige Fachwissen an (eine Broschüre von Jean Pütz, soweit ich mich erinnere), deren Empfehlungen er sklavisch folgte. Bei besonderen Familienfeiern und im Urlaub wurde dann die Kamera gezückt.
Amateurfilme aus vergangenen Jahrzehnten sind heute ein beliebtes Sammelgebiet. Die Szene entstand auf Flohmärkten und präsentiert schon seit einer geraumen Weile Nostalgikern auf Filmabenden in Kneipen oder in Kulturzentren ihre geborgenen Schätze.

Francis Ford Coppolas Trilogie um Mario Puzos The Godfather | Der Pate verdankt einen Teil seines Ruhms auch dem Umstand, daß sowohl seine Eltern als auch seine Frau Eleanor und seine Kinder, vor allem Sofia Coppola, deutliche Spuren darin hinterlassen haben. Im Audiokommentar nennt er die Trilogie offen und ehrlich seinen Home Movie.
Der ultimative, definitive Home Movie stammt jedoch vom Paten des amerikanischen Avantgardekinos, dem litauischstämmigen Jonas Mekas (Jahrgang 1922). 1944 flüchtete Mekas mit seinem Bruder Adolfas vor den Nationalsozialisten aus Litauen. Sie wurden jedoch gefangen und landeten in einem Arbeitslager in Elmshorn. Nach weiteren Verwicklungen landeten sie in Displaced-Persons-Lagern in Wiesbaden und in Kassel. Von 1946 bis 1948 studierte er an der Universität Mainz Philosophie. Ende 1949 emigrierten beide Brüder in die USA, nach Williamsburg, Brooklyn, New York.
Dort entdeckte er das Medium Film für sich. Bekannte aus der Szene förderte er, indem er ihre Aufführungen in Galerien und Independentkinos kuratierte. 1954 gründeten die Brüder Mekas das Fachjournal Film Culture, seit 1958 rezensierte er Filme für das Magazin Village Voice. 1962 gründete er die Film-Makers' Cooperative mit, die seit 1964 ihre feste Adresse in der Filmmakers' Cinematheque hatten, aus der sich die Anthology Film Archives entwickelten.

Nicht nur wegen seines Wohnsitzes im Big Apple erinnert Jonas Mekas an das filmische Pendant zu Art Spiegelman. Über Jahrzehnte experimentierte er mit Tagebuchfilmen. Am 4. November 2000 feierte seine Mega-Kompilation As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty auf dem London Film Festival seine Premiere, der mit einer Laufzeit von knapp fünf Stunden zu längsten Experimentalfilmen gehört. Zwar bleibt seine Familie immer im Fokus, der besondere Reiz besteht darin, über einen Zeitraum von 30 Jahren mitzuerleben, wie sich New York City verändert und immer wieder neu erfindet.

Servalan 22.03.2018 15:34

Možnosti dialogu | Dimensions of Dialogue | Tücken des Gesprächs (Tschechoslowakei 1982, Krátký Film Praha im Filmstudio Barrandov), Idee, Drehbuch und Regie: Jan Švankmajer, 12 min

Wer mit den tschechoslowakischen Kinderserien und Spielilmen aufgewachsen ist, kennt wahrscheinlich etwas aus dem Werk des Prager Surrealisten Jan Švankmajer. Denn Švankmajer trug in Serien wie Návštěvníci | Die Besucher und Filmen wie Upír z Feratu | Der Autovampir die Verantwortung für die Effekte.
Er studierte Angewandte Künste und Puppenspiel an der Akademie der musischen Künste in Prag und wurde stark von Edgar Allan Poe, Lewis Carroll, Sigmund Freud und dem Marquis de Sade beeinflußt.
Seit 1964 entstanden bis 1992 vorwiegend Kurzfilme für Erwachsene, die zwar weltweit auf Festivals ausgezeichnet werden, von der heimischen Kulturbürokratie jedoch mißtrauisch beäugt werden. Erst im Vorfeld der Samtenen Revolution entstehen lange Spielfilme, in denen er Stopmotion und Claymation ausgiebig benutzt. In seiner Stopmotion greift er mit Vorliebe auf Dinge des Alltags und Objekte aus der Natur wie Obst oder Baumstümpfe zurück, die als solche im Film erkennbar bleiben.
Zu seinen Fans und Bewunderern zählen unter anderem Terry Gilliam, die Quay Brothers, Tim Burton und Mamoru Oshii. Für Terry Gilliam gehört Možnosti dialogu zu den besten Animationsfilmen überhaupt.

Zu seinen unbestrittenen Meisterwerken gehört der dreiteilige Animationsfilm Tücken des Gesprächs, der sich bissig satirisch damit beschäftigt, wie wir Menschen eigentlich ticken.

Servalan 28.03.2018 15:20

Huset på Christianshavn | Oh, diese Mieter! Staffel 8 Episode 6 (Folge 48) "Nu stiger kunsten" bzw. Staffel 2 Episode 10 (Folge 26) "Jetzt steigt die Kunst" (Dänemark 1974, Nordisk Film für Danmarks Radio), Drehbuch: Henning Bahs, Regie: Tom Hedegaard, 28 min bzw. 26 min

Das Mietshaus im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn liegt in der Amagergade 7 in der Nähe des Zentrums. Hier wohnen kleine Leute: Arbeiter, Angestellte und kleine Selbständige. In Dänemark lief die Serie von 1970 bis 1977 und brachte es auf 84 Folgen in 14 Staffeln, außerdem entstand ein Spielfilm. Gekürzte Szenen sind in Klammern.
Die Stammkneipe der Mieter ist das gegenüber liegende Rottehullet (deutsch Rattenhöhle). Egon Olsen verdient sich mit seinem Möbelwagen seinen Lebensunterhalt und hält sich als Unternehmer für etwas Besseres als den Kommunalbeamten Larsen. Er zofft sich regelmäßig mit Larsen, Tierhändler Clausen und Hausmeister Meyer. (Die Söhne William Olsen und Bimmer Clausen foppen jedoch gemeinsam Hausmeister Meyer.)

Weil zahlreiche Stars aus der Kultserie um die Olsenbande hier regelmäßig auftraten, hatte die Serie auch in der DDR ihre treuen Fans. Dort liefen leicht gekürzt zwischen 1975 und 1982 unter dem Titel Oh, diese Mieter! 48 Folgen in 5 Blöcken. Bei dieser Folge wurden mehrere Szenen, die vor allem auf der Straße, im Treppenhaus und im Durchgang zur Straße spielen, gekürzt, weshalb die dänische Fassung lebendiger wirkt und die DDR-Fassung fast einem Kammerspiel gleicht.
Der Serie wurde vorgeworfen, sie zeichne das Leben der gewöhnlichen Leute in zu rosigen Tönen und romantisiere den Alltag. Dennoch gehört die Serie zu den größten Erfolgen des dänischen Fernsehens.

(Olsen kommt von einer Fahrt zurück und geht mit Meyer ins Rottehullet.) Er hat vom Diebstahl bei einem Künsthändler erfahren, jetzt schwärmt er von den wunderbaren Profiten: Ein Bild, das zu Lebzeiten des Künstler zwei Millionen Kronen wert gewesen sei, wäre heute 40 Millionen Wert und das steuerfrei. Sofort entspinnt sich eine Debatte, wie leicht es wäre, mit der richtigen Kunst zu spekulieren und reich zu werden.
Die Wirtin des Rottehullet, Emma, erwähnt dabei eine Künstlergruppe, die bis zum Abriß im Hinterhaus Nr. 13 gewohnt haben. Wenn die ihre Zeche nicht zahlen konnten, haben ihre Gemälde angeboten. Emma kramt die Bilder hervor.
Mit der modernen, abstrakten Kunst kann keiner etwas anfangen. Die finden sie nur häßlich, wobei Olsen und Larsen auf ihre Bildung hinweisen. Als sich Meyer für ein Bild mit einem verwachsenen Kalb begeistert, lästern sie über das Postkartenmotiv.
Olsen und Clausen spekulieren sofort eifrig in Kunst, die natürlich im Wohnzimmer angebracht werden muß. Allerdings brauchen sie dazu das Einverständnis ihrer Ehefrauen. Als Olsen zwei Bilder anschleppt, schwärmt ihm seine Frau Ellen vor, daß ihr Sohn William künstlerisch begabt sei. Egon winkt ab und meint, der lese doch nur Anders And & Co. (Micky Maus Magazin).
Im Wohnzimmer bringt Olsen stolz ein Landschaftsgemälde von Helge Hansen an, abgetakelte Segelboote unter rotem Abendhimmel. Für nur 650 Kronen habe er das Kunstwerk erstanden, jetzt müsse er nur abwarten. In das Zimmer seines Sohnes William hängt er ein abstraktes Gemälde, bei dem er raten muß, wo oben und wo unten ist.
Unterdessen empfiehlt Larsen Mille Clausen einen heißen Tip des Kunsthändlers Hallandsen, zwar kein Asger Jorn (1914 - 1973), aber ein Werk der berühmten Gruppe CoBrA, von J.W. Go Sørensen. Mille findet das Geschmiere abscheulich, das für 3.000 Kronen ein Schnäppchen sein soll.
Olsen will seinen Triumph gegenüber Clausen auskosten, der gerade mit Mille Larsen abwimmelt. Doch da muß er erkennen, daß Clausen genau das gleiche Gemälde von Helge Hansen hat wie er. Als der ihn sagt, er habe dafür nur 350 Kronen gezahlt, reicht es ihm.
Wenig später steigt Kunsthändler Hallandsen aus seinem schwarzen Mercedes. Er wird von Meyer erwartet, der den Ungeduldigen zu den Larsens bringt. Hallandsen will unbedingt das abstrakte Gemälde aus Williams Zimmer haben.

Gewisse Parallelen zu Minder | Der Aufpasser (siehe #70) sind unvermeidlich. Wer sich auf Kunst versteht wie Hallandsen, kann gute Geschäfte machen und Unkundige sogar über den Tisch ziehen. Trotz einer gewissen Bildung und angelesenem Wissen schätzen Kleinbürger die Lage jedoch in der Regel grundfalsch ein. Der naive Blick des vermeintlich ungebildeten Hausmeisters hingegen beweist ein besseres Gespür.

Servalan 29.03.2018 16:58

I Shot Andy Warhol (USA 1996, BBC Arena, Playhouse International Pictures und Killer Films), Drehbuch: Mary Harron und Daniel Minahan frei nach The Letters and Diaries of Candy Darling (1992) von Jeremiah Newton, Regie: Mary Harron, Musik: John Cale, 103 min, FSK: 16

Nachdem sie am 3. Juni 1968 versucht hat, Andy Warhol (1928 - 1987) sowie dem Kunstkritiker und Kurator Mario Amaya (1933 - 1986) im seinem Studio The Factory zu erschießen, wird Valerie Solanas (1936 - 1988) von der New Yorker Polizei verhört.
Sie hat es in ihrer schweren Kindheit gelernt, sich durchzuschlagen. Als sie vor ihrem Vater und ihrem Großvater floh, der seine Enkelin mißbrauchte, lebte sie auf der Straße. Sie will Schriftstellerin werden, schreibt sich für Psychologie an der Universität ein. Wenn Geld knapp war, bettelte sie oder prostituierte sich. Trotz des rauen Klimas in den 1950ern lebte sie offen als Lesbe.
Durch ihren Freund Stevie lernt sie Candy Darling (1944 - 1974) aus der Factory kennen, die sie Warhol vorstellte. 1967 bat sie Warhol, sich eines ihrer Theaterstücke, Up Your Ass, durchzulesen. Wegen seiner expliziten Filme hatte Warhol Schwierigkeiten mit der Polizei und vermutete eine Falle.
Unterdessen lernt Solanas Maurice Girodias kennen, der in seinem Verlag Olympia Press vorwiegend pornographische Titel veröffentlicht. Er schließt mit ihr einen Vertrag über einen pornographischen Roman ab. Solanas traut dem Braten nicht, wird mißtrauisch und glaubt, Warhol und Gorondias würden sie kontrollieren. Dann verliert ihr Mentor Warhol, der ihr Theaterstück produzieren soll, auch noch das Manuskript und speist sie mit 25 Dollars ab.
Sie besorgt sich eine Waffe und marschiert in die Factory.

Seit dem Mordversuch lebt Warhol in Angst, denn er befürchtet, Solanas werde es ein zweites Mal versuchen.
Solanas pornographischer "Roman" war das brühmt-berüchtigte radikalfemnistische SCUM Manifesto - Society for Cutting Up Men (Selbstverlag 1967, Olympia Press 1968), das in Männer und dem Patriarchat eine Herrschaft des Abschaums (englisch Scum) sieht.

Desweiteren treten auf: Viva (Jahrgang 1938), Jackie Curtis (1947 - 1985), Ondine (1937 - 1989), Paul Morrissey (Jahrgang 1938), Tom Baker (1940 - 1982), Brigid Berlin (1939 - 2020), Rotten Rita (1938 - 2010) und Ultra Violet (1935 - 2014)

In den 1990er Jahren wurden im Indepentkino mehrere Filme über Künstlerinnen produziert, wobei das Spektrum von Camille Claudel bis zu Artemisia Gentileschi reichte. Bei den Vorführungen im Arthouse konnte das Publikum ernsthafte Künstlerinnen kennenlernen, die sich gegen gesellschaftlichen Widerstand durchsetzen konnten. Historische Kostümfilme betonten dabei den Einfluß wohlwollender Mentoren und Förderer, häufig Väter oder Liebhaber. Das Biopic über Valerie Solanas entzieht sich einer Vorlage, bei der sich das Publikum mit der Heldin identifizieren und mitkämpfen kann.
Obwohl nur noch wenige der Dargestellten lebten, erlaubt der Film einen Vergleich zwischen der Gegenwart in den 1990ern und den 1960ern auf der Leinwand. Der konzentrierte Blick auf entscheidende Schlüsselmomente in Solanas' Leben vermeidet den klassischen Lebenslauf in Rückblenden.

Weltpremiere feierte das prominent besetzte Biopic in der Reihe Un Certain Regard bei dem Filmfestspielen von 1996. Lili Taylor wurde beim Sundance Film Festival 1996 für ihre Verkörperung der Valerie Solanas ausgezeichnet.
Zur 30-Jahr-Feier des LGBT-Preises Teddy lief er bei der 66. Berlinale 2016.

Servalan 29.03.2018 19:29

The Picture of Dorian Gray | Das Bildnis des Dorian Gray | Il dio chiamato Dorian (Bundesrepublik Deutschland / Italien 1970), Drehbuch: Massimo Dallamano, Marcello Coscia und Günter Ebert nach dem gleichnamigen Roman (1890) von Oscar Wilde, Regie: Massimo Dallamano, 93 min, FSK: 16

Durch den ewig jung bleibenden Dorian Gray hat Oscar Wilde in seinem einzigen Roman eine Figur geschaffen, die inzwischen zur Populärkultur gehört. Die Kunstszene bildet den Fokus einer sarkastischen Abrechnung mit der elegant gelangweilten Oberschicht des spätviktorianischen Empire. Hier glaubt niemand an den Teufel und seine infamen Verführungskünste, umso verhängnisvoller sind dann die Konsequenzen.
Letzten Endes beruht Wildes Roman auf einer phantastischen Grundlage, und der Quell ewiger Jugend hält sich als Mythos hartnäckig. Wilde legte großen Wert auf Ästhetik, die er in etlichen, teilweise szenisch dramatisierten Essays ausformulierte.
Zuerst erschien der Roman in Lippincott’s Monthly Magazine, die heute zugängliche Fassung wurde für den Londoner Verlag Ward, Lock and Co. überarbeitet und erweitert.

1910 wurde der Stoff erstmals von Axel Strøm in Dänemark verfilmt. Bis heute gibt es 17 mehr oder minder getreue Verfilmungen, die sich manchmal extreme Freiheiten herausnehmen, wie zum Beispiel Ulrike Ottingers Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse (Bundesrepublik Deutschland 1984, 150 min) mit Veruschka von Lehndorff in der Titelrolle.
Ob als Musical, Oper, Ballett oder Schauspiel auf dem Theater, ob als Hörspiel oder als Comic, jedes Medium kann mehrere Adaptionen vorweisen. Deshalb liegt mein Schwerpunkt auf der Wahl der besten Verfilmung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Massimo Dallamano als Kameramann, wo er unter anderem als Jack Delmas für Sergio Leone die ersten beiden Teile der Dollar-Trilogie drehte. Vielleicht lag es an seiner Herkunft, denn die bundesdeutsche Kritik gab sich ausgesprochen kühl und abweisend. Produziert wurde Das Bildnis des Dorian Gray vom B-Film-Produzenten Samuel Z. Arkoff, der Horrorfilmfans ein Begriff sein dürfte.

Dallamanos Fassung verlegt die Geschichte um das Bild, das anstelle des Porträtierten altert, in die Gegenwart seiner Zeit. Dadurch bildet das Swinging London der 1960er Jahre den Hintergrund. Die italienische Tradition des Giallo trifft hier auf ein Echo der jungen Schwulenbewegung.
Der von Helmut Berger verkörperte Gray trifft seine Liebhaber unter anderem in der Sauna. Im Gegensatz zum klassischen Teufelspakt sind hier drei Akteure beteiligt: Dem Kunstmaler Basil Hallward sitzt sein Freund Dorian Gray Modell, während ihm der Kunsthändler Henry Wotton ein Angebot unterbreitet, das zu schön wäre, um wahr zu sein. Halb belustigt läßt sich Gray auf den Deal ein, während das Bild die nächsten Jahre auf dem Dachboden landet und dort fast vergessen wird.

Servalan 02.04.2018 19:38

Decoy | Decoy: Police Woman Staffel 1 Episode 34 (Folge 34) "The Shadow of Van Gogh" (USA 1958, Official Films, Inc. für Pyramid Production), Drehbuch: Saul Levitt, Regie: Michael Thomas, Gemälde: R.F. Stone und Harry Jackson, Skulpturen: Nathan Hale, 26 min schwarzweiß

Am 16. Dezember 1986 feierte Jürgen Rolands neue Krimiserie Großstadtrevier mit der Episode "Mensch, der Bulle ist ’ne Frau" im Vorabendprogramm Premiere. Der erfahrene Polizeihauptwachtmeister Richard Block hat dabei gewisse Probleme mit seiner Kollegin Ellen Wegener, die frisch von der Polizeischule kommt. Gut zehn Jahre vorher ermittelte Nicole Heesters als Kommissarin Marianne Buchmüller in Mainz für den Tatort des SWR in drei Folgen.
Wenn es um Ermittlerinnen geht, die sich durchsetzen können, fällt den meisten als erstes wohl Emma Peel aus der britischen Serie The Avengers | Mit Schirm, Charme und Melone (ITV / ABC / Thames Television 1961 - 1969) ein, möglicherweise noch deren Vorgängerin Cathy Gale (deren Darstellerin Honor Blackman spielte später Pussy Galore in James Bond 007 – Goldfinger, 1964).

Doch keine von denen war die erste Polizistin auf dem Bildschirm.
Diese Ehre gebührt der femininen Beverly Garland, die von 4. Oktober 1957 bis zum 7. Juli 1958 in 39 Episoden die Polizistin Patricia Jones verkörperte, die in New York City ermittelt.

Die Serie ist ein Spin-off der erfolgreichen Krimiserie Dragnet | Polizeibericht (von der sich Jürgen Roland bei Stahlnetz anregen ließ). Weil Casey Jones, wie sie auch genannt wird, häufig undercover als Köder oder Lockvogel auftritt, heißt die Serie Decoy.
Die Krimiserie wurde mit bescheidenem Aufwand produziert und erinnert erzählerisch an EC-Comics. Notwendige Informationen erzählt Casey Jones teilweise aus dem Off, und manchmal redet sie wie ein Serienhost direkt in die Kamera. Die Außenaufnahmen aus dem Big Apple von damals vermitteln ein nostalgisches Flair. Manchmal holpert der Erzählfluß, weil sich die Serie auch als allgemeines Bildungsprogramm und Milieustudie versteht.

In Greenwich Village steigert sich der junge Maler Jack Wilson bei einem Selbstporträt so stark in sein Vorbild Vincent van Gogh (1853 - 1890) hinein, daß er es schließlich mit "Vincent" signiert. Weil das nur eine Van-Gogh-Kopie ist und kein Jack Wilson, zerschmettert er im Jähzorn seinen Spiegel.
Die reiche Miss Deene hat vom Kunsthändler Corso für 60.000 Dollar van Goghs "De sterrennacht | Sternennacht" (1889) erstanden und läßt es von einem Experten begutachten. Der kommt leider zu dem Schluß, daß es sich um eine Fälschung handelt. Weil das echte Gemälde vor vier Jahren gestohlen wurde, erhält Casey Jones den Auftrag diskret zu ermitteln. Sie weiß, wer Vincent van Gogh gewesen ist.
Zuerst schaut sie sich in der Galerie Corso um. In dessen Büro hängt ein unscheinbares Gemälde, das der Kunsthändler trotz seines illustren Platzes - gegenüber seinem Schreibtisch - verächtlich macht. Das sei weder schön, noch sei das Kunst.
Casey Jones hört sich in Greenwich Village um, sucht Künstler auf, die am Central Park ihre Werke feilbieten, und hört sich in einer Künstlerkneipe um. Sie sucht nach einem junger Künstler, der von van Gogh inspiriert ist, und kommt auf diese Weise nach und nach zu Jack Wilson. Sie stellt sich ihm als Miss Chalmers vor, die im Auftrag von Miss Deene unterwegs ist.

Servalan 05.04.2018 15:14

Tatort (Folge 579) "Teufel im Leib" (Deutschland 2004, Telefilm Saar GmbH im Auftrag des Saarländischen Rundfunks für Das Erste), Drehbuch: Jochen Senf und Hans-Christoph Blumenberg, Regie: Hans-Christoph Blumenberg, 88 min

Der 17. und vorletzte Fall für Kriminalhauptkommissar Max Palu, der von 1988 bis 2005 in Saarbrücken ermittelte, zitiert im Episodentitel französische Weltliteratur: 1923 erschien bei Grasset der Skandalroman Le Diable au corps (deutsche Titel: Teufel im Leib oder Stürmische Jugend) von Raymond Radiguet um eine Amour fou im Ersten Weltkrieg. Grasset vermarktete den Erotikthriller als Romandeüt eines 17jährigen. Mit nur 20 Jahren erlag Radiguet dem Typhus.
Seit 1947 wurde der Roman insgesamt fünfmal verfilmt, zuletzt 1986, 1989 und 1990. Marco Bellocchios Fassung Il diavolo in corpo (Frankreich / Italien 1986, 110 min, FSK: 18) feierte seine Premiere in der Reihe "Quinzaine des Réalisateurs" bei den 39. Internationalen Filmfestspielen in Cannes. Die explizite Sexszene brachte zwar die provozierte Aufmerksamkeit, letztendlich behinderte sie aber die Karriere der Hauptdarstellerin Maruschka Detmers.

Schauspieler und Autor Jochen Senf gelang in seiner Rolle als Max Palu der Durchbruch. Obwohl Senf seinen Kommissar mit autobiographischen Elementen anreichert, wird er von Teilen der Kritik als klischeehaft und behäbig gesehen. Ausflüge ins benachbarte Frankreich und Luxemburg sind in saarländischen Krimis üblich.
Historisch wurde das formell selbständige Saargebiet zwischen 1947 und 1957 von den französischen Alliierten kontrolliert, und wurde erst nach der "kleinen Wiedervereinigung" das kleinste Flächenland unter den Bundesländern. Dementsprechend reichert französisches Savoir-vivre das Ambiente an, vor allem Palus Vorliebe für gutes Essen.
Der Episodentitel zählt ebenfalls dazu, zumal die Filmhandlung und der Roman höchstens auf abstrakter Ebene etwas miteinander zu tun haben: Sowohl bei Radiguet als auch bei Palu geht es das schwierige Verhältnis zwischen Männern und Frauen, um Weiblichkeit an sich und den sogenannten Krieg der Geschlechter.

Die Anästhesistin Dr. Barbara Schreiner bereitet in ihrem Atelier ihre letzten Bilder für ihre Ausstellung "Teufel im Leib" vor, die demnächst in der Galerie Alain in Saarbrücken ihre Vernissage feiern wird. Ihre Gemälde zeigen vergrößerte Operationsfotos von Frauen mit vernarbten Körpern, die sie mit rotem Airbrush übermalt. Zu ihren Bewunderern gehört der Schönheitschirurg und Klinikprofessor Dr. Till Pfortner, der plötzlich bei ihr eindringt. Es kommt zu einem Streit, denn sie wirft ihn hinaus, was Max Palu zufällig mitbekommt, weil ihn der Lärm in der Nähe aufschrecken läßt.
Die junge Motocross-Fahrerin Sandra Waller ist nach einem Unfall mit ihrem Motorrad Patientin bei der Schmerztherapeutin Dr. Cordula Scholz, die sie in ihrer Klinik beaufsichtigen will, doch Sandra bricht immer wieder aus. Die zornige Frau rennt vor ihrem Schmerz davon und läuft Palu in ihrer schwarzen Motorradkluft immer wieder über den Weg, weshalb der Kommissar stutzig wird.
Palus Fall beginnt im engeren Sinne mit der im Atelier ermordeten Dr. Schreiner. Routinemäßig suchen Palu und sein Assistent Deininger die nächsten Verwandten des Opfers auf: Der Gynäkologe Dr. Alfred Waller war mit ihr verheiratet, aber beide haben erhebliche Schwierigkeiten mit ihrer gemeinsamen Tochter Sandra. Dr. Waller sähe es lieber, wenn Sandra ihre Therapie bei Dr. Scholz abbräche, weil er der Schmerztherapeutin mißtraut.
Als am nächsten Morgen Galerist Alain von seiner Assistentin schwerverletzt in seinen Ausstellungsräumen aufgefunden wird, bringt Palu beide Fälle in einen Zusammenhang. Denn zwei Bilder wurden aus der Galerie gestohlen, und die Kataloge zu "Teufel im Leib" sind verschwunden. Palu beschäftigt sich mit Barbara Schreiners Kunstwerken und kommt dadurch suspekten Todesfällen auf die Spur.

Auf den ersten Blick wird die feministische Body Art der Cindy Sherman (Jahrgang 1954) als Vorbild für Dr. Barbara Schreiners Übermalungen erkennbar: Ähnlich verstörende Blicke auf weibliche Körper lieferte sie in mehreren Serien, die unter anderem 1995 in den Hamburger Deichtorhallen und 1997 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden ausgestellt wurden. Ihre Serien Disasters (1985 – 1989) und Sex Pictures oder Mannequin Pictures (1992) liegen dort, wo sich Modefotografie, Horrorfilm und Pornographie überschneiden.

Servalan 08.04.2018 16:04

Gelübde des Herzens (Deutschland 2003, teamWorX Television & Film Produktion der UFA GmbH im Auftrag der ARD Degeto Film), Drehbuch: Natalie Scharf, Regie: Karola Hattop, Kunstmaler: Michael Lenz, 86 min

Das bittersüße Liebesmelodram um eine trauernde Kunstrestauratorin und einen angehenden Mönch aus der Toskana verbindet Anleihen aus Im Namen der Rose und der Serie Die Dornenvögel. Glaube, Liebe, Hoffnung liefern mehr als einen netten Unterton, zumal der persönliche Verlust mit einer handfesten Glaubenskrise verbunden wird.
Bildgestalter Sebastian Richter nutzt die Gelegenheit, um in den Landschaftsaufnahmen klassische Gemälde anklingen zu lassen. Die Romanze bietet einen angenehmen Zeitvertreib, bleibt aber sonst brav und bieder.

Die 32jährige Sophie Schuhmacher lehrt am Kunsthistorischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität, wo sie im Auftrag ihres Doktorvaters, Professor Eduard Lemnitz, als Sachverständige Gemälde begutachtet und restauriert. Privat bereitet sie gerade ihre Hochzeit mit dem Geschäftsmann Florian Berger vor, dem eine standesamtliche Trauung genügt hätte.
Weil sie jedoch im Alleingang einen kirchlichen Termin vereinbart hat, geraten die beiden in Streit, und Florian flieht vor der Auseinandersetzung in sein Büro. Kurz darauf verunglückt er auf der regennassen, nächtlichen Straße.
Am Tag zuvor hatte sie mit Professor Lemnitz im Institut ein Gemälde aus der Hochrenaissance begutachtet, ihrem Spezialgebiet. Das Gemälde zeigt den Exodus aus Ägypten unter Moses und hat eine gewisse Nähe zu Raffael (1483 - 1520) oder dessen Werkstatt. Sophie zweifelt die Echtheit an. Die beiden werden von Luca Divale unterbrochen, der gerne die Expertise über ein unbekanntes Fresko in Siena einholen möchte. Wegen ihrer bevorstehenden Hochzeit lehnt Sophie zunächst ab; nach dem Verlust zweifelt sie an Gott und stürzt sich in die Arbeit.
Bei dem Gemälde handelt es sich um ein Kapellenfresko im Dominikanerkloster San Domenico del Monte bei Siena, das zum größten Teil übermalt worden ist und nur in Teilen freiliegt. Als einzige Frau im Männerkloster fordert Klostervorsteher Monsignore Costamagna Della Fina von ihr, sich strikt an die Regeln zu halten und gebührenden Abstand zu den Mönchen zu wahren. Costamagna spielt den kunsthistorischen Wert des Freskos herunter, denn er hält die Ziermalerei des 15. Jahrhunderts für eine Nachahmung spätbyzantinischer Motive.
Sophie dokumentiert ihre Forschungsarbeit mit der Digitalkamera. Durch die Jahreszahl 1498 wird Luca stutzig und erwähnt Sophie gegenüber, daß in jenem Jahr der Dominkaner Cavalese, ein Mönch des Klosters, als Ketzer auf dem Scheiterhaufen landete. Laut dessen Aussage sollten Mönche Frauen in der Umgebung geschwängert haben.


Die kunsthistorische Ebene ist eingängiger als der religiöse Unterton, der Brüche enthält, die von Laien übersehen werden können (oder sollen). Ihr Verlobter Florian scheint für seine Liebe ohne Glauben durch ein Gottesurteil bestraft worden zu sein. Lucas Schmachten kommt jedoch vom Glauben zur Liebe und eröffnet so das obligatorische Happy End. Dieses wird auf weiteren Ebenen gespiegelt, denn es gibt auch in der Gegenwart weitere (offene) Geheimnisse.

Servalan 10.04.2018 16:21

W. Somerset Maugham's The Moon and Sixpence | Der Besessene von Tahiti (USA 1942, David L. Loew - Albert Lewin. Inc. für Favorite Film Productions der United Artists), Drehbuch: Albert Lewin nach dem Roman The Moon and Sixpence | Silbermond und Kupfermünze (1919) von William Somerset Maugham, Regie: Albert Lewin, Skulpturen: Nina Saemundsson, Gemälde: Dolya Goutman, Wissenschaftliche Beratung: Barbara Gray, 89 min teilweise schwarzweiß, FSK: 12

Somerset Maugham ließ sich bei seinem Künstlerroman vom Leben Paul Gauguins (1848 - 1903) inspirieren und landete einen Bestseller, den etliche Studios sofort verfilmen wollten. Weil die Sittenwächter des Hays Code | Production Code schon in der Drehbuchphase Schwierigkeiten bereiteten, hing das Projekt lange in der "Produktionshölle" fest. 1941 erwarben David L. Loew und Albert Lewin die Rechte von MGM und finanzierten mit einer unabhängigen Studio-Produktion einen der ersten Filme ihrer gemeinsamen Produktionsfirma.
Die Musik von Dmitri Tionkin wurde für den Oscar nominiert, und Der Besessene von Tahiti rangiert unter den Top 10 des Jahrgangs 1942. In den deutschen und österreichischen Kinos lief die Verfilmung kriegsbedingt mit erheblicher Verzögerung, nämlich erst 1955.
Somerset Maugham war mit der Umsetzung seines Romans zufrieden.

Eine erste Bearbeitung des Roman gab es schon 1925 für das New Theatre in London. 1951 und 1959 wurde der Roman für den US-Sender NBC neu verfilmt. 1957 feierte eine Opernfassung im Sadler's Wells Theatre, London, Premiere; die Musik stammte von John Gardner und das Libretto von Patrick Terry.
Bezeichnenderweise ging Kameramann John F. Seitz bei den Nominierungen leer aus, obwohl das ausgefeilte Farbkonzept das konversationsreiche Biopic im Rückblick aus der Masse heraushebt: Die ersten Episoden sind in hartem Schwarzweiß, erst in der letzten halben Stunde auf Tahiti mildert ein Sepia (wie in alten Fotos) den Blick. Den Höhepunkt bilden zwei kurze Einstellungen in Farbe, die Charles Stricklands von ihm ausgemalte Hütte und einen Brand zeigen.

Vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte wirft der Stoff eine ziemlich steile These auf, die einem Bauchschmerzen bereiten kann: Künstlerische Genies brechen nicht nur bürgerliche Konventionen, sie sind nicht fähig, gegenüber sich selbst und anderen Kompromisse einzugehen. Deshalb verursachen sie Leid und gehen letztlich an sich selbst zugrunde.

Als der saturierte Erfolgsschriftsteller Geoffrey Wolfe eines Tages in der Zeitung liest, daß der Kunstkenner und Sammler Joseph Steen bei einer Auktion bei Christie's Charles Stricklands Gemälde "Woman of Samaria" für 3.500 Pfund erwarb, erinnert er sich an den Künstler. Nach einem längeren Selbstgespräch entschließt sich Wolfe, ein Buch über das Leben des Künstlers zu schreiben.
Wolfe lebt auf großem Fuße und bewegt sich in der höheren Gesellschaft Londons. Manchmal übernimmt er aus Gefälligkeit kleinere Aufträge, die diskret bleiben sollen. Ende des 19. Jahrhunderts wendet sich Mrs. Stickland an ihn, weil ihr Mann, ein erfolgreicher Mann, sie nach 17 Jahren plötzlich verlassen hat. Wolfe findet Strickland in einer ärmlichen Mansarde in Paris.
In einem Café gesteht ihm Strickland, zeit seines Lebens habe er immer nur Malen wollen. Sein Vater habe das für brotlose Kunst gehalten und ihn zu einer Karriere als Geschäftsmann bedrängt, aber nun könne er nicht mehr. Deshalb sei er ausgestiegen. Seine verlassene Frau bricht über der Nachricht zusammen: Mit einer Geliebten hätte sie konkurrieren könnte, mit der Idee der Kunst kann sie das jedoch nicht.

Sieben Jahre später zieht Wolfe von London nach Paris um, weil er eine Luftveränderung braucht. Dort freundet er sich mit dem kindlichen Maler Dirk Stroeve an, der zwar selbst leidlich über Runden kommt, aber einen untrüglichen Blick für die Talente anderer hat. Stroeve schwärmt von Strickland als einem Genie, obwohl der am Hungertuch nagt. Der verwilderte und verwahrloste Strickland schlägt sich als Plakatierer, Anstreicher und Touristenführer durch.
Bald darauf erkrankt Strickland, den Stroeve in seinem Atelier pflegen will, damit er nicht umkommt. Blanche Stroeve erkennt in Strickland etwas Finsteres und Verderbliches, weshalb sie auf ihren Mann vergeblich einredet. Dank Dirk Stroeves Pflege springt Strickland dem Tod von der Schippe, und später malen Stroeve und Strickland gemeinsam im Atelier.


Der Stoff zeigt eine gewisse Nähe zu Monsterfilmen. Die Verfilmung beginnt mit einem Insert, das vorgibt, Strickland für sein rücksichtsloses Verhalten nicht verteidigen zu wollen. (Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten!)
Während der sympathische Holländer Dirk Stroeve ein munterer, freundlicher Kleinbürger bleibt, verändert der Kunsttrieb Genies wie Strickland schubweise, so daß eine neue Persönlichkeit entsteht. Nach seiner Flucht aus London verwandelt sich der brave Dr. Jekyll des Börsenmaklers zunächst in einen egoistischen Mr. Hyde.

Servalan 16.04.2018 15:24

Besuch bei Van Gogh - ein utopischer Film (Deutsche Demokratische Republik 1985, DEFA-Gruppe Roter Kreis und Allianz Filmproduktion GmbH), Szenarium: Horst Seemann und Heinz Kahlau frei nah der Erzählung Vincent van Gogh (1972) von Sewer Gansowski | Север Феликсович Гансовский, Drehbuch: Horst Seemann, Dramaturgie: Christel Gräf, Musik und Regie: Horst Seemann, 105 min

Als der Science-Fiction-Film im Oktober 1985 in den Kinos der DDR anlief, war Michail Gorbatschow | Михаил Сергеевич Горбачёв zwar schon einige Monate Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Präsident der Sowjetunion wurde er jedoch erst im März 1990. Seit einiger Zeit schwirrten die Schlagwörter Glasnost und Perestroika herum, die für eine neue Offenheit warben. Die Regierung der DDR und die kommunistische SED vertrauten lieber der traditionellen Linie und wahrten deutlichen Abstand zum neuen Kurs. Insofern verblüfft das dystopische Zukunftsbild.
Der sowjetische Science-Fiction-Autor Sewer Gansowski (1919 - 1990) zählte in der DDR, in Polen und der Tschechoslowakei zu den festen Größen des Genres, was sich in zahlreichen Übersetzungen zeigt. Horst Seemann und die DEFA-Gruppe Roter Kreis nutzen die Möglichkeiten, indem sie die Hauptrollen prominent mit Stars wie der Polin Grazyna Szapolowska und der Tschechin Dagmar Patrasová (Xenia in Die Märchenbraut, Emilia Fernandez in Die Besucher) besetzten.
Gansowskis Zeitreisegeschichte wandelt sich immer stärker zum Biopic eines Künstlers, wodurch die Hauptfigur eine eigensinnige Entscheidung trifft.

Im 22. Jahrhundert leben die Menschen in einer künstlichen Welt aus Glas und Plastik. Viele Entscheidungen treffen umständlich programmierte Computer, bezahlt wird in kostbaren Energieeinheiten.
Der größte Fluch ist jedoch die Staubkrankheit, durch die eine Depression der gesamten Menschheit droht. Die junge Marie Grafenstein forscht an einem Gegenmittel und scheint auf dem richtigen Weg sein; allerdings fehlen ihr die Mittel. Deswegen wendet sie sich an Andreas Bergk, einen alten Bekannten, der die Energieeinheiten verwaltet. Der verspricht ihr, etwas zu deichseln.
Dabei erwähnt er, daß das Regionalmuseum zwei Millionen Energieeinheiten für das Gemälde "Die Kartoffelesser | De Aardappeleters" (1885) ausgebeben hat. Zeitreisen sind zwar technisch möglich, sind aber verboten.
Dennoch planen Bergk und Grafenstein eine Zeitreise, um Theo van Goghs Witwe Johanna van Gogh[-Bonger] (1862 - 1925) ebendieses Gemälde aus dem Nachlaß abzukaufen. Zu ihrem Erstaunen weigert sich die Witwe des Künsthändlers standhaft, denn ihrer Meinung nach gehören van Goghs Werke der Menschheit.
Also führt die zweite Zeitreise weiter zurück, denn Marie Grafenstein nimmt sich vor, Vincent van Gogh (1853 - 1890) das Gemälde abzukaufen, bevor die Farbe getrocknet ist. Mit dem Wert des merkwürdigen Papiers namens Geld hat die Amerikanerin Marie Miller, wie Marie Grafenstein sich nennt, so ihre Schwierigkeiten, zumal sie nur 1000-Gulden-Scheine dabei hat.
Van Gogh weigert sich beharrlich, mehr als 125 Gulden zu nehmen, mit denen er seine Unkosten decken kann. Wie von ihm erwartet, hat Marie Miller Schwierigkeiten, den großen Schein zu wechseln. Irgendwie gelingt es Marie, in den Besitz des Gemäldes zu gelangen.


In einer Szene beklagt sich Vincent van Gogh über den Kunstmarkt: Dort werden für Werke toter Maler Millionen gezahlt, während die lebenden Künstler am Hungertuch nagen.
Ansonsten bleibt das notorische Zeitparadox ziemlich schwach, sobald es um den Kunstmarkt geht: Wenn van Gogh schon zu Lebzeiten eine treue, freigiebige Sammlerin gehabt hätte, wäre das nicht unbemerkt geblieben. Denn Marie Miller nimmt eine ähnliche Stellung ein wie später Peggy Guggenheim. Das da so überhaupt nichts passiert, ist enttäuschend.

Servalan 18.04.2018 13:58

Am Abend aller Tage (Deutschland 2017, Leitwolf TV- und Filmproduktion, MementoFilm und Palatin Media), Drehbuch: Markus Busch sehr frei nach der Novelle The Aspern Papers | Asperns Nachlaß | Die Aspern-Schriften (1888) von Henry James, Regie: Dominik Graf, 89 min

Henry James' Novelle dreht sich um den Nachlaß eines zeitgenössischen Schriftstellers, der in Venedig residiert hat. Wie im klassischen Thriller veranstalten mehrere Parteien aus eigenem Antrieb ein Katz-und-Maus-Spiel, während Busch und Graf den Stoff lediglich als Grundierung für einen intelligenten Film über Kunst verwenden, der durch weitere Motive immer wieder übermalt wird.
Auf Festivals und von der Kritik heimste Am Abend aller Tage Lob ein, obwohl der Film bewußt gegen die klassischen Regeln des Thrillers verstößt (denn Philipp Keyser muß zum Jagen getragen werden), sich zeitweise im Liebesdrama verliert, und die Kunst irgendwo zwischen dem Gärtnern und einer Großwäscherei oszillieren läßt. Wer auf die handelsübliche Spannung wartet, wird enttäuscht werden.
Busch und Graf nutzen den MacGuffin vielmehr für ein Vexierbild, das wie ein Palimpsest aufgebaut ist, das immer wieder aufs Neue überschrieben wird.
Ihnen gelingt dabei das Kunststück, sämtliche Figuren sympathisch zu zeichnen, mehr sonderliche Querköpfe als abgefeimte und durchtriebene Verbrecher, den Sammler Magnus Dutt eingeschlossen - obwohl der auf Cornelius Gurlitt basiert.
Der Film geht keine Kompromisse ein und biedert sich beim Publikum nicht an. Dominik Graf kennt die Grenzen des Mediums, das er hier auslotet, wodurch sich Form und Inhalt zu einer Einheit verbinden. Am Abend aller Tage gehört nur sich selbst - wie die Kunstwerke, von denen Magnus Dutt spricht.

Der junge Rechtsanwalt Philipp Keyser ist ein Hallodri, der schon mal Frauenherzen bricht, obwohl sie ihm nichts bedeuten. Außerdem hat er einen Vertrauensbruch begangen, so daß er für seine Kanzlei in Frankfurt am Main eigentlich untragbar geworden ist.
Sein Chef bietet ihm die berühmte letzte Chance: Für eine Runde anonymer älterer Damen und Herren soll er das Bild "Die Berufung der Salomé" des (fiktiven) deutschen Expressionisten Ludwig Glaeden suchen.
Bei dem Bild handelt es sich um ein Phantom, das als verschollen gilt. Den einzigen Hinweis auf die Existenz liefert ein Staubabdruck auf einem alten Wohnzimmerfoto; ein Katalog begnügt sich mit einem leeren Platzhalter.
Bei dem Briefing wird von Gerechtigkeit gemunkelt, die im Vagen verbleibt. Das Bild soll sich im Besitz des Kunstsammlers Magnus Dutt in München befinden, doch der meidet die Öffentlichkeit. Keyser soll nun so rasch und so günstig möglich, das Bild finden und es Dutt abkaufen. Daß Keyser nur fünf Semester Kunstgeschichte ohne Abschluß studiert hat, steigert seine Reputation kaum.
Auf direktem Weg beißt er jedoch auf Granit, denn die Villa bleibt ihm nicht nur verschlossen, als Fremder wird er mißtrauisch beäugt. Deswegen gibt er sich als Journalist und Doktorand aus, der über Glaeden promoviert. Auf diese Weise erfährt er von Dutts Großnichte, der scheuen Alma Kufferer, die zwar schon mal in Augsburg ausgestellt hat, deren Werke aber unverkäuflich sind, weil sie schnell zerfallen.
Dabei erfährt er, daß sich Alma Kufferer in einer Großwäscherei ihren Lebensunterhalt verdient. Doch die spröde Alma weicht ihm beharrlich aus. Kurzerhand verführt Philipp ihre Kollegin und Freundin Sabine. Zunächst eher widerwillig einigen sich Philipp und Alma darauf, daß Philipp den verwahrlosten Garten der Villa wieder in Schuß bringt.

Servalan 18.04.2018 20:11

Mordkommission Istanbul (Folge 20) "Tödliche Gier" (Deutschland 2018, Regina Ziegler-Filmproduktion für ARD Das Erste), Drehbuch: Horst Freund, Regie: Marc Brummundl, 88 min

Aus Sicherheitsgründen verlegte die Produktionsfirma wegen mehrerer Terroranschläge in der Türkei die Serie nach Folge 18 von den Originalschauplätzen nach Thailand. Was wie eine banale Entscheidung klingt, hat Konsequenzen, die die gesamte Atmosphäre der Serie verändert haben. Während das Publikum in den früheren Folgen eine Türkei wiedererkennen konnten, die sie zum Beispiel aus ihrem Urlaub oder aus Vorträgen kennen, muß die Türkei in Südostasien erst bewußt inszeniert werden. Ab Folge 19 zeigt die Serie deshalb Istanbul als hochmoderne Megalopolis, die als Weltstadt zu den Schrittmachern der Zukunft gehört.
Naheliegenderweise kreist die neueste Episode um einen skrupellosen Baumagnaten, der seine Hände im wörtlichen Sinne über der Stadt hat und als Wirtschaftstycoon von mächtigen Freunden in der Verwaltung geschützt wird, obwohl Kommissar Mehmet Özakın noch eine Rechnung mit ihm offen hat.

Dursun Kara stammt aus kleinsten Verhältnissen und ist stolz, es ohne Abitur oder Universitätsabschluß ganz an die Spitze der Baubranche gebracht zu haben. Leute mit geringem Einkommen reißen sich um seine kleinen Wohnungen in riesigen Siedlungen, weil sie den Ruf haben, Erdbeben schadlos zu überstehen. Er führt sein Unternehmen Durka mit harter Hand, so daß ihn sogar seine beiden wichtigsten Manager, Mahmoud Erbil und Tufan Ünsal, fürchten.
Zu Recht: Als Kara am Beginn seiner Karriere stand, erschlug er einen Geldeintreiber. Damals ermittelte Kommissar Özakın, der ihn wegen Mordes hinter Gittern gesehen hätte, aber der Richter verhandelte den Fall als Notwehr, so daß Kara freigelassen werden mußte.
Weil Karas Geschäftsführer Mahmoud Erbil ohne dessen Wissen mit Firmengeldern spekulierte, gerät er ins Visier seines Bosses, der Rechenschaft von ihm verlangt. Mit einer weiteren Spekulation in der Nacht will Erbil seine Unterschlagung wettmachen, doch sein Plan scheitert - und er besäuft sich in seinem Büro. Mitten in der Nacht wankt er zu seinem Auto auf dem Parkplatz, in dem er zusammenbricht. Fast im selben Moment läßt ein Molotow-Cocktail sein Fahrzeug in Flammen aufgehen.

Zu den Verdächtigen zählt sein Sohn Bursan, der mit einigen Freunden vor einer geraumen Weile ein verlassenes Baugelände besetzt hat, das im Besitz der Durka ist, und dort in einer Künstlerkommune lebt. Sein Vater Mahmoud hatte ihm versprochen, dort werde nicht gebaut. Aber Dursan Kara kann den Hals nicht voll genug bekommen, hat seine Pläne kurzfristig geändert und wird das besetzte Gelände bald mit Polizeigewalt räumen lassen.
Bursan Erbills Atelier zeigt, daß er anatomisches Zeichnen beherrscht. Zu den Modellen des attraktiven Mannes gehört auch seine junge Stiefmutter Hamida Erbil, die ihm einige Aktzeichnungen gestattet hat.

Servalan 22.04.2018 15:57

Meshes of the Afternoon (USA 1943), Drehbuch, Produktion, Schnitt: Maya Deren, Kamera: Alexander Hammid, Regie: Maya Deren und Alexander Hammid, 14 min, schwarzweiß (ursprünglich stumm)

Kunst aus den Vereinigten Staaten von Amerika wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts häufig milde belächelt, denn bis zum Zweiten Weltkrieg schlug das Herz der Kunstwelt in Paris. Spätestens in den 1950ern gelang es der Ostküste, insbesondere dem Big Apple, der Hauptstadt der Liebe den Rang abzulaufen.
Zu den Vorboten der Avantgarde jenseits des großen Teichs zählt dieser No-Budget-Film, den das Ehepaar Maya Deren und Alexander Hammid für 275 $ mit einer 16mm-Bolex-Kamera größtenteils in ihrer eigenen Wohnung an der Kings Road in Los Angeles seibst produzierte.
1990 nahm ihn die Library of Congress in ihre National Film Registry auf, die erhaltenswerte Produktionen der US-Filmgeschichte bewahrt und restauriert. Bei der zweiten Abstimmung wurde der Experimentalfilm als "kulturell, historisch und ästhetisch bedeutend" aufgenommen. 2015 ließ die BBC über die besten Filme aus den USA abstimmen; Meshes of the Afternoon kam auf Platz 40.

Die Tänzerin und Choreographin Maya Deren (1917 - 1961) muß eine faszinierende Frau gewesen sein, die wie Mae West und Ayn Rand von wesentlich jüngeren Männern angehimmelt und umschwärmt wurde. Die in der Ukraine geborene Tochter eines Psychiaters, der ihnen die Bolex geliehen hatte, strich damals die Reputation fast für sich alleine ein. Mittlerweile wird der Anteil Alexander Hammids deutlich höher bewertet.

Eine Inhaltsangabe wäre schon eine Interpretation, denn die Schlingen des Nachmittags (so eine wörtliche Übersetzung des Titel) kreisen um den psychischen Ausnahmezustand einer namenlosen Frau. Ähnlich wie in David Lynchs Lost Highway (USA 1997) und Mulholland Drive | Mulholland Drive – Straße der Finsternis (USA 2001) vollzieht sich das Erzählen in Loops, und auf der Bildfläche erscheinen Doppelgänger und Alter Egos.
Hier wie dort ergibt sich die Frage: Was ist eigentlich real?

Die menschenleere Stadtlandschaft im spanischen Stil, seltsam von der Sonne durchflutet (wie in Alfred Hitchcocks Vertigo, USA 1958), trägt zur albtraumhaften Atmospäre bei.

Servalan 22.04.2018 16:38

Hubert und Staller Staffel 5 Episode 14 (Folge 80) "Ein Tattoo für die Ewigkeit" (Deutschland 2016, Tele München Gruppe TMG und Entertainment Factory EF für ARD-Werbung des Bayerischen Rundfunks), Drehbuch: Antje Bähr, Regie: Sebastian Sorger, 48 min

Fast wäre in Wolfratshausen der perfekte Mord gelungen.
Denn als Hubert und Staller auf einem Parkplatz einen Autoaufbruch aufnehmen, entdecken sie einen leider unbrauchbaren Zeugen. Pathologin Anja Licht fällt bei der Obduktion der ungewöhnlich niedrige Blutzuckerspiegel auf, obwohl nichts darauf hinweist, daß der Tote Leon Weißenbacher Diabetiker gewesen ist.
Seine einzige frische Wunde ist ein großes Eulen-Tattoo auf seiner Brust, weshalb mit Insulin präparierte Tätowiernadeln das Mordinstrument gewesen sein müssen. Anja Licht erklärt den Polizisten, Insulin baue sich innerhalb von vier Stunden im Körper ab. Die beiden hätten die Leiche gerade noch rechtzeitig gefunden.
Die Hürde des Falles liegt darin, den Mörder zu überführen und ein Geständnis zu bekommen. Staller ermittelt undercover, indem er sich als Motorradfahrer verkleidet und das Art Session-Tattoo-Studio aufsucht, in dem der Tote Stammgast war.
Betrieben wird es gemeinsam von dem Ehepaar Sophia und Georg Beyer. Nach einem lockeren Gespräch mit Sophia, die eine Zigarettenpause einlegt, injiziert sich Staller mit der Tätowiernadel in seinen Arm, als er alleine ist.


Die Verdächtige Maria Beyer wird von Victoria Sordo gespielt, die in Am Abend aller Tage (siehe Post #89) die Malerin Alma Kufferer verkörpert.

Servalan 26.04.2018 14:08

Fantasia (USA 1940, Walt Disney Pictures), Drehbuch: Lee Blair und Elmer Plummer, Regie: James Algar und Samuel Armstrong, 124 min, FSK: 6

Nobody expects the Spanish Inquisition Walt Disney.
Sowohl Walt Disney als auch der Disney-Konzern haben ein zwiespältiges Image: Einerseits gab es besonders bei den Fernsehsendungen den Vorwurf, das wäre eine überzuckerte heile Welt für Kinder; andererseits werden mittlerweile die künstlerischen Beiträge zum Beispiel von Carl Barks anerkannt. Medial ist Disney heute ein Global Player, der inzwischen sogar Marvel, Pixar und Lucasfilm geschluckt hat, aber das Unternehmen hat auch Filmgeschichte geschrieben.
Dafür sprechen insgesamt 22 Oscars und 99 Nominierungen für den Academy Award.

Zeichnerisch waren etliche seiner Angestellten ihrem Boss überlegen, und die Anfänge versprachen keineswegs eine rosige Zukunft. Bevor ihm der große Durchbruch gelang, machte Disney dreimal pleite - zuletzt verlor er sogar die Rechte an seiner eigenen Figur, an Oswald dem Hasen.
Wer in Deutschland einmal Konkurs gemacht hat, über den wird der Stab gebrochen, und wem es dennoch später gelingt, der wird sich eher vorsichtig verhalten. Disney hingegen wußte, was er wollte und scheute keine Risiken: Cartoons liefen im Vorprogramm der Kinos, dennoch verfolgte er hartnäckig seinen Plan, einen abendfüllenden Zeichentrickfilm in die Lichtspielhäuser zu bringen. Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937) lockte zuerst das Publikum in Scharen ins Kinos, dann wurde er für einen Oscar nominiert.
Sein Verdienst als Pionier besteht zum einen darin, eigene Entwicklungen immer wieder ständig verbessert und so den Maßstab gesetzt zu haben. Zum anderen band er die neuesten technischen Möglichkeiten (wie Ton und Farbe) so in seine Filme ein, daß sie zum Markenzeichen werden konnten. Was wir heute Mickey-Mousing nennen, stammt zum Beispiel als akustische Pointierung aus den Slapstickfilmen, die jedoch unser Verständnis von Cartoons geprägt haben.

Unter den Cartoon-Studios herrschte eine starke Konkurrenz, deshalb prägten Reihen mit einprägsamen Figuren das Genre. Eine größere Bandbreite boten Reihen unter einem gemeinsamen, wiedererkennbaren Prinzip: Sie funktionierten nach dem gleichen Muster. Neben der Walt Disney Company (Silly Symphonies) nutzten die Studios von Warner Brothers (Merrie Melodies und Looney Tunes) und MGM (Happy Harmonies) bekannte Songs als Vorlagen für Cartoons mit Musik statt Dialog.
Angeregt unter anderem von Werner Ruttmanns Berlin – Die Sinfonie der Großstadt (siehe Post #69) plante Disney einen abendfüllenden Konzertfilm, aus dem sich dann Fantasia entwickelte. Jahrzehnte vor MTV und VIVA entstand so ein Vorläufer der Musikvideos und experimenteller Musikfilme wie Yellow Submarine (1968) und Aria (Großbritannien 1987, Regie: Nicholas Roeg, Charles Sturridge, Jean-Luc Godard, Julien Temple, Bruce Beresford, Robert Altman und Franc Roddam).
Trotz des Musikclipbooms mit diesen Kanälen kam die Fortsetzung Fantasia 2000 (USA 1999, nur 75 min!) erst im Dezember 1999 in die Kinos.

Disney verbindet in Fantasia Realfilm und Animationsfilm zu einem Konzertfilm, den der Dirigent Leopold Stokowski vor seinem Orchester im Schattenriß als einzig erkennbare Person zwischen den einzelnen Episoden verbindet.
Im Gegensatz zu den Cartoonserien im Vorprogramm nutzt Disney das Anthologieformat, in dem sich die Vielfalt der Kompositionen in den visuellen Konzepten als bewußter Bruch spiegelt.
Disneys Maskottchen und Logo Micky Maus bekommt seinen Starauftritt in einer Verfilmung von Johann Wolfgang von Goethes Gedicht "Der Zauberlehrling" (1797, erstmals 1827 veröffentlicht) nach Paul Dukas (1897). Der Stilwechsel kann sich jedoch auch ins andere Extrem bewegen und wandelt sich dann zum abstrakten Film eines Ruttmann oder Oskar Fischinger, womit er auf der Höhe der Bildenden Kunst seiner Zeit gewesen ist.

Wer Disney überhaupt nicht ausstehen kann, sollte sich in diesem Fall überwinden.

Servalan 05.05.2018 15:15

Kommissar LaBréa [3 Folgen] (Deutschland 2009-2010, teamWorX der Universum Film AG - UFA für ARD), Drehbuch: Alexandra von Grote, Jürgen Büscher und Thomas Stiller nach der gleichnamigen Reihe von Kriminalromanen (Knaur 2005-2011, 6 Bände) von Alexandra von Grote, Regie: Sigi Rothemund und Dennis Satin, je 87 min

Die Lusche erwähne ich diesmal zuerst.
Quentin Tarantino bezeichnet solche Langweiler aus Europa sicher als Eurotrash. Die Krimiserie fällt weit hinter die Néopolars von Izzo, Vautrin, Manchette und Daeninckx zurück; ein Léo Malet hätte sich für so etwas Brav-biederes geschämt.
Aber Autorin Alexandra von Grote ist in den Medien und der Kulturpolitik gut vernetzt. In ihrer Serie um den Kommissar Maurice LaBréa verknüpft sie den feministischen Aufbruch weiblicher Rollen mit einem netten Auslandskrimi vom Reißbrett.
Daß der nicht im geringsten funktioniert, liegt auch an den klassischen Fehlern der deutschen Standardverfilmung. Obwohl Paris zu den teuersten Pflastern der Welt zählt, wohnt der alleinerziehende Vater in einem zentralen Arrondissement in einer unglaublich riesigen Wohnung, die sich ein einfacher Beamter sicher überhaupt nicht leisten kann. Der Grund für dieses Ärgernis liegt einzig und allein darin, dem Kameramann seine Arbeit zu erleichtern.

Kommissar Maurice LaBréas Frau wurde in der Nähe seiner Wohnung in Marseille von einem Unbekannten ermordet. Um den Schmerz leichter zu verarbeiten, läßt er sich an den Quai des Orfèvres in Paris versetzen. Mit seiner Tochter Jennifer bezieht er eine Wohnung im Hinterhof eines Mietshauses.
Zu seinen Nachbarn gehört die Malerin Céline Charpentier, die neben dem Durchgang zur Straße wohnt. Ihr weiträumiges Atelier dient ihr zugleich als Galerie, auf das eine Flagge mit dem Namen "Céline" vor ihrer Haustür hinweist.
Sie weist in den ersten Minuten der ersten Folge "Tod an der Bastille" explizit darauf hin, wie sie die üblichen Künstlerklischees bricht. Die nüchterne Frau steht früh auf, um zu arbeiten. Sie ist das schwarze Schaf einer Winzerdynastie aus (natürlich) Burgund und hat mit ihren fünf Brüdern gern Fußball gespielt. Allerdings stand sie dabei meist im Tor.
Sie verfolgt ein eigenes ästhetisches Konzept, das Laien schin mal irritieren kann. "Das soll so sein", sagt sie, als sich der Witwer und seine Tochter über ihre Bilder wundern, sie zwar nicht realistisch sind, aber figürlich bleiben.

Servalan 05.05.2018 15:39

Die Rosenheim-Cops Staffel 13 Episode 19 (Folge 285) "Mord nach allen Regeln der Kunst" (Deutschland 2014, Bavaria Film GmbH für ZDF), Drehbuch: Paul J. Milbers, Michael Pohl und Nikolaus Schmidt, Regie: Günter Krää, 43 min

Die Regionalkrimiserie hat zurecht ihre Fans, obwohl die Folgen im hohen Takt produziert werden und die Optik ziemlich nah an Soaps ist. Mit ihren inzwischen 404 Folgen und drei Specials in 17 Staffeln seit 2002 wird sie demnächst die Kultserie Großstadtrevier überrunden, die für ihre 420 Folgen jedoch fast doppelt solange gebraucht hat, nämlich 31 Staffeln seit 1986.
Der Krimiplot der Folge ist gut durchdacht und sorgfältig recherchiert, weswegen der Realismus glaubwürdig bleibt. Aufgrund der anspruchsvollen Drehbedingungen gibt es mehrfach Neubesetzungen der Hauprollen. In diesem Fall ermitteln Kriminalhauptkommissar Dirk Bergmann, usprünglich aus Düsseldorf, und Kriminalhauptkommissar Anton Stadler aus Passau.

Die Künstlerkolonie Am Finkenweg beherbergt zehn Künstler, von denen einer eines Morgens erschlagen in seinem Atelier aufgefunden wird. Auf ihrem Weg zum Tatort müssen Bergmann und Stadler am alten Wagen des 55jährigen Jügen Dahl vorbei, dessen Windschutzscheibe mit einer Aphrodite-Statue eingeschlagen wurde. Kriminaltechniker Dr. Eckstein nimmt am Tatort Proben von Farbpartikeln, die er zu einer Analyse der Palette von Dahls letzten Werken nutzt.
Gefunden wurde die Leiche des Künstlers von seinem Agenten Egon Schwarz, der seit zehn Jahren für Dahl arbeitet und im letzten Jahr bloß vier Bilder verkauft hat. Dahl sei praktisch pleite gewesen. Schwarz erwähnt Dahls Fehde mit dessen Nachbar in der Kolonie, dem Bildhauer Xaver Steglmann.
Routinemäßig suchen die Kommissare Katrin Dahl, seine Witwe, und den Bauunternehmer Martin Höfner auf, Besitzer der Immobilie. Seine Witwe sagt, Jürgen Dahl habe sich auf seinen Ausstellungen gelangweilt und wäre von Preisverleihungen nur genervt gewesen. Höfner kann zuerst mit dem Namen Dahl nichts anfangen, sagt aber dann, er habe Dahl einen Auftrag erteilt, eine Fassade zu gestalten.
Was jedoch so überhaupt nicht ins Bild paßt, ist der Umstand, daß sich Dahl kurz vor seinem Tod einen Luxuswagen im Wert von 150.000 Euro zugelegt hat. 50.000 Euro habe er bar angezahlt.


Servalan 20.05.2018 16:21

Rashomon – Das Lustwäldchen | 羅生門 (Japan 1950, Daiei Film Co. Ltd.), Drehbuch: Shinobu Hashimoto | 橋本 忍 und Akira Kurosawa | 黒澤 明 nach den Kurzgeschichten "Rashomon | 羅生門" (1915) und "Im Dickicht | 薮の中" (1922) von Ryūnosuke Akutagawa | 芥川 龍之介, Regie: Akira Kurosawa | 黒澤 明, 88 min schwarzweiß, FSK: 16

Der kommerzielle Film nutzt für gewöhnlich bestimmte Konventionen, damit das allgemeine Publikum weiß, was es im Kino zu erwarten hat. Diese Konventionen hängen davon ab, was in einer bestimmten Region und zu einem bestimmten Zeitpunkt schon beim Publikum als bekannt vorausgesetzt werden kann. Diese Konventionen ändern sich deswegen eher schleichend und wirken eher unbewußt. Sie fallen erst ins Auge, wenn Werke im Rückblick als veraltet, überholt oder langweilig erscheinen.
Allerdings sollte ein Werk ein Quentchen Überraschungen bieten, um sein Publikum zu locken. In der Filmgeschichte gibt es deshalb immer wieder Werke, in denen sich das experimentelle Kino oder die künstlerische Avantgarde mit dem kommerziellen Kino für das breite Publikum überschneiden.

Innerhalb der Kunst entwickeln sich die einzelnen Bereiche wie Literatur, Bildende Kunst oder Film jeweils eigenständig, so daß sie ihre eigene Geschichte, Ästhetik und Theorie haben. Was sich in einem Bereich etabliert hat, kann deshalb zum Beispiel 50 Jahre später in einem anderen Bereich als revolutionäre Neuerung gefeiert werden.
Gebrochen wird diese Entwicklung durch Sprachbarrieren und die jeweiligen Industrien oder Branchen in verschiedenen Ländern. Obwohl Rashomon seit seiner Erstausstrahlug unter den filmischen Meisterwerken rangiert, haben sich die Kriterien im Laufe der Jahrzehnte gewandelt.
Denn Rashomon zeichnet sich durch zwei Ereignisse aus, die per se nichts miteinander zu tun haben: Zum einen prägte er als einer der ersten Filme aus Japan über Japan westliche Vorstellungen über das exotische Land in Fernost. Akira Kurosawa galt für westliche Kinokritiker als Vertreter eines sehr japanischen Kinos, obwohl Kurosawa in seinem Heimatland eher als Vertreter eines europäisch-amerikanischen Kinos wahrgenommen wird, der im Ausland höher geschätzt wurde als in Japan (ähnlich wie Jiro Taniguchi im Comicbereich).

In Rashomon verdoppelt und verdreifacht sich dieser Effekt. Filmhistoriker Donald Richie schreibt in seiner japanischen Filmgeschichte, daß die Besatzer aus den USA anfangs Samuraifilme verboten haben, weil sie als reaktionär galten. Kurosawas Verflmung zweier Kurzgeschichten des japanischen Edgar Allan Poe Ryūnosuke Akutagawa (1882 - 1927) basiert auf einer alten japanischen Legende. Der produktive Akutagawa nutzte als einer der ersten japanischen Literaten europäische Erzählformen. Der exotische Blickwinkel hat zunächst die Wirkung im Westen bestimmt, mittlerweile ist er belanglos geworden.

Diese Entwicklung zeigt sich zum Beispiel darin, wenn heute vom Rashomon-Effekt (Philosophie, Komunikationswissenschaften und Ethnographie) oder vom Rashomon-Prinzip (Journalistik) die Rede ist. Der Rashomon-Effekt beschäftigt sich mit dem Umstand, daß Zeugenaussagen leider unzuverlässig sind. Auf einer weiteren Ebene stellt sich die Frage, wie objektiv eine allgemein gültige Realität sein kann.
Im westlichen Kino galt lange die Konvention, daß Filmfiguren zwar lügen können, bis sich die Balken brechen, die Kamera aber nur das zeigt, was wirklich passiert ist. Unzuverlässiges Erzählen gehört in der Literatur hingegen zum Standardrepertoire, dessen Formenrepertoire von den Schelmenromanen eines Grimmelshausen oder Cervantes de Saavedra bis zu Virginia Woolf und James Joyce reicht.

Rashomon heißt im alten Edo eines der Stadttore, in dessen unmittelbarer Nähe ein Verbrechen geschehen ist: Die Frau eines Holzfällers wurde vor drei Tagen in einem Wäldchen vor besagtem Stadttor verwaltigt und ermordet.
Während eines Sturmes erfährt ein Passant davon und bekommt acht verschiedene Versionen des Verbrechens zu hören, die allesamt als Rückblenden gezeigt werden. Wie er wird das Publikum jedoch nie erfahren, welche Version der Wirklichkeit am nächsten kommt.

2003 nahm die Bundeszentrale für politische Bildung den Film ihren Kanon auf, der heute beispielsweise an Schulen gelehrt wird. In internationalen Bestenlisten rangiert das Werk häufig unter den Top 10 bis Top 50.
Hinzu kommen seither weltweit bisher drei Remakes: Martin Ritt verfilmte den Stoff 1964 in dem Western The Outrage | Carrasco, der Schänder; 2004 erschien der südindische Actionfilm Virumaandi (Regie: Kamal Haasan) auf Tamilisch; zuletzt debütierte Rakshit Shetty mit dem Neo-Noir-Krimi Ulidavaru Kandante | As Seen by the Rest (Indien 2014), in dem die dravidische Sprache Kannada [sic!] gesprochen wird.
Außerdem sollte in diesem Zusammenhang der Politthriller 8 Blickwinkel | Vantage Point (USA 2008, Regie: Pete Travis, 90 min, FSK: 12) erwähnt werden. Er basiert ebenfalls auf dem Rashomon-Effekt, obwohl er nicht zu den Remakes gezahlt werden darf.

Servalan 21.05.2018 17:29

Rope | Cocktail für eine Leiche (USA 1948, Transatlantic Pictures für Warner Bros. Pictures und Metro-Goldwyn-Mayer), Drehbuch: Arthur Laurents, Hume Cronyn und Ben Hecht nach dem Bühnenstück Rope | Party für eine Leiche (1929) von Patrick Hamilton, Regie: Alfred Hitchcock, 80 min: FSK: 12 (früher 16)

Die ersten Filme der Brüder Auguste und Louis Lumière 1895 bestanden aus einer Einstellung und dauerten nur wenige Sekunden. Von den gebildeten Ständen wurden die laufenden Bilder als billige Jahrmarktsunterhaltung belächelt. Viele dachten, diese Mode werde in wenigen Monaten ihren Reiz verlieren und dann in der Versenkung verschwinden.
Doch um die Jahrhundertwende entwickelte sich das Medium: Der bunt gemischte Kessel Buntes wich kurzen Geschichten, die sogar 10 oder 20 Minuten (eine Filmrolle | reel) dauern konnten. Bald kamen Serien dazu. Sehgewohnheiten wurden geprägt, und die einzelnen Gewerke entwickeln sich zur Handwerkskunst.
Die Produzenten wollten unbedingt die Kosten unter Kontrolle halten. Daß sich ein kostenträchtiges Starsystem entwickelte, gefiel den Studiobossen überhaupt nicht. Bewährtes wurde Experimenten vorgezogen.

Der britische Regisseur Alfred Hitchcock (1899 - 1980) wurde geschätzt und umworben, weil er professionell arbeitete und Publikum zog. Die Filmkritik sah auf den Studioregisseur herab, erst die Wegbereiter der französischen Filmkritik (Truffaut, Bazin, Godard) würdigten ihn als künstlerischen Autor mit einer eigenen, erkennbaren Handschrift (auteur). Hitchcock wurde zwar mehrfach als bester Regisseur für den Oscar nominiert, erhielt jedoch lediglich 1968 den Oscar für sein Lebenswerk.
Hitchcock war ein schwieriger Mensch, der wußte, was er wollte, und daran hatten die Studiobosse zu knabbern. Aber bis heute ist der Anteil an filmischen Meisterwerken an seinem Gesamtwerk außergewöhnlich hoch.
Wiederholt hat Hitchcock das Genrekino genutzt, um die Grenzen des Mediums auszutesten und neueste technische Mittel eingesetzt: zum Beispiel 3D in Dial M for Murder | Bei Anruf Mord (1954), das Trautonium und elektronische Spezialeffekte in The Birds | Die Vögel (1963) oder den Wechsel der Hauptfiguren und des Genres in Psycho (1960) - vom Krimiplot um Madeleine Crane zum Horror mit Norman Bates.

Besonders lange Einstellungen, Plansequenzen, stellten hohe Anforderungen an die Schauspieler und die Crew hinter der Kamera. Eine Montage aus kurzen Szenen mit sichtbaren oder unsichtbaren Schnitten wurden deshalb vorgezogen.
Immer wieder wird auf die Darsteller hingewiesen, die viel Text auswendig lernen müssen. Die Entwicklung der Filmtechnik setzt jedoch härtere Grenzen: Um Licht, Farbe und Ton kontrollieren zu können, verbaten sich Außenaufnahmen mit wechselnden Lichtverhältnissen und anderen Risiken. Der Spielfilm in einer Einstellung mußte deswegen ein Kammerspiel in einer Studiohalle werden.
Die Kameras der Studios faßten jedoch bestenfalls eine Rolle von 10 Minuten. Deswegen mußte der Stoff vorher in kleinere Einstellungen umgebrochen werden, die später mit sichtbaren und unsichtbaren Schnitten aneinander montiert wurden.
Dramaturgisch deckten sich Erzählzeit und erzählte Zeit: Das Publikum erlebt den Suspense in Echtzeit.

Ähnlich wie Psycho basiert auch Cocktail für eine Leiche auf einer wahren Begebenheit. Im Mai 1924 ermordeten die beiden Studenten Nathan Freudenthal Leopold Jr. (1904 – 1971) und Richard Albert Loeb (1905 – 1936) den 14 Jahre alten Bobby Francis in Chicago. Sie wollten das perfekte Verbrechen begehen und bildeten sich ein, sie kämen ungeschoren davon.
Der Stoff wurde mehrfach für verschiedene Medien bearbeitet. Hitchcock greift auf das Bühnenstück von Patrick Hamilton zurück, das den Schauplatz an die Harvard University in New York City verlegt. In ihrem Apartement strangulieren die beiden Studenten Brandon Shaw und Phillip Morgan ihren Kommilitonen David Kentley und verstecken seine Leiche in einer Truhe.
Die beiden Ästheten wollen als Nietzsche'anische Übermenschen ihre geistige Überlegenheit zelebrieren, weshalb sie die Eltern des Opfers und ihren ehemaligen Philosophieprofessor Rupert Cadell zu einer Dinnerparty einladen.

Seit dem Siegeszug des digitalen Kinos haben sich die Verhältnisse fast auf den Kopf gestellt. Die Filmrolle ist der Festplatte gewichen, deren Speicher ständig wächst. Bis 2000 finden sich nur wenige Nachfolger von Cocktail für eine Leiche.
Der Trend beginnt 2000 mit Mike Figgis' Echtzeit-Splitscreen-Spielfilm Timecode (93 min). Ihm folgte 2002 der Geburtatagsfilm zum 150jährigen Jubiläum des Museums Eremitage in Sankt Petersburg, Russian Ark (siehe oben Post #16, 96 min). Der chilenische Spielfilm Sábado, una película en tiempo real | Sábado – Das Hochzeitstape (Regie: Matías Bize, 65 min) schildert 2003 einen Hochzeitstag mit Hindernissen.
Des weiteren verweise ich auf die englischsprachige Wikipedia-Liste für Plansequenz-Filme, auf der sich weitere Beispiele finden.

Servalan 01.06.2018 12:55

Großstadtrevier Staffel 22 Episode 3 (Folge 259) "Der Straßenmusikant" (Studio Hamburg für Das Erste 2008), Drehbuch: Felix Huby und Birgit Maiwald, Regie: Guido Pieters, 48 min

Als eines Tages Dirk Matthies' einstige Deutschlehrerin, Frau Dr. Viola Risse, auf dem 14. Revier aufkreuzt, sind beide Seiten erstaunt. Die alte Dame hat den Briet kaum auf der Seite der Gesetzeshüter erwartet, geschweige denn als Revierleiter. Sie ist gekommen, weil ihr in irgendeinem Geschäft ein falscher 50-Euro-Schein untergejubelt worden sei, und nun erhofft sie sich Rat.
Im Büro von Dirk Matthies wird die Blüte untersucht: Sie wurde auf altmodische Weise mit Druckplatten sorgfältig hergestellt, allerdings sind dem Fälscher einige Fehler unterlaufen. Der Abstand zwischen Sizilien und der italienischen Stiefelspitze ist zu groß, außerdem sind Papier und Silberstreifen mangelhaft. Nachdem Dr. Risse das Revier verlassen hat, erfahren die Anwesenden von Dirk Matthies, daß morgen ein Faltblatt des LKA eintrifft, in dem vor Blüten gewarnt wird.
Dr. Risse lebt mit Herwarth Meider zusammen, Dirks altem Zeichenlehrer. Meider sitzt fleißig über den Druckplatten, korrigiert seine Fehler und druckt seine Blüten einzeln per Hand. Unterdessen folgen die Zivilfahnder Harry Möller und Henning Schulz der Spur der Blüten.

Der zweite Fall, die Titelstory, dreht sich ebenfalls darum, wie sich Berufliches und Persönliches vermischen. Die Innendienstlerin Nicole Becker (gespielt von der Violinistin Sophie Moser) trifft ihren alten Musiklehrer Sven Kornmüller wieder, der als Straßenmusikant vor der Musikschule musiziert, aus der er von seiner Ehefrau Dorothee hinausgeworfen wurde. Wegen ihrer gemeinsamen Tochter Nina eskaliert der Konflikt.

Servalan 07.06.2018 09:53

Holocaust - The Story of the Family Weiss | Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss 1 Staffel 4 Episoden (USA 1978, Robert Berger für NBC), Drehbuch. Gerald Green, Regie: Marvin J. Chomsky, 419 min, FSK: 12

Obwohl die Kritik die Serie für das historische Thema der Shoah zu trivial fand, schrieb die Miniserie Fernsehgeschichte und erreichte Einschaltqupten von bis zu 49 Prozent in den USA.
Regisseur Marvin J. Chomsky* hatte sich bei der Literaturverfilmung Roots nach Alex Haley bewährt, weshalb ihm nach Kunta Kinte das Schicksal der fiktiven jüdischen Arztfamilie Weiss anvertraut wurde.

Die Kontroverse ähnelte der Diskussion um Comics im allgemeinen und Art Spiegelmans Maus im Besonderen. Allerdings hat sich der Comic wesentlich besser gehalten.
Green und Chomsky bewältigen einen ungewöhnlich vielfältigen Stoff, gehen dabei jedoch ziemlich altmodisch vor. Jedes Familienmitglied wird auf diese Weise zum Stellvertreter für bestimmte Lebensläufe, im Gegenzug nehmen die Figuren an Schlüsselereignissen der Shoah teil. Im Rückblick wirkt das steif und didaktisch.

Die Serie beginnt (wie The Godfather | Der Pate) mit einer imposanten Hochzeitsfeier, wodurch etliche Figuren vorgestellt werden. Der älteste Sohn, Karl Weiss, ehelicht 1935 die Christin Inga Helms-Weiss, seine Muse, die er nach Rembrandts Ehefrau "meine Saskia" nennt.
1938 hat er sein Atelier in der Wohnung seiner Schwiegereltern und nennt sich selbst einen Gebrauchsgrafiker, der gern der neue Picasso sein will. Eines Tages wird er verhaftet und nach Buchenwald verschleppt. Dort näht er in der Schneiderei Aufnäher auf den Drillich. Nach einem Streit um ein Brot wird er zunächst am Marterpfahl aufgehängt und dann in den Steinbruch versetzt.
Seine Frau Inga möchte den Kontakt aufrechterhalten. Angewidert geht sie auf das Angebot des SS-Mannes Müller ein, ihm Briefe schreiben zu dürfen, wofür sie sich Müller als Gegenleistung hingeben muß. Müller rettet Karl vor dem Verrecken im Steinbruch und läßt ihn in die Kunstabteilung versetzen.
1942 wird Karl nach Theresienstadt verlegt, ein Potemkin'sches Dorf, mit dem internationale Besucher wie die Inspektoren des Roten Kreuzes eingelullt werden. Im Kunstatelier entstehen dort idyllische Propagandabilder, die Karl verabscheut. Seine Mithäftlinge Maria Karlova, Emil Frey aus Prag und der nierenkranke Pfälzer aus Karlsruhe dokumentieren die Greueltaten heimlich in Schwarzweißzeichnungen, die Frey ironisch als "KZ-Expressionismus" bezeichnet.


Die fiktive Figur Karl Weiss wurde nach dem deutschen Maler, Grafiker, Zeichner und Karikaturisten Leo Haas (1901 - 1983) gestaltet. Haas wurde rechtzeitig von amerikanischen Truppen befreit und überlebte so die Verfolgung.
In Theresienstadt dokumentierte er das Verbrechen, indem er sich der Gruppe der Maler von Theresienstadt um Bedřich Fritta aus Prag anschloß. Später gehörte er zum Fälscherkommando im KZ Sachsenhausen, wo er britische Briefmarken fälschte.
Nach dem Krieg lebte Haas in Ost-Berlin, wo er für die Tagezeitung Neues Deutschland, das Satiremagazin Eulenspiegel und andere Presseerzeugnisse tätig war. Zu seinem 70. Geburtstag entstand der DEFA-Dokumentarfilm Zeichner – Zeuge – Zeitgenosse (DDR 1971, Drehbuch und Regie: Jörg d‘Bomba, 13 min).

*Marvin J. Chomsky ist ein Cousin des Philosophen, Linguisten, Soziologen und politischen Aktivisten Noam Chomsky.

Servalan 07.06.2018 16:18

Hunter Staffel 5 Episode 22 (Folge 107) "Return of White Cloud | Der Fluch der Masken" (USA 1984, Stephen J. Cannell Productions für NBC), Serienidee: Frank Lupo, Drehbuch: Joe Menosky, Stepfanie Kramer und Erin Conroy, Regie: Stepfanie Kramer, 48 min

Die actionreiche Krimiserie hat bis heute eine breite Fanbasis, gilt ansonsten aber eher als leichte Unterhaltung. Zwischen 1984 und 1991 liefen 152 Folgen in 7 Staffeln über die Bildschirme. 1995, 2002 und 2003 entstanden 3 Fernsehfilme. Ebenfalls 2003 produzierten 20th Century Fox Television und NBC Studios eine neue Staffel, die aber nach 4 Episoden eingestellt wurde.
Das Team aus den LAPD-Deputy Sergeants Rick Hunter und Dee Dee McCall ergänzt sich in klassischen Stereotypen: Rick Hunter zieht gern seine Waffe. Ihn wurmt es, daß Dee Dee McCall unterstellt, beim Schießtraining sei einer seiner fünf Schüsse daneben gegangen, obwohl er durch eines der Löcher in der Schießscheibe zwei Kugel getroffen hat. Rick Hunter wirkt wie eine Steilvorlage für die Cyberpunk-Krimisatire Max Headroom.
Seine Partnerin im LAPD besucht in ihrer Freizeit einen Abendkurs für freie Kunst im Arts Center. Eines Tages explodiert ein Gasrohr, als die Studenten den Raum verlassen wollen. "No Good Deed Ever Goes Unpunished | Der Fluch der bösen Tat" Staffel 5 Episode 6 (Folge 91) spielt das Kunstthema jedoch nur an. Nachdem Hunter und McCall einen Industrieskandal aufgedeckt haben, liefert das Dankeschön ihrer Kunstlehrerin Emily Hill bloß das Kiss-off: Ein lasziver Frauenakt, auf dem sich McCall rekelt.

Dee Dee McCall wird von Stepfanie Kramer dargestellt, die bei dieser Episode, dem Finale der 5. Staffel, Regie geführt und am Drehbuch mitgeschrieben hat.
Im Gegensatz zu den röhrenden E-Gitarren dominieren in dieser Episode indigene Rhythmen mit Flöten und Trommeln den Soundtrack. Einen Schußwechsel gibt es bloß beim Showdown, ansonsten bleibt der Film eher ruhig. Für die damalige Zeit nimmt Hunter die American Natives vom fiktiven Stamm der Ashani [sic!] erstaunlich ernst. Die verhältnismäßig ausführliche Intro zeigt eine Zeremonie der Ashani in ihrem Reservat in ethnographischer Breite. Robert Whitecloud wird als zeitgenössischer Künstler indigenen Ursprung ernstgenommen, wodurch die Episode erstaunlich frisch wirkt.

Bei einer Stammeszeremonie muß der Medizinmann der Ashani enttäuscht feststellen, daß heilige Masken aus ihrer markierten Stätte gestohlen wurden.
Wenig später wird Janet Harris, die sich auf den Handel mit indigener Kunst spezialisiert hat, in frühen Morgenstunden in der Harris Gallery erschlagen aufgefunden.
Hunter und McCall hören sich in der Kunstszene um. McCall befragt Gina, eine Freundin und treue Kundin der Galeristin. Gina sagt, es gehe das Gerücht um, die Galeristin habe sich in einen ihrer indigenen Künstler verliebt. Beide hegen den Verdacht, ein Ashani könnte den Mord begangen haben, um sakrale Gegenstände zu stehlen (Ähnlich wie der Inka-Plot in den Tim und Struppi-Alben "Die sieben Kristallkugeln" und "Der Sonnentempel".)
Hunters erster Versuch, den verdächtigen Robert Whitecloud festzunehmen, mißlingt. Denn Whitecloud geht stiften. McCall fährt unterdessen ins Ashani-Reservat, wo sie zuerst die Ehefrau des Künstlers, Mary Whitecloud, verhört. Danach kontaktiert sie weitere Personen aus Janet Harris' Adressbuch.
Den Anthropologen Kenneth Myers trifft sie mitten im Reservat. Myers ärgert sich über geldgierige Schatzsucher, die wertvolle Artefakte der Ashani entwenden, obwohl diese unter Schutz stehen. Die gegenteilige Ansicht vertritt Jim Holloway, der den Souvenir- und Kunsthandelladen beim Reservat führt. Für Holloway sind die Werke der Ashani keine Kunst.
Auf seiner Jagd nach dem Flüchtigen stolpert Hunter in eine Gruppenausstellung zeitgenössischer Kunst, die wie eine Mischung aus Freakshow und Zirkus wirkt: Neben dem schwulen Künstlerpärchen Mark & Brian versucht ein kleinwüchsiger Kunstkenner deutlich größere Frauen mit immer demselben Spruch über Energie anzubaggern. Eine Etage höher liefert ein Elvis-Imitator vor Graffitti eine Performance ab. Noch eine Etage höher versumpft Robert Whitecloud im Suff, weswegen Hunter ihn aufs Revier mitnehmen kann.


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