Ich habe die Bertha-Benz-Biographie von Barbara Leisner konsultiert. Das Buch ist ganz normal lieferbar, kann man in jeder Buchhandlung bekommen. Die Darstellung der Fahrt dort ist mit mehreren Quellen unterfüttert, aus denen umfangreich und wortwörtlich zitiert wird:
*Memoiren von Carl Benz von 1925 ("Lebensfahrt eines deutschen Erfinders")
*Interview mit Bertha Benz 1933 zur Einweihung eines Carl-Benz-Denkmals
*Interview mit Bertha und Eugen Benz 1936
*Interview mit Bertha, Eugen und Richard Benz 1938 anläßlich des 50jährigen Jubiläums der Fahrt
*Interview mit Eugen Benz 1956
Bei allen Gelegenheiten heißt es unmißverständlich, daß die Fahrt eine Idee von Eugen und Richard war, und weil sie zurecht davon ausgingen, niemals Carls Erlaubnis zu bekommen, überredeten sie die Mutter, sie zu begleiten.
Am Steuer saß hauptsächlich der ältere Eugen, nur wenn es zu steil war und Eugen und Bertha schoben, steuerte der jüngere Richard. Bertha saß ausdrücklich während dieser Fahrt zu keiner Zeit am Steuer. So betont sie es auch selber: Sie habe sich lieber kutschieren lassen.
Die Reparaturen mit Hutnadel und Strumpfband werden von mehreren Beteiligten erwähnt, doch nie, wer sie ausführte. Man darf davon ausgehen, daß es Eugen war, da der sich mit dem Wagen sehr gut auskannte.
Auf den Absatz der Wagen hatte die Fahrt keine Auswirkungen. Erst Carls Rundfahrten durch München während einer dortigen Technikmesse im September/Oktober 1888 brachten den Durchbruch.
Echte zeitgenössische Quellen zur Fahrt (1888 oder kurz danach) gibt es nicht, die Überlieferung beginnt erst mit Carls Memoiren 1925 - also knapp 40 Jahre später. Keine Zeitungsberichte, keine Briefe, keine Tagebucheintragungen, keine Notizbücher, keine technischen Unterlagen. Das ist durchaus ungewöhnlich, weshalb die Historizität der Fahrt von berufener Seite bezweifelt wurde. Zumindest das Fehlen von Zeitungsnotizen aus Pforzheim läßt sich erklären: Es gibt schlicht keine erhaltenen Ausgaben der entscheidenden Pforzheimer Zeitung aus diesem Jahrgang. Insgesamt schließlich sprechen die übereinstimmenden Berichte der Beteiligten doch eher für eine tatsächliche Fahrt. Und ja, wenn Bertha nicht zugestimmt hätte, wäre sie unterblieben. Insofern war sie also von eminenter Bedeutung für dieses Abenteuer.
Die Pforzheimfahrt war nicht die erste längere Autofahrt. Schon zuvor hat Carl Benz, begleitet von verschiedenen Familienmitgliedern und Mitarbeitern, mit den frühesten Modellen seines Wagens in der Gegend von Mannheim eine ganze Reihe von Fahrten unternommen, teils über 20km lang, dazu mehrfach durch den Odenwald. Bei diesen Gelegenheiten haben auch schon die beiden Jungen am Steuer gesessen - und vereinzelt Bertha (wenn Carl bergauf schieben mußte). Sie hat also tatsächlich bereits am Steuer der allerersten Autos gesessen - aber eben nachweislich nicht bei der Pforzheimfahrt.
Die Darstellung der Fahrt und ihrer Folgen im Mosaik, sowohl in der Handlung als auch Mittelteil, ist also in ihren zentralen Punkten irrig - sprich in jenen Punkten, die überhaupt erst dazu führten, daß man diese Geschichte erzählt hat. Darüber hinaus ist die Darstellung Carls als Angsthase und Dödel, der nicht mal in der Innenstadt von Mannheim bei einer Apotheke etwas Waschbenzin besorgen kann, wenn ihm der Treibstoff ausgeht, sehr ... seltsam. Und die Behauptung im Mittelteil, Bertha habe ihre Söhne bei der Fahrt "auch mal" ans Steuer gelassen, ist schon recht ... gewagt. Leider hat man sich im MOSAIK auf die ständig voneinander abschreibenden Webseiten und Marketingbüros verlassen und ist daher einer Fälschung aufgesessen. Wer die zuerst in die Welt gesetzt hat, ist mir zumindest nicht bekannt.
Natürlich kann man sagen, daß das Ganze einfach eine schöne, erhebende Geschichte über eine moderne, emanzipierte Frau ist, aber wenn man das im MOSAIK schon so darstellen möchte, dann wäre zumindest eine vernünftige Recherche und eine deutliche Aufarbeitung des Themas im Mittelteil wünschenswert. Immerhin betont man ja immer gerne und durchaus berechtigt, daß man nicht nur Spaß und Unterhaltung, sondern auch Wissen vermitteln möchte. Wenn man stattdessen ein Märchen erzählt, sollte das entsprechend kenntlich gemacht werden.
Trotz allem bin ich dem MOSAIK natürlich immens dankbar, daß es mich immer wieder dazu anregt, mich mit derartigen Themen überhaupt zu befassen. Das ist wirklich einmalig.
PS: Kleinigkeit noch: Im August 1888 wohnten die Benz' nicht mehr in ihrem alten kleinen Haus in T6, sondern waren im Frühjahr in eine großbürgerliche Wohnung am Werk umgezogen. Der Haushalt umfaßte nun auch eine Köchin, mehrere Dienstmädchen und Kindermädchen, wie sich das halt für Fabrikantenfamilien gehörte. Das kann man ebenfalls sehr leicht der Bertha-Benz-Biographie von Barbara Leisner entnehmen.