Schade, aber danke. Immerhin bestärkt das die Zweifel. Ich habe mal eine Bertha-Benz-Biographie bestellt und nächste Woche kommt noch eine zweite. Zumindest im Buch von Angela Elis klingt es, soweit ich bisher mitbekommen habe, so, als ob es direkte Aussagen von Bertha zur Fahrt gibt. Darauf bin ich gespannt.

Mosaik-Heft 591 "Bertha macht's!"
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Das lässt dich jetzt aber nicht mehr los?
Aber wenn damit ein Mythos (einer von vielen) aufgeräumt wird, warum nicht! Muss man sagen: Danke MOSAIK?
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Erstens ist es ja noch gar nicht geklärt, zweitens interessieren mich solche Rätsel immer und drittens soll ja auch in der MosaPedia später kein Quatsch stehen.
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Du weißt doch, der Quatsch wird Quätscher bis er quietscht.
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Urteil ist da. In nuce:
Sie ist nicht die Initiatorin der Fahrt.
Sie saß nicht am Steuer.
Der Kern der Story stimmt also nicht. Das MOSAIK ist hier leider einem Hoax aufgesessen. Details in Kürze.
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Respekt!
OK, dann stimme Dich schon mal für eine der nächsten Jahresgaben mit einem Zeicher ab. Titel: "Bertha- die wahre Geschichte!"
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Au ja. Diesmal dabei: Carl, der relaxte Vater. „Lass die Jungs mal machen, Bertha, die wissen schon, wie das geht. Was soll schon passieren?“
Bertha, die hasenfüßige Helicopter-Mutter: „UmGottesWillen! Was da alles passieren kann?!? Ich fahre mit. Aber nicht so schnell!“
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...Der Kern der Story stimmt also nicht. Das MOSAIK ist hier leider einem Hoax aufgesessen. Details in Kürze.
O-ohh, das ist ja wieder Wasser auf die Mühlen derer....
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Ich habe die Bertha-Benz-Biographie von Barbara Leisner konsultiert. Das Buch ist ganz normal lieferbar, kann man in jeder Buchhandlung bekommen. Die Darstellung der Fahrt dort ist mit mehreren Quellen unterfüttert, aus denen umfangreich und wortwörtlich zitiert wird:
*Memoiren von Carl Benz von 1925 ("Lebensfahrt eines deutschen Erfinders")
*Interview mit Bertha Benz 1933 zur Einweihung eines Carl-Benz-Denkmals
*Interview mit Bertha und Eugen Benz 1936
*Interview mit Bertha, Eugen und Richard Benz 1938 anläßlich des 50jährigen Jubiläums der Fahrt
*Interview mit Eugen Benz 1956
Bei allen Gelegenheiten heißt es unmißverständlich, daß die Fahrt eine Idee von Eugen und Richard war, und weil sie zurecht davon ausgingen, niemals Carls Erlaubnis zu bekommen, überredeten sie die Mutter, sie zu begleiten.
Am Steuer saß hauptsächlich der ältere Eugen, nur wenn es zu steil war und Eugen und Bertha schoben, steuerte der jüngere Richard. Bertha saß ausdrücklich während dieser Fahrt zu keiner Zeit am Steuer. So betont sie es auch selber: Sie habe sich lieber kutschieren lassen.
Die Reparaturen mit Hutnadel und Strumpfband werden von mehreren Beteiligten erwähnt, doch nie, wer sie ausführte. Man darf davon ausgehen, daß es Eugen war, da der sich mit dem Wagen sehr gut auskannte.
Auf den Absatz der Wagen hatte die Fahrt keine Auswirkungen. Erst Carls Rundfahrten durch München während einer dortigen Technikmesse im September/Oktober 1888 brachten den Durchbruch.
Echte zeitgenössische Quellen zur Fahrt (1888 oder kurz danach) gibt es nicht, die Überlieferung beginnt erst mit Carls Memoiren 1925 - also knapp 40 Jahre später. Keine Zeitungsberichte, keine Briefe, keine Tagebucheintragungen, keine Notizbücher, keine technischen Unterlagen. Das ist durchaus ungewöhnlich, weshalb die Historizität der Fahrt von berufener Seite bezweifelt wurde. Zumindest das Fehlen von Zeitungsnotizen aus Pforzheim läßt sich erklären: Es gibt schlicht keine erhaltenen Ausgaben der entscheidenden Pforzheimer Zeitung aus diesem Jahrgang. Insgesamt schließlich sprechen die übereinstimmenden Berichte der Beteiligten doch eher für eine tatsächliche Fahrt. Und ja, wenn Bertha nicht zugestimmt hätte, wäre sie unterblieben. Insofern war sie also von eminenter Bedeutung für dieses Abenteuer.
Die Pforzheimfahrt war nicht die erste längere Autofahrt. Schon zuvor hat Carl Benz, begleitet von verschiedenen Familienmitgliedern und Mitarbeitern, mit den frühesten Modellen seines Wagens in der Gegend von Mannheim eine ganze Reihe von Fahrten unternommen, teils über 20km lang, dazu mehrfach durch den Odenwald. Bei diesen Gelegenheiten haben auch schon die beiden Jungen am Steuer gesessen - und vereinzelt Bertha (wenn Carl bergauf schieben mußte). Sie hat also tatsächlich bereits am Steuer der allerersten Autos gesessen - aber eben nachweislich nicht bei der Pforzheimfahrt.
Die Darstellung der Fahrt und ihrer Folgen im Mosaik, sowohl in der Handlung als auch Mittelteil, ist also in ihren zentralen Punkten irrig - sprich in jenen Punkten, die überhaupt erst dazu führten, daß man diese Geschichte erzählt hat. Darüber hinaus ist die Darstellung Carls als Angsthase und Dödel, der nicht mal in der Innenstadt von Mannheim bei einer Apotheke etwas Waschbenzin besorgen kann, wenn ihm der Treibstoff ausgeht, sehr ... seltsam. Und die Behauptung im Mittelteil, Bertha habe ihre Söhne bei der Fahrt "auch mal" ans Steuer gelassen, ist schon recht ... gewagt. Leider hat man sich im MOSAIK auf die ständig voneinander abschreibenden Webseiten und Marketingbüros verlassen und ist daher einer Fälschung aufgesessen. Wer die zuerst in die Welt gesetzt hat, ist mir zumindest nicht bekannt.
Natürlich kann man sagen, daß das Ganze einfach eine schöne, erhebende Geschichte über eine moderne, emanzipierte Frau ist, aber wenn man das im MOSAIK schon so darstellen möchte, dann wäre zumindest eine vernünftige Recherche und eine deutliche Aufarbeitung des Themas im Mittelteil wünschenswert. Immerhin betont man ja immer gerne und durchaus berechtigt, daß man nicht nur Spaß und Unterhaltung, sondern auch Wissen vermitteln möchte. Wenn man stattdessen ein Märchen erzählt, sollte das entsprechend kenntlich gemacht werden.
Trotz allem bin ich dem MOSAIK natürlich immens dankbar, daß es mich immer wieder dazu anregt, mich mit derartigen Themen überhaupt zu befassen. Das ist wirklich einmalig.
PS: Kleinigkeit noch: Im August 1888 wohnten die Benz' nicht mehr in ihrem alten kleinen Haus in T6, sondern waren im Frühjahr in eine großbürgerliche Wohnung am Werk umgezogen. Der Haushalt umfaßte nun auch eine Köchin, mehrere Dienstmädchen und Kindermädchen, wie sich das halt für Fabrikantenfamilien gehörte. Das kann man ebenfalls sehr leicht der Bertha-Benz-Biographie von Barbara Leisner entnehmen.
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Dann bestand die emanzipatorische Leistung Berthas wohl darin, ihren Söhnen diese Fahrt (unter Umgehung des Vaters) ermöglicht zu haben und nicht darin, ein Lenkrad bei einer Geschwindigkeit von 15 km/h auf leeren Strassen festgehalten zu haben. Das schmälert jetzt meinen Blick auf die Frau nicht wirklich.
Es erinnert mich daran, dass ich meine ersten Fahrversuche als junger Bursche auch unter Anleitung meiner Mutter auf dem Beifahrersitz unternommen habe. Klingt also wirklich plausibel, dass die Söhne drängten und die Mutter nachgab und die Fahrt aber begleitete.
Danke für die Aufklärung, Tilberg und auch für die zusätzlichen Fakten!
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Danke für deine klasse Recherche.
Damit dürfte diese falsche Legende in Mosaik-Kreisen wohl ad acta gelegt worden sein. Es ist an uns, dieses in die Welt zu tragen.
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Auch von mir allerbesten Dank. Ein kleines Beispiel dafür, dass man auch altbekannte Mythen mit wenig Rechercheaufwand entlarven kann. Hier wäre fürs Mosaik echt was drin gewesen. Schade.
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---und nicht darin, ein Lenkrad bei einer Geschwindigkeit von 15 km/h auf leeren Strassen festgehalten zu haben.
Unterschätz das nicht. Mit dieser Einhandkurbel den richtigen Kurs zu halten, dürfte auf längere Zeit kein ungeteiltes Vergnügen gewesen sein.
Tolle Recherche.
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Genau, da braucht es kräftig zupackende (angehende) Männerhände.
Die Strassen waren vom Zustand ja auch nicht mit den heutigen zu vergleichen...
Ich habe mich nur erinnert, wie mir mal im Flugzeug das Steuer überlassen wurde und ich total gelangweilt war, die gefühlte Geschwindigkeit ist da ja auch nicht sehr groß und man starrt auf die Anzeigen und kann gar nicht mehr den schönen Ausblick genießen...
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Tja, wann übergibt man in einem Flugzeit mal einem "Amateur" das Steuer?
- Richtig, wenn nichts, aber auch gar nichts passieren kann!
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Ja, dem war sicher so.
Bezogen auf Berthas Reise galt das aber sicher nicht und wahrscheinlich hat sie auch ohne direkt am Steuer zu sitzen ihre volle Aufmerksamkeit dem Auto gewidmet.
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Es war auch stundenlanges Schieben angesagt. Da hat sie ordentlich mit zugepackt. Übrigens war die Fahrt auf den Straßen damals durchaus herausfordernd. Insbesondere wenn man auf ein Pferdefuhrwerk oder eine Kutsche stieß, gab es regelmäßig Ärger, weil die Tiere Angst bekamen, sich aufbäumten und teilweise durchgingen.
Bertha Benz spielt durchaus eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der ersten Benz-Wagen. Umso ärgerlicher, daß diese Rolle mit einer erfundenen Räuberpistole überdeckt und entwertet wird. Wobei ich das Mosaik hier tatsächlich auch eher als Opfer denn als Täter sehe. Etwas mehr Recherche wäre aber sehr wünschenswert gewesen. Ich selbst bin ja bereits nach einer halben Stunde rumgooglen auf die kritischen Zeitungsartikel gestoßen, und mir das Buch zu besorgen und reinzugucken, war auch kein Akt, der besondere Fähigkeiten verlangt oder riesigen Aufwand bedeutet.
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Danke schön für diesen schönen Exkurs. Vor vier Wochen kannte ich Frau Benz noch gar nicht, und nun muss ich gleich wieder umlernen. Das ist die Beschleunigung der neuen Zeit, nix is fix und was gestern sicher schien, ist heute wert, dass man es umgekehrt (sic!).
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Mein Szenario, zumindest als Grundgerüst, in ca 5 min erdacht:
Abrax begleitet Eugen und Bertha auf der spontanen Fahrt. Eugen-Abrax-Freundschaft sowas wie Floribert und Abrax. Bertha erfrischend mutig und emanzipiert.
Brabax beruhigt Carl, dann geht man in die Werkstatt und tüftelt am neuen Modell für München. Zwischendurch treffen die Telegramme der Pforzheimfahrer ein. Brabax hat die Idee, wie man deren Erfahrungen für die Verbesserung des Wagens umsetzen kann. Zusammen mit Carl baut er den Wagen um. Carl gerne verkopft und exzentrisch, à la Doc Brown.
Califax tuckert mit dem tollpatschigen Richard (comic relief) und den beiden Mädchen auf einem der ganz frühen Modelle durch Mannheim und sorgt dafür, daß sich die Pferde und anderen Tiere an den selbstfahrenden Wagen gewöhnen. Das steigert die Akzeptanz bei den Mannheimern.
Nach der Rückkehr der Pforzheimfahrer große Versöhnung, dann allgemeiner Aufbruch nach München, wo die ganze Familie mitsamt der Faxe bei Rundfahrten mit dem gemeinsam - empirisch und technisch - entwickelten neuen Modell triumphiert.
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Die Strassen waren vom Zustand ja auch nicht mit den heutigen zu vergleichen...
Stimmt, sie waren besser
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Laut Wikipedia waren Eugen und Richard 15 bzw 13 Jahre alt. Weiss man denn genaueres über sie, zb woher sie das notwendige Wissen hatten und was aus ihnen geworden ist?
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Aus ihnen geworden? Sie haben eigene Artikel in der WP. Waren beide Rennfahrer und haben eins der väterlichen Unternehmen weitergeführt.
In der Bertha-Benz-Biographie von Leisner steht, daß die beiden Jungs völlig vernarrt in die frühen Automodelle waren. So oft es ging, sind sie mitgefahren, haben es selbst gelenkt, haben in der Werkstatt mitgeholfen, haben Verbesserungsvorschläge gemacht, haben ihre Freunde mitgebracht und mit denen Autofahrten unternommen, haben den Zaun hinten am alten Wohnhaus niedergerissen, um von dort aus mit dem Auto aufs Feld rauszufahren, als ein extra abgestellter Polizist die Einfahrt auf das Grundstück bewacht hat ...
Eugen hat kurze Zeit nach der Pforzheimfahrt eine frühe Autobestellung nach Ungarn gebracht, d.h. im Zug begleitet und dort in Budapest vorgeführt. Wenn es jemanden gab, der das Auto annähernd so gut beherrschte wie Carl Benz, dann Eugen.
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