• Ich bezog mich nur auf Spielfilmlänge.

    Gegen die genialität eines Tex Avery war Disney schon immer eher "langweilig".
    Allerdings hatten beide auch ein anderes Zielpublikum.
    Die Kurzfilme Avery's waren für erwachsene gedacht.

  • Bei Disney bewundere ich die Technik die er auf damalige Höchstleistung gebracht hat und die Ausgefeiltheit mit der er seine inhaltlichen Ideen vorantrieb.

    Dumbo hab ich als Kind im Kino gesehen und fand ihn langweilig bis unangenehm, auch spätere Sichtungen haben daran nichts geändert. Bambie ist sein unumstrittenes Meisterwerk, sehr berührend und intensiv.

  • Auf "Dumbo" kam ich nur, weil der General in Spielbergs "1941" ein riesengroßer "Dumbo"-Fan ist.

    Welche Disneys richtig gut oder weniger gut sind - oder gar eine Rangfolge -, darauf lasse ich mich lieber nicht ein...

  • Ach, ich hab da schon so meine Lieblinge, aber eine Reihenfolge, nein, besser nicht. Hinzu kommt das ich die auch noch trenne nach klassisch und modern und selbst modern noch geteilt ist nach vor und nach Pixa.

  • Moin,
    eine Rangfolge würde ich auch nicht hinbekommen. Einfach zu viele gut Filme dabei.
    Aber welcher immer auf der 1. bleibt ist

    "Das Dschungelbuch". :D
    Dicht gefolgt von "Aladdin"* und "Findet Nemo".
    Und das wars dann auch schon mit der Rangliste.

    * Bei "Aladdin" habe ich mir auch in HH das Musical angeguckt. :top: Für mich eines der besten Musicals. Hatten sehr gute Plätze und auch wie die Geschichte umgesetzt wurde. :top:

    :ele3:

  • Muß jetzt das Thema Zeichentrick erstmal wieder verlassen.

    Hab‘ mich entschieden, nochmal von meinen Regeln abzuweichen. Die nächsten beiden Filme sind Dokumentarfilme, aber sie haben vor allem deshalb eigentlich in dieser Reihe nichts zu suchen, weil sie fürs Fernsehen (Public Broadcasting Service) gedreht wurden, allerdings von einem wichtigen Kinoregisseur. Ich beginne mit „Gottes eigenes Land“ (1985) von Louis Malle. Darauf folgt sein zweiter Dokumentarfilm über die USA, „…und das Streben nach Glück“. Die beiden Filme haben nichts direkt miteinander zu tun. Ich wollte sie mir jetzt ansehen, weil die nächste Präsidentschaftswahl kurz bevorsteht, und ich war neugierig, ob diese beiden fast 40 Jahre alten Filme darüber etwas aussagen. Mein allgemeiner Eindruck von dem ersten Film: Doch, man erfährt wohl auch etwas über die heutige Situation in den Vereinigten Staaten. Natürlich hat Donald Trump ein paar Aspekte hinzugefügt, die damals noch keine Rolle spielten.

    Für „Gottes eigenes Land“ war Malle zweimal in Minnesota (1979 und 1985) und besuchte den Ort Glencoe – 5000 Einwohner, landwirtschaftlich geprägt, die Vorfahren der Bewohner sind zum großen Teil Deutsche gewesen. Das Filmteam sucht sich Menschen, die vor der Kamera etwas über ihren Alltag erzählen oder etwas davon vorführen. Malle erweckt den Eindruck, als wolle er nicht Erkenntnisse vermitteln, sondern das Leben in Glencoe einfach auf den Zuschauer wirken lassen. Er beginnt mit einer 86jährigen Frau, die in ihrem Garten arbeitet, beobachtet die Bürger bei der Kirchweih-Feier, beim Rasenmähen, beim Baseball, redet mit Geschäftsleuten, der Polizei und schließlich mit Farmern. Alles – für die Verhältnisse im Mittleren Westen – sehr normal. Die meisten Leute arbeiten sehr hart und sind mit ihrem Auskommen zufrieden. Auch ein paar problematische Punkte berührt Malle und läßt sie einfach so stehen: Es gibt so gut wie keine Schwarzen in Glencoe („sie mögen es hier nicht, und wir mögen sie nicht“, sagt einer unbefangen); ein junger Mann wurde eine lokale Berühmtheit, weil er 1968 gegen den Vietnamkrieg protestierte (Nixon war nach allgemeiner Auffassung nicht im Recht); es gibt ein paar Unverheiratete, die diesen Zustand nicht unbedingt ändern wollen („jeder darf hier denken, was er will“), aber Homosexuelle hätten es nach allgemeinem Urteil außerhalb von Minneapolis schwer.

    Nach sechs Jahren kehrte Malle zurück, um den Film zu vollenden. Ich habe nicht genau herausfinden können, ob noch Material fehlte oder ob es seine Absicht war, gezielt Veränderungen in diesem Zeitraum zu dokumentieren. Nur die letzte Viertelstunde ist der neuen Zeit gewidmet. Zunächst scheint sich in Glencoe fast nichts verändert zu haben. Aber als Malle mit den Farmern spricht, erfährt er, daß ihre Erzeugerpreise gesunken sind und sie für immer mehr Arbeit immer weniger erlösen. Einige denken ans Aufgeben. Die Schuld wird eindeutig Ronald Reagan gegeben, dessen Politik anscheinend Finanzspekulationen fördert. Die Farmer würden es ihm nachsehen, wenn er seinen Fehler einsehen und umsteuern würde, aber das tut Reagan als „Showman“ offenbar nicht. Einer sagt, wenn es so weitergeht, würden manche zu den Waffen greifen und sich mit Gewalt gegen die Politik wehren. Ein anderer will keine Steuern mehr zahlen und den Staat auf diese Weise dazu zwingen, die Entwicklung zu korrigieren. Einer meint aber auch, die USA seien heute „besessen von Habgier“, und so könne das Land nicht bestehen.

    Der Unterschied bei Trump ist sicherlich, daß große Wählergruppen nicht mehr ihm die Schuld an negativen wirtschaftlichen Entwicklungen geben. Sie glauben vielmehr seine Slogans, daß es nur mit seiner Politik (die allerdings auch auf die Superreichen ausgerichtet ist) besser werden kann. Was man in der Dokumentation gut sieht, ist die Tatsache, daß es den Amerikanern im Mittleren Westen sehr stark um ihr persönliches Wohlergeben und nicht um übergeordnete politische Ziele oder Werte geht. Verdienen sie gut (ohne Millionen zu scheffeln), sind sie freundlich, offen und mit sich und der Welt weitgehend im Reinen, werden dagegen die persönlichen wirtschaftlichen Aussichten unsicher, dann sind sie schnell bereit, zu Waffen zu greifen oder es den Politikern auf eine andere Weise ungemütlich zu machen (das habe George Washington auch gemacht, heißt es einmal). Die Spaltung der Gesellschaft wie heute in Trumpisten und Liberale gab es da wohl noch nicht. Ich finde allerdings, daß Malle der Stimmung 1985 zu wenig Aufmerksamkeit und zu wenig Platz in seinem Film schenkt. Es dürfte schwierig gewesen sein, Glencoe-Bewohner zu finden, die ihren Frust frei vor der Kamera artikulieren wollten. Das sind einfache Menschen, die nicht gewohnt sind, sich vor einer Kamera zu produzieren. Aber der Schluß des Films wirkt so ein wenig konstruiert: Zwei oder drei Gewährsleute müssen genügen, um das Bild zu zeichnen. Die Situation 1979 kommt überzeugender und lebendiger rüber. Trotzdem für mich eine sehr gute Dokumentation, die die USA einmal so zeigen, wie man sie sonst (im Fernsehen wie auch im Kino) kaum zu sehen bekommt.

  • Louis Malles zweite USA-Doku, „…und das Streben nach Glück“ (1986) ist in gewissem Sinn das Gegenteil der ersten. War er zuvor in einem Städtchen in Minnesota, in dem es keine Fremden gibt, nicht einmal Schwarze, so wirft er nun einen ausschließlichen Blick auf Immigranten. Wieder ist der Film zweigeteilt. Zunächst porträtiert Malle viele legale Einwanderer und ihre Anstrengungen, sich an den amerikanischen Lebensstil anzupassen und irgendwie zu – wenigstens ein bißchen – Wohlstand zu kommen. Im zweiten Teil des Films beschäftigt er sich mit der illegalen Einwanderung. In diesem Abschnitt denkt man unweigerlich an Donald Trumps Wunschtraum einer Grenzmauer zu Mexiko, die nach seiner Vorstellung die Mexikaner bezahlen müssen. 1986 gab es schon Versuche, den Zustrom von Menschen aus Mittel- und Südamerika einzudämmen, aber keine Lösung. Ich denke, das ist heute nicht viel anders.

    Ich habe anfangs Notizen zu allen Zuwanderern gemacht, die im Film vorgestellt werden, habe das aber nach einer Weile aufgegeben. Der Film beginnt mit einem Rumänen, der zum 150jährigen Bestehen des Staates Texas um diesen Bundesstaat ganz herumlief – um seine Dankbarkeit auszudrücken, daß er jetzt in diesem Staat leben darf. Dann sieht man Kambodschaner, ein von Kurden und Afrikanern gegründetes Taxiunternehmen, einen russischen Schauspiellehrer (Stanislawski-Methode), eine Lehrerin von den Philippinen, eine Kubanerin, einen vietnamesischen Polizisten, weitere Einwanderer aus Indochina, arabische Moslems (schon damals gab es die Sorge terroristischer Anschläge, doch vor der Kamera nur Araber, die gute amerikanische Bürger werden wollten) und so fort – die Liste ließe sich noch ein ganzes Stück fortsetzen. Eine Gruppe von Vietnamesen wurde in ein Einwandererheim einquartiert, das vorher von Schwarzen bewohnt worden war. Eine Schwarze mutmaßt, das sei deshalb geschehen, weil das Heim in Kürze Luxusbauten weichen soll. Die neuen Bewohner kennen – im Gegensatz zu den Schwarzen – ihre Rechte nicht; sie könnten deshalb, wenn es soweit sei, leicht vor die Tür gesetzt werden.

    Das ist der Übergang zum zweiten Teil des Films. Illegale Einwanderer sind rechtlos. Sie dürfen, wie ein Rechtsanwalt erklärt, nicht ins Land kommen, aber sie dürfen hier arbeiten. Wegen ihrem unsicheren Status akzeptieren sie Löhne weit unter dem tariflichen Minimum – und drücken damit nebenbei auch das allgemeine Lohnniveau. Die Illegalen nehmen US-Bürgern so ihre Arbeit weg. So sei das Problem niemals zu lösen, sagt der Anwalt. Und so kommt es, daß Einwanderer, die es bereits zu etwas gebracht haben, gegen Einwanderung sind. Malle hat sich offenbar längere Zeit in der Region San Diego/Tijuana aufgehalten. Das ist eine praktisch zusammengewachsene Stadt, getrennt durch die US-mexikanische Grenze, mit nur zwei Grenzübertritten. Hier werden ständig illegale Einwanderer aufgegriffen und abgeschoben; sie sagen, sie würden es bei nächster Gelegenheit wieder versuchen. Ein Reverend (Pfarrer) im Ruhestand besucht sie in ihren Verstecken und hilft ihnen mit Essen und Kleidung; er sagt, das sei das Land ihnen schuldig, da sie für wenig Geld vor allem die Anwesen der Superreichen im Raum San Diego pflegen.

    Eingestreut in den Film sind immer wieder kritische Bemerkungen über die amerikanische Kultur: Jeder rede nur über Geld, und jeder, der neu ins Land komme, sei bereit, große Opfer zu bringen, um zu Geld zu kommen. Verbreitet sei die fast alttestamentliche Auffassung, daß harte Arbeit immer materiell belohnt wird. Ein Künstler merkt zudem an, es gebe eine Tendenz zu einer breiten Massenkultur. Wer davon abweiche, riskiere, weniger erfolgreich zu sein, und so gliedere sich jeder in den Mainstream ein. Ich finde, „…und das Streben nach Glück“ nimmt eine kritischere Haltung zum Phänomen USA ein als der andere Malle-Film. Aber auch hier bemüht sich der Regisseur um eine neutrale Beobachterperspektive. Er verurteilt niemand; es kommt eher immer wieder Bewunderung dafür zum Ausdruck, welche Widersprüche die USA aushalten und welche Opfer die Menschen bringen, um ihren amerikanischen Traum zu verwirklichen (der sich manchmal recht bescheiden ausnimmt).

  • Das ist sicher einer der ungewöhnlichsten Filme, die ich auf Video aufgenommen habe: „Tampopo“ (1985) von Juzo Itami. Dieser japanische Film erregte 1989 auf Festivals (unter anderem in Toronto) Aufsehen, und so dachte ich mir: Den muß ich auch haben. In Japan vermischen sich fernöstliche Traditionen mit westlichen Einflüssen, und so ist auch dieser Film. Er wirkt teilweise vertraut, und er spielt auch auf zahlreiche westliche Filme an, ohne daß ich behaupten könnte, alle Zitate erkannt zu haben. Aber er führt auch den japanischen Lebensstil vor, vor allem japanische Tisch- und Eßgewohnheiten, und da wirkt er auf mich mitunter ziemlich fremdartig. Aber das Fremde macht auch wiederum seine Faszination aus.

    Anfangs dachte ich, „Tampopo“ sei ein reiner Episodenfilm, bei dem die Episoden allein durch das Thema Essen zusammengehalten werden. Es zeigt sich aber daß hauptsächlich die Geschichte einer Schnellrestaurant-Betreiberin namens Tampopo (das bedeutet „Pusteblume“ – in diesem Fall lohnt es nicht, die Namen der Schauspieler zu nennen) erzählt wird. Durch die Begegnung mit einem Fernfahrer mit Vorliebe für Nudelsuppen erwacht ihr Ehrgeiz, in ihrem Laden die besten Nudelsuppen der ganzen Gegend anbieten zu wollen. Aber der Weg zu einer wirklich guten japanischen Nudelsuppe ist weit. Man muß nicht nur eine Menge übers Kochen und Würzen lernen, sondern auch den richtigen Umgang mit den Gästen, die optimale Einrichtung des Imbisses und vieles mehr. Der Fernfahrer trommelt nach und nach noch vier Freunde zusammen, die jeweils auf einem Gebiet Spezialisten sind und Tampopo immer einen Schritt weiterbringen, bis die Kunden schließlich vor ihrer Bude Schlange stehen.

    Dazwischengeschnitten sind Szenen, die mit dieser Geschichte rein gar nichts zu tun haben – etwa die eines Gangsters und seiner Geliebten, die ihre erotische Beziehung durchs Essen ausleben, oder die einer Lehrerin, die eine Gruppe von Reisenden in europäische Essgewohnheiten einführen will, aber damit kläglich scheitert, oder die eines Geschäftsessens, bei dem ausgerechnet der kleine Assistent des Bosses die besten Kenntnisse in Kulinarik aufweist. All das ist ziemlich komisch, wobei ich befürchte, daß ich nicht alle Anspielungen und Parodien erkannt und verstanden habe. Doch insgesamt läßt sich der Film sehr gut ansehen. Trotz seiner flotten Inszenierung vermittelt „Tampopo“ jedoch traditionelle Rollenbilder. Auch in Japan sind die meisten Meisterköche Männer, aber für eine Frau ist es die höchste Form der Selbstverwirklichung, wenn sie ihren Herd souverän beherrscht.

    Regisseur Itami hat schon ziemlich zu Beginn seiner Karriere als Schauspieler in Hollywood gearbeitet und wurde dann mit seinen Filmen in Japan sehr bekannt. „Tampopo“ ist sein einziger Film, der es hier auch in die Kinos schaffte. 1997 starb Itami im Alter von 64 Jahren unter ungeklärten Umständen in Tokio. „Tampopo“ zeigt, daß man sich ruhig einmal im filmischen Schaffen fremder Länder umsehen sollte – man kann überraschende Entdeckungen machen. Vielleicht wäre der Film sogar ohne den westlichen Inszenierungsstil noch besser gewesen. Ich war beim Betrachten nie ganz sicher, ob hier nicht nur Klischees über Japan gezeigt werden, damit der Film für ein internationales Publikum geeignet ist.

  • Ja, irgendwie erinnere ich mich auch an den Film. Ging mir ähnlich wie Dir.

    Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.

  • Es ist aber wirklich eine Mischung aus fernöstlicher Kultur und westlicher Erzählweise. Das Problem ist vielleicht eher, daß keine richtige Geschichte erzählt wird - oder nur eine banale.

    Ich kann aber selbst auch die meisten Manga nur schwer lesen.

  • Durch Klassiker wie Kurosawa habe ich mich schon ziemlich früh für den japanischen Film interessiert, und wann immer etwas davon über die Mattscheibe flimmerte, habe ich begeistert zugeguckt. So auch bei diesem "Nudelsuppenwestern", wie er manchmal genannt wird. Außerdem gibt es wesentlich japanischere Regisseure wie zum Beispiel Yasujirō Ozu, der sehr stark in der Tradition seines Heimatlandes verankert ist.

    Ich habe einen Daumen hoch gegeben, weil ich schon mal mit dem Gedanken gespielt habe, „Tampopo“ hier einzubringen. Das liegt vor allem daran, weil ich Jūzō Itami für eine spannende Persönlichkeit halte, denn er war ein unabhängiger Filmemacher, der mehr mit seinen Kollegen des europäischen Autorenfilms oder des US-Independent-Films gemein hat als mit den klassischen Studios wie Toho.

    Zitat

    Es zeigt sich aber daß hauptsächlich die Geschichte einer Schnellrestaurant-Betreiberin namens Tampopo (das bedeutet „Pusteblume“ – in diesem Fall lohnt es nicht, die Namen der Schauspieler zu nennen) erzählt wird.

    Nein, da muß ich dir vehement widersprechen. Nobuko Miyamoto war mit Itami verheiratet, und jeder ihrer gemeinsamen Filmen hat einen persönlichen Hintergrund. Im Grunde sind die beiden das japanische Pendant zu John Cassavetes und Gena Rowlands. Der Nebendarsteller Ken Watanabe dürfte auch bei westlichen Fans ein bekanntes Gesicht sein.
    Itami war ein gesellschaftskritischer Filmemacher, der nicht davor zurückgescheut ist, sich mit mächtigen Leuten und Interessengruppen anzulegen. Ich kann mit gut vorstellen, dass sein Leben irgendwann selbst ein Biopic wird. Stoff genug gäbe es.

    Zitat

    „Tampopo“ ist sein einziger Film, der es hier auch in die Kinos schaffte.

    Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Zu der Zeit hat das ZDF immer mal wieder kleinere Reihen gezeigt, unter anderem eine kleine, aber feine Jūzō Itami-Reihe. In der liefen die beiden Filme über „Die Steuerfahnderin“ Ryoko Itakura (1987 und 1988), die mich fast noch mehr beeindruckt haben.

    Das asiatische Kino hat schon seine Perlen, die wir zu würdigen wissen sollten.

  • Also nichts gegen den japanischen Film. War nicht abwertend gemeint, daß nur dieser Itami-Film hier im Kino war.

    Und Nobuko Miyamoto (und andere) habe ich nur deshalb nicht namentlich genannt, weil ihr Name sicher fast niemandem etwas sagt.

    Ich hätte dann noch "Im Reich der Sinne" anzubieten, aber da zögere ich immer, denn der Film ist schon extrem...

  • Gestern abend wollte ich gern etwas Leichtes sehen. Die Komödie, die ich ausgewählt habe, „Zwölf plus eins“ (1970) von Nicolas Gessner, kann man sicher nicht im engeren Sinn als Klassiker bezeichnen, aber ich hatte diese italienisch-französische Co-Produktion als recht spaßig in Erinnerung – was sich nur teilweise bestätigt hat. Der Film, in dem Orson Welles, Terry-Thomas und Vittorio de Sica Nebenrollen übernahmen, hat eigentlich nur deshalb eine gewisse Bedeutung, weil darin Sharon Tate ihre letzte Rolle spielt. Kurz nach Ende der Dreharbeiten wurde sie von Mitgliedern der Manson Family ermordet. Mein Remake-Handbuch listet insgesamt 15 Verfilmungen des zugrundeliegenden satirischen Romans „Zwölf Stühle“ von Ilja Ilf und Jewgenij Petrow bis 1996 auf. Ich kenne außer „Zwölf plus eins“ noch die Version mit Heinz Rühmann und Hans Moser aus der Nazizeit, die natürlich aus heutiger Sicht eher betulich wirkt.

    Der New Yorker Friseur Vittorio Gassman macht eine Erbschaft in England. Dort angekommen, stellt er fest, daß es sich um ein baufälliges und beinahe leergeräumtes Haus handelt. 13 antike Hepplewhite-Stühle verkauft er einem Antiquitätenhändler (auf Fürsprache von dessen Assistentin Tate), um die Rückreise in die USA finanzieren zu können. Kurz darauf entdeckt er einen Brief, demzufolge in einen der Stühle ein Vermögen (100 000 Pfund) eingenäht ist. Er fordert sie zurück, aber der Händler hat sie bereits weiterverkauft. Tate bekommt Wind davon, warum Gassman die Stühle unbedingt wiederhaben will. Sie einigen sich darauf, sie gemeinsam zu suchen. Diese Suche führt die beiden unter anderem in eine Modeboutique, die Praxis eines Psychiaters, eine afrikanische Botschaft, ein Bordell, ein Theater (dessen Prinzipal Orson Welles ist) und schließlich in eine italienische Villa (die Vittorio de Sica gehört). Nach und nach bekommen Gassman und Tate alle Stühle zu fassen und schlitzen sie auf – finden aber nichts.

    Ein paar Konkurrenten sind mit von der Partie, die bei der einen oder anderen Gelegenheit mitbekommen haben, daß die Stühle sehr wertvoll sein müssen. Die letzten beiden stehen dann im Büro von de Sica. Einen der beiden wirft Gassman in höchster Not aus dem Fenster in der Annahme, daß unter dem Fenster Tate wartet. Deren Auto ist aber eben abgeschleppt worden. Und so landet der Stuhl auf einem Lastwagen, der gespendeten Hausrat zu einem katholischen Waisenhaus bringt. Dort findet man schließlich das Geld und hält es für eine Spende an die Einrichtung. Gassman und Tate müssen aufgeben. Tate tröstet sich immerhin mit dem schwerreichen de Sica, den sie heiraten wird. Gassman kehrt in seinen Friseursalon zurück, der zu seiner Überraschung von einer Menschenmenge belagert wird. Es stellt sich heraus, daß er kurz vor seiner Abreise aus Versehen ein hochwirksames Haarwuchsmittel zusammengemixt hat, das nun ein Verkaufsschlager zu werden verspricht.

    Es ist eine Komödie mit Anklängen ans Hippiemilieu. Davon zeugen nicht nur die gewachsenen Haare von Gassmans Kunden. Es regiert hier auch die freie Liebe, wenngleich man nicht von einem Softsexfilm reden kann. Aber mehrfach wird Sex eingesetzt, um an einen der Hepplewhite-Stühle heranzukommen. Von Gleichberechtigung ist man hier noch weit entfernt. Bei den erotischen Spielchen werden die Frauen fast immer zum Objekt degradiert, und darüber hinaus glänzen die Dialoge durch eine Menge zotiger Witze. Das war wohl um 1970 so üblich. Fast alle Frauen in diesem Film tragen übrigens sehr zeittypisch Miniröcke. Sharon Tate spielt eine widersprüchliche Rolle. Zunächst ist sie erklärtermaßen nur an dem Geld interessiert, ist dann aber einer Beziehung zu Gassman nicht abgeneigt, doch zum Schluß läßt sie ihn kurzerhand für de Sica stehen. Die Darbietung von Orson Welles wird in manchen Kritiken sehr gelobt. Er tritt im Theater als Dr. Jekyll und Mr. Hyde auf und muß ohnmächtig mit ansehen, wie seine kurzfristig engagierten Mitspieler sich auf der Bühne nur um einen Stuhl balgen. Ich finde, er macht das ordentlich, aber von einer Sternstunde des Kinos würde ich nicht sprechen.

    Insgesamt ist mir „Zwölf plus eins“ eine Spur zu turbulent geraten. Man merkt, daß die Drehbuchautoren sich sehr bemüht haben, die ursprüngliche Handlung um weitere Verwicklungen anzureichern. Komische Situationen wären aber sicher mehr zur Geltung gekommen, wenn man nicht immer der reichlich komplizierten Handlung folgen müßte. Regisseur Gessner hat zudem auf viel Tempo Wert gelegt, aber das hat einen ähnlichen Effekt. Ich finde den Film aber auch nicht völlig mißlungen. Man kann ihn sich schon mal reinziehen, und es hat in dieser Zeit vermutlich eine Menge schlechterer und abgeschmackterer Filmkomödien gegeben. „Zwölf plus eins“ kann man sich in voller Länge auf youtube ansehen.

  • Die Sache mit dem Waisenhaus und dem Haarwuchsmittel deutet darauf hin, daß der Rühmann/Moser-Film wohl eher als das Buch von Ilf/Petrow als Ideengeber gedient haben. Irgendwie traut man dem Zuschauer wohl das böse Ende des Buches nicht zu.

    Was Du sonst schreibst, klingt aber gar nicht so schlecht. Mal schauen...

    Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.

  • Es gehört zu meinen , na sagen wir mal, 20 Lieblingsbüchern. Schon zu DDR-Zeiten aber auch noch heute.

    Es ist eine bitterböse Satire. Allerdings weniger auf den Sozialismus (das wäre damals lebensgefährlich gewesen) sondern auf die damals (1927) gerade zu Ende gehende NÖP-Periode in der Sowjetunion. Das war der einzige Zeitraum in den 70 Jahren Sozialismus, in der der Rubel frei Konvertierbar und wirklich etwas wert war und man für Geld auch wirklich alles kaufen konnte, wenn man genug hatte.

    Das Personal des Romans besteht also neben "richtigen" Gaunern und ein paar öffentlichen Angestellten vor allem aus den sogenannten- NÖP-Leuten, die damals auf unterer Ebene den Kapitalismus im Sozialismus betreiben durften, dabei teilweise wirklich reich wurden, aber immer in Angst davor leben mußten, enteignet und eingesperrt (oder schlimmer) zu werden und so auch immer wieder erpressbar wurden.

    Daneben lernt man eine ganze Menge Orte in der Sowjetunion kennen, weil sich die Stühle über das halbe Land verteilen. Aus heutiger Sicht ist es natürlich auch eine Verharmlosung, weil die Staatsmacht nicht in ihrer auch damals schon üblichen Brutalität geschildert wird. Aber das kann man verzeihen.

    Ich habe ja noch immer die DDR-Ausgabe. Da konnte sich dann im üblichen Nachwort ein Kommentator nicht der Kritik enthalten, im Buch gäbe es keine positiven Helden und der glorreiche Aufbau des Sozialismus würde nicht gezeigt. Sicher nicht nur ich habe damals an dieser Stelle "Gott sei dank!" gesagt. - Im Nachfolger "Das goldene Kalb oder Die Jagd nach der Million" passiert dann leider (zumindest teilweise) genau das.

    Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.

  • Ja, das war die Zeit der "Neuen ökonomischen Politik", als das Buch erschien; soviel ich weiß, mußte Lenin damals umschwenken, weil die vergesellschaftete Landwirtschaftsproduktion nicht funktionierte und einfach Hungersnöte drohten.

    Die Zielrichtung des Romans verstehe ich aber nicht ganz. Angenommen, der Adelige hätte die "geerbten" Juwelen gefunden, dann hätte er mit ihnen sicher nicht in Saus' und Braus leben können, weil ihn das ja erst recht ins Visier der Behörden gebracht hätte. Da finde ich die westliche Version des Stoffes überzeugender, denn hier träumen viele davon, reich zu werden, und rennen dem Reichtum doch vergeblich hinterher.

  • Das, was Du über die LW schreibst, stimmt. Das war der Hauptteil der NÖP. In den Städten gab es aber dann noch die oben genannten Personen, die für die Arbeiter (und alle anderen Leute mit wenig Geld) und natürlich die Parteimitglieder das Hassobjekt schlechthin waren. (In einem Roman von K. Simonow wird noch 30 Jahre später mal in einem Nebensatz lapidar vermerkt, eine Person sei im Gulag gelandet, weil der Schwager ein "Nöp-Mann" war.

    Tja, was macht man im Jahr 1927 mit Diamanten im Wert von 150 000 Rubeln= Ca. 300 000 Reichsmark? (Zum Vergleich: das Monatsbudget der Familie Pinneberg in "Kleiner Mann, was nun?" betrug glaube ich knapp 200 RM).

    Darüber machen sich die Beteiligten im Roman eher weniger Gedanken. Zumindest der Adlige (Die beiden anderen sind ein Pope und DIE Figur des Romans "Der große Kombinator") beabsichtigt aber, danach das Land zu verlassen. Damals gab es den "Eisernen Vorhang" so noch nicht. Eine Handvoll Diamanten lassen sich relativ leicht über die Grenze schmuggeln und in Paris wie Berlin gab es große Gemeinden von Exilrussen, wo es sich "wie in alten Zeiten" bei Champagner und Austern gut leben lassen würde.

    Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.

  • Mindestens eine Verfilmung des Stoffes habe ich vor langer langer Zeit auch mal gesehen, vermutlich die von dir geschaute, ich fand den Film damals recht amüsant.

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