Ja, okay. Und man könnte jeweils die Seite angeben - oder variiert die Seitenzählung je nach Bildschirmdarstellung?
Also ich bin hier gerade auf Seite 91, nein: schon 92.
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Also ich bin hier gerade auf Seite 91, nein: schon 92.
- oder variiert die Seitenzählung je nach Bildschirmdarstellung?
Ja.
Zwar nicht nach Bildschirm-aber Forumseinstellung. (Ich habe auch 25 Einträge pro Seite aber bei anderen sind es 50 oder mehr.)
Wer sich wirklich für Deine Besprechungen interessiert, sollte eigentlich mit der Thread-Nummer ausreichend versorgt sein.
Jetzt habe ich mal das Inhaltsverzeichnis ganz vorne ergänzt um die Nummern der Postings, damit man einzelne Filmbesprechungen etwas besser findet.
Dabei habe ich auch ein paar Angaben hinzugefügt, die ich vergessen hatte. Ich hoffe, es hat mir niemand übelgenommen, daß seine/ihre Besprechung in der Liste bisher nicht auftauchte. War keine böse Absicht.
Zwei Besprechungen sind, sicher durch den Umzug des Forums, weggefallen, und zwar die der Doku "Winnetou darf nicht sterben" und von "Die Freundin des Kartographen" von Hal Hartley. Die werde ich hier wieder hinzufügen.
Jetzt trage ich zunächst mal die beiden fehlenden Texte nach.
Oliver Schwehm: „Winnetou darf nicht sterben“ (NDR/Arte 2007)
Zu Beginn der 60er Jahre ist das deutsche Kino fest in indianischer Hand. Gerade erst hat Hollywood den Western für tot erklärt, da überrollt wie aus dem Nichts die Karl-May-Filmwelle das Land und sorgt für ungeahnte Rekorde an den Kinokassen. Ob jung oder alt – die „Western made in Germany“ stecken eine ganze Gesellschaft an. Landauf landab grassiert das Indianerfieber. Der Erfolg der Filme katapultiert schlagartig einen jungen Mann in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit: Pierre Brice, ein bis dahin unbekannter französischer Schauspieler. Seine Verkörperung des edlen Apachenhäuptlings Winnetou zieht die Massen in seinen Bann. Die Rolle macht ihn über Nacht zum Star.
Michael Petzel, Experte: Pierre Brice, wie er da steht, wie er sich verhält, wie er einen anschaut, das war etwas durchaus Sinnliches.
Christopher Barker, Sohn von Lex Barker: Bei ihm war alles eine Sache des Instinkts. Ein Blick, ein Schritt, und das genügte.
Christiane Krüger, Schauspielerin: Man fand den vom Typ her in diesem Outfit, mit diesem Stirnband und alldem, einfach ideal besetzt.
Marie Joseé Nat, Schauspielerin: Die Deutschen waren einfach klug, Pierre die Rolle anzubieten. Und so wurde Pierre zum Star.
Eigenartiger Starruhm
Pierre Brice ist ein Star geworden, eine Leinwandlegende. Winnetou – das war Pierre Brice, und Pierre Brice – das war Winnetou. Er fesselte die Massen wie kein Zweiter, und irgendwann war er selbst gefangen in der eigenen Legende. Einer deutschen, wohlgemerkt. Denn es gibt ein Kuriosum im Leben des Pierre Brice: In seiner Heimat ist der Franzose so gut wie unbekannt.
Brice: Ich habe ein Leben, wenn ich in Deutschland bin, und ein anderes in Frankreich. In Deutschland kann ich nicht auf die Straße gehen, ohne daß mich jemand erkennt und auf mich zukommt. In Frankreich, wo ich nicht arbeite, habe ich meine Ruhe.
Biografie
Geboren wird Pierre Brice am 6. Februar 1929 als Baron Pierre Louis le Bris in Brest am äußersten Rand der Bretagne. Eine Karriere als Schauspieler ist ihm alles andere als in die Wiege gelegt.
Brice: Als kleinerJunge träumte ich davon, zur Marine zu gehen. In meiner Heimatstadt gehörten Seekadetten zum festen Stadtbild. Und für meine Familie war klar: Pierre wird Marineoffizier.
Pierre besucht eine Marineschule und meldet sich bald als Freiwilliger zum Kolonialkrieg in Indochina. Als Mitglied einer kleinen Kommandoeinheit nimmt er an zahlreichen Spezialeinsätzen teil. Mehr als vier Jahre kämpft er fernab der Heimat. Im Winter 1952 schließlich kehrt Pierre Brice nach Frankreich zurück. Er ist nun 23 Jahre alt. Ohne einen festen Plan für seine Zukunft begibt er sich in die französische Hauptstadt.
Brice: Paris war für mich etwas völlig Neues. Ich war noch nie dagewesen. Es war ein Sprung ins Unbekannte, und nun war ich da, allein, ein junger Kommandosoldat, der keine Ahnung hatte, was ein Scheck ist. Das war überhaupt nicht meine Welt. Das erste, was ich tat: Ich ging in ein Viertel, von dem ich gehört hatte, das Quartier Latin. Dort lernte ich nach und nach Leute kennen, die zwar nicht in der gleichen Lage waren wie ich, aber im gleichen Alter und auch auf der Suche nach einem Job. Ich mußte eine Beschäftigung finden. Im Grunde wußte ich überhaupt nicht, wofür ich gemacht war.
In Paris ist nichts zu spüren von den Kämpfen im fernen Indochina. Nach Jahren der deutschen Besatzung lebt und blüht die Stadt wieder auf. Doch die Party findet ohne Pierre statt. Mühsam versucht er, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Paris leuchtet. Pierre ist angezogen von den Stars und Sternchen auf den Kinoplakaten. Er träumt von einer Karriere als Schauspieler. Über einen Umweg soll sein Traum schließlich Wirklichkeit werden.
Brice als Dressman
Brice: Ich wurde von der „Vogue“ für Modefotos engagiert, und von da an hatte ich ein bißchen Geld in der Tasche. Ich machte Modefotos, Werbefotos, und wir waren auch bei den großen Modeschauen dabei. Aber es gefiel mir nicht besonders. Die Arbeit im Studio, das ging noch, da war ich mit dem Fotografen allein. Aber Aufnahmen auf der Straße zu machen, das haßte ich regelrecht. Die Pariser spotten gern, und ein junger Mann, der Modefotos macht, wurde ziemlich schief angesehen. Das war ein Grund, weshalb es mich zum Film zog.
Um dem Image als Dressman zu entfliehen, nimmt Pierre Unterricht bei einem russischen Schauspiellehrer. Und bald darauf: endlich die erste Rolle. Allerdings nicht im Theater oder im Kino, sondern in einem Fotoroman. Die Bildergeschichten für Erwachsene, die ursprünglich aus Italien stammen, sind Mitte der 50er der Unterhaltungsschlager in Frankreich.
Nat: Sie dürfen nicht vergessen: damals gab es noch kein Fernsehen. Jede Woche erschien eine neue Folge: Gina Lollobrigida, Sophia Loren, Antonella Lualdi. Sie alle haben in Fotoromanen angefangen. Pierre Brice und ich posierten für eine romantische Illustrierte. Wir waren auf der Titelseite, zwei Verliebte – sehr romantisch, sehr poetisch und sehr charmant. Pierre war eben ein junger Schauspieler, der genau wie ich auf Rollen wartete und währenddessen solche Sachen machte.
Pierres Gesicht kommt an und lächelt sich durch sämtliche Mode- und Frauenzeitschriften. Hübsche Auftritte, sicher, aber nicht gerade die ideale Voraussetzung, um als Schauspieler ernst genommen zu werden. Und doch: Was eigentlich ein Hindernis für seine Karriere sein müßte, wird schließlich die Eintrittskarte. Eine der bekanntesten französischen Filmschauspielerinnen wird auf ihn aufmerksam.
Anfänge als Schauspieler
Brice: Michèle Morgan saß gerade beim Friseur und las in einer Zeitschrift, als sie ein Foto von mir sah. „Oh, ein interessanter Junge“, sagte sie zu ihrer Friseuse, worauf die antwortete: „Den kenne ich.“ – „Ach, wenn Sie ihn mal wiedersehen, sagen Sie ihm einen schönen Gruß von mir, und er soll mal bei meiner Agentin Olga Horstig vorbeigehen.“ Olga hatte damals eine große Agentur in Paris. Und so wurde sie meine Agentin.
Bald erhält Pierre Rollenangebote. Sein erster Filmauftritt dauert genau 14 Sekunden. In „Harte Fäuste, heißes Blut“ darf er Eddie Constantine die Tür aufhalten. Als einer der Schützlinge der großen Agentin Olga Horstig zählt Pierre zu den jungen Hoffnungen des französischen Kinos. 1958 spielt er gemeinsam mit dem damals ebenfalls unbekannten Jean-Paul Belmondo eine Nebenrolle in „Die sich selbst betrügen“. Der Film von Marcel Carne wird zu einem Wegbereiter der Nouvelle Vague. Doch neue Talente gibt es im französischen Kino en masse. Darüber hinaus hat Pierre einen Nachteil: Er sieht einem gewissen Alain Delon nicht ganz unähnlich. So richtig kommt seine Karriere nicht in Schwung.
Nat: Damals herrschte eine heftige Konkurrenz unter den jungen Schauspielern. Wenn erstmal einer etabliert ist… die Leute sind eben ziemlich einfallslos. Insofern war der Erfolg von Alain Delon für die Karriere von Pierre wahrscheinlich ein Nachteil.
Brice: Einer der Gründe, warum es für mich in Frankreich nicht lief, war meine Schüchternheit. Ich wurde manchmal zu einer Filmpremiere eingeladen, ging ins Foyer, sah all die Leute, die Schauspieler und Schauspielerinnen, und war wie gelähmt. Und so hockte ich dann zusammengekauert allein in einer Ecke. Ich hatte nicht viele Freunde in der Filmszene. Es war meine Schuld, weil ich keiner Clique angehörte. Es gab die Clique um Roger Vadim, die um Claude Chabrol, die um Truffaut, die um Godard. Für mich stagnierte es jedenfalls. Da beschloß ich wegzugehen, und zwar nach Rom. Das Mekka des Films, wo Filme über Filme gedreht wurden und wohin damals Schauspieler aus der ganzen Welt kamen.
Brice in Cinecitta
Rik Battaglia, Schauspieler: Es herrschte Aufbruchstimmung. Wir waren mitten in einem Boom. Es war kein Problem, Geld aufzutreiben. Alle hatten Geld. Die Großindustriellen, die aus ihrem Milieu ausbrechen und junge, schöne Frauen zum Vorzeigen um sich haben wollten, finanzierten die Filme. Deshalb wurden so viele Filme gedreht – und so viel Müll. Alle improvisierten – Regisseure, Kameraleute, auch die Schauspieler.
In Cinecitta entstehen Anfang der 60er Jahre bis zu 700 Filme pro Jahr. Mindestens ebenso groß wie der Bedarf an Kilometern an Zelluloid ist der Bedarf an Schauspielern und neuen Gesichtern, die sich oft nur leicht bekleidet und in Sandalen in den damals populären Monumentalfilmen bewähren müssen. Der kommerzielle Erfolg dieser Filme ermöglicht den italienischen Produzenten aber auch, anspruchsvollere Regisseure mit eigenwilligen Projekten zu beschäftigen. Einer von ihnen ist Damiano Damiani. Für sein Spielfilmdebüt „Il Rossetto“ engagiert er Pierre Brice, der so, nur kurz nach seiner Ankunft in Italien, seinen ersten Vertrag für eine Hauptrolle unterschreiben kann. In diesem Kriminalfilm spielt Pierre Gino, einen Prostituiertenmörder, der von einem jungen Mädchen bei seiner Tat beobachtet wurde. Allerdings ist das Mädchen verliebt in ihn und will ihn nicht der Polizei ausliefern. „Il Rossetto“ bietet Pierre Brice endlich die Gelegenheit, sich als Schauspieler zu profilieren und ein für allemal das Image des Dressman abzulegen, das ihn in Paris so verfolgte.
Damiani: Dieser junge Schauspieler war genau der, den ich suchte. Schön, gut angezogen, noch dazu sympathisch. Man sollte ihm nicht auf den ersten Blick den Schurken ansehen. Und doch verbarg sich hinter dem eleganten Äußeren ein Charakter, der sehr gefährlich sein konnte.
Brice: Der Film war in Italien ein großer Erfolg. Und der „L‘Araldo della Spettacolo“ wählte mich zum besten Schauspieler des Jahres. Damit öffneten sich mir die Türen.
In nur drei Jahren dreht Pierre Brice nun ein gutes Dutzend Filme in der italienischen Traumfabrik. Er spielt einen jungen Pharao und nimmt es als italienischer Zorro mit dem italienischen Muskelprotz Maciste auf. Später tritt er als Robin Hood für die Armen und Entrechteten ein und spielt schließlich in Giorgio Ferronis Historienepos „Le Baccanti“.
Brice: Die Kostümfilme – das war eine interessante Sache. Ich erinnere mich, daß meine Garderobiere immer sagte: „Du kannst Kostümrollen spielen; dir steht jedes Kostüm.“ Einmal spielte ich Dionysos in einem dieser knappen Röckchen mit nackten Beinen. Da sagte sie zu mir: „Solche Beine – die hat nicht jeder Schauspieler.“
Trotz der wechselnden Kostüme ist Pierre in Cinecitta nun abonniert auf die Rolle des attraktiven Frauenschwarms. Es gelingt ihm, sich als Schauspieler einen Namen zu machen und als verläßlicher Darsteller zu bewähren. Die große, erfolgbringende Rolle, die bleibt jedoch aus. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen begibt er sich 1962 auf die Berlinale. In der Masse der Festivalgäste geht Pierre Brice unter. Niemand nimmt wirklich Notiz von ihm. Gefeiert wird ein anderer französischer Schauspieler; Jean-Paul Belmondo. Mit ihm teilte sich Pierre vor kurzem noch eine Nebenrolle. Seit „Außer Atem“ gehört Belmondo zu Frankreichs Exportschlagern. Pierre will eigentlich schon wieder abreisen. An seinem letzten Abend in der geteilten Stadt besucht er die Abschlußveranstaltung der Berlinale.
Entdeckt von Horst Wendlandt
Brice: Es gab ein Diner im Hotel Intercontinental in Berlin. Ich war mit meiner damaligen Freundin Francoise da. An einem der Nachbartische saß ein Mann – er hieß Horst Wendlandt, wie ich später erfuhr -, der die ganze Zeit zu uns herüberstarrte. Ich dachte, er würde meine Freundin anstarren. Ich war ziemlich gereizt, eifersüchtig und kurz davor, aufzustehen und ihn um eine Erklärung zu bitten. Da sagte Francoise: „Mach keine Dummheiten. Ich glaube, das ist ein Produzent.“
Auf Horst Wendlandt ruhen die Hoffnungen der krisengeschüttelten deutschen Filmindustrie, die nach dem Zweiten Weltkrieg nur mühsam wieder auf die Beine kommt. Der junge Produzent hat mit Edgar-Wallace-Filmen erste Erfolge feiern können. Doch nun hat er Größeres vor. Er will „Der Schatz im Silbersee“ verfilmen, einen Roman von Karl May. Der Schriftsteller aus Sachsen gehört nicht nur zu den meistgelesenen, sondern auch außergewöhnlichsten Gestalten der deutschen Literatur. Seine Abenteuerromane spielen in exotischen Ländern, im Orient, der Südsee und Amerika. In seinen Reiseerzählungen gibt Karl May vor, das von ihm Geschriebene auch selbst erlebt zu haben. Und zum Beweis gibt’s Fotos in den verschiedenen Kostümen seiner Helden. In Wirklichkeit reist Karl May jedoch kaum. Fast alle seine Erzählungen verfaßt er unter Zuhilfenahme seiner Bibliothek am Schreibtisch seiner Radebeuler Villa. Mays beliebteste Romane spielen Mitte des 19. Jahrhunderts in Amerikas Wildem Westen. Seine Leser begeistern sich für die Geschichten von dem edlen Freundespaar Winnetou und Old Shatterhand, die gemeinsam für den Frieden zwischen Weißen und Indianern kämpfen. Horst Wendlandt spürt: Er kann mit seinem Film nur einen Erfolg landen, wenn die Besetzung stimmt und das Publikum seinen Winnetou und seinen Old Shatterhand annimmt. In der Hoffnung, auch international punkten zu können, setzt er zudem auf den Starfaktor ausländischer Schauspieler. Schon bald kann er für Old Shatterhand Lex Barker gewinnen, der Johnny Weissmuller als Tarzan abgelöst hatte. Winnetou zu besetzen, ist schwieriger. Wendlandt sucht einen Schauspieler mit geheimnisvoller, exotischer Ausstrahlung. Zunächst denkt er an Christopher Lee, den er zu einem Casting einlädt. Doch das Dracula-Image von Lee paßt so gar nicht zum Bild des noblen und sanftmütigen Apachenhäuptlings. In Pierre Brice glaubt Wendlandt, endlich seinen Winnetou gefunden zu haben. Er zögert nicht lange mit einem Angebot.
Brice: Ich bekam einen Anruf von Olga Horstig, meiner Agentin in Paris: „Horst Wendlandt interessiert sich für dich und möchte dir eine Rolle in einem seiner nächsten Filme anbieten.“ Ich fragte: „Was für ein Film?“ – „Ein Western.“ – „Und was ist das für eine Rolle?“ – „Ein Indianer.“ Ich dachte daran, wie die Amerikaner die Indianer in ihren Western darstellten, und sagte Olga, daß ich an einer solchen Rolle nicht sonderlich interessiert bin. Da erwiderte sie: „Pierre, wenn Sie das Glück haben, diese Rolle zu bekommen, garantiere ich Ihnen eine große Karriere in Deutschland.“
„Der Schatz im Silbersee“ (1962)
Eher schlecht als recht überzeugt und ohne die Popularität Karl Mays in Deutschland zu kennen, macht sich Pierre Brice auf zum Drehort. Als er am Set eintrifft, sind die Vorbereitungen in vollem Gange.
Brice: Meinen ersten Drehtag werde ich nie vergessen. Damals konnte ich kein Wort Deutsch. Ich stand da, und Harald Reinl erklärte mir die Szene, die wir drehen sollten. Ich war stolz wie ein Pfau – auf mein Indianerkostüm, auf mein herrliches Pferd, eben auf alles. Reinl sagte: „Gut, wir fangen an.“ Ich stand abseits und hörte, wie Reinl rief: „Bitte Ton!“ Verdammt nochmal, meine Figur hieß Winnetou, und das klingt sehr ähnlich. Ich dachte: Verdammt, das ist dein Einsatz! Ich presche also im Galopp vor die Kamera, da hebt Reinl die Arme und ruft: „Pierre, wir müssen drehen. Wir haben keine Zeit für sowas!“ Das ganze Team lachte.
Das Schauspielerteam ist international und nicht immer einfach unter Kontrolle zu behalten. Die Fäden laufen bei Harald Reinl zusammen, einem ehemaligen UFA-Regisseur, der sein Handwerk bei Leni Riefenstahl lernte und sich bisher vor allem mit Kriegs- und Heimatfilmen hervorgetan hatte.
Mario Adorf, Schauspieler: Man nannte ihn damals eine „Bergziege“. Er war sehr fit für sein Alter – er war ja Mitte oder Ende 50 – und sehr robust. Für schauspielerische Feinheiten war er eigentlich nicht so zuständig.
Aber auf die Feinheiten kommt es Produzent Wendlandt auch gar nicht an. Vielmehr will er es den Italienern nachmachen: buntes, turbulentes Kino im Cinemascope-Format mit Massenszenen und viel Action. 3000 Statisten und 2500 Pferde kommen zum Einsatz. Mit 3,5 Millionen D-Mark gerät „Der Schatz im Silbersee“ zum teuersten Film der Nachkriegszeit. Entsprechend groß ist die Anspannung bei den Machern, als der Film am 12. Dezember 1962 im Stuttgarter Universum-Kino seine Uraufführung erlebt.
Brice: Bei der Premiere kam ich nicht aus dem Saal, so groß war der Andrang. Ein Polizist mußte mir seine Uniform leihen, damit ich das Kino verlassen konnte. Es war kolossal, einfach kolossal. Die Leute stürmten die Kinos! Zehn Millionen Zuschauer! Wendlandt war der neue König, die Popularität meines Kollegen Lex Barker bestätigt, und über mich schrieben die Zeitungen: „A Star is born“. Der Erfolg war so groß, daß wir gleich mit dem nächsten Film anfingen.
Karl-May-Film-Reihe
Die Karl-May-Filme sind eine wahre Goldgrube. Die Deutschen drehen jetzt mehrere Western pro Jahr. Ähnlich wie bei James Bond entwickelt sich eine ganze Serie mit dem heldenhaften Doppelpack Winnetou-Old Shatterhand. Die Filme schlagen sämtliche Rekorde und treffen das deutsche Publikum mitten ins Herz.
Petzel: Wenn man sich die amerikanischen Western anschaut, da geht es um Konflikte – Konflikte zwischen Männern, Konflikte zwischen Vater und Sohn oder zwischen zwei Brüdern. Oder Konflikte bei der Landnahme in Amerika. Im Karl-May-Western geht es um die große Männerfreundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand, das große Gefühl, und es geht um das Böse, um den Sieg über das Böse. Das ist sozusagen ein klassisches Märchenmotiv.
Barker: Es war sehr klug von den deutschen Filmleuten, sich auf das Motiv der Freundschaft zu konzentrieren. Ein Indianer und ein Westmann als Freundespaar, das war neu und hatte etwas Versöhnliches. Der Krieg lag ja noch nicht so lange zurück. Und das kam an in Deutschland, vor allem mit Helden wie meinem Vater und Pierre Brice.
Für die Deutschen, die unter dem Krieg gelitten hatten und sich die Schuld dafür gaben, hatten diese naiven und frischen Filme etwas sehr Wohltuendes. Ein positives Heldenpaar – das war genau das, was sie brauchten.
Petzel: Die Karl-May-Filme traten die Nachfolge der Heimatfilme an. Und die Heimatfilme waren in Deutschland besonders wichtig, weil sie den Nerv des Publikums trafen, weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg eben das Bedürfnis nach heiler Welt befriedigten. Und das taten die Karl-May-Filme auf ihre Weise auch, allerdings in verändertem Gewand, sozusagen auf modernisierte Weise. Sie waren Heimatfilme, weil sie das Gefühl der Zuschauer befriedigten, das Bedürfnis nach Sentiment. Und auf der anderen Seite zeigten sie auch Landschaft, schöne Landschaft, die gut für die Seele ist. Nur, es waren eben andere Landschaften, es war nicht mehr die Lüneburger Heide, nicht mehr der Schwarzwald, das kannten die Zuschauer jetzt. Aber Amerika, das kannten sie nicht. Und daß dieses Amerika in Kroatien lag, das war nicht so wichtig. Es sah eben aus wie Amerika.
Wendlandt dreht in Kroatien, weil er sich trotz des vergleichsweise hohen Budgets einen Dreh in Amerika nicht leisten kann. Er koproduziert mit einer jugoslawischen Filmgesellschaft, deren Location-Scouts ein gutes Gespür dafür haben, welche Landschaften den amerikanischen Weiten am nächsten kommen. Wichtiger als die Authentizität der Originalschauplätze ist ohnehin, den Geist Karl Mays nicht zu verraten. Welche Rolle spielt es da schon, daß sich unter dem Winnetou-Kostüm ein Bretone verbirgt?
Brice: Ein Professor hat einmal geschrieben, jeder Leser habe sein Bild von Winnetou. Aber nach diesem Film habe Winnetou für alle Leser nur noch ein Gesicht. Er schrieb auch, ich hätte Winnetou eine Seele gegeben. Tatsache ist, daß ich an den zweiten Film mit wesentlich mehr Begeisterung heranging, weil ich die Figur jetzt kannte. Es war für mich tatsächlich so etwas wie eine Begegnung.
Wie Brice den Winnetou spielt
Film für Film spielt sich Pierre Brice mit seinem Winnetou immer mehr ins Zentrum der Serie. Es gelingt ihm, dem Apachenhäuptling eine ganz eigene Aura zu verleihen. Im Einklang mit seiner Figur feilt er an kleinen Gesten und Charakteristika wie etwa dem geheimnisumwölkten Blick Richtung Horizont, dem Blick in die Ferne.
Brice: Der berühmte Blick in die Ferne wurde mein Markenzeichen. Und auch die Geste, die dann von allen nachgemacht wurde. Sie war eine Erinnerung an meine Pfadfinderzeit und bedeutete: Der Starke, also der Daumen, schützt den Schwachen, den kleinen Finger.
Adorf: Er hat ein Bild geschaffen, ein Bild von sich selber als Winnetou. Das ist manchmal ein bißchen statisch gewesen, aber man schaute gerne hin, weil er war natürlich sehr schön, und dieses Kostüm stand ihm wunderbar. Er hat da sich eingelebt. Er war die Figur.
Marie Versini, Schauspielerin: Für mich ist er in dieser Rolle einfach Winnetou, so wie ich Nscho Tschi war. Wir haben unsere Rollen nicht gespielt, wir haben sie gelebt, durch und durch. Ich glaube, Authentizität zahlt sich immer aus. Sie teilt sich mit, schafft Glaubwürdigkeit.
Petzel: Der Pierre Brice kam vor allem durch seine Körperlichkeit rüber. Damit meine ich jetzt nicht den nackten Oberkörper wie bei Sylvester Stallone, sondern allein durch sein Auftreten und sein Erscheinen. Erstmal sein markantes Gesicht, edel geschnitten wie das von einem Winnetou, seine grünen Augen, die sehr intensiv schauen konnten, und dann seine sparsamen Bewegungen. Man könnte zugespitzt sagen: Der wirkte vor allem durch das, was er nicht tat. Er war sehr zurückgefahren in seinen Bewegungen, und das war sehr eindrucksvoll. Der Winnetou, der steht zuerst mal, der steht da, der muß nicht groß agieren, sondern der wirkt durch seine Persönlichkeit. Den können Sie auf irgendeine Bergklippe stellen, und da muß er stehen mit seinem Gewehr, das ist das Tollste. Besser geht’s eigentlich nicht. Der kann von seiner Wirkung immer nur dann verlieren, wenn er mehr sagt als „Mein Bruder“ oder „Howgh“. Er hat ein paar Schlüsselwörter. Das reicht. Sobald er einen Vortrag halten würde, wäre er nicht mehr der Winnetou, dann würde er nicht mehr wirken.
Brice: Vor allem im ersten Film hatte ich nicht viel Text. Also ging ich zu Reinl, um mich zu beschweren. Ich sagte: „Hör mal, ich finde, ich habe zu wenige Dialoge.“ Er antwortete: „Genau das will ich. Genau so ist es gut.“ Da merkte ich, daß er recht hatte. Winnetou war eine Figur, die nicht zu reden, sondern zu handeln hatte. Winnetou ist die Rolle, die mein Leben verändert hat. Sie hat aus mir einen bekannten und populären Schauspieler gemacht. Und das ist noch heute so. Mein Publikum ist sehr treu.
Werbepartnerschaft mit der „Bravo“
Pierre Brice steigt zu dem deutschen Jugendidol der 60er Jahre auf. Mit beteiligt an seinem Erfolg: die Jugendzeitschrift „Bravo“, die sich nicht ganz uneigennützig zum Sprachrohr der Winnetou-Filme macht. Denn nichts in diesen Jahren steigert die Auflage so sehr wie Berichte und Fotos von dem charismatischen Apachenhäuptling.
Versini: Pierres Erfolg kann nur mit dem verglichen werden, was manche Popsänger erleben. Johnny Hallyday in Frankreich, die Beatles oder Gerard Philippe, als er beim Theatre National Populaire anfing. Einen solchen Erfolg hat nicht jeder Schauspieler. Es ist eine absolut einzigartige Erfahrung.
Petzel: Daß er sich so furios entwickeln würde zum Kassenmagneten, das war, vermute ich, selbst dem Produzenten vorher nicht klar und Pierre Brice sicher nicht.
Pierre Brice wird vom deutschen Publikum zum beliebtesten Schauspieler gewählt. Neun Jahre lang ist er die unangefochtene Nummer eins, weit vor seinen Landsmännern Delon, Belmondo, aber auch vor James Dean, Charlton Heston, Clint Eastwood und Sean Connery. Pierre Brice ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Der sanftmütige Franzose bringt die Deutschen zum Träumen. Ein echter Superstar. Und dementsprechend wird er von den Medien inszeniert. Die Karl-May-Filmserie ist finanziell ausgesprochen lukrativ und rettet die deutsche Kinoindustrie über die 60er Jahre. Winnetou wird zur Ikone, zum Werbeträger und zum Markenzeichen. Nur in einem geht Horst Wendlandts Rechnung nicht auf: Der erhoffte internationale Erfolg bleibt aus. Neben einer gewissen Verbreitung in Osteuropa sind die Karl-May-Filme in erster Linie ein Phänomen in den deutschsprachigen Ländern, und sehr zum Leidwesen von Pierre Brice bleibt er gerade in seinem Heimatland Frankreich ein Unbekannter.
„Winnetou III“ (1965) und der Publikumsprotest
Brice: Meine Lieblingsszene in den Winnetou-Filmen? Mein Tod. Als ich am Ende von „Winnetou III“ sterben mußte, sagte ich mir: Das war’s für mich mit Winnetou. Jetzt kann ich zurück nach Italien, wo ich bekannt bin. Und vielleicht werden mir die Franzosen irgendwann auch eine Rolle geben. Da erhalte ich einen Anruf von Horst Wendlandt: „Pierre, ich nehme das nächste Flugzeug. Ich muß mit dir reden.“
Battaglia: Das deutsche Publikum reagierte auf eine unglaubliche Weise. Nachdem ich Winnetou getötet hatte, schlossen sich für mich alle Türen. Ich hatte auf einmal keine Kontakte mehr. Und sobald ich auf eine Party kam, spürte ich ringsum echte Verachtung. Auch Menschen, die gebildet waren, die einen gewissen sozialen Status hatten, musterten mich verächtlich von Kopf bis Fuß. Das machte mich so verlegen, daß ich nicht mehr ausgegangen bin.
Angeführt von „Bravo“ organisiert das Publikum den Widerstand. Unter dem Motto „Winnetou darf nicht sterben“ tritt das Magazin eine Protestwelle gegen Produzent Wendlandt los. Unter dem Druck muß Wendlandt reagieren. Zur großen Verwunderung von Pierre will er ihn für weitere Filme verpflichten.
Brice: Er sagte: „Wir drehen wieder einen neuen Winnetou.“ – „Das geht doch nicht; ich bin gerade erst gestorben.“ – „Spielt keine Rolle. Wenn du morgen wieder über die Leinwand reitest, wird das Publikum keine Fragen stellen, warum du wiederauferstanden bist.“
Petzel: Karl-May-Filme haben einen religiösen Bestandteil. Und das ist eben der Winnetou. Der Winnetou ist nicht von dieser Welt, zumindest nicht ganz von dieser Welt. Er kommt aus dem Nichts, und er fährt am Ende auch empor, nachdem er sich für den Freund geopfert hat. Er ist eine Erlösergestalt, das ist das Entscheidende, ein bißchen Jesus ähnlich.
Nach dem Ausstieg von Lex Barker
Und wie Jesus auf die Erde, kehrt auch Winnetou auf die Leinwand zurück. Neue Filme entstehen. Doch einiges ist nun anders. Allen voran die Tatsache, daß Old Shatterhand nicht mehr an der Seite von Winnetou reitet. Die Blutsbrüder gehen getrennte Wege. Alternde US-Westernhelden wie Rod Cameron und Stewart Granger ersetzen Lex Barker.
Barker: Mein Vater war Anfang der 50er Jahre schon einmal auf eine Figur festgelegt gewesen. Jetzt hatte er das Gefühl, daß ihm in Deutschland das gleiche passierte. Er sagte sich: Ich spiele diese Rolle schon zum vierten oder fünften Mal. Ich werde in Europa ewig Old Shatterhand bleiben. Also steige ich lieber aus, gehe in die USA zurück und versuche, dort etwas Neues zu finden.
Und noch etwas ist anders: Die Deutschen sind nicht mehr die einzigen in Europa, die Western drehen. Auf der anderen Seite der Alpen, in Italien, interpretieren Regisseure wie Sergio Leone und Sergio Corbucci das Genre ganz auf ihre Weise. Mit den edelmütigen Helden der Karl-May-Filme haben Django und Konsorten allerdings wenig gemein. Wobei es die Spaghetti-Western ohne die Sauerkraut-Western wahrscheinlich nie gegeben hätte.
Petzel: Die Italiener haben gesehen: Die Deutschen haben da großen Erfolg mit ihren Karl-May-Filmen. Laßt uns das auch mal versuchen. Wir können das auch, und wir können das vermutlich besser. Und sie konnten es tatsächlich besser, nämlich auf einer international vermittelbaren Ebene. Die italienischen Westernproduktionen wurden nämlich, anders als die deutschen Karl-May-Western, internationale Erfolge. Später guckte dann auch Horst Wendlandt den Italienern etwas ab. Er wollte dann ein bißchen abkupfern, was die italienischen Filme so erfolgreich machte. Das transportiere ich mal in die deutschen Karl-May-Filme. Er reicherte sie mit Actionelementen an, ein Schuß Brutalität, ein Hauch von Zynismus in den letzten Filmen, und scheiterte damit grandios, denn das wollte kein Karl-May-Fan sehen, das paßte nicht zum romantischen Winnetou.
Die Serie dümpelt vor sich hin. Neu engagierten Regisseuren wie Action-Spezialist Alfred Vohrer gelingt es nicht, die Karl-May-Filme weiterzuentwickeln. Sie sind in einer ästhetischen Sackgasse gelandet.
Brice: Ich glaube, es wäre amüsant gewesen, einen Karl-May-Film mit Sergio Leone zu drehen. Vielleicht wäre ich dann heute so bekannt wie Clint Eastwood.
Ende der Karl-May-Film-Reihe
1968 fällt die Klappe für den letzten Karl-May-Film, für den sogar Lex Barker noch einmal zurückkommt und Harald Reinl die Regie übernimmt. Doch auch der Rückgriff auf die frühere Erfolgsformel bringt nichts mehr.
Petzel: Und 1968 war Schluß. Und da waren diese Filme tatsächlich schon unzeitgemäß. Sie paßten nicht mehr in die Landschaft. In die Zeit rein paßte eben gerade der Protest. Die Jugendlichen standen auf und lehnten die Autoritäten ab, wendeten sich gegen die Väter, und die Karl-May-Filme jener Zeit propagierten ja eher ein rückwärtsgewandtes Menschenbild oder Weltbild, die heile Welt. Das war nicht mehr kompatibel. Und 1968 gingen in die Karl-May-Filme eigentlich nur die Zurückgebliebenen. Die Avantgarde, die hörte die Beatles oder noch besser die Rolling Stones und ging inzwischen in ganz andere Filme.
Pierre Brice nimmt eine Auszeit und zieht sich zurück. Es wird still um ihn. Anfang der 70er stürzt das Farbfernsehen die Kinowirtschaft in eine tiefe Krise. Pierre Brice, der sich nach einer neuen Herausforderung umschaut, versucht, in dem neuen Medium Fuß zu fassen. Er wird für „Star Maidens“ engagiert, eine deutsch-britische Science Fiction-Serie. Für Pierre eine Chance, sein Indianer-Image abzustreifen.
Fernsehserie „Star Maidens“
Krüger: Ich glaube, daß diese „Star Maidens“, also diese Mädchen aus dem Weltall, damals dem Zeitgeist der Mitt-70er-Jahre entsprochen haben, daß Frauen diese dominanten Rollen und Männer die Frauenrollen übernehmen als Resultat der ganzen 68er-Revolution und so weiter. Was wahrscheinlich der Pierre Brice gar nicht wollte: Er war dadurch erneut in einem Trend. Ich weiß gar nicht, ob er mit dem Image des Winnetou brechen wollte. Ich glaube, das war eine Rolle, die man ihm angeboten und die er dann angenommen hat. Ich weiß gar nicht, ob er neben dem Winnetou sehr viele Rollenangebote hatte.
Gerade das deutsche Publikum kann mit seiner Entscheidung, sich in fremde Galaxien abzusetzen, wenig anfangen und straft seinen Versuch, die Rolle zu wechseln, mit Ignoranz. An seine früheren Erfolge zumindest kann er nicht anknüpfen. Pierre Brice spürt: Um sein Publikum, seine Fans wieder zu fesseln, bleibt ihm nur eine Wahl.
Petzel: Naja, das ist schon eine gewisse Tragik für einen Schauspieler, so auf eine Rolle festgenagelt zu sein, der er praktisch nicht mehr entfliehen kann. Das hat ihn sicher belastet, und er hat nach anderen Herausforderungen gesucht, aber die eben leider nicht gefunden. Dafür war der Erfolg zu stark. Er wurde zu sehr identifiziert, und das Publikum sah eben hinter jeder Rolle den Winnetou.
Brice: In Deutschland bin ich in einer Art goldenem Käfig. Für die Filmleute war ich immer nur der Winnetou, was natürlich auch sehr bequem für mich war. Ich habe eine negative Seite, aber die positive überwiegt doch bei weitem.
Brice bei den Karl-May-Festspielen und in „Mein Freund Winnetou“ (1980)
1976, acht Jahre nach seinem letzten Film, kommt es endlich zu Winnetous heiß ersehntem Comeback. Brice wird von den Karl-May-Festspielen im sauerländischen Elspe engagiert. Den ganzen Sommer über spielt er auf einer großen Freilichtbühne bis zu zweimal am Tag den großen Apachenhäuptling. Der neue Winnetou ist ein Winnetou zum Anfassen. Der Leinwandheld ist Fleisch geworden.
Brice: Ich war neugierig, ob Winnetou noch immer so populär war. Auch die Vorstellung, wieder auf einem Pferd zu sitzen und die alte Rolle zu spielen, reizte mich. Und ich wollte wissen, wie das Ganze bei einem Live-Publikum ankommen würde – auf einer 100 Meter breiten Freilichtbühne mit 200 Laiendarstellern. Und schon bei der ersten Vorstellung merkte ich, daß Winnetou immer noch ein Erfolg und die Begeisterung für Karl May ungebrochen war. Danach habe ich Winnetou zehn Jahre lang gespielt. Der Applaus war sagenhaft. Ein außergewöhnlicher Triumph. Eines Tages kam ein französischer Produzent, um sich die Vorstellung anzusehen. Das brachte ihn auf die Idee, eine Fernsehserie zu drehen, die in Mexiko spielen sollte, also dort, wo die Apachen wirklich lebten. Und so drehten wir dann in Mexiko inmitten herrlicher Landschaften. Da die Serie von einem Franzosen gemacht wurde, nahm sie natürlich eine andere Dimension an, weit weg von der Naivität Karl Mays. Alles war viel realistischer und zeigte das echte Leben der Indianer. Auch die Kostüme waren viel authentischer. Für mich war diese Serie ein großer Erfolg. Die Deutschen mochten sie weniger, weil der naive Charakter der Karl-May-Filme fehlte. Trotzdem: Es bleibt meine Lieblingsserie.
Bis Anfang der 90er Jahre gibt Brice weiterhin auf Freilichtbühnen den Winnetou. Nach Elspe spielt er ab 1987 im norddeutschen Bad Segeberg. Dank Brice, der sich nur noch um Buch und Regie kümmert, verzeichnen die Bühnen Zuschauerrekorde. Denn Brice ist das Original. Neben ihm gibt es keinen anderen Winnetou. Er allein garantiert volle Ränge.
Barker: Für Pierre hatte es nur Vorteile. Dadurch blieb er ein Star, und die Legende lebte weiter. Er surfte eben auf der Welle, die ihn bisher getragen hatte. Als Schauspieler sage ich mir doch: Wenn ich irgendwo so populär bin und damit Geld verdiene und auch noch als Held verehrt werde, regelmäßige Arbeit habe und in Bad Segeberg die Bücher schreiben und Regie führen kann, da würde doch jeder, den man fragt, sagen: Na klar, warum denn nicht? Mach es! Er tat es, und ich glaube, viele Menschen sind ihm dafür sehr dankbar.
Brice als TV-Serien-Darsteller
Daneben etabliert Brice sich in deutschen Fernsehproduktionen. Er tauscht Silbersee gegen Wörthersee, wird ein gefragter Seriendarsteller und der Deutschen liebster Vorzeigefranzose. Auch in der Rolle des Pariser Pferdehändlers Blondeau schlägt er sich wahrlich tapfer. Wobei – es muß gesagt werden – durch die Herzen dann doch wieder Wehmut nach Winnetou weht.
Krüger: Hier haben die Leute gesagt: Wir können ihm keine andere Rolle geht, die völlig gegen den Typus geht. Daß er das selber logischerweise gern getan hätte, ist klar, aber das wollen alle Sympathieträger. Das gelingt ganz selten. Da müssen Sie schon sehr vielseitig sein, aber dann sind Sie auch nicht so der totale Star. Diese totalen, wirklichen Stars, die spielen in erster Linie immer sich selber oder letztlich immer die gleiche Rolle.
Petzel: Pierre Brice – er verkörperte diesen Winnetou, und das ist für einen Schauspieler ein großes Glück, eine große Gnade, also diese Rolle überhaupt einmal im Leben zu ergattern. Er verkörperte diesen Winnetou, er war ihm auf den Leib geschneidert. Ein Beweis dafür mag sein, daß es keinen Schauspieler bisher gegeben hat, der sich in dieser Rolle durchsetzen konnte, weil im Hintergrund… im Hinterkopf hat das Publikum immer nur Pierre Brice. Und gegen diesen Winnetou von Pierre Brice anzuspielen, das ist bis heute schier unmöglich.
„Winnetous Rückkehr“ (1998)
Pierre Brice hat als Winnetou jeden Kampf gewonnen. Er hat tapfer das Böse ausgeschaltet und für die Deutschen den Glauben an das Gute wiederhergestellt. Nur einen Kampf hat er verloren: Pierre Brice konnte machen, was er wollte – er blieb immer Winnetou. Und dafür wurde er verehrt und geliebt. 1998 heißt es dann: Spiel ihn noch einmal, Pierre. In dem Zweiteiler „Winnetous Rückkehr“ gibt Pierre Brice dem Wunsch seines Publikums nach und schlüpft im Alter von 68 Jahren noch einmal in die Rolle seines Lebens.
Brice: ich stehe jetzt im Herbst meines Lebens. Ich habe nicht alles gemacht, was ich gern getan hätte. Ich gehörte zu Beginn meiner Laufbahn keiner Clique an, und am Ende gehöre ich noch immer keiner an. Ich gehöre nicht ins Filmmilieu. Im Grunde habe ich eine sehr seltsame Karriere. Im Endeffekt hat das Schicksal meine Karriere bestimmt, ohne mein Zutun. Und weil ich an das Schicksal glaube, kann vielleicht noch jemand kommen und mir das anbieten, worauf ich warte.
Noch ein 30minütiges Frühwerk von Hartley: „Die Freundin des Kartographen“ (1987). Das ist der zugänglichste der drei Filme, was nicht bedeutet, daß er konventionell ist. Es geht tatsächlich um einen Kartographen (Steven Geiger) und eine Frau (Marissa Chibas), die vorübergehend seine Freundin ist. Sie taucht plötzlich in seiner Wohnung auf und benimmt sich so, als ob beide schon eine lange Beziehung hätten. Er interessiert sich eigentlich nur für Vermessungen und Karten, sie dagegen möchte ihre Liebe leben. Das ist ziemlich witzig inszeniert. Wiederum kommt aber keine richtige Beziehung zustande, und am Ende, als er endlich richtig Feuer gefangen hat, verläßt sie ihn, wobei weder ihr Auftauchen noch ihr Abgang irgendwie nachvollziehbar wäre.
Auch hier bleibt Hartley seinem Stil weitgehend treu. Ich habe den Eindruck, er achtete genau darauf, daß sein Film nicht irgendwo bekannten Erzählmustern folgt. Ich finde es bemerkenswert, daß seine Arbeiten trotzdem nie verrätselt und angestrengt künstlerisch erscheinen. Mich würde jetzt interessieren, wie seine Filme rüberkommen, die normale Spielfilmlänge haben. Leider habe ich unmittelbar keine Möglichkeit, mir einen anzusehen. „Die Freundin des Kartographen“ hat einen ähnlichen Soundtrack wie „Kid“, wiederum ohne Angaben, woher die Musik stammt. Marissa Chibas ist Theaterschauspielerin und Filmemacherin in New York.
„Die große Lüge“ (1946) von Curtis Bernhardt wurde zum 75. Geburtstag von Glenn Ford ausgestrahlt. Etwas unpassend, denn es ist, auch wenn Ford eine Hauptrolle spielt, ganz klar ein Bette-Davis-Film. Ein Melodram, das Georg Seeßlen genauer als „woman’s film“ einordnet. Ich bin ziemlich sicher, daß ich ihn wegen Curtis Bernhardt aufgenommen habe. Kurt Bernhardt war ein deutscher (jüdischer) Regisseur, der 1933 während der Dreharbeiten zu dem Science Fiction-Film „Der Tunnel“ nach Frankreich und später nach Hollywood floh, wo er zahlreiche Melodramen drehte. Er führte übrigens auch Regie bei dem ersten Film, in dem Marlene Dietrich als femme fatale auftrat: „Die Frau, nach der man sich sehnt“ (1929). „Die große Lüge“ ist ein sehr interessanter, wenn auch reichlich verdrehter Film. Nicht der Typ „Lieblingsfilm“, aber einer, über den man ein bißchen nachdenken kann.
„Woman’s film“ bedeutet, daß es darum geht, daß und wie eine Frau ihr Glück findet. In der großen Zeit der Melodramen, den 1940er und 50er Jahren, konnte das nur bedeuten: Findet sie den Mann, mit dem sie in der Ehe glücklich werden kann? Aber immerhin: Ford ist hier beinahe zum Statisten degradiert, und Davis hat die emotionalen Dramen zum Ausdruck zu bringen, die sich in ihr abspielen. Zur Handlung: Sie spielt eine Doppelrolle, zwei Zwillingsschwestern, die sich zum Verwechseln ähnlich sehen, aber charakterlich völlig verschieden sind. Kate ist zurückhaltend, skrupulös und moralisch, Pat dagegen leichtlebig und oberflächlich. Auf einer Insel vor der Küste von Massachusetts lernt Kate Ford kennen, der dort auf einer Insel einen Leuchtturm wartet. Zwischen ihnen bahnt sich eine Romanze an, aber als Ford sie dann zum Essen einlädt, trifft er durch Zufall zunächst den Zwilling Pat. Pat durchschaut die Situation blitzschnell und schnappt mit ihrer lebenslustigen Art ihrer Schwester den gutaussehenden Mann vor der Nase weg. Als während des Essens Kate auftaucht, merkt Ford zwar, daß er mit der Falschen am Tisch sitzt, fühlt sich von ihr aber inzwischen stärker angezogen. Kate ist später Gast auf der Hochzeit, läuft aber verzweifelt davon.
Nach einiger Zeit treffen sich die Zwillingsschwestern wieder und beschließen, mit einem Segelboot zum Leuchtturm zu fahren. Sie geraten in ein Unwetter, und Pat fällt über Bord und ertrinkt. Kate will im letzten Moment ihre Hand ergreifen, kann aber nur ihren Ehering festhalten. Sie selbst wird gerettet und zum Leuchtturm gebracht. Als sie aus einer Ohnmacht erwacht, merkt sie, daß alle sie wegen des Eherings für Pat halten. Sie sieht die Chance, in der Rolle ihrer Schwester Ford doch noch zu gewinnen. Allerdings muß sie feststellen, daß sich Ford ihr gegenüber sehr reserviert verhält. Nach und nach kommt heraus: Pat hat ihr bisheriges Leben mit schnell wechselnden Liebhabern auch nach der Hochzeit fortgesetzt, während er einen ungeliebten Job annahm, nur weil sie von ihm einen höheren Lebensstandard erwartete. Sie hatten sich schon auf die Scheidung geeinigt. Wieder ist Kate verzweifelt – sie glaubt, die erneute Trennung von Ford nicht verhindern zu können. Erst als ein wohlmeinender Onkel, der sie als einziger durchschaut hat, sich ihrer annimmt und an sie appelliert, Ford die Wahrheit zu sagen, findet sie den Mut, reinen Tisch zu machen. Und im selben Augenblick merkt Ford, daß er Kate doch mehr liebt als Pat…
Diese Story ist natürlich hanebüchen, aber man ist versucht zu überlegen: Was soll da symbolisiert werden? „Die große Lüge“ hat etwas vom Aschenputtel-Märchen. Zudem ist eine Frau hier offenbar in die gute und die böse Frau gespalten. Vielleicht müssen alle bösen Eigenschaften erst „untergehen“, bevor Bette Davis zu einem glücklichen Leben mit dem Mann ihrer Träume in der Lage ist? Immerhin geht es im Kern um die Lebensentscheidung, die sie trifft; sie wird nicht, wie in den meisten Hollywoodfilmen jener Ära, nur geheiratet, ohne groß gefragt zu werden. Oder handelt es sich hier doch nur um eine unwahrscheinliche Geschichte, die nur extreme Gefühle auf die Spitze treiben soll? Auf jeden Fall ist der Film technisch ziemlich gut, vor allem die Split-Screen-Trickaufnahmen, in denen Bette Davis doppelt auftritt und die ich teilweise noch immer verblüffend finde. Davis spielt die beiden Schwestern, die exakt gleich aussehen, in ihrem Verhalten unterscheidbar, was nicht einfach gewesen sein dürfte. Raffiniert finde ich, wie sich die Szene wiederholt, in der eine Schwester irrtümlich für die andere gehalten wird und dann auch in diese Rolle schlüpft – erst Pat, dann Kate. Der Film kommt jedoch nie dahin, daß man ihm beim Betrachten die Irrungen und Wirrungen nicht mehr abnimmt, was für mich den versierten Regisseur verrät.
Diese Warner-Produktion (möglicherweise hat Bette Davis selbst mitproduziert) gewann zwar keine Preise, war aber ein box office-Hit, was dafür spricht, daß auch die Zuschauer, in diesem Fall wohl vor allem Zuschauerinnen, in dem Film etwas fanden, was sie ansprach.
Zurück zur Nouvelle Vague und zu einem ihrer wichtigsten Vertreter. Von Claude Chabrol habe ich leider kein richtungweisendes Frühwerk, sondern nur zwei Filme aus seiner späteren Schaffenszeit. Beginnen wir mit „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“ (1974), der interessanterweise auf Vox lief – ohne Werbeunterbrechungen. Man könnte sagen, Chabrol macht hier einen typischen Stoff des Film noir zu einem Woman’s Film. Denn auch hier steht eine Frau ganz im Mittelpunkt: Romy Schneider. Chabrol behält zwar die Krimistruktur und ihre Spannungsmomente bei, aber ihm geht es darum, seine Heldin in einem Geflecht von männlichen Interessen, Betrachtungsweisen und Handlungen zu zeigen. Das wird dadurch besonders hervorgehoben, daß sie die einzige Frau ist, die in dem Film vorkommt. Chabrol, so ist zu lesen, hat aus seiner Romanvorlage („The damned Innocents“ von Richard Neely) alle anderen Frauenrollen konsequent entfernt. „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“ gilt allgemein als ein schwächerer Chabrol-Film, aber mir hat er recht gut gefallen.
Romy Schneider, verheiratet mit einem älteren, reichen Geschäftsmann (Rod Steiger), lernt einen jungen Mann (Paolo Giusti) kennen, der auf dem Grundstück ihrer Villa in St. Tropez nach seinem weggeflogenen Drachen sucht, und macht ihn zu ihrem Liebhaber. Steiger ist Trinker und impotent, und sie will ihn schon seit langem loswerden. Von all dem hat er noch nichts mitbekommen; er begrüßt Giusti eher freundlich in seinem Haus. Die beiden schmieden einen Mordplan: Steiger wird bewußtlos geschlagen, Giusti bringt ihn auf seine Yacht, um ihn im Meer zu versenken. Aber auch er kehrt nicht wieder. Stattdessen beginnt die Polizei mit Ermittlungen und kommt der Affäre auf die Spur. Schneider muß vor dem Ermittlungsrichter erscheinen, aber ihr Verteidiger erreicht ihre Freilassung, weil die Beweise nicht ausreichen. Nicht zuletzt fehlt die Leiche von Steiger, und von Giusti ist nur das Wrack seines verunglückten Autos aufgetaucht. Die Polizei bleibt an der Sache dran und stößt nach und nach auf weitere belastende Indizien. Aber es stellt sich auch heraus, daß Steiger kurz vor seinem Verschwinden sein gesamtes Vermögen versilbert und von der Bank abgehoben hat. Das paßt nicht zur Theorie der Ermordung durch seine Ehefrau.
Doch dann ein Schock: Steiger taucht unvermittelt wieder auf. Wie er erzählt, ist er nicht über Bord geworfen worden. Vielmehr hat er Giusti gezwungen, ein Geständnis zu schreiben, in das auch Schneider einbezogen ist, und ihn dann getötet. Hinterher hat er den Autounfall fingiert und den Verdacht auf seine Frau gelenkt. Aber Steiger hat sich geändert. Er hat mit dem Trinken aufgehört und ist auch wieder liebesfähig – er will Schneider vergeben und mit ihr in Martinique neu anfangen. Auch sie findet zu ihrer alten Liebe zu ihm zurück, aber dann erscheint auch Giusti wieder auf der Bildfläche. Steiger war in Wahrheit nicht imstande, ihn umzubringen. Giusti hat sich darauf an seine Fersen geheftet und heimlich beobachtet, wie er sich mit seiner Frau versöhnt hat. Giusti zwingt Steiger mit vorgehaltener Pistole, sein Geld und das schriftliche Geständnis herauszugeben, und nun will er mit Schneider verschwinden. Sie geht darauf ein, und das trifft Steiger so sehr, daß er einen Herzinfarkt erleidet. Giusti und Schneider fahren davon, aber sie bittet ihn inständig, einen Arzt für ihren Mann zu rufen. Giusti hat dazu nicht die geringste Lust, stattdessen will er sofort mit ihr schlafen, was in ihr nur Ekel hervorruft. Im letzten Moment taucht die Polizei auf und nimmt beide fest. Giusti droht nun eine lange Haftstrafe, und Schneider muß wohl auch ins Gefängnis, ungeachtet dessen, daß sie versucht hat, ihren Mann zu retten. Steiger stirbt jedoch, bevor Hilfe eintrifft. Der Rechtsanwalt resümiert: „Wir leben in einer Männerwelt mit Gesetzen, die gemacht sind von Männern für Männer. Es ist die Gerechtigkeit der Männer.“
Mir hat der Film gefallen, weil es ein Krimi ist, der ganz entgegen den Genreregeln inszeniert wurde – ziemlich langsam, mit langen intensiven Einstellungen von Gesichtern, die Gefühle wiederspiegeln. Das mysteriöse Verbrechen und die komplizierten Ermittlungen erzeugen Spannung, aber Chabrol ist nur am Gezerre von Polizei, Justiz, Freunden und Liebhabern um Romy Schneider interessiert. Dabei hat sie allerdings selbst keinen Part, der große schauspielerische Leistungen erfordert. Sie ist noch immer einfach die femme fatale des alten Film noir. Im Gegensatz zu damals wird ihre Rolle hier aber sehr hinterfragt. Schneider hatte sich gewünscht, einmal mit Chabrol zusammenzuarbeiten, war dann von den Dreharbeiten jedoch enttäuscht: Sie „war immer eine Schauspielerin, die nur dann glänzende Leistungen brachte, wenn sie sich bei einem Regisseur aufgehoben fühlte“, schreibt Michael Jürgs in seiner Schneider-Biografie. Chabrol gab ihr jedoch kaum Regieanweisungen. „So spielt sie bei Chabrol in Routine und Schönheit“, fährt er fort, „doch ohne die Hingabe.“ Und er merkt an: „Wieder ist die Mischung von Sex und Gewalt an den Kinokassen erfolgreich.“ Chabrol wurde im übrigen häufig vorgeworfen, er neige dazu, „zu glatt“ zu inszenieren, und das sei ihm bei diesem Film auch passiert. Trotzdem ein ungewöhnliches und für mich auch sehenswertes Werk. Vielleicht wird der Unterschied zu Chabrols besseren Filmen noch deutlich, wenn ich mir den zweiten Film auf der Cassette ansehe.
Der zweite Chabrol-Film auf der Cassette ist „Die Fantome des Hutmachers“ (1982), und er wurde anläßlich des 65. Geburtstags des Regisseurs in 3sat gezeigt. Es ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Georges Simenon, also eines Non-Maigrets. Ich vermute, daß Chabrol ihn ziemlich werkgetreu umgesetzt hat. Ob sich dieses Werk zur Verfilmung eignet, halte ich jedoch für fraglich. Es ist ein stiller Blick in einen tiefen bürgerlichen Abgrund, aber der Geschichte fehlt es deutlich an Spannung – von der letzten Viertelstunde im Film abgesehen. Unbestreitbar entfaltet er seine Wirkung, und die Schauspieler – diesmal alles französische Charakterdarsteller – sind sehr gut, aber es macht sich dennoch über weite Strecken Langeweile breit.
Michel Serrault, der Hutmacher, hat seine an den Rollstuhl gefesselte Frau umgebracht, die ihm viele Jahre lang das Leben zur Hölle gemacht hat. Er vertuscht den Mord, indem er sie anscheinend im ehelichen Schlafzimmer einschließt und sie nur selbst aufsucht. Tatsächlich sitzt nun eine Schaufensterpuppe im Rollstuhl, die er aber abends ans Fenster schiebt; Beobachter ihrer Silhouette müssen glauben, sie sei noch am Leben (das erinnert ein wenig an Hitchcocks „Psycho“). Direkt gegenüber seinem Hutgeschäft befindet sich der Schneider- und Bekleidungsladen von Charles Aznavour, eines Außenseiters in der kleinen Stadt. Der argwöhnt, daß mit Serraults Frau etwas nicht stimmt, und verfolgt ihn stets, wenn er das Haus verläßt, kann aber die Wahrheit nicht aufdecken. Damit der Mord wirklich unentdeckt bleibt, muß Serrault nach und nach auch die sieben Freundinnen seiner Frau töten, die sie sonst regelmäßig besuchen. Ihre Leichen werden gefunden, aber die Polizei tappt im Dunkeln. Die siebte ist allerdings schon eines natürlichen Todes gestorben, als er sie aufsucht, um sie zu erdrosseln.
Nun denkt er, er könne mit dem Morden wieder aufhören. Je sicherer Serrault ist, daß Aznavour ihm nicht an den Karren fahren kann, desto mehr freundet er sich mit ihm an. Und der macht keine Anstalten, Serrault an die Polizei zu verraten. Doch Aznavour wird schwer krank und stirbt ebenfalls. Nun gibt es niemanden mehr, der Serrault verdächtigt. Er kann freilich keineswegs mit dem Töten aufhören. Zuerst ermordet er sein Dienstmädchen (Christine Paolini), das ihm durch Naivität und Dummheit auf die Nerven fällt. Dann trifft es eine alleinstehende Frau (Aurore Clement), die er in der Nacht aufsucht, um sich von ihr trösten zu lassen, und die ihn eigentlich lieber abweisen würde. Während Serrault das erdrosselte Dienstmädchen noch sorgfältig im Zimmer seiner Frau versteckt hat, wird er nun unvorsichtig. Eine Besucherin entdeckt ihn am Morgen schlafend in der Wohnung der Frau und ihre Leiche neben sich.
Die Inhaltsangabe zeigt, daß „Die Fantome des Hutmachers“ kein richtiger Krimi ist: Der Mörder ist nach kurzer Zeit bekannt, die Ermittlungen führen aber nicht zum Ziel, sondern Serrault enttarnt sich am Ende quasi selbst. Er ist kein Meisterplaner, sondern erweist sich schließlich als mit seiner Mordserie überfordert. Natürlich ist der Film von einem leisen Grauen durchzogen, und Chabrol entlarvt hier wieder einmal die Selbstgerechtigkeit und Doppelmoral des (französischen) Kleinbürgertums. Aber die Geschichte wird so dargeboten, daß sich das Interesse des Zuschauers nirgendwo richtig festhalten kann, auch wenn viele der einzelnen Szenen exquisit inszeniert sind. Ich vermute, daß Chabrol der konventionellen Kriminalgeschichten überdrüssig war und ihm deshalb der seltsame Roman von Simenon gerade recht kam.
Warner Bros. Vorfilme
BATMANS RÜCKKEHR und LETHAL WEAPON 3 (VHS)
Falls jemand noch irgendwelche "versteckten" Looney Tunes als Vorfilm auf VHS findet, gerne hier melden.
Mögliche, noch nicht geprüfte Kandidaten wären die Verleih-Versionen von "Passagier 57" und "Die unendliche Geschichte 2".
Bislang bekannt:
"Water, Water Every Hare"
VHS - BATMANS RÜCKKEHR
mit Joachim Kaps (Bugs Bunny), Peter Matic (verrückter Wissenschaftler)
"Duck! Rabbit! Duck!"
VHS - LETHAL WEAPON 3
mit Joachim Kaps (Bugs Bunny), Uwe Paulsen (Elmer Fudd), Dieter Kursawe (Daffy Duck)
Da gibt es offenbar zwei Joachime Kaps.
Nachdem ich mich kürzlich mit Bette Davis beschäftigt habe, bin ich auf einen weiteren Film mit ihr gestoßen. Es ist der Film, in dem sie erstmals als Star eingesetzt wurde: „Spätere Heirat ausgeschlossen“ (1933) von Robert Florey. Ich habe ihn sicher aus diesem Grund aufgenommen. Er ist allerdings keineswegs ein Highlight ihrer Karriere und bestenfalls gesellschafts- und vielleicht noch filmhistorisch von Interesse. Ich glaube, dieses Melodram, das manchmal fälschlich auch als Komödie bezeichnet wird, ist einer der schlechtesten Filme in meiner Videosammlung. Doch ich habe mich nicht dazu durchringen können, die Cassette einfach wegzuwerfen, zumal eine ziemlich gute Fernsehfassung von Lorcas Drama „Bernarda Albas Haus“ mit drauf ist (Fernsehfilme werde ich allerdings hier nicht besprechen).
„Spätere Heirat ausgeschlossen“ hat eine Vorgeschichte. Der Film gilt als Remake von Archie Mayos „Illicit“ (das bedeutet „verboten“) von 1931 mit Barbara Stanwyck. Das scheint ein ganz flotter Film zu sein – es sieht so aus, als gebe es davon keine deutsche Fassung; ich habe ihn nie gesehen. Beide Filme wurden noch vor Einführung des Production Code produziert. Sie behandeln das Thema „Ehe ohne Trauschein“, was Anfang der 1930er Jahre in der amerikanischen Gesellschaft noch keine anerkannte Form des Zusammenlebens war. Die Hauptdarstellerin (Stanwyck/Davis) wird aber nicht als unmoralisch charakterisiert, womöglich gar als femme fatale. Und es wird, jedenfalls in dem Bette-Davis-Film, sehr ernsthaft und eingehend erklärt, warum es für eine Frau wünschenswert sein kann, auf die Ehe zu verzichten. Es war damals ein Aufregerthema, aber es war kein Skandalfilm. Die Zensur griff nur ein, wenn die Institution Ehe herabgewürdigt oder nichteheliche Sexualität gefeiert wurde – davon gibt es hier keine Spur. Bette Davis ist eine erfolgreiche New Yorker Grafikerin, die mit einem ebenso erfolgreichen Leiter einer Werbeagentur (Gene Raymond) liiert ist. Er möchte sie gern heiraten, aber sie will nicht – sie will ihre Unabhängigkeit behalten und will auch keine Kinder.
Als ihr Vater furchtbar Krach schlägt (ihre Mutter steht bezeichnenderweise stumm daneben), gibt sie nach und heiratet Raymond. Danach besteht Davis darauf, mit ihm in Flitterwochen fahren, obwohl er gerade viel zu tun und ein ungutes Gefühl hat. Als sie zurückkehren, hat er einen wichtigen Auftraggeber verloren und gerät in finanzielle Schwierigkeiten. Davis verdient mit ihren Illustrationen immer noch viel Geld und meint, sein wirtschaftlicher Abstieg sei nicht so schlimm. Aber er fühlt sich gedemütigt und willigt heimlich ein, mit einer alten Freundin auszugehen. Als Davis dahinterkommt, tröstet sie sich mit einem Treffen mit einem verheirateten Mann, der schon lange hinter ihr her ist. Zwischendurch sprechen sich Davis und Raymond mehrmals aus und versuchen, ihre Beziehung wieder zu kitten. Aber erst ganz zum Schluß merken sie, daß sie wirklich niemand anderen lieben, und versöhnen sich.
Nach Meinung von US-Kritikern erreicht der Film den Esprit von „Illicit“ bei weitem nicht. Das ist gut möglich, denn „Spätere Heirat ausgeschlossen“ ist jedenfalls aus heutiger Sicht ziemlich langweilig. Es ist ein Thesenfilm – es passiert nichts Unanständiges (keine Seitensprünge – offenbar gehen die beiden Pärchen nur miteinander aus). Es soll nur ein Modell des Zusammenlebens durchgespielt und durchdiskutiert werden. Darüber hinaus wirkt es auf mich so, als bestünde die These darin, daß man, wenn man nicht verheiratet ist, nur schöne Erlebnisse miteinander hat – sobald es mal schwierig wird, kann man den Partner fallenlassen und woanders Zerstreuung suchen. So kann aber, denke ich, auch eine wilde Ehe nicht funktionieren. Vielleicht zeigt der Film, daß man damals allgemein noch wenig Erfahrung mit der Sache hatte.
Robert Florey, ein aus Frankreich stammender Kinopionier, inszeniert dieses kleine Kammerspiel (nur 65 Minuten lang) routiniert. Die Schauspieler agieren professionell, und Bette Davis macht tatsächlich keine schlechte Figur. Ansonsten ist der Film weit überholt und hat nichts mehr zu sagen. Immerhin hat er seinen Zweck erfüllt: Er wurde zum Startpunkt der großen Filmkarriere von Bette Davis – die allerdings zu diesem Zeitpunkt noch blond war und ihren hypnotischen Blick aus großen Augen nur hin und wieder einmal zeigte.
Der Titel des nächsten Films sagte mir nichts mehr: „Hölle ohne Helden“. Er ist bekannter unter seinem Originaltitel „Ghosts… of the Civil Dead“ (1988). Regisseur ist John Hillcoat. Die australische Produktion war in Deutschland kaum im Kino zu sehen, nur bei den Hofer Filmtagen. 1990 kam der Film ins Fernsehen; ich habe hier eine Ausstrahlung des ZDF. Als Unterhaltung läßt sich das kaum noch bezeichnen. Der Fischer Film Almanach spricht von einer „notwendigen Zumutung“. Es geht um unmenschliche Zustände in einem australischen, privat betriebenen Hochsicherheitsgefängnis, und die mir zugänglichen Kritiken sprechen davon, daß der Film dokumentarische Qualität hat. Es gibt aber weitere Aspekte, die das Werk diskussionswürdig machen. Regisseur Hillcoat drehte ursprünglich Videoclips für Rockmusiker, und deshalb sind auch hier einige von ihnen beteiligt. Nick Cave und Hugo Race schrieben am Drehbuch mit, Cave, Mick Harvey und Blixa Bargeld („Einstürzende Neubauten“) lieferten den Soundtrack, und Cave ist zudem Nebendarsteller – ein psychopathischer Häftling. Es gibt ein paar Kinoregisseure, die vom Musikclip her kommen; spontan fällt mir Spike Jonze („Being John Malkovich“) ein. Hillcoat inszeniert jede Szene auf den Effekt hin, was in meinen Augen nicht unbedingt eine gute Sache ist.
Obwohl „Ghosts“ fast ausschließlich von Gewalt in diesem Gefängnis handelt, muß man dem Regisseur bescheinigen, daß er diese Gewalt nicht ästhetisiert, ja, oft gar nicht zeigt. Vielmehr findet sie zu einem Gutteil in erklärenden Zwischentiteln statt. Ansonsten wird sie als blutig, schmerzhaft und erniedrigend gezeigt. Außerdem verzichtet Hillcoat auf Identifikationsfiguren. Überhaupt ist schwer auszumachen, wer von den Gefangenen oder vom Wachpersonal Haupt- und Nebenrollen spielt. Sie alle haben ihre Eigenheiten und Macken, aber es wirkt eher zufällig, wer von ihnen gerade ins Bild kommt. Die Philosophie der Gefängnisleitung (die natürlich nicht selbst in dem Gefängnis Dienst tut) ist offenbar, die Gefangenen zu Widerstand und Gewalt zu reizen, um einen Vorwand zu haben, Sicherheitsvorkehrungen und Repressionen immer mehr zu verstärken. Den kalkulierten Schikanen fallen zunächst Häftlinge, später auch Wachleute zum Opfer. Manche Gefängnisinsassen werden vorzeitig entlassen, um auf diese Weise Druck vom Kessel zu nehmen, aber sie können dann draußen mit der Gewalt nicht mehr aufhören. Eine dramatisierte Handlung im eigentlichen Sinn hat der Film nicht. Ich finde, das ist ein bemerkenswertes Experiment, und manche Stilmittel des Films hatten sicher Einfluß auf folgende Actionfilme.
Obwohl der Film der Situation in realen (australischen) Gefängnissen genau nachempfunden zu sein scheint, erhält man doch nur ausschnittsweise Eindrücke von den Verhältnissen. Manches bleibt einfach ausgespart: Die Gefangenen haben nie Besuch, man sieht sie nie essen, es scheint keine medizinische Versorgung zu geben, und es bleibt ziemlich unklar, wie der schwunghafte Drogenhandel hinter Gittern funktioniert und woher die Häftlinge die Wertgegenstände haben, mit denen sie jeweils bezahlen. Das ist die Folge der Zuspitzung, derer sich Hillcoat befleißigt. Wie das Leben in diesem Gefängnis wirklich ist, bekommt man eben doch nur verzerrt mit. Der Katholische Filmdienst bezeichnet „Ghosts… of the Civil Dead“ als „eine zum Gespräch anregende düstere Zukunftsvision“. Tatsächlich liegt dem Film aber ein Tatsachenbericht zugrunde: das Buch „Mitteilungen aus dem Bauch der Hölle“ von Jack Henry Abbott. Allerdings kann man bei wikipedia nachlesen, daß Abbott mit seinem eigenen Leben keine Argumente für einen milderen Strafvollzug lieferte.
Den folgenden Film habe ich 1984 im Kino gesehen. In meiner Stadt wurde ein neues Kinocenter eröffnet, und zum Start gab es Alfred Hitchcocks Vermächtnis, jene fünf Filme, die der Meister 1960 aus dem Verkehr gezogen hatte als eine Art Versicherung für seine Tochter Patricia. Sie waren 1983 in USA erstmals seit mindestens 25 Jahren wieder öffentlich gezeigt worden: „Der Mann, der zuviel wußte“, „Das Fenster zum Hof“, „Vertigo“, „Immer Ärger mit Harry“ und „Cocktail für eine Leiche“ (1948), der Film, den ich jetzt ausgewählt habe. Sie wurden fast alle noch einmal zu Kassenerfolgen. Ein Jahr später liefen sie auch in deutschen Kinos wieder an. Ich glaube, ich habe sie damals alle gesehen, denn Hitchcock auf der großen Leinwand ist etwas anderes als im Fernsehen. „Cocktail für eine Leiche“ ist ein eigenartiger Film, besonders in technischer Hinsicht. Ich habe ihn in den 1990er Jahren aufgenommen (bei RTL 2!), und ich muß sagen, obwohl man einige Einwände gegen die Machart erheben kann, konnte ich mich seiner Faszination nicht ganz entziehen.
„Cocktail für eine Leiche“ basiert auf einem Theaterstück von Patrick Hamilton, und Hitchcock filmt das Ganze wie Theater. In eine Filmkamera paßte damals nur ein Film von etwa zehn Minuten Länge. Der Regisseur tut aber so, als würde er 20minütige Sequenzen ohne Schnitt drehen – es ist also wirklich beinahe abgefilmtes Theater. Wegen der kurzen Filmrollen richtete er nach zehn Minuten die Kamera auf den schwarzen Rücken eines Schauspielers, so daß es so wirkt, als hätte er durchgehend weitergedreht. Daß es in dem Film überhaupt keine sichtbaren Schnitte gibt, ist eine Legende. Für die Filmschauspieler ist es allemal eine besondere Leistung, zehn Minuten lang durchzuspielen und auch alles, was passieren soll, in diesen zehn Minuten exakt unterzubringen. Und es gibt eine weitere Schwierigkeit: Eine Filmkamera war damals mit dem Gestell, auf dem sie befestigt war, ungefähr mannsgroß. Hitchcock stellte sie nicht an einem festen Standort, sondern ließ sie in der Kulisse herumfahren. Die Kulissenwände mußten dafür – für den Zuschauer unsichtbar – verschoben werden, und auch das mußte exakt getimet sein.
Diese Inszenierungsweise bewirkt, daß Erzählzeit und erzählte Zeit identisch sind. Dazu ließ sich Hitchcock etwas Originelles einfallen: Der Film spielt in einem Loft in New York. Durchs Fenster sieht man ein Stück der Skyline und den Himmel. Während der Handlung wird es Abend, der Himmel wird erst rot und dann dunkel, und die benachbarten Wolkenkratzer verwandeln sich in schwarze Silhouetten mit allmählich beleuchteten Fenstern. Hitchcock drehte natürlich im Studio; er ließ die Skyline im Modell nachbilden und so beleuchten, daß der Effekt einbrechender Dunkelheit entsteht. Technisch ist der Film also ein Wunderwerk, für das mir in der Filmgeschichte kein Vergleich bekannt ist. Eine äußere Handlung gibt es fast nicht: Zwei Freunde (John Dall, Farley Granger) ermorden einen früheren Klassenkameraden, ähnlich wie in „Raskolnikow“ nur, um zu demonstrieren, daß das intellektuell und kulturell überlegenen Menschen erlaubt ist. Dall lädt in überheblicher Weise anschließend Freunde des Mordopfers und sogar dessen Eltern zu einer Party ein, während der Tote in einer Kiste liegt, auf der ein kaltes Büffet aufgebaut ist. Granger macht zwar mit, ihm schlägt aber das Gewissen. Niemand bemerkt etwas von dem zynischen Spiel – abgesehen vom ehemaligen Lehrer der jungen Männer (James Stewart), der ihnen mit einer Debatte über Nietzsches Übermenschen unfreiwillig die Anregung gab. Am Ende überführt er sie.
Hitchcock erlaubt sich in seinem ersten selbst produzierten Film eine Menge makabrer Scherze mit der Situation und konzentriert sich ganz auf die Emotionen von Dall, Granger und Stewart. Dall bemüht sich nach dem Mord um große Kaltblütigkeit, während Granger immer nervöser wird und Stewart zunehmend Verdacht schöpft. Granger verliert schon nach kurzer Zeit die Fassung, so daß ich mich wundere, daß niemand sonst auf der Party etwas davon bemerkt. Dalls Selbstsicherheit wirkt aufgesetzt; er scheint von der Rechtmäßigkeit seiner Tat doch nicht so überzeugt zu sein, weil er um jeden Preis vermeiden möchte, daß er als Mörder entlarvt wird. Was mich auch stört, ist, daß die Party nach etwa einer Dreiviertelstunde bereits vorbei ist – sie muß eben in den Film passen. Auch Stewart geht nach Hause, kehrt aber gleich darauf unter einem Vorwand zurück, um Dall und Granger zu „verhören“. Das Hauptproblem des Films ist, daß die Technik wichtiger ist als die Handlung. Ich konnte nicht anders, als ständig darauf zu achten, wann der nächste offene Schnitt kommt und wann die nächste Filmrolle zuende ist. Von den Problemen der Kamerafahrten durch die Kulissen bekommt man nichts mit. Aber man ist von dem, was das Wichtigste sein sollte, dem Geschehen, immer wieder abgelenkt. Den meisten Zuschauern ist das aber offenbar nicht passiert. Der Film war ein Kassenerfolg.
Vielleicht sollte ich mal signalisieren, daß mir die "Thumbs up"s der letzten Zeit von Manutereyaq Mares durchaus auffallen.
Danke!
Ist halt schwierig, etwas Konkretes dazu zu sagen...
Ja, die Nummer mit den Daumen, die ist mir meist nicht gegenwärtig wenn ich deine Posts lese, da gehört aber in jedem Fall jedesmal mehr als einer dran.
Jetzt ist aber gut...
Filme von Frauen sind in meiner Sammlung, wie ich zugeben muß, stark unterrepräsentiert. Deshalb war ich sehr erfreut, daß ich in meiner Videosammlung doch mal wieder einen gefunden habe: „Frauen sind was Wunderbares“ (1994) von Sherry Hormann. Kurioserweise ist er nicht vom Fernsehen co-produziert, muß aber doch schon bald nach seiner Kinoauswertung in der ARD (in der Reihe „Wilde Herzen“) gelaufen sein. Ich denke, ich habe ihn hauptsächlich wegen Barbara Auer aufgenommen, die ich zu dieser Zeit gern im Fernsehen gesehen habe (im Kino hatte ich glaube ich nie das Vergnügen). Leider muß ich sagen, daß diese Komödie in meinen Augen mißglückt ist. Das ist nicht Auer anzulasten, sondern Hormann, die selbst das Drehbuch geschrieben hat, und das ist ziemlich unglaubwürdig und wirr geraten.
„Frauen sind was Wunderbares“ ist eine Beziehungskomödie, wie sie in den 1980er und 90er Jahren wohl gedreht werden mußte – nach dem großen Vorbild von Doris Dörries‘ „Männer“. Auch hier geht es um zwei ziemlich gegensätzliche Männer und eine Frau. Thomas Heinze, extrem extrovertierter Frauenheld, lernt in Hamburg Kai Wiesinger kennen, indem er ihn zweimal mit seinem Auto beinahe über den Haufen fährt. Wiesinger ist Unidozent, schüchtern, sensibel und gegenüber Frauen sehr reserviert. Außerdem ist er alleinerziehender Vater. Gegensätze ziehen sich offenbar an, und Heinze will Wiesinger vier Jahre nach der Trennung von dessen Frau als Freundschaftsdienst dazu bringen, sich wieder eine Freundin anzulachen. Eine Kandidatin ist Natalia Wörner, aber es klappt nicht. Heinze hat übrigens selbst gerade Beziehungsprobleme: Seine letzte Flamme – das ist Auer, und mit ihr hat er auch eine Tochter – will ihn nicht mehr sehen, weil sie von seinen Weibergeschichten endgültig die Nase voll hat.
Der Zufall schlägt zu: Wiesinger und Auer laufen sich in einem Waschsalon über den Weg, freunden sich an, und es stellt sich heraus, daß sie die Lehrerin von Wiesigers Sohn ist. Daß beide in gewissem Sinn auch durch Heinze miteinander verbunden sind, bleibt zunächst verborgen. Aber der nächste Zufall wartet schon: Wiesinger erzählt Heinze ausführlich, daß er sich frisch verliebt hat, und so kommt Heinze dahinter, daß es sich dabei um die Frau handelt, mit der er sieben Jahre lang (wahrscheinlich in einer dauernden On-Off-Beziehung) zusammen war. Dadurch lebt die alte Liebe wieder auf, und Heinze und Auer beschließen, nun doch zu heiraten. Wiesinger ist unendlich enttäuscht, aber sieht keinen anderen Weg, als still das Feld zu räumen. Seltsamerweise taucht Auer aber zum Hochzeitstermin nicht auf, denn irgendwie liebt sie auch Wiesinger. Heinze zuckt die Schultern, verreist und kehrt mit einer anderen Frau zurück (Anica Dobra), die er unterwegs spontan geheiratet hat. Was für Auer seltsamerweise ein Grund ist, sich mit Wiesinger zu zerstreiten. Große Verwirrung der Gefühle! Am Ende – fragt mich nicht, wie – finden Auer und Wiesinger aber doch wieder zusammen. Happy end.
Am liebsten hätte ich dieses schwache Drehbuch mit seiner dünnen Story irgendwelchen Fernsehredakteuren angelastet, aber dafür ist Hormann ganz allein verantwortlich. Sie versucht, das durch einen turbulenten Inszenierungsstil zu verschleiern. Es gibt zwar auch ein paar ruhige Szenen, aber meist müssen die Schauspieler so agieren, als ob sie unter ADHS leiden. Damit soll dem Publikum suggeriert werden, daß in diesem Film ungeheuer viel und viel Witziges passiert. Mein größter Kritikpunkt ist, daß sie weitgehend unmotiviert spielen. Über die Vergangenheit der Figuren erfährt man nur sehr wenig, ihr Charakter und ihre Handlungsweisen werden nur behauptet, aber nie schlüssig gemacht. Das gilt seltsamerweise auch für Barbara Auer, die immerzu zwischen den beiden Männern schwankt. Wobei ich nicht daran zweifele, daß die Hauptdarsteller in der Lage gewesen wären, ihre Figuren plastisch zu machen. Vielleicht dachte Hormann: Nur nicht das Publikum mit zu viel inhaltlicher Substanz belästigen. Das will sich ja nur ein bißchen amüsieren. Ich weiß nichts darüber, wie erfolgreich dieser Film im Kino gelaufen ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er hohe Zuschauerzahlen erreicht hat. Deshalb, bin ich sicher, mußte er auch schnell ans Fernsehen verkauft werden.
Noch so’n Ding. „Alles auf Anfang“ (1994) von Reinhard Münster, also eine deutsche Beziehungskomödie aus den 1990er Jahren. Wie bei „Frauen sind was Wunderbares“ gibt es auch hier manches zu kritisieren. Aber ich finde den Film nicht ganz so schlecht, wie er damals besprochen wurde („deutsch dröge“, „wie ein mittelmäßiges Fernsehspiel“, „nicht gerade berauschend“). Münster versucht, neben den üblichen amourösen Verwicklungen auch eine Satire auf das Filmgeschäft zu liefern. Sehr treffsicher ist die nicht, soweit ich das beurteilen kann, aber das macht den Film für mich doch etwas interessanter.
Es beginnt (seltsamerweise) mit einem Filmerfolg: „Die Blechkatze“. Der Film feiert gerade eine umjubelte Premiere. Regisseur Udo Samel, Hauptdarstellerin Katharina Thalbach (zugleich seine Ehefrau) und Drehbuchautor Florian Martens (sein Bruder) haben schon viel zusammen gedreht und sich von No-Budget-Produktionen bis hierher hochgearbeitet. Aber jetzt treten Probleme auf. Thalbach findet heraus, daß Samel eine Geliebte hat, Theresa Hübchen, die davon träumt, mal beim Film eine Rolle zu bekommen. Also der typische Fall „Besetzungscouch“. Samel denkt nicht daran, sich zu ihr zu bekennen. Thalbach jedoch denkt nur daran, es ihrem Mann mit gleicher Münze heimzuzahlen. Sie verbringt eine Nacht mit dem Produzenten des Films, Harald Juhnke. Allerdings passiert nicht mehr, als daß sie im Bett zusammen Eis essen – er ist ein Gentleman, und sie bringt Sex ohne Liebe doch nicht fertig. Von dieser „Affäre“ bekommt wiederum Juhnkes Frau, Christiane Hörbiger, Wind und ist allerdings verstimmt. Und nachdem der Zuschauer anfangs gedacht hat, Juhnke sei der allmächtige Geldgeber für Filmprojekte, erfährt er schnell, daß eigentlich Hörbiger das Geld hat und Juhnke ohne sie ziemlich abgerissen dastehen würde. Christiane Hörbiger muß in ihren Filmen auch immer ein Techtelmechtel am Laufen haben. Sie tröstet sich hin und wieder mit ihrem Chauffeur, Detlev Buck.
Der nächste Erfolgsfilm soll gleich auf „Die Blechkatze“ folgen. Während Martens sich an die Schreibmaschine setzt, macht sich Hübchen an ihn heran. Es stellt sich heraus, daß sie ihrerseits eine begabte Autorin ist. Das fertige Drehbuch ist schließlich zu 90 Prozent auf ihrem Mist gewachsen. Doch offenbar benutzt sie Martens nur als Steigbügelhalter zur eigenen Filmkarriere. Die Wut von Thalbach ist noch nicht verraucht, und so bringt sie Juhnke dazu, daß sie nicht nur wieder die Hauptrolle bekommt, sondern sich auch den Regisseur aussuchen darf. Sie schickt sich an, ihren Mann auszubooten. Schließlich freunden sich die drei Frauen, Hörbiger, Thalbach und Hübchen, miteinander an und beschließen, den Film überhaupt in die eigene Hand zu nehmen. Thalbach ist Regisseurin, Hübchen spielt die Hauptrolle, und Hörbiger darf im Bildhintergrund mit ihren Freundinnen Karten spielen (ihre Lieblingsbeschäftigung). Am Ende renkt sich alles wieder ein: Thalbach merkt, daß Regieführen gar nicht so leicht ist. Hübchen wird klar, daß Glamour ihr nicht so viel bedeutet, wie sie immer dachte. Hörbiger wird am Ende von ihrem Callboy-Chauffeur über den Tisch gezogen. Er reißt sich durch juristische Winkelzüge das Filmstudio unter den Nagel und wird der neue Produzent. Der Nachfolgefilm, „Love in vain“, wird tatsächlich wieder ein Knüller. Doch da haben sich die beiden Ehepaare wieder versöhnt, und Hübchen kehrt reuevoll zu Martens zurück, den sie offenbar doch wirklich liebt.
Man merkt der Zusammenfassung wohl an: „Alles auf Anfang“ wimmelt nur so von Klischees sowohl über das Verhältnis von Männern und Frauen als auch über die Kinobranche. Ich habe dafür gewisses Verständnis, denn eine Filmhandlung sollte möglichst einfach sein. Aber die besten US-Komödien über Hollywood sind zwar auch oft einfach gestrickt, vermitteln aber doch Wahrheiten über das Filmgeschäft. Formal habe ich an dem Film wenig auszusetzen. Die Schauspieler gehören zum Besten, was Deutschland zu bieten hat, und alles ist flott und witzig inszeniert (vom schwachen Schluß abgesehen). Aber alles, was er über das Filmemachen und die Filmemacher zu sagen hat, erscheint mir doch wenig gezielt und letztlich harmlos. Und auch der Krieg der Geschlechter wird nur scheinbar böse karikiert. Die Frauen befreien sich zwar aus ihrer Abhängigkeit von den Männern, das aber nur vorübergehend. Ihr Aufstand mündet in ein unglaubwürdiges Happy end, bei dem der Status quo bestehen bleibt. Insofern ist „Alles auf Anfang“ zwar unterhaltsam, aber doch etwas ärgerlich.
Aus gegebenem Anlaß:
"Alles auf Anfang" kann man nicht in youtube sehen, und eine DVD scheint auch nicht so einfach zu bekommen zu sein. Liegt das daran, daß der als so schlecht angesehen wird?
Der Film ist übrigens damals vom WDR mitproduziert worden.
Kann mich kaum noch an den Film erinnern, ist als WDR Produktion vermutlich auch nicht das gesuchte Teil.
Bei „Alles auf Anfang“ fiel mir eine andere Komödie über das Filmgeschäft ein: „Sullivans Reisen“ (1941) von Preston Sturges. Sturges gehört sicher zu den Besten seines Fachs in Hollywood, aber ich will jetzt nicht unbedingt die beiden Filme vergleichen. „Sullivans Reisen“ habe ich mehrmals im Fernsehen gesehen, aber es hat sich gelohnt, den Film noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen; dabei ist mir einiges aufgefallen, was ich bisher übersehen habe. Ich muß allerdings sagen, als Satire über Hollywood hat er einiges an Schärfe und Treffsicherheit verloren, weil das damalige Studiosystem eine vergleichsweise heile Welt war (produziert wurde dieser Film von Paramount). Trotzdem ist es eine bemerkenswerte Komödie.
Joel McCrea, erfolgreicher Regisseur von belanglosen Unterhaltungsfilmen, hat von dieser Arbeit genug. Er will nun einen sozialkritischen Film drehen unter besonderer Berücksichtigung der Armut in den USA. Dummerweise hat er mit Armut überhaupt keine Erfahrung. Da er offenbar sein eigener Drehbuchautor ist (wie Sturges das war), will er das Thema zunächst selbst untersuchen und Armut erleben. Der sprichwörtlich gewordene Titel seines geplanten Films ist „O Brother, where art thou“. Das Studio ist von diesem Plan wenig begeistert – man will lieber bei bewährten Erfolgsrezepten bleiben und empfiehlt, sich von Armen besser fernzuhalten. Doch McCrea setzt durch, daß er, gekleidet in Lumpen und mit nur zehn Cent in der Tasche, loszieht und die Armut kennenlernt. Mitarbeiter und die PR-Abteilung des Studios folgen ihm allerdings in einem großen Wohnbus.
McCrea stellt sich als Gelegenheitsarbeiter, Bettler und Hobo nicht allzu geschickt an. Doch die Leute im Wohnbus greifen immer rechtzeitig ein, wenn er in Schwierigkeiten zu geraten droht. Und immer führt ihn sein Weg irgendwie nach Hollywood zurück. Als er seine zehn Cent in einem Imbiß für ein Frühstück ausgeben will, lernt er Veronica Lake kennen, eine Provinzschönheit, die vergeblich versucht hat, eine Filmkarriere zu starten – niemand hat sich für sie interessiert. Sie spendiert McCrea ein ordentliches Frühstück, und die beiden freunden sich an. Lake kann es zunächst nicht glauben, daß er kein Penner, sondern ein Star in Hollywood ist. Aber dann zeigt er ihr seine Villa (mit Swimmingpool). Den Traum vom Kinoruhm hat sie allerdings schon aufgegeben.
Als McCrea wieder aufbricht, um Armsein zu spielen, begleitet sie ihn. Als sie schließlich dreckig und verlaust in einem Obdachlosenasyl landen, beschließt er, das Experiment zu beenden. Er will aber den Landstreichern, mit denen er in Kontakt gekommen ist, jeweils fünf Dollar schenken. Dazu zieht er noch einmal seine Armen-Verkleidung an. Einer der Bettler erfaßt, daß er eine Menge Geld hat. In der Nähe eines Bahnhofs schlägt er McCrea nieder und klaut ihm die Scheine. Auf der Flucht wird er von einem Zug überrollt. Weil er McCreas Schuhe trägt, wird der berühmte Regisseur für tot gehalten. Als McCrea aus seiner Ohnmacht erwacht, wird er von einem Bahnbediensteten grob behandelt und schlägt zurück. Er wird verhaftet und vom Richter zu sechs Jahren Straflager verurteilt, ohne jemanden benachrichtigen zu können. In dem Lager lernt er nun richtig kennen, wie mit Armen umgesprungen wird. Einmal ist er bei einer Filmvorführung dabei; es wird nur ein dummer Micky-Maus-Film („Playful Pluto“) gezeigt, aber die Häftlinge lachen lauthals. McCrea erkennt den Wert, Menschen zum Lachen zu bringen, und verblüfft seine Produzenten mit der Ankündigung, nun wieder Komödien zu drehen. Und natürlich heiratet er am Ende Veronica Lake.
Die Moral des Films – vergiß die Sorgen, dann geht’s wieder besser – erscheint heute etwas billig, ist aber typisch amerikanisch. Ich fand, daß der Film zwar Armut zeigt, aber dabei nicht allzu genau hinsieht. Wir lernen: Arme sind auch Menschen, auch wenn sie nicht sonderlich gut riechen. Außerdem kommt Sturges mit dem Thema etwas spät – die Depression war in den 1930er Jahren, und Warner Brothers haben dazu (wie auch über das Los von Kettensträflingen) ein paar beachtliche Filme gemacht. Aber immerhin funktioniert „Sullivans Reisen“ als Komödie auch heute noch ausgesprochen gut. McCrea und Lake sind ein ungewöhnliches und relativ glaubwürdiges Filmpaar (sieht man davon ab, daß eine Frau im Obdachlosenmilieu normalerweise keine Veronica-Lake-Frisur trägt); die Dialoge sind geschliffen und wirklich witzig. Und in ein paar Szenen versucht Sturges, an die große Zeit der Slapstickfilme anzuknüpfen. Ich finde zudem, daß er die Schwäche Hollywoods, bevorzugt Filme nach einem funktionierenden Erfolgsmuster zu produzieren und sich für Filmbotschaften nicht zu interessieren, recht mutig anspricht. Aber das ist seit den 40er Jahren zweifellos noch wesentlich schlimmer geworden.
Diesmal habe ich mich beim Film vertan. Ich dachte, „Das siebte Zeichen“ sei die Verfilmung des Romans von Anna Seghers. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Film von 1989, einen Okkult-Thriller von Carl Schultz. Möglicherweise habe ich diesen Film sogar im Kino gesehen, aber er war mir völlig aus dem Gedächtnis entschwunden. Ich denke, man kann ihn in eine Reihe stellen mit „Das Omen“ oder „Angel Heart“. Nach erneuter Besichtigung muß ich sagen, er ist als Reißer gut gemacht. Vermutlich soll er nur unterhalten, aber er sagt vielleicht auch etwas aus über das Verhältnis des Publikums zu geistlichen Inhalten in Zeiten der Säkularisierung.
In verschiedenen Weltgegenden geschehen unerklärliche, beunruhigende Dinge. Jedesmal ist Jürgen Prochnow in der Nähe und bricht das Siegel eines alten Pergaments. Ein römisch-katholischer Pater (Peter Friedman) taucht dann etwas später auf und untersucht jeweils die Fälle. Dann erscheint Prochnow an der Wohnungstür von Demi Moore und ihrem Mann Michael Biehn – er möchte eine Wohnung in ihrem Haus mieten. Moore, die gerade im siebten Monat schwanger ist, findet ihn spontan sympathisch, aber schon nach kurzer Zeit immer seltsamer und beängstigender. Vor allem entdeckt sie, als sie in der Wohnung spioniert, einen weiteren versiegelten Brief. Er enthält ein Datum, wie sie meint – das errechnete Datum ihrer Entbindung. Zutiefst beunruhigt bringt sie ihren Mann dazu, Prochnow rauszuwerfen.
Zufällig kommt sie in Kontakt mit einer jüdischen Gemeinde. Ein Schüler eines Rabbis (Manny Jacobs – hat bei wikipedia keinen Eintrag) erkennt, daß der versiegelte Brief in einer jüdischen Geheimschrift verfaßt ist, und erklärt sich bereit, ihn zu übersetzen. Und jetzt stellt sich heraus: Es laufen gerade die Vorzeichen der Apokalypse ab; die Welt wird untergehen. Das vermeintliche Datum ist in Wirklichkeit der Hinweis auf einen Bibelvers. Nach jüdischer Vorstellung (also nicht gemäß der Bibel) kommt Gottes Endgericht übrigens dann, wenn eine bestimmte Anzahl Menschen geboren wurde – die „Halle der Seelen“ ist dann leer, und keine weiteren können mehr zur Welt kommen. Prompt gerät Moore mehrmals in die Nähe einer Fehlgeburt. Zusammen mit Jacobs forscht sie nach, welche Zeichen der Apokalypse noch nicht eingetreten sind.
Das letzte Zeichen: Ein Junge soll hingerichtet werden, der seine Eltern umgebracht hat. Dies geschah nach dem Willen Gottes, aber nach menschlichem Gesetz ist er zum Tod verurteilt. Moore hat noch einmal eine Begegnung mit Prochnow, der sich als der wiedergekehrte Christus entpuppt. "Die Gnade Gottes ist aufgebraucht“, murmelt er unheilschwanger. Friedman war, das wird nun klar, ein römischer Soldat, der Jesus bei der Kreuzigung besonders schwer mißhandelt hat und daher bis zum Weltuntergang nicht sterben darf – er hat daher großes Interesse daran, daß die Welt nun endlich untergeht. Und auch Moore war – in einem früheren Leben – bei der Kreuzigung dabei. Sie war nicht bereit, für Jesus zu leiden. In der Hinrichtungszelle treffen alle aufeinander. Moore versucht, die Hinrichtung zu verhindern, Friedman verliert die Geduld und will den Mörder eigenhändig erschießen. Und auch Prochnow taucht natürlich wieder auf. Moore wirft sich in den Schuß. Ihr Kind wird per Notoperation gerettet, aber sie stirbt. Prochnow stellt amtlich fest, daß sie damit die Apokalypse verhindert hat – die Halle der Seelen hat sich wieder aufgefüllt.
Zunächst mal ist das durchaus spannend inszeniert. Der Nervenkitzel entsteht natürlich dadurch, daß allmählich das ganze Ausmaß der Katastrophe enthüllt wird. Das ist eher psychologisch gemacht – mit Horroreffekten geht Schultz sparsam um. Großes Augenmerk wird Komplikationen der Schwangerschaft gewidmet, und als Nichtfachmann würde ich sagen, die Ausnahmesituation, in der sich eine Frau da befindet, wird ganz gut herausgearbeitet. Allerdings soll uns hier inhaltlich wirklich ein hanebüchener Unsinn verkauft werden. Es fällt auf, daß das Ende der Welt hier wie ein Uhrwerk abläuft. Man muß in die Mechanik eingreifen, um sie abzuwenden. Jesus dagegen kann da auch nichts machen… Dann werden Motive aus der Bibel und jüdische Mythologie munter durcheinandergewürfelt (ähnlich wie das auch Dan Brown gemacht hat). Das Frappierendste aber ist für mich: Nicht Jesus Christus opfert sich für die Welt, sondern eine Kinoheldin opfert sich (sozusagen für Christus). Der Kern der christlichen Botschaft wird komplett umgekehrt – und man merkt es kaum. Das kann aber nur bedeuten: Der Mensch kann sich höchstens selbst erlösen. Geht die Welt jedoch unter, dann ist alles zu spät. Die echte Offenbarung des Johannes endet dagegen mit den Worten: „Der diese Dinge bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald. Amen, komm, Herr Jesus!“ So ein Ende eignet sich halt nicht unbedingt für einen Thriller.
Vor Ewigkeiten im TV gesehen, die DVD steht auch irgendwo ungeöffnet in meiner Sammlung.
Ich erinnere mich das ich den Film handwerklich gut gemacht fand aber inhaltlich nicht überzeugend.
Was noch interessant ist: Man sieht hier Demi Moore und Michael Biehn, bevor sie richtig zu Stars wurden (an Biehn erinnert man sich vor allem durch seine Rollen in den "Terminator"-Filmen). Und Jürgen Prochnow war mal in Hollywood etabliert.
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