Ja, okay. Und man könnte jeweils die Seite angeben - oder variiert die Seitenzählung je nach Bildschirmdarstellung?
Also ich bin hier gerade auf Seite 91, nein: schon 92.
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Also ich bin hier gerade auf Seite 91, nein: schon 92.
- oder variiert die Seitenzählung je nach Bildschirmdarstellung?
Ja.
Zwar nicht nach Bildschirm-aber Forumseinstellung. (Ich habe auch 25 Einträge pro Seite aber bei anderen sind es 50 oder mehr.)
Wer sich wirklich für Deine Besprechungen interessiert, sollte eigentlich mit der Thread-Nummer ausreichend versorgt sein.
Danke!
Jetzt habe ich mal das Inhaltsverzeichnis ganz vorne ergänzt um die Nummern der Postings, damit man einzelne Filmbesprechungen etwas besser findet.
Dabei habe ich auch ein paar Angaben hinzugefügt, die ich vergessen hatte. Ich hoffe, es hat mir niemand übelgenommen, daß seine/ihre Besprechung in der Liste bisher nicht auftauchte. War keine böse Absicht.
Zwei Besprechungen sind, sicher durch den Umzug des Forums, weggefallen, und zwar die der Doku "Winnetou darf nicht sterben" und von "Die Freundin des Kartographen" von Hal Hartley. Die werde ich hier wieder hinzufügen.
Jetzt trage ich zunächst mal die beiden fehlenden Texte nach.
Oliver Schwehm: „Winnetou darf nicht sterben“ (NDR/Arte 2007)
Zu Beginn der 60er Jahre ist das deutsche Kino fest in indianischer Hand. Gerade erst hat Hollywood den Western für tot erklärt, da überrollt wie aus dem Nichts die Karl-May-Filmwelle das Land und sorgt für ungeahnte Rekorde an den Kinokassen. Ob jung oder alt – die „Western made in Germany“ stecken eine ganze Gesellschaft an. Landauf landab grassiert das Indianerfieber. Der Erfolg der Filme katapultiert schlagartig einen jungen Mann in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit: Pierre Brice, ein bis dahin unbekannter französischer Schauspieler. Seine Verkörperung des edlen Apachenhäuptlings Winnetou zieht die Massen in seinen Bann. Die Rolle macht ihn über Nacht zum Star.
Michael Petzel, Experte: Pierre Brice, wie er da steht, wie er sich verhält, wie er einen anschaut, das war etwas durchaus Sinnliches.
Christopher Barker, Sohn von Lex Barker: Bei ihm war alles eine Sache des Instinkts. Ein Blick, ein Schritt, und das genügte.
Christiane Krüger, Schauspielerin: Man fand den vom Typ her in diesem Outfit, mit diesem Stirnband und alldem, einfach ideal besetzt.
Marie Joseé Nat, Schauspielerin: Die Deutschen waren einfach klug, Pierre die Rolle anzubieten. Und so wurde Pierre zum Star.
Eigenartiger Starruhm
Pierre Brice ist ein Star geworden, eine Leinwandlegende. Winnetou – das war Pierre Brice, und Pierre Brice – das war Winnetou. Er fesselte die Massen wie kein Zweiter, und irgendwann war er selbst gefangen in der eigenen Legende. Einer deutschen, wohlgemerkt. Denn es gibt ein Kuriosum im Leben des Pierre Brice: In seiner Heimat ist der Franzose so gut wie unbekannt.
Brice: Ich habe ein Leben, wenn ich in Deutschland bin, und ein anderes in Frankreich. In Deutschland kann ich nicht auf die Straße gehen, ohne daß mich jemand erkennt und auf mich zukommt. In Frankreich, wo ich nicht arbeite, habe ich meine Ruhe.
Biografie
Geboren wird Pierre Brice am 6. Februar 1929 als Baron Pierre Louis le Bris in Brest am äußersten Rand der Bretagne. Eine Karriere als Schauspieler ist ihm alles andere als in die Wiege gelegt.
Brice: Als kleinerJunge träumte ich davon, zur Marine zu gehen. In meiner Heimatstadt gehörten Seekadetten zum festen Stadtbild. Und für meine Familie war klar: Pierre wird Marineoffizier.
Pierre besucht eine Marineschule und meldet sich bald als Freiwilliger zum Kolonialkrieg in Indochina. Als Mitglied einer kleinen Kommandoeinheit nimmt er an zahlreichen Spezialeinsätzen teil. Mehr als vier Jahre kämpft er fernab der Heimat. Im Winter 1952 schließlich kehrt Pierre Brice nach Frankreich zurück. Er ist nun 23 Jahre alt. Ohne einen festen Plan für seine Zukunft begibt er sich in die französische Hauptstadt.
Brice: Paris war für mich etwas völlig Neues. Ich war noch nie dagewesen. Es war ein Sprung ins Unbekannte, und nun war ich da, allein, ein junger Kommandosoldat, der keine Ahnung hatte, was ein Scheck ist. Das war überhaupt nicht meine Welt. Das erste, was ich tat: Ich ging in ein Viertel, von dem ich gehört hatte, das Quartier Latin. Dort lernte ich nach und nach Leute kennen, die zwar nicht in der gleichen Lage waren wie ich, aber im gleichen Alter und auch auf der Suche nach einem Job. Ich mußte eine Beschäftigung finden. Im Grunde wußte ich überhaupt nicht, wofür ich gemacht war.
In Paris ist nichts zu spüren von den Kämpfen im fernen Indochina. Nach Jahren der deutschen Besatzung lebt und blüht die Stadt wieder auf. Doch die Party findet ohne Pierre statt. Mühsam versucht er, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Paris leuchtet. Pierre ist angezogen von den Stars und Sternchen auf den Kinoplakaten. Er träumt von einer Karriere als Schauspieler. Über einen Umweg soll sein Traum schließlich Wirklichkeit werden.
Brice als Dressman
Brice: Ich wurde von der „Vogue“ für Modefotos engagiert, und von da an hatte ich ein bißchen Geld in der Tasche. Ich machte Modefotos, Werbefotos, und wir waren auch bei den großen Modeschauen dabei. Aber es gefiel mir nicht besonders. Die Arbeit im Studio, das ging noch, da war ich mit dem Fotografen allein. Aber Aufnahmen auf der Straße zu machen, das haßte ich regelrecht. Die Pariser spotten gern, und ein junger Mann, der Modefotos macht, wurde ziemlich schief angesehen. Das war ein Grund, weshalb es mich zum Film zog.
Um dem Image als Dressman zu entfliehen, nimmt Pierre Unterricht bei einem russischen Schauspiellehrer. Und bald darauf: endlich die erste Rolle. Allerdings nicht im Theater oder im Kino, sondern in einem Fotoroman. Die Bildergeschichten für Erwachsene, die ursprünglich aus Italien stammen, sind Mitte der 50er der Unterhaltungsschlager in Frankreich.
Nat: Sie dürfen nicht vergessen: damals gab es noch kein Fernsehen. Jede Woche erschien eine neue Folge: Gina Lollobrigida, Sophia Loren, Antonella Lualdi. Sie alle haben in Fotoromanen angefangen. Pierre Brice und ich posierten für eine romantische Illustrierte. Wir waren auf der Titelseite, zwei Verliebte – sehr romantisch, sehr poetisch und sehr charmant. Pierre war eben ein junger Schauspieler, der genau wie ich auf Rollen wartete und währenddessen solche Sachen machte.
Pierres Gesicht kommt an und lächelt sich durch sämtliche Mode- und Frauenzeitschriften. Hübsche Auftritte, sicher, aber nicht gerade die ideale Voraussetzung, um als Schauspieler ernst genommen zu werden. Und doch: Was eigentlich ein Hindernis für seine Karriere sein müßte, wird schließlich die Eintrittskarte. Eine der bekanntesten französischen Filmschauspielerinnen wird auf ihn aufmerksam.
Anfänge als Schauspieler
Brice: Michèle Morgan saß gerade beim Friseur und las in einer Zeitschrift, als sie ein Foto von mir sah. „Oh, ein interessanter Junge“, sagte sie zu ihrer Friseuse, worauf die antwortete: „Den kenne ich.“ – „Ach, wenn Sie ihn mal wiedersehen, sagen Sie ihm einen schönen Gruß von mir, und er soll mal bei meiner Agentin Olga Horstig vorbeigehen.“ Olga hatte damals eine große Agentur in Paris. Und so wurde sie meine Agentin.
Bald erhält Pierre Rollenangebote. Sein erster Filmauftritt dauert genau 14 Sekunden. In „Harte Fäuste, heißes Blut“ darf er Eddie Constantine die Tür aufhalten. Als einer der Schützlinge der großen Agentin Olga Horstig zählt Pierre zu den jungen Hoffnungen des französischen Kinos. 1958 spielt er gemeinsam mit dem damals ebenfalls unbekannten Jean-Paul Belmondo eine Nebenrolle in „Die sich selbst betrügen“. Der Film von Marcel Carne wird zu einem Wegbereiter der Nouvelle Vague. Doch neue Talente gibt es im französischen Kino en masse. Darüber hinaus hat Pierre einen Nachteil: Er sieht einem gewissen Alain Delon nicht ganz unähnlich. So richtig kommt seine Karriere nicht in Schwung.
Nat: Damals herrschte eine heftige Konkurrenz unter den jungen Schauspielern. Wenn erstmal einer etabliert ist… die Leute sind eben ziemlich einfallslos. Insofern war der Erfolg von Alain Delon für die Karriere von Pierre wahrscheinlich ein Nachteil.
Brice: Einer der Gründe, warum es für mich in Frankreich nicht lief, war meine Schüchternheit. Ich wurde manchmal zu einer Filmpremiere eingeladen, ging ins Foyer, sah all die Leute, die Schauspieler und Schauspielerinnen, und war wie gelähmt. Und so hockte ich dann zusammengekauert allein in einer Ecke. Ich hatte nicht viele Freunde in der Filmszene. Es war meine Schuld, weil ich keiner Clique angehörte. Es gab die Clique um Roger Vadim, die um Claude Chabrol, die um Truffaut, die um Godard. Für mich stagnierte es jedenfalls. Da beschloß ich wegzugehen, und zwar nach Rom. Das Mekka des Films, wo Filme über Filme gedreht wurden und wohin damals Schauspieler aus der ganzen Welt kamen.
Brice in Cinecitta
Rik Battaglia, Schauspieler: Es herrschte Aufbruchstimmung. Wir waren mitten in einem Boom. Es war kein Problem, Geld aufzutreiben. Alle hatten Geld. Die Großindustriellen, die aus ihrem Milieu ausbrechen und junge, schöne Frauen zum Vorzeigen um sich haben wollten, finanzierten die Filme. Deshalb wurden so viele Filme gedreht – und so viel Müll. Alle improvisierten – Regisseure, Kameraleute, auch die Schauspieler.
In Cinecitta entstehen Anfang der 60er Jahre bis zu 700 Filme pro Jahr. Mindestens ebenso groß wie der Bedarf an Kilometern an Zelluloid ist der Bedarf an Schauspielern und neuen Gesichtern, die sich oft nur leicht bekleidet und in Sandalen in den damals populären Monumentalfilmen bewähren müssen. Der kommerzielle Erfolg dieser Filme ermöglicht den italienischen Produzenten aber auch, anspruchsvollere Regisseure mit eigenwilligen Projekten zu beschäftigen. Einer von ihnen ist Damiano Damiani. Für sein Spielfilmdebüt „Il Rossetto“ engagiert er Pierre Brice, der so, nur kurz nach seiner Ankunft in Italien, seinen ersten Vertrag für eine Hauptrolle unterschreiben kann. In diesem Kriminalfilm spielt Pierre Gino, einen Prostituiertenmörder, der von einem jungen Mädchen bei seiner Tat beobachtet wurde. Allerdings ist das Mädchen verliebt in ihn und will ihn nicht der Polizei ausliefern. „Il Rossetto“ bietet Pierre Brice endlich die Gelegenheit, sich als Schauspieler zu profilieren und ein für allemal das Image des Dressman abzulegen, das ihn in Paris so verfolgte.
Damiani: Dieser junge Schauspieler war genau der, den ich suchte. Schön, gut angezogen, noch dazu sympathisch. Man sollte ihm nicht auf den ersten Blick den Schurken ansehen. Und doch verbarg sich hinter dem eleganten Äußeren ein Charakter, der sehr gefährlich sein konnte.
Brice: Der Film war in Italien ein großer Erfolg. Und der „L‘Araldo della Spettacolo“ wählte mich zum besten Schauspieler des Jahres. Damit öffneten sich mir die Türen.
In nur drei Jahren dreht Pierre Brice nun ein gutes Dutzend Filme in der italienischen Traumfabrik. Er spielt einen jungen Pharao und nimmt es als italienischer Zorro mit dem italienischen Muskelprotz Maciste auf. Später tritt er als Robin Hood für die Armen und Entrechteten ein und spielt schließlich in Giorgio Ferronis Historienepos „Le Baccanti“.
Brice: Die Kostümfilme – das war eine interessante Sache. Ich erinnere mich, daß meine Garderobiere immer sagte: „Du kannst Kostümrollen spielen; dir steht jedes Kostüm.“ Einmal spielte ich Dionysos in einem dieser knappen Röckchen mit nackten Beinen. Da sagte sie zu mir: „Solche Beine – die hat nicht jeder Schauspieler.“
Trotz der wechselnden Kostüme ist Pierre in Cinecitta nun abonniert auf die Rolle des attraktiven Frauenschwarms. Es gelingt ihm, sich als Schauspieler einen Namen zu machen und als verläßlicher Darsteller zu bewähren. Die große, erfolgbringende Rolle, die bleibt jedoch aus. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen begibt er sich 1962 auf die Berlinale. In der Masse der Festivalgäste geht Pierre Brice unter. Niemand nimmt wirklich Notiz von ihm. Gefeiert wird ein anderer französischer Schauspieler; Jean-Paul Belmondo. Mit ihm teilte sich Pierre vor kurzem noch eine Nebenrolle. Seit „Außer Atem“ gehört Belmondo zu Frankreichs Exportschlagern. Pierre will eigentlich schon wieder abreisen. An seinem letzten Abend in der geteilten Stadt besucht er die Abschlußveranstaltung der Berlinale.
Entdeckt von Horst Wendlandt
Brice: Es gab ein Diner im Hotel Intercontinental in Berlin. Ich war mit meiner damaligen Freundin Francoise da. An einem der Nachbartische saß ein Mann – er hieß Horst Wendlandt, wie ich später erfuhr -, der die ganze Zeit zu uns herüberstarrte. Ich dachte, er würde meine Freundin anstarren. Ich war ziemlich gereizt, eifersüchtig und kurz davor, aufzustehen und ihn um eine Erklärung zu bitten. Da sagte Francoise: „Mach keine Dummheiten. Ich glaube, das ist ein Produzent.“
Auf Horst Wendlandt ruhen die Hoffnungen der krisengeschüttelten deutschen Filmindustrie, die nach dem Zweiten Weltkrieg nur mühsam wieder auf die Beine kommt. Der junge Produzent hat mit Edgar-Wallace-Filmen erste Erfolge feiern können. Doch nun hat er Größeres vor. Er will „Der Schatz im Silbersee“ verfilmen, einen Roman von Karl May. Der Schriftsteller aus Sachsen gehört nicht nur zu den meistgelesenen, sondern auch außergewöhnlichsten Gestalten der deutschen Literatur. Seine Abenteuerromane spielen in exotischen Ländern, im Orient, der Südsee und Amerika. In seinen Reiseerzählungen gibt Karl May vor, das von ihm Geschriebene auch selbst erlebt zu haben. Und zum Beweis gibt’s Fotos in den verschiedenen Kostümen seiner Helden. In Wirklichkeit reist Karl May jedoch kaum. Fast alle seine Erzählungen verfaßt er unter Zuhilfenahme seiner Bibliothek am Schreibtisch seiner Radebeuler Villa. Mays beliebteste Romane spielen Mitte des 19. Jahrhunderts in Amerikas Wildem Westen. Seine Leser begeistern sich für die Geschichten von dem edlen Freundespaar Winnetou und Old Shatterhand, die gemeinsam für den Frieden zwischen Weißen und Indianern kämpfen. Horst Wendlandt spürt: Er kann mit seinem Film nur einen Erfolg landen, wenn die Besetzung stimmt und das Publikum seinen Winnetou und seinen Old Shatterhand annimmt. In der Hoffnung, auch international punkten zu können, setzt er zudem auf den Starfaktor ausländischer Schauspieler. Schon bald kann er für Old Shatterhand Lex Barker gewinnen, der Johnny Weissmuller als Tarzan abgelöst hatte. Winnetou zu besetzen, ist schwieriger. Wendlandt sucht einen Schauspieler mit geheimnisvoller, exotischer Ausstrahlung. Zunächst denkt er an Christopher Lee, den er zu einem Casting einlädt. Doch das Dracula-Image von Lee paßt so gar nicht zum Bild des noblen und sanftmütigen Apachenhäuptlings. In Pierre Brice glaubt Wendlandt, endlich seinen Winnetou gefunden zu haben. Er zögert nicht lange mit einem Angebot.
Brice: Ich bekam einen Anruf von Olga Horstig, meiner Agentin in Paris: „Horst Wendlandt interessiert sich für dich und möchte dir eine Rolle in einem seiner nächsten Filme anbieten.“ Ich fragte: „Was für ein Film?“ – „Ein Western.“ – „Und was ist das für eine Rolle?“ – „Ein Indianer.“ Ich dachte daran, wie die Amerikaner die Indianer in ihren Western darstellten, und sagte Olga, daß ich an einer solchen Rolle nicht sonderlich interessiert bin. Da erwiderte sie: „Pierre, wenn Sie das Glück haben, diese Rolle zu bekommen, garantiere ich Ihnen eine große Karriere in Deutschland.“
„Der Schatz im Silbersee“ (1962)
Eher schlecht als recht überzeugt und ohne die Popularität Karl Mays in Deutschland zu kennen, macht sich Pierre Brice auf zum Drehort. Als er am Set eintrifft, sind die Vorbereitungen in vollem Gange.
Brice: Meinen ersten Drehtag werde ich nie vergessen. Damals konnte ich kein Wort Deutsch. Ich stand da, und Harald Reinl erklärte mir die Szene, die wir drehen sollten. Ich war stolz wie ein Pfau – auf mein Indianerkostüm, auf mein herrliches Pferd, eben auf alles. Reinl sagte: „Gut, wir fangen an.“ Ich stand abseits und hörte, wie Reinl rief: „Bitte Ton!“ Verdammt nochmal, meine Figur hieß Winnetou, und das klingt sehr ähnlich. Ich dachte: Verdammt, das ist dein Einsatz! Ich presche also im Galopp vor die Kamera, da hebt Reinl die Arme und ruft: „Pierre, wir müssen drehen. Wir haben keine Zeit für sowas!“ Das ganze Team lachte.
Das Schauspielerteam ist international und nicht immer einfach unter Kontrolle zu behalten. Die Fäden laufen bei Harald Reinl zusammen, einem ehemaligen UFA-Regisseur, der sein Handwerk bei Leni Riefenstahl lernte und sich bisher vor allem mit Kriegs- und Heimatfilmen hervorgetan hatte.
Mario Adorf, Schauspieler: Man nannte ihn damals eine „Bergziege“. Er war sehr fit für sein Alter – er war ja Mitte oder Ende 50 – und sehr robust. Für schauspielerische Feinheiten war er eigentlich nicht so zuständig.
Aber auf die Feinheiten kommt es Produzent Wendlandt auch gar nicht an. Vielmehr will er es den Italienern nachmachen: buntes, turbulentes Kino im Cinemascope-Format mit Massenszenen und viel Action. 3000 Statisten und 2500 Pferde kommen zum Einsatz. Mit 3,5 Millionen D-Mark gerät „Der Schatz im Silbersee“ zum teuersten Film der Nachkriegszeit. Entsprechend groß ist die Anspannung bei den Machern, als der Film am 12. Dezember 1962 im Stuttgarter Universum-Kino seine Uraufführung erlebt.
Brice: Bei der Premiere kam ich nicht aus dem Saal, so groß war der Andrang. Ein Polizist mußte mir seine Uniform leihen, damit ich das Kino verlassen konnte. Es war kolossal, einfach kolossal. Die Leute stürmten die Kinos! Zehn Millionen Zuschauer! Wendlandt war der neue König, die Popularität meines Kollegen Lex Barker bestätigt, und über mich schrieben die Zeitungen: „A Star is born“. Der Erfolg war so groß, daß wir gleich mit dem nächsten Film anfingen.
Karl-May-Film-Reihe
Die Karl-May-Filme sind eine wahre Goldgrube. Die Deutschen drehen jetzt mehrere Western pro Jahr. Ähnlich wie bei James Bond entwickelt sich eine ganze Serie mit dem heldenhaften Doppelpack Winnetou-Old Shatterhand. Die Filme schlagen sämtliche Rekorde und treffen das deutsche Publikum mitten ins Herz.
Petzel: Wenn man sich die amerikanischen Western anschaut, da geht es um Konflikte – Konflikte zwischen Männern, Konflikte zwischen Vater und Sohn oder zwischen zwei Brüdern. Oder Konflikte bei der Landnahme in Amerika. Im Karl-May-Western geht es um die große Männerfreundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand, das große Gefühl, und es geht um das Böse, um den Sieg über das Böse. Das ist sozusagen ein klassisches Märchenmotiv.
Barker: Es war sehr klug von den deutschen Filmleuten, sich auf das Motiv der Freundschaft zu konzentrieren. Ein Indianer und ein Westmann als Freundespaar, das war neu und hatte etwas Versöhnliches. Der Krieg lag ja noch nicht so lange zurück. Und das kam an in Deutschland, vor allem mit Helden wie meinem Vater und Pierre Brice.
Für die Deutschen, die unter dem Krieg gelitten hatten und sich die Schuld dafür gaben, hatten diese naiven und frischen Filme etwas sehr Wohltuendes. Ein positives Heldenpaar – das war genau das, was sie brauchten.
Petzel: Die Karl-May-Filme traten die Nachfolge der Heimatfilme an. Und die Heimatfilme waren in Deutschland besonders wichtig, weil sie den Nerv des Publikums trafen, weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg eben das Bedürfnis nach heiler Welt befriedigten. Und das taten die Karl-May-Filme auf ihre Weise auch, allerdings in verändertem Gewand, sozusagen auf modernisierte Weise. Sie waren Heimatfilme, weil sie das Gefühl der Zuschauer befriedigten, das Bedürfnis nach Sentiment. Und auf der anderen Seite zeigten sie auch Landschaft, schöne Landschaft, die gut für die Seele ist. Nur, es waren eben andere Landschaften, es war nicht mehr die Lüneburger Heide, nicht mehr der Schwarzwald, das kannten die Zuschauer jetzt. Aber Amerika, das kannten sie nicht. Und daß dieses Amerika in Kroatien lag, das war nicht so wichtig. Es sah eben aus wie Amerika.
Wendlandt dreht in Kroatien, weil er sich trotz des vergleichsweise hohen Budgets einen Dreh in Amerika nicht leisten kann. Er koproduziert mit einer jugoslawischen Filmgesellschaft, deren Location-Scouts ein gutes Gespür dafür haben, welche Landschaften den amerikanischen Weiten am nächsten kommen. Wichtiger als die Authentizität der Originalschauplätze ist ohnehin, den Geist Karl Mays nicht zu verraten. Welche Rolle spielt es da schon, daß sich unter dem Winnetou-Kostüm ein Bretone verbirgt?
Brice: Ein Professor hat einmal geschrieben, jeder Leser habe sein Bild von Winnetou. Aber nach diesem Film habe Winnetou für alle Leser nur noch ein Gesicht. Er schrieb auch, ich hätte Winnetou eine Seele gegeben. Tatsache ist, daß ich an den zweiten Film mit wesentlich mehr Begeisterung heranging, weil ich die Figur jetzt kannte. Es war für mich tatsächlich so etwas wie eine Begegnung.
Wie Brice den Winnetou spielt
Film für Film spielt sich Pierre Brice mit seinem Winnetou immer mehr ins Zentrum der Serie. Es gelingt ihm, dem Apachenhäuptling eine ganz eigene Aura zu verleihen. Im Einklang mit seiner Figur feilt er an kleinen Gesten und Charakteristika wie etwa dem geheimnisumwölkten Blick Richtung Horizont, dem Blick in die Ferne.
Brice: Der berühmte Blick in die Ferne wurde mein Markenzeichen. Und auch die Geste, die dann von allen nachgemacht wurde. Sie war eine Erinnerung an meine Pfadfinderzeit und bedeutete: Der Starke, also der Daumen, schützt den Schwachen, den kleinen Finger.
Adorf: Er hat ein Bild geschaffen, ein Bild von sich selber als Winnetou. Das ist manchmal ein bißchen statisch gewesen, aber man schaute gerne hin, weil er war natürlich sehr schön, und dieses Kostüm stand ihm wunderbar. Er hat da sich eingelebt. Er war die Figur.
Marie Versini, Schauspielerin: Für mich ist er in dieser Rolle einfach Winnetou, so wie ich Nscho Tschi war. Wir haben unsere Rollen nicht gespielt, wir haben sie gelebt, durch und durch. Ich glaube, Authentizität zahlt sich immer aus. Sie teilt sich mit, schafft Glaubwürdigkeit.
Petzel: Der Pierre Brice kam vor allem durch seine Körperlichkeit rüber. Damit meine ich jetzt nicht den nackten Oberkörper wie bei Sylvester Stallone, sondern allein durch sein Auftreten und sein Erscheinen. Erstmal sein markantes Gesicht, edel geschnitten wie das von einem Winnetou, seine grünen Augen, die sehr intensiv schauen konnten, und dann seine sparsamen Bewegungen. Man könnte zugespitzt sagen: Der wirkte vor allem durch das, was er nicht tat. Er war sehr zurückgefahren in seinen Bewegungen, und das war sehr eindrucksvoll. Der Winnetou, der steht zuerst mal, der steht da, der muß nicht groß agieren, sondern der wirkt durch seine Persönlichkeit. Den können Sie auf irgendeine Bergklippe stellen, und da muß er stehen mit seinem Gewehr, das ist das Tollste. Besser geht’s eigentlich nicht. Der kann von seiner Wirkung immer nur dann verlieren, wenn er mehr sagt als „Mein Bruder“ oder „Howgh“. Er hat ein paar Schlüsselwörter. Das reicht. Sobald er einen Vortrag halten würde, wäre er nicht mehr der Winnetou, dann würde er nicht mehr wirken.
Brice: Vor allem im ersten Film hatte ich nicht viel Text. Also ging ich zu Reinl, um mich zu beschweren. Ich sagte: „Hör mal, ich finde, ich habe zu wenige Dialoge.“ Er antwortete: „Genau das will ich. Genau so ist es gut.“ Da merkte ich, daß er recht hatte. Winnetou war eine Figur, die nicht zu reden, sondern zu handeln hatte. Winnetou ist die Rolle, die mein Leben verändert hat. Sie hat aus mir einen bekannten und populären Schauspieler gemacht. Und das ist noch heute so. Mein Publikum ist sehr treu.
Werbepartnerschaft mit der „Bravo“
Pierre Brice steigt zu dem deutschen Jugendidol der 60er Jahre auf. Mit beteiligt an seinem Erfolg: die Jugendzeitschrift „Bravo“, die sich nicht ganz uneigennützig zum Sprachrohr der Winnetou-Filme macht. Denn nichts in diesen Jahren steigert die Auflage so sehr wie Berichte und Fotos von dem charismatischen Apachenhäuptling.
Versini: Pierres Erfolg kann nur mit dem verglichen werden, was manche Popsänger erleben. Johnny Hallyday in Frankreich, die Beatles oder Gerard Philippe, als er beim Theatre National Populaire anfing. Einen solchen Erfolg hat nicht jeder Schauspieler. Es ist eine absolut einzigartige Erfahrung.
Petzel: Daß er sich so furios entwickeln würde zum Kassenmagneten, das war, vermute ich, selbst dem Produzenten vorher nicht klar und Pierre Brice sicher nicht.
Pierre Brice wird vom deutschen Publikum zum beliebtesten Schauspieler gewählt. Neun Jahre lang ist er die unangefochtene Nummer eins, weit vor seinen Landsmännern Delon, Belmondo, aber auch vor James Dean, Charlton Heston, Clint Eastwood und Sean Connery. Pierre Brice ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Der sanftmütige Franzose bringt die Deutschen zum Träumen. Ein echter Superstar. Und dementsprechend wird er von den Medien inszeniert. Die Karl-May-Filmserie ist finanziell ausgesprochen lukrativ und rettet die deutsche Kinoindustrie über die 60er Jahre. Winnetou wird zur Ikone, zum Werbeträger und zum Markenzeichen. Nur in einem geht Horst Wendlandts Rechnung nicht auf: Der erhoffte internationale Erfolg bleibt aus. Neben einer gewissen Verbreitung in Osteuropa sind die Karl-May-Filme in erster Linie ein Phänomen in den deutschsprachigen Ländern, und sehr zum Leidwesen von Pierre Brice bleibt er gerade in seinem Heimatland Frankreich ein Unbekannter.
„Winnetou III“ (1965) und der Publikumsprotest
Brice: Meine Lieblingsszene in den Winnetou-Filmen? Mein Tod. Als ich am Ende von „Winnetou III“ sterben mußte, sagte ich mir: Das war’s für mich mit Winnetou. Jetzt kann ich zurück nach Italien, wo ich bekannt bin. Und vielleicht werden mir die Franzosen irgendwann auch eine Rolle geben. Da erhalte ich einen Anruf von Horst Wendlandt: „Pierre, ich nehme das nächste Flugzeug. Ich muß mit dir reden.“
Battaglia: Das deutsche Publikum reagierte auf eine unglaubliche Weise. Nachdem ich Winnetou getötet hatte, schlossen sich für mich alle Türen. Ich hatte auf einmal keine Kontakte mehr. Und sobald ich auf eine Party kam, spürte ich ringsum echte Verachtung. Auch Menschen, die gebildet waren, die einen gewissen sozialen Status hatten, musterten mich verächtlich von Kopf bis Fuß. Das machte mich so verlegen, daß ich nicht mehr ausgegangen bin.
Angeführt von „Bravo“ organisiert das Publikum den Widerstand. Unter dem Motto „Winnetou darf nicht sterben“ tritt das Magazin eine Protestwelle gegen Produzent Wendlandt los. Unter dem Druck muß Wendlandt reagieren. Zur großen Verwunderung von Pierre will er ihn für weitere Filme verpflichten.
Brice: Er sagte: „Wir drehen wieder einen neuen Winnetou.“ – „Das geht doch nicht; ich bin gerade erst gestorben.“ – „Spielt keine Rolle. Wenn du morgen wieder über die Leinwand reitest, wird das Publikum keine Fragen stellen, warum du wiederauferstanden bist.“
Petzel: Karl-May-Filme haben einen religiösen Bestandteil. Und das ist eben der Winnetou. Der Winnetou ist nicht von dieser Welt, zumindest nicht ganz von dieser Welt. Er kommt aus dem Nichts, und er fährt am Ende auch empor, nachdem er sich für den Freund geopfert hat. Er ist eine Erlösergestalt, das ist das Entscheidende, ein bißchen Jesus ähnlich.
Nach dem Ausstieg von Lex Barker
Und wie Jesus auf die Erde, kehrt auch Winnetou auf die Leinwand zurück. Neue Filme entstehen. Doch einiges ist nun anders. Allen voran die Tatsache, daß Old Shatterhand nicht mehr an der Seite von Winnetou reitet. Die Blutsbrüder gehen getrennte Wege. Alternde US-Westernhelden wie Rod Cameron und Stewart Granger ersetzen Lex Barker.
Barker: Mein Vater war Anfang der 50er Jahre schon einmal auf eine Figur festgelegt gewesen. Jetzt hatte er das Gefühl, daß ihm in Deutschland das gleiche passierte. Er sagte sich: Ich spiele diese Rolle schon zum vierten oder fünften Mal. Ich werde in Europa ewig Old Shatterhand bleiben. Also steige ich lieber aus, gehe in die USA zurück und versuche, dort etwas Neues zu finden.
Und noch etwas ist anders: Die Deutschen sind nicht mehr die einzigen in Europa, die Western drehen. Auf der anderen Seite der Alpen, in Italien, interpretieren Regisseure wie Sergio Leone und Sergio Corbucci das Genre ganz auf ihre Weise. Mit den edelmütigen Helden der Karl-May-Filme haben Django und Konsorten allerdings wenig gemein. Wobei es die Spaghetti-Western ohne die Sauerkraut-Western wahrscheinlich nie gegeben hätte.
Petzel: Die Italiener haben gesehen: Die Deutschen haben da großen Erfolg mit ihren Karl-May-Filmen. Laßt uns das auch mal versuchen. Wir können das auch, und wir können das vermutlich besser. Und sie konnten es tatsächlich besser, nämlich auf einer international vermittelbaren Ebene. Die italienischen Westernproduktionen wurden nämlich, anders als die deutschen Karl-May-Western, internationale Erfolge. Später guckte dann auch Horst Wendlandt den Italienern etwas ab. Er wollte dann ein bißchen abkupfern, was die italienischen Filme so erfolgreich machte. Das transportiere ich mal in die deutschen Karl-May-Filme. Er reicherte sie mit Actionelementen an, ein Schuß Brutalität, ein Hauch von Zynismus in den letzten Filmen, und scheiterte damit grandios, denn das wollte kein Karl-May-Fan sehen, das paßte nicht zum romantischen Winnetou.
Die Serie dümpelt vor sich hin. Neu engagierten Regisseuren wie Action-Spezialist Alfred Vohrer gelingt es nicht, die Karl-May-Filme weiterzuentwickeln. Sie sind in einer ästhetischen Sackgasse gelandet.
Brice: Ich glaube, es wäre amüsant gewesen, einen Karl-May-Film mit Sergio Leone zu drehen. Vielleicht wäre ich dann heute so bekannt wie Clint Eastwood.
Ende der Karl-May-Film-Reihe
1968 fällt die Klappe für den letzten Karl-May-Film, für den sogar Lex Barker noch einmal zurückkommt und Harald Reinl die Regie übernimmt. Doch auch der Rückgriff auf die frühere Erfolgsformel bringt nichts mehr.
Petzel: Und 1968 war Schluß. Und da waren diese Filme tatsächlich schon unzeitgemäß. Sie paßten nicht mehr in die Landschaft. In die Zeit rein paßte eben gerade der Protest. Die Jugendlichen standen auf und lehnten die Autoritäten ab, wendeten sich gegen die Väter, und die Karl-May-Filme jener Zeit propagierten ja eher ein rückwärtsgewandtes Menschenbild oder Weltbild, die heile Welt. Das war nicht mehr kompatibel. Und 1968 gingen in die Karl-May-Filme eigentlich nur die Zurückgebliebenen. Die Avantgarde, die hörte die Beatles oder noch besser die Rolling Stones und ging inzwischen in ganz andere Filme.
Pierre Brice nimmt eine Auszeit und zieht sich zurück. Es wird still um ihn. Anfang der 70er stürzt das Farbfernsehen die Kinowirtschaft in eine tiefe Krise. Pierre Brice, der sich nach einer neuen Herausforderung umschaut, versucht, in dem neuen Medium Fuß zu fassen. Er wird für „Star Maidens“ engagiert, eine deutsch-britische Science Fiction-Serie. Für Pierre eine Chance, sein Indianer-Image abzustreifen.
Fernsehserie „Star Maidens“
Krüger: Ich glaube, daß diese „Star Maidens“, also diese Mädchen aus dem Weltall, damals dem Zeitgeist der Mitt-70er-Jahre entsprochen haben, daß Frauen diese dominanten Rollen und Männer die Frauenrollen übernehmen als Resultat der ganzen 68er-Revolution und so weiter. Was wahrscheinlich der Pierre Brice gar nicht wollte: Er war dadurch erneut in einem Trend. Ich weiß gar nicht, ob er mit dem Image des Winnetou brechen wollte. Ich glaube, das war eine Rolle, die man ihm angeboten und die er dann angenommen hat. Ich weiß gar nicht, ob er neben dem Winnetou sehr viele Rollenangebote hatte.
Gerade das deutsche Publikum kann mit seiner Entscheidung, sich in fremde Galaxien abzusetzen, wenig anfangen und straft seinen Versuch, die Rolle zu wechseln, mit Ignoranz. An seine früheren Erfolge zumindest kann er nicht anknüpfen. Pierre Brice spürt: Um sein Publikum, seine Fans wieder zu fesseln, bleibt ihm nur eine Wahl.
Petzel: Naja, das ist schon eine gewisse Tragik für einen Schauspieler, so auf eine Rolle festgenagelt zu sein, der er praktisch nicht mehr entfliehen kann. Das hat ihn sicher belastet, und er hat nach anderen Herausforderungen gesucht, aber die eben leider nicht gefunden. Dafür war der Erfolg zu stark. Er wurde zu sehr identifiziert, und das Publikum sah eben hinter jeder Rolle den Winnetou.
Brice: In Deutschland bin ich in einer Art goldenem Käfig. Für die Filmleute war ich immer nur der Winnetou, was natürlich auch sehr bequem für mich war. Ich habe eine negative Seite, aber die positive überwiegt doch bei weitem.
Brice bei den Karl-May-Festspielen und in „Mein Freund Winnetou“ (1980)
1976, acht Jahre nach seinem letzten Film, kommt es endlich zu Winnetous heiß ersehntem Comeback. Brice wird von den Karl-May-Festspielen im sauerländischen Elspe engagiert. Den ganzen Sommer über spielt er auf einer großen Freilichtbühne bis zu zweimal am Tag den großen Apachenhäuptling. Der neue Winnetou ist ein Winnetou zum Anfassen. Der Leinwandheld ist Fleisch geworden.
Brice: Ich war neugierig, ob Winnetou noch immer so populär war. Auch die Vorstellung, wieder auf einem Pferd zu sitzen und die alte Rolle zu spielen, reizte mich. Und ich wollte wissen, wie das Ganze bei einem Live-Publikum ankommen würde – auf einer 100 Meter breiten Freilichtbühne mit 200 Laiendarstellern. Und schon bei der ersten Vorstellung merkte ich, daß Winnetou immer noch ein Erfolg und die Begeisterung für Karl May ungebrochen war. Danach habe ich Winnetou zehn Jahre lang gespielt. Der Applaus war sagenhaft. Ein außergewöhnlicher Triumph. Eines Tages kam ein französischer Produzent, um sich die Vorstellung anzusehen. Das brachte ihn auf die Idee, eine Fernsehserie zu drehen, die in Mexiko spielen sollte, also dort, wo die Apachen wirklich lebten. Und so drehten wir dann in Mexiko inmitten herrlicher Landschaften. Da die Serie von einem Franzosen gemacht wurde, nahm sie natürlich eine andere Dimension an, weit weg von der Naivität Karl Mays. Alles war viel realistischer und zeigte das echte Leben der Indianer. Auch die Kostüme waren viel authentischer. Für mich war diese Serie ein großer Erfolg. Die Deutschen mochten sie weniger, weil der naive Charakter der Karl-May-Filme fehlte. Trotzdem: Es bleibt meine Lieblingsserie.
Bis Anfang der 90er Jahre gibt Brice weiterhin auf Freilichtbühnen den Winnetou. Nach Elspe spielt er ab 1987 im norddeutschen Bad Segeberg. Dank Brice, der sich nur noch um Buch und Regie kümmert, verzeichnen die Bühnen Zuschauerrekorde. Denn Brice ist das Original. Neben ihm gibt es keinen anderen Winnetou. Er allein garantiert volle Ränge.
Barker: Für Pierre hatte es nur Vorteile. Dadurch blieb er ein Star, und die Legende lebte weiter. Er surfte eben auf der Welle, die ihn bisher getragen hatte. Als Schauspieler sage ich mir doch: Wenn ich irgendwo so populär bin und damit Geld verdiene und auch noch als Held verehrt werde, regelmäßige Arbeit habe und in Bad Segeberg die Bücher schreiben und Regie führen kann, da würde doch jeder, den man fragt, sagen: Na klar, warum denn nicht? Mach es! Er tat es, und ich glaube, viele Menschen sind ihm dafür sehr dankbar.
Brice als TV-Serien-Darsteller
Daneben etabliert Brice sich in deutschen Fernsehproduktionen. Er tauscht Silbersee gegen Wörthersee, wird ein gefragter Seriendarsteller und der Deutschen liebster Vorzeigefranzose. Auch in der Rolle des Pariser Pferdehändlers Blondeau schlägt er sich wahrlich tapfer. Wobei – es muß gesagt werden – durch die Herzen dann doch wieder Wehmut nach Winnetou weht.
Krüger: Hier haben die Leute gesagt: Wir können ihm keine andere Rolle geht, die völlig gegen den Typus geht. Daß er das selber logischerweise gern getan hätte, ist klar, aber das wollen alle Sympathieträger. Das gelingt ganz selten. Da müssen Sie schon sehr vielseitig sein, aber dann sind Sie auch nicht so der totale Star. Diese totalen, wirklichen Stars, die spielen in erster Linie immer sich selber oder letztlich immer die gleiche Rolle.
Petzel: Pierre Brice – er verkörperte diesen Winnetou, und das ist für einen Schauspieler ein großes Glück, eine große Gnade, also diese Rolle überhaupt einmal im Leben zu ergattern. Er verkörperte diesen Winnetou, er war ihm auf den Leib geschneidert. Ein Beweis dafür mag sein, daß es keinen Schauspieler bisher gegeben hat, der sich in dieser Rolle durchsetzen konnte, weil im Hintergrund… im Hinterkopf hat das Publikum immer nur Pierre Brice. Und gegen diesen Winnetou von Pierre Brice anzuspielen, das ist bis heute schier unmöglich.
„Winnetous Rückkehr“ (1998)
Pierre Brice hat als Winnetou jeden Kampf gewonnen. Er hat tapfer das Böse ausgeschaltet und für die Deutschen den Glauben an das Gute wiederhergestellt. Nur einen Kampf hat er verloren: Pierre Brice konnte machen, was er wollte – er blieb immer Winnetou. Und dafür wurde er verehrt und geliebt. 1998 heißt es dann: Spiel ihn noch einmal, Pierre. In dem Zweiteiler „Winnetous Rückkehr“ gibt Pierre Brice dem Wunsch seines Publikums nach und schlüpft im Alter von 68 Jahren noch einmal in die Rolle seines Lebens.
Brice: ich stehe jetzt im Herbst meines Lebens. Ich habe nicht alles gemacht, was ich gern getan hätte. Ich gehörte zu Beginn meiner Laufbahn keiner Clique an, und am Ende gehöre ich noch immer keiner an. Ich gehöre nicht ins Filmmilieu. Im Grunde habe ich eine sehr seltsame Karriere. Im Endeffekt hat das Schicksal meine Karriere bestimmt, ohne mein Zutun. Und weil ich an das Schicksal glaube, kann vielleicht noch jemand kommen und mir das anbieten, worauf ich warte.
Noch ein 30minütiges Frühwerk von Hartley: „Die Freundin des Kartographen“ (1987). Das ist der zugänglichste der drei Filme, was nicht bedeutet, daß er konventionell ist. Es geht tatsächlich um einen Kartographen (Steven Geiger) und eine Frau (Marissa Chibas), die vorübergehend seine Freundin ist. Sie taucht plötzlich in seiner Wohnung auf und benimmt sich so, als ob beide schon eine lange Beziehung hätten. Er interessiert sich eigentlich nur für Vermessungen und Karten, sie dagegen möchte ihre Liebe leben. Das ist ziemlich witzig inszeniert. Wiederum kommt aber keine richtige Beziehung zustande, und am Ende, als er endlich richtig Feuer gefangen hat, verläßt sie ihn, wobei weder ihr Auftauchen noch ihr Abgang irgendwie nachvollziehbar wäre.
Auch hier bleibt Hartley seinem Stil weitgehend treu. Ich habe den Eindruck, er achtete genau darauf, daß sein Film nicht irgendwo bekannten Erzählmustern folgt. Ich finde es bemerkenswert, daß seine Arbeiten trotzdem nie verrätselt und angestrengt künstlerisch erscheinen. Mich würde jetzt interessieren, wie seine Filme rüberkommen, die normale Spielfilmlänge haben. Leider habe ich unmittelbar keine Möglichkeit, mir einen anzusehen. „Die Freundin des Kartographen“ hat einen ähnlichen Soundtrack wie „Kid“, wiederum ohne Angaben, woher die Musik stammt. Marissa Chibas ist Theaterschauspielerin und Filmemacherin in New York.
„Die große Lüge“ (1946) von Curtis Bernhardt wurde zum 75. Geburtstag von Glenn Ford ausgestrahlt. Etwas unpassend, denn es ist, auch wenn Ford eine Hauptrolle spielt, ganz klar ein Bette-Davis-Film. Ein Melodram, das Georg Seeßlen genauer als „woman’s film“ einordnet. Ich bin ziemlich sicher, daß ich ihn wegen Curtis Bernhardt aufgenommen habe. Kurt Bernhardt war ein deutscher (jüdischer) Regisseur, der 1933 während der Dreharbeiten zu dem Science Fiction-Film „Der Tunnel“ nach Frankreich und später nach Hollywood floh, wo er zahlreiche Melodramen drehte. Er führte übrigens auch Regie bei dem ersten Film, in dem Marlene Dietrich als femme fatale auftrat: „Die Frau, nach der man sich sehnt“ (1929). „Die große Lüge“ ist ein sehr interessanter, wenn auch reichlich verdrehter Film. Nicht der Typ „Lieblingsfilm“, aber einer, über den man ein bißchen nachdenken kann.
„Woman’s film“ bedeutet, daß es darum geht, daß und wie eine Frau ihr Glück findet. In der großen Zeit der Melodramen, den 1940er und 50er Jahren, konnte das nur bedeuten: Findet sie den Mann, mit dem sie in der Ehe glücklich werden kann? Aber immerhin: Ford ist hier beinahe zum Statisten degradiert, und Davis hat die emotionalen Dramen zum Ausdruck zu bringen, die sich in ihr abspielen. Zur Handlung: Sie spielt eine Doppelrolle, zwei Zwillingsschwestern, die sich zum Verwechseln ähnlich sehen, aber charakterlich völlig verschieden sind. Kate ist zurückhaltend, skrupulös und moralisch, Pat dagegen leichtlebig und oberflächlich. Auf einer Insel vor der Küste von Massachusetts lernt Kate Ford kennen, der dort auf einer Insel einen Leuchtturm wartet. Zwischen ihnen bahnt sich eine Romanze an, aber als Ford sie dann zum Essen einlädt, trifft er durch Zufall zunächst den Zwilling Pat. Pat durchschaut die Situation blitzschnell und schnappt mit ihrer lebenslustigen Art ihrer Schwester den gutaussehenden Mann vor der Nase weg. Als während des Essens Kate auftaucht, merkt Ford zwar, daß er mit der Falschen am Tisch sitzt, fühlt sich von ihr aber inzwischen stärker angezogen. Kate ist später Gast auf der Hochzeit, läuft aber verzweifelt davon.
Nach einiger Zeit treffen sich die Zwillingsschwestern wieder und beschließen, mit einem Segelboot zum Leuchtturm zu fahren. Sie geraten in ein Unwetter, und Pat fällt über Bord und ertrinkt. Kate will im letzten Moment ihre Hand ergreifen, kann aber nur ihren Ehering festhalten. Sie selbst wird gerettet und zum Leuchtturm gebracht. Als sie aus einer Ohnmacht erwacht, merkt sie, daß alle sie wegen des Eherings für Pat halten. Sie sieht die Chance, in der Rolle ihrer Schwester Ford doch noch zu gewinnen. Allerdings muß sie feststellen, daß sich Ford ihr gegenüber sehr reserviert verhält. Nach und nach kommt heraus: Pat hat ihr bisheriges Leben mit schnell wechselnden Liebhabern auch nach der Hochzeit fortgesetzt, während er einen ungeliebten Job annahm, nur weil sie von ihm einen höheren Lebensstandard erwartete. Sie hatten sich schon auf die Scheidung geeinigt. Wieder ist Kate verzweifelt – sie glaubt, die erneute Trennung von Ford nicht verhindern zu können. Erst als ein wohlmeinender Onkel, der sie als einziger durchschaut hat, sich ihrer annimmt und an sie appelliert, Ford die Wahrheit zu sagen, findet sie den Mut, reinen Tisch zu machen. Und im selben Augenblick merkt Ford, daß er Kate doch mehr liebt als Pat…
Diese Story ist natürlich hanebüchen, aber man ist versucht zu überlegen: Was soll da symbolisiert werden? „Die große Lüge“ hat etwas vom Aschenputtel-Märchen. Zudem ist eine Frau hier offenbar in die gute und die böse Frau gespalten. Vielleicht müssen alle bösen Eigenschaften erst „untergehen“, bevor Bette Davis zu einem glücklichen Leben mit dem Mann ihrer Träume in der Lage ist? Immerhin geht es im Kern um die Lebensentscheidung, die sie trifft; sie wird nicht, wie in den meisten Hollywoodfilmen jener Ära, nur geheiratet, ohne groß gefragt zu werden. Oder handelt es sich hier doch nur um eine unwahrscheinliche Geschichte, die nur extreme Gefühle auf die Spitze treiben soll? Auf jeden Fall ist der Film technisch ziemlich gut, vor allem die Split-Screen-Trickaufnahmen, in denen Bette Davis doppelt auftritt und die ich teilweise noch immer verblüffend finde. Davis spielt die beiden Schwestern, die exakt gleich aussehen, in ihrem Verhalten unterscheidbar, was nicht einfach gewesen sein dürfte. Raffiniert finde ich, wie sich die Szene wiederholt, in der eine Schwester irrtümlich für die andere gehalten wird und dann auch in diese Rolle schlüpft – erst Pat, dann Kate. Der Film kommt jedoch nie dahin, daß man ihm beim Betrachten die Irrungen und Wirrungen nicht mehr abnimmt, was für mich den versierten Regisseur verrät.
Diese Warner-Produktion (möglicherweise hat Bette Davis selbst mitproduziert) gewann zwar keine Preise, war aber ein box office-Hit, was dafür spricht, daß auch die Zuschauer, in diesem Fall wohl vor allem Zuschauerinnen, in dem Film etwas fanden, was sie ansprach.
Zurück zur Nouvelle Vague und zu einem ihrer wichtigsten Vertreter. Von Claude Chabrol habe ich leider kein richtungweisendes Frühwerk, sondern nur zwei Filme aus seiner späteren Schaffenszeit. Beginnen wir mit „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“ (1974), der interessanterweise auf Vox lief – ohne Werbeunterbrechungen. Man könnte sagen, Chabrol macht hier einen typischen Stoff des Film noir zu einem Woman’s Film. Denn auch hier steht eine Frau ganz im Mittelpunkt: Romy Schneider. Chabrol behält zwar die Krimistruktur und ihre Spannungsmomente bei, aber ihm geht es darum, seine Heldin in einem Geflecht von männlichen Interessen, Betrachtungsweisen und Handlungen zu zeigen. Das wird dadurch besonders hervorgehoben, daß sie die einzige Frau ist, die in dem Film vorkommt. Chabrol, so ist zu lesen, hat aus seiner Romanvorlage („The damned Innocents“ von Richard Neely) alle anderen Frauenrollen konsequent entfernt. „Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen“ gilt allgemein als ein schwächerer Chabrol-Film, aber mir hat er recht gut gefallen.
Romy Schneider, verheiratet mit einem älteren, reichen Geschäftsmann (Rod Steiger), lernt einen jungen Mann (Paolo Giusti) kennen, der auf dem Grundstück ihrer Villa in St. Tropez nach seinem weggeflogenen Drachen sucht, und macht ihn zu ihrem Liebhaber. Steiger ist Trinker und impotent, und sie will ihn schon seit langem loswerden. Von all dem hat er noch nichts mitbekommen; er begrüßt Giusti eher freundlich in seinem Haus. Die beiden schmieden einen Mordplan: Steiger wird bewußtlos geschlagen, Giusti bringt ihn auf seine Yacht, um ihn im Meer zu versenken. Aber auch er kehrt nicht wieder. Stattdessen beginnt die Polizei mit Ermittlungen und kommt der Affäre auf die Spur. Schneider muß vor dem Ermittlungsrichter erscheinen, aber ihr Verteidiger erreicht ihre Freilassung, weil die Beweise nicht ausreichen. Nicht zuletzt fehlt die Leiche von Steiger, und von Giusti ist nur das Wrack seines verunglückten Autos aufgetaucht. Die Polizei bleibt an der Sache dran und stößt nach und nach auf weitere belastende Indizien. Aber es stellt sich auch heraus, daß Steiger kurz vor seinem Verschwinden sein gesamtes Vermögen versilbert und von der Bank abgehoben hat. Das paßt nicht zur Theorie der Ermordung durch seine Ehefrau.
Doch dann ein Schock: Steiger taucht unvermittelt wieder auf. Wie er erzählt, ist er nicht über Bord geworfen worden. Vielmehr hat er Giusti gezwungen, ein Geständnis zu schreiben, in das auch Schneider einbezogen ist, und ihn dann getötet. Hinterher hat er den Autounfall fingiert und den Verdacht auf seine Frau gelenkt. Aber Steiger hat sich geändert. Er hat mit dem Trinken aufgehört und ist auch wieder liebesfähig – er will Schneider vergeben und mit ihr in Martinique neu anfangen. Auch sie findet zu ihrer alten Liebe zu ihm zurück, aber dann erscheint auch Giusti wieder auf der Bildfläche. Steiger war in Wahrheit nicht imstande, ihn umzubringen. Giusti hat sich darauf an seine Fersen geheftet und heimlich beobachtet, wie er sich mit seiner Frau versöhnt hat. Giusti zwingt Steiger mit vorgehaltener Pistole, sein Geld und das schriftliche Geständnis herauszugeben, und nun will er mit Schneider verschwinden. Sie geht darauf ein, und das trifft Steiger so sehr, daß er einen Herzinfarkt erleidet. Giusti und Schneider fahren davon, aber sie bittet ihn inständig, einen Arzt für ihren Mann zu rufen. Giusti hat dazu nicht die geringste Lust, stattdessen will er sofort mit ihr schlafen, was in ihr nur Ekel hervorruft. Im letzten Moment taucht die Polizei auf und nimmt beide fest. Giusti droht nun eine lange Haftstrafe, und Schneider muß wohl auch ins Gefängnis, ungeachtet dessen, daß sie versucht hat, ihren Mann zu retten. Steiger stirbt jedoch, bevor Hilfe eintrifft. Der Rechtsanwalt resümiert: „Wir leben in einer Männerwelt mit Gesetzen, die gemacht sind von Männern für Männer. Es ist die Gerechtigkeit der Männer.“
Mir hat der Film gefallen, weil es ein Krimi ist, der ganz entgegen den Genreregeln inszeniert wurde – ziemlich langsam, mit langen intensiven Einstellungen von Gesichtern, die Gefühle wiederspiegeln. Das mysteriöse Verbrechen und die komplizierten Ermittlungen erzeugen Spannung, aber Chabrol ist nur am Gezerre von Polizei, Justiz, Freunden und Liebhabern um Romy Schneider interessiert. Dabei hat sie allerdings selbst keinen Part, der große schauspielerische Leistungen erfordert. Sie ist noch immer einfach die femme fatale des alten Film noir. Im Gegensatz zu damals wird ihre Rolle hier aber sehr hinterfragt. Schneider hatte sich gewünscht, einmal mit Chabrol zusammenzuarbeiten, war dann von den Dreharbeiten jedoch enttäuscht: Sie „war immer eine Schauspielerin, die nur dann glänzende Leistungen brachte, wenn sie sich bei einem Regisseur aufgehoben fühlte“, schreibt Michael Jürgs in seiner Schneider-Biografie. Chabrol gab ihr jedoch kaum Regieanweisungen. „So spielt sie bei Chabrol in Routine und Schönheit“, fährt er fort, „doch ohne die Hingabe.“ Und er merkt an: „Wieder ist die Mischung von Sex und Gewalt an den Kinokassen erfolgreich.“ Chabrol wurde im übrigen häufig vorgeworfen, er neige dazu, „zu glatt“ zu inszenieren, und das sei ihm bei diesem Film auch passiert. Trotzdem ein ungewöhnliches und für mich auch sehenswertes Werk. Vielleicht wird der Unterschied zu Chabrols besseren Filmen noch deutlich, wenn ich mir den zweiten Film auf der Cassette ansehe.
Der zweite Chabrol-Film auf der Cassette ist „Die Fantome des Hutmachers“ (1982), und er wurde anläßlich des 65. Geburtstags des Regisseurs in 3sat gezeigt. Es ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Georges Simenon, also eines Non-Maigrets. Ich vermute, daß Chabrol ihn ziemlich werkgetreu umgesetzt hat. Ob sich dieses Werk zur Verfilmung eignet, halte ich jedoch für fraglich. Es ist ein stiller Blick in einen tiefen bürgerlichen Abgrund, aber der Geschichte fehlt es deutlich an Spannung – von der letzten Viertelstunde im Film abgesehen. Unbestreitbar entfaltet er seine Wirkung, und die Schauspieler – diesmal alles französische Charakterdarsteller – sind sehr gut, aber es macht sich dennoch über weite Strecken Langeweile breit.
Michel Serrault, der Hutmacher, hat seine an den Rollstuhl gefesselte Frau umgebracht, die ihm viele Jahre lang das Leben zur Hölle gemacht hat. Er vertuscht den Mord, indem er sie anscheinend im ehelichen Schlafzimmer einschließt und sie nur selbst aufsucht. Tatsächlich sitzt nun eine Schaufensterpuppe im Rollstuhl, die er aber abends ans Fenster schiebt; Beobachter ihrer Silhouette müssen glauben, sie sei noch am Leben (das erinnert ein wenig an Hitchcocks „Psycho“). Direkt gegenüber seinem Hutgeschäft befindet sich der Schneider- und Bekleidungsladen von Charles Aznavour, eines Außenseiters in der kleinen Stadt. Der argwöhnt, daß mit Serraults Frau etwas nicht stimmt, und verfolgt ihn stets, wenn er das Haus verläßt, kann aber die Wahrheit nicht aufdecken. Damit der Mord wirklich unentdeckt bleibt, muß Serrault nach und nach auch die sieben Freundinnen seiner Frau töten, die sie sonst regelmäßig besuchen. Ihre Leichen werden gefunden, aber die Polizei tappt im Dunkeln. Die siebte ist allerdings schon eines natürlichen Todes gestorben, als er sie aufsucht, um sie zu erdrosseln.
Nun denkt er, er könne mit dem Morden wieder aufhören. Je sicherer Serrault ist, daß Aznavour ihm nicht an den Karren fahren kann, desto mehr freundet er sich mit ihm an. Und der macht keine Anstalten, Serrault an die Polizei zu verraten. Doch Aznavour wird schwer krank und stirbt ebenfalls. Nun gibt es niemanden mehr, der Serrault verdächtigt. Er kann freilich keineswegs mit dem Töten aufhören. Zuerst ermordet er sein Dienstmädchen (Christine Paolini), das ihm durch Naivität und Dummheit auf die Nerven fällt. Dann trifft es eine alleinstehende Frau (Aurore Clement), die er in der Nacht aufsucht, um sich von ihr trösten zu lassen, und die ihn eigentlich lieber abweisen würde. Während Serrault das erdrosselte Dienstmädchen noch sorgfältig im Zimmer seiner Frau versteckt hat, wird er nun unvorsichtig. Eine Besucherin entdeckt ihn am Morgen schlafend in der Wohnung der Frau und ihre Leiche neben sich.
Die Inhaltsangabe zeigt, daß „Die Fantome des Hutmachers“ kein richtiger Krimi ist: Der Mörder ist nach kurzer Zeit bekannt, die Ermittlungen führen aber nicht zum Ziel, sondern Serrault enttarnt sich am Ende quasi selbst. Er ist kein Meisterplaner, sondern erweist sich schließlich als mit seiner Mordserie überfordert. Natürlich ist der Film von einem leisen Grauen durchzogen, und Chabrol entlarvt hier wieder einmal die Selbstgerechtigkeit und Doppelmoral des (französischen) Kleinbürgertums. Aber die Geschichte wird so dargeboten, daß sich das Interesse des Zuschauers nirgendwo richtig festhalten kann, auch wenn viele der einzelnen Szenen exquisit inszeniert sind. Ich vermute, daß Chabrol der konventionellen Kriminalgeschichten überdrüssig war und ihm deshalb der seltsame Roman von Simenon gerade recht kam.
Warner Bros. Vorfilme
BATMANS RÜCKKEHR und LETHAL WEAPON 3 (VHS)
Falls jemand noch irgendwelche "versteckten" Looney Tunes als Vorfilm auf VHS findet, gerne hier melden.
Mögliche, noch nicht geprüfte Kandidaten wären die Verleih-Versionen von "Passagier 57" und "Die unendliche Geschichte 2".
Bislang bekannt:
"Water, Water Every Hare"
VHS - BATMANS RÜCKKEHR
mit Joachim Kaps (Bugs Bunny), Peter Matic (verrückter Wissenschaftler)
"Duck! Rabbit! Duck!"
VHS - LETHAL WEAPON 3
mit Joachim Kaps (Bugs Bunny), Uwe Paulsen (Elmer Fudd), Dieter Kursawe (Daffy Duck)
Da gibt es offenbar zwei Joachime Kaps.
Nachdem ich mich kürzlich mit Bette Davis beschäftigt habe, bin ich auf einen weiteren Film mit ihr gestoßen. Es ist der Film, in dem sie erstmals als Star eingesetzt wurde: „Spätere Heirat ausgeschlossen“ (1933) von Robert Florey. Ich habe ihn sicher aus diesem Grund aufgenommen. Er ist allerdings keineswegs ein Highlight ihrer Karriere und bestenfalls gesellschafts- und vielleicht noch filmhistorisch von Interesse. Ich glaube, dieses Melodram, das manchmal fälschlich auch als Komödie bezeichnet wird, ist einer der schlechtesten Filme in meiner Videosammlung. Doch ich habe mich nicht dazu durchringen können, die Cassette einfach wegzuwerfen, zumal eine ziemlich gute Fernsehfassung von Lorcas Drama „Bernarda Albas Haus“ mit drauf ist (Fernsehfilme werde ich allerdings hier nicht besprechen).
„Spätere Heirat ausgeschlossen“ hat eine Vorgeschichte. Der Film gilt als Remake von Archie Mayos „Illicit“ (das bedeutet „verboten“) von 1931 mit Barbara Stanwyck. Das scheint ein ganz flotter Film zu sein – es sieht so aus, als gebe es davon keine deutsche Fassung; ich habe ihn nie gesehen. Beide Filme wurden noch vor Einführung des Production Code produziert. Sie behandeln das Thema „Ehe ohne Trauschein“, was Anfang der 1930er Jahre in der amerikanischen Gesellschaft noch keine anerkannte Form des Zusammenlebens war. Die Hauptdarstellerin (Stanwyck/Davis) wird aber nicht als unmoralisch charakterisiert, womöglich gar als femme fatale. Und es wird, jedenfalls in dem Bette-Davis-Film, sehr ernsthaft und eingehend erklärt, warum es für eine Frau wünschenswert sein kann, auf die Ehe zu verzichten. Es war damals ein Aufregerthema, aber es war kein Skandalfilm. Die Zensur griff nur ein, wenn die Institution Ehe herabgewürdigt oder nichteheliche Sexualität gefeiert wurde – davon gibt es hier keine Spur. Bette Davis ist eine erfolgreiche New Yorker Grafikerin, die mit einem ebenso erfolgreichen Leiter einer Werbeagentur (Gene Raymond) liiert ist. Er möchte sie gern heiraten, aber sie will nicht – sie will ihre Unabhängigkeit behalten und will auch keine Kinder.
Als ihr Vater furchtbar Krach schlägt (ihre Mutter steht bezeichnenderweise stumm daneben), gibt sie nach und heiratet Raymond. Danach besteht Davis darauf, mit ihm in Flitterwochen fahren, obwohl er gerade viel zu tun und ein ungutes Gefühl hat. Als sie zurückkehren, hat er einen wichtigen Auftraggeber verloren und gerät in finanzielle Schwierigkeiten. Davis verdient mit ihren Illustrationen immer noch viel Geld und meint, sein wirtschaftlicher Abstieg sei nicht so schlimm. Aber er fühlt sich gedemütigt und willigt heimlich ein, mit einer alten Freundin auszugehen. Als Davis dahinterkommt, tröstet sie sich mit einem Treffen mit einem verheirateten Mann, der schon lange hinter ihr her ist. Zwischendurch sprechen sich Davis und Raymond mehrmals aus und versuchen, ihre Beziehung wieder zu kitten. Aber erst ganz zum Schluß merken sie, daß sie wirklich niemand anderen lieben, und versöhnen sich.
Nach Meinung von US-Kritikern erreicht der Film den Esprit von „Illicit“ bei weitem nicht. Das ist gut möglich, denn „Spätere Heirat ausgeschlossen“ ist jedenfalls aus heutiger Sicht ziemlich langweilig. Es ist ein Thesenfilm – es passiert nichts Unanständiges (keine Seitensprünge – offenbar gehen die beiden Pärchen nur miteinander aus). Es soll nur ein Modell des Zusammenlebens durchgespielt und durchdiskutiert werden. Darüber hinaus wirkt es auf mich so, als bestünde die These darin, daß man, wenn man nicht verheiratet ist, nur schöne Erlebnisse miteinander hat – sobald es mal schwierig wird, kann man den Partner fallenlassen und woanders Zerstreuung suchen. So kann aber, denke ich, auch eine wilde Ehe nicht funktionieren. Vielleicht zeigt der Film, daß man damals allgemein noch wenig Erfahrung mit der Sache hatte.
Robert Florey, ein aus Frankreich stammender Kinopionier, inszeniert dieses kleine Kammerspiel (nur 65 Minuten lang) routiniert. Die Schauspieler agieren professionell, und Bette Davis macht tatsächlich keine schlechte Figur. Ansonsten ist der Film weit überholt und hat nichts mehr zu sagen. Immerhin hat er seinen Zweck erfüllt: Er wurde zum Startpunkt der großen Filmkarriere von Bette Davis – die allerdings zu diesem Zeitpunkt noch blond war und ihren hypnotischen Blick aus großen Augen nur hin und wieder einmal zeigte.
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