"Die Jagd nach der Flasche"

  • "hättet gerne" ist so eine Sache. Eigentlich sehe ich da keinen großen Änderungsbedarf, da es sich ja nicht um historische Fachliteratur handelt, und wenn man den Standard beibehält und nicht immer nur eine Kultur die Aggressoren liefert und die andere die heldenmütigen Verteidiger, ist es soweit kindgerecht okay.

    Historisch gesehen ist es freilich ein anderes Ding, wenn wir mal bei den Kreuzzügen bleiben. Man darf sich vielleicht in Erinnerung rufen, daß der mittelalterliche Zivilisationskern Europas, also West-, Süd- und Mitteleuropa, seit dem Ende der römischen Expansion - im 3. Jahrhundert - zwar eine fast ununterbrochene Reihe an internen Kriegen gesehen hat, aber bis ins 11. Jahrhundert praktisch keine aggressive Außenpolitik betrieben hat. Stattdessen war man permanentes Ziel fremder Aggressoren: Germanen, Sarmaten, Hunnen, Awaren, Ungarn aus dem Osten, Wikinger aus dem Norden, Araber aus dem Süden. Die Germanen wurden, nachdem sie das Weströmische Reich übernommen hatten, quasi "eingemeindet" und nahmen nun ihrerseits die Verteidigungshaltung ein. Den außereuropäischen Angreifern ist es immer wieder gelungen, große Landstriche zu erobern und ansonsten permanent zu plündern und zu brandschatzen. Der gefährlichste Feind für Westeuropa waren sicherlich die Araber in Spanien, und dort konzentrierte sich ab dem 7. Jahrhundert die Abwehr. Sehr, sehr langsam, von mehreren großen Rückschlägen begleitet, gelang dort die Rückeroberung. Byzanz wiederum blieb der Verteidiger im Südosten, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Mehr war lange Zeit nicht drin.

    Erst im 11. Jahrhundert gab es eine, wenn auch arg begrenzte, Änderung. Im Süden wurde Sizilien erobert. Im Nordosten ging man dazu über, die wenigen noch nicht christianisierten slawischen Gebiete zu übernehmen (kriegerisch und missionarisch). Und nachdem Byzanz als Bollwerk gegen die Araber und Türken zu fallen drohte, ging man auch im Südosten erstmals in die Gegenoffensive. Diese Offensive - die Kreuzzüge - blieb aber mehr oder weniger stecken. Mehr als einen schmalen Küstenstreifen hat man nicht dauerhaft besetzen können, und nach 200 Jahren war das ganze Spiel wieder vorbei. Stattdessen erfolgte der nächste Großangriff aus dem Osten, nunmehr die Osmanen, und die blieben bis ins 17. Jahrhundert eine existentielle Bedrohung. Endgültig aus Europa rausgeworfen wurden sie ja erst im 20. Jahrhundert.

    Was die ganze Sache schließlich entschieden hat und den endgültigen Siegeszug des Westens ermöglichte, war die Entdeckung Amerikas (natürlich kamen noch viele andere Faktoren hinzu, aber das war der bedeutendste). Ab dann war Europa überall auf dem Vormarsch und die alten Feinde aus dem Osten und Süden hatten irgendwann nichts mehr entgegenzusetzen.

    In groben Linien zusammengefaßt kann man also sagen, daß die Kreuzzüge in weit mehr als einem Jahrtausend - von 300 bis lange nach 1500 - der einzig nennenswerte und zudem sehr begrenzte Angriff des Westens auf den Osten war, und auch der erfolgte nur, weil nach der Zerschlagung der byzantinischen Verteidigung durch die Seldschuken das Einfallstor im europäischen Südosten sperrangelweit offen stand. Ein kurzer Versuch also, den Krieg auf das Gebiet des Feindes zu verlagern, der vermutlich Europa vor einer muslimischen Invasion bewahrt hat. Bis auf den Ersten Kreuzzug waren die anderen zudem fast alle politische und militärische Fehlschläge.

    Von daher darf man bezüglich der angeblichen ständigen Aggression des Westens auch mal etwas deutlicher argumentieren, insbesondere wenn die Kreuzzüge im politischen Diskurs mit dicken Krokodilstränen als Ursünde Europas geschildert werden, vom politischen Islam und seinen strunzdummen westlichen Verbündeten. Das ist genauso falsch wie die Darstellung von 9/11 als unprovozierter Angriff des Ostens auf den Westen. Nein. Der tatsächliche und schließlich entscheidende Angriff Europas erfolgte erst ab 1500 (zunächst Amerika und Afrika) bzw. ab 1800 (Naher Osten). Über diesen Siegeszug kann man dann gerne geteilter Meinung sein (die vielen Verbrechen in der Kolonialgeschichte sind z.B. nicht wegzudiskutieren), genau wie in der Frage, ob er nicht inzwischen zu Ende ist und sich das Blatt erneut wendet.

  • Ich danke euch beiden für die ausführlichen Erklärungen. Und das hier:

    Ein kurzer Versuch also, den Krieg auf das Gebiet des Feindes zu verlagern, der vermutlich Europa vor einer muslimischen Invasion bewahrt hat.


    ... hab ich so zumindest noch nie gelesen, halte ich aber durchaus für denkbar. Merci! Again what learned. :)

  • Vielleicht kommt die Scham vor den Kreuzzügen auch ein wenig daher, dass die christlich-abendländische Kultur ja von sich behauptet, der muslimischen Religion und Kultur moralisch überlegen zu sein. Was sich anhand der Kreuzzüge eben nicht so wirklich bestätigt... zumal an der Implosion des Römisches Reichs jetzt nicht unbedingt die Muslime schuld waren, jedenfalls nicht primär. Eine Heroisierung der Kreuzzüge im Mosaik hätte ich für wesentlich bedenklicher gefunden. Heilige Kriege (noch dazu in diesem Ausmaß) sind bitteschön kritisch zu sehen, ganz egal wem vorher was weggenommen wurde. Aber klar, die Templerserie wirft sicherlich ein historisch adäquateres Licht auf die damalige Gemengelage, stimmt.

  • Nun aber zur Serie allgemein: Für mich bleibt die zweite Don-Ferrando-Episode die beste. Diese Serie hingegen konnte mich in den ersten Heften überhaupt nicht überzeugen. Jetzt nicht vordergründig deshalb, weil die Kreuzzüge etwas einseitig dargestellt sind, sondern vielmehr aufgrund des irgendwie fehlenden Szenarios. Mit Heft 3/83 wird noch mal ein Tiefpunkt beim Aufriss erreicht - 37 Panels, also im Schnitt weniger als 2 Panels pro Seite. Das lässt den Comic-Charakter völlig flöten gehen.

    Erzählerisch beginnt die Serie für mich eigentlich erst mit Heft 4, und so wirklich Spannung stellt sich erst ab Heft 5 ein. Aber auch die folgenden Hefte leiden etwas darunter, dass es außer Don Ferrando praktisch keine weitere aktive Hauptfigur gibt, die Szenarien werden zunehmend repetitiv. Warum der Hodscha erst in Heft 11 aktiv in die Handlung eintritt, bleibt mir ein Rätsel. Hinzu kommt, dass im Verlauf der Serie die zeichnerische Qualität der Abrafaxe so deutlich nachlässt, dass auch mir das störend auffällt.
    Das Heft 12 schlägt dann aber noch mal kräftig nach oben raus und formt dem Don Ferrando-Epos einen sehr würdigen (vorläufigen) Abschluss. Auch in den Heften zuvor hält die Umgebung tolle Eindrücke bereit und zumindest phaseweise auch Witz und Spannung. Daher reicht es bei mir noch für eine gute 3.

  • Heilige Kriege (noch dazu in diesem Ausmaß) sind bitteschön kritisch zu sehen, ganz egal wem vorher was weggenommen wurde. Aber klar, die Templerserie wirft sicherlich ein historisch adäquateres Licht auf die damalige Gemengelage, stimmt.

    Vor dem Hintergrund wäre es interessant, ob auch die Eroberungs- und Beutezüge der Abbasiden nach Byzanz in der jetzigen Serie kritisch dargestellt werden. Diese Beutezüge führten ja quasi zu einer entvölkerten Grenzzone zwischen Byzanz und dem Abbasidenreich, und er Etablierung von militarisierten Grenzstädten (thughúr). In einem gewissen Maße war der Abbasidenstaat genau wie die Umayyaden ein Beutestaat, der aus der Verteilung geplünderter Beute seine Legitimität bezog. Der Wandel der Armee von semiprofessionellen Ghazis zu professionellen Söldnern und Militärsklaven führte dann zu einer dauerhaften finanziellen Überlastung.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!