Vom Schreiben zum Verfilmen

  • Spricht das nun dafür oder dagegen, daß "Blade Runner" - jedenfalls bei seinem ersten Einsatz in den Kinos - eine Enttäuschung war?

    Eine Frage, die sich nicht wirklich stellt wenn man auch mal beachtet, dass der Film mehr als doppelt so teuer wie Ridley Scotts Vorgängerfilm "Alien" war, und nicht mal ein Drittel von dessen Einnahmen generieren konnte. "Blade Runner" war bei seinem Erscheinen für das Studio, den Regisseur und die Kinobetreiber eine Enttäuschung und auch keinesfalls ein Kritikerliebling. Die Werschätzung setzte erst deutlich später ein.

    Eine Enttäuschung also, wenn auch kein totaler Flop, den fuhr Scott mit seinem nächsten Film "Legende" ein. Beide Ergebnisse zusammen führten dann auch dazu, dass er einige Jahre keinen größeren, mit teuren Effekten versehenen Film mehr anvertraut bekam.

    Man kann aber im Zeitalter alternativer Fakten sicher auch "Blade Runner" zu einem von Anfang an allgemein gefeierten Kinohit umdeuten, dessen Bedeutung sämtlichen späteren Kulturredakteuren natürlich sofort klar war.

    Ridley Scott selbst hat daran allerdings eine andere Erinnerung:

    Zitat

    Schauen Sie, ich wurde damals gegrillt für Filme wie "Legende" oder sogar "Blade Runner". Wie kann man denn für "Blade Runner" fertig gemacht werden? Wenn ich mich damals so sehr gegrämt und aufgehört hätte.... Nein, ich denke über die öffentliche Rezeption nicht mehr groß nach.

    Diese Sätze hat er übrigens im Gespräch mit mir geäußert.
    Vielleicht ja auch ein dezenter Hinweis darauf, dass "der Superchecker" schon weiß worüber er hier redet.

    http://filmszene.de/filmszene-spec…ur-ridley-scott

  • Man kann aber im Zeitalter alternativer Fakten sicher auch "Blade Runner" zu einem von Anfang an allgemein gefeierten Kinohit umdeuten, dessen Bedeutung sämtlichen späteren Kulturredakteuren natürlich sofort klar war.


    Das habe ich nie behauptet. Soweit ich das in der damaligen SF-und-Comic-Szene mitbekommen habe, war er nur kein absoluter Flop.

    Ähem, was hast du nur mit den Blockbustern? Natürlich kannst du jeden Satz aus dem Zusammenhang reißen und deine zwei Cents dazu geben. Wenn du meinen Post insgesamt betrachtest, solltest du bemerkt haben, daß es mir nicht um Blockbuster ging.
    (Nur wer nix macht, macht keine Fehler! Aber Funkstille gefällt underduck & Co. bestimmt nicht.)


    Aber wer unbedingt etwas aus einem Zitat herauslesen will, der wird das auch.

  • Ich hatte auch die starke Prägung der damaligen Rezipenten angezweifelt.
    Aber gut, lassen wir das und einigen uns darauf, dass der Film halt weder ein Blockbuster noch ein absoluter Flop war.

    Und die Funkstille haben wir hier ja erfolgreich verhindert. ;)

    • Robert Louis Stevenson: Die Schatzinsel (1883)
    • Die Schatzinsel (ZDF / O.R.T.F. 1966), Drehbuch: Walter Ulbrich, Regie: Wolfgang Liebeneiner, 340 min in 4 Teilen, FSK: 12


    Die Schatzinsel zählte in meiner Kindheit eher zum Repertoire. Das war einer der Stoffe, denen ich wiederholt begegnet bin, ohne ihn richtig zu würdigen. Entdeckt habe ich in meiner Jugend über einen Umweg, einen anderen Adventsvierteiler, nämlich Die Abenteuer des David Balfour (1978). Als der gesammelte Stevenson dann in einer handlichen Kassette erschien, mußte ich zugreifen. Die Ulbrich/Liebeneiner-Verfilmung muß mir entweder immer wieder durch die Lappen gegangen sein - oder ich habe sie nie vermißt.

    Aus Neugier habe ich mir die DVD zugelegt. Allerdings war ich skeptisch.
    Der David-Balfour-Vierteiler beruht ja auf zwei verfilmten Romanen. Deswegen dachte ich, der doch verhältnismäßig schmale Roman um Kapitän Flints Schatzinsel wäre etwas zu dünn für die Länge.
    Ich war positiv überrascht: Für sein Alter hat sich der Film erstaunlich gut gehalten. Die Umsetzung der einzelnen Etappen und das Coming-of-Age (wie das heute heißen würde) von Jim Hawkins ist gut gelungen. Natürlich bleibt es ein Film aus den 60ern und etliches entspricht nicht mehr heutigen Sehgewohnheiten. Mir gefällt er.

    Michael Ande habe ich als Schauspieler eigentlich nie richtig ernst genommen, der war eben der Assistent vom Alten. In der Rolle des Jim Hawkins hat er mich überzeugt. Wegen seiner Größe und seines Alters zur Drehzeit galt er zunächst als Fehlbesetzung, aber bei mir kam etwas anderes an.
    Ein hochgewachsener Schlaks mit brünettem Kraushaar, solche Helden scheint Stevenson gemocht zu haben. Auf mich wirkte er in den ersten Einstellungen fast wie ein Doppelgänger von Ekkehardt Belle, dem späteren David Balfour.

  • Ich habe mir den Vierteiler vor relativ kurzer Zeit (ein, zwei Jahre) auf youtube angeschaut. Ich habe ihn auch in meiner Kindheit mal gesehen, hatte aber nicht so deutliche Erinnerungen daran wie etwa an den "Seewolf". Bei mir darf ein Film ruhig auch etwas altmodisch sein.

    Die Vorlage von R. L. Stevenson ist meiner Ansicht nach sehr unterschätzt, jedenfalls außerhalb des angelsächsischen Raums. Eine ganz vorzügliche Abenteuererzählung und noch mehr als das. Wie man das zu einem Kinderbuch erklären konnte, ist mir rätselhaft. Leider kenne ich "Treasure Island" nur als Kinderbuch, und viel mehr von Stevenson habe ich leider auch nicht gelesen, Muß ich unbedingt mal korrigieren.

  • Die Schuldige an dem harten Urteil trägt einen berühmten Namen: Virginia Woolf und ihr Ehemann Leonard haben Stevenson aus dem Kanon ausgeschlossen. Und bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hat niemand gewagt, das sakrosankte Verdikt zu revidieren.
    In angelsächsischen Schulen wurde er als Schund verachtet, und bis 2000 wird Stevenson sogar in literarischen Nachschlagewerken und Anthologien komplett übergangen (sprich: totgeschwiegen).

    Erst in den letzten Jahrzehnten ist er zu neuen Ehren gekommen. Neben Sir Henry Ridder Haggard (der Erfinder von Allan Quatermain) zählt Stevenson jetzt zu den Gründervätern des "Zeitalters der Geschichtenerzähler" (The Age of the Story Tellers), teilweise wird er in den Rang seiner Zeitgenossen Henry James und Joseph Conrad erhoben.

    Die negative Presse konnte seiner Beliebtheit beim Publikum rund um den Globus nichts anhaben. Auf der Rangliste der UNESCO, die die meist übersetzen Werke verzeichnet: Index Translationum, steht er auf Platz 26 - und damit vor Oscar Wilde und Edgar Allan Poe.
    Klingt in meinen Ohren danach, daß Leserinnen und Leser sich lieber ihr eigenes Urteil bilden - als blind einem Rezensenten zu folgen. Gefällt mir.

  • Ah, steht ja auch in wikipedia, aber erst nach einer längeren Liste von Autoren, die ihn geschätzt haben. Ich dachte eher, Stevenson habe in Deutschland unter Trivialitätsverdacht gestanden.

    Letztlich ist es von untergeordneter Bedeutung, welches Urteil andere Künstler oder Kritiker über ihn fällen. Aber das Publikum hat auch nicht immer recht.

    Es bleibt eben schwierig...

  • Rechthaberei und Literatur vertragen sich meiner bescheidenen Ansicht nach überhaupt nicht. Wie heißt es so schön: "Man merkt die Absicht, und ist verstimmt!" Belletristik sollte zumindest genügend Raum lassen, damit das Publikum einen eigenen Standpunkt haben kann.
    Oberlehrergehabe und Agitprop vergrätzt eher die Leute - auch in der demokratischen Kinderstube. (In der Antike und feudalen Vasallenstaaten galten natürlich andere Maßstäbe, die sich von gewöhnlichen Leuten nicht hinterfragen ließen. Das konnte bös' enden.)
    Außerdem sind Werke mit gezielter Absicht besonders leicht verderblich. Das veraltet quasi über Nacht und wird dann ungenießbar.

    Erwachsenen von heute empfehle ich den Einstieg über Stevensons weniger bekannte Werke: Die Kurzgeschichte "Markheim" (1886) zum Beispiel, die mit Poes "William Wilson" verglichen wird., - oder "Die krumme Janet" (1887). Seine Kurzgeschichte "Der Leichenräuber" (1884) um Grabräber, die frische Leichen für Anatomiestunden heimlich ausbuddeln, wurde 1945 von Robert Wise mit Boris Karloff und Bela Lugosi exzellent verfilmt.
    Ans Herz legen möchte ich seine Reiseberichte, beispielsweise über seine Zeit in den Weiten des Pazifik: In der Südsee (1896).

    Unterhaltsam, aber literarisch eher leichte Lektüren sind die drei Romane, die Stevenson mit seinem Schwiegersohn Lloyd Osbourne verfaßt hat.
    Trocken schwarzhumorig ist Die falsche Kiste (1889) ein echter Pageturner, bei der sich alles um eine Tontinenversicherung dreht: Das ist eine Art Genossenschaft, bei der das gesamte Vermögen erbt, der zulebt übrig bleibt.
    Wurde übrigens 1966 mit Michael Caine, Peter Sellers, Ralph Richardson, Dudley Moore als britische All-Star-Komödie in den Pinewood Studios für die Kinoleinwand bearbeitet.

  • Ich bin großer Liebhaber der alten Advents-Vierteiler und habe mir nach und nach so gut wie alle auf DVD zugelegt. Damals habe ich bei fast allen gebannt vor dem Fernseher gesessen. Aus heutiger Sicht sind einige deutlich besser gealtert als andere.

    Meine Favoriten, die ich immer wieder sehen könnte:
    "Die Schatzinsel"
    "Tom Sawyer und Huckleberry Finn"
    "Der Seewolf"
    "Robinson Crusoe"

    Mit gewissen Abstrichen:
    "Lederstrumpf"
    "Michael Strogoff"

    Mit großem Wohlwollen:
    "David Balfour"
    "Lockruf des Goldes"
    "Don Quijote"

    Gar nicht mehr gehen:
    "Zwei Jahre Ferien"
    "Cagliostro"

  • (...) Deswegen dachte ich, der doch verhältnismäßig schmale Roman um Kapitän Flints Schatzinsel wäre etwas zu dünn für die Länge.
    Ich war positiv überrascht: (...)

    In der Originalfassung ist es eben kein schmaler Roman, sondern nur in den schwer gekürzten Kinderbuch-Fassungen die es hierzulande seit den 50er Jahren gibt. Und miserable Übersetzungen kommen noch erschwerend hinzu.

    (...)In angelsächsischen Schulen wurde er als Schund verachtet, und bis 2000 wird Stevenson sogar in literarischen Nachschlagewerken und Anthologien komplett übergangen (sprich: totgeschwiegen).(...)

    Wo hast du das denn her?

    *Ach so, bei Wikipedia gelesen. Na ja, dann. :D

    Stevensons 'Dr. Jekyll + Mr. Hyde' ist ein Klassiker der angelsächsischen Schauerliteratur und war es schon immer.
    Aus dem literarischen Kanon verschwunden ist relativ, denn welcher der vielen Kanon(en) ist gemeint? ;)

    Einmal editiert, zuletzt von G.Nem. (31. März 2017 um 18:33) aus folgendem Grund: *Ergänzung

  • Du hast es erfaßt: Welcher Kanon?
    Ich kann mir vorstellen, daß einige Gralshüter der Anglistik säuerlich ihr Gesicht verkniffen haben, wenn einer ihrer Schützlinge Stevensons Werke als Teil der britischen Gegenwartsliteratur behandeln wollte. Die haben den Schwarzen Peter dem Ehepaar Woolf zugeschoben und dann gesagt, das wäre zuviel Romance, zuviel Genre. Ob es nicht bessere Titel gäbe?
    So habe ich den Wikipedia-Eintrag verstanden, nicht mehr und nicht weniger.

    Neben Dracula und Frankenstein gehört Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde zu den Urtexten des Gothic-Genres, keine Frage.
    Aber in gewissen Kreisen schadet ein solcher Ruf eher.

    Wir bekommen ja mit, wie Comics an Universitäten behandelt (oder mißhandelt) werden. Da kreucht und fleucht eine Menge an unsinnigen Vorurteilen herum, und auf dem Weg vom Studi zum Professor müssen eine Menge Kröten geschluckt werden. Also werden blödsinnige Vorurteile weitergereicht, weil der Prüfer oder die Kommission das verlangt, und Widerspruch die eigene Karriere verhindern würde.
    Bis da ein nüchternes Urteil zustandekommt und akzeptiert wird, dauert das manchmal einige Generationen.

  • Auf mich wirkte er in den ersten Einstellungen fast wie ein Doppelgänger von Ekkehardt Belle, dem späteren David Balfour.

    Der arbeitet ja heute hauptsächlich als Synchronsprecher (u.a. ist er die Stimme von Steven Seagal) und hat sich natürlich äußerlich auch sehr stark verändert. Ekkehardt war zu Gast in einer unserer letzten Kinosendungen und "David Balfour" ist darin natürlich auch ein Thema:

    http://massengeschmack.tv/play/ptv-83

  • In der Originalfassung ist es eben kein schmaler Roman, sondern nur in den schwer gekürzten Kinderbuch-Fassungen die es hierzulande seit den 50er Jahren gibt. Und miserable Übersetzungen kommen noch erschwerend hinzu.


    So, wie du dich hier äußerst, scheinst du die David-Balfour-Saga nicht zu kennen. Sonst hättest du die Kinderbuch-Fassung außen vor gelassen.
    Bei der Übertragung für Film oder Bühne verschieben sich lange Personen- und Landschaftsbeschreibungen in Richtung Kostüm, Ausstattung und Bühnenbild. Der Zuschauer erfaßt so etwas mit einem Blick, Lesen dauert ein wenig länger.

    Meinen Überlegungen habe ich die ungekürzte Fassung der Schatzinsel zugrundegelegt, Band 1 der Diogenes-Ausgabe, und in der endet der Roman auf Seite 307. Danach folgt noch ein Aufsatz von Stevenson über seinen ersten Roman.
    David Balfour hat wesentlich größere Ausmaße: Die Entführung (Band 3) hat 356 Seiten und die Fortsetzung Catriona (Band 4) sogar 445, das ergibt gut 800 Seiten für einen Advents-Vierteiler ...

  • Hier dein Zitat, auf das ich mich bezogen hatte.

    Deswegen dachte ich, der doch verhältnismäßig schmale Roman um Kapitän Flints Schatzinsel wäre etwas zu dünn für die Länge.

    David Balfour habe ich weder gelesen, noch als Verfilmung gesehen.


    David Balfour hat wesentlich größere Ausmaße:

    Kann schon sein, weiß ich wie gesagt nicht.

  • Wir sind hier doch nicht bei der praktischen Umsetzung des Infinite Monkey Theorems: Sätze sollten etwas mehr als eine beliebige Tastenfolge sein und möglichst einen Sinn ergeben. Absätze mache ich auch nicht aus Jux und Dollerei, nein, die nutze ich, um einen Zusammenhang zu schildern.
    Mein "Deswegen" bezog auf den vorhergehenden Satz, sprich: die David-Balfour-Saga. Wenn du den schlicht ignorierst oder überliest, und dir stattdessen etwas zusammenreimst, kommst du leicht zu Trugschlüssen ...

    Nix für ungut. :wink:

  • Ich reime mir hier überhaupt nichts zusammen, denn den Zusammenhang kann hier ja jeder nachlesen.
    Wobei du deine Original-Postings ja nachträglich immer wieder bearbeitest und da dann "plötzlich" Sachen geschrieben stehen, die in der Erstfassung noch nicht da standen. :D

  • Nö, das mache ich in der Regel nur bei den Datenbank-Threads in "Internationale Comics". Sonst korrigiere ich nur falsche Buchstaben und ergänze fehlende Worte. (Okay, das mache ich auch später, falls ich Tippfehler entdecke.)
    Bei den Datenbanken verliere ich sonst den Überblick. Außerdem begnüge ich mich nicht mit Cut&Paste, vielmehr versuche ich, die Daten so zu ergänzen, daß auch Laien aus ihnen schlau werden. Manchmal dauert das ein wenig.

    Mein Post oben bezog sich auf die beiden Stevenson-Verfilmungen bei den Advents-Vierteilern ... Na ja, lassen wir das.

    Im Filmgeschäft gibt es einige grobe Regeln, weil da Leute aus verschiedenen Branchen und Metiers miteinander auskommen müssen. Meist liefern diese Einschätzungen gute Anhaltspunkte, sonst nüscht. Deutliche Abweichungen fallen hingegen ins Auge.
    So habe ich gelernt, daß eine Drehbuchseite in etwa einer Minute Film entspricht. Allerdings wird beim Drehbuchschreiben gefordert, bei jeder neuen Einstellung ein neues Blatt zu nehmen. Ob dias Blatt vollgeschrieben wird oder nur aus zwei Zeilen besteht, ist schnurz.

    Bei meiner Schätzung von Der Schatzinsel bin ich von drei bis vier Stunden Film ausgegangen. Der Vierteiler ist ein wenig länger.
    Das lag wahrscheinlich daran, daß Die Lederstrumpf-Erzählungen auf fünf Romanen von James Fenimore Cooper beruhen. Die habe ich nämlich wenige Wochen vorher gesehen - mein erster wiederentdeckter Advents-Vierteiler.
    Für knapp 360 Minuten Film habe ich deshalb eine Mindestlänge der Vorlage zugrundegelegt, die zwischen 400 und 500 Seiten pendeln sollte.

    Fassbinders Berlin Alexanderplatz stellt diese Regeln komplett auf den Kopf. Je nach Satzspiegel schwankt die Länge von Döblins Roman zwischen 380 und 530 Seiten (zum Beispiel die Erstausgabe). Fünfzehneinhalb Stunden sollten für eine Lektüre mehr als ausreichen.

  • Fassbinders Berlin Alexanderplatz stellt so ziemlich alles auf den Kopf, was mit Verfilmungen zu tun hat - und einiges mehr, das mit dem Film an sich zu tun hat. Wer es bösartig ausrücken will, könnte sagen, Döblins Roman wird zum Reader's Digest des Stoffes degradiert; gutwillig könnte es heißen, Fassbinder nutzt Döblin auf dieselbe Weise wie Joyce's Ulysses das ehrwürdige Epos von Homer.
    Zu dem Prestigeprojekt gab es natürlich einen Bericht über die Dreharbeiten, sonst hätte ich es selbst nicht geglaubt. Die Szenen, die in Freienwalde spielen, wurden in einem echten Wald gefilmt. Aber die Waldszenen in der Serie wirken künstlich wie vergessene Kulissen aus einer Wagner-Oper. Extremst künstlich ...

    Die Serie widersetzt sich dem Binge-Watching. Nach spätestens drei oder vier Folgen habe ich eine Pause gebraucht, weil ich das Gesehene sacken lassen mußte.
    Zum Glück hatte ich mehrere Seminare über die Filme, die Kunst und die Literatur der Weimarer Republik hinter mir, das erleichterte mir den Zugang.
    Fassbinder versteht sich aufs Erzählen, er kennt sich mit der Technik aus, und er nutzt die Stärken, um die Schwächen zu kaschieren. Wedels Der König von St Pauli nutzt ja ähnliche Motive, aber bei Wedel wirkt das alles billig und plump.
    Obwohl die Serie mit Ton und in Farbe gedreht wurde, vermittelte sie ein Déjà-Vu mit der Bilderwelt dieser Epoche: Vom Stoff her, ist die Geschichte des Franz Biberkopf in etwa die männliche Variante von G.W. Pabsts Die freudlose Gasse.
    Die Krimiszenen von Einbrüchen und Berliner Ringverein erinnerten mich an die Genreklassiker von Fritz Lang (M - Eine Stadt sucht einen Mörder, Die Spinnen oder die Mabuse-Filme), andererseits an das expressionistische Kino, das in den USA unter anderem in den Horrorfilm mündete.
    Die Döblin-Verfilmung im engeren Sinne (ohne den Epilog) wirkte auf mich wie optischen Vorlagen für die modernen Gemälde von Dix, Grosz und Beckmann oder Montagen von Heartfield.

    Im Bonusmaterial wird gesagt, weil der Etat überzogen wurde, hat Fassbinder Kosten eingespart, indem er die Kulissen auf das Notwendigste reduzierte und sich mit technischen Tricks behalf. Für meinen Geschmack paßt das zu gut mit Franz Biberkopfs Entwicklung zusammen:
    Solange er anständig bleiben will, solange wird möglichst in realen Kulissen mit hohem Aufwand gedreht. Nachdem er aber seinen Arm verloren hat, nachdem er zynisch in Suff und Selbstmitleid versinkt, werden auch die Kulissen irrealer und künstlicher.
    Fassbinders fast zweistündigen Epilog sehe ich wie eine Mischung aus Pasolini, Mario Bava und Dario Argento. Die Musik von Elvis Presley über Janis Joplin bis zu Kraftwerk sind auf der Höhe der Zeit und eine Klasse für sich.
    Die einzigen Minuspunkte erhalten die beiden Engel von mir: Aus heutiger Sicht wirken die wie Cosplayer aus einem Fantasy-Rom oder Gäste einer SM-Fete.

  • Über Jack Finney stolpern heute nur noch die wenigsten direkt.
    Obwohl der zu Lebzeiten viel veröffentlicht hat und seine Stoffe ziemlich rasch verfilmt worden sind, bleibt er eher ein Geheimtip. Finney hat nämlich in den Genres Thriller, Science Fiction und Fantasy geschrieben, die damals vom Feuilleton, den Wissenschaftlern an den Universitäten und den Hütern der Hochkultur scheel angesehen wurden.
    Außerdem liefen einige Verfilmungen als Episoden von Fernsehserien.

    Wer sich für die Geschichte dieser Genres interessiert, begegnet Finney früher oder später. Denn Finney hat berühmte Fans wie Stephen King und Dean Koontz. Eine handliche Biographie über ihn muß allerdings noch geschrieben werden, meist findet sich Material über ihn in Interviews, Artikeln und sonstigen verstreuten Schriften.
    Der zweite Weg führt über die Verfilmungen: Besonders eine seiner Kurzgeschichten, die 1956 von Don Siegel, 1978 von Philip Kaufman, 1993 von Abel Ferrara und zuletzt 2007 von Olivier Hirschbiegel auf die Leinwand gebracht hat, dürfte Generationen geprägt haben.

    Ihr wißt doch, wovon ich rede, oder?
    So schwer ist das nicht ...

  • Heute bräuchte es wohl jemanden vom Schlage eines George Romero, um einen neuen Körperfresser-Film zum Blockbuster zu machen.
    Irgendwie hat die Sache mächtig Staub angesetzt und sieht ziemlich alt aus.

    Der Verdacht kam mir, als ich die Abel-Ferrara-Fassung gesehen habe. Die fand ich mittelprächtig, um es milde auszudrücken. Wäre das ein Film von einem Unbekannten gewesen, dann wäre der sang- und klanglos in der Versenkung verschwunden.
    Den Hirschbiegel habe ich nicht gesehen. Ob ich mir das antue? Ich weiß nicht.

    Zuerst habe ich damals im Fernsehen die Version von Kaufman mit Leonard Nimoy gesehen, die mich begeistert hat: Gutes Drehbuch, klasse Schauspieler und vor allem eine geniale Tonspur. Für mich lief der einer Liga mit Soylent Green und Westworld (die Filme mit Yul Brynner).
    Damals konnte ich mir vorstellen, daß aus den Körperfressern so etwas wird die Zombies oder Freddy Krueger - ein moderner Gruselmythos. Urban Legend at its best.
    Don Siegels Origin Story paßte irgendwie genial in die 1950er Jahre. Deswegen hat sie mir gefallen. Die beiden Verfilmungen waren dicht am Puls der Zeit und einen Draht zur Wirklichkeit. Schon bei Ferrara war das eher ein veralteter Standard aus dem Repertoire wie das Verfluchte Haus ...

    Die Grundidee funktioniert heute nicht mehr (meine ich persönlich). Da fehlt etwas, sonst verkommt das zu einem Gespenst aus Bettlaken. Heute will ja jeder irgendwo bei irgendwas dazugehören. Die Zuspitzung hier der Einzelne, da die uniforme Masse ist schlicht zu platt.
    Mit dem Übertritt zu den Pods ist es nicht getan. Das reicht nicht mehr. Wer dabei sein will, muß sich aktiv beteiligen und ständig mitmachen.

    Wieviel von den Körperfressern findet sich in Dave Eggers' The Circle? Wenn der Roman verfilmt wird, kann das ein Blockbuster werden. Zumindest wird der wohl so international vermarktet werden.
    Das wäre dann Körperfesser 2.0 .

  • Okay, da habe ich mich mißverständlich verständlich ausgedrückt.
    Mit den Yul-Brynner-Filmen sind Westworld und Futureworld gemeint, also die Fortsetzung von Westworld. So auf die Schnelle ist mir das nicht eingefallen ...

    Brynner habe ich erwähnt, damit niemand beim Mitlesen an die gleichnamige Fernsehserie denkt.

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