Vom Schreiben zum Veröffentlichen

  • Die Geschichte kenne ich in Grundzügen.

    "Der Spieler" ist ein ungewöhnlich schmaler Roman. Würde man mich fragen, dann würde ich sagen: Den mußte Dostojewski aus finanziellen Gründen in sehr kurzer Zeit schreiben. Und ich weiß auch, daß er darin seine eigene Spielleidenschaft dargestellt hat, und zwar, soviel ich weiß, ohne Beschönigungen. Von "Spielsucht" sprach man damals glaube ich noch nicht.

  • Manchmal dauert das mit dem Veröffentlichen etwas länger.
    Beim Creative Writing schreiben alle Beteiligten manchmal zu einem bestimmten Thema; dieser Ansatz hat berühmte Vorläufer, und der prominenteste dürfte jener gewesen sein, dem wir Mary Shelleys Roman Frankenstein verdanken.
    Im Dorf Cologny am Genfersee befindet sich eine Villa namens Villa Belle Rive, die der Familie Diodati gehörte. Vom 10. Juni bis zum 1. November 1816 wurde sie von Lord Byron gemietet, der sie Villa Diodati nannte. Das Jahr fiel auf, weil es besonders kalt und feucht war; im Deutschen ist es das Jahr ohne Sommer, im Englischen Eighteen hundred and froze to death; denn im April 1815 war im heutigen Indonesien der Vulkan Tambora auf der Insel Sumbawa ausgebrochen, dessen Aschewolken lange in der Atmosphäre schwebten und sich über den Erdball verteilten.
    Lord Byron hatte sich nicht nur von seiner ersten Frau getrennt, was in der englischen Gesellschaft als Skandal empfunden wurde; es gab auch Gerüchte einer inzestuösen Affäre zu seiner Halbschwester Augusta Maria Leigh; und schließlich wurde sein Schuldenberg so groß, dass er im April 1816 vor den Gläubigern Reißaus nahm. Im Mai traf er am Genfersee seinen Freund, den Dichter Percy Bysshe Shelley, der von seiner zukünftigen Frau Mary Godwin (die spätere Mary Shelley) begleitet wurde. Zusammen mit seinem Leibarzt John William Polidori ließ sich Lord Byron in der Villa Diodati nieder; Shelley hatte in der Nähe das Maison Chapuis am Ufer des Sees gemietet. Zu der Gruppe gehörte noch Claire Clairmont, die Stiefschwester von Mary Godwin.
    Als es drei Tage hintereinander ununterbrochen regnete, vergnügte sich die Clique mit phantastischen Geschichten, unter anderem mit der Anthologie Fantasmagoriana. Das war die französische Ausgabe des Gespensterbuchs von August Apel and Friedrich Laun, die unter anderem die Vorlage zur Oper Der Freischütz enthält. Davon inspiriert wollten die Teilnehmer ihre eigenen Gruselgeschichten verfassen.
    Das Treffen am Genfersee ist selbst Teil der Populärkultur geworden. Ken Russell inszenierte die Zusammenkunft 1986 in seinem Spielfilm Gothic mit Gabriel Byrne, Julian Sands und Natasha Richardson; 2020 trifft die dreizehnte Inkarnation des Timelords Dr Who, Jodie Whittaker, in der 38. Staffel mit ihren Companions zu eben jener Zeit in der Villa Diodati ein ("The Haunting of Villa Diodati | Spuk in der Villa Diodati").

    Mary Shelleys Klassiker ist natürlich in etlichen Varianten greifbar; bei den übrigen Geschichten wird es hingegen für interessierte Nichtakademiker schwieriger. Anglisten finden die Beiträge von Lord Byron und Percy Bysshe Shelley selbstverständlich in den historisch-kritischen Werkausgaben der beiden Literaten; und weil Polidoris Story eine frühe Form des modernen Vampirs gestaltet, liegt sein Beitrag des öfteren in Vampir-Anthologien vor. Aber die gesamten Kurzgeschichten jenseits von Frankenstein kompakt gebündelt zu finden, gleicht einem Glücksspiel.
    In den Antiquariaten habe ich immer die Augen offengehalten und ausgiebig gestöbert, sodass mir irgendwann Fortuna zulächelte. Ich entdeckte in einem Regal die von Peter Haining erstmals 1972 herausgegebene Anthologie Great British Tales of Terror: Gothic Stories of Horror and Romance 1765-1840, und dort waren sie: "The Vampyre" von Dr John Polidori, "The Assassins" von Percy Bysshe Shelley, "The Dream" von Mary Wollstonecraft Shelley und "The Burial" von Lord Byron. Das Taschenbuch hat einen besonderen Platz in meiner Privatbibliothek bekommen.

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