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Ich bin 'Made in Slovenia'!

Veröffentlicht: 30.11.2009 um 13:18 von Anton

In Laško, meinem Heimatort, hielt ich jahrelang Verbindung zum Paul, einem ehemaligen Mitschüler aus der Grundschule. Momentan ruht dieser Kontakt, ob nur ein klärendes Gespräch die Freundschaft wieder sofort aufleben könnte, ist dabei fraglich.

Paul war gelernter Schaufenstergestalter, hörte aber schon nach sechs Jahren ausgeübten Berufes mit dieser Arbeit auf. Teilweise bereits durch die Eltern geprägt, sympathisierte er schon recht früh mit der linksorientierten Jugend, und wurde Mitglied in der Partei. Er erkannte schnell, dass sich zusätzlich zur normalen Bildung auch über die Schiene der politischen Seilschaft nach oben voranschreiten ließ. Durch seine Aktivität bei allerlei politischen Veranstaltungen und den Besuch diverser Lehrgänge, erreichte er einen hohen Rang in der Parteistruktur. Die Partei, also die im Hintergrund agierenden verborgenen Machthaber, besorgte ihm daraufhin eine Arbeitsstelle in der EDV der Brauerei des Ortes, 'Pivovarna Laško'. Als er diese Funktion erhielt, begannen wir nach der Schulzeit das erste Mal wieder miteinander zu kontaktieren.

An dieser Arbeitsstelle genoss er viele Jahre absolute Narrenfreiheit. Welche Funktion er definitiv ausübte, erfuhr ich im Detail nie. Kam ich ihn besuchen, nahm er sich für mich immer Zeit. Seinen Aussagen zufolge war er eben kurz davor mit der Pflicht fertig geworden. Das geschah innerhalb von fünfzehn Jahren absolut jedes Mal. Hatte ich das tatsächlich zu glauben?

Weil sich seit dem Verselbstständigen Sloweniens die Möglichkeit verstärkte, neben der normalen Arbeit im Nebenerwerb einen angemeldeten Betrieb zu gründen und als Kleinunternehmer zu fungieren, fing er an, mittels Tampondruck etliche Werbeartikel zunächst für die Brauerei, später auch für andere Betriebe oder auch für Privatpersonen, zu bedrucken. Eine Arbeit auf diesem Sektor bedurfte ganz wenig an Vorkenntnissen, das benötigte technische Equipment wurde schon mit geringen Mitteln zusammen gekauft, das einzige Problem waren Auftraggeber.

Da er weiterhin in der Brauerei beschäftigt war, befasste sich seine Frau mit diesem Thema. Sie war geistig um einiges reger, und konnte deshalb in kürzerer Zeit wesentlich mehr fabrizieren, als er in seiner behäbigen Art.

Damit er aber auch etwas zu tun bekam, wenn er nach getaner Arbeit nach Hause kam, begann er ebenfalls als Kleinunternehmer mit indirektem Siebdruck. Damit diesen Begriff hier jeder versteht, folgend eine Definition. Es handelt sich dabei um ein Siebdruckverfahren, mit dem in verschiedenen Schichten auf ein Trägermaterial einander ergänzende Motive aufgetragen werden. Dabei entstehen bei richtiger Zusammenstellung Abziehbildmotive. Diese müssen vor dem Ankleben auf das jeweilige gewünschte Objekt befeuchtet und an die gewünschte Stelle positioniert werden. Mit diesen Produkten wird hauptsächlich Glas beklebt und dann je nach verwendetem Farbgranulat bei Temperaturen bis 540° Celsius auf der Oberfläche eingebrannt. Das Endprodukt sind in der Regel Bier- oder Weingläser mit dem jeweiligen Firmenlogo.

Und eben hier komme wieder ich ins Spiel. Produzenten der besten Farben für dieses Druckverfahren sitzen an verschiedenen Stellen in Europa, alle außerhalb Sloweniens, die für Pauls Erfordernisse dabei in Deutschland. Je nach Abnahmemenge ist es der Standort Frankfurt am Main, Höhr-Grenzhausen in der Nähe von Koblenz oder Weiden in der Oberpfalz.

Da der Intellekt meines Schulkameraden nicht besonders ausgeprägt war, er aber dennoch mit den Lieferanten in Deutschland Geschäfte ausüben wollte, erinnerte er sich plötzlich meiner Sprachkenntnisse. Gut! Ich half ihm gerne, es musste die komplette Fertigung auf die Beine gestellt werden. Mangels jeglicher Ausbildung in diesem Bereich, weder von ihm noch von mir, begleitete ich ihn auch auf alle Lehrgänge, die die beteiligten Firmen jeweils anboten. Und so erlernte ich den ganzen Fertigungsweg dieser Branche. Da Paul nicht nur ständig mit dem Begreifen zu kämpfen hatte, sondern immer auch sehr gesellig war, also dem Alkohol gerne im Übermaß zusprach, musste ich ihm manche Abläufe doch bis zu zehn mal erläutern.

Ich erlebte dann tatsächlich den Zeitpunkt, dass er alle einzelnen Schritte ohne sichtliche Fehler durchziehen konnte. Er produzierte große Mengen, druckte auch bis zu 10 Millionen identischer Einzelmotive. So hochqualitativ, wie von ihm ständig abverlangt, waren allerdings seine produzierten Ergebnisse nicht. Er hielt sich bei der Arbeit nicht an die geforderte Hygiene. Im Siebdruck, manuell oder maschinell, unter Verwendung von Sechziger-Raster, oder eventuell noch höherer Anforderungen, durfte bei der Arbeit höchstens flach geatmet werden. Er hingegen rauchte, trank und aß alles, was ihm vor die 'Kiemen' kam und unterhielt sich fortwährend mit den anderen in seiner Abteilung. Weil mit der Zeit die Luft im Raum dick wurde, öffnete er mehrfach das Fenster zur besseren Durchlüftung. Die im Raum vorhandenen Schmutzpartikel wirbelten durch die Luft, und setzten sich überall ab, auch auf die Siebe.

Die Brauerei nahm weiterhin alle seine Produkte ab, obwohl es tatsächlich passierte, dass bei der Einlieferung bis zu 5 % davon als nicht brauchbar ausgesondert wurden. Ungeachtet dessen ging es ihm wirtschaftlich immer besser. Er konnte sich immer mehr leisten.

Und weil er sich in der Hinsicht wohl von den vielen Neureichen an anderen Orten in der Welt überhaupt nicht unterschied, galten für ihn plötzlich keine Grenzen mehr. Er schlug über alle Stränge, weder human noch ethisch ließ er andere Gesetze gelten, als die, die er sich selbst einredete. Alle von ihm begangenen Verfehlungen ließen sich nach Zahlung von verschieden hohen Geldbeträgen vergessen, oder zumindest neutralisieren. So lange er als Sponsor auftrat, hatte er eine immens freundlich gesinnte Zuhörerschaft.

Ich bin ihm seine Errungenschaften nicht neidisch, aber manches erhielt er dennoch auf ungewöhnliche Weise, zumindest moralisch etwas verwerflich. Um zwei nur durch einen Streifen von knapp zehn Metern Breite miteinander verbundene Grundstücke, die er schon länger besaß, zu verbreitern, wollte er eine angrenzende Parzelle kaufen. Weil der Nachbar dieses nicht verkaufen wollte, begann Paul mit seiner 'Nachhilfe'.

Der Nachbar hielt sich am Haus ebenso, wie die meisten anderen, einen Hofhund. Bei Anwesenheit des Hausherrn durfte sich dieser frei umher bewegen, ging der Mann aber weg, sollte der Hund in einen Zwinger oder hinter eine abgeschlossene Tür. Das Tier war nur in der Nähe des Hauses etwas scharf, war dieses aber frei, war es ein lammfrommes Wesen. Kam ich in dessen Nähe, wedelte er erfreut mit dem Schwanz und gab mir immer zu verstehen, er würde nicht angreifen.

Eines Tages hatte der Besitzer wohl aus Nichtachtsamkeit vergessen, ihn weg zu schließen. Nachdem der Hund alle von ihm markierten Bäume und Hausecken abgelaufen hatte, erhöhte er den Abstand zum Haus merklich. Er befand sich allerdings immer noch auf dem eigenen Grundstück, als ein Schuss los ging. Ich kam zufälligerweise hinzu, ich sah es, dass Paul den Hund erschoss. Er wäre Jäger und er ließe es nicht zu, dass ein Hund frei durch die Wälder liefe, Wilderei wäre strikt verboten. Meinen Einwurf, dieser hätte sich auf der Wiese auf eigenem Grundstück befunden, ließ Paul nicht gelten. Er habe gesehen, dass der Hund auf dem Weg in den Wald war, dieser wollte das Wild aufschrecken und es jagen, wenn Paul ihn nicht davon abgehalten hätte.

So viel geistiger Beschränktheit und die falsche Einstellung zu liebenswerten Haustieren konnte ich einfach nicht tolerieren und erhitzte mich bei dem Disput mit Paul ganz gewaltig. Das Gespräch endete im Streit, im richtigen Streit. Das wurde dabei so schlimm, dass er seinen immer noch in den Händen haltenden Zwilling auf mich anlegte und mich mit der Androhung, den nächsten Schuss auf meinem Körper zu plazieren, von seinem Grundstück wegjagte.

Eigenartigerweise konnte ich meinen Mund immer noch nicht halten. Ohne ein zusätzliches Wort schoss er. Der Knall war so undenkbar laut, dass mir das Trommelfell zu platzen drohte. Der Schuss ging ganz knapp neben mir in den Feldweg, weniger als dreißig Zentimeter neben mir spritzten die Schottersteine auseinander, einzelne Stücke spürte ich an der Wade.

Doch, ab da sagte ich kein Wort mehr. Ich stand gute zwei Minuten ganz ruhig, drehte mich dann wortlos um, stieg still, aber innerlich kochend, in meinen Wagen und fuhr davon. Hinter der ersten Wegbiegung hielt ich an. Ich musste aus dem Wagen, die Blase erleichtern, der Inhalt drohte mir an den Ohren heraus zu spritzen. Erst danach sah ich nach der Wade. Die Steinchen hatten richtige Wunden aufgerissen, aus mindestens fünf tiefen Kratzern floss Blut.

Welch ein Idiot doch Paul war. Eine beinahe fünfzigjährige Freundschaft wegen solcher Lappalien in den Wind geschossen. Widerstand, von wem auch immer, war er offensichtlich nicht gewohnt. Kein Mensch aus seinem Umfeld widersetzte sich ihm je. Ich muss wohl der einzige gewesen sein, der sich mit den von ihm praktizierten Gewohnheiten nicht anfreundete und sich offen auflehnte.

Die ersten Monate danach litt ich gewaltig unter der Divergenz zwischen uns. Aber mit der Zeit dachte ich immer weniger an unser Erlebnis. Und je mehr Zeit voran schritt, desto weniger belastet mich das damals Erlebte. Nun sind schon fünf Jahre vorbei. Ich werde darüber hinweg kommen.

Wir sahen uns seither nur noch im Ort, begrüßten uns schon auch im Kreise anderer Personen mit einem Kopfnicken, aber mehr als drei Sätze sprach ich mit ihm seitdem nicht. Ich hatte kein Bedürfnis danach.
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Kommentare 6

Kommentare

  1. Alter Kommentar
    Habe dieses neue (leider wahre) Geschichte soeben erst entdeckt.
    Ich finde es immer wieder erschütternd, wie Geld die Menschen verändert - aus deren Sicht ganz offensichtlich "aufwertet".
    Welch dämlicher Trugschluss, unterm Strich sind das die ärmsten Teufel und irgendwann, so hoffe ich zumindest inständig, sehen sie das auch schmerzlich ein.

    Ich würde mich freuen, wenn es hier gelegentlich noch mehr Geschichten zu lesen gäbe - bitte keineswegs als übliche Drängelei verstehen.
    Veröffentlicht: 01.12.2009 um 14:28 von
  2. Alter Kommentar
    Benutzerbild von Maxithecat
    Ich hatte es gestern schon gelesen. Ich war erstmal fassungslos, dass in "unserer (ach so) zivilisierten" Welt so etwas noch existiert...
    Veröffentlicht: 02.12.2009 um 19:02 von Maxithecat Maxithecat ist offline
  3. Alter Kommentar
    Benutzerbild von Red.Rose
    Mit Geld kann man viel kaufen, aber keine Freundschaft.
    Aber so wie du den Typ beschreibst, glaubt er wohl, dass er das nicht mehr nötig hat.
    Eigentlich ist er bedauernswert, denn er wird im Alter sich mal sehr einsam sein.
    Hast du noch mehr solche Geschichten auf Lager?
    Veröffentlicht: 02.12.2009 um 19:07 von Red.Rose Red.Rose ist offline
  4. Alter Kommentar
    Benutzerbild von AlbertWolf
    Hallo Anton!

    Habe eben durch Zufall deinen Bericht über dein Erlebtes bewegtes Leben mit deinen ehemaligen Freund gelesen. Es macht mich sehr traurig für dich, denn du musst Wissen, auch in meinem privaten Umfeld ist eine über 30 jährige Jugendfreundschaft durch Unverständnis und Abgehobenheit seitens meines damaligen Jugendfreunds kürzlichst erst zu ende gegangen.
    Das schlimme ist für mich auch, er war mein Trauzeuge und wie ich bis dato glaubte auch mein bester Freund. So denke ich konnte er es mit seinem Ego nicht verkraften, dass ich mich mit meiner damaligen Ehefrau getrennt hatte. So besuchte er uns (meine neue Schweizer Lebensgefährtin und mich) vor einem halben Jahr in Graz. Gemeinsam mit seiner Frau mitsamt Kleinkind von Wien (ca.200km) aus kommend, nur um Stunk zu machen. Dabei hatte er an beiden Tagen wo sie in Graz verweilten kein einziges nettes Wort mir gegenüber auf den Lippen. Er wusste nichts Besseres als dass er fortweg gegen mich schoss. (ich sei zu dick,...usw.)
    Dabei Frage ich mich bis heute, warum er die die 200 km Reise mitsamt Familie extra auf sich nahmen, wenn es ihm nur darum ging mich im schlechten Licht vor meiner neuen Liebe dazustellen. Beatrice war auch der Anstoß mich von meiner damaligen Frau zu trennen, und gemeinsam mit Ihr einen neuen Lebensweg zu beginnen.
    Seine Nettigkeiten fingen schon damit an, dass er uns warten ließ mit dem gekochten Mittagessen (fast 2,5 Stunden) in Graz wartend....! Na ja, und die Storry nahm eben wie Eingangs schon beschrieben kein gutes Ende.
    Veröffentlicht: 03.07.2010 um 03:57 von AlbertWolf AlbertWolf ist offline
  5. Alter Kommentar
    Benutzerbild von Overstreet
    Lieber Anton, das Problem ist wahrscheinlich nicht das Geld oder das Maß an Bedeutung, das dein Freund im Laufe der Zeit gewann. Ich denke es hat mit seiner Blödheit, seiner Borniertheit, seiner fehlenden Intelligenz zu tun. Und da er fast 50 Jahre damit gut zu Recht kam, hatte er auch keinen Anlaß sein Verhalten zu ändern. Und dich hat er in die gleiche Schublade wie wohl alle andern gesteckt.
    Veröffentlicht: 24.08.2011 um 22:23 von Overstreet Overstreet ist offline
  6. Alter Kommentar
    Benutzerbild von finis2
    Lieber Anton,
    Beim lesen deiner Geschichte fiel mir wieder etwas auf dass ich mir schon öfter gedacht hatte.
    Gerade solche Menschen wie Paul scheinen trotz ihrer Defizite irgendetwas an sich zu haben um trotzdem vorwärts zu kommen.

    Es liegt mMn daran dass sich immer mitfühlende Freunde oder Bekannte finden um solchen Typen zu helfen und sie zu unterstützen.
    Und wenn sich dann der Erfolg einstellt glauben solche "Pauls" sie hätten das alles selbst geschafft und entwickeln dieses Verhalten das du beschrieben hast.
    Veröffentlicht: 26.08.2011 um 09:36 von finis2 finis2 ist offline
 

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