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Alt 19.03.2018, 18:00   #76  
Servalan
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Menschen am Sonntag (Deutschland 1929, Filmstudio 1929), Drehbuch: Billie Wilder und Robert Siodmak, Regie: Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer, ursprüngliche Fassung: 2.014 Meter, restaurierte Fassung: 1.856 Meter ~ 74 min stumm und schwarzweiß, FSK: ohne Altersbeschränkung

Heute erlaubt selbst das billigste Handy Filmaufnahmen aus der Hüfte.
Ende des 19. Jahrhunderts, bis hinein in die ersten Jahrzehnte des 20. waren Filmkameras schwere, klobige Objekte, die anfangs noch von Hand gekurbelt wurden. Mit den Fabrikanten Lumière entstehen sowohl winzige Spielfilme als auch Dokumentarfilme; der Illusionist Georges Méliès nutzt in den 1890ern Filmtricks für phantastische Leinwandabenteuer.
Technischer Fortschritt sorgte für ein automatisches Gleichmaß beim Drehen und bei der Projektion in der Jahrmarktbude und im Kintopp. In den 1920ern konnten erfahrene Handwerker mit ihrer "entfesselten Kamera" den Stummfilm höchst beweglich in Schwung bringen, siehe Friedrich Wilhelm Murnaus Der letzte Mann (Deutschland 1924). Diese Epoche endete jäh, als sich erst der Ton- und dann der Farbfilm durchsetzten. Kameras wurden wieder zu riesigen Monstren, wie zum Beispiel im Dokumentarfilm The Making of a Legend: Gone with the Wind (USA 1988) deutlich wird.

Was heute geringschätzig als Hollywoodkino abqualifiziert wird, leichte Unterhaltung für ein großes Kinopublikum, fiel keineswegs vom Himmel. Einen entscheidenden Beitrag zu dieser Entwicklung lieferten zahlreiche Filmschaffende aus der Weimarer Republik, die vor den Nazionalsozialisten ins Exil flohen und in Hollywood auf eine Fortsetzung ihrer Karriere hofften. Obwohl die Studio reichlich Chancen vergaben, fremdelten geflohene Drehbuchautoren wie Bertolt Brecht und bekamen in dieser Hinsicht nie einen Fuß auf den Boden.
Menschen am Sonntag hingegen stammte zwar aus der Hand junger, hungriger Leute, die mit Ausschußmaterial von Agfa und fünf Laienschauspielern am Wochenende eine Geschichte aus dem Alltag von damals drehten. Der Klassiker der Neuen Sachlichkeit erweist sich im nachhinein als erster Markstein einer ganzen Riege, die in die Filmgeschichte eingegangen ist: ganz vorne Billy Wilder (Manche möge's heiß, Eins, zwei, drei, Sunset Boulevard), dann die Brüder Robert und Curt Siodmark, die vor allem Science-Fiction- und Horror-Fans ein Begriff sind, sowie Fred Zinnemann (Zwölf Uhr mittags, Verdammt in alle Ewigkeit) und Edgar G. Ulmer. Der Kameramann Eugen Schüfftan hat mit seiner Rückprojektion über Jahrzehnte bei Kameraeffekten einen Standard gesetzt.

Die lockere Clique aus der hektischen Haupstadt besteht aus fünf jungen Leuten, die in modernen Berufen arbeiten: Erwin fährt Taxi, Wolfgang verkauft Wein und Brigitte Schallplatten, während sich Christl als Komparsin behaupt und Annie als Mannequin modellt. Sie freuen sich schon aufs Wochenende, das sie gemeinsam am Wannsee verbringen werden.
Gastauftritte erhalten Berühmtheiten von damals: Valeska Gert und Kurt Gerron.

Gerald Koll interviewte in seinem Dokumentarfilm Weekend am Wannsee (KirchMedia in Zusammenarbeit mit ZDF/arte 2000) Curt Siodmak und Brigitte Busch, die letzten Überlebenden. Sie lassen eine Zeit lebendig werden, in der die Angestellten neben den Arbeitern als neue Schicht sichtbar wurden (siehe den Soziologen Georg Simmel). Die lockere, unbeschwerte Lebensart hat amerikanische Anklänge, Coming-of-Age und die Mittelschichten nach dem Zweiten Weltkrieg bekommen hier einen Prolog.
Menschen am Sonntag beeinflußte zunächst den poetischen Realismus (zum Beispiel eines Jean Vigo), später den italienischen Neorealismus. Menschen am Sonntag ist Spielfilm und Dokumentarfilm zugleich.
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Alt 20.03.2018, 00:46   #77  
Ringmeister
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Abgefilmte Fotografien werden in gewöhnlicheen Filmen eher selten eingesetzt. Meist werden Requisiten und Accessoirs in den persönlichen Räumen einer Figur gezeigt, um sie in einer bestimmten Weise zu charakterisieren und um auf einen Zustand hinzuweisen.
Verstehe ich nicht. Was sind denn "abgefilmte Fotografien"?. Ist das was anderes, als wenn Fotos in Filmen gezeigt werden?
BtW: was sind denn "gewöhnliche Filme?"

Wenn man weiß, wo man ist, kann man sein, wo man will... (alter Fliegerspruch)
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Alt 20.03.2018, 17:09   #78  
Servalan
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Fotos werden in Spielfilmen ja meist als Requisiten eingesetzt.
Bei Fotofilmen ist das anders. Bei denen dient eine Reihe von Fotos als Grundlage für eine Geschichte oder einen Essay. Dabei bewegt sich die Kamera über die Fotos, zoomt hier hinein oder verfolgt, wohin die abgebildeten Figuren blicken. Der äußere Rahmen oder Rand bildet eine äußere Grenze, die nicht berührt wird.

Wie funktioniert das?
Erinnerst du dich an die Fernsehserie 100[0] Meisterwerke? 10 Minuten analysierte die Kamera ein berühmtes Gemälde aus einem bekannten Museum, während ein Kunsthistoriker aus dem Off erklärte, was gezeigt wurde.
Wenn du das Gemälde durch ein Foto austauschst, hast du einen Fotofilm.

"Gewöhnliche Filme" ... Nun ja, eigentlich ist das eine Verlegenheitslösung. Aber irgendwie muß ich die Nicht-Kunstfilme schon benennen. Sind ja nicht alles Blockbuster, und da pauschal vom Hollywoodkino zu reden, wäre Blödsinn. Viele laufen auf Festivals und im Arthousekino, aber die haben mittlerweile ein breiteres, publikumsfreundlicheres Programm.
Hast du einen besseren Vorschlag? ... Publikumsfilme ...

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Alt 21.03.2018, 20:22   #79  
Servalan
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As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty (USA 2000), Drehbuch, Produktion, Kamera, Schnitt und Regie: Jonas Mekas, 288 min, FSK: Nicht geprüft

Unter den bekannten Stummfilmen dürfte Menschen am Sonntag (siehe # 76) derjenige sein, der einem Home Movie am nächsten kommt. In den ersten Jahrzehnten war die Filmerei ein kostspieliges Hobby für begüterte Leute, die zudem auf Personal angewiesen war, das sich vor der Kamera filmen ließ.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich die allmählich wachsende Mittelschicht eine 16mm-Kamera leisten, und Ethnologen oder andere Forscher nutzten leichtere Kameras wie Arriflex und Bolex für ihre Studien. Das Super-8-Format bot dann praktisch jedem mit einem geregelten Einkommen die Gelegenheit, sich als Amateurfilmer zu bewähren.
Meist wurde das eigene Familienleben stolz auf Zelluloid gebannt. Aber zwischen den Aufnahmen und dem fertigen Film liegt der zeitfressende Prozeß des Sichtens und Schneidens. Als Allround-Hardcore-Heimwerker mußte mein Vater das natürlich auch ausprobieren. Er las sich brav das nötige Fachwissen an (eine Broschüre von Jean Pütz, soweit ich mich erinnere), deren Empfehlungen er sklavisch folgte. Bei besonderen Familienfeiern und im Urlaub wurde dann die Kamera gezückt.
Amateurfilme aus vergangenen Jahrzehnten sind heute ein beliebtes Sammelgebiet. Die Szene entstand auf Flohmärkten und präsentiert schon seit einer geraumen Weile Nostalgikern auf Filmabenden in Kneipen oder in Kulturzentren ihre geborgenen Schätze.

Francis Ford Coppolas Trilogie um Mario Puzos The Godfather | Der Pate verdankt einen Teil seines Ruhms auch dem Umstand, daß sowohl seine Eltern als auch seine Frau Eleanor und seine Kinder, vor allem Sofia Coppola, deutliche Spuren darin hinterlassen haben. Im Audiokommentar nennt er die Trilogie offen und ehrlich seinen Home Movie.
Der ultimative, definitive Home Movie stammt jedoch vom Paten des amerikanischen Avantgardekinos, dem litauischstämmigen Jonas Mekas (Jahrgang 1922). 1944 flüchtete Mekas mit seinem Bruder Adolfas vor den Nationalsozialisten aus Litauen. Sie wurden jedoch gefangen und landeten in einem Arbeitslager in Elmshorn. Nach weiteren Verwicklungen landeten sie in Displaced-Persons-Lagern in Wiesbaden und in Kassel. Von 1946 bis 1948 studierte er an der Universität Mainz Philosophie. Ende 1949 emigrierten beide Brüder in die USA, nach Williamsburg, Brooklyn, New York.
Dort entdeckte er das Medium Film für sich. Bekannte aus der Szene förderte er, indem er ihre Aufführungen in Galerien und Independentkinos kuratierte. 1954 gründeten die Brüder Mekas das Fachjournal Film Culture, seit 1958 rezensierte er Filme für das Magazin Village Voice. 1962 gründete er die Film-Makers' Cooperative mit, die seit 1964 ihre feste Adresse in der Filmmakers' Cinematheque hatten, aus der sich die Anthology Film Archives entwickelten.

Nicht nur wegen seines Wohnsitzes im Big Apple erinnert Jonas Mekas an das filmische Pendant zu Art Spiegelman. Über Jahrzehnte experimentierte er mit Tagebuchfilmen. Am 4. November 2000 feierte seine Mega-Kompilation As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty auf dem London Film Festival seine Premiere, der mit einer Laufzeit von knapp fünf Stunden zu längsten Experimentalfilmen gehört. Zwar bleibt seine Familie immer im Fokus, der besondere Reiz besteht darin, über einen Zeitraum von 30 Jahren mitzuerleben, wie sich New York City verändert und immer wieder neu erfindet.

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Alt 22.03.2018, 16:34   #80  
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Možnosti dialogu | Dimensions of Dialogue | Tücken des Gesprächs (Tschechoslowakei 1982, Krátký Film Praha im Filmstudio Barrandov), Idee, Drehbuch und Regie: Jan Švankmajer, 12 min

Wer mit den tschechoslowakischen Kinderserien und Spielilmen aufgewachsen ist, kennt wahrscheinlich etwas aus dem Werk des Prager Surrealisten Jan Švankmajer. Denn Švankmajer trug in Serien wie Návštěvníci | Die Besucher und Filmen wie Upír z Feratu | Der Autovampir die Verantwortung für die Effekte.
Er studierte Angewandte Künste und Puppenspiel an der Akademie der musischen Künste in Prag und wurde stark von Edgar Allan Poe, Lewis Carroll, Sigmund Freud und dem Marquis de Sade beeinflußt.
Seit 1964 entstanden bis 1992 vorwiegend Kurzfilme für Erwachsene, die zwar weltweit auf Festivals ausgezeichnet werden, von der heimischen Kulturbürokratie jedoch mißtrauisch beäugt werden. Erst im Vorfeld der Samtenen Revolution entstehen lange Spielfilme, in denen er Stopmotion und Claymation ausgiebig benutzt. In seiner Stopmotion greift er mit Vorliebe auf Dinge des Alltags und Objekte aus der Natur wie Obst oder Baumstümpfe zurück, die als solche im Film erkennbar bleiben.
Zu seinen Fans und Bewunderern zählen unter anderem Terry Gilliam, die Quay Brothers, Tim Burton und Mamoru Oshii. Für Terry Gilliam gehört Možnosti dialogu zu den besten Animationsfilmen überhaupt.

Zu seinen unbestrittenen Meisterwerken gehört der dreiteilige Animationsfilm Tücken des Gesprächs, der sich bissig satirisch damit beschäftigt, wie wir Menschen eigentlich ticken.

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Alt 28.03.2018, 16:20   #81  
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Huset på Christianshavn | Oh, diese Mieter! Staffel 8 Episode 6 (Folge 48) "Nu stiger kunsten" bzw. Staffel 2 Episode 10 (Folge 26) "Jetzt steigt die Kunst" (Dänemark 1974, Nordisk Film für Danmarks Radio), Drehbuch: Henning Bahs, Regie: Tom Hedegaard, 28 min bzw. 26 min

Das Mietshaus im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn liegt in der Amagergade 7 in der Nähe des Zentrums. Hier wohnen kleine Leute: Arbeiter, Angestellte und kleine Selbständige. In Dänemark lief die Serie von 1970 bis 1977 und brachte es auf 84 Folgen in 14 Staffeln, außerdem entstand ein Spielfilm. Gekürzte Szenen sind in Klammern.
Die Stammkneipe der Mieter ist das gegenüber liegende Rottehullet (deutsch Rattenhöhle). Egon Olsen verdient sich mit seinem Möbelwagen seinen Lebensunterhalt und hält sich als Unternehmer für etwas Besseres als den Kommunalbeamten Larsen. Er zofft sich regelmäßig mit Larsen, Tierhändler Clausen und Hausmeister Meyer. (Die Söhne William Olsen und Bimmer Clausen foppen jedoch gemeinsam Hausmeister Meyer.)

Weil zahlreiche Stars aus der Kultserie um die Olsenbande hier regelmäßig auftraten, hatte die Serie auch in der DDR ihre treuen Fans. Dort liefen leicht gekürzt zwischen 1975 und 1982 unter dem Titel Oh, diese Mieter! 48 Folgen in 5 Blöcken. Bei dieser Folge wurden mehrere Szenen, die vor allem auf der Straße, im Treppenhaus und im Durchgang zur Straße spielen, gekürzt, weshalb die dänische Fassung lebendiger wirkt und die DDR-Fassung fast einem Kammerspiel gleicht.
Der Serie wurde vorgeworfen, sie zeichne das Leben der gewöhnlichen Leute in zu rosigen Tönen und romantisiere den Alltag. Dennoch gehört die Serie zu den größten Erfolgen des dänischen Fernsehens.

(Olsen kommt von einer Fahrt zurück und geht mit Meyer ins Rottehullet.) Er hat vom Diebstahl bei einem Künsthändler erfahren, jetzt schwärmt er von den wunderbaren Profiten: Ein Bild, das zu Lebzeiten des Künstler zwei Millionen Kronen wert gewesen sei, wäre heute 40 Millionen Wert und das steuerfrei. Sofort entspinnt sich eine Debatte, wie leicht es wäre, mit der richtigen Kunst zu spekulieren und reich zu werden.
Die Wirtin des Rottehullet, Emma, erwähnt dabei eine Künstlergruppe, die bis zum Abriß im Hinterhaus Nr. 13 gewohnt haben. Wenn die ihre Zeche nicht zahlen konnten, haben ihre Gemälde angeboten. Emma kramt die Bilder hervor.
Mit der modernen, abstrakten Kunst kann keiner etwas anfangen. Die finden sie nur häßlich, wobei Olsen und Larsen auf ihre Bildung hinweisen. Als sich Meyer für ein Bild mit einem verwachsenen Kalb begeistert, lästern sie über das Postkartenmotiv.
Olsen und Clausen spekulieren sofort eifrig in Kunst, die natürlich im Wohnzimmer angebracht werden muß. Allerdings brauchen sie dazu das Einverständnis ihrer Ehefrauen. Als Olsen zwei Bilder anschleppt, schwärmt ihm seine Frau Ellen vor, daß ihr Sohn William künstlerisch begabt sei. Egon winkt ab und meint, der lese doch nur Anders And & Co. (Micky Maus Magazin).
Im Wohnzimmer bringt Olsen stolz ein Landschaftsgemälde von Helge Hansen an, abgetakelte Segelboote unter rotem Abendhimmel. Für nur 650 Kronen habe er das Kunstwerk erstanden, jetzt müsse er nur abwarten. In das Zimmer seines Sohnes William hängt er ein abstraktes Gemälde, bei dem er raten muß, wo oben und wo unten ist.
Unterdessen empfiehlt Larsen Mille Clausen einen heißen Tip des Kunsthändlers Hallandsen, zwar kein Asger Jorn (1914 - 1973), aber ein Werk der berühmten Gruppe CoBrA, von J.W. Go Sørensen. Mille findet das Geschmiere abscheulich, das für 3.000 Kronen ein Schnäppchen sein soll.
Olsen will seinen Triumph gegenüber Clausen auskosten, der gerade mit Mille Larsen abwimmelt. Doch da muß er erkennen, daß Clausen genau das gleiche Gemälde von Helge Hansen hat wie er. Als der ihn sagt, er habe dafür nur 350 Kronen gezahlt, reicht es ihm.
Wenig später steigt Kunsthändler Hallandsen aus seinem schwarzen Mercedes. Er wird von Meyer erwartet, der den Ungeduldigen zu den Larsens bringt. Hallandsen will unbedingt das abstrakte Gemälde aus Williams Zimmer haben.

Gewisse Parallelen zu Minder | Der Aufpasser (siehe #70) sind unvermeidlich. Wer sich auf Kunst versteht wie Hallandsen, kann gute Geschäfte machen und Unkundige sogar über den Tisch ziehen. Trotz einer gewissen Bildung und angelesenem Wissens schätzen Kleinbürger die Lage jedoch in der Regel grundfalsch ein. Der naive Blick des vermeintlich ungebildeten Hausmeisters hingegen beweist ein besseres Gespür.

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Alt 29.03.2018, 17:58   #82  
Servalan
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I Shot Andy Warhol (USA 1996, BBC Arena, Playhouse International Pictures und Killer Films), Drehbuch: Mary Harron und Daniel Minahan frei nach The Letters and Diaries of Candy Darling (1992) von Jeremiah Newton, Regie: Mary Harron, Musik: John Cale, 103 min, FSK: 16

Nachdem sie am 3. Juni 1968 versucht hat, Andy Warhol (1928 - 1987) sowie dem Kunstkritiker und Kurator Mario Amaya (1933 - 1986) im seinem Studio The Factory zu erschießen, wird Valerie Solanas (1936 - 1988) von der New Yorker Polizei verhört.
Sie hat es in ihrer schweren Kindheit gelernt, sich durchzuschlagen. Als sie vor ihrem Vater und ihrem Großvater floh, der seine Enkelin mißbrauchte, floh, lebte sie auf der Straße. Sie will Schriftstellerin, schreibt sich für Psychologie an der Universität ein. Wenn Geld knapp war, bettelte sie oder prostituierte sich. Trotz des rauen Klimas in den 1950ern lebte sie offen als Lesbe.
Durch ihren Freund Stevie lernt sie Candy Darling (1944 - 1974) aus der Factory kennen, die sie Warhol vorstellte. 1967 bat sie Warhol, sich eines ihrer Theaterstücke, Up Your Ass, durchzulesen. Wegen seiner expliziten Filme hatte Warhol Schwierigkeiten mit der Polizei und vermutete eine Falle.
Unterdessen lernt Solanas Maurice Girodias kennen, der in seinem Verlag Olympia Press vorwiegend pornographische Titel veröffentlicht. Er schließt mit ihr einen Vertrag über einen pornographischen Roman ab. Solanas traut dem Braten nicht, wird mißtrauisch und glaubt, Warhol und Gorondias würden sie kontrollieren. Dann verliert ihr Mentor Warhol, der ihr Theaterstück produzieren soll, auch noch das Manuskript und speist sie mit 25 Dollars ab.
Sie besorgt sich eine Waffe und marschiert in die Factory.

Seit dem Mordversuch lebt Warhol in Angst, denn er befürchtet, Solanas werde es ein zweites Mal versuchen.
Solanas pornographischer "Roman" war das brühmt-berüchtigte radikalfemnistische SCUM Manifesto - Society for Cutting Up Men (Selbstverlag 1967, Olympia Press 1968), das in Männer und dem Patriarchat eine Herrschaft des Abschaums (englisch Scum) sieht.

Desweiteren treten auf: Viva (Jahrgang 1938), Jackie Curtis (1947 - 1985), Ondine (1937 - 1989), Paul Morrissey (Jahrgang 1938), Tom Baker (1940 - 1982), Brigid Berlin (Jahrgang 1939), Rotten Rita und Ultra Violet (1935 - 2014)

In den 1990er Jahren wurden im Indepentkino mehrere Filme über Künstlerinnen produziert, wobei das Spektrum von Camille Claudel bis zu Artemisia Gentileschi reichte. Bei den Vorführungen im Arthouse konnte das Publikum ernsthafte Künstlerinnen kennenlernen, die sich gegen gesellschaftlichen Widerstand durchsetzen konnten. Historische Kostümfilme betonten dabei den Einfluß wohlwoillender Mentoren und Förderer, häufig Väter oder Liebhaber. Das Biopic über Valerie Solanas entzieht sich einer Vorlage, bei der sich das Publikum mit der Heldin identifizieren und mitkämpfen kann.
Obwohl nur noch wenige der Dargestellten lebten, erlaubt der Film einen Vergleich zwischen der Gegenwart in den 1990ern und den 1960ern auf der Leinwand. Der konzentrierte Blick auf entscheidende Schlüsselmomente in Solanas' Leben vermeidet den klassischen Lebenslauf in Rückblenden.

Weltpremiere feierte das prominent besetzte Biopic in der Reihe Un Certain Regard bei dem Filmfestspielen von 1996. Lili Taylor wurde beim Sundance Film Festival 1996 für ihre Verkörperung der Valerie Solanas ausgezeichnet.
Zur 30-Jahr-Feier des LGBT-Preises Teddy lief er bei der 66. Berlinale 2016.
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Alt 29.03.2018, 20:29   #83  
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The Picture of Dorian Gray | Das Bildnis des Dorian Gray | Il dio chiamato Dorian (Bundesrepublik Deutschland / Italien 1970), Drehbuch: Massimo Dallamano, Marcello Coscia und Günter Ebert nach dem gleichnamigen Roman (1890) von Oscar Wilde, Regie: Massimo Dallamano, 93 min, FSK: 16

Durch den ewig jung bleibenden Dorian Gray hat Oscar Wilde in seinem einzigen Roman eine Figur geschaffen, die inzwischen zur Populärkultur gehört. Die Kunstszene bildet den Fokus einer sarkastischen Abrechnung mit der elegant gelangweilten Oberschicht des spätviktorianischen Empire. Hier glaubt niemand an den Teufel und seine infamen Verführungskünste, umso verhängnisvoller sind dann die Konsequenzen.
Letzten Endes beruht Wildes Roman auf einer phantastischen Grundlage, und der Quell ewiger Jugend hält sich als Mythos hartnäckig. Wilde legte großen Wert auf Ästhetik, die er in etlichen, teilweise szenisch dramatisierten Essays ausformulierte.
Zuerst erschien der Roman in Lippincott’s Monthly Magazine, die heute zugängliche Fassung wurde für den Londoner Verlag Ward, Lock and Co. überarbeitet und erweitert.

1910 wurde der Stoff erstmals von Axel Strøm in Dänemark verfilmt. Bis heute gibt es 17 mehr oder minder getreue Verfilmungen, die sich manchmal extreme Freiheiten herausnehmen, wie zum Beispiel Ulrike Ottingers Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse (Bundesrepublik Deutschland 1984, 150 min) mit Veruschka von Lehndorff in der Titelrolle.
Ob als Musical, Oper, Ballett oder Schauspiel auf dem Theater, ob als Hörspiel oder als Comic, jedes Medium kann mehrere Adaptionen vorweisen. Deshalb liegt mein Schwerpunkt auf der Wahl der besten Verfilmung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann Massimo Dallamano als Kameramann, wo er unter anderem als Jack Delmas für Sergio Leone die ersten beiden Teile der Dollar-Trilogie drehte. Vielleicht lag es an seiiner Herkunft, denn die bundesdeutsche Kritik gab sich ausgesprochen kühl und abweisend. Produziert wurde Das Bildnis des Dorian Gray vom B-Film-Produzenten Samuel Z. Arkoff, der Horrorfilmfans ein Begriff sein dürfte.

Dallamanos Fassung verlegt die Geschichte um das Bild, das anstelle des Porträtierten altert, in die Gegenwart seiner Zeit. Dadurch bildet das Swinging London der 1960er Jahre den Hintergrund. Die italienische Tradition des Giallo trifft hier auf ein Echo der jungen Schwulenbewegung.
Der von Helmut Berger verkörperte Gray trifft seine Liebhaber unter anderem in der Sauna. Im Gegensatz zum klassischen Teufelspakt sind hier drei Akteure beteiligt: Dem Kunstmaler Basil Hallward sitzt sein Freund Dorian Gray Modell, während ihm der Kunsthändler Henry Wotton ein Angebot unterbreitet, das zu schön wäre, um wahr zu sein. Halb belustigt läßt sich Gray auf den Deal ein, während das Bild die nächsten Jahre auf dem Dachboden landet und dort fast vergessen wird.

Geändert von Servalan (02.04.2018 um 13:59 Uhr)
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Alt 02.04.2018, 20:38   #84  
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Decoy | Decoy: Police Woman Staffel 1 Episode 34 (Folge 34) "The Shadow of Van Gogh" (USA 1958, Official Films, Inc. für Pyramid Production), Drehbuch: Saul Levitt, Regie: Michael Thomas, Gemälde: R.F. Stone und Harry Jackson, Skulpturen: Nathan Hale, 26 min schwarzweiß

Am 16. Dezember 1986 feierte Jürgen Rolands neue Krimiserie Großstadtrevier mit der Episode "Mensch, der Bulle ist ’ne Frau" im Vorabendprogramm Premiere. Der erfahrene Polizeihauptwachtmeister Richard Block hat dabei gewisse Probleme mit seiner Kollegin Ellen Wegener, die frisch von der Polizeischule kommt. Gut zehn Jahre vorher ermittelte Nicole Heesters als Kommissarin Marianne Buchmüller in Mainz für den Tatort des SWR in drei Folgen.
Wenn es um Ermittlerinnen geht, die sich durchsetzen können, fällt den meisten als erstes wohl Emma Peel aus der britischen Serie The Avengers | Mit Schirm, Charme und Melone (ITV / ABC / Thames Television 1961 - 1969) ein, möglicherweise noch deren Vorgängerin Cathy Gale (deren Darstellerin Honor Blackman spielte später Pussy Galore in James Bond 007 – Goldfinger, 1964).

Doch keine von denen war die erste Polizistin auf dem Bildschirm.
Diese Ehre gebührt der femininen Beverly Garland, die von 4. Oktober 1957 bis zum 7. Juli 1958 in 39 Episoden die Polizistin Patricia Jones verkörperte, die in New York City ermittelt.

Die Serie ist ein Spin-off der erfolgreichen Krimiserie Dragnet | Polizeibericht (von der sich Jürgen Roland bei Stahlnetz anregen ließ). Weil Casey Jones, wie sie auch genannt wird, häufig undercover als Köder oder Lockvogel auftritt, heißt die Serie Decoy.
Die Krimiserie wurde mit bescheidenem Aufwand produziert und erinnert erzählerisch an EC-Comics. Notwendige Informationen erzählt Casey Jones teilweise aus dem Off, und manchmal redet sie wie ein Serienhost direkt in die Kamera. Die Außenaufnahmen aus dem Big Apple von damals vermitteln ein nostalgisches Flair. Manchmal holpert der Erzählfluß, weil sich die Serie auch als allgemeines Bildungsprogramm und Milieustudie versteht.

In Greenwich Village steigert sich der junge Maler Jack Wilson bei einem Selbstporträt so stark in sein Vorbild Vincent van Gogh (1853 - 1890) hinein, daß er es schließlich mit "Vincent" signiert. Weil das nur eine Van-Gogh-Kopie ist und kein Jack Wilson, zerschmettert er im Jähzorn seinen Spiegel.
Die reiche Miss Deene hat vom Kunsthändler Corso für 60.000 Dollar van Goghs "De sterrennacht | Sternennacht" (1889) erstanden und läßt es von einem Experten begutachten. Der kommt leider zu dem Schluß, daß es sich um eine Fälschung handelt. Weil das echte Gemälde vor vier Jahren gestohlen wurde, erhält Casey Jones den Auftrag diskret zu ermitteln. Sie weiß, wer Vincent van Gogh gewesen ist.
Zuerst schaut sie sich in der Galerie Corso um. In dessen Büro hängt ein unscheinbares Gemälde, das der Kunsthändler trotz seines illustren Platzes - gegenüber seinem Schreibtisch - verächtlich macht. Das sei weder schön, noch sei das Kunst.
Casey Jones hört sich in Greenwich Village um, sucht Künstler auf, die am Central Park ihre Werke feilbieten, und hört sich in einer Künstlerkneipe um. Sie sucht nach einem junger Künstler, der von van Gogh inspiriert ist, und kommt auf diese Weise nach und nach zu Jack Wilson. Sie stellt sich ihm als Miss Chalmers vor, die im Auftrag von Miss Deene unterwegs ist.

Geändert von Servalan (10.12.2021 um 18:44 Uhr)
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Alt 05.04.2018, 16:14   #85  
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Tatort (Folge 579) "Teufel im Leib" (Deutschland 2004, Telefilm Saar GmbH im Auftrag des Saarländischen Rundfunks für Das Erste), Drehbuch: Jochen Senf und Hans-Christoph Blumenberg, Regie: Hans-Christoph Blumenberg, 88 min

Der 17. und vorletzte Fall für Kriminalhauptkommissar Max Palu, der von 1988 bis 2005 in Saarbrücken ermittelte, zitiert im Episodentitel französische Weltliteratur: 1923 erschien bei Grasset der Skandalroman Le Diable au corps (deutsche Titel: Teufel im Leib oder Stürmische Jugend) von Raymond Radiguet um eine Amour fou im Ersten Weltkrieg. Grasset vermarktete den Erotikthriller als Romandeüt eines 17jährigen. Mit nur 20 Jahren erlag Radiguet dem Typhus.
Seit 1947 wurde der Roman insgesamt fünfmal verfilmt, zuletzt 1986, 1989 und 1990. Marco Bellocchios Fassung Il diavolo in corpo (Frankreich / Italien 1986, 110 min, FSK: 18) feierte seine Premiere in der Reihe "Quinzaine des Réalisateurs" bei den 39. Internationalen Filmfestspielen in Cannes. Die explizite Sexszene brachte zwar die provozierte Aufmerksamkeit, letztendlich behinderte sie aber die Karriere der Hauptdarstellerin Maruschka Detmers.

Schauspieler und Autor Jochen Senf gelang in seiner Rolle als Max Palü der Durchbruch. Obwohl Senf seinen Kommissar mit autobiographischen Elementen anreichert, wird er von Teilen der Kritik als klischeehaft und behäbig gesehen. Ausflüge ins benachbarte Frankreich und Luxemburg sind in saarländischen Krimis üblich.
Historisch wurde das formell selbständige Saargebiet zwischen 1947 und 1957 von den französischen Alliierten kontrolliert, und wurde erst nach der "kleinen Wiedervereinigung" das kleinste Flächenland unter den Bundesländern. Dementsprechend reichert französisches Savoir-vivre das Ambiente an, vor allem Palüs Vorliebe für gutes Essen.
Der Episodentitel zählt ebenfalls zu, zumal die Filmhandlung und der Roman höchstens auf abstrakter Ebene etwas miteinander zu tun haben: Sowohl bei Radiguet als auch bei Palü geht es das schwierige Verhältnis zwischen Männern und Frauen, um Weiblichkeit an sich und den sogenannten Krieg der Geschlechter.

Die Anästhesistin Dr. Barbara Schreiner bereitet in ihrem Atelier ihre letzten Bilder für ihre Ausstellung "Teufel im Leib" vor, die demnächst in der Galerie Alain in Saarbrücken ihre Vernissage feiern wird. Ihre Gemälde zeigen vergrößerte Operationsfotos von Frauen mit vernarbten Körpern, die sie mit rotem Airbrush übermalt. Zu ihren Bewunderern gehört der Schönheitschirurg und Klinikprofessor Dr. Till Pfortner, der plötzlich bei ihr eindringt. Es kommt zu einem Streit, denn sie wirft ihn hinaus, was Max Palü zufällig mitbekommt, weil ihn der Lärm in der Nähe aufschrecken läßt.
Die junge Motocross-Fahrerin Sandra Waller ist nach einem Unfall mit ihrem Motorrad Patientin bei der Schmerztherapeutin Dr. Cordula Scholz, die sie in ihrer Klinik beaufsichtigen will, doch Sandra bricht immer wieder aus. Die zornige Frau rennt vor ihrem Schmerz davon und läuft Palü in ihrer schwarzen Motorradkluft immer wieder über den Weg, weshalb der Kommissar stutzig wird.
Palüs Fall beginnt im engeren Sinne mit der im Atelier ermordeten Dr. Schreiner. Routinemäßig suchen Palü und sein Assistent Deininger die nächsten Verwandten des Opfers auf: Der Gynäkologe Dr. Alfred Waller war mit ihr verheiratet, aber beide haben erhebliche Schwierigkeiten mit ihrer gemeinsamen Tochter Sandra. Dr. Waller sähe es lieber, wenn Sandra ihre Therapie bei Dr. Scholz abbräche, weil er der Schmerztherapeutin mißtraut.
Als am nächsten Morgen Galerist Alain von seiner Assistentin schwerverletzt in seinen Ausstellungsräumen aufgefunden wird, bringt Palü beide Fälle in einen Zusammenhang. Denn zwei Bilder wurden aus der Galerie gestohlen, und die Kataloge zu "Teufel im Leib" sind verschwunden. Palü beschäftigt sich mit Barbara Schreiners Kunstwerken und kommt dadurch suspekten Todesfällen auf die Spur.

Auf den ersten Blick wird die feministische Body Art der Cindy Sherman (Jahrgang 1954) als Vorbild für Dr. Barbara Schreiners Übermalungen erkennbar: Ähnlich verstörende Blicke auf weibliche Körper lieferte sie in mehreren Serien, die unter anderem 1995 in den Hamburger Deichtorhallen und 1997 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden ausgestellt wurden. Ihre Serien Disasters (1985 – 1989) und Sex Pictures oder Mannequin Pictures (1992) liegen dort, wo sich Modefotografie, Horrorfilm und Pornographie überschneiden.

Geändert von Servalan (05.04.2018 um 19:58 Uhr)
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Alt 08.04.2018, 17:04   #86  
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Gelübde des Herzens (Deutschland 2003, teamWorX Television & Film Produktion der UFA GmbH im Auftrag der ARD Degeto Film), Drehbuch: Natalie Scharf, Regie: Karola Hattop, Kunstmaler: Michael Lenz, 86 min

Das bittersüße Liebesmelodram um eine trauernde Kunstrestauratorin und einen angehenden Mönch aus der Toskana verbindet Anleihen aus Im Namen der Rose und der Serie Die Dornenvögel. Glaube, Liebe, Hoffnung liefern mehr als einen netten Unterton, zumal der persönliche Verlust mit einer handfesten Glaubenskrise verbunden wird.
Bildgestalter Sebastian Richter nutzt die Gelegenheit, um in den Landschaftsaufnahmen klassische Gemälde anklingen zu lassen. Die Romanze bietet einen angenehmen Zeitvertreib, bleibt aber sonst brav und bieder.

Die 32jährige Sophie Schuhmacher lehrt am Kunsthistorischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität, wo sie im Auftrag ihres Doktorvaters, Professor Eduard Lemnitz, als Sachverständige Gemälde begutachtet und restauriert. Privat bereitet sie gerade ihre Hochzeit mit dem Geschäftsmann Florian Berger vor, dem eine standesamtliche Trauung genügt hätte.
Weil sie jedoch im Alleingang einen kirchlichen Termin vereinbart hat, geraten die beiden in Streit, und Florian flieht vor der Auseinandersetzung in sein Büro. Kurz darauf verunglückt er auf der regennassen, nächtlichen Straße.
Am Tag zuvor hatte sie mit Professor Lemnitz im Institut ein Gemälde aus der Hochrenaissance begutachtet, ihrem Spezialgebiet. Das Gemälde zeigt den Exodus aus Ägypten unter Moses und hat eine gewisse Nähe zu Raffael (1483 - 1520) oder dessen Werkstatt. Sophie zweifelt die Echtheit an. Die beiden werden von Luca Divale unterbrochen, der gerne die Expertise über ein unbekanntes Fresko in Siena einholen möchte. Wegen ihrer bevorstehenden Hochzeit lehnt Sophie zunächst ab; nach dem Verlust zweifelt sie an Gott und stürzt sich in die Arbeit.
Bei dem Gemälde handelt es sich um ein Kapellenfresko im Dominikanerkloster San Domenico del Monte bei Siena, das zum größten Teil übermalt worden ist und nur in Teilen freiliegt. Als einzige Frau im Männerkloster fordert Klostervorsteher Monsignore Costamagna Della Fina von ihr, sich strikt an die Regeln zu halten und gebührenden Abstand zu den Mönchen zu wahren. Costamagna spielt den kunsthistorischen Wert des Freskos herunter, denn er hält die Ziermalerei des 15. Jahrhunderts für eine Nachahmung spätbyzantinischer Motive.
Sophie dokumentiert ihre Forschungsarbeit mit der Digitalkamera. Durch die Jahreszahl 1498 wird Luca stutzig und erwähnt Sophie gegenüber, daß in jenem Jahr der Dominkaner Cavalese, ein Mönch des Klosters, als Ketzer auf dem Scheiterhaufen landete. Laut dessen Aussage sollten Mönche Frauen in der Umgebung geschwängert haben.


Die kunsthistorische Ebene ist eingängiger als der religiöse Unterton, der Brüche enthält, die von Laien übersehen werden können (oder sollen). Ihr Verlobter Florian scheint für seine Liebe ohne Glauben durch ein Gottesurteil bestraft worden zu sein. Lucas Schmachten kommt jedoch vom Glauben zur Liebe und eröffnet so das obligatorische Happy End. Dieses wird auf weiteren Ebenen gespiegelt, denn es gibt auch in der Gegenwart weitere (offene) Geheimnisse.

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Alt 10.04.2018, 17:21   #87  
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W. Somerset Maugham's The Moon and Sixpence | Der Besessene von Tahiti (USA 1942, David L. Loew - Albert Lewin. Inc. für Favorite Film Productions der United Artists), Drehbuch: Albert Lewin nach dem Roman The Moon and Sixpence | Silbermond und Kupfermünze (1919) von William Somerset Maugham, Regie: Albert Lewin, Skulpturen: Nina Saemundsson, Gemälde: Dolya Goutman, Wissenschaftliche Beratung: Barbara Gray, 89 min teilweise schwarzweiß, FSK: 12

Somerset Maugham ließ bei seinem Künstlerroman vom Leben Paul Gauguins (1848 - 1903) inspirieren und landete einen Bestseller, den etliche Studios sofort verfilmen wollten. Weil die Sittenwächter des Hays Code | Production Code schon in der Drehbuchphase Schwierigkeiten bereiteten, hing das Projekt lange in der "Produktionshölle" fest. 1941 erwarben David L. Loew und Albert Lewin die Rechte von MGM und finanzierten mit einer unabhängigen Studio-Produktion einer der ersten Filme ihrer gemeinsamen Produktionsfirma.
Die Musik von Dmitri Tionkin wurde für den Oscar nominiert, und Der Besessene von Tahiti rangiert unter den Top 10 des Jahrgangs 1942. In den deutschen und österreichischen Kinos lief die Verfilmung kriegsbedingt mit erheblicher Verzögerung, nämlich erst 1955.
Somerset Maugham war mit der Umsetzung seines Romans zufrieden.

Eine erste Bearbeitung des Roman gab es schon 1925 für das New Theatre in London. 1951 und 1959 wurde der Roman für den US-Sender NBC neu verfilmt. 1957 feierte eine Opernfassung im Sadler's Wells Theatre, London, Premiere; die Musik stammte von John Gardner und das Libretto von Patrick Terry.
Bezeichnender ging Kameramann John F. Seitz bei den Nominierungen leer aus, obwohl das ausgefeilte Farbkonzept das konversationsreiche Biopic im Rückblick aus der Masse heraushebt: Die ersten Episoden sind in hartem Schwarzweiß, erst in der letzten halben Stunde auf Tahiti mildert ein Sepia (wie in alten Fotos) den Blick. Den Höhepunkt bilden zwei kurze Einstellungen in Farbe, die Charles Stricklands von ihm ausgemalte Hütte und einen Brand zeigen.

Vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte wirft der Stoff eine ziemlich steile These auf, die einem Bauchschmerzen bereiten kann: Künstlerische Genies brechen nicht nur bürgerlichen Konventionen, sie sind nicht fähig, gegenüber sich selbst und anderen Kompromisse einzugehen. Deshalb verursachen sie Leid und gehen letztlich an sich selbst zugrunde.

Als der saturierte Erfolgsschriftsteller Geoffrey Wolfe eines Tages in der Zeitung liest, daß der Kunstkenner und Sammler Joseph Steen bei einer Auktion bei Christie's Charles Stricklands Gemälde "Woman of Samaria" für 3.500 Pfund erwarb, erinnert er sich an den Künstler. Nach einem längeren Selbstgespräch entschließt sich Wolfe, ein Buch über das Leben des Künstlers zu schreiben.
Wolfe lebt auf großem Fuße und bewegt sich in der höheren Gesellschaft Londons. Manchmal übernimmt er aus Gefälligkeit kleinere Aufträge, die diskret bleiben sollen. Ende des 19. Jahrhunderts wendet sich Mrs. Stickland an ihn, weil ihr Mann, ein erfolgreicher Mann, sie nach 17 Jahren plötzlich verlassen hat. Wolfe findet Strickland in einer ärmlichen Mansarde in Paris.
In einem Café gesteht ihm Strickland, zeit seines Lebens habe er immer nur Malen wollen. Sein Vater habe das für brotlose Kunst gehalten und ihn zu einer Karriere als Geschäftsmann bedrängt, aber nun könne er nicht mehr. Deshalb sei er ausgestiegen. Seine verlassene Frau bricht über der Nachricht zusammen: Mit einer Geliebten hätte sie konkurrieren könnte, mit der Idee der Kunst kann sie das jedoch nicht.

Sieben Jahre später zieht Wolfe von London nach Paris um, weil er eine Luftveränderung braucht. Dort freundet er sich mit dem kindlichen Maler Dirk Stroeve an, der zwar selbst leidlich über Runden kommt, aber einen untrüglichen Blick für die Talente anderer hat. Stroeve schwärmt von Strickland als einem Genie, obwohl der am Hungertuch nagt. Der verwilderte und verwahrloste Strickland schlägt sich als Plakatierer, Anstreicher und Touristenführer durch.
Bald darauf erkrankt Strickland, den Stroeve in seinem Atelier pflegen will, damit er nicht umkommt. Blanche Stroeve erkennt in Strickland etwas Finsteres und Verderbliches, weshalb sie auf ihren Mann vergeblich einredet. Dank Dirk Stroeves Pflege springt Strickland dem Tod von der Schippe, und später malen Stroeve und Strickland gemeinsam im Atelier.


Der Stoff zeigt eine gewisse Nähe zu Monsterfilmen. Die Verfilmung beginnt mit einem Insert, das vorgibt, Strickland für sein rücksichtsloses Verhalten nicht verteidigen zu wollen. (Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten!)
Während der sympathische Holländer Dirk Stroeve ein munterer, freundlicher Kleinbürger bleibt, verändert der Kunsttrieb Genies wie Strickland schubweise, so daß eine neue Persönlichkeit entsteht. Nach seiner Flucht aus London verwandelt sich der brave Dr. Jekyll des Börsenmaklers zunächst in einen egoistischen Mr. Hyde.

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Alt 16.04.2018, 16:24   #88  
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Besuch bei Van Gogh - ein utopischer Film (Deutsche Demokratische Republik 1985, DEFA-Gruppe Roter Kreis und Allianz Filmproduktion GmbH), Szenarium: Horst Seemann und Heinz Kahlau frei nah der Erzählung Vincent van Gogh (1972) von Sewer Gansowski | Север Феликсович Гансовский, Drehbuch: Horst Seemann, Dramaturgie: Christel Gräf, Musik und Regie: Horst Seemann, 105 min

Als der Science-Fiction-Film im Oktober 1985 in den Kinos der DDR anlief, war Michaek Gorbatschow | Михаил Сергеевич Горбачёв zwar schon einige Monate Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Präsident der Sowjetunion wurde er jedoch erst im März 1990. Seit einiger Zeit schwirrten die Schlagwörter Glasnost und Perestroika herum, die für eine neue Offenheit warben. Die Regierung der DDR und die kommunistische SED vertrauten lieber der traditionellen Linie und wahrten deutlichen Abstand zum neuen Kurs. Insofern verblüfft das dystopische Zukunftsbild.
Der sowjetische Science-Fiction-Autor Sewer Gansowski (1919 - 1990) zählte in der DDR, in Polen und der Tschechoslowakei zu den festen Größen des Genres, was sich in zahlreichen Übersetzungen zeigt. Horst Seemann und die DEFA-Gruppe Roter Kreis nutzen die Möglichkeiten, indem sie die Hauptrollen prominent mit Stars wie der Polin Grazyna Szapolowska und der Tschechin Dagmar Patrasová (Xenia in Die Märchenbraut, Emilia Fernandez in Die Besucher) besetzten.
Gansowskis Zeitreisegeschichte wandelt sich immer stärker zum Biopic eines Künstlers, wodurch die Hauptfigur eine eigensinnige Entscheidung trifft.

Im 22. Jahrhundert leben die Menschen in einer künstlichen Welt aus Glas und Plastik. Viele Entscheidungen treffen umständlich programmierte Computer, bezahlt wird in kostbaren Energieeinheiten.
Der größte Fluch ist jedoch die Staubkrankheit, durch die eine Depression der gesamten Menschheit droht. Die junge Marie Grafenstein forscht an einem Gegenmittel und scheint auf dem richtigen Weg sein; allerdings fehlen ihr die Mittel. Deswegen wendet sie sich an Andreas Bergk, einen alten Bekannten, der die Energieeinheiten verwaltet. Der verspricht ihr, etwas zu deichseln.
Dabei erwähnt er, daß das Regionalmuseum zwei Millionen Energieeinheiten für das Gemälde "Die Kartoffelesser | De Aardappeleters" (1885) ausgebeben hat. Zeitreisen sind zwar technisch möglich, sind aber verboten.
Dennoch planen Bergk und Grafenstein eine Zeitreise, um Theo van Goghs Witwe Johanna van Gogh[-Bonger] (1862 - 1925) ebendieses Gemälde aus dem Nachlaß abzukaufen. Zu ihrem Erstaunen weigert sich die Witwe des Künsthändlers standhaft, denn ihrer Meinung nach gehören van Goghs Werke der Menschheit.
Also führt die zweite Zeitreise weiter zurück, denn Marie Grafenstein nimmt sich vor, Vincent van Gogh (1853 - 1890) das Gemälde abzukaufen, bevor die Farbe getrocknet ist. Mit dem Wert des merkwürdigen Papiers namens Geld hat die Amerikanerin Marie Miller, wie Marie Grafenstein sich nennt, so ihre Schwierigkeiten, zumal sie nur 1000-Gulden-Scheine dabei hat.
Van Gogh weigert sich beharrlich, mehr als 125 Gulden zu nehmen, mit denen er seine Unkosten decken kann. Wie von ihm erwartet, hat Marie Miller Schwierigkeiten, den großen Schein zu wechseln. Irgendwie gelingt es Marie, in den Besitz des Gemäldes zu gelangen.


In einer Szene beklagt sich Vincent van Gogh über den Kunstmarkt: Dort werden für Werke toter Maler Millionen gezahlt, während die lebenden Künstler am Hungertuch nagen.
Ansonsten bleibt das notorische Zeitparadox ziemlich schwach, sobald es um den Kunstmarkt geht: Wenn van Gogh schon zu Lebzeiten eine treue, freigiebige Sammlerin gehabt hätte, wäre das nicht unbemerkt geblieben. Denn Marie Miller nimmt eine ähnliche Stellung ein wie später Peggy Guggenheim. Das da so überhaupt nichts passiert, ist enttäuschend.

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Alt 18.04.2018, 14:58   #89  
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Am Abend aller Tage (Deutschland 2017, Leitwolf TV- und Filmproduktion, MementoFilm und Palatin Media), Drehbuch: Markus Busch sehr frei nach der Novelle The Aspern Papers | Asperns Nachlaß | Die Aspern-Schriften (1888) von Henry James, Regie: Dominik Graf, 89 min

Henry James' Novelle dreht sich um den Nachlaß eines zeitgenössischen Schriftstellers, der in Venedig residiert hat. Wie im klassischen Thriller veranstalten mehrere Parteien aus eigenem Antrieb ein Katz-und-Maus-Spiel, während Busch und Graf den Stoff lediglich als Grundierung für einen intelligenten Film über Kunst verwenden, der durch weitere Motive immer wieder übermalt wird.
Auf Festivals und von der Kritik heimste Am Abend aller Tage Lob ein, obwohl der Film bewußt gegen die klassischen Regeln des Thrillers verstößt (denn Philipp Keyser muß zum Jagen getragen werden), sich zeitweise im Liebesdrama verliert, und die Kunst irgendwo zwischen dem Gärtnern und einer Großwäscherei oszillieren läßt. Wer auf die handelsübliche Spannung wartet, wird enttäuscht werden.
Busch und Graf nutzen den MacGuffin vielmehr für ein Vexierbild, das wie ein Palimpsest aufgebaut ist, das immer wieder aufs Neue überschrieben wird.
Ihnen gelingt dabei das Kunststück, sämtliche Figuren sympathisch zu zeichnen, mehr sonderliche Querköpfe als abgefeimte und durchtriebene Verbrecher, den Sammler Magnus Dutt eingeschlossen - obwohl der auf Cornelius Gurlitt basiert.
Der Film geht keine Kompromisse ein und biedert sich beim Publikum nicht an. Dominik Graf kennt die Grenzen des Mediums, das er hier auslotet, wodurch sich Form und Inhalt zu einer Einheit verbinden. Am Abend aller Tage gehört nur sich selbst - wie die Kunstwerke, von denen Magnus Dutt spricht.

Der junge Rechtsanwalt Philipp Keyser ist ein Hallodri, der schon mal Frauenherzen bricht, obwohl sie ihm nichts bedeuten. Außerdem hat er einen Vertrauensbruch begangen, so daß er für seine Kanzlei in Frankfurt am Main eigentlich untragbar geworden ist.
Sein Chef bietet ihm die berühmte letzte Chance: Für eine Runde anonymer älterer Damen und Herren soll er das Bild ‚Die Berufung der Salomé‘ des (fiktiven) deutschen Expressionisten Ludwig Glaeden suchen.
Bei dem Bild handelt es sich um ein Phantom, das als verschollen gilt. Den einzigen Hinweis auf die Existenz liefert ein Staubabdruck auf einem alten Wohnzimmerfoto; ein Katalog begnügt sich mit einem leeren Platzhalter.
Bei dem Briefing wird von Gerechtigkeit gemunkelt, die im Vagen verbleibt. Das Bild soll sich im Besitz des Kunstsammlers Magnus Dutt in München befinden, doch der meidet die Öffentlichkeit. Keyser soll nun so rasch und so günstig möglich, das Bild finden und es Dutt abkaufen. Daß Keyser nur fünf Semester Kunstgeschichte ohne Abschluß studiert hat, stieigert seine Reputation kaum.
Auf direktem Weg beißt er jedoch auf Granit, denn die Villa bleibt ihm nicht nur verschlossen, als Fremder wird er mißtrauisch beäugt. Deswegen gibt er sich als Journalist und Doktorand aus, der über Glaeden promoviert. Auf diese Weise erfährt er von Dutts Großnichte, der scheuen Alma Kufferer, die zwar schon mal in Augsburg ausgestellt hat, deren Werke aber unverkäuflich sind, weil sie schnell zerfallen.
Dabei erfährt er, daß sich Alma Kufferer in einer Großwäscherei ihren Lebensunterhalt verdient. Doch die spröde Alma weicht ihm beharrlich aus. Kurzerhand verführt Philipp ihre Kollegin und Freundin Sabine. Zunächst eher widerwillig einigen sich Philipp und Alma darauf, daß Philipp den verwahrlosten Garten der Villa wieder in Schuß bringt.

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Alt 18.04.2018, 21:11   #90  
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Mordkommission Istanbul (Folge 20) "Tödliche Gier" (Deutschland 2018, Regina Ziegler-Filmproduktion für ARD Das Erste), Drehbuch: Horst Freund, Regie: Marc Brummundl, 88 min

Aus Sicherheitsgründen verlegte die Produktionsfirma wegen mehrerer Terroranschläge in der Türkei die Serie nach Folge 18 von den Originalschauplätzen nach Thailand. Was wie eine banale Entscheidung klingt, hat Konsequenzen, die die gesamte Atmosphäre der Serie verändert haben. Während das Publikum in den früheren Folgen eine Türkei wiedererkennen konnten, die sie zum Beispiel aus ihrem Urlaub oder aus Vorträgen kennen, muß die Türkei in Südostasien erst bewußt inszeniert werden. Ab Folge 19 zeigt die Serie deshalb Istanbul als hochmoderne Megalopolis, die als Weltstadt zu den Schrittmachern der Zukunft gehört.
Naheliegenderweise kreist die neueste Episode um einen skrupellosen Baumagnaten, der seine Hände im wörtlichen Sinne über der Stadt hat und als Wirtschaftstycoon von mächtigen Freunden in der Verwaltung geschützt wird, obwohl Kommissar Mehmet Özakin noch eine Rechnung mit ihm offen hat.

Dursun Kara stammt aus kleinsten Verhältnissen und ist stolz, es ohne Abitur oder Universitätsabschluß ganz an die Spitze der Baubranche gebracht zu haben. Leute mit geringem Einkommen reißen sich um seine kleinen Wohnungen in riesigen Siedlungen, weil sie den Ruf haben, Erdbeben schadlos zu überstehen. Er führt sein Unternehmen Durka mit harter Hand, so daß ihn sogar seine beiden wichtigsten Manager, Mahmoud Erbil und Tufan Ünsal, fürchten.
Zu Recht: Als Kara am Beginn seiner Karriere stand, erschlug er einen Geldeintreiber. Damals ermittelte Kommissar Özakin, der ihn wegen Mordes hinter Gittern gesehen hätte, aber der Richter verhandelte den Fall als Notwehr, so daß Kara freigelassen werden mußte.
Weil Karas Geschäftsführer Mahmoud Erbil ohne dessen Wissen mit Firmengeldern spekulierte, gerät er ins Visier seines Bosses, der Rechenschaft von ihm verlangt. Mit einer weiteren Spekulation in der Nacht will Erbil seine Unterschlagung wettmachen, doch sein Plan scheitert - und er besäuft sich in seinem Büro. Mitten in der Nacht wankt er zu seinem Auto auf dem Parkplatz, in dem er zusammenbricht. Fast im selben Moment läßt ein Molotow-Cocktail sein Fahrzeug in Flammen aufgehen.

Zu den Verdächtigen zählt sein Sohn Bursan, der mit einigen Freunden vor einer geraumen Weile ein verlassenes Baugelände besetzt hat, das im Besitz der Durka ist, und dort in einer Künstlerkommune lebt. Sein Vater Mahmoud hatte ihm versprochen, dort werde nicht gebaut. Aber Dursan Kara kann den Hals nicht voll genug bekommen, hat seine Pläne kurzfristig geändert und wird das besetzte Gelände bald mit Polizeigewalt räumen lassen.
Bursan Erbills Atelier zeigt, daß er anatomisches Zeichnen beherrscht. Zu den Modellen des attraktiven Mannes gehört auch seine junge Stiefmutter Hamida Erbil, die ihm einige Aktzeichnungen gestattet hat.

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Alt 22.04.2018, 16:57   #91  
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Meshes of the Afternoon (USA 1943), Drehbuch, Produktion, Schnitt: Maya Deren, Kamera: Alexander Hammid, Regie: Maya Deren und Alexander Hammid, 14 min, schwarzweiß (ursprünglich stumm)

Kunst aus den Vereinigten Staaten von Amerika wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts häufig milde belächelt, denn bis zum Zweiten Weltkrieg schlug das Herz der Kunstwelt in Paris. Spätestens in den 1950er gelang es der Ostküste, insbesondere dem Big Apple, der Hauptstadt der Liebe den Rang abzulaufen.
Zu den Vorboten der Avantgarde jenseits des großen Teichs zählt dieser No-Budget-Film, den das Ehepaar Maya Deren und Alexander Hammid für 275 $ mit einer 16mm-Bolex-Kamera größtenteils in ihrer eigenen Wohnung an der Kings Road in Los Angeles seibst produzierte.
1990 nahm ihn die Library of Congress in ihre National Film Registry auf, die erhaltenswerte Produktionen der US-Filmgeschichte bewahrt und restauriert. Bei der zweiten Abstimmung wurde der Experimentalfilm als "kulturell, historisch und ästhetisch bedeutend" aufgenommen. 2015 ließ die BBC über die besten Filme aus den USA abstimmen; Meshes of the Afternoon kam auf Platz 40.

Die Tänzerin und Choreographin Maya Deren (1917 - 1961) muß eine faszinierende Frau gewesen sein, die wie Mae West und Ayn Rand von wesentlich jüngeren Männern angehimmelt und umschwärmt wurde. Die in der Ukraine geborene Tochter eines Psychiaters, der ihnen die Bolex geliehen hatte, strich damals die Reputation fast für sich alleine ein. Mittlerweile wird der Anteil Alexander Hammids deutlich höer bewertet.

Eine Inhaltsangabe wäre schon eine Interpretation, denn die Schlingen des Nachmittags (so eine wörtliche Übersetzung des Titel) kreisen um den psychischen Ausnahmezustand einer namenlosen Frau. Ähnlich wie in David Lynchs Lost Highway (USA 1997) und Mulholland Drive | Mulholland Drive – Straße der Finsternis (USA 2001) vollzieht sich das Erzählen in Loops, und auf der Bildfläche erscheinen Doppelgänger und Alter Egos.
Hier wie dort ergibt sich die Frage: Was ist eigentlich real?

Die menschenleere Stadtlandschaft im spanischen Stil, seltsam von der Sonne durchflutet (wie in Alfred Hitchcocks Vertigo, USA 1958), trägt zur albtraumhaften Atmospäre bei.

Geändert von Servalan (01.05.2018 um 02:07 Uhr)
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Alt 22.04.2018, 17:38   #92  
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Hubert und Staller Staffel 5 Episode 14 (Folge 80) "Ein Tattoo für die Ewigkeit" (Deutschland 2016, Tele München Gruppe TMG und Entertainment Factory EF für ARD-Werbung des Bayerischen Rundfunks), Drehbuch: Antje Bähr, Regie: Sebastian Sorger, 48 min

Fast wäre in Wolfratshausen der perfekte Mord gelungen.
Denn als Hubert und Staller auf einem Parkplatz einen Autoaufbruch aufnehmen, entdecken sie einen leider unbrauchbaren Zeugen. Pathologin Anja Licht fällt bei der Obduktion der ungewöhnlich niedrige Blutuckerspiegel auf, obwohl nichts darauf hinweist, daß der Tote Leon Weißenbacher Diabetiker gewesen ist.
Seine einzige frische Wunde ist ein großes Eulen-Tattoo auf seiner Brust, weshalb mit Insulin präparierte Tätowiernadeln das Mordinstrument gewesen sein müssen. Anja Licht erklärt den Polizisten, Insulin baue sich innerhalb von vier Stunden im Körper ab. Die beiden hätten die Leiche gerade noch rechtzeitig gefunden.
Die Hürde des Falles liegt darin, den Mörder zu überführen und ein Geständnis zu bekommen. Staller ermittelt undercover, indem er sich als Motorradfahrer verkleidet und das Art Session-Tattoo-Studio aufsucht, wo der Tote Stammgast war.
Betrieben wird es gemeinsam von dem Ehepaar Sophia und Georg Beyer. Nach einem lockeren Gespräch mit Sophia, die eine Zigarettenpause einlegt, injiziert sich Staller mit der Tätowiernadel in seinen Arm, als er alleine ist.


Die Verdächtige Maria Beyer wird von Victoria Sordo gespielt, die in Am Abend aller Tage (siehe Post #89) die Malerin Alma Kufferer verkörpert.

Geändert von Servalan (22.04.2018 um 20:25 Uhr)
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Alt 26.04.2018, 15:08   #93  
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Fantasia (USA 1940, Walt Disney Pictures), Drehbuch: Lee Blair und Elmer Plummer, Regie: James Algar und Samuel Armstrong, 124 min, FSK: 6

Nobody expects the Spanish Inquisition Walt Disney.
Sowohl Walt Disney als auch der Disney-Konzern haben ein zwiespältiges Image: Einerseits gab es besonders bei den Fernsehsendungen den Vorwurf, das wäre eine überzuckerte heile Welt für Kinder; andererseits werden mittlerweile die künstlerischen Beiträge zum Beispiel von Carl Barks anerkannt. Medial ist Disney heute ein Global Player, der inzwischen sogar Marvel, Pixar und Lucasfilm geschluckt hat, aber das Unternehmen hat auch Filmgeschichte geschrieben.
Dafür sprechen insgesamt 22 Oscars und 99 Nominierungen für den Academy Award.

Zeichnerisch waren etliche seiner Angestellten ihrem Boss überlegen, und die Anfänge versprachen keineswegs eine rosige Zukunft. Bevor ihm der große Durchbruch gelang, machte Disney dreimal pleite - zuletzt verlor er sogar die Rechte an seiner eigenen Figur, an Oswald dem Hasen.
Wer in Deutschland einmal Konkurs gemacht hat, über den wird der Stab gebrochen, und wem es dennoch später gelingt, der wird sich eher vorsichtig verhalten. Disney hingegen wußte, was er wollte und scheute keine Risiken: Cartoons liefen im Vorprogramm der Kinos, dennoch verfolgte er hartnäckig seinen Plan, einen abendfüllenden Zeichentrickfilm in die Lichtspielhäuser zu bringen. Schneewittchen und die sieben Zwerge 1937 lockte zuerst das Publikum in Scharen ins Kinos, dann wurde er für einen Oscar nominiert.
Sein Verdienst als Pionier besteht zum einen darin, eigene Entwicklungen immer wieder ständig verbessert und so den Maßstab gesetzt zu haben. Zum anderen band er die neuesten technischen Möglichkeiten (wie Ton und Farbe) so in seine Filme ein, daß sie zum Markenzeichen werden konnten. Was wir heute Mickey-Mousing nennen, stammt zum Beispiel als akustische Pointierung aus den Slapstickfilmen, die jedoch unser Verständnis von Cartoons geprägt haben.

Unter den Cartoon-Studios herrschte eine starke Konkurrenz, deshalb prägten Reihen mit einprägsamen Figuren das Genre. Eine größere Bandbreite boten Reihen unter einem gemeinsamen, wiedererkennbaren Prinzip: Sie funktionierten nach dem gleichen Muster. Neben der Walt Disney Company (Silly Symphonies) nutzten die Studios von Warner Brothers (Merrie Melodies und Looney Tunes) und MGM (Happy Harmonies) bekannte Songs als Vorlagen für Cartoons mit Musik statt Dialog.
Angeregt unter anderem von Werner Ruttmanns Berlin – Die Sinfonie der Großstadt (siehe Post #69) plante Disney einen abendfüllenden Konzertfilm, aus dem sich dann Fantasia entwickelte. Jahrzehnte vor MTV und VIVA entstand so ein Vorläufer der Musikvideos und experimenteller Musikfilme wie Yellow Submarine (1968) und Aria (Großbritannien 1987, Regie: Nicholas Roeg, Charles Sturridge, Jean-Luc Godard, Julien Temple, Bruce Beresford, Robert Altman und Franc Roddam).
Trotz des Musikclipbooms mit diesen Kanälen kam die Fortsetzung Fantasia 2000 (USA 1999, nur 75 min!) erst im Dezember 1999 in die Kinos.

Disney verbindet in Fantasia Realfilm und Animationsfilm zu einem Konzertfilm, den der Dirigent Leopold Stokowski vor seinem Orchester im Schattenriß als einzig erkennbare Person zwischen den einzelnen Episoden verbindet.
Im Gegensatz zu den Cartoonserien im Vorprogramm nutzt Disney das Anthologieformat, indem sich die Vielfalt der Kompositionen in den visuellen Konzepten als bewußter Bruch spiegelt.
Disneys Maskottchen und Logo Micky Maus bekommt seinen Starauftritt in einer Verfilmung von Johann Wolfgang von Goethes Gedicht "Der Zauberlehrling " (1797, erstmals 1827 veröffentlicht) nach Paul Dukas (1897). Der Stilwechsel kann sich jedoch auch ins andere Extrem bewegen und wandelt sich dann zum abstrakten Film eines Ruttmann oder Oskar Fischinger, womit er auf der Höhe der Bildenden Kunst seiner Zeit gewesen ist.

Wer Disney überhaupt nicht ausstehen kann, sollte sich in diesem Fall überwinden.

Geändert von Servalan (16.05.2023 um 15:21 Uhr)
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Alt 05.05.2018, 16:15   #94  
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Kommissar LaBréa [3 Folgen] (Deutschland 2009-2010, teamWorX der Universum Film AG - UFA für ARD), Drehbuch: Alexandra von Grote, Jürgen Büscher und Thomas Stiller nach der gleichnamigen Reihe von Kriminalromanen (Knaur 2005-2011, 6 Bände) von Alexandra von Grote, Regie: Sigi Rothemund und Dennis Satin, je 87 min

Die Lusche erwähne ich diesmal zuerst.
Quentin Tarantino bezeichnet solche Langweiler aus Europa sicher als Eurotrash. Die Krimiserie fällt weit hinter die Néopolars von Izzo, Vautrin, Manchette und Daeninckx zurück; ein Léo Malet hätte sich für so etwas Brav-biederes geschämt.
Aber Autorin Alexandra von Grote ist in den Medien und der Kulturpolitik gut vernetzt. In ihrer Serie um den Kommissar Maurice LaBréa verknüpft sie den feministischen Aufbruch weiblicher Rollen mit einem netten Auslandskrimi vom Reißbrett.
Daß der nicht im geringsten funktioniert, liegt auch an den klassischen Fehlern der deutschen Standardverfilmung. Obwohl Paris zu den teuersten Pflastern der Welt zählt, wohnt der alleinerziehende Vater in einem zentralen Arrondissement in einer unglaublich riesigen Wohnung, die sich ein einfacher Beamter sicher überhaupt nicht leisten kann. Der Grund für dieses Ärgernis liegt einzig und allein darin, dem Kameramann seine Arbeit zu erleichtern.

Kommissar Maurice LaBréas Frau wurde in der Nähe seiner Wohnung in Marseille von einem Unbekannten ermordet. Um den Schmerz leichter zu verarbeiten, läßt er sich an den Quai des Orfèvres in Paris versetzen. Mit seiner Tochter Jennifer bezieht er eine Wohnung im Hinterhof eines Mietshauses.
Zu seinen Nachbarn gehört die Malerin Céline Charpentier, die neben dem Durchgang zur Straße wohnt. Ihr weiträumiges Atelier dient ihr zugleich als Galerie, auf das eine Flagge mit dem Namen "Céline" vor ihrer Haustür hinweist.
Sie weist in den ersten Minuten der ersten Folge "Tod an der Bastille" explizit darauf hin, wie sie die üblichen Künstlerklischees bricht. Die nüchterne Frau steht früh auf, um zu arbeiten. Sie ist das schwarze Schaf einer Winzerdynastie aus (natürlich) Burgund und hat mit ihren fünf Brüdern gern Fußball gespielt. Allerdings stand sie dabei meist im Tor.
Sie verfolgt ein eigenes ästhetisches Konzept, das Laien schin mal irritieren kann. "Das soll so sein", sagt sie, als sich der Witwer und seine Tochter über ihre Bilder wundern, sie zwar nicht realistisch sind, aber figürlich bleiben.

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Die Rosenheim-Cops Staffel 13 Episode 19 (Folge 285) "Mord nach allen Regeln der Kunst" (Deutschland 2014, Bavaria Film GmbH für ZDF), Drehbuch: Paul J. Milbers, Michael Pohl und Nikolaus Schmidt, Regie: Günter Krää, 43 min

Die Regionalkrimiserie hat zurecht ihre Fans, obwohl die Folgen im hohen Takt produziert werden und die Optik ziemlich nah an Soaps ist. Mit ihren inzwischen 404 Folgen und drei Specials in 17 Staffeln seit 2002 wird sie demnächst die Kultserie Großstadtrevier überrunden, die für ihre 420 Folgen jedoch fast doppelt solange gebraucht hat, nämlich 31 Staffeln seit 1986.
Der Krimiplot der Folge ist gut durchdacht und sorgfältig recherchiert, weswegen der Realismus glaubwürdig bleibt. Aufgrund der anspruchsvollen Drehbedingungen gibt es mehrfach Neubesetzungen der Hauprollen. In diesem Fall ermitteln Kriminalhauptkommissar Dirk Bergmann, usprünglich aus Düsseldorf, und Kriminalhauptkommissar Anton Stadler aus Passau.

Die Künstlerkolonie Am Finkenweg beherbergt zehn Künstler, von denen einer eines Morgens erschlagen in seinem Atelier aufgefunden wird. Auf ihrem Weg zum Tatort müssen Bergmann und Stadler am alten Wagen des 55jährigen Jügen Dahl vorbei, dessen Windschutzscheibe mit einer Aphrodite-Statue eingeschlagen wurde. Kriminaltechniker Dr. Eckstein nimmt am Tatort Proben von Farbpartikeln, die er zu einer Analyse der Palette von Dahls letzten Werken nutzt.
Gefunden wurde die Leiche des Künstlers von seinem Agenten Egon Schwarz, der seit zehn Jahren für Dahl arbeitet und im letzten Jahr bloß vier Bilder verkauft hat. Dahl sei praktisch pleite gewesen. Schwarz erwähnt Dahls Fehde mit dessen Nachbar in der Kolonie, dem Bildhauer Xaver Steglmann.
Routinemäßig suchen die Kommissare Katrin Dahl, seine Witwe, und den Bauunternehmer Martin Höfner auf, Besitzer der Immobilie. Seine Witwei sagt, Jürgen Dahl habe sich auf seinen Ausstellungen gelangweilt und wäre von Preisverleihungen nur genervt gewesen. Höfner kann zuerst mit dem Namen Dahl nichts anfangen, sagt aber dann, er habe Dahl einen Auftrag erteilt, eine Fassade zu gestalten.
Was jedoch so überhaupt nicht ins Bild paßt, ist der Umstand, daß sich Dahl kurz vor seinem Tod einen Luxuswagen im Wert von 150.000 Euro zugelegt hat. 50.000 Euro habe er bar angezahlt.


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Alt 20.05.2018, 17:21   #96  
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Rashomon – Das Lustwäldchen | 羅生門 (Japan 1950, Daiei Film Co. Ltd.), Drehbuch: Shinobu Hashimoto | 橋本 忍 und Akira Kurosawa | 黒澤 明 nach den Kurzgeschichten "Rashomon | 羅生門" (1915) und "Im Dickicht | 薮の中" (1922) von Ryūnosuke Akutagawa | 芥川 龍之介, Regie: Akira Kurosawa | 黒澤 明, 88 min schwarzweiß, FSK: 16

Der kommerzielle Film nutzt für gewöhnlich bestimmte Konventionen, damit das allgemeine Publikum weiß, was es im Kino erwarten kann. Diese Konventionen hängen davon ab, was in einer bestimmten Region und zu einem bestimmten Zeitpunkt schon beim Publikum als bekannt vorausgesetzt werden kann. Diese Konventionen ändern sich deswegen eher schleichend und wirken eher unbewußt. Sie fallen erst ins Auge, wenn Werke im Rückblick als veraltet, überholt oder langweilig erscheinen.
Allerdings sollte ein Werk ein Quentchen Überraschungen bieten, um sein Publikum zu locken. In der Filmgeschichte gibt es deshalb immer wieder Werke, in denen sich das experimentelle Kino oder die künstlerische Avantgarde mit dem kommerziellen Kino für das breite Publikum überschneiden.

Innerhalb der Kunst entwickeln sich die einzelnen Bereiche wie Literatur, Bildende Kunst oder Film jeweils eigenständig, so daß sie ihre eigene Geschichte, Ästhetik und Theorie haben. Was sich in einem Bereich etabliert hat, kann deshalb zum Beispiel 50 Jahre später in einem anderen Bereich als revolutionäre Neuerung gefeiert werden.
Gebrochen wird diese Entwicklung durch Sprachbarrieren und die jeweiligen Industrien oder Branchen in verschiedenen Ländern. Obwohl Rashomon seit seiner Erstausstrahlug unter den filmischen Meisterwerken rangiert, haben sich die Kriterien im Laufe der Jahrzehnte gewandelt.
Denn Rashomon zeichnet sich durch zwei Ereignisse aus, die per se nichts miteinander zu tun haben: Zum einen prägte er als einer der ersten Filme aus Japan über Japan, westliche Vorstellungen über das exotische Land in Fernost. Akira Kurosawa galt für westliche Kinokritiker als Vertreter eines sehr japanischen Kinos, obwohl Kurosawa in seinem Heimatland eher als Vertreter eines europäisch-amerikanischer Kinos wahrgenommen wird, der im Ausland höher geschätzt wurde als in Japan (ähnlich wie Jiro Taniguchi im Comicbereich).

In Rashomon verdoppelt und verdreifacht sich dieser Effekt. Filmhistoriker Donald Richie schreibt in seiner japanischen Filmgeschichte, daß die Besatzer aus den USA anfangs Samuraifilme verboten haben, weil sie als reaktionär galten. Kurosawas Verflmung zweier Kurzgeschichten des japanischen Edgar Allan Poe Ryūnosuke Akutagawa (1882 - 1927) basiert auf einer alten japanischen Legende. Der produktive Akutagawa nutzte als einer der ersten japanischen Literaten europäische Erzählformen. Der exotische Blickwinkel hat zunächst die Wirkung im Westen bestimmt, mittlerweile ist er belanglos geworden.

Diese Entwicklung zeigt sich zum Beispiel darin, wenn heute vom Rashomon-Effekt (Philosophie, Komunikationswissenschaften und Ethnographie) oder vom Rashomon-Prinzip (Journalistik) die Rede ist. Der Rashomon-Effekt beschäftigt sich mit dem Umstand, daß Zeugenaussagen leider unzuverlässig sind. Auf einer weiteren Ebene stellt sich die Frage, wie objektiv eine allgemein gültige Realität sein kann.
Im westlichen Kino galt lange die Konvention, daß Filmfiguren zwar lügen können, bis sich die Balken brechen, die Kamera aber nur das zeigt, was wirklich passiert ist. Unzuverlässiges Erzählen gehört in der Literatur hingegen zum Standardrepertoire, dessen Formenrepertoire von den Schelmenromanen eines Grimmelshausen oder Cervantes de Saavedra bis zu Virginia Woolf und James Joyce reicht.

Rashomon heißt im alten Edo eines der Stadttore, in dessen unmittelbarer Nähe ein Verbrechen geschehen ist: Die Frau eines Holzfällers wurde vor drei Tagen in einem Wäldchen vor besagtem Stadttor verwaltigt und ermordet.
Während eines Sturmes erfährt ein Passant davon und bekommt acht verschiedene Versionen des Verbrechens zu hören, die allesamt als Rückblenden gezeigt werden. Wie er wird das Publikum jedoch nie erfahren, welche Version der Wirklichkeit am nächsten kommt.

2003 nahm die Bundeszentrale für politische Bildung den Film ihren Kanon auf, der heute beispielsweise an Schulen gelehrt wird. In internationalen Bestenlisten rangiert das Werk häufig unter den Top 10 bis Top 50.
Hinzu kommen seither weltweit bisher drei Remakes: Martin Ritt verfilmte den Stoff 1964 in dem Western The Outrage | Carrasco, der Schänder; 2004 erschien der südindische Actionfilm Virumaandi (Regie: Kamal Haasan) auf Tamilisch; zuletzt debütierte Rakshit Shetty mit dem Neo-Noir-Krimi Ulidavaru Kandante | As Seen by the Rest (Indien 2014), in dem die dravidische Sprache Kannada [sic!] gesprochen wird.
Außerdem sollte in diesem Zusammenhang der Politthriller 8 Blickwinkel | Vantage Point (USA 2008, Regie: Pete Travis, 90 min, FSK: 12) erwähnt werden. Er basiert ebenfalls auf dem Rashomon-Effekt, obwohl er nicht zu den Remakes gezahlt werden darf.

Geändert von Servalan (21.05.2018 um 17:07 Uhr)
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Alt 21.05.2018, 18:29   #97  
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Rope | Cocktail für eine Leiche (USA 1948, Transatlantic Pictures für Warner Bros. Pictures und Metro-Goldwyn-Mayer), Drehbuch: Arthur Laurents, Hume Cronyn und Ben Hecht nach dem Bühnenstück Rope | Party für eine Leiche (1929) von Patrick Hamilton, Regie: Alfred Hitchcock, 80 min: FSK: 12 (früher 16)

Die ersten Filme der Brüder Auguste und Louis Lumière 1895 bestanden aus einer Einstellung und dauerten nur wenige Sekunden. Von den gebildeten Ständen wurden die laufenden Bilder als billige Jahrmarktsunterhaltung belächelt. Viele dachten diese Mode werde in wenigen Monaten ihren Reiz verlieren und dann in der Versenkung verschwinden.
Doch um die Jahrhundertwende entwickelte sich das Medium: Der bunt gemischte Kessel Buntes wich kurzen Geschichten, die sogar 10 oder 20 Minuten (eine Filmrolle | reel) dauern konnten. Bald kamen Serien dazu. Sehgewohnheiten wurden geprägt, und die einzelnen Gewerke entwickeln sich zur Handwerkskunst.
Die Produzenten wollten unbedingt die Kosten unter Kontrolle halten. Daß sich ein kostenträchtiges Starsystem entwickelte, gefiel den Studiobossen überhaupt nicht. Bewährtes wurde Experimenten vorgezogen.

Der britische Regisseur Alfred Hitchcock (1899 - 1980) wurde geschätzt und umworben, weil er professionell arbeitete und Publikum zog. Die Filmkritik sah auf den Studioregisseur herab, erst die Wegbereiter der französischen Filmkritik (Truffaut, Bazin, Godard) würdigten ihn als künstlerischen Autor mit einer eigenen, erkennbaren Handschrift (auteur). Hitchcock wurde zwar mehrfach als bester Regisseur für den Oscar nominiert, erhielt jedoch lediglich 1968 den Oscar für sein Lebenswerk.
Hitchcock war ein schwieriger Mensch, der wußte, was er wollte, und daran hatten die Studiobosse zu knabbern. Aber bis heute ist der Anteil an filmischen Meisterwerken an seinem Gesamtwerk außergewöhnlich hoch.
Wiederholt hat Hitchcock das Genrekino genutzt, um die Grenzen des Mediums auszutesten und neueste technische Mittel eingesetzt: zum Beispiel 3D in Dial M for Murder | Bei Anruf Mord (1954), das Trautonium und elektronische Spezialeffekte in The Birds | Die Vögel (1963) oder den Wechsel der Hauptfiguren und des Genres in Psycho (1960) - vom Krimiplot um Madeleine Crane zum Horror mit Norman Bates.

Besonders lange Einstellungen, Plansequenzen, stellten hohe Anforderungen an die Schauspieler und die Crew hinter der Kamera. Eine Montage aus kurzen Szenen mit sichtbaren oder unsichtbaren Schnitten wurden deshalb vorgezogen.
Immer wieder wird auf die Darsteller hingewiesen, die viel Text auswendig lernen müssen. Die Entwicklung der Filmtechnik setzt jedoch härtere Grenzen: Um Licht, Farbe und Ton kontrollieren zu können, verbaten sich Außenaufnahmen mit wechselnden Lichtverhältnissen und anderen Risiken. Der Spielfilm in einer Einstellung mußte deswegen ein Kammerspiel in einer Studiohalle werden.
Die Kameras der Studios faßten jedoch bestenfalls eine Rolle von 10 Minuten. Deswegen mußte der Stoff vorher in kleinere Einstellungen umgebrochen werden, die später mit sichtbaren und unsichtbaren Schnitten aneinander montiert wurden.
Dramaturgisch deckten sich Erzählzeit und erzählte Zeit: Das Publikum erlebt den Suspense in Echtzeit.

Ähnlich wie Psycho basiert auch Cocktail für eine Leiche auf einer wahren Begebenheit. Im Mai 1924 ermordeten die beiden Studenten Nathan Freudenthal Leopold Jr. (1904 – 1971) und Richard Albert Loeb (1905 – 1936) den 14 Jahre alten Bobby Francis in Chicago. Sie wollten das perfekte Verbrechen begehen und bildeten sich ein, sie kämen ungeschoren davon..
Der Stoff wurde mehrfach für verschiedene Medien bearbeitet. Hitchcock greift auf das Bühnenstück von Patrick Hamilton zurück, das den Schauplatz an die Harvard University in New York City verlegt. In ihrem Apartement strangulieren die beiden Studenten Brandon Shaw und Phillip Morgan ihren Kommilitonen David Kentley und verstecken seine Leiche in einer Truhe.
Die beiden Ästheten wollen als Nietzsche'anische Übermenschen ihre geistige Überlegenheit zelebrieren, weshalb sie die Eltern des Opfers und ihren ehemaligen Philosophieprofessor Rupert Cadell zu einer Dinnerparty einladen.

Seit dem Siegeszug des digitalen Kinos haben sich die Verhältnisse fast auf den Kopf gestellt. Die Filmrolle ist der Festplatte gewichen, deren Speicher ständig wächst. Bis 2000 finden sich nur wenige Nachfolger von Cocktail für eine Leiche.
Der Trend beginnt 2000 mit Mike Figgis' Echtzeit-Splitscreen-Spielfilm Timecode (93 min). Ihm folgte 2002 der Geburtatagsfilm zum 150jährigen Jubiläum des Museums Eremitage in Sankt Petersburg, Russian Ark (siehe oben Post #16, 96 min). Der chilenische Spielfilm Sábado, una película en tiempo real | Sábado – Das Hochzeitstape (Regie: Matías Bize, 65 min) schildert 2003 einen Hochzeitstag mit Hindernissen.
Des weiteren verweise ich auf die englischsprachige Wikipedia-Liste für Plansequenz-Filme, auf der sich weitere Beispiele finden.

Geändert von Servalan (16.12.2021 um 23:52 Uhr)
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Alt 01.06.2018, 13:55   #98  
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Großstadtrevier Staffel 22 Episode 3 (Folge 259) "Der Straßenmusikant" (Studio Hamburg für Das Erste 2008), Drehbuch: Felix Huby und Birgit Maiwald, Regie: Guido Pieters, 48 min

Als eines Tages Dirk Matthies' einstige Deutschlehrerin, Frau Dr. Viola Risse, auf dem 14. Revier aufkreuzt, sind beide Seiten erstaunt. Die alte Dame hat den Briet kaum auf der Seite der Gesetzeshüter erwartet, geschweige denn als Revierleiter. Sie ist gekommen, weil ihr in irgendeinem Geschäft ein falscher 50-Euro-Schein untergejubelt worden wäre, und nun erhofft sie sich Rat.
Im Büro von Dirk Matthies wird die Blüte untersucht: Sie wurde auf altmodische Weise mit Druckplatten sorgfältig hergestellt, allerdings sind dem Fälscher einige Fehler unterlaufen. Der Abstand zwischen Sizilien und der italienischen Stiefelspitze ist zu groß, außerdem sind Papier und Silberstreifen mangelhaft. Nachdem Dr. Risse das Revier verlassen hat, erfahren die Anwesenden von Dirk Matthies, daß morgen ein Faltblatt des LKA eintrifft, in dem vor Blüten gewarnt wird.
Dr. Risse lebt mit Herwarth Meider zusammen, Dirks altem Zeichenlehrer. Meider sitzt fleißig über den Druckplatten, korrigiert seine Fehler und druckt seine Blüten einzeln per Hand. Unterdessen folgen die Zivilfahnder Harry Möller und Henning Schulz der Spur der Blüten.

Der zweite Fall, die Titelstory, dreht sich ebenfalls darum, wie sich Berufliches und Persönliches vermischen. Die Innendienstlerin Nicole Becker (gespielt von der Violinistin Sophie Moser) trifft ihren alten Musiklehrer Sven Kornmüller wieder, der als Straßenmusikant vor der Musikschule musiziert, aus der er von seiner Ehefrau Dorothee hinausgeworfen wurde. Wegen ihrer gemeinsamen Tochter Nina eskaliert der Konflikt.

Geändert von Servalan (22.12.2021 um 21:28 Uhr)
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Alt 07.06.2018, 10:53   #99  
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Holocaust - The Story of the Family Weiss | Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss 1 Staffel 4 Episoden (USA 1978, Robert Berger für NBC), Drehbuch. Gerald Green, Regie: Marvin J. Chomsky, 419 min, FSK: 12

Obwohl die Kritik die Serie für das historische Thema der Shoah zu trivial fand, schrieb die Miniserie Fernsehgeschichte und erreichte Einschaltqupten von bis zu 49 Prozent in den USA.
Regisseur Marvin J. Chomsky* hatte sich bei der Literaturverfilmung Roots nach Alex Haley bewährt, weshalb ihm nach Kunta Kinte das Schicksal der fiktiven jüdischen Arztfamilie Weiss anvertraut wurde.

Die Kontroverse ähnelte der Diskussion um Comics im allgemeinen und Art Spiegelmans Maus im Besonderen. Allerdings hat sich der Comic wesentlich besser gehalten.
Green und Chomsky bewältigen einen ungewöhnlich vielfältigen Stoff, gehen dabei jedoch ziemlich altmodisch vor. Jedes Familienmitglied wird auf diese Weise zum Stellvertreter für bestimmte Lebensläufe, im Gegenzug nehmen die Figuren an Schlüsselereignissen der Shoah teil. Im Rückblick wirkt das steif und didaktisch.

Die Serie beginnt (wie The Godfather | Der Pate) mit einer imposanten Hochzeitsfeier, wodurch etliche Figuren vorgestellt werden. Der älteste Sohn, Karl Weiss, ehelicht 1935 die Christin Inga Helms-Weiss, seine Muse, die er nach Rembrandts Ehefrau "meine Saskia" nennt.
1938 hat er sein Atelier in der Wohnung seiner Schwiegereltern und nennt sich selbst einen Gebrauchsgrafiker, der gern der neue Picasso sein will. Eines Tages wird er verhaftet und nach Buchenwald verschleppt. Dort näht er in der Schneiderei Aufnäher auf den Drillich. Nach einem Streit um ein Brot wird er zunächst am Marterpfahl aufgehängt und dann in den Stenbruch versetzt.
Seine Frau Inga möchte den Kontakt aufrechterhalten. Angewidert geht sie auf das Angebot des SS-Mannes Müller ein, ihm Briefe schreiben zu dürfen, wofür sie sich Müller als Gegenleistung hingeben muß. Müller rettet Karl vor dem Verrecken im Steinbruch und läßt ihn in die Kunstabteilung versetzen.
1942 wird Karl nach Theresienstadt verlegt, ein Potemkin'sches Dorf, mit dem internationale Besucher wie Inspektoren des Roten Kreuzes eingelullt werden. Im Kunstatelier entstehen dort idyllische Propagandabilder, die Karl verabscheut. Seine Mithäftlinge Maria Karlova, Emil Frey aus Prag und der nierenkranke Pfälzer aus Karlsruhe dokumentieren die Greueltaten heimlich in Schwarzweißzeichnungen, die Frey ironisch als "KZ-Expressionismus" bezeichnet.


Die fiktive Figur Karl Weiss wurde nach dem deutschen Maler, Grafiker, Zeichner und Karikaturisten Leo Haas (1901 - 1983) gestaltet. Haas wurde rechtzeitig von amerikanischen Truppen befreit und überlebte so die Verfolgung.
In Theresienstadt dokumentierte er das Verbrechen, indem er sich der Gruppe der Maler von Theresienstadt um Bedřich Fritta aus Prag anschloß. Später gehörte er zum Fälscherkommando im KZ Sachsenhausen, wo er britische Briefmarken fälschte.
Nach dem Krieg lebte Haas in Ost-Berlin, wo er für die Tagezeitung Neues Deutschland, das Satiremagazin Eulenspiegel und andere Presseerzeugnisse tätig war. Zu seinem 70. Geburtstag entstand der DEFA-Dokumentarfilm Zeichner – Zeuge – Zeitgenosse (DDR 1971, Drehbuch und Regie: Jörg d‘Bomba, 13 min).

*Marvin J. Chomsky ist ein Cousin des Philosophen, Linguisten, Soziologen und politischen Aktivisten Noam Chomsky.

Geändert von Servalan (29.04.2023 um 12:18 Uhr)
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Alt 07.06.2018, 17:18   #100  
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Hunter Staffel 5 Episode 22 (Folge 107) "Return of White Cloud | Der Fluch der Masken" (USA 1984, Stephen J. Cannell Productions für NBC), Serienidee: Frank Lupo, Drehbuch: Joe Menosky, Stepfanie Kramer und Erin Conroy, Regie: Stepfanie Kramer, 48 min

Die actionreiche Krimiserie hat bis heute eine breite Fanbasis, gilt ansonsten aber eher als leichte Unterhaltung. Zwischen 1984 und 1991 liefen 152 Folgen in 7 Staffeln über die Bildschirme. 1995, 2002 und 2003 entstanden 3 Fernsehfilme. Ebenfalls 2003 produzierten 20th Century Fox Television und NBC Studios eine neue Staffel, die aber nach 4 Episoden eingestellt wurde.
Das Team aus den LAPD-Deputy Sergeants Rick Hunter und Dee Dee McCall ergänzt sich in klassischen Stereotypen: Rick Hunter zieht gern seine Waffe. Ihn wurmt es, daß Dee Dee McCall unterstellt, beim Schießtraining sei einer seiner fünf Schüsse daneben gegangen, obwohl er durch eines der Löcher in der Schießscheibe zwei Kugel getroffen hat. Rick Hunter wirkt wie eine Steilvorlage für die Cyberpunk-Krimisatire Max Headroom.
Seine Partnerin im LAPD besucht in ihrer Freizeit einen Abendkurs für freie Kunst im Arts Center. Eines Tages explodiert ein Gasrohr, als die Studenten den Raum verlassen wollen. "No Good Deed Ever Goes Unpunished | Der Fluch der bösen Tat" Staffel 5 Episode 6 (Folge 91) spielt das Kunstthema jedoch nur an. Nachdem Hunter und McCall einen Industrieskandal aufgedeckt haben, liefert das Dankeschön ihrer Kunstlehrerin Emily Hill bloß das Kiss-off: Ein lasziver Frauenakt, auf dem sich McCall rekelt.

Dee Dee McCall wird von Stepfanie Kramer dargestellt, die bei dieser Episode, dem Finale der 5. Staffel, Regie geführt und am Drehbuch mitgeschrieben hat.
Im Gegensatz zu den röhrenden E-Gitarren dominieren in dieser Episode indigene Rhythmen mit Flöten und Trommeln den Soundtrack. Einen Schußwechsel gibt es bloß beim Showdown, ansonsten bleibt der Film eher ruhig. Für die damalige Zeit nimmt Hunter die American Natives vom fiktiven Stamm der Ashani [sic!] erstaunlich ernst. Die verhältnismäßig ausführliche Intro zeigt eine Zeremonie der Ashani in ihrem Reservat in ethnographischer Breite. Robert Whitecloud wird als zeitgenössischer Künstler indigenen Ursprung ernstgenommen, wodurch die Episode erstaunlich frisch wirkt.

Bei einer Stammeszeremonie muß der Medizinmann der Ashani enttäuscht feststellen, daß heilige Masken aus ihrer markierten Stätte gestohlen wurden.
Wenig später wird Janet Harris, die sich auf den Handel mit indigener Kunst spezialisiert hat, in frühen Morgenstunden in der Harris Gallery erschlagen aufgefunden.
Hunter und McCall hören sich in der Kunstszene um. McCall befragt Gina, eine Freundin und treue Kundin der Galeristin. Gina sagt, es gehe das Gerücht um, die Galeristin habe sich in einen ihrer indigenen Künstler verliebt. Beide hegen den Verdacht, ein Ashani könnte den Mord begangen haben, um sakrale Gegenstände zu stehlen (Ähnlich wie der Inka-Plot in den Tim und Struppi-Alben "Die sieben Kristallkugeln" und "Der Sonnentempel".)
Hunters erster Versuch, den verdächtigen Robert Whitecloud festzunehmen, mißlingt. Denn Whitecloud geht stiften. McCall fährt unterdessen ins Ashani-Reservat, wo sie zuerst die Ehefrau des Künstlers, Mary Whitecloud, verhört. Danach kontaktiert sie weitere Personen aus Janet Harris' Adressbuch.
Den Anthropologen Kenneth Myers trifft sie mitten im Reservat. Myers ärgert sich über geldgierige Schatzsucher, die wertvolle Artefakte der Ashani entwenden, obwohl diese unter Schutz stehen. Die gegenteilige Ansicht vertritt Jim Holloway, der den Souvenir- und Kunsthandelladen beim Reservat führt. Für Holloway sind die Werke der Ashani keine Kunst.
Auf seiner Jagd nach dem Flüchtigen stolpert Hunter in eine Gruppenausstellung zeitgenössischer Kunst, die wie eine Mischung aus Freakshow und Zirkus wirkt: Neben dem schwulen Künstlerpärchen Mark & Brian versucht ein kleinwüchsiger Kunstkenner deutlich größere Frauen mit immer demselben Spruch über Energie anzubaggern. Eine Etage höher liefert ein Elvis-Imitator vor Graffitti eine Performance ab. Noch eine Etage höher versumpft Robert Whitecloud im Suff, weswegen Hunter ihn aufs Revier mitnehmen kann.

Geändert von Servalan (29.04.2023 um 12:21 Uhr)
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