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Alt 01.12.2023, 12:04   #1726  
Nante
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"Pakt der Wölfe" war ein sehr guter Film; - aber leider aus diesem Jahrtausend.

Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.
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Alt 01.12.2023, 12:15   #1727  
Peter L. Opmann
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Ich kann das anerkennen. Aber die Frage stellt sich, ob das schon ein Klassiker ist.
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Alt 01.12.2023, 12:20   #1728  
pecush
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Nicht den bewegten Mann?

Den Atombomben-Gag zu Beginn finde ich im Comic großartig, im Film kommt der gar nicht rüber.

Das Fünfte Element habe ich im Kino gesehen, da war der super. War dann auch eine, wenn nicht sogar die erste DVD, die ich mir gekauft habe. Auf dem Bildschirm fand ich den deutlich schwächer. Der ist auch nicht mehr in meiner Sammlung.
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Alt 01.12.2023, 12:46   #1729  
Peter L. Opmann
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Das kenne ich auch: Im Kino ist man von einem Film hin und weg - im Fernsehen wirkt er dagegen überhaupt nicht.

Ich glaube, das läßt sich auch erklären. Dieser Film wirkt nicht durch die Geschichte, die er erzählt (beziehungsweise, wie die Geschichte erzählt ist), sondern nur durch Special Effects.

Es ist eine optische Überwältigung, und ich würde dann auch sagen: ein Schwindel. Die Special Effects nützen sich ohnehin ab, und sei es durch den nächsten Film, der noch wahnwitzigere Explosionen oder was weiß ich bietet. Oben bei Billy Wilder hören wir dagegen: Es gibt gar nicht viele Geschichten, aber man kann sie doch immer wieder anders, witziger und ungewöhnlicher erzählen.
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Alt 01.12.2023, 12:52   #1730  
Nante
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Ich kann das anerkennen. Aber die Frage stellt sich, ob das schon ein Klassiker ist.
Nein, ist er nicht. Höchstens ein Beweis, daß die Franzosen im Gegensatz zu Deutschland auch gute Martial Arts-Mystery-Filme drehen können.

Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.
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Alt 01.12.2023, 13:36   #1731  
pecush
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Das kenne ich auch: Im Kino ist man von einem Film hin und weg - im Fernsehen wirkt er dagegen überhaupt nicht.

Ich glaube, das läßt sich auch erklären. Dieser Film wirkt nicht durch die Geschichte, die er erzählt (beziehungsweise, wie die Geschichte erzählt ist), sondern nur durch Special Effects.
Definitiv.
Daher liebe ich es auch, ins Kino zu gehen.
Du kannst noch so einen großen Fernseher und tolle Soundanlage haben. Das Kinoambiente erreichst du nicht. Dunkelheit, Popcornduft, wackelnde Sitze, ein Publikum, das an den selben Stellen erschrickt oder lacht.
Da wird so mancher mäßige Film eine Klasse besser.

Die wirklich guten Filme sind dann aber die, die im Kino und daheim dich in ihren Bann ziehen.
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Alt 01.12.2023, 14:37   #1732  
Peter L. Opmann
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Ein paar Freunde von mir würden das aber anders sehen.

Die sind Anfang 30, haben riesige Bildschirme zuhause und weisen mich beim Angucken einer BlueRay immer als erstes darauf hin, wie toll die Bildschärfe ist. Die fahren voll auf die Optik ab, und für die ist auch sehr wichtig, daß ein Film, den sie sehen, höchstens fünf Jahre alt ist. Ältere sind für sie technisch einfach zu schlecht.

Bin jetzt umgezogen und kann nicht mehr zum Filmabend zu ihnen kommen, aber ich vermisse das ehrlich gesagt nicht allzu sehr.
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Alt 01.12.2023, 15:14   #1733  
pecush
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Nun, du schaust ja auch hier und da im Panini-Filmthread rein.
Der eine Kollege mag ja auch Ray Harryhausen nicht, weil er die Tricks nicht mag, bzw. zu alt findet.
Ich denke, wenn du einen so alten Film guckst, musst du dich drauf einlassen. Klar, da ist vieles veraltet. Aber solange Story und Stimmung noch passen, finde ich das nicht schlimm.
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Alt 01.12.2023, 15:26   #1734  
Marvel Boy
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Etwas das du in aktuellen Filmen kaum noch findest, Story und Stimmung.

KEEP CALM AND DON'T SMASH!
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Alt 01.12.2023, 15:28   #1735  
Peter L. Opmann
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...jedenfalls im Blockbuster-Kino.
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Alt 01.12.2023, 15:44   #1736  
pecush
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Genau.
Es gibt immer noch gute Filme; nur bekommt das keiner mit.
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Alt 02.12.2023, 06:37   #1737  
Peter L. Opmann
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Es geht weiter mit "Billy, how did you do it?"

Wilder: Ich sage dir ein paar große Inserts, die das Haus erschüttern: „Panzerkreuzer Potemkin“ – Die Matrosen machen einen Aufstand, weil sie sagen, das Fleisch, das sie zu essen bekommen, sei verfault und ungenießbar. Der Arzt wird gerufen, ein kleiner Mann mit einem Spitzbart und einem Zwicker. Er schaut sich das Fleisch an und legt die beiden Linsen übereinander. Man sieht in dieser Großaufnahme hunderte von Maden. Und er sagt: „Das Fleisch ist völlig in Ordnung.“ – „Die 39 Stufen“ von Hitchcock: Wir wissen, es gibt einen gefährlichen Mann, der nur vier Finger hat. Und da kommt eine Großaufnahme der Hand. Da weiß man: Das ist der Mann. – „It happened one Night“: Gable und Colbert wollen ein Auto anhalten. Bei Clark Gable hält niemand. Und Colbert sagt: „Ich zeige dir, wie man das macht.“ Sie stellt sich an die Straße und hebt ihr Kleid hoch. Ein alter Mann in einem alten Ford schaut, und wir sehen, wie die Räder mit quietschenden Reifen halten. (Wilder muß einen Moment überlegen, ob ihm auch eine solche Szene aus einem seiner Filme einfällt.) Ja, „The lost Weekend“: Ohne Alkohol kann der Mann die Nacht nicht überstehen. Er weiß, daß er eine Schnapsflasche irgendwo versteckt hat, aber kann sie nicht finden. Da legt er sich auf die Couch, ist verzweifelt und schaut an die Decke. Und er sieht den Schatten der Flasche hinter dem Schirm der Leuchte.

Ich wollte damit sagen: Einerseits macht der Tonfilm die Bildgestaltung einfacher. Ich liebe Dialoge und Stimmen. Aber sie mit Bildern zu verbinden, ist eine große Kunst.

„The lost Weekend“ (1945)
Wilder: Der Titel war so gut. Brackett sagte mir hinterher, er habe sich vertippt. Er wollte schreiben „The last Weekend“, aber der andere Titel war besser. Ich habe das Buch im Zug nach New York gelesen und bin da sofort in eine Telefonzelle gegangen: Klär doch mit dem Verleger, ob die Filmrechte noch frei sind. Am Nachmittag rief er mich in meinem Hotel an und fragte: „Was siehst du darin?“ Ich sagte ihm: „Das wird ein wichtiger Film. Es wird das erste Mal im Film sein, daß ein Alkoholiker kein Komiker ist, daß das ein schwerkranker Mensch ist.“

Ich wollte einen New Yorker Schauspieler haben, der gerade den Jago gespielt hatte, Jose Ferrer. Aber der Produzent wollte Ferrer nicht. „Wenn dieser Mensch nicht attraktiv ist, wo man sagen würde: Wäre er kein Trunkenbold, dann wäre er ein kompletter Mensch – aber bei Ferrer ist für uns nicht wichtig, ob er trinkt oder nicht trinkt. Wir haben einen Schauspieler unter Vertrag, der heißt Ray Milland.“ Wenn man so geschäftlich denkt, dann bekommt die Rolle nicht der bessere Schauspieler – Ferrer war doch der bessere Schauspieler! Aber er hatte recht.

In New York leben Millionen Menschen, wie Ameisen.

Karasek: Hat dich New York an Berlin erinnert?

Wilder: Immer. Besonders an das alte Berlin, das ich kannte.

Und nach drei Minuten wissen wir, daß es ein Problem gibt. Zwei Brüder, einer ist ein Trunkenbold, ein kranker Mann. Er hat seine Schreibmaschine versetzt. Auch ich habe oft meine Schreibmaschine versetzt. In der Joachimstaler Straße gab es eine Pfandleihe. Ich brauchte Geld, weil ich ein Mädchen ausführen wollte.

Schlöndorff: Du hast da wirklich auf der Straße gedreht, wie bei „Menschen am Sonntag“.

Wilder: Wir haben drei oder vier Kameras in Kisten versteckt, die wir nachts da hingebracht haben. Alles war vorbereitet. Ein Mann gab das Signal mit einem weißen Taschentuch. Und Milland kommt zum zweiten Block. Da kommt ein Mädchen auf ihn zu: „Herr Milland, könnte ich ein Autogramm haben?“

Ein Mann kommt aus dem Kino und wird gefragt, wie der Film „The lost Weekend“ war. Er sagt: „Erschreckend. Ich höre sofort auf.“ – „Mit dem Alkohol?“ – „Nein, mit dem Kino.“

Schlöndorff: Oscar-Preisverleihung für die Filme des Jahres 1945. Billy Wilder erhält zusammen mit Charles Brackett seinen ersten für das Drehbuch von „The lost Weekend“, überreicht von Bette Davis. Damals dreht noch die Wochenschau, nicht das Fernsehen, und Billy Wilder kann es sich nicht verkneifen, auch dieses Kamerateam zu dirigieren.

Ein ernster Film, keine Komödie, ganz realistisch. Überhaupt holte die Wirklichkeit im Augenblick Hollywood etwas ein. Der Krieg ist gerade aus, und Wilder geht als Colonel der Psychological Warfare nach Deutschland, um Material über die Konzentrationslager zusammenzustellen, um zu zeigen, was die Alliierten beim Einmarsch in Europa vorgefunden haben.

Wilder: In dem Film war eine Aufnahme, die ich nie vergessen werde. Da war ein ganzes Feld von Leichen, und auf einer Leiche sitzt ein sterbender Mann. Das ist das einzige, was sich bewegt. Er schaut in die Kamera hinein, dann steht er auf, dreht sich um und fällt über eine andere Leiche und stirbt. Der Blick des Mannes war erschütternd. Ich kam zurück mit dem Film. Die Generäle sahen ihn sich an und sagten: „Wir müssen diesen Film so vielen wie möglich in Deutschland zeigen.“ Ich habe vorausgeahnt, daß viele Deutsche sagen werden: „Das ist alles Lüge, das sind Statisten, das ist alles in Hollywood gemacht.“ Aber die KZ-Insassen bestanden ja nur aus Knochen. Wir haben das einmal previewed, in Würzburg, glaube ich. Wir haben eine alte Operette mit Lilian Harvey vorgeführt und dann gesagt: „Bleiben Sie bitte sitzen, wir wollen Ihnen noch etwas zeigen.“ Am Anfang waren 500 Leute im Saal, als der Film fertig war, waren es vielleicht noch 75. Sie gingen raus, keine einzige Karte ausgefüllt, jeder Bleistift gestohlen. Ich sagte: „Laßt mich darüber nachdenken.“ Und ich kam darauf, daß sie ihre Brotkarte im Kino vorzeigen und stempeln lassen mußten. Sonst gab es kein Brot.

Schlöndorff: Was Billy Wilder natürlich nicht erwähnt, ist, daß seine Mutter, seine Großmutter, sein Onkel, sein Schwiegervater, fast die ganze Familie in Auschwitz vergast worden ist, während er in Los Angeles war. Sein Vater war schon in den 20er Jahren gestorben.

Wilder: Keiner, der 1945 in Berlin war, kann vergessen, wie die Stadt damals aussah. Ich flog mit einem Kameramann über Berlin. Man hat die Ziegelsteine gesammelt und nach Größe und Nummern sortiert. Einmal fuhren wir den Kurfürstendamm hinunter. Wir suchten nach Drehorten. Wir fuhren etwas zu schnell, etwa 80 km/h. Alle waren in amerikanischer Uniform, nur ich in Zivil. Ein Mann mit Aktentasche überquerte vor uns die Straße. Er sprang zurück und schrie hinter uns her: „Arschlöcher!“ Wir halten an und steigen aus: „Wir sprechen sehr gut Deutsch und haben gehört, was du gesagt hast.“ Er: „Ich entschuldige mich.“ – „Entschuldigen ist nicht genug. Bleiben Sie auf dieser Verkehrsinsel, bis die Militärpolizei kommt.“ Er sollte ein bißchen schwitzen. Es war 9 Uhr morgens. Um 18 Uhr kamen wir zurück, da stand er immer noch und wartete auf seine Verhaftung. Nur weil ein Mann in Uniform gesagt hatte, er soll da stehenbleiben!

Schlöndorff: Mit im Jeep waren Kurt Hirsch, der dann Hildegard Knef heiratete und mit ihr nach Amerika ging, und Gottfried Reinhardt, der Sohn von Max Reinhardt.

Wilder: Ein Mann sagte zu Reinhardt: „Es war so furchtbar. Ich habe zwei Juden auf dem Dachboden versteckt. Was aus dem Land von Goethe und Schiller geworden ist!“ Reinhardt sagte: „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Ihr habt doch einfach zu viele Juden hier gehabt. Ein Volk von 80 Millionen, und jeder Deutsche hat zwei Juden gerettet! 160 Millionen Juden – das waren doch viel zu viele!“

„Eine auswärtige Affäre“ (1948)
Schlöndorff: Kann es sein, daß du gesagt hast: Wenn es so rum nicht geht mit dem Dokumentarmaterial, dann werde ich den Deutschen auf eine andere Art einen Spiegel vorhalten? Du bist zwar Entertainer, aber auch Moralist. In „A foreign Affair“ zeigst du den Deutschen auf eine andere Art, wie sie sich verhalten.

Wilder: Wenn ich da Konzentrationslager und Leichen gehabt hätte, das würde nicht gehen.

Schlöndorff: Als ihr angefangen habt zu schreiben, habt ihr gleich an die Dietrich gedacht. Berlin 1945 plus Dietrich, das gehört irgendwie zusammen.

Wilder: Ja. Musik von Hollaender, „Black Market“. Sie war auch zurück von der Front. Sie war sogar näher an der Front als ich und natürlich mehr als der Eisenhower. Wir waren gut befreundet. Und dann kam sie mit „Zeugin der Anklage“ und hat mich gebeten, es zu machen. Sie schrieb: „Nur du könntest mich überreden, eine solche Rolle zu spielen.“

Das Lied „Isn’t it romantic“ haben wir oft benutzt. Ich sage euch den Grund. Einfach, weil es Paramount gehörte. Wir hatten die Rechte. In jedem Film habe ich das Lied benutzt.

Schlöndorff: Ich dachte, weil du eine besondere Beziehung dazu hast.

Wilder: Nein, Paramount hatte ein paar Lieder, für die sie keine Tantiemen bezahlen mußten.

Schlöndorff: Es ist sehr schön, wenn du es in Paris einsetzt, als sie den Champs-Elysees entlangspazieren. Aber warum dasselbe Lied, wenn sie in Berlin durch die Ruinen fahren?

Wilder: Habe ich es benutzt? Das zeigt, wie sparsam wir sind. Nun kennt ihr den tieferen Grund.

Schlöndorff: Bleiben wir bei der Musik. Hollaender machte also die Musik für „A foreign Affair“.

Wilder: Vielleicht hat er sie schon gehabt, vielleicht hat er sie dafür geschrieben. Ich kann mich nicht erinnern, und er ist schon tot.

Schlöndorff: Aber es war etwas Besonderes auch für die Marlene. Die letzten Lieder, die sie gesungen hat, bevor sie weg ist, waren ja auch von Hollaender. Und nun kommt sie nach Berlin zurück und singt wieder Hollaender.

Wilder: Bitte sei so gut, ich habe den Film ein bißchen vergessen – was war der Schluß dieses Films?

Schlöndorff: Das Ende gehört Marlene Dietrich, die abgeführt wird, weil sie immerhin mit den Nazis zusammengearbeitet hat. Wie das aber geschieht, hebt das ganze Moralin des Vorherigen wieder auf. Zunächst sollen zwei Polizisten sie abführen, worauf sich zwei weitere melden: Sollen wir nicht mitgehen, um auf die anderen beiden aufzupassen, falls die mit der Frau was anfangen? Worauf sich zwei weitere melden und auch noch mitgehen wollen. Damit ist klargestellt, daß Marlene Dietrich es mit ihren weiblichen Reizen schon irgendwie schaffen wird, sich wieder ein Stück Freiheit zu erobern.

Wilder: Wenn man zum Beispiel einen Film macht über einen paralysierten Menschen, dann ist das so entsetzlich, wenn der Mann am Ende plötzlich bei den Olympischen Spielen ist, genesen. Aber ein geschickter Regisseur mit ein bißchen Feingefühl wird es so machen: Da kommt die Krankenschwester und ruft, schauen Sie sich das an! Da liegt dieser paralysierte Mann und bewegt den kleinen Finger – genug!

Schlöndorff: Du warst zurück in Berlin, das du unfreiwillig verlassen hattest. Hast du je daran gedacht, ganz dazubleiben? Brecht kam ja zurück und viele andere.

Wilder: Nein.

Schlöndorff: „Amerika war gut zu uns.“ Dieser Satz, den man immer wieder von Emigranten hört, paßt auch gut zu Billy Wilder. Das schließt nicht aus, daß er sich in Amerika wie ein Europäer verhält und in Europa wie ein Amerikaner.

Wilder: Es ist schwer, es ist voller Fehler, aber man findet kein besseres System.

Schlöndorff: Abgesehen vom Regierungssystem, was magst du hier? Den Sport?

Wilder: Ich mag die Menschen, ihren Sinn für Humor, ihren klaren Verstand. Zwar nicht alle, aber ich mag das.

Schlöndorff: Billy Wilder ist seit jeher engagierter Democrat, er hat eine entschiedene Haltung, auch ein politisches Gewissen. Er läßt das nicht raushängen, er macht keine Parteipolitik, aber es ist ihm sehr wichtig, daß man eine anständige politische Haltung und ein waches Gewissen hat, daß man auch mit Kritik nicht schont, daß man sich beteiligt, daß man stiftet und sich für das Gemeinwesen einsetzt. Eine durch und durch amerikanische Haltung. Und das heißt nicht, daß er blind wäre für amerikanische Schwächen oder daß er bei aller Skepsis die Hoffnung aufgegeben hätte.

Wilder: Die Demokraten hier regieren gut, die Republikaner nicht so schlecht. Kein Faschist oder Kommunist kann hier plötzlich Präsident werden. Der Unterschied zwischen den Parteien in USA ist gering. (Von Trump wußte er noch nichts. Anm.) Das Wichtigste ist der Oberste Gerichtshof und die Macht des Präsidenten, Richter auf Lebenszeit zu ernennen. Diese Richter teilen die politische Meinung des Präsidenten. Wir hatten Generäle als Präsidenten – der letzte war Eisenhower. Aber er hat das Land nicht in ein Militärlager verwandelt. Oder wir hatten sehr liberale Richter wie Brandeis oder Frankfurter. Aber wir wurden deshalb nicht gleich sozialistisch. Es harmoniert alles miteinander, und so ist es auch in Hollywood. Wer politisch engagiert ist, macht leicht Filme, die zu Pleiten werden. Die Ignoranz des Publikums ist hier überwältigend. Andererseits ist es sehr befriedigend, wenn ein Film ein großer Erfolg wird. Und wenn dieser Film dann auch noch die Leute ein bißchen informiert oder sie neugierig macht, das sind die kleinen Siege bei unserer Arbeit.

Schlöndorff: Politik ist kein Thema für Filme, aber du hast dich nie angebiedert. Deine Meinung wird immer ganz klar, auch in „Stalag“. Du hast es immer geschafft, keine Kompromisse einzugehen.

Wilder: Ich bin gegen Fahnenschwenken, gegen Heldenposen und lange Reden. Das ist nicht meine Art, mein Stil. Im Grunde denke ich da wie jeder anständige amerikanische Bürger.

„Kaiserwalzer“ / „Ich küsse Ihre Hand, Madame“ (1948)
Schlöndorff: Aus dem zerstörten Europa zurück, dreht Billy Wilder einen Film, den man fast einen Heimatfilm nennen könnte, mit Bing Crosby. Ein Film, der so gar nicht in seine Biografie zu passen scheint und zu dem er sich auch nur sehr ungern ausfragen läßt.

Wilder: Wir gingen nach Kanada in den Jasper-Nationalpark. Die haben sowas wie Alpen da. Ich hatte kein Drehbuch und habe improvisiert. Der Brackett hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Ich sagte: „Das ist großartig!“

Karasek: Es sieht aus wie ein Film, der dein Heimweh ausdrückt.

Wilder: Ach Bullshit! Heimweh nach den Alpen und den weißen Socken? Von diesem Film habe ich mich scheiden lassen. Der Lubitsch hat eines Tages auch mal einen Film gemacht mit John Barrymore – „Der Alpenkönig“ oder so ähnlich. Passiert jedem mal. Dann habe ich mich auch von meiner Frau scheiden lassen. Wir sind sehr gute Freunde, und ich bin inzwischen Urgroßvater.

Schlöndorff: Über sein Privatleben spricht er nicht gern. Fest steht, daß er seit 1947 mit Audrey Young verheiratet ist. Sie war Vertragsschauspielerin bei Paramount. Ich glaube, daß er sie bei „The lost Weekend“ kennengelernt hat. Und die beiden gelten seit Jahren als das Traumpaar Hollywoods überhaupt, vor allem auf Partys, wenn sie singt und er seine Geschichten erzählt.

Wilder: Es ist vier Uhr früh, und ich wache auf. Ich sage Audrey: „Ich muß um sieben Uhr zur Arbeit. Nimm dir doch eine Taxe, ich kann dich jetzt nicht nach Hause fahren.“ Sie sagt: „Nach Hause fahren? Wir sind verheiratet!“ Hatte ich vergessen. Das war drei Wochen nach der Hochzeit.

„Ace in the Hole“ (1951)
Schlöndorff: Die Wahrheit ist bitter, und für nichts in der Welt würde Billy Wilder Wahrheit kompromittieren. Aber er weiß auch, wie viel Bitternis, wie viel Säure er dem Publikum zumuten kann. Und im allgemeinen gelingt ihm die Mischung von Säure und Sahne – und Witz natürlich – sehr genau. Manchmal wird es aber etwas zu sauer, und das war hier der Fall, bei einem seiner stärksten Filme, wo er wirklich mal versucht zu zeigen, daß der Journalist nicht der Schlimme ist. Der eigentliche Kannibale ist der Leser, das Publikum. Hier wird ja jeden Tag nach frischem Blut und neuen Leichen verlangt. Der Journalist ist eigentlich nur der Wasserträger. Und dieses Porträt, das Kirk Douglas zeichnet, ging vielen zu weit. Der Held ist wieder mal ein typischer Billy-Wilder-Held, der nämlich eigentlich kein Held sein will. Er will nur das, was die Gesellschaft ihm predigt, nämlich Erfolg, Geld, Glück und vielleicht auch noch geliebt werden. Daran wird er scheitern. Er versucht nun, ziemlich skrupellos, da ranzukommen, und das Glück ist ihm hold. Denn gerade, als er völlig gescheitert in einer Kleinstadt ankommt, erfährt er, daß dort ein Mann in einem Bergwerk verunglückt und in einem Schacht verschüttet ist. Diese Geschichten sind immer besonders spannend. Man kann eine Kamera oder in diesem Fall noch vor dem Fernsehen einen Journalisten hinschicken, der stündlich darüber berichtet. Man weiß, wenn man morgens, mittags, abends das Radio anmacht oder die Zeitung kauft, immer: Ist er nun verhungert oder verdurstet, oder ist die Feuerwehr rangekommen oder der Bergungstrupp? Außerdem noch ist es eine Fortsetzungsgeschichte.

Wilder: Es geht um einen inneren Konflikt des Journalisten. Einerseits ist da sein persönlicher Ehrgeiz, und andererseits beutet er einen Mann aus und bringt ihn in Gefahr.

Karasek: Er beginnt, den Kerl zu mögen.

Wilder: Das macht die Sache noch besser. Ich glaube, er stirbt da drin, oder?

Schlöndorff: Ja, und Kirk Douglas wird sehr wütend. Er will nun die Wahrheit verkaufen. Man hätte den Mann retten können. Die wahre Geschichte ist: Er hat ihn sechs Tage lang liegenlassen. Aber niemand interessiert sich dafür. Sie hängen einfach den Hörer auf. Und dann stürzt Douglas auf die Kamera zu. Es ist wie eine Einstellung von Gregg Toland, eine sehr seltene Einstellung.

Wilder: Man kann mir einige schlechte Bilder vorwerfen. Aber ich habe bestimmt nicht zu viele extreme Einstellungen benutzt. In der Cinemathek haben die Leute Orgasmen bei solchen Einstellungen. „Toll – schau, dieser Blick am Spucknapf im Vordergrund vorbei!“ Drehen wir die blöde Einstellung und gehen wir nach Hause!

Schlöndorff: Der Film wurde kein Erfolg. Man hat versucht, den Titel zu ändern. Aus dem „Trumpf im Ärmel“ wurde auf einmal „Der große Karneval“ oder in Deutschland „Reporter des Satans“. Das hat alles nichts geholfen. Da war Billy Wilder diesmal zuviel Wahrheit untergekommen. Denn er hat uns gesagt: Was ihr euer Informationsbedürfnis nennt, ist in Wirklichkeit nichts anderes als Kannibalismus. Ihr wollt jeden Tag eure frischen Sensationen fressen, egal, wie grauenhaft das für die Betroffenen sein mag.

Wilder: Ich bin jetzt schon ziemlich lange dabei und mache mir nichts vor. Man kann immer Gründe finden, warum ein Film kein Erfolg wird. Man sagt: Er war seiner Zeit voraus. Er kam zu kurz vor Weihnachten heraus. Er kam zu schnell nach Weihnachten heraus; da hatten die Leute ihr ganzes Geld für Weihnachtsgeschenke ausgegeben. Das Wetter war zu schön; die Leute waren am Strand. Es hat zuviel geregnet; niemand traute sich auf die Straße. Alles Ausreden. Bei diesem Film habe ich selbst das Thema gewählt. In einem Bruchteil einer Sekunde entscheidet man sich. Es war aber offenbar nicht der richtige Film für diese Zeit. Ich glaube, dieser Film ist fast eine Beleidigung für die Zuschauer. Keiner mag es, mit schmerzhaften Wahrheiten konfrontiert zu werden. Die Leute zahlen acht Dollar, um einen Film zu sehen, da wollen sie im Kino nicht hören, daß sie Scheißkerle sind, schlechte Menschen und sehr grausam. Aber man muß den Film so drehen. Dann werden ihn manche mögen und andere nicht. Wenn du’s allen recht machst, wird er sehr fad. Wie man in Amerika sagt: Man muß voll reintreten. Es war kein Erfolg, aber ich bin deshalb nicht weniger stolz auf den Film.

Karasek: Hast du eine Sammlung von Rezensionen über deine Filme?

Wilder: Bist du verrückt? Überhaupt nicht!
(Fortsetzung folgt)

Geändert von Peter L. Opmann (02.12.2023 um 06:44 Uhr)
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Alt 04.12.2023, 06:05   #1738  
Peter L. Opmann
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Schlöndorff: Seit 1936 hatte Billy Wilder bei Paramount einen langfristigen Vertrag, erst als Drehbuchautor, dann als Regisseur und Producer, und heute ist sogar ein Gebäude dort nach ihm benannt. (Wie ich lese, gibt es das Paramount Studio an der Melrose Avenue in LA noch immer, Anm.) So wie Gloria Swanson in „Sunset Boulevard“ könnte auch Billy Wilder sagen, daß diese Gebäude – auch – auf seiner Arbeit aufgebaut sind.

„Sunset Boulevard“ (1950)
Die Suche nach Gloria Swanson hat lange gedauert, denn sie war nicht die erste Idee. Die erste Idee war Mae West.

Wilder: Sie hat in der Verlängerung der Vine Street gewohnt, in einem Apartment, in dem nur sie leben konnte: Alles weiß und Gold und Federn. Sie kam wie eine weiße Lokomotive mit ihren Federn, weil sie sich doch so jung wie möglich machen wollte. Das Mieder war wie 1920.

Karasek: Sie war damals etwa 60 Jahre alt, oder?

Wilder: Ich glaube, 110.

Schlöndorff: Nachdem es mit Mae West nicht geklappt hatte, wandte man sich an Pola Negri.

Wilder: Am Telefon habe ich mit ihr gesprochen. Sie klang wie die Frau von Lech Walesa.

Karasek: Die lebt auch noch?

Wilder: In Texas lebt sie (1988 war sie gerade gestorben, Anm.). Sie hatte einen Riesenakzent, und ich sagte: Das ist zuviel.

Schlöndorff: Erst ganz zum Schluß fiel den Autoren Brackett und Wilder Gloria Swanson ein. Sie hatte sich etwas von Hollywood zurückgezogen. Sie war der Superstar, die Diva überhaupt der Stummfilmzeit und ist dann nach New York gegangen, vor allen Dingen, nachdem ihr letzter Film, „Queen Kelly“, den sie mit Erich von Stroheim machte, nie fertig geworden ist. Für sie war eigentlich die Filmkarriere mit dem Ende der Stummfilmzeit beendet.

Wilder: Der Brackett hat ihr gesagt – ich habe das nicht gewagt –, es hänge ganz davon ab, wir möchten eine Probeaufnahme mit ihr machen. Von so einer berühmten Frau! Aber sie sagte sofort: „I understand.“ Sie brachte genau das, was wir wollten: Sie spielte im Stummfilmstil. Das war das Gute an ihr. Sie beherrschte Acting der Zeit um 1920. Das kann man nicht lernen.

Karasek: Sie wirkt im Film auch wie ein Relikt aus einer großen alten Zeit.

Wilder: Richtig. Das war nur ein bißchen gefährlich, weil wenn man das zum Höhepunkt bringt, kann man auch runterfallen.

Karasek: Weil man an der Grenze zum Lächerlichen ist.

Wilder: Eine wirklich schöne Frau ist an der Kippe zur Häßlichkeit.

Karasek: Gab es bei Gloria Swanson manchmal die Gefahr des Umkippens?

Wilder: Nein, ich habe das ein bißchen reguliert. Aber sie kam mit allem. Es ist ja einfacher, jemandem zu sagen: Mach bitte etwas weniger, als zu sagen: Mach doch etwas!

Schlöndorff: Billy Wilder liebt es, Wirklichkeit und Fiktion miteinander zu vermischen, also die Fiktion des Drehbuchs der Wirklichkeit auszusetzen und umgekehrt, die Wirklichkeit zu brechen durch eine fantasievolle Geschichte. Beides bekommt dadurch eine andere Dimension, wie zum Beispiel in „Foreign Affair“, was ja eine Schnulze sein könnte, durch die realen Schauplätze Berlins, durch die Ruinen der Nachkriegszeit ein anderes Flair bekommt. Oder wie „Some like it hot“ durch die Gegenwart von Marilyn Monroe plötzlich durch ihre persönliche Tragik aufgewertet wird und es nicht mehr nur eine dumme Blondine ist. Und bei „Sunset Boulevard“ ist es so, daß, nachdem Gloria Swanson nun eingestiegen war, er sich umgeschaut und alle diese fiktiven Rollen besetzt hat mit anderen authentischen amerikanischen Hollywoodstars. Zum Beispiel spielt Cecil B. DeMille sozusagen sich selbst, Erich von Stroheim den Regisseur, der vorher mit ihr gearbeitet hatte, es taucht Buster Keaton auf als Bridgespieler und nicht als Komiker.

Wilder: Zu einer Bridgepartie wollte ich Namen haben. Da habe ich bekommen den Henry Byron Warner, der den Jesus gespielt hatte in den DeMille-Filmen, habe Buster Keaton bekommen. Und ich habe gesagt, ich will Keaton nicht als Komiker haben. Meine Schwester liebt den Keaton und zieht ihn dem Chaplin vor. Er war aber auch ein sehr guter Bridgespieler. Der Mann, den wir von Anfang an hatten, war Montgomery Clift. Eine Woche vorher rief sein Agent an und sagte: Er hat sich das überlegt, daß, wenn er diese Rolle spielt, er kaputt ist in Hollywood.

Schlöndorff: Und so kam Billy Wilder zum ersten Mal mit William Holden zusammen, der mehr noch als Jack Lemmon, meine ich, sein Alter Ego ist.

Wilder: Ich habe ihm das Script gegeben, und er kam eine Stunde später in mein Haus und sagte: Das spiele ich, das muß ich spielen. Ich kannte ihn nicht sehr gut, aber ich hatte ein paar Filme mit ihm gesehen, da hat er Leutnants gespielt in Kriegskomödien.

Schlöndorff: Ich fragte Billy: Wie ist das möglich, daß ein Toter eine Geschichte erzählt? Das geht doch nun wirklich gegen die Normen und Konventionen von Hollywood. Wie kann er aus dem Jenseits sprechen? Da sagt er: Ja, das ist ähnlich wie bei „Double Indemnity“, wo wir ein ganz anderes Ende hatten. Für „Sunset Boulevard“ hatten wir eigentlich einen ganz anderen Anfang. Der Anfang war: Freitagnachmittag; die städtische Leichenhalle wird gerade geschlossen. Aber da kommt noch ein Auto, eine letzte Leiche wird reingefahren, wird in die letzte Schublade geschoben, und die Wärter gehen weg. Und nun wachen die Toten auf, unter ihren Leichentüchern sieht man sie hervorkommen, und erzählen, wie sie da hingekommen sind. Da ist ein kleiner Junge, der vom Auto überfahren worden ist. Da ist, wie immer bei Billy Wilder, ein Selbstmörder, der sich wegen Schulden oder einer Frau umgebracht hat…

Wilder: Dann sieht man die Leiche von Holden. Um die große Zehe hatte er einen Zettel mit seinem Namen gebunden, wie sie’s immer gemacht haben. Und das war einer der größten Lacher, die ich je in meinem Leben gehört habe.

Schlöndorff: Frage natürlich an Billy Wilder: Warum ist es nicht bei diesem sehr schönen Anfang geblieben? Und er sagt: Wegen der Previews. Das bedeutet, daß man Filme dem Publikum zeigt, bevor sie rauskommen. Man nimmt einen Film, geht in irgendein Kino im Vorort oder in der Provinz, wo die Mittelschicht, das sogenannte repräsentative Publikum ist, und sagt ihnen nach der Vorstellung eines normalen Films: Jetzt können Sie, wenn Sie wollen, sitzen bleiben, und wir zeigen Ihnen gratis noch einen anderen Film, einen ganz neuen Film. Und danach wird nach den Reaktionen des Publikums bei dieser Voraufführung beurteilt, ob an dem Film noch was geändert werden soll oder nicht.

Wilder: Und ich sagte: Wenn da schon Lacher kommen, dann geht es schief. Ich saß auf der Treppe zu den Toiletten. Eine Dame mit einem großen Hut ging in die Damentoilette. Dann drehte sie sich um und fragte mich: „Waren Sie drin? Haben Sie jemals so einen Mist gesehen?“ Ich sagte: „Noch nie.“ An dem Film hatten wir ein Jahr gearbeitet. Beim zweiten Preview war es dasselbe. Jeder einzelne im Publikum ist ein Idiot. Alle zusammen sind sie ein Genie. Wir fragen uns nie: Ist das eine Komödie, eine Tragödie, ein Musical? Wir schreiben eine Geschichte und machen es so wirksam und wahr wie möglich. Wir erzählen ihnen ein bißchen etwas, was sie mit nach Hause nehmen. Wir hoffen immer, daß die Leute nach diesem Film in einen Drugstore gehen und eine halbe Stunde über den Film sprechen. Wenn man das hat, ist es großartig.

Schlöndorff: Die erste Einstellung des Films entscheidet im Grunde über die Haltung des Publikums zu diesem Film. Und wehe, man hat die falsche Erwartung geweckt. Man kann ganz langsam anfangen und dann schneller werden. Aber man kann nicht wie ein Krimi anfangen und dann zur Komödie kommen. Man kann auch nicht mit der Komödie anfangen und dann zu einem ernsthaften Stück kommen. Wie beim Treppensteigen: Man will, daß jeder Schritt die nächste Stufe da findet, wo sie erwartet wird. Sonst tappt man ins Dunkle, und der Film gilt als Pleite. Also heißt es: Kill your darlings. Man muß seine Lieblingsstücke als erstes opfern. Also mußte diese Sequenz rausgeschnitten werden, und so kommt es, daß es einen Hollywoodfilm gibt, noch dazu einen berühmten, wo ein Toter einfach der Erzähler ist.

Wilder: Das Merkwürdige war, das hat die Kameraleute interessiert: Man kann nicht durchs Wasser drehen. Die Oberfläche bricht es. Es ist unmöglich, jemanden zu sehen. Wir haben es versucht und versucht, und endlich haben wir eine Lösung gefunden. Wir haben auf den Boden des Pools einen Spiegel gelegt. In den Spiegel kann man fotografieren und sieht die Leiche im Wasser und die Polizisten und Reporter, die sich darüberbeugen. Anders konnte ich’s nicht machen.

Wilder (solidarisiert sich mit Gloria Swanson): Ich stelle mir manchmal eine Rückblende vor und kann dann fast hören, wie die Studiobosse über mich reden. Einer sagt: „Was haltet ihr von ihm? Erinnert ihr euch noch an diesen wunderbaren Film?“ – „Wann wurde der gedreht?“ – „1942.“ – „Jetzt haben wir 1986. Das war vor 44 Jahren. Dieser Mann gehört in ein Altersheim.“ Ich wäre einverstanden, aber nur, wenn ich die Tages- und die Nachtschwester aussuchen darf.

„Stalag 17“ (1953)
Wilder: Das war einer der Filme, die am leichtesten zu drehen waren. Keine Verschmocktheit, keine besonderen Aufnahmen, gut in Schwarz-weiß zu fotografieren, schnell gemacht. Man hat nicht das Gefühl, daß jemand ein großer Künstler damit werden will.

Schlöndorff: Ein Film in einem deutschen Kriegsgefangenenlager für amerikanische Gefangene. Es ist eigentlich ein Ensemblestück. Es gibt fast keine Hauptperson, jede einzelne Figur ist wichtig. Kontrahenten sind William Holden, der einen anscheinend skrupellosen amerikanischen Geschäftemacher spielt, dem es nur um seine Vorteile auf dem Schwarzmarkt geht, und ein Sohn deutscher Einwanderer, der sich immer sehr idealistisch gibt und große Sprüche klopft, sich aber zum Schluß als Verräter entpuppt. Hier differenziert und zeichnet zum ersten Mal Billy Wilder sehr genau, wie er die Deutschen und wie er die Amerikaner sieht. Die Amerikaner – anscheinend ohne Moral, Pragmatiker, aber im Grunde anständige Leute, die Deutschen – mit vielen Idealen, aber oft auch sehr tumb und hohl und nicht immer sehr verläßlich.

Wilder: Holden hat das glaube ich sehr gut gespielt. Mein Freund und einer der besten Regisseure der Welt, der David Lean, hat den Charakter von dem Holden genommen und ihn spielen lassen in „Bridge on the River Kwai“. Das war nicht der im Roman, nämlich der Charakter des Schwarzmarkthändlers, der unter dem Bett einen Koffer hat mit Schokolade, Zigaretten, Kaugummi, Seidenstrümpfen für die Frauen…

Schlöndorff: Erstaunlich – die Deutschen sind sonst oft viel schlimmere Bösewichte. Du hast sie mehr als Dummköpfe gezeigt.

Wilder: Preminger war als Schauspieler dabei. Er hat immer seinen Text vergessen. Er sagte dann: Entschuldigung, ich bin etwas aus der Übung. Jeden Abend kam er mit drei Pfund Kaviar – sehr großzügig. Aber die Schauspieler und Komparsen kannten ihn als strengen Regisseur. Sie hatten unter ihm gelitten. Während Preminger sich entschuldigte, machten die anderen mir Zeichen: Gib ihm Saures!

Schlöndorff: Es ist interessant: Du sprichst immer in diesen Begriffen „erster Akt“, „zweiter Akt“, „dritter Akt“. Ich kenne viele Regisseure, die sich immer von Romanen Stoffe holen, und du hast sehr oft Theaterstücke. Aber nicht, weil sie auf der Bühne spielen, sondern nur, weil die Story schon mal gut vorstrukturiert ist.

Wilder: Richtig. Die Leute sagen, es sei sehr schwierig, eine Geschichte auf der Bühne zu erzählen. Wir, die Filmemacher, können mit der Kamera überall hingehen. Aber das wird viel schwerer, denn man weiß ja nicht, wo man sie hinstellen soll. Soll ich’s wie der Eisenstein oder wie Busby Berkeley machen, ganz von oben? Weil man alles machen kann, deshalb ist es viel schwieriger.

Plötzlich hat Holden die Fluchtkarten. Er zündet seine Zigarette an, indem er mit dem Streichholz durchs Gesicht des ärgsten Bösewichts streicht. Wie habe ich das gemacht? Ich habe auf der von der Kamera abgewandten Seite etwas Schmirgelpapier auf die Wange geklebt – gar kein Problem. Ich wollte noch eine Sache drehen, aber es ist mir nicht gelungen. Die beiden Flüchtenden gehen durch den Wald, und die anderen Leute in der Baracke gehen wie Schatten mit ihnen mit, aus dem Lager heraus. Das hat aber nicht gut ausgesehen. Da habe ich ganz auf Underplay gesetzt. Sie gehen also in der Baracke ins Bett, und der Verrückte pfeift noch.

Schlöndorff: Das traurige Ende sollte aber erst noch kommen. Denn der Verleih hatte Angst, den Film in dieser Form in Deutschland herauszubringen.

Wilder: Als ich in Paris gedreht habe, kam ein Brief von Paramount: „Wir wollen Ihren Film ,Stalag 17‘ in Deutschland herausbringen. Das wird Sie bestimmt sehr freuen. Dieser Film ist geradezu prädestiniert für Deutschland. Aber Sie verstehen sicher, daß wir eine Kleinigkeit ändern wollen: Der Bösewicht ist kein Nazi, sondern ein Pole.“

Schlöndorff: Nach allem, was im Zweiten Weltkrieg geschehen war, war dem amerikanischen Verleih das Geschäft in Deutschland wichtiger als die Wahrheit. Nicht so Billy Wilder.

Wilder: Da habe ich einen Brief geschrieben: „Ich traue meinen Augen nicht.“ Für den Verleih ging es um viel Geld, viel Geld! Aber ein Mann, dessen Mutter und Stiefvater in Auschwitz umgekommen sind… Ich hatte noch einen Vertrag über drei Filme mit Paramount. Aber wenn sie sich nicht entschuldigen, sagte ich, mache ich keinen Film mehr für die Paramount! Ein wirklich wütender Brief. Und was passierte? Überhaupt nichts. Kein Mensch hat sich entschuldigt, Ich habe meine Sachen gepackt und bin gegangen.

Schlöndorff: So verließ der sogenannte Zyniker Billy Wilder aus Gründen des Anstands nach 18 Jahren die Paramount und trat nie wieder durch dieses Tor. Mit sich nahm er allerdings seinen Lieblingsschauspieler William Holden, der auch im nächsten Film die Hauptrolle spielte. Er war für ihn einfach der Amerikaner, auf den er nicht verzichten wollte.

Wilder: Es war wie meine Zusammenarbeit mit Diamond. Wir kannten uns in- und auswendig – keine kleinen Geheimnisse. Jeder hat offen über alles geredet, und dann konnten wir arbeiten. Wir haben aneinander geglaubt und uns gegenseitig vertraut. Wir haben reinen Tisch gemacht für ehrliche Arbeit. Holden war ein gehemmter Mann, und deswegen wurde er ein Trinker. Er sagte mir eines Tages: Um aufstehen zu können, muß er eine Viertelflasche Wodka trinken. Und mittags. Wir waren noch jung und hatten keine Sorgen. Aber da hat’s bei ihm angefangen. Er mußte sich immer mit etwas beschäftigen und wollte immerzu Gutes tun. Er machte bei der Feuerwehr mit, er arbeitete in Kenia im Naturschutzpark. Er machte irgendwas in Hongkong für die Regierung – ich habe vergessen, was es war. Er war ein tüchtiger Bürger. Bei der Nachricht: Bill Holden ist tot, hätte ich mir vorgestellt, daß ein Nashorn ihn aufgespießt hat. Oder daß sein Flugzeug mit ihm über Hongkong abgestürzt ist. Aber ich hätte nie geglaubt, daß er von einem Nachtisch getötet wurde. Er war allein in seiner Wohnung. Er war betrunken, ist ausgerutscht, er stürzte gegen die Tischkante und ist verblutet. Er wollte immer etwas tun für die Rettung bedrohter Tierarten. Er vergaß, daß er als Trinker selbst zu einer bedrohten Tierart gehörte.

„Sabrina“ (1954)
Schlöndorff: „Sabrina“ basiert wieder auf einem Theaterstück, das Billy Wilder allerdings mit dem Autor radikal umschrieb, so daß es einem wiederum beinahe wie ein Stück aus Österreich-Ungarn vorkommt. Ich bin unfähig, die Geschichte zu erzählen. Ich weiß, es handelt von zwei Brüdern, der eine ist seriös, der andere ist ein Pfiffikus. Und die Tochter des Chauffeurs in diesem reichen Hause, das ist Audrey Hepburn, die sich mal in den einen, mal in den anderen verliebt – Verwirrung der Gefühle. Sie endet übrigens nicht mit dem Pfiffikus, sondern mit dem Seriösen. Das Interessante an dem Film ist die Besetzung, nämlich einerseits William Holden und andererseits Humphrey Bogart.

Karasek: Wie kam Bogart an diese Rolle?

Wilder: Weil wir jemanden brauchten, der älter ist als Holden und Ausstrahlung hat, eine Persönlichkeit. Er mußte in gewissem Sinn zäher sein als sein Bruder. Die Wahl von Bogart war gut, denn er war ein guter Schauspieler. Aber er spielte nie in Komödien, das war also eine Überraschung. Kein Mensch weiß, was das Charisma dieses Mannes ausmacht. Es war sehr schwer, mit ihm zu drehen, denn in den Liebesszenen hat er beim Sprechen gespuckt. Da durfte man nicht gegenleuchten, sonst hätte es so ausgesehen, als ob es aus seinem Mund regnet.

Karasek: Im Theater sieht man das oft.

Wilder. Aber plötzlich habe ich den wirklichen Bogart gesehen.

Karasek: Stimmt es, daß er sich während der Dreharbeiten über deinen Akzent lustiggemacht hat?

Wilder: Alle machen sich lustig über meinen Akzent. Er mochte die Rolle nicht besonders, und er mochte das Studio nicht (das war tatsächlich Wilders letzter Film für Paramount, Anm.). Er mochte mich als Regisseur nicht. Es war keine geniale Kombination. Aber man sagt sich: ich bin gefangen, aber nicht lebenslang. Ich habe diese Schauspielerin am Hals, aber ich bin nicht mit ihr verheiratet. Es kommt der Tag, an dem ich ihr sagen werde: Leck mich…

Karasek: Wie verläuft so ein typischer Kampf?

Wilder: Kein Kampf! Wirklich nicht. Kleine Sticheleien hier und da. Alles vergeben und vergessen. Denn als ich ihn das nächste Mal sah, hatte er Krebs. Er war wie verwandelt. Er hatte oft den Helden gespielt, der er nie war. Aber jetzt war er ein Held geworden.

Da gibt es die Szene, als sich Holden auf die Sektgläser setzt. Ich bin damals ständig mit Gläsern in den Taschen herumgelaufen. Aber das Glas zerbrach nicht, egal, wie ich mich hinsetzte. Beim Film ist das einfach: Man kann mit dem Ton tricksen.

Schlöndorff: Warum hattest du Gläser in den Taschen?

Wilder: Weil ich die Szene ausprobieren wollte. Es klappte nicht, denn wenn du ein Glas in der Tasche hast, wird es einfach verschoben. Aber kein Mensch prüft das nach. Nur wenige Menschen haben Erfahrung mit Gläsern in den Taschen. Aber man hört immer wieder, daß Leute das zuhause nachmachen.

In „Sabrina“ hatte ich Schwierigkeiten mit dem Script, und da habe ich nachts geschrieben und untertags das gedreht, was ich zuvor geschrieben hatte. Man muß ungefähr vier bis fünf Seiten haben. Aber an einem Tag hatte ich nur eineinhalb Seiten. Keiner wußte es – außer Audrey Hepburn. Ich sagte ihr: „Paß auf, ich möchte nicht zu schnell voranschreiten, weil ich nur eineinhalb Seiten habe.“ Sie sagte: „In Ordnung.“ Also haben wir eine Szene gedreht. Ich sagte: „Großartig, und jetzt gehen wir ein bißchen näher…“ Ich habe das verlängert. Und sie hat, um mir zu helfen, manchmal einen Satz…

Karasek: Was die Monroe aus freien Stücken machte, hat sie dir zuliebe gemacht.

Wilder: Wir waren um 17 Uhr fertig. Da sagte sie zu meinem Regieassistenten: „Ich habe solche Kopfschmerzen. Ich muß jetzt aufhören.“ Sie würde auch einen weniger guten Text mit großer Überzeugung lesen. Das braucht man manchmal. Sowas tut man für den Film, nicht für den Regisseur. Die Mitarbeit der Schauspieler ist sehr wichtig. Wenn sie gemein sein wollen, können sie einen hereinlegen. Aber letztlich schaden sie nicht dem Regisseur, sondern dem Film. Und damit auch sich selbst.

Schlöndorff: Dieses Glaubensbekenntnis en passant ist wieder ganz typisch Billy Wilder. Nicht als Zyniker, sondern als Moralist. Denn es gibt für ihn nicht nur politischen Anstand, es gibt auch sowas wie Berufsehre. Es gibt eine bestimmte Art von Filmen, die er nie machen würde. Es gibt eine Art von Lügen, die er in einem Film nie unterbringen würde. Und es gibt für ihn einen Anstand, den alle, die an einem Film mitarbeiten, ob Schauspieler oder Techniker, gemeinsam haben, nämlich dafür zu arbeiten, daß der Film gut wird, und nicht dafür, daß sie ihre Eitelkeit oder ihr Ego befriedigen.

Wilder: Man hat eine bestimmte Haltung zum Leben, bestimmte Regeln. Man glaubt an eine bestimmte Ethik. Und das werde ich nicht verraten, für keine Geschichte der Welt. Ich habe ein paar schlechte Filme gemacht, aber bei keinem muß ich mich für den Inhalt schämen. Ich habe mich nie verkauft. Ich habe eine Menge Fehler gemacht, aber es waren ehrliche Fehler.
(Fortsetzung folgt)

Geändert von Peter L. Opmann (04.12.2023 um 06:15 Uhr)
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Alt 04.12.2023, 06:31   #1739  
Crackajack Jackson
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Ein wirklich lesenswertes Interview. Es kommt nicht oft vor, dass die Interviewten auch wirklich was zu sagen haben.
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Alt 04.12.2023, 06:43   #1740  
Nante
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Zitat:
Wilder: Dann sieht man die Leiche von Holden. Um die große Zehe hatte er einen Zettel mit seinem Namen gebunden, wie sie’s immer gemacht haben. Und das war einer der größten Lacher, die ich je in meinem Leben gehört habe.
Wilder spekuliert hier glaube ich noch, daß die Zuschauer lachen, weil sie sich vorstellen, man würde das an ihren Füßen machen und wie das kitzeln würde.

Ansonsten ein sehr spannendes Interview! Karasek hat ja viele Stellen in seiner Wilder-Biografie verwendet, aber längst nicht alles und nicht so kompakt. (Und Schlöndorf kommt gar nicht vor, wenn ich mich recht erinnere.)

Freue mich schon auf den nächsten Teil. Da kommen wir ja wahrscheinlich zum Thema Marilyn.

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Alt 04.12.2023, 06:47   #1741  
Peter L. Opmann
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Zitat von Crackajack Jackson Beitrag anzeigen
Ein wirklich lesenswertes Interview. Es kommt nicht oft vor, dass die Interviewten auch wirklich was zu sagen haben.
Ich hoffe, es verwirrt nicht, daß Schlöndorff in der Regel moderiert, aber manchmal auch direkt in das Gespräch mit Wilder eingreift. Außerdem beziehen sich einige Interviewteile auf bestimmte Filmausschnitte. Aber ich denke, wenn man die jeweiligen Filme nicht kennt, wird man das nur teilweise verstehen - auch wenn ich die Filmausschnitte noch beschreiben würde.

@ Nante: Zu "Some like it hot" ist es noch ein Stück hin, aber es könnte sein, daß der Film am Ende des nächsten Teils angesprochen wird.
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Alt 04.12.2023, 06:52   #1742  
Nante
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Über diesen großartigen Film wird oft vergessen, daß Wilder ja vorher noch einen Fim mit der Monroe gedreht hat: "The Seven Year Itch". - Und der dürfte ja in der Chronologie bald dran sein, oder?

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Alt 04.12.2023, 06:59   #1743  
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Zitat von Nante Beitrag anzeigen
Über diesen großartigen Film wird oft vergessen, daß Wilder ja vorher noch einen Fim mit der Monroe gedreht hat: "The Seven Year Itch". - Und der dürfte ja in der Chronologie bald dran sein, oder?
Sorry, es ist eine Zeit her, daß ich die Doku zum letzten Mal gesehen habe. Wir müssen uns überraschen lassen.
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Alt 04.12.2023, 10:07   #1744  
Servalan
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Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Wilder: Es war wie meine Zusammenarbeit mit Diamond. Wir kannten uns in- und auswendig – keine kleinen Geheimnisse. Jeder hat offen über alles geredet, und dann konnten wir arbeiten. Wir haben aneinander geglaubt und uns gegenseitig vertraut. Wir haben reinen Tisch gemacht für ehrliche Arbeit.
Damit nimmt Wilder ja schon etwas über Diamond vorweg und bestätigt das, was ich mir vorgestellt. Bei der Qualität der Drehbücher mußten Wilder und Diamond sich schon sehr gut aufeinander eingespielt haben, und das geht nicht ohne ein großes gegenseitiges Vertrauen.
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Alt 04.12.2023, 10:42   #1745  
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Die erste Zusammenarbeit war bei "Ariane - Liebe am Nachmittag". Zu diesem Film müßten sie bald kommen.
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Alt 06.12.2023, 07:05   #1746  
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Nächste Folge von "Billy, how did you do it":

„Ariane – Liebe am Nachmittag“ (1957)
Schlöndorff: Ein anderer Film, der zu der beliebten Gattung „Ein Amerikaner in Paris“ gehört, ist „Love in the Afternoon“ mit Maurice Chevalier, Gary Cooper und Audrey Hepburn. Anlaß zu Streit gab es komischerweise um den schönen Titel „Liebe am Nachmittag“.

Wilder: Wir haben über die Besetzung gesprochen und die Kosten, und ich sagte: Ich fahre am Montag nach Paris, um bereits die Drehorte auszusuchen. Und dann sagt der Produzent plötzlich: Was machen wir mit dem Titel? – Wieso? Der Titel ist „Liebe am Nachmittag“. Er sagt: Das ist nicht Ihr Ernst! Was ist denn das für ein Titel? Ich drehe mich zu ihm um: Also haben wir offenbar verschiedene Auffassungen über gute Titel. Nennen Sie mir den besten Titel, den Sie je gehört haben. Er dachte etwa fünf Sekunden nach und sagte: „Wichita“. Das ist eine Stadt in Kansas. Ich sagte: Warum ist das ein guter Titel? Er sagte: Weil er vom Wilden Westen handelt. Wenn „Wichita“ ein guter Titel ist, dann gibt es viele gute Titel: „Kansas City“, „Seattle“, „Oklahoma“, „North-Dakota“. Da weiß ich noch mindestens 49 andere gute Titel. Er sagt: Wollen Sie sich über mich lustigmachen? Ich sagte: Nein, aber unser Titel ist gut, der wird nicht geändert. Ich arbeite zum ersten Mal für Sie, ich will nicht mit Ihnen streiten. Er sagte: Was soll das heißen? Darauf sage ich zu Diamond: Nimm das Drehbuch, wir gehen! Es ist jetzt halb zwei, rufen Sie mich um sechs Uhr an. Sie können bis dahin nachdenken und über den Titel entscheiden. Dasselbe gilt für das Drehbuch. Und wir sind weggegangen. Eine Stunde später rief er mich an – ich war noch nicht zuhause. Um sechs Uhr rief er wieder an: Können Sie denn keinen Spaß verstehen?

Schlöndorff: Ist denn mein Gefühl richtig, daß „Love in the Afternoon“ etwas gewesen ist, was für dich gut war? Du hattest eine gute Zeit? Wilder: O ja. Ich war jung und voller Tatendrang. Schlöndorff: Und du warst in Paris! Wilder: Das ist besser als ein beknackter Stollen im Berg. Jeder kommt gern zum Drehort, wenn es eine Suite im Ritz ist. Ich mag das. Nicht nur das Publikum träumte, auch ich war glücklich. Es war einfach großartig. Ich würde gern einen Film drehen, der in einem Bordell spielt. Da könnte man Spaß haben! Schon das Casting… Ich will nicht deprimiert aus dem Kino kommen.

Karasek: Wenn ich deine Filme ganz schnell resümiere, dann komme ich zum Schluß, daß die meisten Deiner Figuren nicht reich sind.

Wilder: Nein. Da habe ich einen Fehler gemacht (grinst).

Schlöndorff: Es sind meistens Leute, die nicht reich sind, aber die gern reich werden wollen.

Wilder: Oder sie haben die Wahl: Sollen wir sehr reich sein, oder sollen wir ehrenvoll sein?

Schlöndorff: Hättest du Filme gemacht, wenn man dich nicht dafür bezahlt hätte?

Wilder: Bist du noch ganz bei Trost? Also wirklich! Mich von denen ausnutzen lassen? Glaubst du, ich bin Masochist? Nein, ich habe Freunden geholfen, zum Beispiel John Huston. Er brauchte ein Ende für seinen Film in Japan. Da bin ich hingefahren. Er arbeitete schon an seinem nächsten Film. Ich habe es für ihn getan. Oder Autoren kommen mit Drehbüchern, Regisseure fragen mich um Rat. Ich tue das umsonst für Freunde, aber nicht für die Leute in den oberen Etagen. Das sind meine Feinde. Ich habe da nur ganz wenige Freunde. Ich will von diesen Leuten so viel Geld wie möglich haben, denn sie wollen mich so billig wie möglich einkaufen. Zwischen denen und mir ist ein ständiger Kampf.

Gary Cooper habe ich geliebt. Ein sehr scheuer, ehrlicher Mann. Aber für diese Rolle – das war nach „High Noon“, da wurde er offiziell der große Sheriff. Ich mußte einen Don Juan haben, und das ist sehr schwer. Aber so war er, er war kein Sheriff. Er kam aus Montana, aber war erstaunlich elegant. Man kann niemandem Eleganz beibringen. Er war schon so geboren. Er trug die richtigen Anzüge und die richtigen Hemden. Es hatte Klasse, wie er ins Studio in Boulogne kam. Sein offener Bentley war gerade geliefert worden. Er trug einen grauen Anzug und ein rosa Hemd dazu. Alles paßte wunderbar zusammen. Es war ein Vergnügen, ihn anzuschauen. Cooper hatte ein Geheimnis im Umgang mit Frauen, nicht zu reden und Interessantes zu erzählen, sondern zuzuhören. Ich bin sicher, daß er nie wirklich zuhörte. Aber zwischendurch sagte er: Ach, wirklich? Ist das wahr? So habe ich das noch nie gehört. Sie sind nicht nur eine schöne und begehrenswerte Frau, Sie sind auch eine Philosophin. Erzählen Sie mir mehr davon. – Jede Frau will sich aussprechen, aber ohne anderen Leuten damit auf die Nerven zu gehen. Er hat es geradezu herausgefordert. So schüttet jede Frau ihr Herz aus. Und plötzlich liegt sie in seinem Bett.

Es ist schon komisch, wie Heldenrollen besetzt werden. Oft mit jemand, der aussieht, wie man selbst gern aussehen würde. Das gilt besonders für Autoren. Als Autor hat man das Gefühl: So würde ich gern mit einer Frau sprechen. – Gary Cooper ist zu jung gestorben.

Schlöndorff: Wie alt war er, als ihr „Love in the Afternoon“ gedreht habt?

Wilder: Anfang 60. Unersetzbar, nicht?

„The Spirit of St. Louis“ (1957)
Es gibt Momente im Leben… ich glaube, in drei meiner Filme. Du bist ein Freund des Produzenten. Du kennst auch den Zanuck. Und dann hypnotisierst du dich selbst und redest dir ein, daß du etwas daraus machen wirst.

Schlöndorff: Aber immerhin hattest du 1951 formuliert: „Die beste Schicksalsgeschichte ist Lindbergh“.

Wilder: Er sollte aussehen wie Jimmy Stewart, groß, mit dieser Figur und den blonden Haaren. Aber jetzt wollten wir einen neuen Mann haben. Wir haben ihn nicht gefunden. Nachher wurde es Jimmy Stewart.

Schlöndorff: Der Lindbergh-Fall ist natürlich eine gute Vorlage, weil er sehr bekannt ist. Jeder hat von der ersten Überquerung des Atlantik gehört, wenn auch der Mann nachher noch berühmter wurde durch die schreckliche Geschichte, wie sein Kind entführt und umgebracht wurde. Aber im Film geht es nur darum, daß der Mann in seinem Flugzeug sitzt und über den Atlantik fliegt. Die Schwierigkeiten begannen schon bei der Besetzung. Der Mann muß ja interessant sein. Und dann beim Drehbuch: Wie kann man das interessanter machen? Kann man nicht doch eine Frauengeschichte reinbringen? Wie anders kann man das erzählen, damit es spannend wird? Die berühmte Lubitsch-Frage, angewandt auf einen Menschen im Cockpit. Ist natürlich sehr schwer zu lösen.

Wilder: Ich versuchte unbedingt, irgendetwas da hineinzubringen, damit das einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat, etwas Persönliches. Und da war ein alter Journalist, der für Filme geschrieben hat. Eines Tages sagte er mir: Paß mal auf, ich war dabei. Da gibt’s ein Diner mit einer hübschen Kellnerin. Ganz Amerika wußte, daß er oben in seinem Hotelbett die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Die Chance, daß Lindbergh abstürzt, ist doch 90 : 10. Und es ist doch schade, daß er mit ihr nie zusammenkam. Das ist der Grund, warum er die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Ich sagte: Verstehe! Überlassen Sie das mir. Das ist sehr gut! Und ich stelle mir vor, wie Lindbergh im Triumph nach Amerika zurückkehrt. Und da steht diese kleine Kellnerin, und er erkennt sie nicht. Das wäre schon genug für mich! Ich erzähle es den Produzenten, und sie finden es auch gut. Aber sie sagen: Du erzählst es Lindbergh, nicht wir.

Schlöndorff: Auf der Bühne gibt es dauernd Monologe. Hamlet redet die ganze Zeit mit sich selbst. Im Film braucht man Gesprächspartner, und wenn es nur eine Fliege ist. Ein Monolog vor der Kamera ist unvorstellbar. Wilder: Ja, das war die Idee.

Wilder: Ich war in Paris, und wir haben nachts in Le Bourget gedreht. Ich hatte da etwa 5000 Statisten. Er kommt in der Nacht an und landet, und die Leute sind so begeistert, daß sie die Absperrungen überrennen. Da kommt Noel Coward, neben ihm ein ganz kleiner Mann mit einem Dackel. Er schaut sich das so an, dreht sich plötzlich um und sagt mit ungarischem Akzent: Ich glaube, Sie sind verrückt. Was machen Sie hier? – Es ist eine wichtige Szene. – Sie sollten jetzt im Maxim sein und zu Abend essen. Das ist was für den Assistenten. – Er war ein gescheiter Mann.

Schlöndorff: Immerhin hat diese Landung in Paris Billy Wilder mit Alexandre Trauner zusammengebracht, dem berühmten ungarischen Architekten und Filmdekor-Bauer, der in Frankreich für die „Kinder des Olymp“, für „Hotel du Nord“ und viele andere Filme gearbeitet und Dekorationen gebaut hat, die hauptsächlich von der perspektivischen Verkürzung lebten. Er hat es gewagt, einen Riesenbau, zum Beispiel die Pariser U-Bahn, auf einem ganz kleinen Gelände herzustellen, später für Billy Wilder das Brandenburger Tor auf dem Gelände der Bavaria in Geiselgasteig oder den Riesenbüroraum für Jack Lemmon in „Das Apartment“, indem er einfach nach hinten immer kleiner gebaut hat und Komparsen ausgesucht hat, die beispielsweise Zwerge waren, oder ganz hinten ausgeschnittene Figuren oder Fotos.

„Zeugin der Anklage“ (1957)
Schlöndorff: Dieser Film hat Billy Wilder natürlich wegen Marlene Dietrich gereizt, aber auch, nehme ich an, wegen Agatha Christie. Das Drehbuchschreiben ist sein Steckenpferd. Und hier hatte er nun wirklich die Spezialistin der Konstruktion, wie man eine Geschichte am spannendsten erzählt. Auf das Was der Geschichte kommt es gar nicht so an. Und er spielt das sehr aus gegen die Qualitäten etwa eines Raymond Chandler.

Wilder: Nehmen wir zwei Schriftsteller. Der eine ist der Raymond Chandler, und die andere ist die Agatha Christie. Wenn Chandler ein Gefühl für Konstruktion hätte, wäre er unschlagbar, denn er hat einen großartigen Stil gehabt. Aber das ist Beschreibung, das ist nicht dramatisierbar. Und Agatha Christie hat konstruiert wie ein Engel, mit Überraschungen. Aber sie hat ganz flach geschrieben. Kein Dialog, keine Menschen.

Karasek: Wie bist du auf den Stoff gekommen?

Wilder: Die Marlene kam zu mir und sagte: Paß mal auf. Und sie hat mir das Stück gegeben. Ich spiele das nur, wenn du Regie führst. Ich hab’s gelesen und sagte: Gut. Folgende Unterschiede zwischen dem Stück und dem Film haben wir reingebracht: Erstens habe ich eine große Chance bekommen, weil ich den Laughton bekommen habe. Der ist bereits eine Rakete. Zweitens kam er nicht aus dem Spital. Drittens gab es keine Krankenschwester, keine Zigarren und keinen Cognac, wo man aufpassen mußte. Es war ein großer Spaß, wie man ein Theaterstück auflöst in einem Film. Wenn man versucht, Theater filmisch zu machen, wird das Stück schlechter. Aber bei diesem Film ging es. Die Spannung war derart – noch heute, wenn ich mir den Film ansehe, habe ich keine Ahnung, was passieren wird.

Schlöndorff: Habt ihr da anders gefilmt als sonst? Habt ihr zum Beispiel vorher geprobt?

Wilder. Nein, überhaupt nicht. Ich bin nach London gegangen, habe aber das meiste gebaut und im Studio spielen lassen.

Schlöndorff: Verblüffend, wie Alexandre Trauner es schafft, den Eindruck zu erwecken, daß da ein ganzer Bahnhof in der Tiefe sei, wenn es in Wirklichkeit nur eine Atelierwand ist. Aber auch die Verkleidung der Marlene Dietrich, denn sie ist es, die sich hinter einer Landstreicherin mit Cockney-Akzent verbirgt.
Du hast sie aufgebaut als „woman you love to hate“, wie Stroheim in den 20ern.

Wilder: Die Geschichte hat so viele Wendungen. Ich bin Agatha Christie sehr dankbar für diese Vorlage. Die Story ist sehr gut aufgebaut. Nur wenige können das. Auf 500 hervorragende Dialogschreiber kommen nur fünf, die eine Handlung gut konstruieren können. Das ist die schwierigste Aufgabe der Welt.
Für das Publikum gibt es nur zwei Arten von Geschichten: Eine einfache Geschichte, schön möbliert mit ein bißchen Rokoko. Das kannst du dir leisten, denn die Handlung ist einfach. Oder eine komplizierte Geschichte, die einfach gedreht wird, damit sie das verstehen. Aber wenn die Geschichte kompliziert ist, und du machst auch noch Arabesken darum, dann wissen sie nicht, worum es sich handelt.

Schlöndorff: Du willst nicht Stilreinheit haben. Am Ende sitzt der Charles Laughton da – alle haben applaudiert und gehen raus – unzufrieden und sagt: Es ist zu sauber, zu logisch, zu symmetrisch. Würdest du das auch von einem Drehbuch oder einem Film sagen?

Wilder: Es muß natürlich sehr präzise konstruiert werden. Aber man sollte die Konstruktion nicht sehen.
Am Ende tötet Marlene ihren Mann mit einem Dolch. Ich hasse Schußlärm. Ich bin ein so heikler Mensch…

Schlöndorff: Auch hier entpuppt Billy Wilder sich wieder en passant als Moralist. Denn es ist ihm nicht gleichgültig, wie seine Helden sich verhalten, Und egal, wie mies sie am Anfang gewesen sind, sie müssen am Ende die Wahl haben, sich für das Gute oder für das Böse zu entscheiden. Ohne sich vollkommen zu läutern, denn meistens klappt das nicht. Aber immerhin: die Entscheidung. Marlene Dietrich hat die Wahl, sich zu opfern für den Mann, den sie liebt, oder ihr eigenes Leben zu retten.

Wilder: Im dritten Akt steht der Held oder die Heldin vor der Entscheidung. Jack Lemmon hatte in „Das Apartment“ die Wahl, immer höher aufzusteigen, aber er sagt: Nein, es ist genug, und geht zurück, wo er herkam, ohne Stellung in der Gesellschaft. Und Marlene hat auch die Wahl gehabt. Das ist eine Eifersuchtssache, die man versteht. Ich glaube, daß die Leute, die sich in den Tyrone Power verliebt haben, in den letzten zehn Minuten ganz auf ihrer Seite sind. Die drängen darauf, daß die Marlene die Siegerin ist, und sie freuen sich, daß sie den Mann, der der Sünder ist, ersticht.
Sie ist eines der großen Gesichter in der Filmgeschichte. Marlene oder der Conrad Veidt. Leute, die nicht wie gewöhnliche Menschen ausschauen. So eine Frau mit dem Akzent oder mit den Beinen oder wie sie sich angezogen hat – imponierend, nicht? Die Leute identifizieren die Frau mit den Rollen, die sie spielt. Die typische Rolle für sie war in „Marocco“. Sie ist eine Sängerin in einem Lokal, und da sind die reichen Leute wie Adolphe Menjou. Aber sie liebt eben diesen Infanteristen. Und zum Schluß ist es so komisch – die Leute sprechen darüber und lachen – da zieht sie sich die Schuhe aus und nimmt eine Ziege und geht mit ihr durch den Sand, den Fremdenlegionären hinterher. Übrigens: Ich kann mir diese Situation vorstellen im Leben der Marlene. Nicht im Leben der Paulette Goddard oder im Leben der ZsaZsa Gabor – die bleiben bei Menjou.
Sie war eine Hausfrau, sie war wie Florence Nightingale. Sie hat sich oft in Männer verliebt, die sterbenskrank waren. Wenn ein Mann gehustet hat, sagte sie: Kommen Sie mit, ich habe da einen Arzt. Sie wollte diese Typen gern bemuttern. Und wenn ein Mann sagte: In dieser Küche ist der Kachelofen so dreckig, dann hat sie ihn auf den Knien geschrubbt, alles gesäubert und Abendessen gekocht. Sie hatte eine Menge Rezepte und war eine gute Köchin.
Ich hatte Leute zum Abendessen im Haus. Alle waren schon gespannt, Marlene zu sehen. Sie ist gekleidet wie in einer ihrer Rollen, „Die blonde Venus“ oder sowas. Sie wird von einem Mann abgeholt, aber der ist noch nicht da. Sie kommt runter, und ich sagte: Marlene, erzähle uns doch mal über dein Liebesleben. Alle schauen sie an mit offenem Mund. Nach zehn Minuten sagt sie: Ich glaube, ich muß es euch gestehen: Zwischendurch hatte ich auch noch ein Abenteuer mit einer Frau. Das war eine Schauspielerin namens Claire Waldoff. Die Leute schauen, und da habe ich einen kleinen Satz gesagt: Langweilen wir euch?

Schlöndorff: Billy amüsiert sich auch über die Art, die sie von Sternberg mitbringt, ihre Haltung zum Licht und zur Kamera. Also wie Faye Dunaway an den Set kommt und plötzlich sagt: Kill that light, kill that light. Give me this key. So muß auch Marlene Dietrich sich am Set verhalten haben.

Wilder: Sie ist professionell. Sie hat eine Zeitlang mit Sternberg Filme gemacht. Sie kannte die Probleme. Sie war selbst eine großartige Beleuchterin. Sie wußte, wie ihr Gesicht am besten aussieht. Das hat ihr der Sternberg beigebracht. Es ist ein bißchen seltsam für mich, wenn eine Schauspielerin sagt: Ich glaube, das Führungslicht steht nicht richtig. Niemand weiß etwas über das Führungslicht. Sie sagen höchstens, es ist zu hell oder zu dunkel. Ich sagte: Tu, was du willst. Aber rede mit dem Chefbeleuchter. Ich möchte ihn mir nicht zum Feind machen. Da muß man sehr vorsichtig sein!
Ich melde mich immer, wenn ich in Paris bin. Ich telefoniere dann mit einer tschechoslowakischen Köchin oder einem französischen Stubenmädchen – ich glaube, sie verstellt ihre Stimme – und die sagt: Ich werde es Frau Dietrich ausrichten. Meine Frau, die Audrey, sagt dann: Ach, komm, Marlene. Wir wissen, daß du es bist! Und sie: Ich verstehe Sie nicht – was haben Sie gesagt? Ich sagte ihr: Paß auf, Marlene, ich komme zu dir herauf. Ich möchte nur in deiner Nähe sein. Ich werde mir die Augen verbinden. Montagfrüh rufe ich dich an. Und da ruft sie mich am Sonntag an: Es wird morgen nicht gehen, weil ich zu einem Augenarzt fahre. Und das ist eine sehr heikle Sache. Da sage ich: Dann also Dienstag? – Du hast doch gesagt, daß du Dienstag abreist. – Ich kann das um einen Tag verschieben. – Nein, nein, nein! Wenn du am Dienstag wegfahren willst, dann fahr am Dienstag!
Sie ist ein richtig guter Kumpel, schon seit 35 Jahren. Sie war für mich eher wie ein Mann. Wir haben oft über Schein und Sein gesprochen. Die Illusion im Theater oder auf der Leinwand. Wenn sie mit der Boa auftritt, das ist alles nur Show. Ich mag sie wirklich sehr, und ich werde sie vermissen. Oder wenn ich zuerst dran bin, wird sie mich vermissen. Gott behüte!
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Alt 08.12.2023, 06:07   #1747  
Peter L. Opmann
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Schlöndorff: Man kann fast sagen: Das waren die zwei Ehen in Billy Wilders Leben, zunächst die Jahre, die er mit Charles Brackett zusammen geschrieben hat als Autorenteam, und dann die Jahre mit Iz Diamond. Dazwischen lag eine lange Strecke, wo er zwischen Agatha Christie, Newman und anderen immer wieder versucht hat, ob er denn nicht den Partner findet, bis er dann schließlich auf I. A. L. Diamond stieß. Die drei Buchstaben für den Vornamen sollen übrigens bedeuten „Interscholastic Algebra League“. Also gar kein Vorname, sondern ein joke, denn Diamond war ein Mathematikgenie.

Wilder: Wie stellt man sich zwei Autoren vor, die zusammen ein Drehbuch schreiben? Man denkt an zwei Halbverrückte zwischen Depression und Ekstase. Sie wissen schon, wie diese Hollywood-Autoren in Spielfilmen. Iz und ich ähnelten eher zwei Bankangestellten. Wir öffneten den Laden um halb zehn, wechselten ein kurzes „Morgen“. Ich saß meist am Schreibtisch, er hockte in dem schwarzen Sessel. Er kaute Kaugummi oder lutschte an einem Zahnstocher. Alles nur, um nicht zuviel zu rauchen. Manchmal küßten uns die Musen, und wir schrieben zehn bis zwölf Seiten am Tag. Iz an der Schreibmaschine und ich mit dem Schreibblock. Es gab keinen Zwang, keine Verrisse, wir brüllten uns nicht an. Wir wurden auch nicht ekstatisch, wenn mal einer eine gute Idee hatte. „Not too bad“ war das höchste Lob, das man von Iz bekommen konnte oder „why not?“.
Sie kennen die letzte Szene von „Manche mögen’s heiß“. Lemmon will Joe Brown überzeugen, daß er ihn nicht heiraten kann. Als wir an der Szene arbeiteten, fehlte uns ein witziger Schlußsatz. Iz ist dann eingefallen: „Niemand ist vollkommen.“ Wir waren nicht gerade begeistert, aber es war schon spät am Abend. Wir haben es deshalb so ins Drehbuch geschrieben und dachten: Bis zum Drehtag fällt uns noch was Lustigeres ein. Auch wir angeblichen Experten können ganz schön irren. Vier Jahre lang hat er mir nicht gesagt, daß er todkrank war. Erst in den letzten sechs Wochen hat er es mir anvertraut. Nun, es ist jetzt einsamer in unserem Arbeitszimmer. Ich sehe den leeren Sessel an, und Iz fehlt mir sehr. Vielleicht sollte ich da an seinem Geburtstag eine rote Rose hinlegen. Wie DiMaggio für Marilyn.

Schlöndorff: Um an Iz Diamond zu erinnern, ohne gleich eine Totenfeier zu veranstalten, hat Billy Wilder mit Walter Matthau und Jack Lemmon einen kleinen Sketch inszeniert, den Diamond früher mal geschrieben hat über die Zusammenarbeit von zwei Drehbuchautoren, und das, könnte man sich vorstellen, ist vielleicht Billy Wilder und Diamond selbst in der Zusammenarbeit.

(Dieser Sketch läßt sich hier natürlich nicht gut wiedergeben. Ich versuch’s trotzdem. Die beiden Autoren suchen gemeinsam nach einem treffenden Wort. Anm.)

Matthau: Warum muß Harry überhaupt etwas sagen? Er kann es mit einem Blick ausdrücken.
Lemmon: Gut! Also, was haben wir? „Innen – Wohnzimmer – Tag. Als Alice eintritt, blickt Harry sie an.“ – Wie blickt er sie an?
Matthau: Forschend?
Lemmon: Zweifelnd… verzweifelnd…
Wilder aus dem Hintergrund zu Matthau: Das sagst du hoffnungsvoll, so als Abschluß. Gib mir eins dieser Adverbien.
Matthau: Trocken?
Wilder: Du sagst „trocken“, und dann blickst du auf. Du hast es gefunden. Und dann atmest du tief. Das ist das richtige Wort! Oder etwa doch nicht?
Lemmon: Wie wär’s mit „reumütig“?
Matthau: Trocken!
Lemmon: Sehnsüchtig? Geduldig?
Matthau: Finster!
Lemmon: Nein, eher scharf oder bitter. Ernsthaft. Feierlich. Nüchtern. Brüsk!
Matthau: Höhnisch!
Lemmon: Das ist es! Spöttisch…, skeptisch…
Matthau: Mit wilder Vorahnung!
Lemmon: Mit was?
Matthau: Ach, zum Teufel damit!
Lemmon: Es gibt ein Wort. Es klingt so ähnlich wie „tiefschürfend“.
Matthau: Streitsüchtig!
Lemmon: Das ist nahe dran.
Matthau: Schreib‘ irgendwas hin. Uns fällt später etwas Besseres ein.
Lemmon: „Harry: Wo bist du gewesen?“
Matthau: Gut. Machen wir weiter.
Lemmon: Es gibt ein besseres Wort. „Tiefschürfend“ oder so ähnlich.
Matthau: Streitsüchtig!
Lemmon: Das ist nahe dran.
Matthau: Säuerlich. Grimmig. Bitterlich. Himmlisch? Warum zerbrechen wir uns den Kopf? Kein Mensch liest Regieanweisungen.
Lemmon: Willst du Probleme am Set?
Matthau: Böse. Finster. Stirnrunzelnd. Seine Augenbrauen hebend.
Lemmon: Eine Augenbraue schiefsetzend.
Matthau: Er spitzt dabei die Lippen.
Lemmon: Er preßt die Lippen zusammen. Verkniffen. Lüstern. Geil.
Matthau: Vergiß es. Das bringen wir nie durch.
Lemmon: Brüsk. Streng. Nachdenklich. Vorwurfsvoll.
Matthau: Mit gemischten Gefühlen. – Warum müssen wir etwas hinschreiben? Drei Pünktchen tun’s auch.
Lemmon: Schauspieler können Pünktchen nicht lesen.
Matthau: Wie wär’s einfach mit „fragend“?
Lemmon: Das wäre eine Wiederholung.
Matthau: Eine Wiederholung? Wiederholend. Ernsthaft. Feierlich. Nüchtern.
Lemmon: Forschend. Das ist es! – O nein.

Wilder: Viele Filme habe ich angefangen, ohne wirklich den dritten Akt zu haben. Wir wußten, was es sein soll, aber wir haben uns verschätzt. Wenn man ein Script zu schreiben anfängt, muß man die Leute engagieren, die Bühne muß zur Verfügung stehen, der Dekorateur muß die Sets entwerfen. Aber wir waren noch nicht fertig mit dem Script. Wir haben einfach zu drehen angefangen.

Schlöndorff: Aber du hast auch systematisch dann gedreht in der Reihenfolge der Szenen?

Wilder: Ja. Naja, manchmal war’s ein bißchen sehr kitzelig, weil das erste Set am Ende kam, und wir hatten das noch nicht geschrieben. Dann mußten wir das Ende schreiben, aber davor waren 30 Seiten noch ungeschrieben.

Previews und final cut und alles ging da zusammen. Ohne ein lautes Wort. Wir waren da vielleicht 25 Jahre zusammen. Und Diamond blieb immer im Hintergrund. Ich mußte ihn am Arm nehmen und sagen: Das ist mein Mitarbeiter. Das ist mein executive producer.

„The Seven-Year-Itch“ (1955)
Schlöndorff: Bevor Billy Wilder Diamond kennenlernte, hat er noch einen Film gemacht nach einem Theaterstück mit dem Autor Feldman zusammen: „Das verflixte siebte Jahr“ mit Marilyn Monroe. Eine fabelhafte Zusammenarbeit, die ihn ermutigt und inspiriert hat, mit ihr später „Some like it hot“ zu machen, was dann sehr viel schwieriger wurde.

Wilder: Der Dreh an der Sache war, daß das Mädchen, das über ihm wohnt – das ist eine typische Stück-Idee: Es gibt eine Treppe; das war mal ein Doppelapartment, jetzt sind es zwei Apartments oben und unten –, aus einem einzigen Grund zu ihm kommt, denn er hat eine Klimaanlage und sie nicht. Das ist eine der guten Sachen in dem Film, der so lala ist: Sie sagt, daß sie ihre Unterwäsche im Eisschrank aufbewahrt. Im Eisschrank? Das ist doch schön, wenn man sich vorstellt, wie sie die eiskalten Höschen anzieht! Heute würde man einen Film machen mit zwei nackten Körpern, die sich wälzen. Man muß immer herausfinden: Ist das ihr Busen? Nein, es ist sein Knie. Man kann das nie nachahmen, weil man nicht weiß, wie sie das machen.
Eines Tages kam Marilyn so um elf Uhr. Und wir begannen um halb neun. Da habe ich ihr gesagt: Was ist los? Sie sagte: Ich konnte das Studio nicht finden. Ich habe mich verfahren – sorry. Dabei war sie hier schon sechs Jahre unter Vertrag. Karasek: Ganz ernsthaft? Wilder: Ja, ganz ernsthaft. Ich habe es auch ganz ernst genommen. Ich sagte: Vielleicht ist es besser, wir schicken dir einen Wagen. – Nein, nein! Schlöndorff: Sie fuhr immer selbst? Wilder: Ich glaube. Das Schlechte ist: Wenn man weiß, daß jemand nicht verläßlich ist, dann kann man sich darauf vorbereiten. Aber sie hat uns immer verblüfft. Sie kam immer mit etwas Neuem. Manchmal kannte sie einen acht Seiten langen Dialog. Sie war unberechenbar.

Karasek: Sie hatte etwas Exhibitionistisches in gewisser Weise, nicht wahr?

Schlöndorff: Habt ihr die Szene (die berühmte Luftschacht-Szene. Anm.) in New York auf der Straße geprobt?

Wilder: Ich sagte: Wir machen das noch einmal und gehen ins Studio.
(Bei anderer Gelegenheit hat Wilder erzählt, er habe für diese Aufnahme die Straße abgesperrt, aber jeder habe sich darum gerissen, in der Umgebung irgendetwas zu tun, wobei er hoffte, einen Blick auf Marilyn zu erhaschen. Anm.)

Schlöndorff: Hat sie dir ihre Probleme erzählt?

Wilder: Ich habe sie nicht dazu ermutigt. Wenn ich mich zu viel mit einem Schauspieler beschäftige und die anderen vernachlässige…

Schlöndorff: Abstand halten – das ist ganz typisch für Billy. Aus Anstand macht er das. Er will nicht, nehmen wir an, wie Elia Kazan zum Beichtvater, zum Übervater der Schauspieler werden. Er behandelt sie als Profis. Sie müssen ihre Sache machen, er macht seine. Ansonsten Abstand – das erleichtert das Leben.

Wilder: Im ersten Film war es einfacher. Da war der Feldman, der Producer, da war der Zanuck, der Obermacher im Studio, und da kam ich ein bißchen besser zurecht. Nachher, nach den vielen Dingen, die sich in ihrem Leben abgespielt haben… „The Seven-Year Itch“ war auch vor den Kennedys. Vielleicht lag es auch daran, daß ich jünger und geduldiger und daß sie jünger und disziplinierter war. Aber sie hätte noch schwieriger sein können als bei „Manche mögen’s heiß“. Ich hätte trotzdem mit ihr gedreht, wenn ich eine Rolle für sie gehabt hätte. Denn es zahlt sich aus.

„Some like it hot“ (1959)
(Wilder erzählt zunächst, wie er darauf kam, Marilyn Monroe für die Hauptrolle zu besetzen. Aber er redet hier Deutsch und Englisch so wild durcheinander, daß ich’s leider nur halb verstehen kann. Anm.)
Es war toll! Da gibt es eine Szene, eine schwere Dialogszene, in der Tony Curtis vorgibt, er sei der Erbe der Familie Shell. Eineinhalb oder zwei Seiten Dialog im Freien. Da gab es eine Marinestation, und alle zehn Minuten sind die geflogen. Ich sagte mir, es wird vier Tage dauern, zwischen den Flügen die Dialoge zu drehen. Als wir das zum zweiten Mal gedreht haben, war alles da. Nicht einen einzigen Buchstaben oder ein Komma vergessen – alles perfekt. Es hat 18 Minuten gedauert, nicht vier Tage, wovor ich Riesenangst hatte. Aber es gab andere Szenen, wo sie nur einen Satz zu sagen hatte („It’s me, Sugar.“), und das haben wir 83mal wiederholt! Nach der dreißigsten Aufnahme sagte ich: Wir nageln dir den Satz mit einem Reißnagel an die Tür. Sie kam herein und zog eine Schublade heraus und suchte nach dem Zettel. Da haben wir in jede Schublade einen Zettel gelegt – 83mal. Nach der sechzigsten Aufnahme sagte ich ihr: Entspann‘ dich. Reg‘ dich nicht auf. Sie: Worüber soll ich mich aufregen? Ja, wo ist das Problem? Curtis und Lemmon stehen da mit den hohen Absätzen, was einem Mann fürchterlich wehtut, nicht wahr? Dann fängt sie zu weinen an – zwischen den Aufnahmen mußte sie nochmal ganz neu geschminkt werden! Das dauerte 15, 20 Minuten.
Wenn sie ihren Text kann, dann ist sie perfekt. Da stimmt einfach alles, das Timing, die Stimmlage. Sie hatte ein Gefühl für die Pointe. Sie war kein Dilettant, sie war ein Naturtalent. Für diese Rolle gab es vielleicht 50 andere Schauspielerinnen. Die waren alle ganz gut, einige sogar technisch sehr gut. Aber keine wäre besser gewesen als Marilyn. Wir hatten zwei Jungs, die sie beide heiß begehrten. Sie war das Sexsymbol der Nation. Es war eine großartige Situation. Sie war kein normales Mädchen. Sie war das Pin-up-Girl des Jahrzehnts.

Schlöndorff: Warum war sie interessanter als all die anderen Schauspielerinnen? Vielleicht, weil ihr Leben voller Herausforderungen war? Zum Beispiel bei den Dreharbeiten zu „The Seven-Year-Itch“ – damals steckte sie mitten in der Scheidung von Joe DiMaggio. Sie hatte parallel zu ihren Filmen selbst ein sehr schwieriges Leben. Das sah man ihr wohl irgendwie an. Vielleicht war sie lebendiger, weil so viel in ihrem Leben los war.

Wilder: Sie war wohl kurze Zeit glücklich nach der Hochzeit mit Arthur Miller. Aber sonst steckte sie immer in Schwierigkeiten. Es war, als ob sie Probleme anzog wie das Licht die Motten. Sie hatte eine Begabung dafür, alles kompliziert zu machen. Sie war eine tragische Figur. Man kann Mitleid mit jemandem haben. Aber ich bin kein Arzt, sondern Regisseur. Und sie war engagiert, um eine Rolle zu spielen. Sie hatte unglaublich viele Ärzte. Analytiker, Psychiater, Hypnotiseure – sie hat alle ausprobiert. Irgendetwas war in ihr, irgendwelche Dämonen. Die waren schuld, daß sie ihren Text vergaß. Sie war irgendwie blockiert und konnte sich selten davon befreien.

Schlöndorff: Marilyn Monroes Tod hat Billy Wilder nicht überrascht, sagt er, denn er hatte das Gefühl, daß die letzten Jahre ihres Lebens schon sehr darauf hinausliefen. Was ihn überrascht hat, und zwar sehr unangenehm, war die Art und Weise, wie er es erfuhr, beziehungsweise nicht erfuhr. Er befand sich nämlich auf dem Flug von New York nach Paris und konnte also keine Zeitung lesen.

Wilder: Wir sind in Paris gelandet. Dort warten oft ein oder zwei Journalisten. Aber diesmal waren es acht. Mir war nicht klar, warum. Einer sagte: Reden wir ein bißchen über die Monroe. Ich erzählte ihnen, was ich euch gerade erzählt habe. Auf dem Weg vom Flugplatz zum Hotel sah ich dann die Schlagzeile. Die Journalisten hatten mir nichts vom Selbstmord der Monroe gesagt. (Das heißt, Selbstmord war zu der Zeit die gängige Erklärung. Bis heute ist aber umstritten, auf welche Weise MM zu Tode gekommen ist. Anm.) Ich hätte dann natürlich ein ganz anderes Interview gegeben. So klang alles sehr kalt und mitleidslos. Aber das war ein schmutziger Trick. Sie hätten es mir sagen müssen.

Schlöndorff: Man darf Stil nicht vermischen, hat Billy Wilder vorher erklärt. Wenn es eine Komödie ist, dann muß es auch anfangen wie eine Komödie, wenn es ein Drama ist, darf nicht in der ersten Szene gelacht werden. Nun hat er aber bei „Some like it hot“ etwas ganz Riskantes gemacht, denn er fängt mit einem Blutbad an. Warum? Es ist die Geschichte von zwei Männern, die sich als Frauen verkleiden, um in einer Damenkapelle zu spielen. Das, fand er, ist zu blöd, das trägt nicht. Es muß einen triftigen Grund geben, warum die sich verkleiden und warum die sich nicht entkleiden dürfen, und deshalb, meint er, braucht er das St.-Valentine’s-Day-Massacre am Anfang.

Wilder: Wir haben uns das überlegt, daß es eine Frage von Leben und Tod sein muß. Dann haben wir uns gesagt: Was machen die Gangster? Und dann kam uns die Idee: Zeugen des Blutbads, 1929 – ein berühmter Tag in der Geschichte Amerikas. Als wir das hatten, hatten wir eigentlich schon den ganzen Film. Die Scherze kamen, weil wir bereits den Hintergrund hatten.

Schlöndorff: Das war auch der erste Film mit Jack Lemmon.

Wilder: Wir hatten großes Glück, daß wir ihn und Curtis bekommen haben. Sie sind so unterschiedlich im Aussehen und in ihrer Art. Das mußten wir nur noch verstärken. Curtis mußte da erst hineinwachsen. Aber es ist gut, daß er etwas widerwillig war. Es wäre nicht gut gewesen, wenn beide tuntenhaft gewesen wären. Lemmon war hemmungslos, aber Curtis traute sich nicht einmal aus seiner Garderobe heraus. Lemmon mußte ihn bei der Hand nehmen und rausziehen.

Schlöndorff: Siehst du Lacher voraus? Wilder: Ja, man hat eine Ahnung. Trotzdem überrascht es mich immer, wo die größten Lacher kommen.

Schlöndorff: Du hast gesagt, daß man Pausen zwischen den Sätzen lassen muß. Also weißt du, wo ein Lacher kommt und wo man Zeit lassen muß.

Wilder: Absolut richtig. Aber der Regisseur darf auch nicht zuviel Zeit für die Lacher lassen. Denn sonst stirbt das Lachen ab. Und dann muß man den Karren wieder aus dem Dreck ziehen.

Schlöndorff: Hast du Lemmon deshalb diese Maracas gegeben? Falls die Leute nicht lachen?

Wilder: Nein, falls sie lachen. Ich kann so die Pointe verlängern. Und dann kommt erst der andere mit dem nächsten Satz. Wenn er sofort weitersprechen würde, würde sein Satz im Lachen untergehen. Durch den Geräuscheffekt kann ich die Pausen dosieren. Ich habe zwei Maracas bestellt. Der Requisiteur hatte sie. Sie können sich dabei nicht einfach anglotzen oder herumlaufen. Sehr langweilig. Also spielt er mit den Maracas, diesen Tango vom Abend vorher. Damit kann man den Rhythmus des Dialogs steuern. Wenn nötig, kann man auf die Großaufnahme von Curtis umschneiden. Aber ich hatte jede Menge Material mit den Maracas. So konnte ich die Pause nach jeder Pointe genau dosieren.

Schlöndorff: Was hat Jack Lemmon dazu gesagt? Wilder: Zuerst war er empört, daß ich eine seiner besten Szenen vermasselte. Aber dann hat er verstanden. Seither erzählt er, was für ein einfallsreicher Regisseur ich sei.

Schlöndorff: Ein einfallsreicher Regisseur ist Billy Wilder sicher. Denn da muß man erstmal drauf kommen, daß es ganz wichtig ist, in einer Komödie Platz zu lassen für das Lachen, ohne daß tote Momente entstehen. Er unterscheidet ja im Englischen zwischen „straight line“ und „punch line“. Die „punch line“ ist die Pointe, aber damit man die versteht, muß man den vernünftigen Satz, der vorhergeht, gehört haben. Damit der nicht überlacht ist, weil vorher eine andere Pointe war, und das Publikum in einem Saal mit 2000 Leuten ist ja viel lauter als das, was an Dialog von der Leinwand runterkommt, muß er also Pausen einbauen. Und damit diese Pausen wieder gefüllt sind, muß Jack Lemmon Maracas spielen.

Wilder: Du kannst die besten Pointen haben. Aber wenn man den Satz vorher nicht hört, sind sie nicht komisch. Man entwickelt ein Gefühl für das richtige Timing.

Schlöndorff: Zum Thema Lachen hast du einmal gesagt: Um Lacher zu bekommen, muß man eine Situation schaffen.

Wilder: Das ist wichtig für eine Komödie, in der man dauernd lachen soll. Ich mag nicht, wenn es nur alle fünf Minuten einmal einen Lacher gibt. Besser natürlich, als wenn es gar keine Lacher gibt. Aber es darf keine Pausen geben. Es muß wie ein Schneeball sein.

Schlöndorff: Wie bringt man den ins Rollen? Was muß die erste Einstellung sein?

Wilder: Da klettert Curtis an der Hotelfassade nach oben. Er kann nicht durch die Hotelhalle gehen. Schnitt. Auf dem Bett liegt Lemmon, als Frau verkleidet. Er hat diesen verträumten Blick. Etwas Wunderbares ist ihm passiert. Und er fängt an mit den Maracas. Dann kommt Curtis durchs Fenster. Dann der erste Satz von Lemmon: Du kannst mir gratulieren… Und ab da kommt die ganze Geschichte ins Rollen. (Wilder geht ans Regal, wo er seine Drehbücher aufbewahrt.)

Schlöndorff: Siehst du deine Werke als ein Gesamtwerk an? Wilder: Machst du Witze? Ah, hier ist das Drehbuch. Schlöndorff: Gibt es diese Atmosphäre des Lachens schon am Anfang der Szene?

Wilder: Ja, das haben wir versucht. (Er liest vor.) „Hi, Jerry. Alles in Ordnung?“ – „Ich habe dir viel zu erzählen.“ – „Was ist passiert?“ – „Ich bin verlobt.“ – „Wer ist die Glückliche?“ – „Ich bin’s.“ Und der andere: „Was?“ – „Osgood will mich im Juni heiraten.“ – „Du kannst Osgood nicht heiraten.“ – „Findest du ihn zu alt für mich?“ – „Das ist doch nicht dein Ernst.“ – „Aber er heiratet doch dauernd Mädchen.“ – „Aber du bist kein Mädchen. Warum heiratet ein Kerl einen Kerl?“ – „Wegen der Sicherheit.“ – „Leg dich hin. Du bist krank!“ – „Behandle mich nicht wie einen Idioten! Ich weiß, da gibt es ein Problem.“ – „Ja, ein großes!“ – „Seine Mutter! Aber sie mag mich, weil ich nicht rauche.“ – „Jerry, es gibt noch ein Problem. Was macht ihr in der Hochzeitsnacht?“ – „Wir haben schon darüber gesprochen. Er will an die Riviera, aber ich zu den Niagarafällen.“ – „Du bist verrückt. Wie soll das enden?“ – „Ich erwarte nicht, daß die Ehe lange hält. Ich sage ihm später die Wahrheit.“ – „Wann genau?“ – „Gleich nach der Trauungszeremonie. Er erklärt die Ehe für ungültig, und ich bekomme eine schöne Abfindung. Und jeden Monat Alimente.“ – „Jerry, es gibt Gesetze, Konventionen. Sowas wird einfach nicht gemacht.“ – „Aber das könnte meine letzte Chance sein, einen Millionär zu heiraten.“ – „Jerry, höre meinen Rat: Vergiß die ganze Sache. Sag‘ dir einfach immer wieder: Ich bin ein Mann, ich bin ein Mann.“ – „Ich bin ein Mann, ich bin ein Mann. Ich wünschte, ich wäre tot!“ - Diese ganze Szene, das sind im Drehbuch nur eineinhalb Seiten. Aber man spielt es wie eine längere Szene, ungefähr vier Minuten.

Schlöndorff: Das Vorlesen hat dir Spaß gemacht. Das Schreiben auch?

Wilder: Es macht immer Spaß, an etwas Solidem zu arbeiten. Wir waren beim Schreiben wie Kinder in einem Laden voller Süßigkeiten. Wir wußten, daß alles da ist. Wir mußten es nur herausgreifen. Diese Szene hätte fünfmal so lang sein können. Denn alles daran war lustig – die Situation war lustig.

Karasek: Du hast eine Atmosphäre geschaffen, in der einfach alles stimmt.

Wilder: Man muß das Publikum packen. Sie müssen mit den Figuren auf der Leinwand mitspielen. Es ist, als würde man sie an der Gurgel packen. Man muß immer fester drücken, man darf sie nicht entwischen lassen. Sie sollen nicht merken, daß es nur ein Film ist. Das schaffen nur wenige Filme, auch nur wenige von meinen Filmen.
Ein Film, der ein komplettes Ende hat, wo alles sich auflöst – das ist unmöglich. Es ist im Leben nicht so. Man sagt dann: Der wird versuchen, nicht mehr zu trinken; die werden versuchen, miteinander glücklich zu sein. Man weiß, die Swanson wird, nachdem sie in die Kameras gesagt hat: You beautiful people…, in ein Irrenhaus gehen. Und Jack Webb, der Freund von Holden, wird zu seiner Beerdigung gehen. Aber es ist nicht alles fertig verpackt mit Schleife drum. So einfach ist das Leben nicht. Doch man muß dem Zuschauer zeigen, wie es nach dem Filmende weitergeht. Du mußt ihm die Richtung geben, und die muß nach Möglichkeit optimistisch sein.
(Fortsetzung folgt)

Geändert von Peter L. Opmann (08.12.2023 um 09:12 Uhr)
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Alt 10.12.2023, 06:10   #1748  
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„The Apartment“ (1960)
Schlöndorff: Zu einer Fortsetzung von „Some like it hot“ ist es nicht gekommen. Aber Billy Wilders Begeisterung für Jack Lemmon war so groß, daß er nach anderen Stoffen für ihn gesucht hat und sich an eine Geschichte erinnert hat, die er in der Schublade hatte über einen Angestellten, der seinem Chef das Apartment vermieten muß am Abend, stundenweise, damit der dort seine Geliebte treffen kann, denn er ist verheiratet. Und in der Zwischenzeit muß der arme Angestellte im Central Park in der Kälte sitzen und holt sich dort einen Schnupfen.

Wilder: Ich hatte mir immer ein Großraumbüro mit 5000 Schreibtischen vorgestellt. Das filmte ich dann im „Apartment“. Aber 5000 Schreibtische an den Drehort zu bringen, war schwierig. Zum Glück hatte ich Herrn Trauner, diesen kleinen Zauberer. Er stellte 40 Schreibtische hin, dann 60 Schreibtische mit kleineren Menschen dran, dann noch kleinere mit Zwergen und ganz hinten kleine Pappfiguren. Es sah toll aus. So ein Büro gab’s nirgends.

Schlöndorff: War Jack Lemmon ein bißchen deine große Liebe? Du hast diesen Menschen gefunden und ihm immer wieder Rollen gegeben. Ist er eine Art zweites Ich für dich?

Wilder: Nein. Du könntest mich über ihn in jedem Film fragen – es ist immer dasselbe: Er ist der komplette Profi. Es gibt keinen, der seinen Beruf ernster nimmt als er.

Schlöndorff: Die Chemie zwischen Shirley MacLaine und Jack Lemmon funktioniert sehr gut. Wilder: Auch andere hätten gut zusammengepaßt.

Schlöndorff: Du hast sie in „Irma la Douce“ wieder zusammengebracht. Beide sind ein bißchen sprunghaft, verloren, erfolglos. Wilder: Es ist schwer, Lemmon eine starke Frau gegenüberzustellen.

Schlöndorff: Billy Wilder hat tatsächlich daran gedacht, Marilyn Monroe für die Rolle im „Apartment“ zu besetzen. Und nur die Schwierigkeiten bei der Arbeit zu „Some like it hot“ haben ihn davon abgehalten.

Wilder: MacLaine hat die Audrey, meine Frau, gefragt: Sagen Sie, glaubt wirklich jemand, daß das ein guter Film werden wird? – Naja, er bemüht sich, es so gut wie möglich zu machen, aber man weiß nie…

Karasek: Sie war sehr mißtrauisch. Aber darf ich zwischendurch was fragen: Du warst doch sozusagen auf dem Höhepunkt deines Erfolgs. Es war unmittelbar nach „Some like it hot“… Wilder: Der Höhepunkt meines Erfolgs ist immer der nächste Film!

Karasek: Aber du hattest doch einen tollen Ruf nach „Some like it hot“. Wilder: Naja, einen guten Ruf. Karasek: Aber sie war trotzdem mißtrauisch bei der Geschichte. Wilder: Es ist ja sehr leicht, über einen Film zu sagen: Der ist gut – oder schlecht. Es ist sehr schwer, wenn man ein Script liest. Man muß sich der Sache verschreiben. Eine sichere Antwort bekam sie erst ganz am Ende des Films.

Schlöndorff: Das war ja auch ihre Figur. Die war irgendwie verloren.

Wilder: Aber man muß sehr sicher sein, um ein unsicheres Mädchen zu spielen. Jemand, der dumm ist, kann nicht unbedingt gut einen Dummen spielen. Man muß auch sehr nüchtern sein, um einen Besoffenen zu spielen. Da gab es diese Szene in der Bar, wo sie mit Fred MacMurray redet. Das mußte ich richtig dirigieren, Satz für Satz. Ich hatte das nie vorher gemacht, aber wir hatten so viele Takes. Und ich glaube, es wurde dann auch ganz gut.

Schlöndorff: Sie muß enormes Vertrauen zu dir gehabt haben.

Wilder: Vielleicht. Ich kam immer gut mit ihr zurecht. Sie hat ihre kleinen Vergnügungen, die mich etwas verblüffen. Sie ist eine große Begabung. Nicht zu sehr beschäftigt mit dem, was sie gerade tut. Das finde ich sehr gut. Sie würde niemals sagen: Um halb acht muß ich ins Bett. Denn ich will gut aussehen für die große Szene morgen.
Lemmon weiß nicht, wem der Spiegel gehört, den er auf seiner Couch gefunden hat, und gibt ihn Fred MacMurray. Und dann gibt Shirley MacLaine ihm den Spiegel, als er einen Hut anprobiert. Das ist wirklich gelungen, wenn ich das selbst sagen darf. Er begreift plötzlich, daß sich sein Chef mit ihr trifft. Und wir können das in dem Objekt, dem zerbrochenen Spiegel, filmen. Aber sie weiß nicht, daß er den Spiegel gefunden hat.
Ich bin gegen Kamera-Mätzchen, diese kleinen Kunststücke. Aber eine elegante Großaufnahme kann manchmal etwas aussagen. Und das ist ein Beispiel für eine sehr durchdachte Einstellung: Wie sie die Pillen in Lemmons Arzneischrank findet. Wir benutzten dafür den Rasierspiegel. Sie findet die Pillen und nimmt sie. Man kann nicht sehen, was dabei in ihr vorgeht. Das ist auch so ein Filmgesetz: Es gilt für das Filmen von besonders starken Gefühlen. So etwas filmt man am besten von hinten. Die Kamera filmt dann also nur den Rücken des Schauspielers. Niemand kann das darstellen, was das Publikum sich vorstellt. Man kann Gefühle nicht so gut darstellen. Außerdem ist es ein bißchen peinlich, eine solche Szene zu beobachten.
Jemand erzählt etwas Schreckliches. Da kann man nicht sitzenbleiben. Da muß man einfach aufstehen und hin- und herlaufen. Da schaut man nicht auf das Gesicht des Redenden. Benutze das Messer, aber bohre damit nicht in der Wunde herum. Das gehört zu den schwierigsten Dingen beim Filmemachen: dem Zuschauer zu vermitteln, wann jemand eine Idee hat. Man versucht dies und jenes, aber nichts ist gut. Besser, wenn man beim Auftritt sagt: Ich hatte eine Idee – aber hinter den Kulissen, nicht auf der Bühne. Es ist schwer zu spielen und noch schwerer zu glauben.

Schlöndorff: Da gibt es noch einen wunderbaren Schnitt im „Apartment“. Sie entscheidet sich, zu wem sie gehen will. Da hast du plötzlich geschnitten. Und sie rennt durch die Straßen.

Wilder: Der Schnitt war so: Sie muß sich entscheiden, den Chef zu verlassen. Sie liebte ihn. Sie wollte, daß er sich scheiden läßt und sie heiratet. Aber jetzt wurde er von seiner Frau verlassen. Die Szene spielt bei der Silvesterfeier. Der Chef redet mit ihr, und sie überlegt sich immer: Soll sie bei ihm bleiben oder zu Lemmon zurückkehren? Lemmon packt inzwischen, wie wir vorher gesehen haben. Sie schwankt zwischen beiden. Um Mitternacht geht das Licht aus wie bei jeder Silvesterfeier, und man hört alle singen. Dann Schnitt auf den Chef mit dem Sektglas in der Hand. Als das Licht wieder angeht, sagt er: Auf dein Wohl! Und er guckt, und der Stuhl ist leer. Und dann schneiden wir auf sie, wie sie durch die Straßen läuft. Und es gibt noch eine kleine Wendung. Als sie die Treppe hinaufläuft, hört man einen Pistolenschuß. Sie hämmert an Lemmons Apartmenttür, und er öffnet mit einer Sektflasche, deren Korken eben abgesprengt ist.

Schlöndorff: Immer noch eine der ergreifendsten Szenen in Billys Filmen, dieses Ende vom „Apartment“. Übrigens haben auch hier der Held und die Heldin wieder die moralische Wahl im dritten Akt, ob sie der Karriere folgen, viel Geld machen und erfolgreich sind und sich dabei verlieren oder ob sie anständig bleiben, den Job verlieren, was in Amerika immerhin ein hoher Preis ist, und dafür die Hoffnung haben, vielleicht das Glück zu finden, etwas Glück. Und den Zuschauer mit etwas Hoffnung zu entlassen, ist glaube ich für Billy Wilder ganz wichtig in seinen Filmen.

(Billy Wilder und I. A. L. Diamond gewannen für das Drehbuch den Oscar. Anm.)

„Das Mädchen Irma la Douce“ (1963)
Schlöndorff: Er hat dann mit Shirley MacLaine noch einen anderen Film gedreht, fast ein Musical, wieder eine Ausnahme in seinem Werk, nämlich „Irma la Douce“, der ihn nach Paris zurückbringt und zwar direkt in die Rue Saint Denis ins Bordello.

Wilder: Das Realgymnasium – ich erinnere mich genau – hieß Juranek. Das war eine Schule für die Fremdenlegion. Auch der Zinneman ging ein paar Jahre da hin. Wenn du ein Problemschüler warst, gingst du zu Juranek. Das war in der Buchfeldgasse in der Josefstadt. Acht Jahre lang saß ich am Fenster, und gegenüber der Schule war ein Stundenhotel. Es hieß „Hotel Stadion“, es war in der Nähe der Stadiongasse. Acht Jahre lang habe ich mir angeschaut, wie da um neun Uhr, um halb elf die Paare hineingingen und herauskamen. Ich habe mir kleine Notizen gemacht: „Der Mann war nicht eine Stunde, sondern zweieinhalb Stunden oben.“ Ich habe mir versprochen: Wenn ich mal mit diesem Gymnasium fertig bin und in die Universität gehe – was ich dann nicht getan habe -, dann nehme ich irgendein Mädchen, und in dieses Hotel gehe ich! Als ich zehn, elf, zwölf war, habe ich noch nicht richtig verstanden. Ich dachte, das sind Ehepaare aus der Provinz, aber die haben keine Koffer gehabt. Aber ich habe mich immer gefragt. Was machen die da oben? Und dann hat man mir das erklärt.
Ein Film, der mit Huren beginnt, kann doch nicht ganz schlecht sein. Irgendwas muß schon dran sein.

Schlöndorff: Das mag stimmen, aber es war doch ein Haken an „Irma la Douce“. Es war nämlich ein Musical, das in Paris in einem ganz kleinen Theater bescheiden aufgeführt worden ist mit nur ein paar Tänzern und Sängern auf der Bühne. Und das nach draußen gebracht in die Rue Saint Denis war ein riesiger Aufwand und wurde zur riesigen Tanz- und Operettennummer. Und darin verlor die Geschichte sich. Und Billy Wilder hat das mit Entsetzen eigentlich erst im letzten Moment entdeckt, sagt er.

Wilder: Ich kann nicht zu Leuten gehen und sagen: ich hab’s mir anders überlegt. Ich dachte, es würde gut werden, und es ist auch nicht so schlecht geworden. Aber mir haben die Lieder nicht gefallen. Ich sagte: ich kann kein Musical daraus machen. Ich kann nur zwei oder drei Einlagen machen, wenn Shirley MacLaine auf dem Billardtisch tanzt.
Den Film wollte ich gern machen, weil ich angefangen hatte, eine Rolle zu schreiben für den Laughton. Und er hatte Krebs. Er sagte mir: Paß auf, ich habe mit dem Arzt gesprochen – was überhaupt nicht stimmte. Im September, Oktober bin ich wieder gesund, und im November kann ich zu drehen anfangen. Komm morgen vorbei, und wir sprechen miteinander. Sieh dir mal an, in welcher Verfassung ich bin. Also ging ich am nächsten Tag hin. Er saß in einem Stuhl am Swimming Pool mit einem Krankenpfleger. Er war befreundet mit einem Maskenbildner. Sie haben ihn angezogen, der Maskenbildner hat ein bißchen Rouge aufgelegt, damit er gesund aussieht. Und dann hat er noch genug Kraft gehabt, um einmal um den Pool herumzugehen und mir zu zeigen, daß es ihm besser geht. Es war die Vorstellung eines Mannes, der nicht nur mich, sondern auch sich selbst täuschen wollte. Ich sagte: Das geht nicht mit dem Laughton. Aber er war doch mein größter Anker!
Der Film war mein größter Erfolg in Deutschland. Und da wurde ich stutzig. Da wußte ich: Er ist nicht so gut. Es war eine Klamotte – das haben die doch so gerne. Leute kamen auf mich zu und sagten: Es hat mir sehr gefallen, aber es war doch nicht sehr französisch. Ich kenne doch Frankreich. Da sagte ich: Über welchen Film sprechen Sie? „Irma la Douce“. Das war nicht echt – sie kennen Frankreich sehr gut.

„Eins zwei drei“ (1961)
Schlöndorff: Witze über Deutsche mag er ja sowieso; sein Film „Eins zwei drei“ ist voll davon. Ein Film, der anfing und geschrieben wurde, bevor es die Mauer gab, und deshalb auch, als er herauskam, eine völlige Pleite war, denn niemandem war zum Lachen zumute über die Mauer. Erst Jahre später ist der Film dann zum Klassiker geworden, und so aktuell der Film in allem ist, vergißt man, daß er auf einem Theaterstück von Molnar basiert über einen Schweizer Bänker, dessen Tochter verheiratet werden soll. Also eine unmögliche Geschichte, die Billy Wilder umgeschrieben hat, und zwar über einen amerikanischen Coca Cola-Vertreter, der nun unbedingt das köstliche Getränk in den Ostblock bringen will.

Wilder: Der Film kam in Deutschland heraus, und er war kein Erfolg. Einige Leute wollten vielleicht ins Kino gehen, um ihn zu sehen. Aber am selben Tag lasen sie in der Zeitung schreckliche Nachrichten: Eine sechsköpfige Familie starb durch Stromstöße am Stacheldraht. Ein Mann wurde beim Fluchtversuch über die Mauer erschossen. Ein anderer wurde beim Durchschwimmen des Landwehrkanals erschossen. Die politische Lage war nicht gerade gut für den Film. Aber jetzt ist die Scheiße vorbei, und es ist ein Kultfilm geworden.

Schlöndorff: Mit dem Bau der Mauer war natürlich an Dreharbeiten in Berlin nicht mehr zu denken, schon gar nicht mehr am Brandenburger Tor. Und Billy Wilder hat einen Moment daran gedacht, den Film ganz abzubrechen. Angesichts des Kalten Krieges war diese Komödie vielleicht nicht das Richtige. Andererseits war schon so viel Geld ausgegeben, daß das Studio da nicht mitgemacht hat, und man beschloß, nach München zu fahren und dort von Alexandre Trauner perspektivisch verkleinert das Brandenburger Tor nachbauen zu lassen. Das hat ja dann auch noch jahrelang auf dem Gelände gestanden, und vom „Schlangenei“ bei Bergman bis zu „Berlin Alexanderplatz“ ist es immer wieder benutzt worden.

Wilder: Wenn du das Brandenburger Tor hast, brauchst du nicht mehr Ost-Berlin, denn Ost-Berlin sieht aus wie West-Berlin (das fand ich allerdings bei meinen Berlin-Besuchen vor 1989 nicht. Anm.) Da konnte man alles drehen, was man wollte.

Erinnerst du dich an den Cagney, wenn er einen Gangster gespielt hat? Oder „Yankee Doodle Dandy“? Er war wie ein Gockel: klein, aber aggressiv. Er erinnerte immer an ein Maschinengewehr. Er hatte das richtige Alter. Ein guter Schauspieler! Er hatte andere politische Ansichten als ich. Er war ein typischer Pionier-Amerikaner – ziemlich weit rechts. Ich komme ganz gut zurecht mit solchen Leuten. Sogar mit General James Stewart. Wir haben miteinander diskutiert. Ich kenne viele Leute, die politisch wie ich denken, die aber stinklangweilig sind. Ich will sie nicht sehen. Manch einer denkt, daß diese Welt ungerecht sei – was sie auch ist. Aber das heißt nicht gleich, daß ich etwas abgebe. Cagney war jedenfalls die richtige Besetzung. Die Liebesaffäre mit Liselotte Pulver war in seinem Alter noch glaubhaft. Man glaubte ihm auch seinen Ehrgeiz, und daß er über Leichen gehen würde. Man glaubte, daß er alles tun würde, um sein Ziel zu erreichen. Und sein Ziel war, die Nummer Eins von Coca Cola Europe zu werden. Ich habe während des Krieges mit eigenen Augen gesehen, wie die Armee einzog. Aber vor den Waffen und Panzern kamen die Lastwagen mit Coca Cola. Das ist eine sehr aggressive Firma.

Ich mußte noch eineinhalb Tage mit dem Buchholz drehen. Er hatte einen Tag frei und hat sich betrunken im „Vier Jahreszeiten“. Er fuhr gegen einen Baum, ist fast gestorben, hatte eine Operation im Spital. Acht Wochen war er zwischen Leben und Tod. Wir hatten noch diese Szene in Tempelhof, die wir drehen mußten – Tempelhof, aufgebaut im Goldwyn-Studio. Es gibt immer Todesfälle in meinen Filmen. Er ist mit einem weißen Cadillac in einen Baum – Wodka. Es hat zwei Monate gedauert, bis man Tempelhof wieder aufbauen konnte.

Karasek: Was machst du, wenn Schauspieler insistieren, daß sie wissen wollen, wie der Vater der Figur war oder so?

Wilder: Wenn ich Schauspieler engagiere oder mit Schauspielern arbeite, sage ich: Paß mal auf, das sind nicht die Zehn Gebote, eher zehn Vorschläge. Wenn du einen besseren Vorschlag hast, komm damit bitte zu mir. Aber sag‘ nicht am Set: Diese Figur kann ich nicht spielen. Komm zwei Tage vorher, damit wir das vorbereiten können. Die Zeit ist zu teuer, wenn wir schon auf der Bühne sind. Es ist sehr selten, daß jemand kommt mit einer Verbesserung, also daß er im Moment etwas Besseres weiß. Iz und ich haben neun Monate an dem Drehbuch geschrieben. Da können wir es nicht machen wie der Cassavetes, also improvisieren. Damit Improvisieren gut wird, muß man es sehr lange probieren.

Schlöndorff: Und betrifft das nur den Dialog, oder hast du auch die Handlungen und Gesten ziemlich weitgehend im Kopf?

Wilder: Der große Unterschied zwischen dem Inszenierungsstil von dem Fritz Lang und mir ist: Man fängt um neun Uhr an zu drehen; um acht oder halb acht kommen die Elektriker, Kameraleute, Requisiteure und die Schauspieler wegen der Maske. Er kam um fünf Uhr früh mit dem Script und mit Kreide. Überall, wo die Füße stehen, machte er einen Strich. Er hatte weiße und rote und grüne Kreide. Es wurde alles mechanisch vorbereitet. Und so hat es auch ausgesehen. Die Brigitte Helm ging da ganz steif durchs Bild. Und er sagte: Nein, das ist doch die weiße Kreide! Hier ist die rote, da die grüne! Der Fritz Lang hat alles genau geplant. Ich mache es ganz anders. Ich habe eine Szene, sieben Seiten, und gehe aufs Set, und wir lesen das und lesen es noch einmal. Und dann beginnen wir ganz langsam zu spielen, so, wie die Leute sich bequem fühlen, was aber auch möglich ist für die Kamera, damit ich nicht zu viel schneiden muß. Und dann, wenn die Leute meinen, das ist das Bequemste und Glatteste, kommt der Kameramann herein. Ich sage: Wir machen das, das und das, und dann kommt der Beleuchter. Und wenn die Leute mitgehen, drehen wir das.

Schlöndorff: Billy Wilder weiß auch am Set sehr gut kleine Regeln, wie er mit dem Team umgeht, wie er einen Tag aufhört und wie er den nächsten Tag wieder anfängt. Denn das bestimmt die Atmosphäre, die nachher den Film ausmacht.

Wilder: Wenn es so dreiviertel sechs wurde, dann hatte ich noch eine große Einstellung, die die Szene zuendebringt. Ich sagte: Das drehen wir morgen früh. Da wußten wir genau, was wir wollten. Da haben wir um neun Uhr angefangen mit einer Sache, die wir gerne gedreht haben. Auch beim Schreiben war es so: Blablabla – laß uns nach Hause gehen, damit wir morgen früh frisch anfangen können. Wir haben bereits eine Vorgabe und wissen, wie wir weitermachen. Das habe ich gern beim Drehen und auch beim Schreiben. Als der Doane Harrison noch gelebt hat, da nahm ich das Drehbuch und sagte zu ihm: Bitte hier, hier und hier schneiden. Und er sagte: Gib mir dafür doch auch eine Over-the-Shoulder-Einstellung, weil es dann etwas schneller geht. Oder: Dieser Schwenk ist nicht gut. Oder: Der Mann kommt aus der falschen Tür in der falschen Richtung. Das war also alles vorher erledigt. Am Ende der Woche konnten wir uns eine Sequenz ansehen, so daß wir immer auf dem Laufenden waren. Bevor eine Kulisse abgebaut wurde, hatten wir immer noch eine Chance. Und die Leute wissen ganz genau: Ich habe jetzt 26 Seiten in drei Tagen gedreht. Das ist sehr schnell. Aber ich habe ihnen gesagt. Es ist möglich, daß ich noch zurückgehe und zusätzliche Einstellungen drehe. Manche Regisseure drehen nur mit der Versicherungsgesellschaft, sie drehen dieselbe Szene acht Mal von verschiedenen Seiten.

Schlöndorff: Das heißt, du willst auch dem Schauspieler ersparen, daß er sich erschöpft und gar keinen Spaß mehr daran hat. Er muß den Eindruck haben: Diesmal kommt’s darauf an, und er muß sein Bestes geben.

Wilder: Ich vermeide immer zu Beginn einen long shot. Das sind Mätzchen der ungeübten Regisseure. Die fangen mit dem long shot an, und zum Schluß statt einer Abblende kommt der Mann mit einem schwarzen Anzug vor die Linse.

Schlöndorff: Aber du machst auch keine establishing shots, Totalen, sondern erst einen Teil der Szene, und allmählich entdeckt man: Ach, wir sind vor dem Haus.

Wilder: Richtig. Jede Einstellung hat einen Zweck und ein bißchen Stil. Aber die Produzenten wollen sehr sicher sein: Ich bin gedeckt. Ich habe die Szene von jeder Seite. Ich kann wegschneiden. Manchmal weiß ich: Das ist eine gefährliche Szene, wo ich mir einen Notausgang oder Noteingang offenhalte.

Schlöndorff: Aber die Produzenten haben gern ganz viel Material, denn dann können sie den Film auch ganz anders schneiden, als du wolltest.

Wilder: Das Schreckliche ist: wenn du den Film fertiggedreht hast und nach zwei Wochen zurückkommst, und der Cutter sagt dir: Also der und der waren in der Probevorführung und haben ein bißchen umgeschnitten. Und plötzlich ist der Film idiotisch. Manchmal kommt das vor. Je mehr Zelluloid es gibt, desto schrecklicher ist es, wenn es in ihre Hände fällt.

Schlöndorff: Ein guter Trick, um sich vor Produzenten zu schützen, die nachträglich den Film verändern wollen: Man dreht eben so knapp, wie es auch John Huston gemacht hat, daß es alles auf Schnitt ist und niemand es mehr ändern kann. Dazu muß man natürlich sein Handwerk verstehen.

Wilder: Der traurigste Moment im Leben eines Regisseurs ist, wenn er den ersten Schnitt sieht. Da will man immer Selbstmord begehen. Weil eine Szene fehlt, eine Überblendung fehlt, die Musik ist natürlich noch nicht da. Und du siehst dir das an und sagst dir: Ein Jahr habe ich verbracht, um dieses Scheißding zu drehen! Dann macht man’s ein bißchen besser, und es kommt ein bißchen Musik, und die technischen Sachen, die Überblendungen – dann habe ich den Film wieder lieber. Ein bißchen Rhythmus kommt rein. Manches sieht großartig aus, wenn du es drehst, und dann ist nichts auf der Leinwand. Und manchmal dreht man eine Szene mit jemand und sagt: Der ist ungeschickt, nicht elegant, und das ist zu leise! Und es sieht hinterher großartig aus.

Wenn man so alt wird, wie ich bin, wenn du in deiner Profession fünf oder sechs oder sieben Filme gemacht hast, die sehr viele Menschen nie vergessen werden und über die sie manchmal sprechen – das ist schon gut genug.

Schlöndorff: Zwei Wochen Gespräche mit Billy Wilder sind um, und so vieles ist noch unerwähnt geblieben. Zum Beispiel Billy Wilder, der Kunstsammler. Er hatte eine riesige Expressionisten-Sammlung bei sich zuhause, wenn sie nicht gerade als Leihgabe in Museen ist. Billy Wilder, der sich an Restaurants in Los Angeles beteiligt, zum Beispiel dem „Bistro“, das nichts anderes ist als die Dekoration aus „Irma la Douce“, die er mit Alexandre Trauner vom Studio Set an den Rodeo Drive verpflanzt hat. Es gibt Billy Wilder, den Drehbuchautor, der Bücher für andere Regisseure geschrieben hat. Und es gibt die vielen Drehbücher, die er für sich selbst geschrieben hat und die drehfertig in der Schublade liegen. Wir haben nicht mal über alle Filme gesprochen, zum Beispiel nicht über „Sherlock Holmes“, nicht über „Buddy Buddy“ und „Fortune Cookie“, beide mit seinen Lieblingen Matthau und Jack Lemmon. Wir haben nicht gesprochen über „Fedora“, das Pendant zu „Sunset Boulevard“, in dem ursprünglich Marlene Dietrich mitspielen sollte und das sein letzter Film mit seinem Freund William Holden ist. Wir haben nicht über so typische Wilder-Filme gesprochen wie „Avanti“ oder die Journalistensatire „Front Page“. Ich meine, eines haben sie alle gemeinsam: Stil und Witz. Und eines zeichnet sie alle aus: daß Billy Wilder der Unterhaltung niemals etwas opfert, nämlich die Wahrheit. Die Wahrheit über uns Menschen und wie wir miteinander umgehen.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.12.2023, 08:39   #1749  
Nante
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Wahnsinnsbeitrag. Werde ich mir jetzt zusammen "schweißen" und dann in ein paar Tagen noch mal am Stück lesen.

Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.
Nante ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.12.2023, 08:44   #1750  
Marvel Boy
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Am Stück lesen, ja, das werde ich auch tun, vermutlich zu den Weihnachtstagen wenn der Rest der Familie sich irgendeinen langweiligen neuen Film reinzieht.

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Marvel Boy ist offline   Mit Zitat antworten
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