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Alt 01.05.2023, 06:07   #1176  
Nante
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Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen

Also ich lese, daß die beiden Filme von 1944 und 1958 sind - also eigentlich keine Stummfilme.
Teil II wurde 1946 fertig; - gezeigt wurde er aber erst ab 1958.

Natürlich sind es keine Stummfilme, aber sie wirken ähnlich aus der Zeit gefallen wie Norma Desmond in "Sunset Boulevard", weil sie noch so viele Stilmittel des Stummfilms verwenden.

Ich kenne mich zugegeben in der russischen Geschichte recht gut aus. Das ist in diesem Fall aber eher hinderlich, denn Eisenstein hat weniger reale Geschichte als eine bestimmte Sichtweise darauf und vor allem einen Mythos verfilmt. Man sollte die Fime wirklich nur als Kunstwerk auf sich wirken lassen.

Das war wirklich mein letzter "Eisenstein", denn ansonsten kenne ich nur noch "Oktober" und das ist nun mal leider nur ein Propagandamachwerk, daß sich als historischer Bericht gibt. Hier müßte man wirklich auf die Verfälschungen hinweisen und da würde ich bei der Aufzählung kein Ende finden.
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Alt 01.05.2023, 06:21   #1177  
Peter L. Opmann
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Dann jetzt to something completely different, wie man so sagt...

„Eine Frau, die alles weiß“ (1957) von Walter Lang – diese DVD war ein Gelegenheitskauf. Zum einen kostete sie nur fünf Euro, zum anderen war das immerhin ein Film mit Katherine Hepburn und Spencer Tracy. Also dachte ich, da kann nichts schiefgehen. Es war der achte von neun Hepburn/Tracy-Filmen nach einer Pause von fünf Jahren. Das Paar scheint also nicht mehr so zugkräftig gewesen zu sein, und sie wirken beide auch persönlich etwas angejahrt. Es ist ein seltsamer Film; ich habe aber eine ganze Weile gebraucht, bis ich draufkam, woran das im einzelnen liegt. Die Komödie überrascht in einigen Aspekten positiv, weist aber auch ein paar Webfehler auf. Insgesamt finde ich den Film unterhaltsam.

Tracy ist ein Ingenieur für Arbeitsmethodik, der eines Tages in die Informationsabteilung (reference department) einer New Yorker Radiostation hereinschneit. In dieser Abteilung werden Informationsfragen aller Art der Hörer beantwortet. Er stellt allerlei Messungen und Untersuchungen an, ohne zu verraten, was genau er vorhat. Leiterin der Abteilung mit vier Mitarbeiterinnen ist Hepburn. Die Frauen arbeiten bislang mit einer großen Bibliothek und betreiben bei kniffligen Fragen Telefonrecherchen. Nach und nach freundet Hepburn sich mit Tracy an. Eigentlich ist sie mit Gig Young quasi verlobt, ihrem Chef. Der ist allerdings immer schwer beschäftigt und kümmert sich nur wenig um sie, was sie bisher klaglos hingenommen hat. Nun geht sie bisweilen mit Tracy essen; nach einem Regenguß nimmt sie ihn sogar mit in ihre Wohnung, wo beide von Young überrascht werden, der Hepurn darauf eine unschöne Szene macht.

Tracy braucht für seine geheimnisvolle Untersuchung mehrere Monate, schließlich kommt aber ans Licht, daß er in der Abteilung die Installation eines Computersystems plant, das künftig die Anfragen schneller und präziser beantworten soll, als das irgendein Mensch könnte. Die Mitarbeiterinnen bangen um ihren Job. Dies umso mehr, als die Stärken des Computers bei einer Vorführung allen offenbart werden. Tracy schränkt allerdings ein: Der Computer macht nur dann keine Fehler, wenn der Mensch, der ihn bedient, keine Fehler macht. Während der Weihnachtsfeier der Abteilung erhalten die Frauen ihre Lohntüte (damals noch buchstäblich), und darin findet sich zugleich ihre Kündigung – wie sie befürchtet hatten. Das wundert Tracy freilich. Zudem erweist sich, daß die neue Mitarbeiterin, die den Computer bedient, immer wieder Fehler produziert, weil ihr Allgemeinwissen sehr beschränkt ist und sie die Fragen nicht richtig eingeben kann. Aber wie ist es zu den Kündigungen gekommen? Auch in der Personalabteilung steht neuerdings ein Computer, und er hat durch falsche Bedienung die gesamte Belegschaft des Radiosenders entlassen. Der Computer, so wird jetzt klar, soll die Mitarbeiterinnen keineswegs ersetzen, sondern ihnen nur Routinearbeit abnehmen. Hepburn und Tracy sprechen sich aus und entdecken dabei (endgültig), daß sie sich lieben. Young, der eben zum Vizepräsident ernannt worden ist und nun um ihre Hand anhalten will, kommt zu spät.

Das Thema „Rationalisierung am Arbeitsplatz“ wird hier für meine Begriffe sehr früh angeschnitten. Ich glaube, in Deutschland kam das erst in den 1970er Jahren auf. Der Computer, um den es im Film geht, nimmt praktisch die Hälfte des Großraumbüros ein, blinkt und läßt Magnetbandspulen rotieren, auch wenn er als Fragenbeantworter schon ein wenig an ChatGBT erinnert. Die IBM hat an dem Werk beratend mitgewirkt. Wir sehen also offenbar tatsächlich Computertechnik, wie sie im Jahr 1957 möglich war. Positiv an dem Film aufgefallen ist mir zudem, daß er im Stil einer Screwball-Komödie inszeniert ist mit geschliffenen Dialogen in atemberaubendem Tempo. Auf der Negativ-Seite ist zu vermerken, daß die Liebesgeschichte leider nicht richtig funktioniert – trotz Hepburn/Tracy, die bekanntlich auch im wirklichen Leben ein Paar waren. Das hat wiederum mehrere Gründe. Zunächst sind sie zu alt für eine Romanze, wie man sie im Kino erwartet. Außerdem gibt es so gut wie keine amourösen Verwicklungen. Es ist von vorneherein klar, daß die Verbandelung von Hepburn mit Gig Young nicht klappen wird. Überhaupt fehlen Konflikte, die einem Film seine Würze geben. In dem hier gezeigten Büro herrscht eine bemerkenswerte Harmonie, und auch sonst sind in dem Radiosender weit und breit keine Charaktere zu entdecken, die irgendwelche Schwierigkeiten bereiten könnten. Selbst der Vorstandsvorsitzende ist ein gütiger Opa. Auch von den 50er-Jahre-Neurosen sieht man hier angenehm wenig – schon gar nicht bei Hepburn, die auffallend pragmatisch und lebenstüchtig wirkt. Das einzige Problem ist die latente Bedrohung durch den Computer. Vielleicht hat das die Kinozuschauer damals mächtig aufgeregt, während man sich heute mit der IT am Arbeitsplatz arrangiert hat.

Regisseur Walter Lang war ein Komödienspezialist in Hollywood, der aber nie besonders auf sich aufmerksam machen konnte. Sein bekanntester Film ist wohl das Musical „Rhythmus im Blut“ mit Marilyn Monroe (nicht zu verwechseln mit den Elvis-Vehikeln „Rhythmus hinter Gittern/Jailhouse Rock“ und „Mein Leben ist der Rhythmus/King Creole“). „Eine Frau, die alles weiß“ floppte an der Kinokasse und bekam auch zunächst keine guten Kritiken. Es ist (wieder mal) ein Film, der zuerst in Frankreich geschätzt wurde. Heute wird er laut wikipedia allgemein als gute Komödie angesehen und kommt bei rotten tomatoes bei 22 Kritiken auf 100 Prozent. Dieser Wert würde durch meine Kritik zumindest wieder auf 95 Prozent zurückgehen…
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Alt 01.05.2023, 06:51   #1178  
Marvel Boy
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Hört sich interessant an, von der Computerseite.
Komödien sind selten meins. Aber auch wenn das mit dem Computer keine SF ist so gehört es doch im weiten Umfeld dazu denn damals war das für viele noch eine Version der Zukunft.

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Alt 01.05.2023, 07:25   #1179  
Peter L. Opmann
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Hier gibt's halt keine Personal Computer. Vielleicht ist den Leuten damit erst klargeworden, daß der Computer sie auch ersetzen kann. Den ersten funktionierenden Rechner baute Konrad Zuse ja bereits 1941.

Wenn Du keine Komödien magst, ist der Film was für Dich, denn als Komödie ist er eher ein Rohrkrepierer...
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Alt 01.05.2023, 07:57   #1180  
Marvel Boy
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Alt 02.05.2023, 06:17   #1181  
Peter L. Opmann
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Hier eine Doku, die zum letzten Film paßt: „Spencer Tracy. Eine Würdigung von Katherine Hepburn“ (1985) von David Heeley. Die Doku ist mir ein bißchen zu glatt. Ich kann mir vorstellen, daß Hepburn gern die Rolle des Host übernehmen wollte, aber sie ist nicht die beste Wahl, weil sie sicher manches über ihr Verhältnis zu Tracy nicht erzählen wollte. Trotzdem bekommt man einen ganz guten Überblick über seine Karriere, an der sie ja auch nicht unwesentlichen Anteil hatte.

Sie bescheinigt ihm zunächst technische Perfektion als Schauspieler. Er sei menschlich „rein, erdverbunden und verläßlich“ gewesen. Elisabeth Taylor drückt es so aus: „Sein Schauspielen schien fast ohne Anstrengung. Er drückte alles mit den Augen und den Gesichtsmuskeln aus.“

Zu Beginn werden Ausschnitte aus „Stadt in Angst“ (1955), „Wer den Wind sät“ (1960) und „Die Kraft und die Herrlichkeit“ (1933) gezeigt. Über den letzteren Film sagt Joanne Woodward: „Die Darstellung des älteren Mannes war so, wie er selbst wurde.“

Es folgt ein Ausschnitt aus „Ich und mein Mädchen“ (1932). Spencer Tracys Vater war Ire, seine Mutter kam „aus den Kolonien“ (so drückt es Hepburn aus). Er schloß sich auf der High School einem Debattierclub an, fand Spaß an der Schauspielerei und trat in die American Academy of Dramatic Arts in New York ein. Das Stück „Die letzte Meile“ (1933) brachte den Durchbruch am Theater. Dort wurde er von John Ford entdeckt, der ihm einen Vertrag bei der Fox verschaffte. Er drehte unter anderem „Flußaufwärts“ (1930) unter der Regie von Ford und „Schnelle Millionen“ (1931). In vier Jahren war er in 23 Filmen vertreten.

Tracy hatte ein Alkoholproblem, weshalb er von der Fox gefeuert wurde. Aber er erhielt sofort einen Vertrag bei MGM. Filme dort waren unter anderem „Riff Raff“ (1935) und „Lustige Sünderin“ (1936). MGM erfand das Gespann Clark Gable – Spencer Tracy, erstmals zu sehen in „Der Draufgänger“ (1940). Stanley Kramer: „Gable war das Sexsymbol seiner Zeit, aber das Publikum war stets auf Tracys Seite. Tracy war der einfache Mann von der Straße mit all seinen Schwächen.“

„Testpilot“ (1938) und „San Francisco“ (1936), wofür Tracy erstmals für den Oscar nominiert wurde. „Blinde Wut“ (1936); „Manuel“ (1936) – für diesen Film erhielt Tracy den Oscar. Eine ähnliche Rolle spielte er noch einmal in „Der alte Mann und das Meer“ (1958). John Sturges: „Er hat die Erzählerstimme in 40 Minuten glatt durchgesprochen, ohne sich einmal zu verhaspeln.“ Robert Wagner: „Er schuf einen neuen, natürlichen Darstellungsstil.“

„Teufelskerle“ (1938). Mickey Rooney: „Wenn man im Film mit ihm sprach, sah er einem direkt in die Augen und reagierte nur auf den Partner. Daran erkennt man einen guten Schauspieler.“ Seinen Oscar für diesen Film gab er an Pater Flanagan weiter, den er verkörpert hatte. Hepburn: „Seine katholische Erziehung war tief in ihm verwurzelt. Aber ich glaube nicht, daß er regelmäßig in die Kirche ging.“

Es folgen Ausschnitte aus „Der Teufel kommt um vier“ (1961), „Der große Edison“ (1940) und „Arzt und Dämon“ (1941). Hepburn: „Er war nicht glücklich mit seiner Darstellung von Dr. Jekyll und Mr. Hyde.“

„Die Frau, von der man spricht“ (1942). Sein erster Film mit Hepburn. Sie erinnert sich, daß sie ihn zum ersten Mal vor dem Thalberg-Gebäude traf. Sie trug hochhackige Schuhe und war so etwas größer als er. Sie sagte: „Beim nächsten Mal ziehe ich flachere Schuhe an.“ Darauf er: „Keine Sorge, ich werde Sie schon auf die richtige Größe zurechtstutzen.“ Ein weiterer Hepburn-Tracy-Film: „Zu klug für die Liebe“ (1945).

Angela Lansbury: „Es kam einem fast so vor, als verständigten sich Hepburn und Tracy durch eine Geheimsprache. Dadurch gelangen ihre komischen Szenen so perfekt.“ Garson Kanin: „Sie waren sich in jeder Beziehung ebenbürtig.“ Hepburn: „Das Publikum akzeptierte Spence und mich als das typische amerikanische Ehepaar.“ Ausschnitt aus „Pat und Mike“ (1952).

Hepburn: „Er verlor nie das Interesse am Theater. 1945 hatte er da seinen letzten Auftritt. Allerdings war der Einfluß des Theaters gelegentlich noch spürbar.“ Ausschnitt aus „Theaterfieber“ (1953).

Charles Champlin: „Er spielte Komödien als Schauspieler, nicht als Komiker.“ Ausschnitt aus „Vater der Braut“ (1950).

Hepburn: „Es gab auch ein paar ernste Filme, besonders während des Zweiten Weltkriegs.“ Ausschnitte aus „Die ganze Wahrheit“ (1942), „Endlos ist die Prärie“ (1947), „Die Lage der Union“ (1948), „Stadt in Angst“ (1955). Tracy ging mit dem Drehbuch hinaus in die Wüste und las es sich laut vor, das gesamte Drehbuch, um in die Handlung hineinzukommen, fünf Tage lang. Dann legte er das Drehbuch weg und warf nie wieder einen Blick hinein. Das war sein letzter Film für MGM. Tracy wurde unabhängiger Schauspieler.

„Wer den Wind sät“ (1960) war der erste von vier Filmen mit Stanley Kramer als Regisseur. „Das Urteil von Nürnberg“ (1961); „Rate mal, wer zum Essen kommt“ (1967). Sidney Poitier: „Bei den Dreharbeiten war er sehr krank. Aber wenn er da war, war er völlig präsent.“ Einige Wochen nach dem Ende der Dreharbeiten war er tot. Hepburn: „Ich bekam einen Oscar, aber ich fand immer, daß er für uns beide gedacht war.“

Hepburn: „Es war schwierig, in seinen Kopf einzudringen. Er mochte zum Beispiel keine Proben. Über seine Probleme sprach er ungern. In seinem eigenen Leben war er nicht zuhause, aber er konnte jemand anders sein.“
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Alt 03.05.2023, 15:47   #1182  
Phantom
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Heute stelle ich einen Stummfilmklassiker vor: Foolish Wives (1922) von Erich von Stroheim. Stroheim kam in diesem Thread schon vor, z.B. hier.

Wie üblich im Kino kommt zuerst Werbung: Ich habe den Film letzten Sonntag im Filmhauskino Nürnberg gesehen (tolles Programmkino, falls mal jemand in der Nähe ist) mit Live-Pianobegleitung von Richard Siedhoff (ein ganz toller Pianist, der in vielen Spielstätten Stummfilme improvisatorisch begleitet, bisweilen Musik zu Stummfilmen komponiert und u.a. die wiederkehrenden Weimarer Stummfilm-Restrospektiven mitorganisiert).

So, noch jemand Eiskonfekt? Nein? Gut, dann geht’s los.

Stroheim führte Regie, schrieb das Drehbuch und spielte die Hauptrolle. Er hat den Film bei Universal realisiert und dabei jegliche Zeit- und Budgetvorgaben gesprengt; am Ende wurde sogar Werbung gemacht damit, dass es sich um den ersten „Million-Dollar-Movie“ handelte. Ursprünglich sollte der Film über 4 Stunden dauern, das war jedenfalls Stroheims Idee, die anderen Verantwortlichen fanden die Idee aber nicht so gut. Es gab mehrere Schnittfassungen zwischen anderthalb und zweieinhalb Stunden, die meisten davon sind verschollen, ein paar wenige haben überlebt, und aus denen haben das MoMA und das San Francisco Silent Film Festival vor ein paar Jahren eine Fassung restauriert, die nun ca. 143 Minuten lang ist. (Gibt es auch vollständig auf Youtube.) Verglichen mit dem Film, den sich Stroheim vorstellte, ist sie aber immer noch ein Torso.

Wir sind in Monte Carlo im Jahr 1919, der Krieg ist wenige Monate vorbei, in Monte Carlo lebt man in Saus und Braus. In eine Villa am Meer hat sich der russische Graf Karamzin (Stroheim) mit seinen Kusinen Vera und Olga einquartiert. Die drei sind in Wahrheit keine Adeligen, vielleicht auch keine Russen, möglicherweise auch keine Kusinen; es sind Hochstapler, die den Reichen und Schönen das Geld aus der Tasche ziehen und dadurch auf großem Fuß leben. Vom Geldfälscher Ventucci, der sie in ihrer Villa aufsucht, kaufen sie eine Menge Blüten. Ventucci hat eine geistig behinderte Tochter, der Karamzin schöne Augen macht. In der Villa lebt die Hausangestellte Maruschka, auch ihr macht Karamzin schöne Augen, hat ihr sogar die Ehe versprochen (ohne in Wahrheit im Traum daran zu denken).

Nun kommt der neue Botschafter der USA nach Monte Carlo, zusammen mit seiner Frau Helen (die rund 20 jünger ist als er). Karamzin und seine Kusinen wittern Geld, das bei einem US-Botschafter sicher zu holen ist. Karamzin wittert zusätzlich eine schöne, junge Frau, also macht er sich an den Botschafter und dessen Frau heran, was ihm durch seine Darstellung eines russischen Adeligen auch gelingt. Er schafft es, Helen zu einem Ausflug zu überreden, ohne dass der Botschafter, ihr Mann, Verdacht schöpft. Während des Ausflugs kommt ein Unwetter auf, Karamzin und Helen retten sich in eine Hütte, in der ein altes Mütterchen mit ihrer Ziege lebt. Der Sturm dauert an, man muss wohl in der Hütte übernachten. Karamzin ist kurz davor, sich an Helen zu vergehen, da platzt ein Mönch in die Hütte, der ebenfalls einen trockenen Unterstand sucht. Nichts wird es vorerst mit Karamzins Absichten. Am Morgen ist der Sturm vorbei, man begibt sich wieder nach Monte Carlo.

Karamzin besucht den Fälscher Ventucci im Armenviertel, er betrachtet lüstern dessen Tochter, die in ihrem Bett schläft, kauft aber Ventucci nur weitere Blüten ab und verschwindet wieder. Zu Hause in der Villa bedrängt die Magd Maruschka Karamzin, er möge sie doch jetzt endlich wie versprochen heiraten. Karamzin flüchtet sich in die Lüge, er könne es im Moment nicht, weil ihm gerade jegliches Geld fehlte, wolle sie aber natürlich heiraten, sobald es ihm wieder besser ginge. Er bringt Maruschka sogar dazu, ihm ihr gesamtes Erspartes zu übergeben.

In der Villa richten Karamzin und die beiden Kusinen ein privates Casino aus; die gesamte Stadt scheint gekommen zu sein, um sich zu vergnügen, um echtes Geld an den Spieltischen zu lassen und Ventuccis Blüten als vermeintliche Gewinne nach Hause zu nehmen. Karamzin schafft es, Helen unter einem Vorwand allein im Turmzimmer der Villa zu treffen. Er will ihr Geld aus der Tasche ziehen und hat sicher auch noch weitergehende Absichten. Zur Magd Maruschka sagt er, er wolle nicht gestört werden. Daraufhin erkennt Maruschka endlich, dass Karamzin es mit ihr nicht ernst meint; sie ist rasend vor Wut und Eifersucht, schließt Karamzin und Helen im Turmzimmer ein und legt Feuer. Der Turm brennt, die Tür ist verschlossen, vom Balkon rufen Karamzin und Helen um Hilfe. (Maruschka stürzt sich derweil von den Klippen ins Meer.) Die Feuerwehr kommt, spannt ein Rettungstuch; natürlich springt Karamzin als erster. Aber auch Helen kann noch gerettet werden. Sie erkennt schließlich auch, dass Karamzin nur ein Betrüger ist und kehrt (auch emotional) zu ihrem Mann, dem Botschafter, zurück.

Helen und Maruschka sind für Karamzin verloren. Er begibt sich in seiner Frustration nächtens zum Haus des Fälschers Ventucci, klettert die Hauswand hinauf, um (mit eindeutigen Absichten) in das Zimmer von Ventuccis Tochter zu gelangen. Ventucci erwacht rechtzeitig und tötet Karamzin (wie genau, ist in der vorliegenden Fassung nicht zu sehen). Er zieht ihn hinaus und wirft die Leiche in die Kanalisation. Ende.

Stroheim hat mit diesem Film auch ein bisschen seine eigene Geschichte erzählt: er kam aus Österreich in die USA und hat sich dort neu erfunden, das "von" in "von Stroheim" hat er sich erdichtet. Sehr viel über ihn ist nicht gesichert bekannt, verschiedenen Journalisten hat er wohl immer wieder verschiedene Geschichten erzählt. Es gibt zwei Biografien über ihn, ich habe aber keine davon gelesen. Nach der Stummfilmzeit hat er weiter als Schauspieler gearbeitet, aber meist ohne große Erfolge. Wir kennen ihn natürlich alle als Butler und Chauffeur von Norma Desmond in „Sunset Boulevard“, eine großartige späte Rolle.

Interessantes Detail: Im Vorspann heißt es "Buch Erich von Stroheim nach seinem Roman Foolish Wives"; so einen Roman gibt es aber gar nicht, reine Erfindung von Stroheim. Zudem liest Helen im Film in mehreren Szenen in einem Buch mit dem Titel "Foolish Wives von Erich von Stroheim."
Phantom ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.05.2023, 16:13   #1183  
Peter L. Opmann
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"Kusine" war damals das übliche Codewort für "Mätresse".

Eine Biografie über Stroheim müßte ich auch mal lesen. Ich kenne nur die ausführliche Doku "Erich von Stroheim - the Man you love to hate" (1979). Ich habe ihn immer als Künstler gesehen, den stupide Filmstudios daran gehindert haben, seine Kunst zu verwirklichen. Aber er war wirklich maßlos, so daß ich inzwischen auch ein bißchen Mitleid mit Produzent Irving Thalberg habe. Stroheim sagte einfach: "Wenn Sie mich als Regisseur feuern, dann haben Sie auch keinen Hauptdarsteller mehr" (und müssen den Film entweder abschreiben oder ganz von vorne nochmal drehen).

Ich glaube, "Närrische Frauen" war ein sehr großer Erfolg, aber danach hat sich kein Studio mehr darauf eingelassen, Stroheim in seinen Filmen auch die Hauptrolle spielen zu lassen. Und dann haben sie ihm irgendwann die Regie weggenommen und den Film von einem anderen Regisseur fertigstellen, beziehungsweise zurechtkürzen lassen.

Ich habe den Film bei der Berlinale 1994 gesehen - ist natürlich schon eine ganze Weile her. Stroheim wollte absoluten Realismus, er hat Monta Carlo im Studio minutiös nachbauen lassen. Und er interessierte sich nicht für Genres und ihre Regeln. Die Figuren bei ihm waren gut und böse zugleich, von Leidenschaften getrieben und in Schuld verstrickt. Das gab es nach ihm nur noch selten.
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Alt 03.05.2023, 16:50   #1184  
Servalan
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Nach der Stummfilmzeit hat er weiter als Schauspieler gearbeitet, aber meist ohne große Erfolge. Wir kennen ihn natürlich alle als Butler und Chauffeur von Norma Desmond in „Sunset Boulevard“, eine großartige späte Rolle.
Berühmt geworden ist er auch mit seiner Rolle als Festungskommandant von Rauffenstein in Jean Renoirs „Die große Illusion“ (1937), eine Hauptrolle, die er mit einem Stiffneck spielte. Der französische Film zählt zu den Meisterwerken der Filmgeschichte. Der hat schon Szenen, die sich ins Gedächtnis brennen.
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Interessantes Detail: Im Vorspann heißt es "Buch Erich von Stroheim nach seinem Roman Foolish Wives"; so einen Roman gibt es aber gar nicht, reine Erfindung von Stroheim. Zudem liest Helen im Film in mehreren Szenen in einem Buch mit dem Titel "Foolish Wives von Erich von Stroheim."
Stroheim hat auch Romane geschrieben, die sind aber meist in Frankreich erschienen.

Von seiner Persönlichkeit hat Stroheim wohl schon etwas von einem einschüchternden Hochstapler. Er hat eine Großspurigkeit an sich, die ich mit der Atmosphäre der untergegangenen k.u.k.-Monarchie verbinde.
Was bei ihm Wahrheit ist und was bloß zusammengesponnen, das läßt sich heute nicht mehr trennen - jedenfalls eine faszinierende Persönlichkeit mit Ecken und Kanten.
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Alt 03.05.2023, 17:31   #1185  
Peter L. Opmann
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In dem von mir erwähnten Film über Stroheim sagt jemand, daß man in Hollywood eben jemand sein mußte, um sich durchzusetzen. Stroheim begann als Assistent von David W. Griffith, und um an seinem Film "Alt-Heidelberg" mitwirken zu können, flunkerte er ihm vor, er habe in Heidelberg studiert.

Das "von" hat er sich aber direkt bei der Einwanderungsbehörde zugelegt. Wenn man damals als Immigrant nach USA kam, konnte man wirklich ganz neu anfangen und sich auch eine neue Biografie geben. Viele haben bei dieser Gelegenheit ihren Namen geändert.

Manches läßt sich bei Stroheim aber einfach nicht mehr klären - etwa ob er in Europa beim Militär war (er war ja immer von Uniformen und dem Kommiss fasziniert) oder ob er katholisch oder jüdischstämmig war (vielleicht beides).
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Alt 03.05.2023, 17:48   #1186  
Servalan
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Zumindest die Erwachsenen konnten sich selbst erfinden, wenn sie sich denn am Schalter verständigen können. Eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte zeigt den schüchternen neunjährigen Vito Andolini, der sich verlegen etwas zurechtstammelt, was dann jemand anders für ihn übersetzt. Der freundliche Helfer in „Der Pate – Teil II“ (1974) übergeht dabei die Tatsache, daß Vito nur aus der Gemeinde Corleone stammt, und diktiert dem Beamten den neuen Namen in das Dokument.
Diese ironische Szene findet ihr Echo in der Trilogie, wenn jemand fragt, wieso die Familie so heißt wie das Dorf in den sizilianischen Bergen. Das finde ich schon einen satirischen Kommentar auf den American Dream von Francis Ford Coppola und Mario Puzo ...
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Alt 03.05.2023, 20:17   #1187  
Phantom
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Ich will noch ergänzen, dass der Titel "Foolish Wives" eigentlich nicht passt. Es gibt fünf wesentliche weibliche Rollen im Film. Die beiden "Kusinen" von Stroheim sind gerissene Betrügerinnen, nicht "foolish". Die geistig behinderte Tochter des Fälschers ist sicherlich nicht "foolish", nur bemitleidenswert. Die Magd, der Stroheim die Ehe versprochen hat (möglicherweise hat er sie sogar geschwängert, das würde erklären, warum sie jetzt ganz vehement auf die Ehe pocht), ist ein bedauernswertes Opfer und auch nicht "foolish". Die Frau des Botschafters ist sehr jung, vielleicht naiv und lässt sich von den Uniformen Stroheims blenden; ob das "foolish" ist, darüber lässt sich streiten.

Mich hat erstaunt, wie deutlich in dem Film auf das sexuelle Verlangen Stroheims eingegangen wird. Man sieht natürlich keine Nacktszenen, aber allein die Blicke Stroheims, wenn er sich beim Betrachten möglicher Beute mit der Zunge über die Lippen fährt, sagen alles. Wir schreiben 1921/22, das ist genau die Zeit des Arbuckle-Skandals. Es folgt der Hays-Code, und Prüderie zieht ein in Hollywood.
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Alt 03.05.2023, 21:37   #1188  
Peter L. Opmann
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"Foolish Wives" ist nicht der ursprüngliche Titel des Films, sondern das war "The Pinnacle". Universal-Chef Carl Laemmle mochte den Titel nicht, weil er immer ein Kartenspiel namens "Pinnocle" spielte und meinte, das Publikum würde dadurch verwirrt.

Ich glaube, "Foolish Wives" spielt auf Stroheims ersten Film (als Regisseur) an, der "Blind Husbands" hieß. Der Plural weist darauf hin, daß das allegorisch gemeint ist. Also etwa: "So geht es zu bei törichten Frauen."
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Alt 04.05.2023, 09:04   #1189  
Peter L. Opmann
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Dann fasse ich mal die Doku über Erich von Stroheim zusammen: „Der Mann mit dem bösen Blick“ (1979) von Patrick Montgomery. Durch sie habe ich Stroheim kennengelernt, und ich finde sie noch immer gut gemacht. In Abschnitten ist sie auch in youtube zu finden.

Paul Kohner, Produzent: Ich ging zu Stroheim und fragte nach dem Drehbuch. Er kam mit zwei Büchern wieder, jedes so dick wie ein Telefonbuch. Ich sagte: Von, du bist verrückt geworden!

Die Kritiker in aller Welt schätzten ihn als Künstler, dessen Ideen seiner Zeit und Hollywood weit voraus waren. Erich von Stroheim prahlte, daß seine Filme erst in 20 Jahren richtig verstanden werden würden. Heute existiert keiner seiner Filme mehr in der von ihm gewollten Form.

Marcel Dalio, Schauspieler: Er wußte, daß er jemand war, denn er hatte sein ganzes Leben daran gearbeitet, jemand zu werden. Er ist seine eigene Erfindung, sein eigener Vater – und Mutter. Keine Frau, keine Freunde, verheiratet mit von Stroheim, verliebt in von Stroheim. Aber er hat dafür bezahlt.

Leonard Spiegelgass, Filmwissenschaftler: In Hollywood konnte man nicht einfach irgendwer sein. Man mußte Stil haben und gesellschaftliche Position – und beides hatte sicher Von.

„Geburt einer Nation“ (1914)
Erich von Stroheim war einer der Soldaten in Griffiths Armee. 1909 war er aus Österreich nach Amerika eingewandert, und dies war seine erste Begegnung mit dem Film. Von Stroheim gehörte von da ab zum festen Team des Regisseurs als Assistent und Kleindarsteller.

Stroheim: Griffith engagierte mich als Regieassistent für den damals berühmten Bühnenregisseur John Emerson.

„Alt-Heidelberg“ (1915)
Von Stroheim spielte eine Nebenrolle und war technischer Berater. Er hatte Emerson vorgemacht, daß er in Heidelberg studiert hätte.

„Intoleranz“ (1915)
Von Stroheim spielte eine kleine Rolle und war Assistent des Filmarchitekten. Er trug Ideen bei, die später in seinen eigenen Filmen wiederkehren: die erotische Symbolik in der Wohnung des Verführers, die Geranie als Symbol der Hoffnung. Unter Emerson spielte von Stroheim dann immer bessere Rollen. Er trat auch in vielen Filmen mit Douglas Fairbanks auf.

1917 machte sich Amerika zum Eintritt in den Weltkrieg bereit, und Hollywood mobilisierte mit. Für einen Schauspieler, der einen „Hunnen“ überzeugend darstellen konnte, brachte der Krieg Chancen.

„Hearts of the World“ (1917)
Das war der Wendepunkt in seiner Karriere. Von Stroheim hatte ein neues Image gefunden: Der Mann, den zu hassen Spaß macht.
Sam Marx, Filmproduzent: Der Titel kam an. Er paßte in die Zeit. Als ich Von dann persönlich kennenlernte, wurde mir klar, daß er kein harter, schwieriger Mensch war. Aber das Image kam ihm gut zupaß.

Valerie von Stroheim, Schauspielerin und Ehefrau: Ich spielte die Fahrerin eines Lazarettwagens, und Erich fragte mich: Wo kommt dieser Wagen her? Ich sagte: Von der Front. Darauf Erich: So sauber? Dann nahm er eine Handvoll Dreck und warf sie gegen den Wagen: Jetzt sieht er aus, als ob er von der Front kommt. Ich dachte bei mir: Mit dem Kerl stimmt was nicht. Aber er hatte erreicht, daß ich auf ihn aufmerksam wurde. – Ich wußte nicht, was er als Schauspieler gemacht hatte. Also nahm er mich eines Tages in einen Film mit, in dem er mitspielte. Als er als Offizier die alte Dame totschoß, dachte ich bei mir: Bloß raus hier, bevor das Licht angeht.

Als der Krieg aus war, kam Hollywoods große Zeit. Aber für preußische Finsterlinge hatte man keinen Bedarf mehr. Stroheim suchte eine Beschäftigung als Regisseur oder Autor. Er ging mit seinen Drehbüchern von Studio zu Studio, aber niemand hatte Interesse. Zuletzt versuchte er es bei Universal, einer großen Filmfabrik, die auf dem Gelände einer ehemaligen Hühnerfarm errichtet worden war. Er versuchte sein Glück mit einer Geschichte namens „The Pinnacle“.

Kohner: Carl Laemmle hatte großen Weitblick und war an allem Neuem interessiert. Er war auch ein geborener Spieler. Und so kam Von an ihn heran.

Valerie von Stroheim: Erich gab ihnen die Geschichte umsonst, und für Regie und Hauptrolle bekam er 200 Dollar pro Woche.

Unter seiner eigenen Regie spielte von Stroheim nicht länger die grotesken Karikaturen der Propagandafilme. Seine Absicht war die Satire, seine Zielscheibe die Welt seiner Jugend, das Österreich der K-u-K-Monarchie. Noch ehe er 30 war, verließ er Wien, doch die Welt der Habsburger hat er nie vergessen. Er, der nie Teil dieser Welt gewesen war, erschuf sie sich später in den Studios von Hollywood und spielte gern selbst die Rolle des schönen Prinzen.

„Blinde Ehemänner“ (1919)
Er spielte einen österreichischen Leutnant, der ein Auge auf die Frau eines amerikanischen Touristen geworfen hat. Für heutige Begriffe eine eher harmlose Geschichte. Für die 1919 im Film üblichen Konventionen eine Herausforderung. Von Stroheim schuf Figuren, die psychologisch vielschichtig und deren Handlungen von Leidenschaft und Schuld bestimmt waren. Das amerikanische Kino wurde erwachsen.

Marx: Da gab es eine unerwartete Schwierigkeit. Carl Laemmle spielte oft ein Kartenspiel, das „Pinochle“ hieß, und er befürchtete, daß die Ähnlichkeit mit dem Filmtitel „The Pinnacle“ das Publikum verwirren würde. So verbot er kurzerhand den Titel. Von Stroheim war wütend und veröffentlichte einen bösen Brief in „Motion Picture News“. Carl Laemmle antwortete in der nächsten Nummer. Es war der erste von zahllosen Krächen zwischen von Stroheim und seinen Produzenten – aber zunächst eine gute Reklame.

„Blinde Ehemänner“ wurde ein Bombenerfolg. Die Kritiker lobten den dramatischen Realismus des Films und die geschickte Gestaltung der an sich banalen Dreiecksgeschichte. Einige meinten sogar, der Film müsse in Europa gedreht worden sein. Von Stroheim begann seine Regiekarriere ganz oben.

„The Devil’s Passkey“ (1920)
Ebenfalls eine Dreiecksgeschichte, die diesmal in Paris, der Welt der Mode und der Comedie francaise spielt. Diesmal war der Verführer ein amerikanischer Offizier, und die Kritiker waren empört. Trotzdem bescheinigten die meisten dem Regisseur eine Weiterentwicklung gegenüber seinem ersten Film. Heute ist das nicht mehr nachzuprüfen. 1941 entdeckte man, daß das Originalnegativ im Studioarchiv zu Staub zerfallen war. Und es existieren keine Kopien mehr.

Valerie von Stroheim: Eines Tages kam Carl Laemmle zu Erich und sagte: Warum machen Sie nicht mal einen Film über das Glücksspiel? Erich war noch nie in Monte Carlo gewesen, aber er sagte: Das wäre ein guter Hintergrund für so einen Film. Also hat er Monte Carlo nachgebaut. Das war Stadtgespräch.

„Törichte Ehefrauen“ (1921)
Seit diesem Film hatte von Stroheim den Ruf eines unkontrollierbaren Verschwenders. Er wurde der „erste Millionen-Dollar-Film“ genannt. Wie Hemingway und Fitzgerald war von Stroheim fasziniert vom Amerikaner in Europa der Nachkriegszeit. Die Produktion war ein Alptraum. Von Stroheim schrieb dauernd das Drehbuch um und filmte manche Szenen dutzende von Malen. Irving Thalberg, Produktionschef bei Universal, konnte nur tatenlos zusehen, wie der Regisseur versuchte, seine Vorstellungen haargenau auf die Leinwand zu bringen.

Marx: In einer Szene sollte er Kaviar essen. Damals tat man da etwas Himbeermarmelade in eine Schüssel. Bei von Stroheim mußte es echter Kaviar sein! - Es gab einen Kostenvoranschlag und einen Drehplan, und von Stroheim ignorierte beide. Wenn Thalberg eingreifen wollte, sagte von Stroheim einfach: Wenn Sie mich als Regisseur ablösen, sind Sie mich auch als Hauptdarsteller los, und Sie bekommen gar keinen Film. Aber ich muß sagen, daß „Foolish Wives“ sehr gut wurde. Er war teuer, brauchte viel Zeit, brachte viele Probleme, aber es ist eine alte Regel: Wenn die Uraufführung ein Erfolg ist, ist alles vergeben und vergessen. Die erste Aufführung war ein sehr großer Erfolg.

Obgleich der Film in den Großstädten gute Kasse machte, schockierte viele der brutale Realismus und die wenig schmeichelhafte Darstellung des amerikanischen Ehepaars. Zensoren setzten überall im Land die Scheren an, und kurz nach der Premiere kürzte Universal selbst „Foolish Wives“ um eine volle Stunde. „Foolish Wives“ und besonders von Stroheims verworfener Graf wurden zum Skandal. Der Film wurde auch zur Zielscheibe des Spotts, wie hier in einer Komödie mit Ben Turpin. Aber von Stroheim, der schon bei seinem nächsten Film war, störte das wenig.

„Merry-Go-Round“ (1923)
Kohner: Norman Kerry, der wie der Prototyp eines österreichischen Offiziers aussah, spielte den Grafen. Von Stroheim baute Wien im Studio auf. Es war fabelhaft, wie genau er den Prater nachbildete.

Doch diesmal verhinderte Thalberg, daß er außer der Regie auch die Hauptrolle bekam. „Foolish Wives“ war ihm eine Lehre gewesen.

Kohner: Als die Dreharbeiten begannen, sagte Thalberg sehr deutlich, daß es keine zusätzlichen Szenen geben dürfe. Aber Stroheim war nicht der Mann, der sich durch so etwas einschüchtern ließ. Er wollte sich durch nichts einengen lassen, was der Vollkommenheit seines Films entgegenstand. Als Thalberg das erkannte, kam es zwischen ihnen zu einem Riesenkrach. Von Stroheim beschloß, seinen Förderer Carl Laemmle, der in New York war, um Hilfe zu bitten. Während er noch mit dem Zug nach New York unterwegs war, führte Thalberg den Film mit Rupert Julian weiter. Als von Stroheim in New York ankam, hatte Laemmle sich schon auf Thalbergs Seite gestellt. Von Stroheim hatte sich selbst keine Wahl gelassen. Entweder tut ihr, was ich will, oder ich mache Schluß, hatte er gesagt. Und so zog er die Konsequenz.

Als der Film herauskam, war sein Name vom Vorspann des Films verschwunden, und nur wenige seiner Szenen waren erhalten geblieben. Aber die waren echt Stroheim. Von Stroheims Bruch mit Universal war ein Schock für die gesamte Filmindustrie. Noch nie war eine Gesellschaft so mit einem bekannten Regisseur umgesprungen. Andere Firmen überhäuften ihn sofort mit neuen Angeboten. Innerhalb weniger Wochen hatte von Stroheim einen Vertrag mit der Goldwyn-Gesellschaft und saß an der Bearbeitung von Frank Norris‘ klassischem Roman „McTeague“.

„Gier“ (1925)
Von Stroheim war besessen von dem Buch und entschlossen, jede Einzelheit auf die Leinwand zu bringen. Seine früheren Filme blickten zurück auf das Europa seiner Jugend. Jetzt ging es um seine neue Wahlheimat Amerika.
(Teil zwei folgt)

Geändert von Peter L. Opmann (04.05.2023 um 19:59 Uhr)
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Alt 04.05.2023, 18:41   #1190  
Horatio
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
"Foolish Wives" ist nicht der ursprüngliche Titel des Films, sondern das war "The Pinnacle". Universal-Chef Carl Laemmle mochte den Titel nicht, weil er immer ein Kartenspiel namens "Pinnocle" spielte und meinte, das Publikum würde dadurch verwirrt.
Ein kleiner Hinweis zum Hintergrund:
Die richtige Schreibweise ist Pinochle, das Spiel ist aus dem deutschen Kartenspiel Binokel heraus entwickelt, das aus dem Württembergischen stammt. Es wäre also kein Wunder, dass der aus Schwaben stammende Laemmle das oft und gern spielte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Binokel
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Alt 04.05.2023, 19:58   #1191  
Peter L. Opmann
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Ah, danke. Ich kannte das Kartenspiel nicht.

Aber Laemmle stammt nur beinahe aus Württemberg. Er wurde in Laupheim (bei Neu-Ulm) geboren.

(Ich sehe gerade noch: Auf schwäbisch heißt das Spiel "Benogl".)
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Alt 04.05.2023, 20:34   #1192  
betamax
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Standard Gier nach Geld...

aktueller denn je, auch mit geldgierigen Zahnärzten habe ich leidvolle Erfahrungen machen müssen.

Stroheims GREED habe ich mir in den 90ern als Laserdisc gegönnt, es gab damals keine längere Fassung auf VHS Video.
Wirklich beeindruckend, selbst in der "kurzen" Fassung, denn ursprünglich schwebten Stroheim ja mal 7-9 Stunden vor.
Und nach einer fast vierstündigen Fassung beschwerte er sich: " Es sind nur noch die Knochen übrig ".
Aber selbst diese heute "Kurze" Fassung ist genial, ich will dem zweiten Teil auch nicht vorgreifen und freue mich schon darauf.
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Alt 04.05.2023, 22:26   #1193  
Phantom
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Zitat:
Zitat von Horatio Beitrag anzeigen
Die richtige Schreibweise ist Pinochle, das Spiel ist aus dem deutschen Kartenspiel Binokel heraus entwickelt
Was man in diesem Thread so alles lernt...

Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Aber Laemmle stammt nur beinahe aus Württemberg. Er wurde in Laupheim (bei Neu-Ulm) geboren.
Aber Laupheim liegt doch in Württemberg?
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Alt 04.05.2023, 23:16   #1194  
Peter L. Opmann
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Eijeijei - jetzt habe ich Laupheim und Leipheim verwechselt. Vielleicht hätte ich meinen Post besser löschen sollen, aber naja, ganz so wichtig ist es auch nicht, wo Laemmle herkommt...
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Alt 05.05.2023, 06:29   #1195  
Peter L. Opmann
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Dies ist ein sehr wortreicher Dokumentarfilm. Es wird daher noch ein dritter Teil meiner Zusammenfassung folgen. Hier aber zunächst der zweite Teil.

Um „Greed“ zu filmen, ließ von Stroheim Hollywood weit hinter sich. Er baute keine Kulissen. McTeagues Dentistenpraxis war in einem Haus, das heute noch an der Ecke Haights und Lagunastraße in San Francisco zu sehen ist.

Paul Ivanoe, Kameramann: In einer Szene sollte Zasu Pitts in einem Neglige auf ihrem Bett Goldstücke zählen. Stroheim wollte, daß sie große Befriedigung zeigen sollte, wenn sie mit dem Gold spielt. Aber sie begriff nicht, was er bei diesem Test sehen wollte. Wir haben die Szene immer wieder gedreht, bis er zufrieden war. Die arme Zasu sagte: Ich weiß nicht, was er will. Stroheim wollte, daß sie so wirken sollte, als hätte sie ein Liebesverhältnis mit einem unsichtbaren Partner. Aber die arme Zasu war zu simpel – doch sie kriegte die Rolle.

Von Stroheims Absicht war die Kritik an den Wertvorstellungen Amerikas. Während sich andere Regisseure solchen Themen nur mit großer Vorsicht näherten, ging von Stroheim sofort aufs Ganze. Marcus (Jean Hersholt) hatte dem verliebten McTeague (Gibson Gowland) seine Freundin Trina (Pitts) überlassen, aber das war, bevor sie im Lotto gewonnen hatte. Aus Eifersucht meldet Marcus, daß McTeague seinen Dentistenberuf ohne Lizenz ausübt. Nach dem Verlust der sozialen Stellung wird McTeague zum Trinker. Und Trinas Weigerung, ihren Goldschatz anzutasten, nimmt psychopathische Ausmaße an. Schließlich sinken beide auf die sittliche Stufe von Raubtieren.

Die Handlung des Romans spielte auch in den Bergen, und von Stroheim folgte der Vorlage.

Harold Henderson, Nachbar: Als von Stroheim erstmals hierher kam, war ein Mann von der Goldwyn-Gesellschaft bei ihm. Von Stroheim wollte die letzte Szene zuerst drehen. Danach wollte er die Szenerie wiederherstellen lassen und die erste Szene filmen. Er erklärte alles ausführlich, aber der Produktionsleiter neben ihm schüttelte den Kopf: Nein, Von, das kostet zu viel. Und so ließ es Von.

Gedreht wurde meistens nachts zwischen 9 und 6 Uhr früh. Nach dem Mord an Trina ist auf McTeague eine Belohnung ausgesetzt. Von Marcus verfolgt, flieht er nach Death Valley. Obwohl es dort nicht einmal richtige Straßen gab, bestand von Stroheim darauf, daß nur Death Valley selbst als Drehort in Frage käme.

Ivanoe: Als wir ankamen, stand das Thermometer auf über 50 Grad Celsius. Stroheim lief in kurzen Hosen herum mit Handschuhen und Tropenhelm. Ich glaube, er trug auch eine Pistole gegen die Klapperschlangen. Wir wohnten in Zelten, und die Temperatur war noch morgens um 2 Uhr über 30 Grad. Einer der Köche starb. Er hatte hohen Blutdruck, und ihm bekam die Hitze nicht. Der Lack der Autos sprang ab, man konnte kein Stück Metall anfassen. Aber Stroheim gefiel das anscheinend.

Valerie von Stroheim: Als er fertig war, war der Film 42 Akte lang. Dann führte er ihn der Presse vor. Es dauerte den ganzen Tag. Als sie die ganzen 42 Akte gesehen hatten, sagten sie, sie könnten noch mehr sehen.

Kohner: Ich war bei einer der Vorführungen. Es war fantastisch – aber natürlich ganz unmöglich.

Grant Wyntok, Cutter: Stroheim wollte den Film auf sechs Stunden herunterschneiden und ihn in zwei Teilen an aufeinanderfolgenden Abenden vorführen. Ich war mit Rex Ingram in New York. Als wir den Film bekamen, war er noch 26 Akte lang. Ich habe ihn dann auf einen Siebenakter und einen Achtakter zusammengeschnitten. Wir haben die beiden Teile den Chefs von Paramount und Metro vorgeführt. Sie haben allen gut gefallen, auch Joe Schenck und Rex Ingram. Aber später sagte jemand von Paramount: Der erste Teil ist eine Komödie, der zweite eine Tragödie, und wenn jemand zuerst die Tragödie sieht, schaut er sich den ersten humorvollen Teil nicht mehr an. So ging der Film zurück nach Hollywood, und als er dann herauskam, war von ihm meiner Meinung nach nichts mehr übrig. Sie hatten ihn ruiniert.

Wenn die Filmfirma gehofft hatte, „Gier“ durch diese Verstümmelung dem Publikum schmackhafter zu machen, so sahen sie sich getäuscht. Die Kritiker schäumten vor Wut. Einer schrieb: „Das ist das schmutzigste, übelste, verdorbenste Machwerk der Filmgeschichte.“ Ein anderer: „So etwas gefällt vielleicht in Österreich, wo von Stroheim herkommt.“ Aber auch in Österreich fiel der Film, oder was von ihm übrig war, durch. In Berlin fand nur der Kritiker der „Weltbühne“ ein gutes Haar an „Gier“, und viele Zuschauer ließen sich das Eintrittsgeld zurückgeben. 40 Jahre später zählte ihn die internationale Filmkritik unter die zehn besten Filme der Geschichte.

Während der Film noch geschnitten wurde, wurde aus der Goldwyn-Company das größte Studio Hollywoods: Metro-Goldwyn-Mayer. Die Regisseure von MGM waren die besten ihres Fachs. Louis B. Mayer wurde Generaldirektor und sein Produktionschef Irving Thalberg.

Marx: Thalberg kam zu MGM, als „Gier“ gerade fertig wurde. Der Film war sechs oder acht Stunden lang. Thalberg machte sich gleich daran, ihn auf die normale Kinolänge zu stutzen. Deshalb denkt man, daß Stroheim und Thalberg Todfeinde waren. Das stimmt nicht. Thalberg holte von Stroheim, um „Die lustige Witwe“ zu drehen.

„Die lustige Witwe“ (1925)
Von Stroheim haßte das Starsystem. Aber MGM zwang ihn, die launische Mae Murray zu besetzen, für die männliche Hauptrolle John Gilbert. Schon bald wurde klar, daß es in einem Stroheim-Film nur einen Star geben konnte…

Valerie von Stroheim: In einer Szene tanzten sie einen Walzer. Erich wollte etwas ändern und ging zu Mae Murray, um ihr den Schritt vorzumachen. Sie sagte: Du dreckiger Hunne, du meinst, du weißt alles besser! Da stand er ganz still, und dann verließen wir das Studio, und wir blieben ein paar Tage zuhause. Da sagten sie: Dann nehmen wir eben einen anderen Regisseur. Man darf nicht vergessen, daß alle, die bei der „lustigen Witwe“ arbeiteten, schon bei anderen Filmen für uns gearbeitet hatten. Sie waren alle Erichs Freunde. Als sie dann den neuen Regisseur brachten, sagte der: Alles auf die Plätze! Niemand rührte sich. Da wußten sie, daß es so nicht gehen würde. Sie schickten also jemand vom Studio zu uns, und der sagte: Kommen Sie zurück, dann sorgen wir dafür, daß Mae Murray sich entschuldigt. Als er ins Studio kam, brach ein solcher Jubel aus, daß sie aus anderen Ateliers herüberkamen, um zu sehen, was los war.

Marx: Mae Murray nahm sich zu Herzen, daß er aus der Rolle der Sonja eine Hure machte. Weil sie wußte, daß Mayer Frauen sehr verehrte, ging sie zu ihm und beschwerte sich. Mayer war außer sich. Er war ein sehr muskulöser Mann. In Kanada hatte er in der Schrotthandlung seines Vaters gearbeitet, und nur wenige wußten, was für eine harte Rechte er hatte. Mayer ließ von Stroheim kommen und konfrontierte ihn mit Mae Murrays Beschwerde. Stroheim sagte: Sie spielt die Sonja, und Sonja ist eine Hure. Das Wort genügte Mayer. Er schlug ihn nieder und warf ihn dann buchstäblich aus seinem Studio.

Trotz der vielen Probleme im Studio konnte von Stroheim den Film selbst fertigstellen. Es wurde sein größter Erfolg. Der Film lief über ein Jahr am Broadway und machte John Gilbert zu einem der populärsten jugendlichen Liebhaber. Doch von Stroheim konnte nun nicht länger für Mayer und Thalberg arbeiten. Er schloß einen Vertrag mit Pat Powers, einem unabhängigen Produzenten, und drehte für ihn „The Wedding March“, eine nostalgische Huldigung an Wien.

„Der Hochzeitsmarsch“ (1926)
Von Stroheim versammelte sein bewährtes Team von Charakterschauspielern um sich. Er selbst spielte den Prinzen Nicki, Zasu Pitts die verwachsene Erbin, die er heiraten soll. In dieser Produktion gab es keine launische Mae Murray. Für die Hauptrolle wählte er eine unbekannte Schauspielerin, die bei Universal in Western gespielt hatte: Fay Wray.

Prinz Nicki war seine reifste Schöpfung, eine komplexe Figur, die alles besaß, was er am Wien seiner Jugend liebte und haßte. Von Stroheim verfügte wieder über ein großes Budget. Er baute drei Dutzend verschiedene Dekorationen von der Tiroler Jagdhütte bis zum Palast der Habsburger. Seine fanatische Liebe zum realistischen Detail ließ ihn auch diesmal das Budget weit überschreiten. Für eine einzige Szene besorgte er sich Technicolor-Kameras, was 1926 als Extravaganz galt.

Hal Mohr, Kameramann: Wir schufteten wie die Kulis. Wir hatten keine Gewerkschaft, keine geregelte Arbeitszeit, nichts. Stroheim war ein Arbeitsfanatiker. Manche Nacht bin ich nicht aus dem Studio gekommen. Ich habe nur zwei, drei Stunden in der Dekoration geschlafen. Einige Szenen haben wir 30- oder 40mal gedreht – ohne Erklärung. Er sagte bloß: Ach, machen wir’s lieber nochmal.

Valerie von Stroheim: Erich hatte eine Liebesszene mit Fay Wray unter einem blühenden Apfelbaum. Aber der Baum blühte nicht. Und da ließ er tausende Blüten aus Wachs herstellen. Es dauerte Tage, bis sie alle am Baum befestigt waren.

Aber auch bei „Hochzeitsmarsch“ gab es wieder Probleme. Wochenlang filmte von Stroheim hinter geschlossenen Ateliertüren bizarre Orgien, die nie auf der Leinwand gezeigt worden sind. Der Film ist nie fertig geworden. Von Stroheim kam mit den Dreharbeiten in Verzug, und schließlich brach Pat Powers die Dreharbeiten ab. Während die Filmfirma noch versuchte, das gedrehte Material zusammenzuschneiden, war von Stroheim wieder auf Arbeitssuche. Er hatte sich Paramount, MGM und Universal zu Feinden gemacht. Und so kam das nächste Angebot nicht von einem Studio, sondern von einem Star: Gloria Swanson.

„Queen Kelly“ (1928)
Die bizarre Geschichte einer Klosterschülerin, die in Deutsch-Ostafrika ein Bordell erbt. Jeder andere Regisseur wäre nach einer Katastrophe wie dem Abbruch von „Hochzeitsmarsch“ vorsichtiger geworden. Aber von Stroheim nicht.

Ivanoe: Die Einführungsszene filmten wir auf der Lasky-Ranch. Die Straße entlang kam eine Gruppe Klosterschülerinnen. Von der anderen Seite kam eine Abteilung Kavallerie. Als die Schülerinnen am Prinzen des Landes (Stroheim) vorbeikommen, knicksen sie. Und dabei verliert Gloria Swanson ihr Höschen. Sie wird verlegen, dann rollt sie das Höschen zusammen und wirft es nach dem Prinzen, weil der über sie lacht. Der fängt es auf, schnuppert daran und steckt es in die Satteltasche. Stroheim sagt: Das ist eine fabelhafte Szene! Ich sagte nur: Von der Kamera her o.k., Erich. Wollen mal sehen, was die anderen sagen… Im Vorführraum sah dann Joseph P. Kennedy, der den Film finanzierte, die Szene und fragte, was ich davon halte. Ich sagte: Fotografisch ist die Szene schön. Aber ich weiß nicht, ob Sie sowas zeigen können. Da trat mich Stroheim vors Schienbein und Gloria von der anderen Seite, aber es war schon zu spät. Doch Kennedy sagte: Na, wir werden schon damit durchkommen. Sind sie dann aber doch nicht.

Eine andere Szene spielte in einer zweistöckigen Dekoration. Unten war eine riesige Bar, in der Mitte wuchs ein richtiger Baum, und oben war ein langer Korridor. Aus einem der Zimmer kommt ein Matrose und macht sich die Hose zu. Er geht nach unten und trifft dort Tully Marshall, den eigentlichen Förderer des Etablissements. Der war eine seltsame Figur. In der einen Tasche hatte er eine Flasche Cognac, in der anderen eine Pistole. Er hatte Rückenmarks-Ataxie und zitterte am ganzen Körper. Er will das Mädchen (Swanson) heiraten und hat ein langes Gespräch mit ihrer Tante. Während der Trauung tropft plötzlich Tabaksaft aus Tully Marshalls Mund auf Gloria Swansons Hand. Sie: Mr. Marshall! Er: Mr. von Stroheim wollte das so haben. Gloria verschwand, und 20 Minuten später rief Kennedy von Stroheim an und sagte: Vielen Dank, das genügt. Wir brauchen Sie nicht mehr!
(Teil drei folgt)

Geändert von Peter L. Opmann (05.05.2023 um 06:39 Uhr)
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Alt 05.05.2023, 12:22   #1196  
Nante
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Er scheint ja (in Bezug auf seine Kunst) wirklich ein Berserker gewesen sein.
Ich kenne ihn allerdings (fast) nur als Schauspieler.

Und da Greed hier im Mittelpunkt steht:
Wenn es wirklich so intensiv wie geschildert ist, möchte ich ihn mir gar nicht anschauen. Ich habe die Vorlage von F. Norris gelesen und empfand sie als großartig geschrieben aber auch als total deprimierend. Das als Film...
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Alt 05.05.2023, 12:54   #1197  
Peter L. Opmann
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Nein, "Greed" steht nicht im Mittelpunkt. Der Ausgangspunkt war sein Film "Foolish Wives".

Aber "Greed" gilt als sein eigentliches Meisterwerk - obwohl auch dieser Film nicht mehr in der Fassung existiert, die Stroheim eigentlich beabsichtigt hat. Die schockierendsten Szenen hat meistens die Zensur rausgeschnitten. In der Sprache der Kunst könnte man sagen: "Greed" ist ein Torso.
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Alt 06.05.2023, 07:06   #1198  
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Und hier der dritte und letzte Teil der Stroheim-Doku:

Swanson versuchte, den Film ohne Regisseur fertigzustellen. Aber 1929 war das Ende des Stummfilms gekommen. Nach den beiden Katastrophen von „Hochzeitsmarsch“ und „Queen Kelly“ mußte von Stroheim wieder Boden unter die Füße bekommen. Als er keine Arbeit als Regisseur finden konnte, traf er eine folgenschwere Entscheidung: Er erklärte sich bereit, in einem kleinen Tonfilm eine Rolle zu spielen.

„Der große Gabbo“ (1929)

Kohner: Als von Stroheim in Hollywood mehr oder weniger verspielt hatte, überredete ich Mr. Laemmle, ein Remake von „Blinde Ehemänner“ zu machen. Ich sitze also in meinem Büro, da kommt ein Regieassistent: Paul, komm schnell mit – von Stroheim ist wahnsinnig geworden! Ich sehe Von auf und ab spazieren und seinen Spazierstock zerbrechen. Sein Assistent gibt ihm einen neuen – er zerbricht auch den. Was ist los, Von, frage ich. Die Glocken, sagt er, ich will sie alle. Ich: Von, du kannst nicht alle haben. Sag mir, welchen Klang du willst. – Ich will, daß sie alle am Arrowhead-See aufgehängt werden. Ich sage: Du mußt verrückt sein, Von, warum denn? Er: Weißt du nicht, daß Glocken anders klingen, wenn sie über einem See hängen? – Das mag schon sein, aber so macht man doch keinen Tonfilm. Wir nehmen die Glocken extra auf und legen den Ton dann über die Szene. Er: Sag nur noch, beim Ball soll die Kapelle nicht spielen. – Natürlich nicht, Von, die Kapelle tut nur so, und wir nehmen später die Musik extra auf Band. Die Schauspieler reden doch miteinander, wenn sie tanzen. Da kannst du doch nicht gleichzeitig Musik spielen. – Er rannte wütend aus dem Set. Zehn Minuten später ließ mich Mr. Laemmle kommen. Er sagte: Kohner, ich will nichts hören. Werfen Sie von Stroheim raus, der Film ist gestorben. Da mußte ich zu Von gehen und es ihm sagen.

Nun kamen immer seltener Regieangebote, und von Stroheim arbeitete immer öfter als Schauspieler. Noch einmal spielte er den Mann, den zu hassen Spaß macht, diesmal ohne Uniform.

„Die letzten Vier“ (1932)

Die Legende hatte ihn schließlich eingeholt. Sogar neben Greta Garbo mußte er von Stroheim spielen.

„Wie du mich wünschst“ (1932)

Schließlich kam noch einmal ein Angebot von Winfield R. Sheehan von der Fox. Eine Geschichte, die zur Zeit der Wirtschaftskrise spielt.

„Walking down Broadway / Hello, Sister“ (1933)

Spiegelgass (hier Drehbuchautor): Ich hatte viel über von Stroheim gehört, auch, daß er viel Ärger machte. Er hatte noch nie einen Tonfilm gedreht, und daß ihm niemand einen angeboten hatte, war eigentlich schändlich. Sheehan wollte, daß der Film ein Erfolg wurde, um Louis B. Mayer eins auszuwischen. Mayer hatte geschworen, daß von Stroheim nie wieder als Regisseur arbeiten würde. Jedenfalls formulierte von Stroheim sehr genau, was er mit dem Stück zeigen wollte. Es war die Geschichte zweier junger Männer, die am Broadway zwei Mädchen aufgabeln – sehr amerikanisch. Ich sollte Sheehan genau erklären, daß dies die leidenschaftlichste, erotischste Liebesgeschichte sein würde, die jemals auf der Leinwand zu sehen war.

I. B. Kornblum, Komponist: Als der Film fertig war, wurde er vorgeführt, und ich erinnere mich daran als an den schlimmsten Abend meines Lebens. Ungefähr in der Mitte des Films fing das Publikum an zu lachen. Entweder verstanden sie nicht, was Erich sagen wollte, oder die Leute waren fröhlicher Stimmung.

Spiegelgass: Der Film wurde mit Entsetzen aufgenommen. Es hieß, er könne nur auf einem Kongreß von Psychoanalytikern vorgeführt werden. Es war für lange Zeit die offenste Darstellung sexueller Beziehungen, die das Kino gesehen hatte.

Kornblum: Das Stück ging zurück in den Schneideraum, und Studiochef Sol Wurtzel, der kein schöpferisches Talent war, ließ ihn umschneiden und nannte ihn „Hello, Sister“. Ich habe ihn mir nie angesehen.

Spiegelgass: Eddie Burke schrieb ein neues Drehbuch und machte neue Aufnahmen in der Totalen. Sie haben die Figuren zerstört, und was herauskam, war schwachsinnig.

„Hello, Sister“ kam heraus, ohne daß ein Regisseur genannt wurde. Die Kritiker bemerkten es nicht. Von Stroheim war ein Fossil aus der Stummfilmzeit. Er nahm nun Rollen in zweitklassigen Western oder Melodramen an.

„The Crime of Dr. Crespi“ (1935)

Kohner: 1935 war ich Chefdramaturg bei MGM, und Von kam als Dramaturg zu mir. Sein Talent lag in den dramatischen Situationen und in der Erotik. Und er war fabelhaft in der Charakterisierung und Ausschmückung von Figuren. Er gab dem Regisseur viele gute Tips. Es war kein Abstieg für ihn, wie manche meinten. Er leistete in den Drehbuchbesprechungen viele wichtige Beiträge. Sicherlich hätte er lieber selbst geschrieben. Und ein Drehbuch hat er uns auch verkauft.

„Der Arzt und die Frauen“ (1937)

Kornblum: Heiligabend rief er mich an – damals waren Ferngespräche teuer. Er sagte: Ich will dir auf Wiedersehen sagen. – Wo fährst du hin? Er: Ich bringe mich um. John Farrow und Bob Leonard haben mir einen Korb voller Geld geschickt und eine Urkunde mit allen Unterschriften und Weihnachtswünschen. Das kann ich nicht annehmen. Ich will keine Almosen. Ich sagte: Erich, laß mich zu dir rauskommen. Ich will dich zum Abschied umarmen.

Valerie von Stroheim: Als er kam, sagte er: Willst du Valerie so allein mit eurem Sohn zurücklassen? Nein, sagte er. Er schickte jedem einen Brief mit einem Scheck. Clark Gable hat ihn dreimal zurückgeschickt. Und sogar der Name von Louis B. Mayer steht auf der Karte.

Hollywood gab ihm eine milde Gabe, aber keine Chance, noch einmal Regie zu führen.

Thomas Quinn Curtis, Kritiker: Er hatte ein Angebot, nach Paris zu kommen und einen deutschen Spion in "Marthe Richard au Service de la France“ zu spielen. Und dann ging alles sehr schnell. Jean Renoir wollte ihn haben.

„Die große Illusion“ (1937)

Denise Vernac, Schauspielerin (und Assistentin von Stroheim): Renoir bot ihm eine Rolle in „Die große Illusion“ an. Es gab den Part eines deutschen Fliegers am Anfang und des deutschen Festungskommandanten am Ende des Films. Erich sagte, es sei nicht gut für seine Karriere, eine so kleine Rolle anzunehmen. Und so dachte er nach und fand einen Weg, die beiden Rollen zusammenzulegen. Als er am nächsten Tag ins Studio kam, trug er ein Stützkorsett. Man wußte sofort: Dieser Mann ist abgeschossen worden und hat sich den Hals gebrochen. Die ganze Erklärung in einem Bild. Als er damit ins Studio kam, umarmte ihn Renoir und sagte: Erich, Sie sind der einzige, der in Bildern denkt! Und das war wirklich eine Idee, weil sich jeder an den Mann mit der Prothese erinnert. Seit diesem Augenblick war Erich der Superstar in Frankreich.

Von Stroheim fand in Frankreich nicht nur eine neue Karriere, sondern auch ein neues Leben.

Vernac: Ich versuchte damals, als Schauspielerin anzufangen, und bekam manchmal kleine Jobs vom selben Agenten, der auch Erich vertrat. Der sagte: Gehen Sie ins Hotel Claret, da sehen Sie Erich von Stroheim. Als ich ankam, sah er mich von oben bis unten an, als ob ich nackt wäre, und sagte: Mit einem besseren Nagellack geht’s wohl. Was geht, fragte ich. Zuerst mal schreiben Sie diesen Brief, und dann übersetzen Sie meinen Dialog vom Englischen ins Französische. So begann unsere Zusammenarbeit. Er begriff, daß ich keine Angst vor ihm hatte wie die meisten anderen. Er hatte schrecklich viel Arbeit, und niemand mochte damit anfangen. So wurde ich ein Stroheim-Objekt, das heißt, ich arbeitete Tag und Nacht für Erich.

Curtis: In Frankreich gab es damals viele kleine, unseriöse Filmproduzenten. Es gab Studios, aber die wurden nur vermietet. Man machte keinen Vertrag mit dem Studio, sondern mit dem Produzenten für einen Film. Jeden Morgen vor Drehbeginn verlangte er 1000 Dollar und eine Flasche Whiskey. Viele beschäftigten ihn für fünf oder sechs Tage, um mit seinem Namen Reklame machen zu können. Das war ein alter Trick, denn sein Name brachte Geld in die Kasse.

Vernac: Er spielte einen Chinesen in „Les Pirates du Rail“ (1938) und sah wirklich chinesisch aus. In einem anderen Film trug er eine Maske. Dann spielte er einen französischen Modeschöpfer mit Bärtchen und Perücke. Erich war auch die kleineste Rolle wichtig. In dem Film „Napoleon“ (1954) spielte er Ludwig van Beethoven und sah auch wirklich so aus. Er nahm ein Foto von sich, malte Augenbrauen, eine Perücke oder einen Bart und fand schließlich sein Gesicht. Vor allem erfand er für sich eine Vergangenheit.

„Mademoiselle Docteur“ (1937)

Kohner: Ich wechselte vom Produzenten zum Agenten. Und einer der ersten, die ich zu bekommen versuchte, war Erich von Stroheim, der damals in Europa filmte. Der erste Film, für den ich ihn holte, war „I was an Adventuress“ (1940). Als er einmal hier war, war er sehr gefragt. Damals machte man viele Anti-Nazi-Filme, und darin gab es immer eine Rolle für von Stroheim. Manchmal machte er Filme, die er lieber nicht hätte machen sollen.

„The Mask of Dijon“ (1946)

Er spielte aber auch in einigen sehr interessanten Filmen.

„Fünf Gräber bis Kairo“ (1943) als Feldmarschall Rommel

„Boulevard der Dämmerung“ (1950)

Vernac: Es war eine sehr gute Rolle in einem wichtigen Film. Deshalb konnte er nicht ablehnen. Aber er hat gezögert, weil er das Gefühl hatte, daß seine eigene Karriere verspottet wurde. Er hat es dann doch getan, weil er erkannte, daß es in seinem Leben Zeiten gab, die fast so traurig waren wie die Rolle, die Wilder ihm vorschlug.

Nach „Boulevard der Dämmerung“ verließ Stroheim Hollywood für immer. Er kehrte nach Frankreich zurück und arbeitete dort bis an sein Lebensende. Er trat in Filmen anderer auf. Er bereitete Projekte vor, die nie ausgeführt wurden, schmiedete Pläne mit alten Freunden. Er lebte in einem Chateau bei Paris. Täglich arbeitete er an seinen Memoiren, schrieb Romane und schuf – auf dem Papier – fabelhafte neue Stroheim-Filme. Seit 25 Jahren hatte er nicht mehr Regie geführt.

Stroheim: In Hollywood ist jeder nur so gut wie sein letzter Film. Wenn man in den letzten drei Monaten an keinem Film gearbeitet hat, ist man vergessen. Wenn man in Frankreich lebt und ein gutes Buch geschrieben hat, ein gutes Bild gemalt oder einen hervorragenden Film gemacht hat, wird man als Künstler anerkannt, selbst wenn es 50 Jahre her ist. Hier wird man nicht vergessen.

Kurz vor seinem Tod wurde Stroheim zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen. In seinen Filmen waren Orden aus der Requisitenkammer gekommen. Jetzt hatte ihm das französische Volk seine höchste Auszeichnung verliehen.
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Alt 06.05.2023, 10:07   #1199  
Peter L. Opmann
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Vielleicht noch ein paar Worte zur Einordnung. Stroheim war kein singuläres Phänomen, sondern er steht für den Übergang vom Kino der Regisseure in den 1920er Jahren zum Kino der Produzenten und Studios in den 30ern. Am Anfang standen Leute wie Griffith und DeMille, die einen verschwenderischen Stil hatten. Da war das Kino noch eine ganz neue Kunst- oder Unterhaltungsform. Auch Josef von Sternberg läßt sich da einordnen. Chaplin war der einzige, der ein eigenes Studio hatte und Regisseur und Produzent zugleich war – er entwickelte im Lauf vieler Jahre und in Ruhe seinen eigenen Ausdruck. Es gibt weitere Namen, die in die Reihe tonangebender Stummfilmregisseure gehören: Ernst Lubitsch, F. W. Murnau. Einige sind heute nicht mehr so bekannt, wie etwa Fred Niblo.

Die Leute sahen sich aber satt an den Monumentalfilmen. Die Zuschauerzahlen gingen Ende der 20er Jahre zurück. Die Studios, die teilweise an den Rand des Ruins gerieten (so kam es zur Fusion von Goldwyn und Metro – Louis B. Mayer war ursprünglich nur ein kleiner Kinobetreiber, aber mit ausgeprägtem Geschäftssinn), achteten darauf, Filme günstiger herzustellen. Der Produzent als Controller wurde immer wichtiger. Er konnte noch immer große Budgets zur Verfügung stellen, aber er mußte zuvor überzeugt sein, daß der Film sein Geld wieder einspielen würde. Was der Regisseur zum Ausdruck bringen wollte, war nicht mehr von Belang. Das erlebte nicht nur Stroheim, wenn auch er vielleicht am drastischsten.

Hinzu kam die Einführung des Tonfilms, der nach ganz neuen Regeln hergestellt werden mußte. Und so kam es auch zur endgültigen Dominanz des Genrekinos. Wie Martin Scorsese sagte, hatte Hollywood schon früh erkannt, daß das Publikum gern immer wieder ähnliche Geschichten im Kino sehen will, aber ich denke, in der Krisenzeit kam es auch darauf an, daß man so die Filmproduktion rationalisieren konnte.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.05.2023, 14:56   #1200  
Phantom
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@Peter L. Opmann: Vielen Dank für die ausführliche Zusammenfassung der Doku über Stroheim und die zusätzlichen Kommentare! Bis vor einer Woche wusste ich so gut wie nichts über Stroheim, jetzt habe ich richtig Lust, eine ausführlichere Biografie zu lesen und mehr von seinen Filmen zu sehen.

Richard Koszarski, der sich lange mit Stroheim beschäftigt und auch seine Biografie geschrieben hat, übergab übrigens seine gesamten Unterlagen dem Österreichischen Filmmuseum. Zitat von der Homepage:
Zitat:
Die "Richard Koszarski – Erich von Stroheim Collection" wird von den Mitarbeiter*innen des Österreichischen Filmmuseums im Laufe der kommenden Jahre bearbeitet und erschlossen. Unser Ziel ist es, diese Ende 2024 als digital zugängliche Studiensammlung online der Öffentlichkeit präsentieren zu können.
@Nante: Danke für den Hinweis auf Frank Norris. Ich hatte diesen Namen seltsamerweise noch nie gehört, jetzt habe ich mich schlau gemacht und "McTeague" auf die Liste der Romane gesetzt, die ich unbedingt mal lesen will.
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