Sammlerforen.net     

Zurück   Sammlerforen.net > Öffentliche Foren > Sammelgebiete > Film und DVD

Neues Thema erstellen Antwort
 
Themen-Optionen Ansicht
Alt 09.04.2024, 09:49   #2026  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Hier noch die Kritik aus der "Zeit" von 1977. Ich bin beeindruckt, wie klar der Kritiker damals die Zukunft gesehen hat.

Zitat:
Die große Leere

Die Flipper-Apparate, an denen wir früher spielten, besaßen ein kompliziertes Innenleben. Man konnte an ihnen ruckeln und wackeln, um die silberne Kugel durch das Labyrinth der Widerstände und bunten Lichter zu dirigieren. Die Flipper der neuen Generation sind elektronische Maschinen. Der Spieler hat kaum noch die Möglichkeit, diese Wunderdinger zu beeinflussen. Wo die alten Apparate fröhlich schepperten, klapperten und klingelten, geben die neuen nur noch vornehme Piepslaute von sich. Nach der dritten Besichtigung von „Krieg der Sterne“ („Mehr als ein Film“, tönt der Verleih) kam ich darauf, daß zwischen Hollywoods jüngsten Produktionsmethoden und dem Niedergang der Flipperkultur ein Zusammenhang bestehen muß. „Krieg der Sterne“ gleicht fatal einem dieser supermodernen Flipperkästen, an denen das Spielen keinen Spaß mehr macht. Menschen sind gerade noch geduldet als überwältigte Zuschauer einer autonomen Technologie. Menschen werden auch nicht mehr gezeigt in „Star Wars“, nicht einmal mehr Comicstrip-Figuren, sondern nur noch bleiche Zombies, umgeben vom großen Krieg der special effects, von einer ebenso perfekten wie leeren Imponier-Maschinerie, die alle Individualität und alle Emotionen konsequent verbannt hat. Ich finde „das größte Filmspektakel aller Zeiten“ ziemlich öde. Kein „Weltraum-Märchen“, denn Märchen haben mit Menschen und ihren Gefühlen zu tun, sondern ein eiskaltes Spekulationsobjekt, das sich von den schönen Traditionen Hollywoods so weit entfernt hat wie der Rebellen-Kreuzer „Millenium Falcon“ von unserer Milchstraße. Wenn dieser Film der Vorbote des Kinos der Zukunft sein sollte, dann muß man Angst haben um die Zukunft des Kinos.
Deshalb schreibe ich über Klassiker und nicht über die Filme von heute. "Krieg der Sterne" ist nicht nur irgendein schlechter Film, sondern war der Beginn des Special-effect-Kinos, das sich völlig durchgesetzt hat.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2024, 10:21   #2027  
LaLe
Dr. Znegilletnirepus
 
Benutzerbild von LaLe
 
Ort: Lübeck
Beiträge: 18.203
Meine Kritik an deiner Äußerung bezog sich allerdings nicht darauf, dass du den Film schlecht findest, sondern auf eine IMO viel zu eng gefasste Definition von SF, die bei aller Technikbasiertheit immer noch ein nicht unwesentlicher Bestandteil des phantastischen Genres ist.

Man darf Star Wars schlecht finden. Auch Episode IV. Im Bereich SF gibt es Unmengen an Zeugs, Film, Buch oder Comic, das besser ist.
LaLe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2024, 10:24   #2028  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
Benutzerbild von Servalan
 
Ort: Südskandinavien
Beiträge: 10.318
Blog-Einträge: 3
Das war ja auch der Anfang des Blockbusterkinos, der programmierten Franchises, die synchron weltweit starten und damals die legendäre 100 Millionen Dollar Marke gerissen haben. Da wird am Reißbrett entworfen, wie die Besetzung ist, damit es ein A-Film wird; da wird mit Ausstattung, Requisiten, Special Effects, Musik und Kamera bestimmt, wie der Film aussehen wird. Das sind allesamt Entscheidungen, die bei der Produktion oder noch weiter im Vorfeld geklärt werden. Als Tüpfelchen auf dem I kommt die Werbung hinzu, und dazu zähle ich auch solche Interviews, wie Eldorado sie geführt hat.
Ob die gesetzten Erwartungen erfüllt werden, spielt in der Hinsicht keine Rolle. Wenn der Film an der Kinokasse floppt, bleibt er vom Konzept her trotzdem ein Blockbuster. - Das hat Eldorado nie verstanden, da hat bei ihm immer ein blöder Pawlow'scher Reflex eingesetzt.
Servalan ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2024, 10:51   #2029  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Man muß aber zur Ehrenrettung von George Lucas sagen: Bei ihm (und "Episode IV") war es noch nicht so. Lucas hatte eine bestimmte Vorstellung von, sagen wir, utopischem Abenteuer-Kino. Und obwohl ihm alle sagten, daß das nicht funktionieren werde und der Film Schwachsinn sei, hat er sich gegen alle durchgesetzt und recht behalten. Alle haben ihn unterschätzt, und er hat bei "Star Wars" völlig freie Hand bekommen.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2024, 17:53   #2030  
Marvel Boy
Moderator Panini Fan-Forum
 
Benutzerbild von Marvel Boy
 
Ort: Hannover
Beiträge: 16.999
Danke für die beiden Artikel, sehr interessant.

Das aus dem ersten ist hinlänglich bekannt und die Äusserungen sind nachzuvollziehen, zumindest in sofern das das Publikum da einen unfertigen Film zu sehen bekam der hinterher komplett neu geschnitten wurde.
Die Äusserung darin, der Film ist für Kinder, trifft es genau und ich habe ihn als Kind geliebt. Keiner seiner Nachfolger konnte mich genauso begeistern und fast alles was nach den ersten drei Teilen kommt erfüllt mich heute mit grauen.

Artikel Zwei ist in der Tat sehr weitsichtig, trifft auf Star Wars aber eigentlich nicht zu.
Weil es irgendwann vorbei war mit dem "klassischen" Kino ging meine Liste auch nur bis 1979, denn auch wenn einige der Filme das Blockbusterkino begründeten war das nicht deren Absicht und das zog sich eigenlich auch noch durch die anfänglichen 80er so.
Aber dein letzter Post bestätigt das ja, zumindest für Star Wars.

KEEP CALM AND DON'T SMASH!
Marvel Boy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2024, 18:18   #2031  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Du meinst, die Kritik der "Zeit" geht an "Krieg der Sterne" vorbei?

Okay, es ist wirklich etwas unfair, George Lucas vorzuwerfen, er habe da nur ein "eiskaltes Spekulationsobjekt" fabriziert. Letztlich war es so, und Lucas hat mit "Star Wars" ein paar Milliarden verdient. Aber das war sozusagen nicht sein Ziel, sondern er wollte ein Filmserial machen wie vielleicht "Flash Gordon" in den 1930ern, weil ihm sowas als Junge selbst gefallen hatte.

Was mich an "Krieg der Sterne" stört, ist, daß er gezeigt hat, daß man mit special effects die dümmste Filmhandlung übertünchen und vergessen machen kann. Und das ist nach "Star Wars" sehr oft im Kino so gemacht worden. Vor allem bei einem jugendlichen Publikum funktioniert das wunderbar. Also Lucas ist in gewissem Sinn ein Autorenfilmer (er setzte "Krieg der Sterne" ziemlich so durch, wie er ihn haben wollte), aber gleichzeitig hat er dafür gesorgt, daß Autorenfilme vom Blockbusterkino ziemlich an den Rand gedrängt worden sind.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2024, 18:34   #2032  
Marvel Boy
Moderator Panini Fan-Forum
 
Benutzerbild von Marvel Boy
 
Ort: Hannover
Beiträge: 16.999
Ja, ich meine die "Zeit" Kritik.

Ich stimme dir voll zu, nur noch Effekte und kaum Handlung, das ist heutzutage so ausgeprägt das ich in meinem lieblings Genre dem Phantastischen Film heutzutage kaum noch was schauen mag, wenige Ausnahmen durchbrechen das, aber wenn neun von zehn Filmen schlecht sind mag man nach den guten auch garnicht mehr suchen.

Star Wars war in einigen Dingen der Beginn einer neuen Filmwelt.
Und diese Dinge waren nicht unbedingt positiv.

KEEP CALM AND DON'T SMASH!
Marvel Boy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 10.04.2024, 06:07   #2033  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Ein Film, der in der Manier moderner Gruselgeschichten alles in der Schwebe hält: „Wenn der Klempner kommt“ (1979) von Peter Weir. Ich wollte schon schreiben: Frühwerk oder erste Regiearbeit, aber tatsächlich hatte Weir da schon ein paar Filme hinter sich. Er drehte ihn jedoch in Australien, noch bevor er nach Hollywood ging. Der Film ist schwer zu klassifizieren. Er hat etwas von einem Horrorfilm, auch von einem Psychothriller, aber es gibt keine eindeutigen Genre-Elemente. Eigentlich ist es eine Alltagsgeschichte, die den Betrachter aber ziemlich irritiert. Weir verfolgt hier das Hauptthema vieler seiner Filme, das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen. Ich mochte den Film, der hierzulande nur im Fernsehen zu sehen war, von Anfang an.

Judy Morris ist eine introvertierte, sensible Anthropologiestudentin. Sie arbeitet den ganzen Tag über zuhause im australischen Adelaide an ihrer Magisterarbeit über Eingeborenenriten. Ihr Mann Robert Coleby ist an der Uni als Medizindozent tätig. Eines Tages steht unangemeldet Ivar Kants vor der Tür und behauptet, er sei der Klempner und müsse im Bad Wasserrohre austauschen. Es werde nur eine halbe Stunde dauern. Morris läßt ihn herein und versucht, sich wieder in ihre Studien zu vertiefen. Allerdings hat sie das Empfinden, daß er keinswegs im Bad arbeitet, sondern selbst eine Dusche nimmt. Mit nassen Haaren taucht er auf, erklärt, es seien mehr Rohre defekt als erwartet, und er werde am nächsten Tag wiederkommen. Aber auch da wird er nicht fertig, und das Bad verwandelt sich zunehmend in eine große Baustelle. Morris fühlt sich gestört, bleibt aber höflich.

Kants ist ein völlig anderer Typ als sie. Er ist ungebildet, impulsiv, hört beim Werkeln gern laute Rockmusik mit einem mitgebrachten Radiorekorder und unterbricht seine Arbeit immer wieder, um sich mit Morris zu unterhalten, während sie möglichst Distanz zu ihm wahren möchte. Unter anderem erzählt er ihr, er sei wegen Vergewaltigung im Gefängnis gesessen – nimmt das aber sofort wieder als „Scherz“ zurück. In eher aggressivem Ton wirft er ihr vor, ihn als einfachen Handwerker zu diskriminieren. Sie ist allmählich soweit, daß sie fürchtet, er komme hauptsächlich, um sie zu belästigen. Zuerst ruft sie ihren Mann an. Der hört ihr jedoch kaum zu; ihm winkt ein Forschungsauftrag der WHO in Genf, und er hat gerade für Probleme mit dem Klempner keinen Sinn. Er empfiehlt ihr, sich mit ihrer Freundin und Nachbarin Candy Raymond zusammenzutun. Die findet den Klempner jedoch nicht nur ganz harmlos, sondern auch noch attraktiv und witzig.

Morris beschließt, den Klempner einfach nicht mehr hereinzulassen, und tut so, als würde sie sein Klingeln nicht hören. Er steigt darauf durch ein Loch in der Mauer, das er selbst geschlagen hat, ins Bad ein. Schließlich ist er mit der Arbeit fertig. Kurz darauf werden jedoch mehrere Wasserleitungen im Bad undicht, und so kommt er zurück und erklärt, diesmal könne die Reparatur länger dauern… Sie packt darauf eine wertvolle Uhr in ihre Handtasche und verläßt die Wohnung. Auf dem Parkplatz wirft sie einen Blick in sein Handwerkerauto. Als er am nächsten Tag eintrifft, wartet die Polizei auf ihn. Für die Beamten ist er offenbar kein Unbekannter. Ein Polizist durchsucht das Auto und findet die Uhr. Darauf wird er verhaftet. Er bekommt einen Wutanfall: Da habe ihn jemand reingelegt! Oben auf dem Balkon steht Morris und sieht dem Geschehen unbewegt zu.

Weir inszeniert das alles so, daß nie klar wird, ob es Kants wirklich darum geht, sich der Frau ungebührlich zu nähern oder ob sie sich in eine Paranoia hineinsteigert. Es kann für den Zuschauer unbefriedigend sein, daß die Geschichte nicht zu einem eindeutigen Ende geführt wird. Ich finde es aber faszinierend, daß man den Film wie ein Vexierbild betrachten kann (ich könnte mir vorstellen, Frauen werden eher die Perspektive von Judy Morris übernehmen, Männer dagegen Ivar Kants für unschuldig halten). Am Ende bleibt eine Beunruhigung – vielleicht mehr als bei einem richtigen Horrorfilm.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.04.2024, 06:06   #2034  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Der zweite Film auf der Cassette trug mal in Deutschland den Titel „Das Zuchthaus der verlorenen Mädchen“. Dies ist nun tatsächlich ein Debütfilm, „Caged Heat“ (1974) von Jonathan Demme. Ein spekulativer Reißer über schlimme Zustände in einem US-Frauengefängnis und drei Frauen, denen schließlich ein blutiger Ausbruch gelingt. Demme drehte ihn im Auftrag von Roger Corman für 180 000 Dollar. Über das Einspielergebnis weiß ich nichts, aber dieser Film, nach damaligen Maßstäben nahe an einem Porno, hat an der Kasse gewiß nicht versagt. Die Hauptrolle spielt Erica Gavin, die als Russ Meyers „Vixen“ bekannt geworden ist.

Die Handlung ist ziemlich dümmlich und lohnt das Erzählen nicht. Aber Demme hat das Knastdrama – sicher im Gegensatz zu vielen ähnlichen Machwerken – einfallsreich und ansprechend inszeniert. Es gibt zwar eine Menge nackte Frauen zu sehen (ein Akzent wird auf die Szene gelegt, als die Gefangenen gemeinsam zum Duschen geführt werden), aber das ist relativ geschmackvoll gemacht. Er gab zudem Frauen ernstzunehmende Parts und ließ am Rande etwas Feminismus und Sozialkritik anklingen, anders als das in Gefängnisfilmen der Zeit üblich war. Er empfiehlt sich hier bereits durchaus für Höheres. Demme wollte nicht nur eine Pseudohandlung dazu benutzen, blanke Busen zu zeigen. Ohne Sex und Gewalt geht es freilich nicht – schließlich ist es ein Frauengefängnis-Film. Worauf man sich auch einstellen muß: Vulgäre bis explizite Dialoge, angedeutete Vergewaltigungen durch den Gefängnisarzt (der vor allem dazu da zu sein scheint, renitente Frauen mit Elektroschocks zu behandeln und zu lobotomieren) und wilde Schießereien mit reichlich Blut.

Die Filmmusik hat John Cale (Ex-„Velvet Underground“) eingespielt. Auf ihn hat Demme später noch einmal bei seinem Film „Something Wild“ zurückgegriffen. Kameramann Tak Fujimoto hat für mehrere bekannte New-Hollywood-Regisseure gearbeitet, später beim „Schweigen der Lämmer“ auch wieder für Demme. Bei diesem Film ist es interessant, die Kritiken zu lesen. In USA erkannten manche Rezensenten, daß hinter dem Film etwas mehr steckt. Die Bewertung der Katholischen Filmkommission wurde völlig umgeschrieben, klingt aber in beiden Versionen eher negativ. 1977 zum Kinostart hieß es: „Reißerische Geschichte von Flucht und Befreiung aus einem amerikanischen Frauengefängnis. In Einzelheiten treffende Zustandsschilderung, insgesamt aber klischeehaft mit drastischem Dialog, so daß der Eindruck der Spekulation überwiegt.“ 1985 hörte sich das dann so an: „Die an den Rollstuhl gefesselte Direktorin des Frauengefängnisses (USA) ist hochgradig verklemmt, die Aufseherinnen sind sadistisch veranlagt, der geile Anstaltsarzt ist ein Fall für den Psychiater… Als Handlungsfaden zieht sich durch den reißerisch-detailversessenen, drastisch dialogisierten Film die Befreiung einer Gefangenen von zwei Ausbrecherinnen.“

Großer Minuspunkt: Das im Original nur 83 Minuten lange Werk ist in der deutschen Fassung um fast 20 Minuten (!) gekürzt.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.04.2024, 06:25   #2035  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
„Unterwelt“ (1927) von Josef von Sternberg wird als der erste Gangsterfilm bezeichnet. Das Genre (ob es nach Martin Scorsese noch weitergeführt wird, ist freilich unsicher) hat sich Anfang der 1930er Jahre herausgebildet. Man denke an Filme mit James Cagney, Edward G. Robinson oder Humphrey Bogart. Sternbergs Film fehlen noch viele genretypische Elemente. Es war wohl der erste Film, der einen Gangster ganz in den Mittelpunkt stellte. Er ist aber in verschiedener Hinsicht bemerkenswert, und er war damals auch ein Überraschungserfolg.

Sternberg hatte zwei größere Mißerfolge hinter sich, als er „Unterwelt“ drehte. Zunächst sollte er für Metro einen Film mit der sehr launenhaften Mae Murray machen und zerstritt sich so mit ihr, daß sein Vertrag aufgelöst wurde. Dann bekam er von Charles Chaplin den Auftrag, „A Woman of the Sea“ mit seiner langjährigen Partnerin Edna Purviance zu drehen; mit dem Ergebnis war Chaplin so unzufrieden, daß er alle Filmkopien vernichtete. „Unterwelt“ geht auf eine Idee von Ben Hecht zurück, der als Reporter in Chicago gearbeitet hatte und daher in die dortige Gangsterszene Einblick hatte. Sternberg konnte Paramount von dem Projekt überzeugen, doch Hecht wollte am Ende im Vorspann nicht mehr genannt werden (bekam aber 1929 einen Oscar für seine Story). Das Studio erwartete einen Reinfall und sparte sich die Werbung für den Film. Laut Sternberg erlebte das Premierenkino in New York jedoch allein durch Mundpropaganda einen solchen Publikumsansturm, daß es Tag und Nacht geöffnet blieb und den Film ununterbrochen vorführte.

In meinen Augen sind hier zwei Geschichten zusammengefügt. Die erste handelt von der Konfrontation zweier Gangsterbosse – George Bancroft und Fred Kohler. Beide sind nicht sehr helle, machen aber permanent auf dicke Hose; das ist eigentlich das einzige Merkmal, das sie als Gangster ausweist. Beide sind überzeugt, daß sie niemals eines Verbrechens überführt werden können. Worin ihre dunklen Geschäfte bestehen, bleibt offen. Kohler versucht in einer Szene, die mich sehr an „Rio Bravo“ erinnert, Bancrofts Freund, den philosophierenden Trinker Clive Brook, zu demütigen, indem er in einer Kneipe einen Geldschein in einen Spucknapf wirft, und Brook, der dringend einen Drink braucht, soll ihn herausfischen. Doch Bancroft weist Kohler in die Schranken. Aus Rache macht sich Kohler bei einem Ball an Bancrofts Geliebte, Evelyn Brent, heran und will sie vergewaltigen. Da verfolgt ihn Bancroft bis in dessen Blumengeschäft und erschießt ihn.

Dafür wird er vor Gericht gestellt. Der Richter betont, daß es endlich gelungen sei, Bancroft das Handwerk zu legen. Er wird zum Tod durch den Strick verurteilt. Hier setzt die zweite, eine Dreiecksgeschichte der großen Gefühle ein. Brent und Brook kommen sich näher, aber Brook wagt es nicht, sich an der Freundin des großen Bosses zu vergreifen (erinnert ein bißchen an Uma Thurman und John Travolta in "Pulp Fiction"). Und durch seinen noblen Verzicht steigt er noch in ihrem Ansehen. Sie bleiben jedenfalls sauber und planen gemeinsam, Bancroft aus dem Gefängnis zu befreien. Der Coup schlägt aber fehl. Bancroft hat inzwischen durch infame Gerüchte erfahren, daß sich Brent und Brook angeblich munter miteinander vergnügen. Ihm gelingt selbst der Ausbruch, und er will voll Eifersucht mit den beiden abrechnen. Die Polizei ist ihm jedoch hart auf den Fersen. Als er das Paar stellt, erkennt er, daß sie ihm nach wie vor treu ergeben sind. Er ermöglicht ihre Flucht, während er sich nach einer schweren Schießerei schließlich festnehmen läßt. Die Polizei sagt: „Alles, was du gewonnen hast, ist eine Stunde Aufschub.“ Darauf Bancroft: „Ich mußte etwas herausfinden. Diese Stunde ist mir mehr wert als mein ganzes Leben.“

Letztlich geht es nicht um das Gangstertum (und das hat vermutlich auch Hecht enttäuscht), sondern um eine Liebesgeschichte vor einer exotischen Kulisse. Aber manches, was einen Gangsterfilm ausmacht, ist trotzdem schon da: Der Gangster als Identifikationsfigur, sein Ehrenkodex, die Rivalität zwischen Gangsterbanden, der Umstand, daß der Gangster am Ende stirbt (wenngleich das hier nicht gezeigt wird). George Bancroft ist zwar ein Mordskerl, aber alles andere als ein typischer Gangster. Er hätte später vielleicht eben noch als Killer getaugt, aber auch so ein Killer sollte nicht auf den Kopf gefallen sein. Zwischen ihm und einem Don Corleone liegen Welten. Sehr seltsam fand ich auch die Mitwirkung von Slapstickkomiker Larry Semon. Er spielt ein Mitglied von Bancrofts Bande, aber in Slapstick-Manier. Ich glaube nicht, daß so etwas in einem späteren Gangsterfilm noch einmal vorkam. Fazit: Filmgeschichtlich ist „Unterwelt“ sehr interessant, aber er paßt eher in Sternbergs Werk (später mit Marlene Dietrich) als in die Geschichte des Gangsterfilms. Und noch etwas zur Filmlänge: In USA ist „Unterwelt“ nur etwa 80 Minuten lang, und so ist er auch in youtube zu finden. Die deutsche Fassung hat dagegen 105 Minuten. Warum? Da bin ich überfragt.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.04.2024, 06:29   #2036  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Nach „Unterwelt“ hat es sich für mich angeboten, den Vergleich zu „Die wilden Zwanziger“ (1939) von Raoul Walsh zu ziehen. Eckhart Schmidt sieht in ihm in seiner Doku „Hollywood Gangster“ (habe ich auf youtube gesehen) eine Summe des Gangsterfilms. Sicher, 1939 war das Genre noch nicht an seinem Ende angelangt, aber hier wurde der Gangstertypus, der die 1930er Jahre beherrscht hatte (James Cagney), dem gegenübergestellt, der dann in den 1940er Jahren bestimmend wurde (Humphrey Bogart). Der Film von Walsh erzählt eine wesentlich komplexere Story als der von Sternberg; er versucht, die kriminellen Entwicklungen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg quasidokumentarisch nachzuzeichnen. Da wir immer noch in Hollywood sind, ist es aber letztlich auch eine Liebesgeschichte auf der Folie des Gangstermilieus.

Es geht um drei Kriegskameraden: Cagney, Bogart und Jeffrey Lynn. Als der Krieg aus ist, stellt Cagney bei seiner Heimkehr fest, daß er nicht einfach in sein früheres Leben zurückkehren kann. Für ihn gibt es keine Arbeit – die Daheimgebliebenen haben die guten Stellen besetzt. Er muß sich als Taxifahrer durchschlagen. Dann wird die Prohibition (also ein striktes Alkoholverbot) eingeführt. Eher durch Zufall kommt Cagney mit dem Alkoholschmuggel in Berührung. Er merkt aber schnell, daß da viel Geld zu verdienen ist. Seine Geschäftspartnerin ist die Nachtclubbesitzerin Gladys George, eine Frau mit dem Herz am rechten Fleck. Er gründet eine Bande und wird zu einem führenden Gangster. Er wird so erfolgreich, daß er bald auch seinen eigenen Fusel zusammenpanscht. Allerdings hat er Prinzipien: Gewalt vermeidet er, und er ist im Geschäft verläßlich.

Während er an der Front war, hatte er eine Brieffreundschaft mit Priscilla Lane. Nun besucht er sie erstmals und verliebt sich in sie. Weil sie gern singt, sorgt er dafür, daß sie in Georges Club auftreten kann. Lane läßt sich jedoch auf eine Liebesbeziehung zu ihm nur sehr zögernd ein. George wiederum, die Cagney wirklich liebt, zeigt er die kalte Schulter. Auch mit Lynn ist er jetzt wieder zusammen; er ist Jurist und kümmert sich ums Rechtliche in der Alkoholschmuggel-Firma. Lynn ist die wahre Liebe von Lane; das will Cagney aber nicht wahrhaben. Eines Tages will er ein Schiff kapern, das für einen anderen Gangster (Paul Kelly) Alkohol anliefert. Der Kapitän ist Bogart. Bogart ist ein skrupelloser Verbrecher, der über Leichen geht. Trotzdem beschließen die beiden, sich um der alten Zeiten willen zusammenzutun. Der Boß ist Cagney.

Cagney gelingt es, Kelly aus dem Weg zu räumen. Aber beim großen Börsenkrach 1929 verliert er sein gesamtes Vermögen. Bogart war offenbar klüger und kauft Cagney seine Firma ab. Der muß nun wieder Taxi fahren. Als Lynn Staatsanwalt wird, fürchtet Bogart, daß er ihn vor Gericht bringen könnte. Lynn kennt die Firma schließlich genau. Bogart will ihn umlegen lassen. Lane erfährt von den Plänen und bittet Cagney, Bogart davon abzubringen. Obwohl Cagney nur noch ein kleines Licht ist, läßt Bogart ihn in seinem Hauptquartier vorsprechen. Weil er nicht daran denkt, von seinem Mordplan abzulassen, erschießt ihn Cagney. Auf der Flucht wird er von Bogarts Leuten abgeknallt und stirbt in den Armen von George.

Wegen seines dokumentarischen Charakters hat „Die wilden Zwanziger“ weniger Action zu bieten als vergleichbare Gangsterfilme. Die Wirtschaftsgeschichte der USA in den 1920er Jahren wirkt dennoch recht holzschnitthaft wiedergegeben. Der Hauptantrieb des Films ist die tragische Dreiecksgeschichte: Cagney, der unerwidert Lane liebt und genauso unerwidert von George geliebt wird. Bogart hat hier nur eine Nebenrolle. Trotzdem ist das, was den Film heute noch interessant erscheinen läßt, die Gegenüberstellung der beiden Gangstertypen: des Cagney-Gangsters, der noch eine gewisse Ähnlichkeit mit George Bancroft in „Unterwelt“ aufweist, und des Bogart-Gangsters, den vermutlich der Krieg rücksichtslos und zynisch gemacht hat, der allein seine Ziele durchsetzt und eigentlich ein Einzelgänger, eine existentialistische Figur ist. Es gibt übrigens auch hier eine komische Figur: Frank McHugh, der am Ende auch auf tragische Weise stirbt. Über „Die wilden Zwanziger“ ist in meiner Filmliteratur gar nicht viel zu finden. Georg Seeßlen sieht in „Der Asphalt-Dschungel“ in ihm einen Schlüsselfilm. Und in meiner Bogart-Biografie aus der Heyne-Filmbibliothek wird die interessante Rolle gewürdigt, die er in diesem Film hatte. „Die wilden Zwanziger“ war eine Produktion von Warner, dem für das Gangstergenre führenden Studio. Was er gekostet und eingespielt hat, war ebenfalls nirgendwo verzeichnet.

Geändert von Peter L. Opmann (16.04.2024 um 06:57 Uhr)
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.04.2024, 06:09   #2037  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Der zweite Film auf der Cassette ist „Jagd auf James A.“ (1932) von Mervyn LeRoy. Er gehört zu den Gefängnisfilmen, man könnte darin eine Unterart des Gangsterfilms sehen. Unter seinem Originaltitel „I am a Fugitive from a Chain Gang“ ist er vielleicht bekannter. 1933 lief er in Deutschland auch unter dem originalgetreuen Titel „Ich bin ein entflohener Kettensträfling“. Wie „Die wilden Zwanziger“ zeigt dieses Werk quasidokumentarisch, wie nach dem Ersten Weltkrieg das Gangstertum aufblüht. Hier geht es um ein Einzelschicksal, und die Zielrichtung ist eine Anklage gegen den Strafvollzug in Arbeitslagern, wie er in manchen US-Staaten üblich war. Ich finde den Film dadurch eindringlicher als „Die wilden Zwanziger“. Manches an LeRoys Arbeit ist allerdings in meinen Augen auch recht unglaubwürdig.

Paul Muni (der auch den originalen Scarface gespielt hat) kehrt hochdekoriert aus dem Krieg zurück. Sein Arbeitgeber hat ihm seinen Buchhalter-Job reserviert. Aber der Krieg hat Muni verändert. Er möchte jetzt etwas Sinnvolles tun und Bauingenieur werden. Nun erfährt er jedoch, daß der Berufswechsel nicht so einfach ist. Ohne Arbeit zieht er durch die USA. Ein Mann, den er zufällig trifft, zieht ihn in einen Überfall auf ein Schnellrestaurant hinein. Aber beide werden sofort von der Polizei erwischt – der andere wird erschossen, Muni trotz Unschuldsbeteuerung zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Gefängnis, irgendwo in der Gegend von Kentucky, hat den einzigen Zweck, den Willen der Häftlinge zu brechen. Schwere Mißhandlungen durch das sadistische Wachpersonal sind an der Tagesordnung. Viele Gefangene büßen ihre Gesundheit ein, manche sogar ihr Leben. Muni beschließt zu fliehen, und mit Hilfe eines Haftkumpels (Edward Ellis) gelingt es ihm. Muni verändert zuerst sein Äußeres: Rasiert, mit Anzug und Krawatte, ist er nicht mehr im Suchfeld seiner Verfolger.

Er geht nach Chicago, wo er endlich unter falschem Namen Arbeit findet, und das sogar bei einer Baufirma. Er beginnt als einfacher Arbeiter, aber bewährt sich und steigt bis zum angesehenen Bauleiter auf. Seine Vermieterin (Glenda Farrell) hat ein Auge auf ihn geworfen. Er macht ihr klar, daß er sie nicht liebt, aber sie setzt ihn unter Druck, denn sie kennt seine Vergangenheit. Um sie ruhigzustellen, heiratet er sie. Bald darauf lernt er jedoch seine große Liebe (Helen Vinson) kennen. Er bittet Farrell um die Scheidung, doch sie hetzt die Polizei auf ihn. Als der (nicht genannte) Südstaat seine Auslieferung verlangt, macht er die Zustände in den dortigen Straflagern öffentlich. Ihm wird darauf ein Deal angeboten: Er soll noch einmal für 90 Tage pro forma ins Gefängnis gehen, dann werde er begnadigt. Muni will reinen Tisch machen und geht darauf ein. Im Gefängnis merkt er jedoch schnell, daß der Südstaaten-Gouverneur keineswegs an eine Begnadigung denkt, sondern sich an ihm rächen will. Muni flieht erneut, aber sein bürgerliches Leben ist zerstört. Noch einmal sucht er Vinson auf, um sich von ihr zu verabschieden. Er kann sich jetzt nur noch als Krimineller durchschlagen.

Die Inszenierung kommt mir noch heute ziemlich hart vor. Den Kettensträflingen ergeht es nicht besser als antiken Galeerenruderern, und die Willkür und Ungerechtigkeit im Umgang mit ihnen wird sehr herausgestellt. Die spannendste Passage ist für mich Munis erste Flucht, bei der er zu Fuß den Suchmannschaften und ihren Bluthunden entkommen muß. Beim zweiten Mal bringt er einen Lastwagen in seine Gewalt. Die melodramatischen Elemente des Films sind dagegen nicht so gut gelungen. Warum hängt sich eine Frau an ihn, mit der er nicht zusammenleben will? Was verspricht sie sich davon? Seltsam auch, daß er ihr gegenüber sagt, er sei nur an seiner Arbeit interessiert. Bei der nächsten Gelegenheit läßt er sich jedoch gleich mit einer anderen Frau ein. Beides trägt wesentlich zu den tragischen Verwicklungen bei, aber wirkt doch auf mich sehr konstruiert.

Was ich nicht beurteilen kann: Ist es möglich, daß ein Gouverneur öffentlich verspricht, einen Delinquenten zu begnadigen, und es dann einfach nicht tut? Gibt es in Chicago niemanden, der Muni helfen kann, nachdem er im Knast schmoren muß? Und es wirft ein seltsames Licht auf die amerikanische Justiz, wenn Muni nach seiner zweiten Flucht keine Chance mehr hat, seinen Fall zu klären. Das alles spricht nicht unbedingt dafür, daß das Geschehen wirklich dokumentarisch eingefangen ist (angeblich liegt eine wahre Geschichte zugrunde). Aber natürlich werden hier Mißstände im US-Strafvollzug dieser Zeit ungeschminkter gezeigt, als das sonst in Hollywood üblich gewesen sein dürfte. Ich kenne einen weiteren Film dieser Zeit, der ebenfalls Mißstände klar anprangert: „Kinder auf den Straßen“ von William A. Wellman. Beide sind Warner-Produktionen – dieses Studio war damals für seine Sozialkritik bekannt.

Geändert von Peter L. Opmann (18.04.2024 um 06:15 Uhr)
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.04.2024, 06:51   #2038  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Ich habe noch einige Stummfilme, die zu digitalisieren sind. Daher habe ich wieder mal einen herausgesucht: „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (1920) von Paul Wegener und Carl Boese. Ein echter Klassiker, der oft als Horrorfilm eingeordnet wird. Für mich ist es ein Märchenfilm, oder man könnte auch sagen: Fantasyfilm. Nachdem schon „Das Cabinet des Dr. Caligari“ ein internationaler Erfolg geworden war, erregte der „Golem“ erneut weltweit Aufsehen (sogar in China). Hatte „Caligari“ das Publikum verstört, so wurde es hier in eine wundersame Welt hineingezogen. Im Kern geht es in meinen Augen um ein Verhängnis, das die Menschen gerade dadurch trifft, daß sie es abzuwenden versuchen. Doch das Ende ist versöhnlich und paßt zu der eher pittoresken Fantasywelt, die hier evoziert wird. Der „Golem“ lief aus Anlaß von „100 Jahre Kino“ im Fernsehen und war mit Musik von Aljoscha Zimmermann unterlegt – die Original-Filmmusik war damals verschollen.

Rabbi Löw (Albert Steinrück) sieht als Sterndeuter Unheil auf sein jüdisches Schtetl zukommen. Und schon scheint es sich zu manifestieren: Der Kaiser (Otto Gebühr, später zu König Friedrich dem Großen degradiert) ordnet die Vertreibung der Juden aus seinem Reich an. Löw versucht, sein Volk dagegen zu wappnen, indem er aus Lehm einen Golem knetet. Er weiß, daß dieser superstarke Koloss zum Leben erwacht, wenn ein Amulett mit einem bestimmten Zauberwort in seine Brust eingelassen wird. Dieses Wort besorgt er sich durch Anrufung des Dämons Astaroth (ein heidnischer Götze). Das Experiment gelingt: Mit dem Zettel in seiner Brust erwacht der Golem (Paul Wegener) zum Leben – eine berühmte Szene, wie er sich noch ohne jegliche menschliche Erfahrung erstmals umblickt. Es folgen ein paar Szenen, wie der Golem Befehle ausführt und dabei das Leben ein wenig kennenlernt.

Der kaiserliche Bote (Lothar Müthel) und Löws Tochter (Lyda Salmonova) haben sich ineinander verliebt, eine verbotene Verbindung von Angehörigen verschiedener Religionen. Während Löw mit seinem Golem im Schlepptau ein kaiserliches Fest besucht, um für sein Volk zu bitten, haben sie ein heimliches Schäferstündchen. Löw führt dem Hofstaat seinen Androiden vor und erfreut ihn mit Zauberkunststücken. Als sie sich über die Juden lustig machen, droht die Saaldecke plötzlich einzustürzen (eine Strafe Gottes). Doch der Rabbi befiehlt dem Golem, sie abzustützen. Die Festgesellschaft ist gerettet. Zum Dank widerruft der Kaiser seinen Befehl. Inzwischen hat aber Löws Diener (Ernst Deutsch) entdeckt, daß seine Tochter in ihrer Kammer nicht allein ist. Löw kehrt zurück und will den Golem, der nun nicht mehr gebraucht wird, zerstören. Aber er wird zur Dankfeier in den Tempel gerufen.

Der Diener setzt dem Golem das Amulett wieder ein und befiehlt ihm, in der Kammer der Tochter nach dem Rechten zu sehen. Der Golem tut, wie ihm geheißen, aber tötet dabei den kaiserlichen Boten. Er ist nicht mehr kontrollierbar. Und er wehrt sich auch dagegen, daß das Amulett entfernt wird. Durch die Auseinandersetzungen gerät das Haus des Rabbis in Brand. Das Feuer droht, auf das ganze Schtetl überzugreifen. Da ist das Verhängnis nun. Löw hat vorher in seiner Kabbala gelesen: Wer Astaroths Dienste in Anspruch nimmt, muß dafür bezahlen. Löw bringt mit einem Zauberspruch den Brand zum Erlöschen. Aber der Golem ist verschwunden. Er stakst durch die Stadt auf der Suche nach Neuem, das er lernen und erfahren kann. Was wohl zu noch mehr Zerstörung führen wird. Am Stadttor trifft er auf eine Schar Kinder. Ein kleines Mädchen nimmt er neugierig auf den Arm. Es spielt an seiner Brust herum und dreht dabei das Amulett heraus. Der Golem wird wieder zu einem toten Lehmklumpen.

Nach meinem Verständnis werden die Juden in diesem Film zwar skurril, aber nicht unsympathisch gezeichnet. Manchmal wird es mit der jüdischen Kultur sogar übertrieben, denn sie tragen die Bundeslade durch die Straßen und gehen in einen „Tempel“ (beides gibt es seit der Antike nicht mehr). Generell spielt die Geschichte in einem unspezifischen Mittelalter. Rabbi Löw ist eine historische Gestalt und lebte im 16. Jahrhundert in Prag. Der Golem nimmt in vielem Frankensteins Monster (des Universal-Studios) vorweg; besonders deutlich wird das bei seiner Begegnung mit dem Mädchen, die es – mit freilich ganz anderem Ausgang – in „Frankenstein“ auch gibt. Der Film wirkt überraschend frisch – die Kulissen des Städtchens sehen noch immer berückend aus: schiefe Häuschen, die aber zu einem großen Organismus zusammenwuchern. Viele Szenen sind in einem grellen Helldunkel gehalten, und es gibt viele Großaufnahmen verzerrter und zugleich komisch anmutender Gesichter. Und die Handlung wird, anders, als man das bei einem Stummfilm erwarten würde, sehr dynamisch erzählt. Da ist nichts überflüssig und vieles immer wieder überraschend.

Wegener, der beanspruchen kann, den Film weitgehend nach seinen Vorstellungen gestaltet zu haben, hatte den Golem-Stoff schon vor dem Ersten Weltkrieg entdeckt (1908 entstand ein entsprechendes Theaterstück) und zuvor auch schon zweimal verfilmt. Doch beim ersten „Golem“ (1914) zwang ihn die Produktionsfirma aus Kostengründen, die Geschichte in der Gegenwart anzusiedeln. Der zweite „Golem“ (1917) hat fast nichts mit der Legende zu tun. Erst mit dem dritten, dem vorliegenden Werk der Berliner Union Film konnte Wegener seine Vision richtig verwirklichen. Der Erfolg gab ihm recht.

Geändert von Peter L. Opmann (20.04.2024 um 06:56 Uhr)
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.04.2024, 06:17   #2039  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Gestern abend wollte ich etwas Leichtes sehen. Also habe ich „Rocketeer“ (1991) von Joe Johnston ausgewählt. Ich kenne den Comic von Dave Stevens (einen zum Filmstart erschienenen Grafton-Sammelband), aber den Film habe ich jetzt zum ersten Mal gesehen. Ich habe ihn mal als Kaufcassette auf dem Flohmarkt erworben. Einen Vergleich von Comic und Film schenke ich mir; dafür müßte ich auch den Comic nochmal genau lesen. Aber der Film ist auch so ein paar Anmerkungen wert. Es war für mich keine schlechte Unterhaltung, aber man sollte sich über die Plausibilität der Handlung nicht allzu viele Gedanken machen. „Postmodern“ ist vielleicht eine zu anspruchsvolle Einordnung, aber der Film rührt leichtfertig Versatzstücke einer Superheldenstory (aus dem Golden Age), des Gangster- und Fliegerfilms und eines Films im Film mit vielen Insider-Anspielungen zusammen, und da knirscht es öfters in der Konstruktion. Beim Comic habe ich das einstmals nicht so empfunden.

Der Film spielt 1938, also kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Es gibt ziemlich viele Akteure: Mitglieder einer kleinen privaten Fluggesellschaft (in einer Zeit, als Fliegen noch nicht sehr sicher war), das FBI, eine Gangsterbande und einen Nazispion, der sich als Hollywoodstar tarnt, mit etlichen Nazischergen im Hintergrund. Eine Sonderrolle spielen ein riesenhafter Schläger (Tiny Ron Taylor) auf Seiten der Nazis und der Millionär und Flugzeugnarr Howard Hughes (Terry O’Quinn). Held des Films ist ein Fliegeras (Bill Campbell), das um die Liebe seines Lebens (Jennifer Connelly) kämpfen muß. Diese Figuren alle unter einen Hut zu bekommen, erfordert ziemliche Verrenkungen in der Story.

Campbell übt für einen US-Flugwettbewerb, als er zufällig auf eine seltsame Maschine stößt, die sich als auf dem Rücken tragbares Raketentriebwerk entpuppt. Bald schon stellt sich heraus, daß sowohl eine Gangsterbande als auch das FBI hinter dem Gerät her sind. Campbell probiert es heimlich aus und wird damit zum Rocketeer. Die Gangster finden heraus, daß Campbell im Besitz des Fluggeräts sein muß und daß Connelly seine Freundin ist. Filmstar Timothy Dalton (seine Rolle spielt auf Errol Flynn an) macht sich an sie heran, und sie gibt ihrem Flieger deshalb zunächst den Laufpaß. Ihr wird jedoch am ersten Abend mit Dalton klar, daß er ein Nazi ist. Dalton kidnappt sie und will so Campbell zwingen, ihm das Raketentriebwerk zu übergeben.

Es wird klar, daß es sich um eine Geheimwaffe für den bereits von allen erwarteten Zweiten Weltkrieg handelt. Die Deutschen haben allerdings das Problem, daß das Gerät in Betrieb sehr heiß wird, nicht gelöst, dafür aber Howard Hughes, der einen ähnlichen Apparat konstruiert hat – den sich nun alle unter den Nagel reißen wollen. Dalton und Campbell vereinbaren die Übergabe gegen die Freilassung von Connelly. Der Nazispion will sich anschließend mit einem Zeppelin aus dem Staub machen. Doch Campbell gibt das Triebwerk nicht heraus, wird erneut zum Rocketeer und kämpft im und auf dem Zeppelin gegen die Nazibande. Die Gangster haben zuvor die Seiten gewechselt, da sie nicht wußten, daß sie für Nazis arbeiten. Im Verlauf des Kampfs gerät das wegschwebende Luftschiff in Brand. Dalton bringt das Triebwerk an sich und will damit den Zeppelin verlassen. Aber nun explodiert es in der Luft, während Campbell und Connelly sich in Sicherheit bringen können.

Dieser wilde Genremix, der im Comic längst nicht so weit getrieben wird, geht klar auf Kosten der Story. Denkt man nicht so viel über Logik nach, dann ist der Film ganz vergnüglich. Aber auf jeden Fall wird klar, daß die Geschichte nur Vorwand für Action und Effekte ist. Die sind immerhin handwerklich ordentlich gelungen. Obwohl die Figuren allesamt nur Klischees sind, wirken sie beim Herumzappeln ganz sympathisch. Allerdings hätte ich Betty Page, die Stevens wiedereingeführt hatte, noch lieber gesehen als die recht attraktive Jennifer Connelly. Der Film, eine Disney-Produktion (Touchstone Pictures), hat eine interessante Entstehungs- und Produktionsgeschichte, die man in der englischen wikipedia nachlesen kann. Ich lerne so allmählich, daß man die dort angegebenen Produktionskosten und Einspielergebnisse nicht einfach als Umsatz minus Kosten gleich Gewinn betrachten darf. „Rocketeer“ hatte keine großen Stars, konnte dennoch 1991 an der Kinokasse mit Kevin Costners „Robin Hood“ und „City Slickers“ beinahe mithalten, erfüllte aber insgesamt nicht die wirtschaftlichen Erwartungen. Es waren zwei Fortsetzungen geplant, die dann beide nicht realisiert wurden.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.04.2024, 06:28   #2040  
Marvel Boy
Moderator Panini Fan-Forum
 
Benutzerbild von Marvel Boy
 
Ort: Hannover
Beiträge: 16.999
Beim ersten Sichten damals war ich arg enttäuscht, irgendwie hatte ich andere Erwartungen und ja, die Story ist nicht die ausgefeilteste.
Mittlerweile schaue ich ihn anders und kann feststellen er hat seinen eigenen Charme mit vielen Anspielungen und ist leicht parodistisch.

KEEP CALM AND DON'T SMASH!
Marvel Boy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.04.2024, 06:35   #2041  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Sehe ich auch so. Ich war trotz der Mängel nicht enttäuscht.

Ist das nicht auch ein relativ frühes Beispiel einer Comicverfilmung?
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.04.2024, 06:40   #2042  
Marvel Boy
Moderator Panini Fan-Forum
 
Benutzerbild von Marvel Boy
 
Ort: Hannover
Beiträge: 16.999
Zumindest waren wir damals nicht so überschwemmt mit Comicverfilmungen wie heute.
Angefangen mit der Verfilmung von Comics hat man ja schon recht früh bei den Kinoserials auf die der Film ja auch anspielt.

KEEP CALM AND DON'T SMASH!
Marvel Boy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.04.2024, 07:00   #2043  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Das Serial, auf dem "Rocketeer" fußt, hieß "King of the Rocket Men" und stammt aus den 1940er Jahren. Dieses Serial hatte aber mit Comics nichts zu tun. Der Comicbezug bei Dave Stevens war Betty Page.

Äh - vielleicht liege ich da falsch. Gab es in den 50er Jahren bereits Betty-Page-Comics?

Geändert von Peter L. Opmann (22.04.2024 um 07:11 Uhr)
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.04.2024, 18:05   #2044  
Marvel Boy
Moderator Panini Fan-Forum
 
Benutzerbild von Marvel Boy
 
Ort: Hannover
Beiträge: 16.999
Kann ich mir bei der Thematik nicht vorstellen.
Die ersten gab es wohl in den 1980ern.

KEEP CALM AND DON'T SMASH!
Marvel Boy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.04.2024, 18:59   #2045  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Ich hatte "Betty Page"-Comics vor Augen, von denen es ja tatsächlich einige gibt. Aber die kamen dann wohl im Gefolge des "Rocketeer"-Films.

Eigentlich muß es "Bettie Page" heißen. Ihre Pin-ups waren gewagt, aber überschritten - laut wikipedia - gewisse Grenzen nie.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.04.2024, 06:08   #2046  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Wieder mal eine filmhistorische Kuriosität: „Ich tanze in dein Herz“ (1948) von Phil Karlson. Dieses Beinahe-Filmmusical wäre vergessen, wenn es nicht der erste Film von Marilyn Monroe wäre. Stimmt nicht ganz: Sie war Fotomodell und wurde von der 20th Century Fox sozusagen auf Verdacht unter Vertrag genommen (wie viele andere hübsche Mädchen). Sie spielte in zwei Filmen vor „Ich tanze in dein Herz“. Aus dem einen wurde sie fast komplett herausgeschnitten, in dem anderen spielte sie nur eine kleine Nebenrolle. Damit war der Vertrag zuende, und Columbia engagierte sie für dieses Werk. Ein unbedeutender B-Film, nur 60 Minuten lang, aber da hatte sie eine der Hauptrollen. Offizieller Star des Films ist Adele Jergens, aber nachdem Monroe zur Leinwandgöttin aufgestiegen war, kam er als Marilyn-Monroe-Film erneut ins Kino. Trotzdem faßte Monroe auch bei Columbia nicht Fuß. In Deutschland lief der Film nicht, sondern wurde in den 1990er Jahren von RTL erworben und, weil er nicht mehr zeitgemäß war, schließlich auf SuperRTL gezeigt. „Ich tanze in dein Herz“ hat eine simple und belanglose Story, aber ich habe keine großen Schwächen entdeckt, und ich würde sagen, Marilyn Monroe zeigt im Prinzip schon vieles, was später Filme wie „Wie angelt man sich einen Millionär“ oder „Machen wir‘s in Liebe“ auszeichnete (abgesehen davon, daß sie hier für eine Sexbombe noch viel zu brav ist). Kann freilich sein, daß ich von dem großen Namen geblendet bin.

Sie spielt eine Revuetänzerin, die zur Hauptattraktion ihrer Show aufsteigt und dadurch die Aufmerksamkeit des Geschäftsmanns Rand Brooks auf sich zieht. Er macht ihr den Hof und will sie schließlich heiraten, aber Monroes Mutter (Jergens), selbst eine Tingeltangel-Tänzerin, ist dagegen. Wie sie erzählt, hat sie schlechte Erfahrungen gemacht: Einst hat sie einen Mann mit gesellschaftlicher Position geheiratet, wurde aber von seinem Umfeld immer abgelehnt. Die Ehe scheiterte. Davor will sie ihre Tochter bewahren. Brooks‘ Mutter (Nana Bryant), die durchaus abzuchecken versucht, welche Verbindungen Monroe zur High Society hat, erfährt daher gar nicht, wer dieses Mädchen ist. Als es bei der Verlobungsfeier herauskommt, reagiert die Festgesellschaft schockiert, wie erwartet. Aber da wirft sich Bryant für das Paar in die Bresche: Sie singt eine Revuenummer und behauptet, sie selbst sei ursprünglich auch Varietékünstlerin gewesen. Das ist zwar erfunden, aber nun kann niemand mehr etwas gegen die Hochzeit sagen. Bei dieser Gelegenheit bekommt auch Mutter Jergens einen neuen Mann ab…

Der Schluß ist natürlich ziemlich unglaubwürdig, um nicht zu sagen: verlogen. Wenn ich jedoch speziell den Auftritt von Monroe betrachte, so ist sie in diesem Film eine naive, aber sehr liebreizende Blondine. Sie ist bereits eine einnehmende Sängerin und Tänzerin, und sie wirkt vor der Kamera völlig natürlich – was in ihren großen Filmen ihre besondere Stärke war. Ihre Figur steht allerdings sehr unter dem Einfluß ihrer Mutter, und sie fügt sich da immer widerspruchslos; das gab es später nicht mehr. Wenn man sich das Verzeichnis der Filme ansieht, die sie gedreht hat, hatte sie bis zum großen Durchbruch noch einen weiten Weg vor sich. Der wird allgemein in dem Henry-Hathaway-Thriller „Niagara“ gesehen. Das war ihr 19. Film.

Interessant finde ich, wie die Öffentlichkeit auf die frühe Monroe reagiert hat. Über die Wirkung des Films habe ich nichts Näheres gefunden, nicht einmal, mit welchem A-Film er zusammengespannt wurde. Im „Motion Picture Herald“ hieß es aber immerhin: „Einer der Vorzüge dieses Films ist Miss Monroes Gesang. Sie ist hübsch und zeigt – mit ihrer angenehmen Stimme und ebensolcher Ausstrahlung – vielversprechendes Talent.“ Da alle Schauspieler in „Ich tanze in dein Herz“ solide Leistungen zeigen, ist es nicht selbstverständlich, daß ein Kritiker auf sie besonders eingeht. John Huston (bei dem sie in „Asphaltdschungel“ mitwirkte) sagte über sie: „Bei mir spielte Marilyn Monroe ihre erste richtige Filmrolle, und ich kann nicht behaupten, daß ich auch nur die leisteste Ahnung hatte, was noch aus ihr werden sollte. Ich fühlte aber, daß sie in diesem Film gut sein würde und habe sie deshalb auch unter einer ganzen Reihe von Mitbewerberinnen ausgewählt. Allerdings hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen, wie weit sie es noch bringen würde.“ Otto Preminger, der sie bereits als Superstar in „Fluß ohne Wiederkehr“ besetzte, sagte dagegen: „Trotz der Tatsache, daß sie auf so tragische Weise ums Leben gekommen ist, war sie nicht das große Genie, das die Leute gern in ihr sehen. Sie war ein liebes Mädchen mit einem sehr beschränkten Horizont.“

(Alle Zitate aus Conway/Ricci: Marilyn Monroe und ihre Filme. München, 1980)
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.04.2024, 13:48   #2047  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Noch eine Anmerkung:

Wer die ganz junge Marilyn Monroe sehen möchte, findet den Film unter seinem Originaltitel "Ladies of the Chorus" mehrfach bei youtube. Die deutsche Fassung ist da, soweit ich sehe, nicht vertreten.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt Gestern, 06:14   #2048  
Peter L. Opmann
Mitglied
 
Benutzerbild von Peter L. Opmann
 
Ort: Hessen
Beiträge: 5.522
Beim nächsten Film kenne ich das genaue Aufnahmedatum: 1. April 1991. Es erscheint nämlich von Zeit zu Zeit ein Schriftband mit einer „breaking news“, die damals noch nicht so genannt wurde: der Ermordung des damaligen Treuhandchefs Detlev Rohwedder. Im Vergleich zu diesem realen Mord sind die Morde im Film eine gemütliche Angelegenheit. Ich spreche von „Das letzte Wochenende“ (1945) von René Clair. Ich finde diese Kriminalkomödie nicht völlig gelungen, aber man kann aus der Analyse unter verschiedenen Aspekten Nutzen ziehen. Möglicherweise lieferte Clair hier das Muster für alle folgenden Agatha-Christie-Verfilmungen; der Stil ähnelt insbesondere den Miss-Marple-Filmen mit Margaret Rutherford. Es ist einer von vier Filmen, die der Franzose in Hollywood gedreht hat. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs floh er in die USA und arbeitete für die 20th Century Fox. Ähnlich wie Fritz Lang hatte er wenig Schwierigkeiten, sich an die amerikanische Produktionsweise anzupassen, kehrte aber bei Kriegsende sofort nach Frankreich zurück. Er war auch einer der profiliertesten Regisseure, gegen die sich ab Ende der 1950er Jahre die Nouvelle Vague wandte.

Ich habe bisher bei den Inhaltsangaben wenig Rücksicht auf Spoiler genommen, aber dieser Film, der auf Christies Roman „Zehn kleine Negerlein“, später geändert in „Und dann gab’s keines mehr“, beruht, ist ein so klassischer Whodunit, daß ich mich diesmal auf die Exposition beschränke (falls jemand den Film noch nicht kennt und nun gern sehen möchte – er ist public domain). Sechs Männer und zwei Frauen werden von einem Mr. U. N. Owen in ein Haus auf einer abgelegenen Insel eingeladen. Es gibt dort zwei Bedienstete; Owen erscheint nicht. Alle zehn Hausbewohner haben sich eines Kapitalverbrechens schuldig gemacht, und nun werden sie einer nach dem anderen, jeder völlig unerwartet, umgebracht, damit dem Recht Genüge getan wird. Die Überlebenden kommen allmählich darauf, daß Owen (seinen Namen kann man auch als „unknown“ verstehen) einer von ihnen sein muß – aber wer? Jetzt mißtraut jeder jedem. Am Ende zeigen sich Abweichungen vom Muster. Ein Gast ist gar nicht der, der er zu sein schien. Gleichzeitig werden falsche Fährten gelegt. Ganz zum Schluß wird das Geheimnis des Mr. Owen gelüftet – zwei Menschen haben überlebt.

Hier wirken mehrere Faktoren positiv zusammen: Das Drehbuch (von Dudley Nichols) faßt die Vorlage prägnant zusammen; die Schauspieler stellen ihre Typen gelungen dar (unter anderem Barry Fitzgerald, Walter Huston, Louis Hayward und June Duprez); und Clair inszeniert das Ganze sehr wirkungsvoll – es kommt eine Mischung aus viel Spannung, leichten Schockeffekten und schwarzem Humor heraus, die sehr unterhaltsam ist. Ich habe den Eindruck, daß der Film zudem eine eher europäische Handschrift hat; ein Gutteil der Schauspieler sind auch keine Amerikaner. Die Konstruktion der Story gibt freilich im Zweifel dem Effekt den Vorzug. Bei genauerem Nachdenken erscheint die Handlung nicht immer logisch; das stört aber nicht.

Clair macht hier handwerklich perfektes Kino. Wirklich zu bedeuten hat die Geschichte nichts – und das ist das, was die jungen Filmemacher der Nouvelle Vague ihren Vorgängern vorwarfen. Ich würde jedoch sagen, daß der Film, weniger sorgfältig gemacht, noch immer seine Wirkung gehabt hätte. Dafür sollte man Clair nicht tadeln, sondern eher loben. Soweit ich gesehen habe, wird der Film von der Kritik auch fast ausnahmslos gelobt, wenngleich er damals nur beim Filmfestival von Locarno einen Preis bekam. Der Filmhistoriker Jerzy Toeplitz vertritt die entgegengesetzte Position und schreibt: „Am schwächsten war René Clairs vierter amerikanischer Film, den der Autor selbst gern aus seinem Schaffen streicht. (Dieser Film) war wahrscheinlich ein Zugeständnis oder ein Kompromiß seitens des Regisseurs. In formaler Hinsicht hat sich René Clair der ihm anvertrauten Aufgabe so gut wie möglich entledigt; er schuf (einen Film), der gut gemacht und interessant war, besser als korrekt gespielt worden ist und zu alledem großen Erfolg hatte. Aber es war zugleich ein leerer Film, dem der individuelle Stempel der Originalität fehlte, es war ein unpersönlicher Film. Jeder Regisseur in Hollywood hätte ihn gedreht haben können…“
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Neues Thema erstellen Antwort

Zurück   Sammlerforen.net > Öffentliche Foren > Sammelgebiete > Film und DVD


Forumregeln
Es ist dir nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist dir nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist dir nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist dir nicht erlaubt, deine Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 08:26 Uhr.


Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, Jelsoft Enterprises Ltd.
Copyright: www.sammlerforen.net

Das Sammler-Netzwerk: Der Sammler - Sammlerforen
Das Comic Guide-Netzwerk: Deutscher Comic Guide - Comic Guide NET - Comic-Marktplatz