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Alt 25.10.2023, 07:16   #1651  
Peter L. Opmann
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Den Film habe ich Anfang der 80er Jahre erstmals gesehen. Vielleicht kannte ich da schon Gangsterfilme mit Humphrey Bogart, aber er hatte für mich sicher noch kein festes Image.

Ich wollte vor allem darauf hinaus, daß er eine gebrochene Figur spielt. Er ist hier nicht unbedingt ein netter Onkel, sondern man nimmt ihm ab, daß er die Familienmitglieder töten wird, wenn sie sich ihm in den Weg stellen. Aber er will doch Gewalt möglichst vermeiden (auch weil da für Mord noch der elektrische Stuhl droht), und er muß auch seine Mithäftlinge im Schach halten, die weniger über die Folgen ihres Handelns nachdenken.

Wäre Bogart eine eindimensionalere Figur, dann wäre der Film nur ein durchschnittlicher Reißer.
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Alt 27.10.2023, 06:19   #1652  
Peter L. Opmann
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Bin von meinem Plan, zuerst die Filme zu digitalisieren, die schwierig auf DVD oder im Internet zu finden sind, nochmal abgewichen. „Peanuts – Die Bank zahlt alles“ (1996) von Carlo Rola gehört strenggenommen auch deshalb nicht hierher, weil diese Komödie noch keine 30 Jahre alt ist. Aber ich wollte mir den Film jetzt gern nochmal ansehen, weil ich auf den Gedanken kam, er funktioniere ähnlich wie „Schtonk!“ (siehe oben). Da ist tatsächlich was dran, wenn auch Rola (bekannt vor allem als Regisseur der „Rosa Roth“-Krimis und eigentlich ein Theatermann) einen anderen Inszenierungsstil hat als Helmut Dietl. In beiden Fällen geht es um einen realen Skandal, der mit satirischen Mitteln, aber grundsätzlich nahe an den Fakten nachgespielt wird. Dort wurde der Verlag Gruner & Jahr angeschmiert, hier nun die Deutsche Bank. Mir ging beim Betrachten immer wieder durch den Kopf: „Die Welt will betrogen sein.“

Mit dem Skandal hinter „Peanuts“ hatte ich sogar geringfügig Berührung, weil ich damals für eine Handelszeitschrift arbeitete und es unter anderem um die Renovierung und den Bau von Einkaufszentren ging. Sonst könnte die Sache allmählich in Vergessenheit geraten sein – mit Ausnahme des Ausspruchs des damaligen Deutsche-Bank-Chefs, bei den unbezahlten Baufirmen-Rechnungen (50 Millionen D-Mark) handele es sich lediglich um „Peanuts“. Dahinter steckte ein Frankfurter Bauentwickler, der feststellte, daß er zwar an kleinere Kredite nicht herankam, aber praktisch jeden Betrag verlangen konnte, wenn er mit entsprechendem Auftreten große Bauprojekte anging. Er wird im Film von Ulrich Mühe dargestellt. Weitere wichtige Rollen haben Traugott Buhre als Chef der Germanischen Bank, Rufus Beck als Bankreferent, der als einziger dem Baulöwen nicht traut, Iris Berben als Pressereferentin der Immobilienfirma und Sonja Kirchberger als seine Masseuse, die ihm die Türen zur Vorstandsabteilung der Bank öffnet. Kleine Auftritte haben auch Heinz Schenk, Hans-Michael Rehberg (als orientalischer, aber hessisch babbelnder Teppichhändler) und Marita Marschall.

Problem des Baulöwen war, daß er zwar immer wieder hochfliegende Pläne hatte, seine Immobilien aber in der Regel schwer verkäuflich waren – wovon den Banken aber lange nichts merkten. Ein besonders dreistes Geschäft war der Bau einer Einkaufsgalerie mit 9000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Kredit gab es allerdings für angebliche 22 000 Quadratmeter. Die Bank wurde zudem durch gefälschte Mietverträge getäuscht; die weit überteuerten Mieten zahlte sich der Baulöwe selbst, dem es nur darum ging, für den nächsten, weit umfangreicheren Kredit vertrauenswürdig zu bleiben. Am Ende tauschen sich zwei Bankmanager beim Golfspielen zufällig über ihren guten Kreditkunden aus und merken endlich, daß er bei mehreren Banken verschuldet ist und zwar weit höher, als er ihnen weisgemacht hatte.

Das ist im Prinzip ein Stoff wie „Der Hauptmann von Köpenick“, folgt aber so akkurat dem zugrundeliegenden wirklichen Geschehen aus der Wendezeit, daß es keine richtige Komödienstruktur gibt. Allerdings muß man Rola (wie auch Dietl) zugestehen, daß er mit einem hervorragenden Ensemble die einzelnen Szenen sehr komisch gestaltet. Rola hat auch ein paar originelle Einfälle: Er läßt zum Beispiel Mühe immer wieder einem kleinen Handwerker begegnen, der auch einen Kredit braucht und ihn an seine Anfänge erinnert; ähnlich wie Chaplin in „Der große Diktator“ spielt Mühe sowohl den Großkotz als auch den kleinen Mann. Mehrmals läßt Rola aber auch Szenen wie bei einer Softsex-Klamotte aussehen. Dabei geht es immer darum zu demonstrieren, daß Macht und Geld Männer erst sexy machen. Das ist mir des Guten etwas zu viel.

Der Film ist insgesamt recht unterhaltsam, man kann ihm keine ausgesprochenen Schwächen nachsagen. Aber wie „Schtonk!“ lebt er ganz davon, daß man die Anspielungen auf das reale Geschehen versteht. Folgerichtig taucht er beinahe nur in der deutschsprachigen wikipedia auf – seltsamerweise gibt es noch einen Eintrag in der walisischen Version (hat der Mann vielleicht auch in Wales gebaut?). Was er gekostet und eingespielt hat, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Mir fällt jetzt noch ein dritter deutscher Film ein, der wohl das gleiche Bauprinzip wie „Schtonk!“ und „Peanuts“ aufweist: Bernd Eichingers „Das Mädchen Rosemarie“ zum Nitribitt-Nachkriegsskandal (auch den habe ich auf Video).
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Alt 27.10.2023, 06:35   #1653  
Marvel Boy
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Wenn du den Film jetzt nicht hervorgezaubert hättest wäre der nie wieder auf meinem Schirm aufgetaucht.
Das sagt glaube ich schon alles.
Und um gleich auch noch was zu Rosi zu schreiben, der wurde damals viel beworben hab mir den aber trotzdem nicht angeschaut.

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Alt 27.10.2023, 06:50   #1654  
Peter L. Opmann
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Schade irgendwie, denn der Film ist wirklich nicht schlecht gemacht. Aber da die Aktualität weg ist, kann er auch in die Tonne.
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Alt 27.10.2023, 07:03   #1655  
Marvel Boy
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Welcher? Rosi?
Hab ich da doch was verpasst?

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Alt 27.10.2023, 07:08   #1656  
Peter L. Opmann
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Nein, ich rede natürlich von "Peanuts".

Trotz der leichten Schmuddeligkeit ist auch Sonja Kirchberger ein Erlebnis.
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Alt 28.10.2023, 15:28   #1657  
Peter L. Opmann
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Nachdem ich gestern den "Hauptmann von Köpenick" erwähnt hatte, wollte ich mir diesen Film auch mal ansehen. Er ist auf einer Videocassette, die ich mal im Gratis-Buchregal gefunden habe. Ich war überzeugt, daß es sich um die Heinz-Rühmann-Fassung handelt; stimmt aber gar nicht.

"Der Hauptmann von Köpenick" wäre auch was für die Abteilung "Original und Remake", aber ich habe leider nur diese eine Fassung. Nachdem ich nun erstmals reingeschaut habe, habe ich festgestellt, daß es sich um die wohl jüngste Verfilmung von Frank Beyer mit Harald Juhnke in der Titelrolle handelt. Diesen Film von 1997 werde ich hier nicht besprechen.

Es gibt einige Filmfassungen: Zuerst verfilmte Richard Oswald 1931 das Zuckmayer-Stück (kurz nachdem es herausgekommen war) mit Max Adalbert in der Hauptrolle. Adalbert gilt allgemein als der beste Hauptmann von Köpenick. Er ist wohl heute vergessen, weil er schon 1933 starb. 1941 verfilmte Oswald das Stück noch einmal in Hollywood unter dem Titel "I was a Criminal" mit Albert Bassermann und einigen weiteren Exilanten. Das ist ein Film, der wohl auch die Exil-Situation wiederspiegelt.

1956 kam der Film ins Kino, den ich erwartet hatte. Heinz Rühmann unter der Regie von Helmut Käutner als Schuster in Offiziersuniform. Bemerkenswert an diesem Film ist, daß es die erste große Filmrolle für Rühmann seit Kriegsende war und sein Comeback. Zehn Jahre lang hatte er sich mit Bühnenauftritten begnügen müssen, weil er im Dritten Reich so erfolgreich gewesen war. Es ist wohl bis heute nicht ganz geklärt, ob er ein opportunistischer Mitläufer war oder zumindest verfolgten Schauspielerkollegen geholfen hat.

Es gibt noch eine - mir bisher auch völlig unbekannte - TV-Fassung von 1960 mit Rudolf Platte. Ich lese: "Langatmige Parodie auf wilhelminischen Mief". Dagegen scheint die Juhnke-Version gar nicht schlecht zu sein. Ich schwanke noch, ob ich mir den Film heute abend ganz ansehe.
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Alt 30.10.2023, 06:30   #1658  
Peter L. Opmann
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Neulich habe ich zwei Filme von Don Siegel besprochen: „Tod eines Killers“ und „Coogans großer Bluff“. Einen Siegel-Film auf Video habe ich noch übrig, „Die rote Schlinge“ (1949), ein Frühwerk des Regisseurs. Manches an dem Film ist mir etwas rätselhaft. Er wurde von RKO produziert, obwohl Siegel bei Warner Brothers unter Vertrag stand. Die Stars des Films, Robert Mitchum und Jane Greer, hatten vier Jahre vorher bei RKO bereits erfolgreich für „Goldenes Gift“ vor der Kamera gestanden (habe ich weiter oben besprochen), aber laut wikipedia bekam Greer die Rolle nur wegen ihrer guten Beziehungen zu RKO-Chef Howard Hughes. Die dramatische Tiefe von „Goldenes Gift“ erreicht „Die rote Schlinge“ nicht, aber der Film hat mir gut gefallen; er erinnert mich an ein klassisches Comicalbum etwa von Tillieux, nicht zuletzt wegen der atemlos aufeinander folgenden turbulenten und actionreichen, aber auch witzigen Szenen. Ratlos macht mich aber auch der Titel des Films – keine Ahnung, worauf der anspielt (im Original heißt er übrigens schlicht „The big Steal“).

Mitchum ist Finanzchef eines Unternehmens, dem 300 000 Dollar gestohlen wurden. Der Täter, gespielt von Patric Knowles, ist nach Mexiko geflohen, und Mitchum heftet sich auf seine Spur. Er selbst wird aber von einem Polizisten (William Bendix) verfolgt, der Mitchum für einen Beteiligten am Gelddiebstahl hält. Kurz hinter der Grenze lernt Mitchum Greer kennen, die Freundin von Knowles, die sich aber selbst von ihm um Geld betrogen fühlt. Mitchum stellt ihn, findet das Geld aber nicht bei ihm. Knowles kann fliehen, während Greer ihn bewachen soll; er will eine bestimmte Stadt erreichen; deshalb beschließen Mitchum und Greer, ihn weiter zu verfolgen. Und hinter ihnen ist Bendix her. Außerdem interessiert sich nach einigen Auseinandersetzungen auch ein mexikanischer Polizeichef (Ramon Novarro) für die „verrückten“ Amerikaner.

Ein Schwachpunkt des Films ist, daß eine Menge Witze auf Kosten des hier sehr unterentwickelten und verschlafenen Landes Mexiko gehen. Außerdem kommt es immer wieder zu wenig glaubwürdigen „zufälligen“ Begegnungen der Beteiligten, was mich aber nicht so sehr gestört hat, weil sich die Geschichte so sehr rasant entwickelt. Mitchum und Greer schaffen es schließlich, Bendix erstmal abzuschütteln. Kurz darauf erreicht Knowles sein Ziel, das Domizil eines mexikanischen Kunstsammlers, der als Hehler die Beute sauberwaschen will. Es zeigt sich: Das Geld war in einem Autoreifen gut versteckt. Mitchum und Greer werden von der Hehlerbande aufgehalten und gefangengenommen. Zusammen mit Knowles (der nach Ablieferung des Geldes nicht mehr gebraucht wird) sollen sie sterben. Zum Schluß taucht Bendix auf – das Paar will aufatmen, doch der Polizist entpuppt sich als Mitglied der Hehlerbande. Im Showdown kann sich Mitchum jedoch durchsetzen, und nun kann Novarro zuschlagen und die ganze Bande verhaften. Mitchum und Greer, die sich während des ganzen Films eher beharkt haben, beschließen zu heiraten.

„Die rote Schlinge“ ist natürlich konventioneller als Siegels Filme der 60er und 70er Jahre. Aber schon in dieser frühen Arbeit zeigt der Regisseur ausgesprochenes Talent für Actionszenen, etwa Autoverfolgungsjagden. Dabei sind die Protagonisten alle keine Superhelden, sondern zeigen sich durchaus anfällig für Fausthiebe wie auch Pistolenkugeln. Die Spannung bleibt dabei immer hoch. Grundsätzlich gefällt mir auch die hineingemischte Komik. Und auch die Beziehung zwischen Mitchum und Greer ist attraktiv gestaltet: Er ist sarkastisch, sie gibt sich unnahbar; trotzdem raufen sich beide – teils notgedrungen – immer wieder zusammen. Hohe künstlerische Ansprüche erfüllt der Film nicht, aber er bietet beste Unterhaltung. 1990 wurde übrigens in Australien ein Film gleichen Titels gedreht, der aber offensichtlich kein Remake ist. Ich denke, „The big Steal“ würde ein Remake lohnen (das sich vielleicht etwas mehr Zeit nimmt), habe aber nicht im einzelnen darüber nachgedacht, was an ihm gegebenenfalls alles modernisiert werden müßte.
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Alt 02.11.2023, 06:24   #1659  
Peter L. Opmann
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Hier noch ein langer Dokumentarfilm: „Die Macht der Bilder“ (1993) von Ray Müller. Damit versuchte er, sich der noch lebenden Regielegende Leni Riefenstahl zu nähern, was ihm letztlich nicht gelang. Riefenstahl verweigerte jede Auseinandersetzung mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus und beharrte darauf, sich nur für eine Hommage an ihr Lebenswerk zur Verfügung zu stellen. Sie starb 2003. Biograf Jürgen Trimborn schrieb in „Riefenstahl. Eine deutsche Karriere“: „Die Dreharbeiten verliefen äußerst problematisch, immer wieder kam es zu Spannungen und Konflikten. Wie stets prallte jede Kritik an Riefenstahl ab. Einige Zornesausbrüche Riefenstahls am Rande der Dreharbeiten, die mit der Videokamera aufgenommen wurden und im Film dokumentiert sind, zeigen, auf welch dünnem Eis man sich bewegte, und liefern gleichzeitig die Erklärung dafür, warum auf eine unmittelbare Konfrontation mit unbequemen Wahrheiten schließlich weitgehend verzichtet wurde.“ Und etwas später: „Riefenstahl ist es mit großem Geschick gelungen, den Film in ihrem Sinne zu instrumentalisieren.“ Filmgeschichtlich ist die Dokumentation auf jeden Fall interessant, und die Fragen, denen Leni Riefenstahl konsequent ausweicht, stellen sich dennoch. Ich werde die Aussagen des Films etwas kürzen und den Film in drei bis vier Abschnitten wiedergeben.

Der Film beginnt mit einer Collage von disparaten Szenen, die alle zum Leben der Leni Riefenstahl gehören: Sie beim Tauchen, sie beim Tanz mit Angehörigen des sudanesischen Volkes der Nuba, dazwischen marschierende Soldaten, Massenszenen mit Adolf Hitler. Dann sieht man die Riefenstahl der Gegenwart beim Sortieren von Fotos.

Müller: Ich versuche, mich ihr ohne Vorurteile zu nähern. – Riefenstahl soll erzählen, was sie beim Betrachten der alten Aufnahmen empfindet. Sie: Das ist, als wenn diese Person nicht ich bin, sondern irgendeine Schauspielerin.
Wie sieht sie ihren Karriereknick nach dem Krieg? – Das habe ich schon so lange überwunden, daß ich mich damit gar nicht mehr befasse. Ich werde 90 Jahre alt – das ist Jahrzehnte vergangen. Es war eine schlimme Zeit, ja… es ist wie eine andere Welt.

Plakate mit Leni Riefenstahl als Tänzerin in Berlin 1924. Sie steht im U-Bahnhof Nollendorfplatz: Ich hatte einen Arzttermin, ich hatte mir das Knie schwer verletzt. Da sah ich dieses Filmplakat: „Berg des Schicksals“. Ich verpaßte den Zug. Ich vergaß alles und ging ins Kino. Das war der erste Film mit einer dramatischen Handlung im Hochgebirge. Bewegte Wolken, Zeitlupen, Gegenlichtaufnahmen – das war künstlerisch, das hatte es noch nicht gegeben. Es war weit der Zeit voraus.

Sie reist in die Dolomiten. Dort trifft sie zwar nicht Regisseur Arnold Fanck, aber Hauptdarsteller Luis Trenker. Trenker: Sie kam und wollte im nächsten Film mit mir die Hauptrolle spielen. Sie gab mir ein Foto von sich. Ich fand sie verrückt, aber ich schickte es Fanck.
Riefenstahl: Fanck besuchte mich in der Klinik und brachte mir ein Manuskript: „Der heilige Berg“, mit der Anmerkung: „Geschrieben in drei Tagen und Nächten für Leni Riefenstahl“.
Trenker: Fanck schrieb mir: Das wird die größte Schauspielerin Deutschlands. Schau, daß du mit ihr gut auskommst.
Riefenstahl: Das Drehbuch verlangte, daß ich mich von einer Lawine verschütten lassen muß. Ich konnte mich gerade noch mit den Händen festkrallen am Felsen. – Hier habe ich vor 66 Jahren zum ersten Mal Regie geführt. Ich stand auch hinter der Kamera und habe kurbeln müssen.

Berlin, Anfang der 20er Jahre. Ein Krieg ist verloren, die Nation zerrissen. Der Masse geht es miserabel, viele hungern. Suppenküchen und Notverpflegung gehören zum Straßenbild. Kriegsgewinnler stellen ihren Reichtum zur Schau, soziale Unruhen sind an der Tagesordnung. In München gründet ein Österreicher mit Namen Adolf Hitler eine neue Partei, die NSdAP.

Berlin 1992. Für unseren Film besucht Leni Riefenstahl mit ihrem Lebensgefährten Horst Kettner die legendären Filmstudios von Babelsberg.
Videoaufnahme: Leni soll im Gehen sprechen. Sie sagt: Das kann ich nicht. Lange Diskussion mit dem Filmteam. Letztlich macht sie es doch.
Riefenstahl: Damals wurden hier Langs „Metropolis“, Murnaus “Faust“ und unser Film, „Der heilige Berg“, gedreht. Zu Lang hatte ich keinen Kontakt, aber zu Murnau schon. Fanck wollte, daß ich mich als Gretchen vorstelle. Ich hatte mir eine Perücke besorgt mit langen blonden Haaren. Murnau war interessiert, aber er entschied sich endgültig für Camilla.

Für die Rollen in Fancks Bergdramen muß Leni klettern und skifahren lernen. Aus einer Berliner Tänzerin wird eine begeisterte Bergsteigerin.
„Der große Sprung“ (1927): Was man heute freeclimbing nennt, hat Leni Riefenstahl schon damals gemacht – barfuß. Bergsteigen war damals Männersache, doch Leni Riefenstahl fällt es nie schwer, sich in einer Männerwelt zu behaupten. Dies wird ihr auch später bei den Nationalsozialisten keine Schwierigkeiten bereiten. Ihr eiserner Wille setzt sich durch.
Riefenstahl: Man hat alles vergessen, die Sorgen, die Probleme. Man mußte aufpassen, nicht runterzufallen. Klettern ist ein Sport, der ein Gefühl der Freiheit vermittelt.

Für ihren nächsten großen Film überredet Riefenstahl Regisseur Fanck, den bekannten Kunstflieger Udet zu engagieren. „Die weiße Hölle von Piz Palü“ (1929). Hinzu kam ein Co-Regisseur, Georg Wilhelm Pabst.
Riefenstahl: Fanck war ein wunderbarer Regisseur für Freilicht-, für Naturaufnahmen. Und Pabst war ein wunderbarer Regisseur für Spielfilme. Und da habe ich die beiden zusammengebracht. Das war der Grund, warum der Film so ein Welterfolg wurde.
Wenn der Pabst zu mir sagte: Leni, schau rechts, dann hab‘ ich links geschaut, und wenn links, dann schaute ich rechts. Da sagte er zu mir: Leni, du bist doch nicht die Regisseurin. Er war der erste, der mich darauf aufmerksam machte, daß ich Talent zur Regie hatte.
Von Pabst lernt Leni Riefenstahl die Grundlagen der Schauspieldramaturgie.
Riefenstahl: Er war ganz anders als Fanck. Fanck hat nichts vorgegeben, da mußte man improvisieren. Aber Pabst hatte eine genaue Vorstellung, er hat den Schauspieler in die seelische Stimmung gebracht, die er brauchte. Man vergaß die Kamera und wurde plötzlich die Person, die man darzustellen hatte.

Im Heroismus der Bergdramen von Fanck glaubten manche Kritiker nach dem Krieg eine ideologische Wegbereitung des Faschismus zu erkennen.
Der berühmte Realismus von Arnold Fanck ließ weder Doubles noch Aufnahmen im Studio zu. Bei den Dreharbeiten konnte Leni Riefenstahl bei ihm alle Bereiche der Filmtechnik von Grund auf erlernen. Der heute zu Unrecht vergessene Pionier war seinen Mitarbeitern ein penibler Lehrmeister, auch wenn er ihnen das Letzte abverlangte.

Berlin in den späten 20er Jahren. In der Öffentlichkeit sind die Nationalsozialisten nicht mehr zu übersehen. Ein junger Fanatiker namens Joseph Goebbels hält flammende Reden. Während auf den Straßen Machtkämpfe zwischen linken und rechten Extremisten ausgetragen werden, ist die UFA zum Konkurrenten Hollywoods geworden. Sie produziert Welterfolge. In dem Atelier, das man jetzt Marlene-Dietrich-Halle nennt, kann Leni wieder lernen, diesmal von Josef von Sternberg.
Riefenstahl: Sternberg nahm mich jeden Tag mit ins Atelier, so lange, bis es Marlene zuviel wurde. Ich mochte sie sehr, ich verehrte sie, aber sie war sehr eifersüchtig, und dann gab es eines Tages einen ziemlichen Krach. Es war die berühmte Szene, wo sie auf dem Faß sitzt und singt: Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Und da hat sie mich vorher durch vulgäres Benehmen aus dem Atelier geekelt. Sternberg griff ein, aber sie sagte, daß sie nicht mehr spielt, wenn ich weiter ins Atelier komme. Er sagte: Leni, du bist das Gegenteil von Marlene. So wie ich Marlene geformt habe und aus ihr dieses besondere Geschöpf gemacht habe, mache ich es auch mit dir. Ich bedaure es zutiefst, daß ich damals, als er mir anbot, nach Hollywood zu gehen, nicht gehen konnte. Ich hatte eine sehr starke Bindung an einen Mann, den ich nicht verlassen wollte.
Als Sternberg später Leni Riefenstahls ersten eigenen Film sieht, wird sein Urteil über sie noch präziser.
Riefenstahl: Er hat sich mit mir „Das blaue Licht“ angeschaut. Da spielte ich die Rolle der Junta, ein unschuldiges, naives Naturkind, das asexuell ist und auch sein soll. Marlene war ja der Sextyp, eine Sphinx, und er meinte, daß ich das absolute Gegenteil von Marlene wäre, und das stimmt ja auch scheinbar.
Marlene geht mit Sternberg nach Hollywood und unterstützt von dort den Kampf gegen Hitler. Leni wird Filme für den Führer drehen.
(Fortsetzung folgt)
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Alt 02.11.2023, 06:50   #1660  
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Klasse Zusammenfassung und ich freue mich auf mehr, ich hab die Doku zwar gesehen aber die menschliche Festplatte verliert halt auch immer wieder Informationen.
Die alten Bergsteigerfilme würde ich auch gerne mal wieder sehen wir leben zwar im Streamingüberfluss aber für historische Filme interessiert sich heute kein Streamingpublikum mehr.

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Alt 02.11.2023, 07:02   #1661  
Peter L. Opmann
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Ich habe zwei Bergfilme auf Video, bei denen jeweils Luis Trenker Co-Regie führte: "Berge in Flammen" und "Der Rebell". Vielleicht schließe ich die an diese Geschichte an. Aber erstmal habe ich mit der Riefenstahl-Doku noch ein bißchen zu tun.
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Alt 02.11.2023, 07:10   #1662  
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Alt 03.11.2023, 06:09   #1663  
Peter L. Opmann
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Noch kämpfen in Berlin die Nationalsozialisten um die Macht, noch müssen sie Wahlen gewinnen. Aber der Mann, der glaubt, Deutschland retten zu müssen, steht schon bereit.
Marlene Dietrich (O-Ton-Einspielung): Die wollten den Führer und haben den Führer bekommen, ja? Nicht? Denn wir Deutsche sind doch alle so: Wir wollen den Führer. Denn als dieser gräßliche Hitler gekommen ist, da haben die doch gesagt: Ach, wie wunderbar, da ist der Führer! Jemand, der mir sagt: Mach so, mach das!
Riefenstahl: Naja, da ist schon was dran, was Marlene sagt. Bei uns in der Schule und im Elternhaus war Disziplin Nummer eins. Ich konnte mir schon vorstellen, daß die Deutschen sehr gern jemand hätten, von dem sie glauben, daß es ein Vorbild für sie sein könnte, daß sie sich ganz gern führen lassen. Das glaube ich schon.

Während sich die Deutschen immer mehr um ihren Führer scharen, zieht es Leni Riefenstahl wieder in die Berge. In Südtirol dreht sie ihren ersten eigenen Film, ein romantisches Märchen. „Das blaue Licht“ (1932)
Riefenstahl: Kristalle sind eigentlich das Thema vom „blauen Licht“. Junta, die die Rolle eines unschuldigen, wilden Bergmädchens spielt, war fasziniert von dem Licht in der Grotte. Es gab in den Bergen eine Kristallgrotte, die nur Junta kannte und die man nur sehen konnte, wenn das blaue Licht bei Vollmondnächten in diese Spalte schien. Dann schimmerte das blau. Symbolisch das Ideal, das man nie erreicht, aber immer sich erträumt. Das ist das Thema vom „blauen Licht“.
Müller: Warum haben Sie für Ihren ersten Film einen Märchenstoff gewählt?
Riefenstahl: Eigentlich deshalb, weil Dr. Fanck für seine Themen, die ja realistisch waren, märchenhafte Landschaften gemacht hat, und das fand ich immer einen Stilbruch. Da ich aber auch die schöne Landschaft liebte, das Märchenhafte und das Malerische, dachte ich mir, es würde besser passen, wenn ich auch eine märchenhafte Handlung hineinnehme.

Das Mädchen mit den Bergkristallen ist eine Ausgestoßene, eine Art Hexe. Niemand versteht ihre Macht über den geheimnisvollen Berg und den Zugang zu den Kristallen.
Riefenstahl (mit dem alten Drehbuch): Ich habe, bevor ich bei Fanck gearbeitet habe, als Tänzerin schon Manuskripte geschrieben, allerdings keine Drehbücher. Nun lernte ich Carl Meyer, der die Murnau-Filme geschrieben hatte, und Bela Balazs kennen, der damals als der beste Drehbuchautor galt. Und die waren so begeistert von dem Stoff, daß sie mir gute Ratschläge gaben und Balazs sogar ohne Honorar mitmachte. Balazs hat die Dialoge geschrieben, ich die optischen Szenen, und so wurde das eine ideale Zusammenarbeit. Ich habe hier zum Beispiel den Wasserfall eingezeichnet und hier die Sonnenstellung. Und hier steht: „7.10 früh. Die Aufnahmen müssen bis 8 Uhr beendet sein.“ Da steht sogar die Optik: „Mit 7,5 Brennweite“.
Müller: Wurde dann jede Szene vorher ganz genau schriftlich festgelegt?
Riefenstahl: Jede Szene. Es lief alles wie am Schnürchen. Wir haben sogar von jeder Szene eine Bildprobe gemacht, um zu sehen, ob wir’s noch verbessern können. Auf die Qualität der Bilder wurde ganz großer Wert gelegt.

Von Anfang an macht Riefenstahl keine Kompromisse. Für ihren ersten Film läßt sie sich aus Hollywood eine Spezialoptik kommen, für die Nachtszenen sogar ein neues Filmmaterial.
Riefenstahl: Die habe ich gemacht, indem ich ein besonderes Material hatte, das später sogenannte R-Material. Wenn man das mit einem roten Filter aufnimmt, wird es blau, fast schwarz. So konnte ich ohne Scheinwerfer die Geländeaufnahmen, die Nachtaufnahmen machen. Es war ein Experiment.
Ich war die erste, die an den Originalschauplätzen in der Kirche gedreht hat. Während des Gottesdienstes mit dem Geistlichen habe ich die Aufnahmen machen dürfen. Die Stuben habe ich im Museum in Bozen gemacht, das heißt, sämtliche Aufnahmen in den Räumen sind damals zum ersten Mal in einem Spielfilm an Originalstellen gefilmt worden.
Als ich fertig war und ich ihn der Agfa vorführte, die den Verleih hatte, waren die gar nicht begeistert. Und ich war auch enttäuscht. Er Film hatte nicht die Wirkung, die ich mir vorgestellt hatte. Da bin ich zu Fanck gegangen und habe ihm das gezeigt. Und er sagte: Leni, komm morgen zu mir, dann werden wir das verbessern. Als ich am nächsten Tag zu ihm kam, hatte er meine ganze Kopie in hunderte Stücke zerschnitten und vollkommen umgeschnitten. Ich war entsetzt, denn das hat auch nicht gewirkt.

Lenis unbezwingbarer Wille hilft ihr auch, Tiefpunkte in ihrer Karriere zu überstehen. Der Kampf im Schneideraum war nur der erste von vielen. Durchgesetzt hat sie sich fast immer.
Riefenstahl: Dann habe ich mich erstmal ein paar Tage ausgeheult. Und dann habe ich angefangen, neu zu schneiden. Aber diese Operation war sehr heilsam. Ich habe, obgleich mir der Schnitt nicht gefallen hat, mir doch vieles gemerkt, was Fanck gemacht hatte, worauf ich nie gekommen wäre. Er hat das zu oft verschnitten. Ich habe aber gesehen, es ist schlecht, wenn ich’s nicht verschneide. Ich habe das übernommen, aber in dem Rhythmus, wie ich das für das Thema des Films für richtig hielt. Besonders wichtig war das in der Mondnacht, wenn die Bauern die Türen verschließen. Fanck hat das durch den Wechsel von einer Tür zur nächsten spannend gemacht. Das habe ich sofort intuitiv verstanden und auf mein Thema übertragen.

Der Film wird ein Welterfolg. Er läuft monatelang in London und New York.
Riefenstahl: Und diese Junta, die in dem Film eine Art Hexe war, habe ich wie in einer Vorahnung in meinem Leben nacherlebt. Junta wurde geliebt und gehaßt, und ich möchte sagen, so ist es mir auch ergangen. Und wie Junta ihre Ideale verloren hat durch das Zerbrechen der Kristalle, so habe ich meine Ideale nach dem Ende dieses furchtbaren Krieges auch verloren.
Müller: Hatten Sie Kontakt zu den Nationalsozialisten damals?
Riefenstahl: Als ich „Das blaue Licht“ machte, wußte ich von deren Existenz überhaupt nichts. Da habe ich nicht mal den Namen Hitler gekannt.
Müller: Und als Sie dann der Journalist Ernst Jaeger (Anm.: Chefredakteur des „Film Kurier“) in einem Gespräch auf Hitler aufmerksam gemacht hat?
Riefenstahl: Da sagte er mir: Gehen Sie heute in diese Versammlung. Das habe ich gar nicht verstanden – wieso? Was soll das? Ja, heute spricht doch Hitler im Sportpalast. – Ja, und? sagte ich. Da sagte er: Wissen Sie, ich habe so das Gefühl, wenn Sie ihn hören, das könnte Ihr Schicksal werden. Da hab‘ ich gelacht. Das sagte mir Jaeger, der ein Gegner der Nationalsozialisten war, was ich aber nicht wußte. Da wurde ich neugierig und bin hingegangen, und das war eben mein Schicksal – ja.
(Es folgt ein Ausschnitt aus einer Hitler-Rede vor großem Publikum.)
Riefenstahl: Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben eine politische Versammlung erlebt. Es war für mich ungeheuer beeindruckend. Ich wurde mitgerissen von der Stimmung. Und ich hatte damals von Hitler einen faszinierenden Eindruck. Aufgrund dieses Eindrucks habe ich ihm einen Brief geschrieben und wollte ihn kennenlernen, weil ich mir dachte: Ist das vielleicht der Mann, der Deutschland retten kann? Als ich ihn fragte: Wieso habe ich eine Antwort bekommen? sagte mir der Adjutant, Herr Brückner: Ja, der Führer war begeistert von Ihrem Tanz im „heiligen Berg“. Das hat ihm so gefallen.
Müller: Was für einen Eindruck hatten Sie dann von ihm persönlich?
Riefenstahl: Ja, interessant. Er war das Gegenteil von dem Eindruck, den ich im Sportpalast hatte. Im Sportpalast wirkte er wie ein Politiker, der versucht, die Leute zu begeistern. Und dort wirkte er wie ein ganz bescheidener Privatmann, von dem man sich nicht vorstellen konnte, daß er Massen bewegen konnte. Er wirkte sehr natürlich, einfach, also machte einen sympathischen Eindruck. Als ich ihn das erste Mal auf Plakaten sah, fand ich ihn ausgesprochen häßlich. Aber als ich ihn dann im Leben traf, war das verschwunden. Da hat man diesen Schnurrbart und so nicht wahrgenommen, da ging eine große Ausstrahlung von ihm aus. Aber als Mann hat er mich überhaupt nicht interessiert.
Müller: Sie hatten das Gefühl, daß er eine dämonische Suggestivkraft hatte.
Riefenstahl: Ja, das habe ich schon in der Kongreßhalle gespürt und noch stärker bei der persönlichen Begegnung, daß er eine Ausstrahlung hatte, die irgendwie hypnotisch wirkte, und das hat mir auch ein bißchen Angst gemacht – ich wollte ja nicht meinen eigenen Willen, meine Freiheit verlieren. Da habe ich schon damals das Gefühl gehabt, mich möglichst nicht in diese Atmosphäre zu begeben.
Müller: Was für einen Eindruck hatten Sie von seinem politischen Programm?
Riefenstahl: Ja, das kannte ich noch gar nicht. Da hatte ich überhaupt keine Ahnung, und ich hatte auch keine Zeit, mich damit zu beschäftigten, denn ich mußte am nächsten Tag schon nach Grönland.

„SOS Eisberg“ (1933)
In dieser Hollywood-Produktion der Universal, dem letzten gemeinsamen Film mit Fanck, spielt sie einmal mehr die schöne Abenteurerin, die tapfere Heldin, eine Rettungsfliegerin im Eismeer. Für das Publikum verkörperte Riefenstahl ein Ideal, das Hitler geschickt für seine Ziele einsetzen würde.
Riefenstahl: Übrigens hat er damals gesagt: Wenn wir einmal an die Macht kommen, dann müssen Sie meine Filme machen. Ich habe das ja nicht ernst genommen, habe auch gleich dagegen protestiert und gesagt: Ich kann nur das machen, was ich gern machen möchte. Ich bin vor allem Schauspielerin, ich möchte schöne Rollen haben.

Es sind gerade diese Rollen, die ihr das Image verschaffen, das Hitler so sehr bewundert. Die heroische Superfrau, eine unerschrockene, aber reine Bergfee, die hoch über den Gipfeln thront. Unerreichbar für die Massen, ein überlebensgroßes Idol, ein Mythos. Also das, was auch Hitler gerne sein wollte.
Riefenstahl: Da hat er gesagt: Ja, wenn Sie einmal älter sind und reifer sind, dann werden Sie vielleicht meine Ideen verstehen – von denen ich damals noch nichts wußte.

Januar 1933. Hitler wird Reichskanzler. Die Folgen lassen nicht auf sich warten.
Goebbels: Deutsche Männer und Frauen! Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zuende, und der Durchbruch der deutschen Revolution hat auf dem deutschen Weg wieder die Gasse freigemacht. Übergebt alles Undeutsche dem Feuer! Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser, Erich Kästner…

Leni Riefenstahl ist wie so oft gerade nicht da. Sie dreht in den Schweizer Alpen.
Riefenstahl: Von der Bücherverbrennung haben wir nichts erfahren, denn es gab damals noch kein Fernsehen. Das habe ich alles nachträglich erfahren, wie ich zurückkam. Und vor allen Dingen meine Freunde…
Müller. Die sind ja da alle schon emigriert.
Riefenstahl: …deren Briefe habe ich vorgefunden in meiner Post. Und darüber war ich todunglücklich! Als ich dann den Auftrag bekam, zu Hitler zu kommen, habe ich ihn darauf angesprochen. Und sein Gesicht hat sich sofort verdüstert, und er hat gesagt: Ich bitte Sie, Fräulein Riefenstahl, über dieses Thema mit mir nicht zu sprechen!
Müller: Das heißt, Sie haben versucht, das zum Thema…
Riefenstahl: Sofort! Als erstes! Aber ich habe gemerkt, daß das nicht möglich ist. Er rief seinen Adjutanten und bat, daß ich rausgeführt wurde. Er war nicht bereit, mit mir darüber zu sprechen. – Gerade meine Freunde, die emigriert sind, das waren drei oder vier gute Freunde, vor allen Dingen Manfred George (Anm.: Feuilletonchef der Zeitschrift „Tempo“), der hat mir gesagt, ich soll bleiben. Gerade die, die bleiben, sollten verhindern, daß sich ein Antisemitismus ausbreitet. Wir sollten ein Bollwerk dagegen sein. Und wir hatten alle gedacht, das ist nur eine Wahlpropaganda, das wird sich wieder legen, und haben eigentlich diese große Gefahr nicht vorausgesehen.

Bilder von den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992.
Müller: Was empfinden Sie, wenn Sie solche Bilder sehen?
Riefenstahl: Schrecklich! Entsetzlich! Es könnte eigentlich nichts Schlimmeres geschehen, um Deutschland zu schaden, als diese Aktionen.
Müller: Erinnern solche Bilder nicht an die Pogromnacht (9./10. November 1938)?
Riefenstahl: In gewisser Beziehung schon, natürlich. Es ist schrecklich, es ist erschütternd! Man müßte diese Menschen – unter ihnen sind ja fast Kinder – viel mehr aufklären, welchen Schaden sie anrichten für sich selbst, nicht nur für Deutschland. Es wird Arbeitslose geben, wir werden boykottiert werden, man wird uns mit der Vergangenheit wieder zusammenbringen. Es wird so viel zerstört – es ist entsetzlich.
Müller: Wissen Sie, daß viele dieser Jugendlichen den Hitlergruß benützen?
Riefenstahl: Ach, ich glaube, daß das alles dumme Jungs sind, daß das keine Politiker sind. Wenn das politisch denkende Menschen wären, dann würden sie ja nicht gegen unschuldige Menschen vorgehen, sondern dann würden sie Demonstrationen gegen Politiker machen, doch nicht gegen diese Ausländer. Das hat doch mit Politik gar nichts zu tun. Das sind Chaoten, Kriminelle!
Müller: Sie hatten damals „Mein Kampf“ gelesen. Hat Ihnen das nicht die Augen geöffnet über die wahren Ziele des Führers?
Riefenstahl: Nein, nein, das war ganz interessant. Ich habe das Buch nicht ganz gelesen, nur einige Kapitel. Da gab es Dinge, die mir sehr gefallen haben. Alles, was über die sozialen Probleme handelte, denn das war ja überhaupt der Grund, warum Hitler damals so viele Anhänger hatte, die sechs Millionen Arbeitslosen, die Not. Was da über die Rassen stand, das hat mir natürlich mißfallen. Und da habe ich auch Anmerkungen gemacht im Buch, das Hitler später dann zufällig in die Hände bekam. Also ich habe das ganz getrennt.
Müller: Wie hat er reagiert auf diese Anmerkungen?
Riefenstahl: Ja, da hat er gelacht.
Müller: Und welche Beziehung hatten Sie zu Propagandaminister Goebbels?
Riefenstahl: Die schlechtesten, die man sich vorstellen kann. Er hat mich vor der Machtübernahme, wo ich ihn mal kennenlernte, eigentlich in einem Fahrstuhl im Hotel „Kaiserhof“, verfolgt. Er wollte mich unbedingt haben und zu seiner Geliebten machen. Und er war ganz und gar nicht mein Typ, ich hatte gar keine Zuneigung zu ihm. Und das hat er mir nie verziehen, diese Ablehnung. Das hat sich später immer mehr verschlimmert. Er war, ich möchte sagen, beinahe ein Feind.
Müller: Aber wenn man die Tagebücher liest aus der Zeit um 1933, hat man den Eindruck, daß Sie bei Hitler und bei ihm zuhause ein und aus gingen wie eine gute Bekannte.
Riefenstahl: Also diese müssen Sie mir mal vorlegen. Das habe ich noch nie gelesen. Das ist reine Phantasie.

Tagebuch Joseph Goebbels, 17.5.1933: „Nachmittag Leni Riefenstahl. Ich mache ihr den Vorschlag eines Hitler-Films. Sie ist begeistert. Abends mit Magda und Leni in ,Madame Butterfly‘. Es wird gut gesungen.“
Riefenstahl: 1933 war ich überhaupt nicht bei ihm. Nie!
Tagebuch Joseph Goebbels, 16.6.1933: „Mit Hitler durch den Abend gefahren. Später heim nach Hause. Philipp von Hessen und Leni Riefenstahl. Sehr nett.“
Riefenstahl (aufgebracht): Ich war da nicht einmal. Auch nicht in Schwanenwerder, wo alle da waren, die heute noch leben! Ich war nicht eingeladen!
Tagebuch Joseph Goebbels 14.7.1933: „Bei Hitler. Film von Albers gesehen. Furchtbarer Mist! Leni Riefenstahl, Gerda Maurus, Marianne Winkelstern, drei schöne Frauen.“
Riefenstahl (steht auf und geht aus dem Bild): Hach, ich bin ja so aufgeregt. Was Sie da gesagt haben, das ist ja unglaublich!
Müller: Wir können eine Pause machen…
Riefenstahl: Sie sagen: In den Tagebüchern steht drin… Das steht doch überhaupt nicht drin! Das ist doch nicht wahr, Herr Müller!
Müller: Aber ich kann Ihnen zeigen…
Riefenstahl: Ja, bitte, zeigen Sie mir, wo das drinsteht, daß ich gesellschaftlich da ein und ausgegangen bin!
Es gibt viele sich widersprechende Aussagen. Wer sagt die Wahrheit?
Riefenstahl: Goebbels war ja ein Meister der Lüge.

Nürnberg, die Kaiserburg. Für Hitler ein besonderer Ort, denn er sah sich in der Tradition der deutschen Kaiser. Sein Führerbild ging zurück bis zu den römischen Imperatoren. Deshalb wurden in Nürnberg Reichsparteitage organisiert. Von den kolossalen Bauten, manche nie vollendet, ist heute wenig übrig. Die Begeisterung der Menschen damals für die Paraden der Nationalsozialisten ist kaum nachvollziehbar. Hier fanden die großen Aufmärsche statt. Bis zu 100 000 Mann wurden mobilisiert. Ihr Film über den Reichsparteitag 1934 wird Leni Riefenstahl zum Schicksal, ihr großes Talent zum Verhängnis. Zwar gab es später radikalere Parteitagsfilme anderer Regisseure, aber die sind längst vergessen.
(Fortsetzung folgt)

Geändert von Peter L. Opmann (03.11.2023 um 08:29 Uhr)
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Alt 04.11.2023, 06:24   #1664  
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„Sieg des Glaubens“ (1933)
Riefenstahl: Der erste Film sollte der Film werden – es sollte nur einen geben. Nur konnte der erste Reichsparteitagsfilm 1933 nicht gedreht oder nicht fertiggestellt werden, weil wir gestört worden sind. Es war keine Vorbereitung da, die Partei wollte nicht, daß wir den Film machen, der ja ein Auftrag von Hitler war. Der Film wurde boykottiert.
Leni Riefenstahls erster Parteitagsfilm galt bis vor kurzem als verschollen.
Riefenstahl: Also so kurios es klingt: Die Partei, die den Film machen sollte, hat nicht gewollt, daß ich ihn mache. (Sie wendet sich ungehalten ab. Müller kommt ins Bild.) Wir sind wieder bei diesem Thema! Das ist nicht klar, das ist sehr schwer zu trennen.
Müller: Das kann man doch wegschneiden…
Riefenstahl: So gerne ich darüber spreche, aber bei diesem Scheiß-Licht doch nicht!
Hitler und Röhm, damals noch rivalisierende Partner im Kampf um die Macht.
Müller: Wollen Sie vom ersten Film sprechen?
Riefenstahl: Nein, den habe ich ja fast nicht gemacht.
Wer sieht, wie amateurhaft Hitler immer wieder aufgenommen ist, wie unbeholfen viele Einstellungen wirken, kann verstehen, warum Leni Riefenstahl nicht gern über diesen Film spricht. Er wirkt wie ein Entwurf zum eigentlichen Werk. Der Mangel an Perfektion, den die Umstände erzwangen, erregt sie noch heute.
Riefenstahl: Nein, da muß ich Ihnen erklären, daß der erste Film nicht ein Reichsparteitagsfilm, sondern nur ein Versuch war, den ich dann zusammensetzen mußte, weil Hitler das wollte. Da komme ich auf Hitler zu sprechen. Die richtige Technik, da können Sie nur vom „Triumph des Willens“ sprechen.
Müller: Also im ersten Film gab’s keine Technik?
Riefenstahl: Nein, ich bin doch erst hingekommen, als der Parteitag schon begonnen hatte. Da muß ich Ihnen sagen, warum. Da muß ich sagen: Lieber Herr Müller, ich konnte nichts machen, weil die Partei es verboten hat und mir nicht mitgeteilt hat und ich einen großen Krach mit dem Goebbels hatte.
Müller: Sie können doch alles sagen, was Sie wollen.
Riefenstahl: Nein, das will ich aber nicht! Diese wichtigen Sachen hier sagen… Zum Donnerwetter!
Nicht nur die Arbeit der Kameraleute, auch die Organisation der Veranstaltung selbst wirkt keineswegs perfekt. Es ist offensichtlich: Hitler und Leni üben noch. Ein Jahr später sind beide reif für ihr berüchtigtes Meisterwerk.
Riefenstahl: Ich habe doch nichts gemacht beim ersten Film. Da sind ein paar Szenen gedreht worden, wie die hier rumlaufen, passieren. Die wurden zusammengesetzt.
Müller: Haben Sie das nicht selbst geschnitten?
Riefenstahl: Doch, ich mußte es zusammensetzen, aber ich hatte ja kaum Material.
Dennoch: Einige Sequenzen haben bereits den typischen Riefenstahl-Touch. Bildgestaltung und Montage vereinigen sich zu beängstigender Intensität.
Müller: Die Auftraggeber waren zufrieden.
Riefenstahl: Naja, die waren ja auch mit jeder Wochenschau zufrieden. Hauptsache, es sind Hakenkreuzfahnen drin, nicht? Es wurde ein Kurzfilm, der aufgefüllt wurde mit irgendeinem Theater, ich weiß nicht mehr, mit welchem. Und Hitler und denen hat das gefallen. Für die war das natürlich schon interessant, aber nicht befriedigend, denn Hitler bestand darauf, daß ich den Film im nächsten Jahr mache.
Müller: Sie waren auch nicht zufrieden damit?
Riefenstahl: Na, für mich war das überhaupt kein Film. Für mich war das etwas belichtetes Material.
Immer wieder wird deutlich: Damals ist Hitler noch nicht Alleinherrscher. Neben ihm auf gleicher Höhe SA-Chef Röhm, den Hitler kurz darauf ermorden ließ. Der Boykott der Dreharbeiten durch die Partei hat Leni Riefenstahl so erbost, daß sie sich sofort anschließend bei Hitler beschwert.
Riefenstahl: ich habe ihm genau erzählt, was los war. Und Goebbels war dabei. Da können Sie sich vorstellen, was sich da abgespielt hat. Goebbels ist weiß geworden wie Kreide, Hitler wütend, außer sich, und hat gesagt: Das wird nie wieder vorkommen. Sie werden den Film im nächsten Jahr machen. Ich habe gesagt: Ich kann es nicht, ich werde es nie wieder machen. Also für mich stand damals fest, daß ich es nie wieder machen würde. Ich bin heulend davongelaufen, und wie ich nach Hause kam – bald danach kam ein Anruf. Ich mußte zu Goebbels ins Ministerium. Und das war genau das Datum, zu dem der Goebbels damals nach Genf gefahren ist, um zu erklären, daß Deutschland aus dem Völkerbund austritt. Darum weiß ich das Datum noch. Also ich kam in sein Büro im Propagandaministerium, da schrie er mich an: Wenn Sie ein Mann wären und nicht eine Frau, dann würde ich Sie jetzt die Treppe runterschmeißen! Sie sind eine ganz gefährliche Frau. Es ist unmöglich! Kommen Sie mir nie wieder unter die Augen! Und so ist das ausgegangen, und alles, was später kam, kam aus dieser Quelle, aus diesem Haß.

„Triumph des Willens“ (1934)
1934 dreht sie wieder in Nürnberg. Diesmal hat sie freie Hand. Sie arbeitet jetzt direkt für Hitler. Triumph oder Pakt mit dem Teufel?
Riefenstahl: Heute ist es ganz leicht, so zu denken. Natürlich. Wenn man weiß, was dieser Mann angerichtet hat und für schreckliche Dinge getan hat oder durch ihn geschehen sind, dann ist das klar. Stimmt, es ist ein Pakt mit dem Teufel. Aber vorher wußte man das ja nicht. Wahrscheinlich war er eine schizophrene Figur, war Teufel und das Gegenteil, er war vielleicht beides. Und damals hat man nur diese eine Seite zu sehen bekommen, nicht diese schreckliche, gefährliche Seite.
Mit enormem Aufwand dreht Leni Riefenstahl den bis heute besten Propagandafilm aller Zeiten, jedenfalls nach Ansicht der Cineasten. Für die Regisseurin selbst war der Parteitag jedoch kein aufregendes Filmthema.
Riefenstahl: Ich wollte ihn auf keinen Fall machen, weil ich spielen wollte und weil ich mir diese schreckliche Arbeit nicht antun wollte. Ich war nicht dagegen aus politischen Gründen, auf keinen Fall. Also das hatte damit nichts zu tun, sondern ich wollte einfach was anders machen.
Müller: Aber ein Wunsch von Hitler war auch ein Befehl damals, oder?
Riefenstahl: Ich hätte mich sehr schwer dem entziehen können. Es wäre fast unmöglich gewesen. Und dann habe ich einen letzten Versuch gemacht, indem ich schnell mit dem Auto nach Nürnberg gefahren bin, weil ich hörte, Hitler ist dort. Und dann traf ich ihn bei einer Besprechung mit Speer und seinen Leuten. Und da hat Hitler zu mir gesagt: Fräulein Riefenstahl, schenken Sie mir nur sechs Tage Ihres Lebens. Es sind nur sechs Tage. Ich möchte gern, daß der Film von einem Künstler gemacht wird und nicht von einem Parteifilm-Regisseur. Ich würde es machen, habe ich gesagt, wenn Sie mir versprechen, daß ich nie wieder einen Film für das Reich, für Sie oder für die Partei machen muß.
Das stimmt, jedenfalls fast.

„Tag der Freiheit“ (1935)
Riefenstahl: Das war mein eigener Vorschlag, war gar nicht Hitlers Idee, weil ich großen Ärger bekam mit der Wehrmacht. Die hat sich beklagt bei Hitler, daß sie im „Triumph des Willens“ nicht genügend eingeschnitten war. Wir hatten nur ein paar schlechte Aufnahmen bekommen wegen Regen, da konnte ich die ganzen Übungen nicht hineinnehmen. Es kamen nur ein paar Meter hinein. Da waren die Generäle bei mir im Schneideraum und haben sich beschwert. Und da hat Hitler mich gebeten, doch einen Versuch zu machen, etwas mehr von ihnen zu bringen. Und das ging nicht. Ich sollte Nahaufnahmen von den Generälen machen am Anfang, als Titel, und das habe ich abgelehnt. Und da war Hitler sehr verärgert, und um ihn zu beruhigen, kam mir die Idee, ich werde im nächsten Jahr meine Kameraleute hinschicken nach Nürnberg, und da können die die Wehrmachtsübungen aufnehmen, und dann werde ich daraus einen Film schneiden, einen Kurzfilm. Und so ist das entstanden, 800 Meter lang, und für mich hat das keine Bedeutung. Es ist nur die Wehrmacht in dem Film.
Müller: Was die dort machen, ist die Vorbereitung eines Angriffskrieges.
Riefenstahl: Es ist möglich, daß man das heute alles anders sieht. 1935 war das eine Übung der Wehrmacht. Wie jetzt zum Beispiel, manchmal sind doch Übungen, wo die Flugzeuge fliegen in bestimmten Formationen. So wurden damals Übungen gemacht vor den ausländischen Diplomaten, als Show. Eine Show, weiter nichts.

Der Wehrmachtsfilm ist längst vergessen, nicht aber das Werk für das sie ein halbes Leben lang geächtet wurde.
Riefenstahl: Als ich meinen Dokumentarfilm begann, überlegte ich mir: Was kann ich machen, um etwas Besseres zu machen als die Wochenschauen? Die Wochenschauen waren damals statisch. Es gab keine Fahraufnahmen. Und ich überlegte mir, das Wichtigste ist, die Aufnahmen bewegt zu machen, dann sind sie interessanter. Deshalb haben meine Kameraleute angefangen, mit Rollschuhen Aufnahmen zu probieren, und vor allen Dingen: Viele verschiedene Standpunkte.
Marschierende Truppen und endlose Reden zu fotografieren, ist auch für Leni Riefenstahl keine leichte Aufgabe. Ihr ist klar: Nur die Bildregie kann den Film interessant machen. Sie nimmt damit vorweg, was heute in modernen Studios selbstverständlich ist. Mehrere Kameras drehen aus unterschiedlichen Blickwinkeln so mobil wie möglich. Dadurch hat die Regisseurin die Möglichkeit, den Film später so dynamisch zu schneiden, wie es bisher im Dokumentarfilm noch niemand gemacht hatte.

(Leni Riefenstahl sieht sich ein Stück des Films in ihrem Schneideraum an.)
Müller: Der Film wirkt ja nun gar nicht wie ein Dokumentarfilm, sondern wie ein Kunstwerk, was er ja auch sein soll. Wie haben Sie diese künstlerische Verdichtung erreicht?
Riefenstahl: Ja, das ist ein Gefühl, die Übergänge zu finden von Bildern, von einem Blick zu einem anderen oder von einer optischen Farbskala, von Grautönen zu einem anderen. Das heißt, es ist wie eine musikalische Komposition. Und ganz wichtig ist dabei, wenn man einen Höhepunkt hat, daß man diesen Höhepunkt an die richtige Stelle des Films setzt, damit sich der Film ständig steigern kann. Das mußte ich natürlich am Schneidetisch hunderte Male ausprobieren. Ich habe also über fünf Monate an dem Film geschnitten. Zuerst waren es zwölf Arbeitsstunden, dann waren’s 14, dann waren’s 18, und zum Schluß waren es 20 Arbeitsstunden. Das heißt, ich konnte in dieser Zeit nichts anderes machen als am Schneidetisch sitzen und versuchen, eine Lösung zu finden, damit es keinen Ruck gibt, damit es auch wirklich fließend ist und damit es interessant ist.
Müller: Diese künstlerische Verdichtung, diese Intensivierung und Steigerung, von der Sie sprechen, die hat man Ihnen ja später zum Vorwurf gemacht, indem man das Glorifizierung nannte.
Riefenstahl: Ja, schon. Gott, die Leute, die das machen, die hätten das mal selber machen sollen. Ich meine, man kann entweder eine Wochenschau machen, die gab es ja, das wurde ja gemacht, oder man kann versuchen, aus dem Material einen Film zu machen, der interessanter ist als eine Wochenschau – ohne Aufnahmen zu stellen. – Ist Ihnen aufgefallen, daß in diesem Film, was sonst normal wäre, kein Kommentar verwendet worden ist? Es ist kein Kommentator da, der irgendetwas erklärt. Und das ist auch einer der Gründe, warum er sich unterscheidet von einem Dokumentarfilm und einem Propagandafilm. Denn wenn es ein Propagandafilm wäre, was viele behaupten, dann hätte durch einen Kommentator die Bedeutung und der Wert dieser Veranstaltung erklärt werden müssen.
Der Film wirkt durch Bild und Montage stärker als durch Worte, vor allem auf das Unterbewußtsein. In diesem Film sieht das Volk zum ersten Mal Großaufnahmen des Führers.
Riefenstahl: Es war gar nicht so schwierig, denn der Hitler hat sich davon gar nicht beeinflussen lassen. Man konnte um ihn herumtanzen, wie man wollte.
Müller: Sie haben sogar Schienen gelegt um ihn herum, ja?
Riefenstahl: Ja, das war eine Idee… schauen Sie, ich hatte drei oder vier Reden von Hitler aufzunehmen. Wie konnte ich es machen, daß jede Rede anders wirkte, daß es sich nicht wiederholt? Da ist mir der Gedanke gekommen: Wenn ich um eine dieser Reden eine Rundschiene lege, dann ist die Rede interessanter, als wenn ich sie von einem Standpunkt aufnehme. – Sehen Sie den Fahrstuhl dort? Das war damals ganz schwierig, die Erlaubnis zu bekommen, an der Fahnenstange diesen winzig kleinen Fahrstuhl einzubauen, aber es hatte eine gute Wirkung. (Die Kamera fährt in die Höhe, um das ganze Gelände und die Massen einzufangen.)
Müller: Was im Schnitt auch auffällt, ist der Kontrast zwischen diesen gigantischen Menschenmassen und einer Einzelperson, eben Hitler. Ist das ein bewußtes Prinzip?
Riefenstahl: Na, es gab gar nichts anderes. Es gab ja nur diese zwei Motive, den Hitler und das Volk.
Müller: Sie sagen ja, Sie haben von Politik keine Ahnung gehabt. War das nicht sehr schwierig, lauter politische Reden zu kürzen und zu schneiden?
Riefenstahl: Das hat mit Politik überhaupt nichts zu tun. Das ist eine technische Sache. Wenn ich eine Rede habe von zwei Stunden, unabhängig vom Inhalt, also ob er über Bäume, Fische oder Politik redet, und die Rede muß auf fünf Minuten gekürzt werden, dann wird jeder Cutter ihnen das, was er rausschneiden kann, rausnehmen. Die Rede muß einen Anfang und ein Ende haben, das ist vorgegeben. In der Mitte zwei, drei Sätze, die wichtig sind, also das zum Beispiel, wo die Leute am meisten begeistert waren, und das andere muß eben rausgeschnitten werden, ist doch logisch.
Müller: Sie haben sich nach dem Applaus gerichtet?
Riefenstahl: Nach dem Ausdruck, nach der Wirkung. Wenn Sie Cutter sind und die Möglichkeit haben, von Hitler rauszuschneiden, wie er sich die Nase putzt oder wo er hustet, dann werden Sie lieber die Sachen nehmen, wo er einen Ausdruck hat, der irgendwie interessanter ist. Ein Cutter muß entscheiden: Welche Momente wirken am besten? Die Rede hat sowieso immer nur ein Thema gehabt.
Müller: Nun waren die Parteitage selbst eine großartige Inszenierung, auch heute noch. Waren Sie da als Regisseurin beteiligt, oder wer hat das entworfen?
Riefenstahl: Haha, da muß ich aber lachen. Wieso sollte ich daran beteiligt sein? Ich war ja nicht einmal Parteimitglied! Ich war auch kein Architekt. Wie kommen Sie darauf, daß ich da beteiligt gewesen sein sollte?
Müller: Aber das waren doch großartige Inszenierungen. Wer hat die erfunden?
Riefenstahl: Hitler und Speer haben das gemacht, allein. Ich wußte gar nicht… hatte keine Ahnung davon. Ich habe das gesehen und versucht, das gut aufzunehmen. Aber die Idee, daß ich da mitgewirkt habe, finde ich ja geradezu… albern!
Müller: Aber diese Masseninszenierungen, die teilweise wie eine Wagneroper aussehen…
Riefenstahl: Die gibt es doch auch in Moskau und Peking oder in Korea. Haben Sie die gesehen? Das ist doch gar nichts Neues, das gibt’s doch überall. Die Vorbeimärsche, die waren noch viel grandioser als die im „Triumph des Willens“. Die ganzen Waffen und Raketen, die Tribünen waren mit hunderten von roten Tüchern geschmückt. Das war doch alles noch viel gigantischer.
(Bilder vom Totengedenken an die Umgekommenen beim Hitler-Ludendorff- Putsch 1923 in München aus „Triumph des Willens“.)
Riefenstahl: Das sollte so aufgenommen werden, wie ein Künstler es sieht und nicht ein Politiker. Das war’s ja gerade. Hitler wollte ja keinen politischen Film. Und das ist es scheinbar geworden. Ich wußte gar nicht, daß ich das kann. Ich hatte mir das überhaupt nicht zugetraut, eine fast unlösbare Aufgabe.
Müller: Trotzdem hat man Ihnen doch nachher vorgeworfen, daß Sie mit diesem Film eine Verführerin geworden sind.
Riefenstahl: Naja, es gibt ein paar Dummköpfe, die sowas sagen. Da kann ich nichts anderes sagen. Ich finde das ausgesprochen blöde. Dann hätte ich es ja inszenieren müssen. Dann hätte ich der Hitler sein müssen.
Müller: Ist es nicht so, daß ein Künstler, der Filme macht, eine enorme Breitenwirkung hat, vor allem damals, als es weder Fernsehen noch Radio gab? Und hat so ein Künstler dann nicht auch eine besondere Verantwortung?
Riefenstahl: Welche sollte ich denn haben? Es war doch so, daß 90 Prozent von Hitler begeistert waren. Also eine Widerstandskämpferin, meinen Sie, hätte ich sein sollen? Aber das waren nur sehr wenige.
Müller: Weil Sie meinen, Politik hätte Sie nicht interessiert.
Riefenstahl: Überhaupt nicht. Ich hätte das genauso aufgenommen in Moskau – nicht gerne, aber wenn ich gemußt hätte, wär’s genauso geworden. Oder in Amerika, wenn da so etwas stattgefunden hätte. Ich habe die Motive so gut als möglich fotografiert und künstlerisch gestaltet. Ob das nun Politik war oder über Gemüse und Obst ging, das war mir ganz wurscht. Ich versteh‘ das nicht. Ich habe doch sämtliche Angebote, weitere politische Filme zu machen, abgelehnt. – Wie würden Sie sich heute zum Beispiel als Künstler verantwortlich fühlen?
Müller: Daß der Künstler, wenn er etwas schafft, sich vielleicht fragt, was mit dem geschieht, was er macht.
Riefenstahl: Also wie soll man über Künstler urteilen, die zum Beispiel zur Zeit Stalins Filme gemacht haben, die Eisenstein, Pudowkin und so weiter? Oder die, die in der DDR Filme, auch gute Filme, gemacht haben? Und was soll man zu den Künstlern sagen, die im Dritten Reich gute Filme gemacht haben? Sind die alle politisch verantwortlich? Wie könnten Sie heute zum Beispiel wissen, wer uns politisch eine richtige Zukunft sichert? – Noch etwas muß ich dazu sagen: Ein Künstler, der sich voll und ganz seiner Aufgabe widmet, kann gar nicht politisch denken. Bei allen Künstlern in der Vergangenheit, die Großes geschaffen haben, ist das eigentlich fast nie der Fall. Ob Sie nun Michelangelo oder Rodin oder Rubens oder die Impressionisten nehmen, diese Leute haben glaube ich alle keine Zeit oder kein Gefühl gehabt für die Politik. Und wenn, hätten sie ja auch nicht gewußt, was kommt. Sie haben mich auch gefragt, ob der Film „Triumph des Willens“ eine Botschaft hat. Also bei der Arbeit habe ich solche Gedanken natürlich überhaupt nicht gehabt, aber als ich den Film geschnitten habe, habe ich schon herausgefunden, daß da eine gewisse Botschaft drin ist. Die können Sie im Film finden. Und zwar einmal die Beschaffung der Arbeitsplätze – siehe im Komplex „Arbeitsdienst“ – und vor allem die Kongreßreden von Heß, wo er sagt:
Heß (im Film): Sie waren uns der Garant des Sieges. Sie sind uns der Garant des Friedens. Adolf Hitler – Sieg Heil!
Riefenstahl: Damals haben wir das als eine Botschaft empfunden: Friede, Friede. Und das ist im Film immer der Fall. Andere politische Motive oder Ziele sind nicht erwähnt. Es ist nicht von Antisemitismus die Rede, es ist nicht von der Rassenlehre die Rede, nur von Arbeit und Frieden. Das sind die Botschaften im Film „Triumph des Willens“. – Es gab Filme mit viel mehr Hakenkreuzfahnen und anderen politischen Tendenzen. „Triumph des Willens“ hatte eben gar keine. Darum habe ich auch nie das Gefühl gehabt, ich habe etwas getan, das irgendeinen Schaden anrichten konnte. Und wenn das drin gewesen wäre, dann hätte der Film nie von den Franzosen zwei Jahre vor Kriegsausbruch den Grand Prix der Pariser Weltausstellung mit Goldmedaille bekommen. – Dieser Film war, wenn Sie politisch sprechen, ganz im Sinne der damaligen Zeit. 90 Prozent der Deutschen und ein Großteil der Ausländer haben an den Frieden, der da verkündet wurde, geglaubt.
Müller: Wenn Sie jetzt mit dem Abstand der Zeit „Triumph des Willens“ sehen, sind Sie sicher stolz einerseits, ihn gemacht zu haben. Andererseits hat er doch dazu beigetragen, daß die zweite Lebenshälfte sehr schwierig wurde bei Ihnen. Wie sehen Sie ihn jetzt?
Riefenstahl: Also einmal war ich nie stolz, heute nicht, früher nicht – stolz worauf? Für diese Schinderei, die ich da hatte, diese Arbeit? Das war entsetzlich. Ich bin fast draufgegangen gesundheitlich beim Schneiden dieses Films. Und was habe ich davon gehabt? Der Film gilt zwar als sehr gut, hat mir aber doch nur Schelte eingebracht. Nach dem Krieg natürlich, vor dem Krieg hatte er noch alle internationalen Auszeichnungen bekommen. Nachher wurde ich gegeißelt wegen dieses Films. Also kann ich nicht stolz darauf sein, sondern ich bin ganz todunglücklich, daß ich ihn gemacht habe. Wenn ich gewußt hätte, was der Film mir einbringt, hätte ich ihn nie gemacht.
Nach dem Krieg lud eine ganze Nation ihr schlechtes Gewissen auf diese Frau. Leni Riefenstahl wurde boykottiert und geächtet. Sie konnte keinen Film mehr drehen. Anderen, die Menschen in den Tod geschickt hatten oder an Greueltaten beteiligt waren, geschah wenig oder nichts. „Triumph des Willens“ wird bis heute nicht gezeigt. Man hat immer noch Angst, sich mit der suggestiven Kraft dieses Films auseinanderzusetzen. Können Filme so gefährlich sein? Sind sie das schlechte Gewissen, das stumme Gedächtnis des Volkes, das sich nicht erinnern will?
Riefenstahl (beim Betrachten ihres Films): Diese Aufnahme gehört zu meinen Lieblingsaufnahmen. Denn diese Aufnahme hebt den Effekt hervor, das Feierliche, dadurch, daß das mit einem großen Tele aufgenommen wurde und die Fahnen so zusammengestellt sind. Und jetzt kommt gleich wieder etwas Interessantes: Das ist die Wirkung der Fahrstuhlaufnahme. Jetzt schwenkt die Kamera nach rechts und dann nach links. Diese beiden Einstellungen ergeben die Form eines Kreises und wirken dadurch sehr gewaltig. Hier überschneiden sich die Fahnenreihen. Das war nur möglich durch die verschiedenen Kameraeistellungen. Und im Schnitt hier ist es etwas tänzerisch nach einem Rhythmus gemacht, genau nach der Musik geschnitten. Das sind die Fahnen vom Stahlhelm. Es gab damals verschiedene Formationen, die da vorbeimarschiert sind. Das ist auch interessant, wie die die Treppen da runtergehen. Hier, sehen Sie? Dam… dam… dam… genau nach der Marschmusik.
(Fortsetzung folgt)
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Alt 04.11.2023, 06:33   #1665  
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Das war der erste Teil der Doku. Ich gebe das voraussichtlich in mehr Abschnitten wieder, als ich gedacht hatte. Leni Riefenstahl redet einfach wie ein Wasserfall, auch wenn sie zwischendurch bockt...

Wie Ihr gemerkt haben werdet, bekommt der Interviewer sie nicht zu fassen. Sie bleibt konsequent bei der Linie: Ich war völlig unpolitisch; ich konnte nicht voraussehen, daß die Nazis den Zweiten Weltkrieg anfangen. Aber man kann sie auch nicht allein für alle Gräuel, die die Nazi verübt haben, verantwortlich machen.
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Alt 07.11.2023, 06:13   #1666  
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Jetzt der zweite Teil von "Die Macht der Bilder". Ich habe inzwischen gesehen, daß die beiden Filmteile komplett bei youtube zu sehen sind. Ich mache trotzdem damit weiter, die Dialoge und Kommentare abzuschreiben. Ich füge auch ein paar eigene Anmerkungen ein.

„Fest der Völker“ (1938)
1936 dreht Leni Riefenstahl den offiziellen Film über die Olympischen Spiele in Berlin. Diese Dokumentation wird nach dem Krieg in Amerika in die Liste der zehn besten Filme der Welt aufgenommen.
Riefenstahl: Als ich mir überlegte, ob ich den Film machen könnte oder nicht, ob es interessant werden könnte, hatte ich sofort das Bild der alten olympischen Kampfstätten der griechischen Antike vor mir und nicht nur der Stellen, sondern die ganze damalige griechische Kultur, die Tempel, die Plastiken. Der Übergang von der Antike zur Gegenwart war dramaturgisch so wunderbar, daß das erleichterte, das anstatt einer Handlung optisch zu gestalten.
(Werksaufnahmen der Dreharbeiten.) Leni Riefenstahl führt auch beim Sport Regie. An der Ostsee frieren Modellathleten für Leni Riefenstahls Kamera. Auch wenn die heroischen Kämpfer beim Blick hinter die Kamera fast wie normale Menschen wirken, im Film werden sie unter ihrer Regie zu mythischen Archetypen.
Müller: Wie haben Sie sich denn vorbereitet?
Riefenstahl: Indem ich vor allem Kameraleute ausbildete. Denn es hing doch alles von der Qualität der Kameraleute ab. Ich hatte vier, fünf junge Leute, mit denen ich monatelang trainiert habe bei Leichtathletikfesten, Fußballspielen und so weiter, oft ohne Material, einfach die Bewegung der Kamera, die schnelle Reaktion, die notwendig war.
Noch nie wurde ein Dokumentarfilm mit solchem Aufwand vorbereitet und gedreht. Den Auftrag bekommt Riefenstahl vom Olympischen Komitee. Das Geld dafür stellt – auf Umwegen natürlich – das Propagandaministerium zur Verfügung. Für die Verhältnisse der Zeit verfügt die Regisseurin damit über fast unbeschränkte Mittel. Zwei ihrer Kameraleute trifft sie für diese Produktion in Berlin wieder. Spezialist an der Handkamera: Walter Frentz. Gustav Lantschner ist der andere. Viele technische Neuerungen werden bei diesem Film zum ersten Mal ausprobiert. Besonders wichtig sind die Gruben, aus denen die Kameraleute die Sportler frei gegen den Himmel aufnehmen können. Was sie bei Fanck gelernt hat, kann Leni Riefenstahl jetzt voll ausspielen. Weder filmtechnisch noch ästhetisch kann ihr irgendwer etwas vormachen.
Riefenstahl: Unsere schönste Idee war das Katapult. Wir hatten da eine Bahn gebaut, die mitgehen sollte mit den Läufern. Es war fantastisch. Und dann wurde es uns verboten. Wir konnten es nicht benutzen. Ganz besonders wichtig war auch die Grube für den Stabhochsprung. Wir konnten das alles gegen die olympische Flamme aufnehmen, das gab diese herrlichen Bilder.
Manche Bilder hat man ihr später zum Vorwurf gemacht. Der Kult der schönen und starken Körper wurde Teil des Riefenstahl-Image, in dem manche Kritiker Elemente faschistischer Kunst zu entdecken glaubten wie später bei ihren Nuba-Fotos.
Riefenstahl: Und dann war es wichtig damals, daß jeder Kameramann eine andere Kamera und eine andere Optik hatte. Und dann wurde eine Extrakamera für uns angefertigt, die 600er Tele, mit der der Herr Scheib nur diese wunderbaren Großaufnahmen gemacht hat. Und noch etwas fällt mir ein: der Ballon. Wir haben in der Mitte jeden Tag einen Luftballon mit einer winzig kleinen Fünf-Meter-Kamera losgelassen, um eine Totale aus der Luft zu kriegen. Und jeden Tag ist der Ballon woanders gelandet, auf Dächern und so, aber keine Aufnahme war verwendbar. Es hat gewackelt.
Wer diese Kamera fand, entdeckt daran einen Zettel mit der Aufforderung, sie bei der Leni-Riefenstahl-Filmproduktion abzugeben. Viele dieser Experimente werden später in der Filmgeschichte Schule machen. Der Ehrgeiz der Regisseurin deckt sich mit dem Wunsch des Regimes, der Welt perfekte Spiele zu präsentieren.
(Pause mit den beiden Kameraleuten.) Riefenstahl;: Wenn Churchill noch 1935 gesagt hat: Ich beneide Deutschland um seinen Führer, wieso sollte ich klüger als Churchill gewesen sein? Zwei Jahre später hat er gesagt: Erst muß das deutsche Schwein geschlachtet werden.
(Einschub des Verfassers: „Bei seinen anerkennenden Vorkriegsäußerungen über Hitler hob Churchill jedoch das Maß von Unterdrückung und Unrecht hervor, das den innenpolitischen Preis für den Aufstieg Hitlerdeutschlands darstellte, und warnte vor der Gefahr, daß Hitler diese Methoden auf die Außenpolitik übertragen könnte.“ Werner Pünder in „Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte“, Heft 4, 1971)
Politische Diskussionen will sie jetzt vor der Kamera nicht führen. Für sie ging es damals nur um Filmtechnik.
Riefenstahl: Ich hatte zwar 30 Kameraleute, aber nicht hier im Stadion, denn es waren ja auch Schwimmkämpfe, in Grünau, in Kiel, auf dem Maifeld gab es Kämpfe, in Hallen. Die Kameraleute waren also verteilt.
Vieles von dem, was heute im Zeitalter der elektronischen Live-Berichterstattung selbstverständlich ist, hat Leni Riefenstahl damals zum ersten Mal ausprobiert und damit ein für allemal den Standard für Sportfotografie gesetzt. Ein Segelboot im Schlepptau – dramatische Szenen, an die man beim Wettkampf nicht nahe genug herankommt, werden während des Trainings vorgedreht und später in das Material der wirklichen Kämpfe mit eingeschnitten. Manche Sequenzen erreichen damit in ihrer Dramatik Spielfilmniveau.
Riefenstahl: Ich muß sagen, je mehr Kameraleute es waren, desto schwieriger war die Arbeit. Denn ich mußte ja jedem einzelnen seine Aufgabe zuteilen. Das konnte ich immer nur nachts machen, wenn die Arbeiten am Tage vorbei waren. Da haben wir eine Regiebesprechung gehabt, und jeder einzelne hatte gerade fünf Minuten Zeit, mit mir zu sprechen, bekam seine Aufgabe zugewiesen, je nach seinem Können.
Die Logistik dieser Operation war beachtlich. Leni Riefenstahl hatte mit ihrer generalstabsmäßigen Planung 170 Mitarbeiter unter ihrer Kontrolle.
Lantschner: Ich muß sagen, ich habe sie bewundert. Sie hat wirklich wahnsinnig viel vom Bild verstanden. Sie hat ein kolossales Auge gehabt. Und die Motive, die sie ausgewählt hat, waren wirkliche Motive.
Frentz: Sie war energisch, und sie hat vieles durchgesetzt. Als wir beim Olympia-Film verboten bekamen, die große Grube, die wir ausheben ließen, um von unten den Stabhochsprung zu bekommen…, da kam das Olympia-Komitee und sagte: Das geht nicht. Da werden die Leute gefährdet. Da sagte die Leni: Da geh‘ ich mal hin. Sie ging zum Olympia-Komitee und sagte (mit weinerlicher Stimme): Unser ganzer Film geht kaputt, wenn wir das nicht drehen dürfen! Und sie kam zu uns am Abend und sagte: Ha, wir dürfen drehen; ich hab‘ geheult!
Die Olympiade als perfekt organisierte Sportveranstaltung bot den Nationalsozialisten die Gelegenheit, ihr Deutschlandbild zu präsentieren: eine friedliche, tolerante und kraftvolle Nation. Man würde annehmen, dies hätte Hitler begeistern müssen.
Riefenstahl: Hitler war gar nicht erfreut, als er erfuhr, daß ich den Film machte. Denn Hitler war an der Olympiade überhaupt nicht interessiert. Er mochte sie gar nicht. Ich habe das selbst von ihm erfahren. Ist ja auch verständlich: War denn Hitler begeistert, wenn Schwarze siegen und wenn er diese internationalen Leute sieht, wo er so national eingestellt war?
Müller: Es war doch eigentlich eine gute Gelegenheit, ein bestimmtes Deutschlandbild dem Ausland zu präsentieren.
Riefenstahl: Ja, könnte man meinen. Aber Hitler war überhaupt nicht interessiert. Und es mußten ihn alle überreden, daß er überhaupt ins Stadion kam. Ihm hat auch das Stadion nicht gefallen. Er fand das viel zu klein, es hat ihm architektonisch nicht gefallen. Sie können alle fragen, die noch am Leben sind, die werden Ihnen das bestätigen.
Müller: 400 Kilometer Film – wie haben Sie diese Materialberge in den Griff bekommen?
Riefenstahl: Vor allen Dingen kann man gar nicht verstehen, warum wir so viel gedreht haben. Da muß man dran denken, daß es 136 verschiedene Sportarten gab. Und bei den Zwischenläufen der Leichtathletik wußte man ja nicht, ob ein Weltrekord gelaufen wurde. Das heißt, man mußte einfach alles aufnehmen, und das gab diese Unmenge von Film.
Auch hier kann Leni Riefenstahl nur mit ihrem legendären Ordnungssinn den Überblick behalten – und der unermüdlichen Hilfe von ergebenen Mitarbeitern. Zwei Jahre saß Leni Riefenstahl für die Olympiafilme am Schneidetisch. Von Anfang an hat sie alle ihre Filme selbst geschnitten.
Riefenstahl: Dieses kleine Gerät, eine Erfindung von Dr. Fanck, hat es ermöglicht, daß man sehr schnell arbeiten kann, einfach deshalb, weil man die Filmstreifen, die hier hängen, nicht in diese Rollen einspannen muß, was sehr viel Zeit braucht, sondern einfach in dieses Gerät. Und dann kann ich hier durchschauen und genau nach der Bewegung schneiden. Und wenn mir die Szene nicht gefällt, wird sie einfach hier heruntergerollt, oder ich hänge sie mir um, falls sie doch noch in Frage kommt, und nehme mir eine von diesen Szenen heraus, vergleich sie mit dieser Szene und habe dadurch die Möglichkeit, ohne zu übertreiben, zehnmal schneller arbeiten zu können. Natürlich eignet sich dieses Gerät nur für Dokumentarfilme, nicht für Spielfilme, weil hier der Ton erst nachträglich gemacht wird.
Eine der schwierigsten Sequenzen: der Marathonlauf. Chronik einer monotonen Dauerbelastung. Auch hier arbeitet Leni Riefenstahl mit Mitteln des Spielfilms.
Riefenstahl: Ich habe eigentlich mir nur überlegt: Wie kann ich 42 Kilometer Lauf in wenigen Minuten so gestalten, daß es spannend und interessant ist? Und da ist mir sehr schnell der Gedanke gekommen, daß ich das nicht damit erreichen kann, daß ich 42 Kilometer von einer Stelle zur anderen Filmaufnahmen mache, sondern als Höhepunkt den inneren Zustand des Marathonläufers versuche darzustellen. Und das konnte ich dadurch vielleicht zum Ausdruck bringen, daß ich die große Erschöpfung in seinem Gesicht zeigte, was er fühlte, wie seine Beine wie Blei wurden, daß er aber nicht zusammenbrach, sondern durch den Willen – und den Willen konnte ich ja optisch nicht zeigen, den mußte ich durch die Musik darstellen. Darum, wenn Sie darauf achten, ist in diesem Augenblick die Musik ganz peitschend. Die Musik drückt den Willen aus: Er will nicht zusammenbrechen, er will das Stadion erreichen. Die Kamera zeigt aber, von oben aufgenommen, was wir im Training gemacht haben, die müden Beine, die fast am Asphalt klebten. Und dieser Zustand, der hat den vielleicht über die normale Reportage hinausgehoben.
(Ausschnitt aus einer französischen Dokumentation zur Filmpremiere 1938.)
Riefenstahl: Für das Turmspringen der Männer haben wir sehr viel experimentiert. Denn normalerweise war das langweilig, nur eine Aufnahme zu machen, wie der Springer runterspringt. Wir haben für das Turmspringen drei Kameras eingesetzt. Oben stand Gustav Lantschner mit einer Handkamera, während unten Hans Ertl mit der Unterwasserkamera stand, und da drüben war die Zeitlupe, so daß das Turmspringen von allen Seiten gefilmt werden konnte. Am interessantesten und das größte Experiment waren natürlich die Unterwasseraufnahmen, die zum ersten Mal gemacht worden sind. Ertl hatte sich ja eine Kamera konstruiert und saß im Wasser und hat den Springer von oben mitverfolgt bis zum Augenblick, wo er in das Wasser kam, Zeitlupe, Distanz und außerdem die Belichtung, geht mit dem Taucher mit und kam wieder hoch. Auch beim Schwimmen haben wir Experimente gemacht, drüben bei dem Wettschwimmen, da sind wir im Training mit Gummibooten langsam vorgefahren, hatten die Kamera an einen Galgen gehängt, und so konnten wir ganz nah die Köpfe der Schwimmer bekommen.
Ästhetischer Höhepunkt der Montage wird das Turmspringen.
Riefenstahl: Ich habe eine Steigerung versucht, das heißt, ich habe ganz realistisch angefangen. Bei dem Frauenspringen erfährt man noch die Namen der Springerinnen. Bei den Männern habe ich das schon weggelassen und nur noch auf das Springen, auf die Bewegung geschnitten, weil das wirklich aussah, als wenn Vögel durch die Luft schwebten. Und das war natürlich reizvoll. Um das zu steigern, habe ich hinterher verschiedene Tempi angewendet. Wenn Sie darauf achten, werden die ersten mit normalem Tempo springen, und die nächsten Springer sind ein bißchen schon Zeitlupe. Dann wieder etwas mehr und immer mehr, bis es zur Zeitlupe wird. Das war aber noch nicht genug. Die mußten also wirklich, sagen wir mal, wie Vögel wirken.
Nur am Schneidetisch kann man feststellen, daß sie einige Aufnahmen umgekehrt kopieren ließ. Einige Springer tauchen aus dem Wasser auf, schweben hoch in die Luft und landen wieder oben auf dem Sprungturm.
Riefenstahl: Dadurch habe ich erreicht, daß ich ab und zu eine Aufnahme umgekehrt eingeschnitten habe, daß der Springer nach oben ging, was man kaum bemerkte. Es hat nur die Bewegung verstärkt. Es ist also eine künstlerische Ausdrucksform gewesen.
Die Olympia-Filme sind in der Bildästhetik bis heute unübertroffen. Sind sie auch Ausdruck des faschistischen Geistes, der damals in Deutschland herrschte? Die Frage bleibt unbeantwortet. Die Premiere der Olympia-Filme fand an Hitlers 49. Geburtstag statt. Anschließend geht Leni Riefenstahl mit den Filmen auf Tournee durch ganz Europa. Überall erntet sie triumphalen Erfolg. Auf der Biennale in Venedig gewinnt sie den Goldenen Löwen.
Goebbels: Der Deutsche Filmpreis 1937/38 wurde Frau Leni Riefenstahl für ihr Filmwerk „Olympia. Fest der Völker. Fest der Schönheit“ zuerkannt.
April 1938. Premiere in Wien. Riefenstahl: Das ist das erste Mal, seit unser Führer die Macht ergriffen hat, daß ich hier sein darf.

Im November kommt es zur berüchtigten „Reichskristallnacht“, dem ersten großen Judenpogrom in Deutschland. Doch da ist Leni Riefenstahl bereits wieder unterwegs, nach Amerika. Daß in Deutschland die Synagogen brannten, erfährt sie erst später. Ihre Reise nach Hollywood wird darauf ein Fiasko. Die erste Nachricht erreicht Leni Riefenstahl noch auf dem Schiff nach New York.
Riefenstahl: Ich hab‘ das nicht geglaubt, ich konnte das nicht glauben! Denn ich hatte in den amerikanischen Zeitungen so viele falsche Dinge über Deutschland gelesen. Ich dachte, das ist eine Lüge. Und so habe ich gesagt: It is nothing true what the american newspapers write about the Nazis. Und dann stand ganz groß in der Presse, wie ich in New York ankam, auf der einen Seite: „Die Synagogen brennen. Geschäfte werden geplündert. Juden werden verfolgt“, auf der anderen: „Leni Riefenstahl says it’s nothing true.“ Wo ich hinkam und man mich gefragt hat, habe ich gesagt: Nein, das kann nicht wahr sein. Das ist unmöglich! Wenn Sie mich fragen, warum ich nicht weggegangen bin aus Deutschland – ja, wissen Sie, ich liebte meine Heimat, und weggegangen sind die Emigranten und die Leute, die verboten waren. Ich konnte arbeiten, ich war frei, und ich hoffte, daß das nie wieder vorkommt. Alle hofften das, daß das ein einmaliges Geschehen war.

(Wochenschaubericht.) Hitler: Jede wahre Kunst muß ihren Werken den Stempel des Schönen aufprägen. Alles Gesunde aber allein ist richtig und natürlich, alles Richtige und Natürliche ist damit schön. Es ist auch ebenso unsere Aufgabe, den Mut zum wahren Schönen zu finden, uns nicht verunsichern zu lassen durch das teils alberne, teils verschwitzte Geschwätz der Literaten, die versuchen, das Natürliche und damit Schöne als Kitsch zu verrufen.
Riefenstahl: Die Bilder die ich dort sah, waren schrecklich, waren Kitsch. Es war alles Kitsch. Ich habe kaum ein Bild gefunden, das mir gefallen hat. Ich war damals ganz enttäuscht, denn meine Liebe war die moderne Malerei, abgesehen von den französischen Impressionisten, von Cranach. Aber das, was die Nationalsozialisten als Kunst empfanden oder bewunderten, das war für mich Kitsch.
(Ausstellung „Entartete Kunst“.) Kommentator: Für die Reinheit und Sauberkeit des deutschen Kunstempfindens hat der wurzellose Jude kein Organ. Was er Kunst nennt, muß seine entarteten Nerven kitzeln. Ein Geruch von Fäulnis und Krankheit muß es umwittern. Es muß widernatürlich, grotesk, pervers oder pathologisch sein. Diese Fieberfantasien unheilbar kranker Hirne wurden einst von jüdischen Kunsttheoretikern der Öffentlichkeit als eine höchste künstlerische Offenbarung aufgeredet.
Mußten solche Reden eine sensible Künstlerin nicht nachdenklich machen? Nach alldem, was in Deutschland bis dahin bereits geschehen war?
Riefenstahl: Hitler hielt eine Rede über Kunst, und das stimmte nicht. Da habe ich mir gedacht: Wenn er sich so irren kann über Kunst und so überzeugt über Kunst spricht, so überzeugt, daß viele das glaubten, was er sagte, vielleicht irrt er sich auch in der Politik. Und ich bekam damals – das weiß ich ganz genau – echte Zweifel und habe von da an alle Reden viel kritischer mir angehört, ohne daß ich eine Gegnerin wurde – das muß ich ganz ehrlich zugeben.

1939. Deutsche Truppen marschieren in Polen ein. Leni Riefenstahl meldet sich als Kriegsberichterstatterin an die Front. Doch bereits am ersten Tag wird sie Zeuge einer brutalen Auseinandersetzung zwischen der Wehrmacht und polnischen Zivilisten. Ein Foto dokumentiert ihr Entsetzen. Sie beschwert sich beim zuständigen General und reist sofort ab.
Juni 1940. Deutsche Truppen marschieren in Paris ein. Der Blitzkrieg im Westen ist zuende. Aus diesem Anlaß schickt Leni Riefenstahl ein euphorisches Telegramm: „Führerhauptquartier. Mit unbeschreiblicher Freude, tief bewegt und erfüllt mit heißem Dank erleben wir mit Ihnen, mein Führer, Ihren und Deutschlands größten Sieg, den Einzug deutscher Truppen in Paris. Mehr als jede Vorstellungskraft menschlicher Fantasie vollbringen Sie Taten, die ohnegleichen in der Geschichte der Menschheit sind. Wie sollen wir Ihnen nur danken? Glückwünsche auszusprechen, das ist viel zu wenig, um Ihnen die Gefühle zu zeigen, die mich bewegen.“
Riefenstahl: Wissen Sie, damals habe ich nicht wegen der Truppen und des Sieges in Frankreich ein Telegramm geschickt, sondern ganz Deutschland glaubte damals an ein Ende des Krieges. Wir waren in einem Taumel, einem Freudentaumel. Drei Tage lang läuteten in Deutschland die Glocken. Die Menschen auf den Straßen haben sich umarmt und geküßt. Alle glaubten, der schreckliche Krieg ist zuende. Und aus dieser Stimmung heraus habe ich auch ein begeistertes Telegramm an Hitler geschickt.
Doch vom Ende des Krieges war keine Rede. Nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion weitet sich der Krieg in Europa zum Weltkrieg aus.

Leni Riefenstahl ist von alldem weit entfernt. Sie zieht sich zurück in die Berge und beginnt mit den Dreharbeiten zu „Tiefland“ (1954), eine Opernverfilmung. Die heile Bergwelt wird konfrontiert mit den finsteren Mächten im Tal.
Riefenstahl: Es war eigentlich eine Notlösung, weil ich mich, sagen wir mal, davor drücken wollte, Kriegsfilme machen zu müssen. „Tiefland“ war ein neutrales Thema, und da der Olympia-Film so viel Geld gebracht hatte, war ich vollkommen frei und hatte genügend Geld, um einen Film zu machen mit rein künstlerischen Perspektiven.
Wieder kann Leni Riefenstahl tanzen. In der Geschichte geht es um einen sozialen Konflikt zwischen Kleinbauern und Großgrundbesitzern. Sie spielt in Spanien. Da für die Dreharbeiten später auch in Bayern südländische Komparsen benötigt werden, läßt die Produktion über das Arbeitsamt Zigeuner holen. Sie kommen aus dem Zwangslager Leopoldskron bei Salzburg. Das Engagement dieser Leute zu einer Zeit, als alle Nichtarier bereits verfolgt wurden, hat man der Regisseurin immer wieder erbittert vorgeworfen. Bis in jüngste Zeit kam es darüber zu Prozessen. Zu Beginn des Films erhält sie mit Unterstützung des Führers noch die nötigen Devisen, um den Film in Spanien zu beginnen. Aber die Produktion ist vom Pech verfolgt.
Riefenstahl: Es war eine Katastrophe von Anfang an. Es fing damit an, daß wir zuerst schon alle Motive in Spanien gesucht hatten und damit einen ganz billigen Film hätten machen können. Dann kam der Krieg, und wir konnten nicht in Spanien bleiben. Unsere Leute sind mit der letzten Maschine noch eben rausgekommen. Jetzt mußten wir diese ganzen Dekorationen bauen vor einem Gebirge. Das heißt, wir mußten in Bayern ein ganzes Dorf aufbauen. Dann kam der Schnee, hat das Dorf kaputtgemacht. Es mußte im nächsten Jahr wieder aufgebaut werden. Und dann war’s kein kriegswichtiger Film. Wir bekamen kein Atelier, mußten zwei Jahre warten. Hatten wir aufgebaut, die Bauten, mußten wir sie wieder abbauen, weil kriegswichtige Filme gemacht wurden.
Müller: Viele dieser Bilder wirken ja wie Gemälde. Wie haben Sie diese Effekte erzielt?
Riefenstahl: Es war die Absicht, für diesen Film uns ganz aufs Optische zu konzentrieren, um die Schwarzweiß-Filmkunst zu erhalten. Denn damals war ja der Umbruch von Schwarzweiß zu Farbe. Und da Schwarzweiß eine besondere Kunst ist wie die Grafik, wollte ich einen Film machen, mit dem man beweisen kann, daß man mit Schwarzweiß Effekte erzielen kann, die man mit Farbe schlecht oder überhaupt nicht erreichen kann. Ich habe sehr viel mit Verlauffiltern gearbeitet, mit Orangefiltern. Diese Aufnahme war vielleicht abgeblendet auf 3,2, damit die Luft da ist, die Atmosphäre. – Also ich habe bei meinem Film immer darauf geachtet, daß die Männer eine andere Beleuchtung hatten als die Frauen: mehr Seitenlicht, um die Züge markant zu machen, während bei den Frauen es wichtig ist, daß sie jung und schön erscheinen. Und da kann man mit der Beleuchtung eine Frau um 20 Jahre jünger oder älter machen, je nachdem, woher das Licht kommt. Wenn es sich um eine junge Frau handelt, die jung und schön aussehen soll, dann muß sie ein ganz weiches Vorderlicht haben, überhaupt kein Seitenlicht, damit keine Markierungen im Gesicht sichtbar werden. Denn wirklich hübsch zu fotografieren sind eigentlich nur Babys, weil die überhaupt keine Falten haben. Aber bei einer Frau können Falten, auch wenn sie noch so leicht sind, stärker erscheinen als in Wirklichkeit, und darum ist es sehr wichtig, daß das Licht von vorne kommt. Zum Beispiel Marlene Dietrich: Die hatte immer dieselbe Beleuchtung. Da war die Lampe ganz oben. Das machte Schatten auf den Wangen, das machte sie da ganz schlank. Und eine andere Frau braucht wieder eine andere Beleuchtung.
Müller: Was hatten Sie für eine Beleuchtung?
Riefenstahl: Ich? Ich brauche ein weiches Vorderlicht. Auch ein bißchen von oben – nicht so sehr wie bei der Marlene, weil ich ja nicht so mager aussehen möchte (sie lächelt maliziös).
Noch heute beeindruckt die intensive Atmosphäre der Schwarzweiß-Fotografie.
Riefenstahl: Um das zu erreichen, diesen malerischen Stil, ist es notwendig, zuerst einmal ein Motiv zu suchen, das in der Komposition schon ein Bild ergibt, nicht irgendwo die Kamera hinstellen. Zweitens wird normalerweise bei Außenaufnahmen stark abgeblendet, weil sehr viel Licht da ist. Das ergibt den Effekt, daß man keine Luft hat, keine Atmosphäre. Also alles sehr scharf. Um trotzdem eine gewisse Realität zu haben und die Schärfe zu vermeiden, habe ich ganz starke dunkle Filter verwendet, um gar nicht abzublenden, sondern das Licht durch Filter wegzunehmen. Dadurch habe ich diese malerische Wirkung, zum Teil auch durch Schwarzfilter. – Also diese Hütte, die Sie hier sehen, haben wir nicht gebaut und dann gefilmt, sondern wir haben erst das Motiv gesucht, die Kamera hingestellt und dann die Hütte durch das Auge der Kamera aufgebaut, damit das ganz genau in dieser Komposition möglich ist. Und dadurch haben wir diesen harmonischen Effekt. – Als der Film beinahe fertig war, war das Kriegsende da, und dann wurde alles nach Frankreich verschleppt. Und da lag dann das Material zehn Jahre, und die Franzosen haben daran rumgeschnipselt und haben versucht, einen Film zu machen. Und da ging sehr viel Material verloren. Und dann brauchte ich mehrere Anwälte, um das Material überhaupt wiederzubekommen und dann es zusammenzusetzen. Es war eine wirkliche Odyssee.
Während Leni Riefenstahl an „Tiefland“ arbeitet, geht der Krieg in seine Endphase. Als Berlin pausenlos bombardiert wird, verläßt Leni Riefenstahl mit ihrer Produktionsfirma die Hauptstadt und zieht um nach Tirol. Am Fuße des Wilden Kaisers bezieht sie einen Bauernhof bei Kitzbühel. Eine idyllische Zuflucht, mitten im totalen Krieg. Hier schneidet Leni Riefenstahl bis in die letzten Kriegstage an „Tiefland“. Besessen von ihrer Arbeit hört sie nur die Bomber, die täglich nach Berlin fliegen. Wann ist damals ihr Bild von Hitler zerbrochen?
Riefenstahl: Es ist ganz zerbrochen, leider viel zu spät, erst gegen Ende des Krieges, als ich bemerkte, daß er nicht die zerbombten Städte sich ansah – jede Nacht diese brennenden Städte und das ganze Unglück. Und als er so weit ging, daß er sogar Volkssturm und Kinder einzog, da war ich entsetzt, da war das Bild total zerbrochen.
Müller: Wann haben Sie denn Hitler zum letzten Mal gesehen?
Riefenstahl: ich habe ihn zuletzt gesehen nach meiner Kriegstrauung. Die war am 21. März 1944. Und da bekamen wir eine Einladung, mein Mann und ich, zum Berghof zu kommen. Und da habe ich ihn zum letzten Mal ganz kurz gesehen, und da war er schon ganz abwesend und hat nur im Monolog gesprochen. Also da empfand ich ihn gar nicht mehr wie einen realistischen Mensch, sondern wie einen Geist.
Endkampf um Berlin. Im April 1945 ist Deutschland am Ende. Das Land liegt in Trümmern. Leni Riefenstahl wird in Kitzbühel verhaftet.
Riefenstahl: Es war eine Zeit, die man gar nicht beschreiben kann, so traurig, so grausam. Alle Ideale waren zerbrochen. Man konnte das alles gar nicht begreifen. Es war ein fürchterlicher Absturz. Bei meinem ersten Verhör bei den Amerikanern zeigte man mir Bilder aus den Konzentrationslagern. Vorher hatte ich nie etwas davon gehört. Und das war so ein fürchterlicher Schock für mich, daß ich es gar nicht glauben konnte. Es war mir unmöglich zu glauben, daß so etwas menschenmöglich war und daß das tatsächlich auf Hitlers Befehl geschehen sein sollte.
(Anmerkung: Ihre Komparsen für „Tiefland“ waren aus einem solchen Lager gekommen und gingen nach den Dreharbeiten überwiegend nach Auschwitz. Gerichte stellten wiederholt fest, daß sie die Sinti zwar nicht entlohnt hatte, daß aber nicht beweisbar war, daß sie von ihrem Schicksal wußte.)
Riefenstahl: Es hat eine Zeit gedauert, bis ich das alles glauben mußte. Und damit zerbrach ja mein ganzes bisheriges Leben, denn ich hatte Hitler geglaubt. Und das war so erschütternd, daß das Persönliche eigentlich alles in den Hintergrund trat. Es gab nur noch zwei Möglichkeiten: entweder mit dieser entsetzlichen Belastung und Schuld, die auf uns ruhte, zu leben oder zu sterben. Es war ein ständiger Kampf: leben oder sterben.
Diesen Kampf hatten in Europa bis dahin 60 Millionen Menschen bereits verloren. (Fortsetzung folgt)
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.11.2023, 07:31   #1667  
Peter L. Opmann
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Hier ist der letzte Teil. Ich hatte nicht erwartet, daß das so viel Text wird. Das liegt daran, daß man die Äußerungen von Riefenstahl lückenlos wiedergeben muß, auch wenn sie schwafelt. Sie redet immerzu um ihre Verantwortung innerhalb des Propagandaapparats der Nationalsozialisten herum. Finde ich schon sehr interessant. Ihre Verdienste liegen eindeutig auf filmtechnischem Gebiet. Inhaltlich sind fast alle ihre Filme problematisch.

Müller: Haben Sie eigentlich, nachdem Sie von den Verbrechen des Dritten Reichs erfahren hatten, jemals nachträglich Ihr Werk anders gesehen?
Riefenstahl: Anders habe ich’s nicht gesehen. Ich war nur verzweifelt, daß ich in dieser Zeit gelebt habe und daß ich das erlebt habe. Sagen wir mal, ich hab’s insofern anders gesehen, daß, wenn ich mich hineinversetzt habe in die Seelen der Opfer, es schrecklich war zu sehen die Hakenkreuze und die SS und die SA und diese Menschen, von denen wir geglaubt hatten, daß es keine Verbrecher sind. Das war der Zusammenbruch für immer. Ich habe das nie überwunden, diese Schrecken, die ich damals erlebt habe. Auf der anderen Seite sagt man: Sie ist eine Blinde, die nichts wissen will, die immer eine Nazi bleibt. Und dabei hat das alles mit meiner Person gar nichts zu tun. Ich war nie eine Nazi. Ich verurteile das alles, was geschehen ist, auf das Tiefste. Aber es nutzt gar nichts, denn man glaubt mir ja nicht.
Beim Entnazifizierungsverfahren werden Leni Riefenstahls Beziehungen zu den Nationalsozialisten wochenlang überprüft. Die meisten Augenzeugen leben noch und bestätigen ihre Aussagen. Nach mehreren Verfahren wird Leni Riefenstahl schließlich als Mitläuferin eingestuft. Sie erhält kein Berufsverbot. Die Untersuchung ergab: Keine politische Aktivität, die das Naziregime unterstützte und eine Strafe rechtfertigen würde. Viele, die sich an Leni Riefenstahls prominente Position im Dritten Reich erinnern, sind damals mit diesem Urteil nicht einverstanden.
Riefenstahl: Es ist ja so leicht, wenn mal ein Rufmord ausgesprochen wird, der wurde immer wieder gegen mich verwendet. Man hat mir die unglaublichsten Sachen angedichtet. Erstens war ich angeblich die Mätresse von Hitler oder von Goebbels oder von Göring oder von allen. Ich habe Zigeuner aus einem KZ geholt, was ich nie getan habe! Das wurde alles geschrieben und behauptet und untermauert. Man hat also versucht, mich fertigzumachen, vor allen Dingen, daß ich nicht mehr arbeiten sollte.
Über 20 Jahre wohnt Leni Riefenstahl nach dem Krieg allein mit ihrer Mutter in einer Münchner Dachwohnung. Bis heute gibt es keinen neuen Film von ihr.

Fast ein halbes Jahrhundert später. Leni Riefenstahl feiert ihren 90. Geburtstag am Starnberger See. Unter den Gästen: Kameramann Gustav Lantschner und der japanische Olympiasieger im Marathonlauf 1936 (Sohn Kee-Chung).

1992 wurde Leni Riefenstahl mit einer großen Ausstellung geehrt. Diese wurde von der bekannten Designerin Eiko (Ishioka) konzipiert, eine Mitarbeiterin von Francis Ford Coppola. Die Show in Tokio wurde ein außerordentlicher Erfolg. Die politischen Aspekte im Werk der Künstlerin hatte man allerdings weitgehend ausgespart.

Las Vegas 1992. Für unseren Film will Leni Riefenstahl neben zwei amerikanischen Showstars vor der Kamera stehen, zwei Künstlern aus Deutschland, inzwischen weltberühmt Siegfried und Roy haben Leni Riefenstahl eingeladen, um sich von ihr fotografieren zu lassen. Siegfried und Roy genießen es, vor der Kamera von Leni Riefenstahl aufzutreten, auch wenn die Pose für den Fotografen längst Routine geworden ist. Leni genießt es, dabei gefilmt zu werden. In Glanz und Glamour – wie Marlene Dietrich.

Leni Riefenstahl, inszeniert von Helmut Newton. Zwei Stars der Fotografie begegnen sich. Newton fotografiert Leni Riefenstahl für ein großes amerikanisches Magazin. Im Jahr ihres 90. Geburtstags steht die Regisseurin im Ausland noch einmal kurz im Rampenlicht. In diesem Jahr erscheinen ihre Memoiren in England. Popstar Madonna interessiert sich für die Filmrechte.

In ihrer Villa in Pöcking bekommt Leni Riefenstahl noch heute Fanpost aus aller Welt. Der Grund: In den 60er Jahren gelang ihr ein publizistisches Comeback. Sie entdeckte ein neues Thema und einen neuen Kontinent: Afrika.

1962 reist Leni Riefenstahl in den südlichen Sudan zu den Nuba, eine Gemeinschaft von etwa 100 Stämmen, die damals noch kaum Kontakt zu der westlichen Zivilisation hatten. Doch ihre Liebe zu Afrika begann bereits Jahre vorher, als sie in Kenia an einem Film über den modernen Sklavenhandel arbeitete. Die Produktion mit dem Titel „Schwarze Fracht“ kann nicht fertiggedreht werden. Auf dem Weg nach Nairobi hat Leni Riefenstahl einen schweren Unfall, der sie fast das Leben kostet. Ihre Faszination für den Schwarzen Kontinent bleibt dennoch ungebrochen. 1973 wird ihr erster Fotoband über die Nuba veröffentlicht.
Müller: Wie hat Ihre Faszination für die Nuba begonnen?
Riefenstahl: Durch ein Foto, ein einfaches Foto, das ich in einem alten „Stern“-Heft zufällig zu sehen bekam, als ich in Nairobi nach meinem Unfall im Hospital lag. Und dieses Bild – ich habe es immer hier am Tisch, wenn ich mit meinen Nuba-Bildern arbeite – hat eigentlich mein Leben verändert, denn es stellt zwei Ringkämpfer dar, Nuba, genauso, wie ich sie mir vorgestellt habe bei meinem Film „Schwarze Fracht“. Da brauchte ich solche Typen, fand sie aber nicht in Kenia und Tansania. Die waren dort alle zierlich, auch die Massai und die ganzen Stämme. Aber solche schwarzen Athleten, die ich für den Film brauchte, habe ich nicht getroffen. Und dann begann meine Suche danach. Können Sie das kleine Bett erkennen? Da habe ich monatelang geschlafen, und dort war ich sehr glücklich.
Bei ihrer ersten Expedition lebt Leni Riefenstahl, damals 60 Jahre alt, acht Monate lang allein bei den Nuba. – Ringkämpfer der verschiedenen Stämme kommen zusammen, um sich auf das Fest der Kämpfer vorzubereiten. Es gelingt ihr, nicht nur zu fotografieren, sondern auch zu filmen. Ihr Freund August Arnold, Filmpionier der Firma Arri in München, unterstützt sie bei ihren Expeditionen. Für unseren Film hat sich Leni Riefenstahl bereiterklärt, zum ersten Mal auch Filmmaterial von den Nuba zu veröffentlichen.
Riefenstahl: Die Fotos waren eigentlich für mich gar nicht so wichtig gewesen. Ich bin hingegangen, um die Menschen kennenzulernen, und habe, wie ich es immer mache, wenn ich wo reise, ein paar Aufnahmen gemacht. Was mir gefiel, ihr Leben, wie sie sich bewegten, ihre kultischen Feiern, das habe ich fotografiert, ohne damit zu rechnen, daß ich das jemals veröffentlichen werde.
In einem Hirtenlager leben die jungen Männer, abgeschlossen von der Dorfgemeinschaft, um sich auf die traditionellen Ringkämpfe vorzubereiten. Die Heranwachsenden gehen dabei durch einen Initiationsritus. Um auch äußerlich zu zeigen, daß sie Seribe-Bewohner sind, bedecken sich die jungen Männer mit Asche und malen sich an. Die Asche hat kultische Bedeutung; sie soll Kraft und Schönheit verleihen.
Riefenstahl: Die Nuba, die für mich ganz fremde Wesen waren und ich nie vorher gesehen hatte – überhaupt keine eingeborenen afrikanischen Völker -, überraschten mich durch ihren Charakter. Sie waren arm, hatten nur die Erde dort und ein bißchen Wasser und waren aber glücklich und hatten kein Mißtrauen. Wir lernten uns schnell kennen durch einige Worte, und sie waren so mitfühlend, so fröhlich, und ich habe mir gedacht: Wie wenig braucht man im Leben, um glücklich zu sein. Und darum bin ich immer wieder zu ihnen zurückgekehrt und habe mich dort sehr wohlgefühlt.
Über 3000 Meter belichtetes Filmmaterial lagert in Leni Riefenstahls Keller. Doch den Nuba-Film, eines ihrer Lieblingsprojekte, gibt es bis heute nicht. Zwar ist wichtiges Material im Kopierwerk zerstört worden. Doch was hält eine begeisterte Cutterin davon ab, ihr eigenes Material zu schneiden? Vor ihrer zweiten Expedition hat Leni Riefenstahl eine entscheidende Begegnung. Sie lernt Horst Kettner kennen. Er ist 40 Jahre jünger und wird ihr Arbeits- und Lebensgefährte. Das ist er bis heute. Bei der nächsten Expedition wird Horst Kettner von ihr zum Kameramann ausgebildet. – Ein Ringkampffest der Massaking-Nuba. Solche Feste stehen im Zentrum des kultischen Lebens. Sie beginnen nach der ersten Ernte im November und dauern bis Ende März. Die Kämpfe enden niemals brutal. Sieger ist, wer den Gegner auf den Rücken wirft. Ein Schiedsrichter wacht darüber, daß es fair zugeht. 200 Kilometer weiter. Ein anderer Stamm, andere Sitten und Gebräuche und eine andere Sprache.
Riefenstahl: Das sind die Nuba von Kao. Sie sind auch Nuba, aber sie sind ganz anders. Schon im Wesen sind sie das Gegenteil von den Wassaki-Nuba. Sie sind sehr wild und nicht so friedlich wie die anderen Nuba. Es ist schwierig, mit ihnen zu arbeiten. Aber es lohnt sich, denn sie sind Künstler. Sie haben eine Begabung, die ich noch nie bei einem anderen Stamm gesehen habe: Sie können sich wunderbare Masken malen, wie Sie hier sehen, eine interessanter als die andere, und zwar in kürzester Zeit, in 20 bis 30 Minuten.
Müller: Welchen Zweck haben die Masken?
Riefenstahl: Nur um sich zu verschönern, um sich zu schmücken. Es gibt zwar kultische Symbole, Zeichen, die in manchen Masken erscheinen; zum Beispiel: Einige haben sehr betont die Augen. Die wollen ihre Augen größer machen. Und einige Linien bedeuten eigentlich stilisierte Zeichen von Gazellen und Tieren, die sie kennen. Es ist erstaunlich: Nicht eine Maske ähnelt der anderen, und sie wiederholen sich auch nie. Es reizt mich mehr ein Motiv, das ästhetisch ist, als eines, das häßlich ist. Das Negative macht mich nicht kreativ. Ich werde nur kreativ, schöpferisch und habe Ideen, wenn es sich um etwas handelt, das begeistert und worüber man begeistert sein könnte. Und das ist bei all meinen Filmen der Fall.
Ein Tanzfest der Nuba von Kao. Diese Feste finden nach den traditionellen Messerkämpfen statt. Nur Jungfrauen dürfen tanzen. Mit ihren Tänzen werben die Mädchen um die Kämpfer. Ein amerikanischer Anthropologe hat die Faszination, die von diesen Tänzern ausgeht, so formuliert: „Als Höhepunkt der Nuba-Kunst wird von ihnen der Körper betrachtet, der Körper als Symbol für vollkommene Schönheit.“
Riefenstahl: Bei diesen Nuba sind nicht nur die Masken interessant, sondern auch ihre Frisuren. Da sehen Sie zum Beispiel diese Kerbe im Haar, und hier bei diesem Nuba auch. Das bedeutet, das sind die einzigen Männer, die kämpfen dürfen.
Wer die Filmaufnahmen mit den Fotos vergleicht, ahnt, warum es einen Nuba-Film bis heute nicht gibt. Ohne herausragende Kameraleute, ohne gestalterisch eingreifen zu können, gelingt es der Regisseurin zwar, wichtige dokumentarische Szenen zu drehen, aber diese haben nicht die besondere künstlerische Ästhetik, die für ihre Arbeit charakteristisch ist. Bestimmte Elemente dieser Ästhetik haben ihr Kritiker immer wieder zum Vorwurf gemacht.
Riefenstahl: Meinen Sie Susan Sontag? Ich kann nur sagen: Es ist mir ein Rätsel, wie eine so intelligente Frau so einen Quatsch sagen kann. Denn ich habe die Nuba aufgenommen, wie sie leben, unbeobachtet, ungestellt – was soll daran faschistisch sein? Versteh‘ ich überhaupt nicht!
Körperkult, Verherrlichung von Kraft und Stärke, Glorifizierung des Kriegers – Vorwürfe, die Leni Riefenstahl immer wieder zu hören bekommt.
Riefenstahl: Das ist doch alles Quatsch! Wenn Sie leben unter einem solchen Naturvolk und haben eine Kamera bei sich, und die Leute wollen sich gar nicht fotografieren lassen, und Sie machen Aufnahmen, allmählich gewöhnen sie sich ein bißchen daran, weil sie Sie kennen, aber es ist immer noch schwierig – wieso hat das was mit Schönheit, Kraft zu tun? Ich habe die Leute doch nicht verändert. Die sehen so aus. Das sind eben gesunde Menschen. Es gibt bei diesem Stamm überhaupt keine Kranken. Und die alten Menschen sitzen in den Häusern, im Schatten, da haben wir sie überhaupt nicht filmen können. Und die, die sich draußen bewegen, sind meistens jung und gesund, und zufällig sind auch schöne Menschen darunter. Aber ich habe sie ja nicht geschaffen, die hat der liebe Gott geschaffen!
Müller: Haben Sie sich eigentlich jemals Gedanken gemacht, wie man faschistische Ästhetik überhaupt definieren könnte?
Riefenstahl: Ich versteh‘ das gar nicht. Ich kann mir unter Faschismus überhaupt nichts vorstellen. Es sei denn Hitler-Größe, faschistische Größe – die erhobene rechte Hand…
Müller: Die Bildästhetik nicht?
Riefenstahl: Nein, nein, kann ich mir nicht vorstellen. Ich weiß gar nicht, was das bedeuten soll.

In den 70er Jahren entdeckt Leni Riefenstahl mit Horst Kettner noch einmal eine neue Welt, das Leben unter Wasser.
Riefenstahl (beim Schneiden von Filmaufnahmen): Horst, sei so gut und bring mir die Rolle mit den Haien, mit den Nahaufnahmen. Schau mal: Wir haben eine Aufnahme, wo der Herbert den Fisch im Mund hat und der Hai ihn ganz nah ihm wegnimmt. Die möchte ich gern haben. Ist die in der Rolle drin?
Kettner: Ich hol‘ sie dir gleich.
Riefenstahl: Sei so gut, es ist wichtig!
(Riefenstahl geht tauchen.) Im Alter von 71 Jahren macht Leni Riefenstahl den Tauchschein. Sie muß ihr Alter um 20 Jahre jünger angeben, um überhaupt zur Prüfung zugelassen zu werden. Seitdem taucht sie mit Horst in den interessantesten Unterwasserrevieren der Welt. Der Film, an dem sie jetzt mit ihm arbeitet, wird wohl ihre letzte große Produktion werden. Wie immer wird Leni fotografieren oder die Motive mit den Lampen ausleuchten. Horst wird die Kamera bedienen.
(Anmerkung: Aus ihrer Unterwasserarbeit sind wiederum Fotobände geworden. Der Film kam nicht zustande.)
Mit 90 Jahren ist Leni Riefenstahl wohl die älteste aktive Taucherin der Welt. Die zunehmende Bedrohung der Unterwasserwelt, die sie im Lauf der Jahre beobachtet hat, hat Leni Riefenstahl so betroffen gemacht, daß sie Mitglied von Greenpeace geworden ist.
(Riefenstahl und Kettner sehen sich im Hotelzimmer die eben entstandenen Unterwasseraufnahmen an.)
Tauchtiefe 30 Meter. Begegnung mit einem Stachelrochen. Mit seinem giftigen Stachel am Schwanz kann dieser Rochen Menschen tödlich verletzen. Von den Gipfeln des Ruhms zog es Leni Riefenstahl hinunter in die geräuschlose Welt der Ozeane, wo es keine Menschen gibt. Kann das ein Zufall sein?

Sich mit Leni Riefenstahl auseinanderzusetzen, ist in diesem Land immer noch umstritten. Die Arbeit an diesem Film hat das bestätigt. Noch heute lasten auf dieser Frau die Schatten der Vergangenheit.
Müller: Ich habe den Eindruck, das Land hat immer darauf gewartet, daß Sie in der Öffentlichkeit sagen: ich habe geirrt. Und: Es tut mir leid.
Riefenstahl: Leidtun ist ja viel zu wenig. Aber ich kann mich ja nicht zerfleischen oder zerstören. Es ist so schrecklich, daß ich immerhin jetzt über ein halbes Jahrhundert gelitten habe. Und das wird auch nie aufhören, bis ich sterbe. Also das ist eine so wahnsinnige Bürde, da ist das Wort „Es tut mir leid“ zu wenig, es sagt zu wenig.
Müller: Verletzt es Sie nicht, wenn man in den Zeitungen immer wieder liest, Sie seien eine Unverbesserliche?
Riefenstahl: Natürlich verletzt mich das. Und wie mich das verletzt. Es macht mich sehr, sehr traurig. Aber da das einfach nicht aufhört und immer wieder gesagt wird, muß ich damit leben. Und das ist schon ein so großer Schatten in meinem Leben, daß, wie Sie vorhin sagten, der Tod für mich eine Erlösung ist.
Müller. Manchmal habe ich den Eindruck, die Leute erwarten von Ihnen ein Schuldbekenntnis.
Riefenstahl: Ja, was verstehen Sie darunter? Wo liegt meine Schuld? Ich kann bedauern. Ich bedaure, daß ich den Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ 1934 gemacht habe. Ich bedaure… naja, ich kann doch nicht bedauern, daß ich in der Zeit gelebt habe. Über meine Lippen ist nie ein antisemitisches Wort gekommen. Ich war niemals antisemitisch und bin deshalb auch nicht in die Partei eingetreten. Also wo liegt meine Schuld? Sagen Sie mir doch das! Ich habe keine Atombomben geworfen, ich habe niemanden verleumdet. Wo liegt meine Schuld?

Geändert von Peter L. Opmann (08.11.2023 um 07:40 Uhr)
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Alt 08.11.2023, 13:49   #1668  
Servalan
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Leni Riefenstahl halte ich schon für eine Unverbesserliche. Sie begann als Tänzerin und war Schauspielerin, bevor sie zur Regie kam; sie weiß also ganz genau, wie sie sich vor Publikum verhalten muß, um ein gewisses Image zu vermitteln.
Der Dokumentarfilm von Ray Müller zeigt meines Erachtens, wie Riefenstahl gern von anderen gesehen werden will und nicht, was wirklich in ihr vorgegangen ist. In ihrem Alter hatte sie mehr Erfahrung mit Medien als der Rest der Bevölkerung, und das hat sie zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt.
Ich glaube nicht, dass ich persönlich mit ihr ausgekommen wäre.

Als Filmpionierin hat sie ihre Verdienste. (Das habe ich ja schon anderswo angemerkt.)
Um sich in dem Metier durchsetzen und industrielle Standards zu schaffen, gehört schon eine ordentliche Portion Eigenwilligkeit und Starrsinn dazu. Ohne diese Züge ihrer Persönlichkeit wäre sie nie die geworden, die sie geworden ist.
Ich kenne nur Werke von ihr, kann sie also bloß mit Vorsicht beurteilen. Wieviel politische Verblendung eine Rolle bei ihr spielt, weiß ich nicht. Da könnte ich nur spekulieren, aber das lass ich lieber.

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Alt 08.11.2023, 14:27   #1669  
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Tja, sehr schade, daß gerade "Triumph des Willens" und die beiden Olympiade-Filme als Höhepunkte ihres filmischen Schaffens angesehen werden müssen. Sowohl "Das blaue Licht" als auch "Tiefland", ihre beiden großen Spielfilme, sind inhaltlich mißglückt, teils beinahe in eine Selbstparodie umschlagend.

Ich denke schon, daß Riefenstahl filmisch Bedeutendes hätte leisten können, wenn sie entweder gute Drehbuchautoren oder einen Regiepartner gehabt hätte, der/die sie vor Entgleisungen bewahrt hätte. Aber dazu war sie wohl auch zu eigensinnig. Oder wie ich oben angedeutet habe: Sie hat Bedeutendes geleistet, aber nur auf dem Gebiet der Filmtechnik.
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Alt 10.11.2023, 06:02   #1670  
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Auf vielfachen Wunsch: „Berge in Flammen“ (1931) von Karl Hartl und Luis Trenker. Diesen klassischen Bergfilm habe ich schon sehr früh (jedenfalls als Teenager) gesehen und war sehr angetan von ihm. Er erzählt jedenfalls gut verständlich eine sehr ungewöhnliche, dabei auf Tatsachen beruhende Geschichte. Heute finde ich ihn immer noch annehmbar, sehe ihn aber doch mit anderen Augen.

Es ist eine Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg. Damals erhoben sowohl Österreich-Ungarn als auch Italien Anspruch auf Südtirol. Luis Trenker spielt einen österreichischen Bergführer aus einem Dorf zu Füßen der Fanesgruppe der Dolomiten. Zu den Italienern aus der Region pflegt er aber freundschaftliche Beziehungen, da sie seine Liebe zu den Bergen teilen. Eingerahmt wird die Filmhandlung durch eine gemeinsame Besteigung des Fanesturms (heute „Lagazuoi“) mit einem Römer, einmal im Jahr 1914, kurz vor Kriegsausbruch, einmal 1931, also in der damaligen Jetztzeit. Der Krieg unterbricht ihre Freundschaft, kann sie aber nicht zerstören. Das ist die ehrenwerte pazifistische Botschaft des Films. 1914 werden die Männer des Dorfs dann erstmal zum Kriegsdienst eingezogen. Erfreulicherweise sieht man nichts von der besinnungslosen Kriegsbegeisterung, die zum Beginn des Ersten Weltkriegs weithin herrschte; vielmehr wird betont, wie schwer es den Männern fällt, ihre Familien zurückzulassen. Nach kurzem Einsatz in Galizien (Grenzgebiet zwischen Polen und der Ukraine) kehrt Trenkers Einheit in die Heimat zurück und besetzt den Lagazuoi. Italien hat Österreich-Ungarn inzwischen den Krieg erklärt, und sie finden sich in einem zermürbenden Stellungskrieg zwischen den Berggipfeln wieder. Von ihrem Stützpunkt aus nahe dem Berggipfel können sie auf ihr Dorf hinunterblicken. Trenkers Frau (Lissy Arna) weiß allerdings nichts davon, daß ihr Mann so nahe ist; sie hört vielmehr, er sei gefallen.

Nach einiger Zeit nehmen die Soldaten verdächtige Geräusche im Berg wahr und kommen bald darauf, daß die Italiener unter ihnen Stollen graben, um die Bergspitze abzusprengen. Trenker meldet sich zu einem Kurierdienst; er hat dabei im Hinterkopf, daß er dabei auch sein Heimatdorf besuchen kann, das allerdings inzwischen von den Italienern besetzt ist. Heimlich trifft er sich mit seiner Frau. Dabei bekommt er aber zufällig von den Italienern in seinem Haus mit, daß die Sprengung des Bergs am folgenden Tag stattfinden soll. Er muß also sofort zurück auf den Berg und seine Kameraden warnen. Er kommt eben noch rechtzeitig. Die Österreicher räumen ihren Stützpunkt, können den Berg aber nach der Explosion halten. Dann springt der Film ins Jahr 1931.

Die ersten fünf Minuten des Films zeigen nur malerische Ansichten der Dolomiten und den Aufstieg Trenkers und seines italienischen Freunds zum Lagazuoi. Die Bilder (Kamera: Sepp Allgaier) sind exzellent. Es sieht so aus, als habe er da schon mit den Filtern gearbeitet, deren innovativen Einsatz Leni Riefenstahl für ihren Film „Tiefland“ reklamiert hat. Der gesamte Film ist sehr gut fotografiert, auch wenn jedenfalls die Kopie, die dem Bayerischen Rundfunk zur Verfügung stand, mitunter Alterungsspuren aufweist. Die Geschichte würde ich als naiv erzählt bezeichnen. Zwar wird der Krieg in keiner Weise glorifiziert; wir sehen sogar mitunter auf erbärmliche Weise sterbende Soldaten. Aber er wird auch überhaupt nicht hinterfragt. Mit den Berglern hat er nichts zu tun, und sie sind froh, wenn er vorbei ist und sie sich wieder dem Bergsteigen und ihrer Dorfidylle widmen können. Ich dachte früher, daß dem Kinobesucher des Jahres 1931 die politischen Zusammenhänge wohlbekannt waren. Aber es ist wohl kein Zufall, daß darauf überhaupt nicht eingegangen wird.

„Berge in Flammen“ war Trenkers erste Regiearbeit, nachdem er als Schauspieler schon in Filmen von Arnold Fanck mitgewirkt hatte. Co-Regisseur Hartl hatte schon mehr Erfahrung mit der Filmtechnik. Es ist kein österreichischer, sondern ein deutsch-französischer Film. Berichtet wird, daß Trenker dieser Film ein persönliches Anliegen war. Er kannte die Schauplätze gut und war angeblich konsterniert, daß nach gut zehn Jahren die Spuren des Krieges dort schon teilweise verschwunden waren. Er wollte also festhalten, was für ein Drama sich dort abgespielt hatte. Die Stollensysteme und Überreste der Sprengungen sind freilich am Lagazuoi noch heute zu besichtigen und eine Touristenattraktion.

Ich empfehle, den wikipedia-Eintrag über Trenker, insbesondere „Nationalsozialismus und italienischer Faschismus“ und „Nachkriegszeit“ zu lesen. Da zeigen sich ein paar Parallelen zu Leni Riefenstahl. Trenker drehte zwar nicht Filme für das Hitler-Regime, aber sie paßten gut in ihre Propagandastrategie. Probleme hatte er freilich als Südtiroler, als er sich zwischen Deutschland und Italien entscheiden sollte. Kurios: Nach dem Krieg, als er keine Filmaufträge erhielt, fälschte er offenbar die Tagebücher der Eva Braun und verkaufte die Abdruckrechte an Verlage und Zeitschriften (so etwas hatten wir ja auch bereits kürzlich). Es ist leichter als bei Riefenstahl zu durchschauen, daß er sich immer mit dem Regime gutstellte, von dem er sich die größten wirtschaftlichen Vorteile versprach. Bedenken gegen die Nazis hatte er wohl keine. Als italienischer Staatsbürger mußte er sich jedoch nicht entnazifizieren lassen. Ab den 1960er Jahren konnte er rehabilitiert wieder im Fernsehen auftreten. Gegen Ende seines Lebens wurde er – wie Riefenstahl – engagierter Naturschützer.
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Alt 10.11.2023, 09:58   #1671  
Phantom
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Ich glaube, der Fanesturm heißt immer noch Fanesturm (oder Torre di Fanes), er ist eigentlich etwas nördlich von den beiden Lagazuoi-Gipfeln. Ich bin da schon oft herumgestiefelt, auf den kleinen Lagazuoi kann man fast ganz mit der Seilbahn fahren, aber auch der Aufstieg vom Falzarego-Pass ist möglich. Unbedingt empfehlen würde ich auch den Aufstieg zum Col di Lana ganz in der Nähe, dessen Gipfel ja auch gesprengt wurde; diese Route ist sogar für einen Flachlandtiroler wie mich machbar (nur an einer etwas ausgesetzten Stelle muss man eine Leiter hoch).

Wenn man dort oft in den Bergen unterwegs ist, übt dieser Gebirgskrieg eine eigentümliche Faszination aus. Erschreckend, sinnlos, grausam, wie schlimm muss das für alle Beteiligten gewesen sein. Und weil immer noch viele Tunnels, Stellungen etc. aus dieser Zeit zu sehen sind, ist das alles noch nicht weg. Man sitzt verschwitzt voller Euphorie nach einer Gipfeltour vor seinem Kaiserschmarren mit Cappuccino auf der Berghütte, denkt gleichzeitig daran, dass genau hier viele Soldaten elendig verreckt sind, und blättert in Büchern, in denen der Frontverlauf gipfelgenau geschildert wird.

Nach so einem Dolomitenurlaub hatte ich mir mal "Berge in Flammen" angesehen. Ich hatte auch diesen Reflex, dass das doch etwas naiv erzählt ist, ohne den politischen Hintergrund, ohne die Frage, wer denn Schuld an dem ganzen Elend hat, und dann noch mit diesem Kameradenpathos. Aber ich bin nicht sicher, ob das wirklich fair ist. Vielleicht war vielen Soldaten, zumal denen an der Gebirgsfront, wirklich nicht klar, welches große Spiel hier gespielt wurde. Sie mussten eben funktionieren und haben eher nichts hinterfragt. Wenn es so war, darf man über diese Erfahrungen auch einen Film drehen. Es ist kein Dokumentar-, sondern ein Unterhaltungsfilm. Er stellt die österreichischen Soldaten nicht über die italienischen. Er bedient keine Rachegelüste, sondern will - aus heutiger Sicht vielleicht etwas zu kitschig - Versöhnung zeigen. Die Bergaufnahmen sind wirklich schön. Ich finde den Film daher insgesamt immer noch sehenswert; nicht unbedingt ein Meisterwerk der Filmgeschichte, aber ein interessantes Zeitdokument.
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Alt 10.11.2023, 10:03   #1672  
Servalan
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Die Sache mit der Kriegsbegeisterung habe ich auch in den 1980ern in der Schule gelernt. Im Geschichtsbuch war ein Bild mit jubelnden Soldaten in einem Zug, und der Text sprach davon, dass die Leute glaubten, der Krieg wäre in wenigen Wochen vorbei und Weihnachten könnten alle wieder zuhause feiern.
Wenn ich das aber richtig mitbekommen habe, war da eine Menge Propaganda dabei. Zugegeben, die abgedruckten Bilder und Aussagen waren echt, aber die Begeisterung herrschte vor allem beim Großbürgertum, den Medien und in den oberen Schichten. Einfache Arbeiter und Leute auf dem Land standen dem Krieg eher mürrisch bis widerwillig gegenüber. Soweit ich weiß, ist das heute Stand der Forschung.
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Alt 10.11.2023, 11:15   #1673  
Peter L. Opmann
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Okay, aus "Berge in Flammen" kann man Luis Trenker keinen Strick drehen. Habe ich auch nicht gemacht. Beim "Rebell" könnte das anders aussehen.

In wikipedia steht ja, daß Trenker keine Nazi-Filme gedreht hat. Aber sie waren eben auch nicht nazi-kritisch. Goebbels und Hitler waren sehr zufrieden mit ihm. In Ungnade gefallen ist er erst, als er sich als Südtiroler auf die Seite Italiens geschlagen hat. Auch wenn Deutschland und Italien im Zweiten Weltkrieg Verbündete waren, hat das Hitler gar nicht geschmeckt.
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Alt 10.11.2023, 12:55   #1674  
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Das kann dann aber nur nach Mussolinis Sturz gewesen sein.
Denn vorher war das auch Hitlers Linie. Angefangen von seinen Aussagen in MK bis zu den Planungen zur Komplettumsiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung von Südtirol im Abkommen von 1939.

Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.
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Alt 10.11.2023, 13:30   #1675  
Peter L. Opmann
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@ Nante: Das ist mir jetzt zu sehr Historiker-Sprech.

Was war Hitlers Linie?
Was ist MK?
Welches Abkommen von 1939?

Ich wollte gestern ein bißchen über die Geschichte von Südtirol lesen. Aber in Darstellungen zum Ersten Weltkrieg kommt das nur ganz am Rande vor, bei der Abhandlung des Dritten Reichs praktisch gar nicht (jedenfalls in den Büchern, die ich zur Hand habe).
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