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Alt 18.02.2024, 06:14   #1901  
Peter L. Opmann
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Noch ein Film von Wellman, der bei mir auf derselben Cassette ist wie „Ritt zum Ox-Bow“. Auch ein Western (im weiteren Sinne), aber ein ganz anderer Film: „Buffalo Bill, der weiße Indianer“ (1944). Dieser Film war eine Bedingung gewesen, unter der die 20th Century Fox der Realisierung von „Ritt zum Ox-Bow“ zugestimmt hatte. Das war ein Kinostück, wie es sich das Studio vorstellte, und, wie ich gelesen habe, war das einer der erfolgreichsten Filme der Fox bis dahin. Wellman hätte ihn wohl nicht gedreht, wenn er sich nicht dazu verpflichtet hätte – er mochte ihn überhaupt nicht. Man kann sich das Werk unter verschiedenen Aspekten ansehen. Als Abenteuermärchen finde ich das noch immer ansprechend. Als Biopic über William F. Cody, der es als „Buffalo Bill“ bis zum Comichelden brachte, ist es sehr zweifelhaft. Und die Darstellung der amerikanischen Ureinwohner erscheint mir äußerst zwiespältig.

Was den Film für mich unterhaltsam macht, ist sein Wechsel zwischen leiser Ironie und demonstrativer Naivität. Auch wer über das Leben des echten Buffalo Bill nichts weiß, kommt schnell darauf, daß es so wie im Film dargestellt sicher nicht gewesen sein kann. Aber immerhin ist es ein mit Humor gewürzter, gut gemachter Actionfilm. Über die Rolle, die die Indianer spielen, gehen die Meinungen auseinander. Bornierte Politiker in Washington tönen hier ungeniert: „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.“ Und Buffalo Bill verwendet die starke Aussage: „Der einzige Indianer, der Sie interessiert, ist dieser hier“, wobei er eine Geldmünze mit aufgeprägtem Indianermotiv auf die Tischplatte wirft. In dem Buch „Edle Wilde, rote Teufel. Indianer im Film“ heißt es dagegen: „Die Sioux und die Cheyenne wurden – mit Ausnahme ihres Häuptlings, besetzt mit Anthony Quinn – von Navajos gespielt, die sich nach Presseberichten während der Dreharbeiten über die Kostüme, die sie tragen mußten, halb kaputtlachten.“

Zum Plot: Als er durch die Prärie reitet, stößt Buffalo Bill (Joel McCrea) auf eine von Indianern angegriffene Postkutsche, deren Insassen überlebt haben. Er versucht, Verständnis für die fremde Kultur zu wecken, lernt dabei aber auch seine spätere Frau (Maureen O’Hara) kennen. Er dient der US-Armee als Scout und bewahrt seine Truppe, indem er sich in Indianerhirne hieindenkt, ein ums andere Mal vor schweren Niederlagen. Zum Konflikt ist es gekommen, weil eine Eisenbahnlinie mitten durchs Indianergebiet gebaut werden soll – die Geschäftsleute meinen, dafür müßten die Roten doch Verständnis haben, denn jede andere Route wäre viel zu teuer. Später werden ihnen auch noch von jagdlustigen Weißen sämtliche Büffel weggeschossen. Nebenbei bekommen wir mit, wie sich McCrea und O’Hara, eine feine Dame aus dem Osten, allmählich näherkommen. McCrea ist ein einfacher, ungebildeter Naturbursche, der durch seinen natürlichen Anstand dennoch ihr Herz gewinnt und sie heiratet.

Das Paar bekommt einen Sohn, aber als McCrea mit der Armee in den Indianerkrieg zieht, statt mit Frau und Kind in den Osten zurückzukehren, verläßt sie ihn. Er besiegt Häuptling Anthony Quinn im Zweikampf, wird aber wegen einem wieder einmal mißachteten Befehl unehrenhaft aus der Armee entlassen. In diesem Moment trifft die Nachricht ein, daß der amerikanische Präsident ihm eine Tapferkeitsmedaille verleihen will. Im Osten erfährt er, daß sein Sohn an der Zivilisation (Diphtherie) gestorben ist. Ein Versöhnungsversuch mit O’Hara scheitert. Weil er nicht weiß, wovon er leben soll, wird er zur Attraktion einer Schießhalle. Einerseits ist er eine Berühmtheit, andererseits bezweifeln viele seine früheren Heldentaten. Dann holt ihn aber seine Frau von dem Schießstand weg, und Freunde ziehen mit ihm eine große Wildwest-Show auf, mit der er, nun von allen umjubelt, durch die gesamten Staaten und Europa tourt. Alt geworden, kündigt er schließlich seine Rückkehr mit seiner Frau in den (ehemals) wilden Westen an.

Wellman und sein Filmteam sollen sich genau über die wirkliche Biografie von Buffalo Bill informiert haben. Es kam aber dann die Legende und nicht die Wahrheit aufs Zelluloid. Auf jeden Fall fällt auf, daß der Held mitten im Film die gesamte Indianerproblematik ungelöst hinter sich läßt. Eine Lösung gab es ja auch nicht, aber wir sehen nur noch die Buffalo-Bill-Show mit ein paar Indianer-Darstellern. Dennoch war der Film seiner Zeit gewiß voraus, weil hier Indianer nicht bloß mordend und brennend durch die Gegend reiten und dann von aufrechten Weißen über den Haufen geschossen werden. Da gibt es ein paar individuelle Charaktere, die auch nachvollziehbare Motive für ihr Handeln haben. (Das gab’s später in den deutschen Karl-May-Western auch.) Und McCrea steht moralisch eher auf ihrer Seite als auf der der Army. Freilich würde ihm nie einfallen, die Seiten zu wechseln. McCrea spielt einen Heldentypus, der nicht weit von dem eines Erroll Flynn entfernt ist; er ist lediglich schüchterner und bescheidener. Also als Filmfantasie kann ich „Buffalo Bill“ empfehlen. Über seine Aussage sollte man nicht allzu viel nachdenken.
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Alt 18.02.2024, 08:18   #1902  
Marvel Boy
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Auch schon lange her das ich den gesehen hab und damals hab ich mich gefragt, was ist dran an der Geschichte. Nun, Internet gab es damals nicht und so blieb die Frage bis heute ungeklährt.
Ich sollte deine Vorstellung des Films mal dazu nutzen das zu ändern.

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Alt 18.02.2024, 09:06   #1903  
Peter L. Opmann
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Ich habe zwar sogar ein Buch über Buffalo Bill, das allerdings zwischen Sachbuch und Roman schwankt (Michael Forster: Buffalo Bill, Held des Wilden Westens, ca. 1970), aber es ist wohl nicht ganz leicht, diese Figur aus ihrem Mythos herauszulösen. Aber er war sicher ein guter Showman, und ob er ein Prärieheld war, ist eher unsicher.

In dem Film werden jedoch die Akzente genau umgekehrt gesetzt.
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Alt 20.02.2024, 06:22   #1904  
Peter L. Opmann
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Manchmal ist es gut, Videofilme zu digitalisieren und dabei zu merken, was man da überhaupt auf Band hat. Ich habe diesmal Alfred Hitchcocks „Mord“ ausgesucht und dachte, es sei sein früher Tonfilm „Mord – Sir John greift ein“. Das wäre der früheste Hitchcock in meiner Sammlung gewesen – „Erpressung“, einen Stummfilm, habe ich mal gesehen, aber nicht aufgenommen. „Mord“ ist aber gar nicht der Film, den ich erwartet hatte, sondern heißt heute entsprechend dem Originaltitel „Der Auslandskorrespondent“ (1940). Damit habe ich aus Versehen wieder einen Film mit Joel McCrea in der Hauptrolle gewählt. In diesem Politthriller spielt er einen Journalisten, der eigentlich als Detektiv agiert (wie das im Kino oft vorkommt). Hitchcock wurde für dieses Werk von seinem Produzenten David O. Selznick an United Artists ausgeliehen. Er hatte ein damals üppiges Budget von knapp 1,5 Millionen Dollar zur Verfügung, was dazu führte, daß der Film trotz beachtlicher Zuschauerzahlen keinen Gewinn machte. Ich finde ihn noch heute mitreißend, muß ihm aber auch ein paar Schwächen bescheinigen.

Die Handlung ist beinahe in der (damaligen) Gegenwart angesiedelt, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Ein Politiker (Albert Bassermann) verfügt über ein Geheimabkommen zweier Staaten, falls Nazideutschland tatsächlich einen Krieg beginnen sollte. Er hat den Vertragswortlaut nur im Kopf, und kaum jemand weiß davon. McCrea soll sich für seine New Yorker Zeitung in Europa umsehen und wird Augenzeuge, wie ein Attentat auf Bassermann verübt wird. Er wird gleich mißtrauisch: Das Opfer ist ein Doppelgänger, und Bassermann ist von einer Nazibande entführt worden, die ihm das Geheimnis abpressen will. Er findet ihn tatsächlich in einer alten Windmühle, und es gelingt ihm, die Polizei zu rufen, aber in der Zwischenzeit sind die Nazis verschwunden und haben alle Spuren verwischt, so daß man ihm nicht glaubt.

Hilfe bekommt er von Laraine Day, der Tochter eines anderen Politikers (Herbert Marshall), der sich sehr für den Frieden einsetzt. McCrea verliebt sich in sie. Dann findet er jedoch heraus, daß ihr Vater gar nicht so friedensbewegt ist, sondern mit den Nazis unter einer Decke steckt. Die Bande hat ihrerseits gemerkt, daß der Journalist die Täuschung mit Bassermann durchschaut hat und ihr gefährlich werden könnte. Aber ein Anschlag auf McCrea mißlingt. Zusammen mit einem (echten) britischen Detektiv (George Sanders) findet er schließlich Bassermann und kann verhindern, daß der sein Geheimnis verrät. Marshall will sich mit seiner Tochter in die USA absetzen, aber in seinem Flieger sitzen auch McCrea und Sanders. Mitten über dem Atlantik wird das Flugzeug von einem US-Kriegsschiff abgeschossen. Die Passagiere können sich auf eine Tragfläche retten, aber Marshall springt ins Meer, um die Überlebenschance der anderen zu vergrößern. Day ist einverstanden, daß McCrea seine Story an seine Zeitung durchgibt, auch wenn sie dem Andenken ihres Vaters schaden wird.

Das ist ungemein spannend gemacht und hat mich öfter an „Der unsichtbare Dritte“ erinnert. Was die beiden Filme unterscheidet, ist lediglich das unübersichtliche Personal in „Mord“. Man kann der Geschichte zwar im Wesentlichen folgen, aber teilweise muß man doch sein Gedächtnis anstrengen, um manche Nebenfiguren richtig zuzuordnen. Ich glaube, Hitchcock hätte ein paar von ihnen einfach weglassen können. Auch die Liebesgeschichte von McCrea und Day ist eher schwach. Natürlich geraten sie zwischendurch in eine Krise, weil er gegen ihren Vater kämpft. Aber wie man sieht, ist am Ende dann doch alles in Butter.

Im Übrigen ist die Story natürlich nicht sehr glaubwürdig, aber die Action läßt nicht zu, daß man zu viel darüber nachdenkt. Hitchcock hatte als Vorlage einen Tatsachenbericht eines Korrepsondenten, hat sie aber bis auf die Einleitung völlig umschreiben lassen. Die Glaubwürdigkeit des Geschehens kümmerte ihn nicht besonders. Im Gespräch mit Francois Truffaut ist er auf einige Special Effects eingegangen, die er sich vor allem beim Flugzeugabsturz hat einfallen lassen: Er filmt vom Cockpit aus, wie es aufs Wasser aufschlägt – eine Mischung aus Rückprojektion und einem echten Wassereinbruch. Das wirkt noch heute verblüffend. Und Hitchcock hatte ein großes Flugzeugmodell zur Verfügung, das er auf Schienen in ein Wasserbassin stürzen ließ, so daß er echte Schauspieler auf dem Flugzeugrumpf herumkrabbeln lassen konnte.

Gestört hat mich, daß McCrea hier in der deutschen Kinofassung von 1961 mit der Stimme von Harald Juhnke spricht; die paßt nicht zu ihm. Und wie ich las, wurde die Filmmusik ausgetauscht. Der Original-Soundtrack wurde durch flotte Jazzmusik ersetzt, wie sie das Publikum von 1960er-Jahre-Krimis gewohnt war. Vor allem aber wurde der Film um etwa 20 Minuten gekürzt, nämlich um die Propaganda-Elemente (die Warnung vor Spionage und die negative Charakterzeichnung der Nazis). Ich müßte mir also mal die neue Bearbeitung des Films ohne diese Veränderungen und Kürzungen besorgen (wie auch den früheren „Mord“). Trotzdem ein guter Film, den ich mir ohne weiteres noch einmal ansehen kann.
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Alt 20.02.2024, 14:32   #1905  
Peter L. Opmann
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Hab' eben mal in youtube reingeschaut: Von "Foreign Correspondent" gibt's da nicht viel, weder auf Englisch noch auf Deutsch, nur Trailer und kleine Ausschnitte. Aber in einer Dick-Cavett-TV-Show erzählt Hitchcock über die Dreharbeiten, speziell, wie er den Flugzeugabsturz ins Meer inszeniert hat. Sehens- (und hörens-)wert.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.02.2024, 23:52   #1906  
Harvey Specter
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Ich hätte absolut nicht dagegen, wenn ZDF, ARTE oder ein anderer Sender noch einmal

Bad Eggs - Mit vollem Einsatz“ (Australien 2003) zeigen würden.

Ich bin damals mit etwas Verspätung und gerade zum ersten Desaster (Geballere) eingestiegen. Das war damals wohl schon knapp vor Mitternacht. Den Rest habe ich genüsslich aufgesogen, aber blöder Weise nicht aufgenommen. Die späteren „Nachtschichten“ sind an mir vorbeigegangen. Wäre langsam wieder mal Zeit zur Sendung.

Abgedreht - skurril - witzig, zeigenswert! So eine ähnliche Perle wie „Ärger mit Bernie“.
Harvey Specter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.02.2024, 06:22   #1907  
Peter L. Opmann
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Ich habe keine Ahnung, wie das Programmschema der Fernsehsender heute funktioniert. Bin völlig zu DVDs und youtube übergegangen - Streaming mache ich nur in Ausnahmefällen. Da man über diese Kanäle fast jeden Film bekommen kann, könnte ich mir vorstellen, daß die Sender nur noch ganz besondere Filme ins Programm nehmen.

Aber es gibt ja eine unübersehbare Zahl von Spartensendern, wo vermutlich auch alte Filme laufen, für die sich nur noch ein Spezialpublikum interessiert. Ich trauere aber schon etwas den alten Zeiten nach, als ARD und ZDF regelmäßig Spielfilme im Programm hatten und Sachen, für die sich vielleicht nur Cineasten interessierten, zumindest in den Dritten liefen. Ich denke, der Schwerpunkt liegt heute eindeutig auf Shows, Talksendungen und TV-Movies, vor allem Krimis.

Was hat Dir an "Bad Eggs" besonders gefallen (ich kenne den Film nicht)?
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.02.2024, 13:45   #1908  
Harvey Specter
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Ich fand "Mit vollem Einsatz" sehr lustig. Zwei Polizisten einer Spezialeinheit werden degradiert und intern bestraft, arbeiten aber an einem bedeutenden Fall weiter und lösen ihn schließlich. Das Ganze wird aber ziemlich lustig dargestellt und ihre Aktionen führen zu erheblichen Turbolenzen; also eine Komödie.

Das Dumme ist hier, dass es den Film nie auf deutsch auf DVD oder Blu-Ray gab. Lediglich ein paar Wiederholungen gab es im Fernsehen. Ich vermute, dass ich mit dem australischen Englisch auch nicht weiterkommen würde.
Harvey Specter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 21.02.2024, 13:50   #1909  
Peter L. Opmann
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Ja, bei wikipedia gibt's auch nur dünne Informationen zu dem Film. Und die vier Hauptdarsteller (oder die Erstgenannten) sind in wikipedia nicht enthalten.

Für solche Fälle müßte man nochmal seinen Videorekorder aktivieren können. Ich habe zwar einen, aber keinen Fernseher mehr, an den ich ihn anschließen könnte. Der ist nur mit meinem PC verbunden. Und ob man auf diesem Weg auch etwas aufnehmen kann, müßte ich erstmal herausfinden...
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 22.02.2024, 06:05   #1910  
Peter L. Opmann
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Ein Film von einem Regisseur, der in der Stummfilmzeit in Deutschland begann, in der ersten Welle begabter Filmleute nach Hollywood ging, aber dann seine größten Erfolge in England feierte – das ist wohl der Grund, weshalb dieser Film nicht so bekannt ist und der Regisseur nahezu vergessen zu sein scheint: „Der Mann, der die Welt verändern wollte“ (1936) von Lothar Mendes, ein britischer Film. Er wird gemeinhin der Science Fiction zugerechnet, wahrscheinlich weil Vorlage und Drehbuch vom großen H. G. Wells stammen, aber für mich ist er eher Fantasy. Ein Mann kann alles tun, was er will, aber diese unglaubliche Fähigkeit macht ihn vor allem ratlos, was er mit ihr anfangen soll. Und H. G. Wells macht sich im Hintergrund Gedanken, wie die Welt gestaltet werden sollte, wenn jemand sie in einem Augenblick völlig verändern könnte. Ein sehr ungewöhnlicher, für mich auch reizvoller Film, der dennoch nicht richtig überzeugt.

Drei himmlische Wesen (Engel? Götter?) sind sich uneinig, was sie von den Menschen halten sollen. Sind diese Wesen völlig unbedeutend, oder steckt Großes in ihnen? Sie beginnen ein Experiment, um das herauszufinden: Einem Durchschnittsbriten, Roland Young, verleihen sie die Macht, alles zu tun. Er beginnt mit kleinen Dingen, die wie Zaubertricks aussehen: Dinge bewegen sich von selbst, Dinge erscheinen aus dem Nichts und verschwinden, eine Frau wird geheilt, eine andere verschönert. Einen Polizisten läßt er buchstäblich zum Teufel gehen und versetzt ihn dann nach San Francisco. Young beginnt erst allmählich, darüber nachzudenken, wie er seine Kraft sinnvoll einsetzen könnte. Jedenfalls hat er über die Gefühlswelt von Menschen, ihre Seele, keine Gewalt.

Er überlegt sich, ob er ins kapitalistische System eingreifen sollte, ob er Kriege abschaffen oder alle Krankheiten heilen sollte. Bekannte sollen ihm Ratschläge geben. Zum Schluß will er einfach die Welt beherrschen. Er erschafft einen beeindruckenden Renaissance-Palast und versammelt alle Mächtigen, Wichtigen und Prominenten am Fuß seines Throns, die ihm helfen sollen, eine gerechte und friedliche Welt ohne Mangel zu organisieren. Er will sie zwingen, schnelle Entscheidungen zu fällen, und läßt es nicht Nacht werden, indem er die Erdrotation stoppt. Damit löst er jedoch beispiellose Zerstörung auf der Erde aus. Im letzten Moment wünscht er sich den Zustand zurück, bevor er seine Macht erlangte, und er ist wieder ein Durchschnittsbürger. Die drei himmlischen Wesen erklären ihren Versuch für gescheitert, aber einer von ihnen ist überzeugt, daß die Menschen nur mehr Zeit bräuchten, um alles zum Guten zu verändern. Das wollen die Drei Jahrhunderte später überprüfen.

Mendes inszeniert diese Geschichte mit humorvollen Untertönen, aber sie leidet darunter, daß Wells ungestört sein Gedankenspiel verfolgen kann. Nacheinander wird ausprobiert, was ein Mensch mit unbegrenzter Gestaltungskraft anfangen kann. Dadurch wird der Film etwas thesenhaft und spannungsarm. Der Spannungsbogen besteht jedenfalls allein darin, daß Young immer mehr in den Ablauf der Welt eingreift, bis er zu weit geht – ein bißchen wie beim Märchen vom Fischer und seiner Frau. Wells, der selbst Sozialist war, hätte in seiner Story auch ein sozialistisches Experiment gedanklich durchspielen können, entschied sich aber klugerweise dafür, seinem Protagonisten die utopische Veränderungskraft wieder zu nehmen. Denn die Fähigkeit, die ganze Welt mit einem Fingerschnippen zu verändern, hat der Mensch nun einmal nicht.

Tricktechnisch ist der Film zwar nicht allzu aufwendig, aber die Tricks sind auch nicht veraltet oder mißglückt. Bemerkenswert fand ich, wie die Entstehung von Youngs Palast gezeigt wird; da fallen riesige Mauern und ein Kuppelbau einfach vom Himmel und fügen sich zu einer monumentalen Renaissance-Architektur. Für ihre Zeit waren die Effekte sicher sehr gut. Wie der von Alexander Korda produzierte Film 1936 vom Publikum aufgenommen wurde, darüber habe ich so gut wie nichts gefunden. Über Preise ist nichts zu lesen. Neuere Kritiken sind ausnahmslos positiv. Ich wüßte gern etwas mehr über Regisseur Lothar Mendes. In Deutschland hatte „Der Mann, der die Welt verändern wollte“ erst 1963 im Fernsehen seine Premiere.

Geändert von Peter L. Opmann (22.02.2024 um 07:04 Uhr)
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Alt 22.02.2024, 06:22   #1911  
Marvel Boy
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Dunkel meine ich mich zu erinnern den gesehen zu haben, ha mich scheinbar aber nicht beeindruckt sonst könnte ich mich besser erinnern.

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Alt 22.02.2024, 06:41   #1912  
Peter L. Opmann
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Dieser Film ist wiederum komplett in youtube zu finden, aber nur in Originalfassung. Plus einzelne Szenen. Von der deutschen Synchronisation sind seltsamerweise nicht mal Ausschnitte zu finden.
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Alt 22.02.2024, 20:59   #1913  
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Werde ich mir mal raussuchen wenn es ruhiger bei mir wird.

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Alt 26.02.2024, 06:10   #1914  
Peter L. Opmann
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Noch ein großer Name des europäischen Kinos: Ingmar Bergman. Da lief in den 1990er Jahren auch mal eine Werkreihe im Fernsehen, und eventuell werde ich jetzt alle Bergman-Filme, die ich auf Video habe, nacheinander besprechen. Es sind vier Werke aus den 50er Jahren plus „Fanny und Alexander“ als Fernseh-Vierteiler (gehört also eigentlich nicht hierher). Der früheste Bergman-Film in meiner Sammlung ist „Sehnsucht der Frauen“ (1952), ein Episodenfilm und sein erster großer Publikumserfolg in Schweden, obwohl er vorher schon zehn andere, nur von der Kritik wertgeschätzte Filme gedreht hatte. Ich habe auch seine richtig bekannten Filme wie „Das Schweigen“ oder „Szenen einer Ehe“ mal gesehen, sehe mich aber außerstande, etwas in sein Gesamtwerk einzuordnen, zumal er auch als Theaterregisseur sehr aktiv war. Also habe ich „Sehnsucht der Frauen“ allein für sich auf mich wirken lassen.

Es geht um vier Frauen, alle verheiratet mit Männern, die einer sehr reichen Industriellenfamilie angehören. Sie warten gemeinsam auf die Heimkehr ihrer Männer. Nachdem eine von ihnen darüber geklagt hat, daß sie sich von ihrem Gatten völlig entfremdet hat, erzählen die anderen drei, zunächst eher aus Langeweile, von ihren Eheerfahrungen. Das sind die drei Episoden. Mit dabei ist ein halbwüchsiges Mädchen, das gerade die erste Liebe erlebt und zu den Geschichten altkluge und ziemlich idealistische Kommentare abgibt. In der ersten Erzählung wird Anita Björk von einem Jugendfreund verführt, obwohl sie ihrem Mann treu bleiben will, und beichtet ihm gleich hinterher den Seitensprung. Der Gemahl reagiert darauf unerwartet. Er würdigt weder ihre Ehrlichkeit, noch sieht er ihren Versuch, ihr Verhältnis zu ihm wieder in Ordnung zu bringen. Vielmehr faßt er das Geständnis nur als Vertrauensbruch auf, will gleich die Scheidung in die Wege leiten und beschließt schließlich, sich umzubringen, wovon er nur knapp abgehalten werden kann. Die zweite Frau, Maj-Britt Nilsson, ist mit einem aus der Art geschlagenen Industriellensohn liiert, der mit einer Apanage der Familie als Künstler lebt. Als sie ihm berichten will, daß sie von ihm schwanger ist, erhält er eben die Nachricht, daß sein Vater gestorben ist, und um seine Versorgung nicht zu gefährden, reist er sofort zur Beerdigung, ohne sich weiter für ihre Neuigkeit zu interessieren. Sie erkennt, daß er völlig selbstbezogen ist, und beschließt, sich von ihm zu trennen. Die Sache geht ihr durch den Kopf, als sie in der Geburtsstation des Krankenhauses liegt. Später heiratet sie ihren Künstler doch.

Das sind also drei Ehen, in denen Entfremdung und stille Verzweiflung herrscht. Die dritte Frau, Eva Dahlbeck, die Älteste, die mit dem Firmenlenker in der Familie verheiratet ist, steuert eine eher amüsante Geschichte bei. Nach einem Fest bleiben sie und ihr Mann in einem Aufzug stecken und müssen dort die Nacht verbringen. Diese Situation nutzen sie zögernd zu einer Aussprache, für die sonst nie Gelegenheit ist. Nachdem er sie beschuldigt hat, sich sicher öfters mit anderen Männern zu trösten, schlägt sie mit gleichen Waffen zurück: Sie kennt den Namen seiner letzten abgelegten Geliebten und hat angeblich erfahren, daß diese einen Detektiv auf ihn angesetzt und die Namen aller Vorgängerinnen ermittelt hat. Diese Liste habe sie auch ihr, Dahlmann, gegeben. Verblüfft gibt der Mann alles zu. Aber sie hat ihn getäuscht. Sie wußte nur von der letzten Geliebten und hat die Detektiv-Liste frei erfunden. Es kommt darüber aber nicht zum Streit, dafür sind beide Ehepartner zu abgeklärt. Der Gatte hat nun wieder Achtung vor seiner Frau, sie verzeiht ihm seinen Lebenswandel, und die gemeinsame Nacht im Aufzug führt zu einer unerwarteten Wiederannäherung. Dahlbeck sieht ihren Mann nun aber eher als ihr Kind. Das Mädchen, Gerd Andersson, will am Ende mit ihrem Freund ausreißen, weil der nach seiner Ausbildung in die Firma einsteigen soll, aber doch in der Welt herumreisen möchte. Die anderen sind alarmiert, lassen aber dann das junge Paar davonziehen. Die beiden werden schon ihre Erfahrungen mit der Liebe machen und eher als vermutet zurückkehren.

Hier werden völlig unspektakuläre Alltagsgeschichten erzählt, aber auf eine interessante und zum Schluß auch witzige Weise. Bergman hat den Film, wie ich gelesen habe, bewußt auf den Publikumserfolg hin berechnet. Im Übrigen gibt es wohl – selbst bis heute – wenige Filme, die so konsequent aus Frauensicht gedreht sind. Künstlerisch beteiligt sind Frauen allerdings nur als Darstellerinnen. Bin daher nicht sicher, ob sie sich in diesem Film wirklich wiederfinden. Jedenfalls haben Frauen hier eindeutig den starken Part. Im Vergleich zu ihnen sind die Männer unreif, großsprecherisch bis pathetisch, aber ohne das geringste Einfühlungsvermögen und auch ganz ohne Lebensklugheit. Sie bilden sich ein, alles zu bestimmen und zu lenken, aber nur ihre Frauen sehen, wie oft sie sich dabei lächerlich machen. Doch die Frauen nehmen das still seufzend hin. Emanzipiert sind sie höchstens innerhalb ihres Ehe-Gehäuses, das ihnen Sicherheit gibt. Wirklich selbstbewußte und selbständige Frauen sind in diesem Film Fehlanzeige.

Für den deutschen Kinomarkt war „Sehnsucht der Frauen“ offenbar dennoch zu gewagt. Der Film kam hier erst 1962 ins Kino, und zwar um gut zehn Minuten gekürzt, so daß die katholische Filmkritik damit recht gnädig war. Zehn Jahre früher hätte das sicher völlig anders ausgesehen. Das war eben ein ganz anderer Filmstoff als das, was in den 50er Jahren in heimischen Heimat- und Schlagerfilmen, deutschen Krimis oder Western geboten wurde. Und soviel ich weiß, war Ingmar Bergman selbst in den 70er Jahren noch für den einen oder anderen Skandal gut.
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Alt 28.02.2024, 06:24   #1915  
Peter L. Opmann
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Mein zweiter Bergman-Film, „Abend der Gaukler“ (1953), ist sehr viel düsterer gestimmt als „Sehnsucht der Frauen“. Es heißt, hier tauchten autobiografische Motive auf, aber ich weiß von Ingmar Bergmans Leben zu wenig, um das nachvollziehen zu können. Mich hat das Werk an Fellinis „La Strada“ erinnert, auch ein Film aus dem Zirkus-Milieu, nur ein Jahr später entstanden, der eigentlich noch pessimistischer ausgeht als das Bergman-Werk, aber doch das Publikum mitreißt, was Bergman weniger gelingt. „Abend der Gaukler“ gilt als Filmkunstwerk, wurde aber kein Erfolg.

Ein kleiner Zirkus, der sich nur mühsam finanziell über Wasser halten kann, zieht durch Schweden. Der Direktor, Ake Grönberg, und seine Freundin, Harriet Andersson (Bergmans damalige Lebensgefährtin), tragen sich beide mit dem Gedanken, das Zirkusleben aufzugeben – er auch deshalb, weil er allmählich alt wird. In der Stadt, die die Truppe erreicht, gastiert gerade auch ein Theaterunternehmen. Grönberg stattet dem Prinzipal gemeinsam mit Andersson einen Besuch ab und hofft, sich von ihm ein paar Kostüme ausleihen zu dürfen, weil er in der letzten Stadt einige Kostüme verpfänden mußte. Der Theaterdirektor läßt ihn zwar spüren, daß er ihn verachtet, gibt ihm aber die Kostüme. Andersson lernt einen Schauspieler (Hasse Ekman) kennen, der sich spontan in sie verliebt. Sie weist ihn zurück.

In der Stadt lebt auch Grönbergs Frau, die schon vor Jahren den Zirkus verlassen hat, um ein Geschäft zu übernehmen. Er will sie aufsuchen, um auch seine beiden Kinder mal wieder zu sehen. Ihr geht es offenbar materiell ganz gut. Grönberg gibt ihr zu verstehen, daß er gern zu ihr zurückkehren möchte, weil er das Zirkusleben satt hat. Sie läßt sich darauf aber nicht ein; sie ist nun von einem männlichen Versorger unabhängig. Auf dem Rückweg sieht er Andersson aus einem Haus kommen. Sie hat sich inzwischen aus Enttäuschung, daß Grönberg gegen ihren Willen zu seiner Frau gegangen ist, mit Ekman getroffen. Zudem kann er ihr einigen Wohlstand bieten, sie ist für ihn aber wohl nur ein kurzzeitiges Abenteuer. Grönberg stellt sie zur Rede; sie leugnet zunächst, sich mit ihm eingelassen zu haben, und behauptet schließlich, von ihm vergewaltigt worden zu sein.

Am Abend findet eine Zirkusvorstellung statt. Der Theaterprinzipal hatte in Aussicht gestellt, mit seiner Truppe zu kommen. Grönberg entdeckt Ekman im Publikum und fordert ihn zum Zweikampf heraus, was zur letzten Attraktion der Vorstellung wird. Ekman ist jünger und stärker und schlägt Grönberg k.o. In seiner Verzweiflung will sich Grönberg erschießen, aber sein Revolver versagt. Darauf erschießt er stattdessen den Schwarzbären, das wertvollste Tier, das der Zirkus besitzt. Am Ende sind er und Andersson wieder zusammen, aber an ihrer Situation hat sich nichts geändert. Der Zirkus zieht weiter. Das Drama wird übrigens an einer einleitenden Episode gespiegelt, die der Zirkusclown (Anders Ek) einst mit seiner Frau (Gudrun Brost) erlebt hat.

Der Film ist langsam und eindringlich inszeniert, sicher um einiges distanzierter, als das dann Fellini gemacht hat. Aber die Handlung zieht den Zuschauer ziemlich herunter. Die Figuren des Films sind sozusagen alle ihr eigenes Unglück. Ich teile in diesem Fall das Urteil, das damals die katholische Filmkommission gefällt hat: „Von Ingmar Bergman mit künstlerischer Eindringlichkeit inszeniert. Wegen einer ausweglosen Grundstimmung, die keine Antwort weiß, stärkere Vorbehalte.“ Der Kritiker konnte vermutlich einigermaßen beruhigt sein, weil dieser Film nichts Verführerisches an sich hat. Dennoch war es für mich kein Fehler, ihn mal wieder zu sehen. Es gibt ihn übrigens auch auf deutsch auf youtube.
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Alt 28.02.2024, 16:34   #1916  
Servalan
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„Mord“ ist aber gar nicht der Film, den ich erwartet hatte, sondern heißt heute entsprechend dem Originaltitel „Der Auslandskorrespondent“ (1940). Damit habe ich aus Versehen wieder einen Film mit Joel McCrea in der Hauptrolle gewählt. In diesem Politthriller spielt er einen Journalisten, der eigentlich als Detektiv agiert (wie das im Kino oft vorkommt). Hitchcock wurde für dieses Werk von seinem Produzenten David O. Selznick an United Artists ausgeliehen. Er hatte ein damals üppiges Budget von knapp 1,5 Millionen Dollar zur Verfügung, was dazu führte, daß der Film trotz beachtlicher Zuschauerzahlen keinen Gewinn machte. Ich finde ihn noch heute mitreißend, muß ihm aber auch ein paar Schwächen bescheinigen.
Seit heute steht dieser Hitchcock-Film bis zum 5. März 2024 in der arte-mediathek.
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Alt 28.02.2024, 16:52   #1917  
Peter L. Opmann
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Danke für den Hinweis.

Übrigens: Ich fände mal eine Frauensicht auf den frühen Bergman interessant.
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Alt 01.03.2024, 06:14   #1918  
Peter L. Opmann
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Zu Bergmans „Frauenträume“ (1955) muß ich sagen: So langsam fühle ich mich in seiner Welt schon ein wenig heimisch. In den drei Filmen, die ich jetzt gesehen habe, werden zwar sehr unterschiedliche Geschichten erzählt, aber es geht immer um ähnliche Gefühle und Beziehungsfragen. Allerdings finde ich „Frauenträume“ bisher am schwächsten. Da ich an das noch ausstehende Werk, „Wilde Erdbeeren“, im Gegensatz dazu noch einige Erinnerungen habe, dürfte dies tatsächlich der Film sein, der mich am wenigsten überzeugt. Ganz uninteressant ist er indes nicht.

Hier geht es um zwei zerbrechende Liebesaffären. Die Handlung spielt im Milieu der Modefotografie. Eva Dahlbeck ist Chefin einer Stockholmer Fotoagentur, Harriet Andersson arbeitet für sie als Model. Mit einem kleinen Team reisen sie für eine Fotosession nach Göteborg. Andersson zerkracht sich deshalb mit ihrem Freund, der es ihr übel nimmt, daß sie der Arbeit dem Zusammensein mit ihm den Vorzug gibt. Dahlbeck hat in Göteborg ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann, den sie ganz für sich zu gewinnen hofft. Zuerst verfolgt der Zuschauer, wie Andersson bei einem Stadtbummel einen soignierten älteren Herrn (Gunnar Björnstrand) kennenlernt, der ihr ein teures Kleid, Schuhe und Schmuck kauft, offenbar nur, um sich an ihrer Jugend zu erfreuen. Für eine richtige erotische Beziehung ist er wohl schon zu alt. Als er in seiner Villa mit ihr noch Champagner trinkt, werden beide von seiner Tochter überrascht, die von ihm Geld fordert und Andersson für eine Prostituierte hält. Tief verletzt räumt sie das Feld. Weil sie zu ihren Fotoaufnahmen zu spät kommt, hat sie zudem noch Ärger mit ihrer Chefin.

Dahlbeck bettelt nach der Arbeit ihren Liebhaber an, sie in ihrem Hotel zu treffen. Nachdem er erklärt hat, daß er sie nicht wiedersehen möchte, kommt er doch. Sie verbringen die Nacht gemeinsam, aber dann taucht seine Frau (Inga Landgré) auf. Sie macht Dahlbeck klar, daß ihr Mann finanziell von ihr abhängig ist und sie deshalb nie verlassen wird. Außerdem ist sie überzeugt, daß ihm letztlich seine Familie wichtiger ist als das Abenteuer mit ihr. Dahlbeck sieht ein, daß sie recht hat. Kurz darauf kehrt Andersson zurück und weint sich bei ihrer Chefin aus. Immerhin kann sie sich, als sie wieder in Stockholm sind, mit ihrem Freund versöhnen. Dahlbeck bleibt sinnierend zurück.

Es ergibt sich der Eindruck, als ob sich Bergmann ganz auf das Empfinden der beiden Frauen konzentrieren wollte. In dem Film gibt es ein paar lange stumme Passagen, die vielleicht schon auf „Das Schweigen“, Bergmans wohl bekanntesten Film, vorausweisen. Hier wird die Handlung jedoch dadurch mit Bedeutung überfrachtet, so kommt es mir jedenfalls vor. Die Erlebnisse der beiden Frauen sind kleine persönliche Dramen, die jedoch für mich keine darüber hinausgehende Bedeutung haben. Ich finde auch die beiden Frauenfiguren nicht überzeugend. Dahlbeck wirft ihrer Angestellten Flatterhaftigkeit vor, befindet sich aber eigentlich in einer ziemlich ähnlichen Situation wie sie. Beide Frauen werden auf unvorteilhafte Weise als von ihren Gefühlen getrieben dargestellt. Dahlbeck als die Ältere erscheint beherrschter und überlegter, ist es aber nicht wirklich.

In wikipedia ist zu lesen, „Frauenträume“ sei ursprünglich als Komödie angelegt gewesen (der Filmtitel deutet vielleicht noch darauf hin). Aber die Dreharbeiten seien dadurch belastet gewesen, daß sich Bergmann und Andersson privat getrennt hätten. Faktisch enthält der Film fast gar keine Komödienelemente, sondern transportiert Sinnlosigkeit und Depression – es wirkt beinahe so, als sei ohne Drehbuch spontan vor der Kamera improvisiert worden, was ich mir aber nicht vorstellen kann. Fazit: Der Film hat ein paar berührende und starke Szenen, scheint mir aber insgesamt eher mißglückt.
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Alt 03.03.2024, 06:16   #1919  
Peter L. Opmann
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Dies ist, abgesehen von „Fanny und Alexander“, der letzte Bergman-Film in meiner Videosammlung: „Wilde Erdbeeren“ (1957). Er taucht noch heute in vielen Bestenlisten auf. Hier geht es weniger um Beziehungsprobleme, sondern um eine Betrachtung des Alters. Beim Wiedersehen jetzt hatte ich den Eindruck, daß manche Figuren in ihrem Verhalten nicht ganz stimmig sind. Im Ganzen ist es jedoch ein starkes Porträt eines Mannes, der wohl erstmals erkennt, daß er sein Lebensende beinahe erreicht hat und ein unbefriedigendes Resümee ziehen muß. „Wilde Erdbeeren“ gewann damals zahlreiche Filmpreise und machte Bibi Andersson und Ingrid Thulin zu internationalen Stars.

Victor Sjöström (ein berühmter Stummfilmregisseur der Generation vor Bergman) ist in dem Film ein hochangesehener Stockholmer Arzt und Wissenschaftler. In einer kleinen Rahmenhandlung fährt er mit seiner Schwiegertochter Thulin zu einer wissenschaftlichen Ehrung nach Lund. Dabei nimmt er drei junge Leute und vorübergehend ein verkrachtes Ehepaar in seinem Wagen mit. Mit Thulin, die ihren Mann verlassen hat, hat er während der Fahrt eine Aussprache. Sie wirft ihm dabei vor, gefühlskalt und selbstbezogen zu sein. Sjöström ist überrascht und der Zuschauer eigentlich auch, denn er wird ziemlich sympathisch gezeichnet.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen jedoch mehrere Träume und Traumvisionen Sjöströms, die ihn damit konfrontieren, daß er kurz vor dem Tod steht. In dem ersten Traum begegnet er in einem unbekannten Teil der Stadt, in dem ihm eine Uhr ohe Zeiger auffällt, einem Leichenwagen. Ein Sarg rutscht heraus, und darin liegt er selbst – die Leiche versucht, ihn in den Sarg zu ziehen. Als er auf der Fahrt nach Lund an einem ehemaligen Sommerhaus seiner Familie hält, wird er plötzlich in seine Jugend zurückversetzt, und er erlebt in einer Vision noch einmal, wie sein Bruder ihm seine Braut (Andersson) ausspannt. Bibi Andersson spielt dann auch ein Mädchen, das sich mit zwei Freunden von Sjöström mitnehmen läßt.

In einem weiteren Traum erlebt Sjöström noch einmal seine medizinische Prüfung. Zu seinem Erschrecken kann er keine der Prüfungsfragen beantworten und bekommt zu hören, die wichtigste Aufgabe eines Arztes sei, „verzeihen zu können“. Thulin erzählt ihm später, der Streit mit ihrem Mann rühre daher, daß sie von ihm schwanger ist, er aber kein Kind möchte. In Lund treffen sich die beiden aber wieder und versöhnen sich. Sjöström nimmt seine Auszeichnung entgegen, die ihm nach seinen jüngsten Erlebnissen nicht mehr viel bedeutet. Thulin sagt ihm bei ihrem Abschied, daß sie ihn sehr mag. Am Ende hat er noch einmal einen Traum, in dem er erneut zu dem Sommerhaus zurückkehrt und seine Eltern am Seeufer sitzen sieht.

Das Motiv von Streit und Versöhnung wiederholt sich im Film mehrmals. Weder konnte ich nachvollziehen, warum sich die jeweiligen Paare so in die Haare bekommen, noch wird deutlich, warum sie ihre Differenzen dann einfach beilegen können. Und Victor Sjöström ist von seinem angeblichen Egoismus nicht viel anzumerken. Vielleicht liegt es daran, daß der Film beinahe 70 Jahre alt ist und ein Verhalten, mit dem man damals aneckte, heute beinahe schon normal wirkt. Der alte Mann wirkt bemitleidenswert, weil er wohl unvermittelt erkennt, daß vieles in seinem Leben falsch gelaufen ist, es jetzt aber zu spät ist, Fehler zu korrigieren. Er bleibt immerhin in die Gemeinschaft seiner Familie und Bekannten eingebunden – man würde wohl sagen, es hätte schlimmer kommen können. Dennoch fühlt man mit ihm mit und wird zu Gedanken über Glück und Unglück und die eigene Begrenztheit (sagen wir ruhig: Sterblichkeit) angeregt. Allerdings war Bergman, als er diesen Film drehte, noch keine 40 und konnte sich die Probleme des Alters auch nur bis zu einem gewissen Grad vorstellen. „Wilde Erdbeeren“ hat sich mir jedenfalls in den etwa 30 Jahren, seit ich ihn aufgenommen habe, eingeprägt: das ist sicher ein Hinweis darauf, daß der Film etwas zu sagen hat.
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Alt 03.03.2024, 17:32   #1920  
Servalan
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Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Übrigens: Ich fände mal eine Frauensicht auf den frühen Bergman interessant.
Bei Bergman gibt es sicher bewußte und unbewußte Einflüsse, die ihn geprägt haben. Bergman war ja auch Theaterregisseur, und schon als 16jähriger beschäftigte er sich intensiv mit August Strindberg. Insofern sehe ich bei seinem Frauenbild eine gewisse skandinavische Tradition am Werk, zu der mir hier Henrik Ibsen mit seinen Dramen einfällt; also eher düstere Rollenbildern mit tragischen Schicksalen, geprägt von Schmerz und Leid.

Wenn du Bergmans Filme in den 1950ern und frühen 1960ern meinst, - die vor der Zweiten Frauenbewegung* entstanden -, wird ihr Zugang heute auch dadurch erschwert, dass Fiktionen meist das aussparen, was in der jeweiligen Gegenwart als selbstverständlich gilt. Von daher empfinde ich die Konventionen der 1950er als fremdartig und verknöchert.

Ein Fazit ziehe ich eher vorsichtig. Sicherlich verstand sich der junge Bergman als progressiv und wollte wohl zeitgemäße Frauenbilder erschaffen. Sein internationaler Erfolg auf den Festivals und sein Status als Klassiker geben ihm in der Hinsicht recht. Allerdings konnte er die negative nüchtern-protestantische Tradition nicht leugnen, wodurch sich interessante Brüche ergeben.
Das waren meine persönlichen zwei Cent.

*Die Erste Frauenbewegung datiere ich ins 19. und frühe 20. Jahrhundert, in der es darum ging, dass Frauen zumindest wählen durften. Am berühmtesten sind wohl die Suffragetten um Emmeline Pankhurst. Die Zweite Frauenbewegung beginnt dann in den USA im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung in den 1960ern.
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Alt 03.03.2024, 18:33   #1921  
Peter L. Opmann
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Danke. Du verstehst von der Sache offensichtlich auch mehr als ich.

Der Einfluß von Strindberg ist in wikipedia erwähnt - ich dachte: Wieso dann nicht auch Ibsen? Aber Strindberg war Schwede, Ibsen Norweger.

Mir kam es so vor: Bergman richtet den Blick schon in den 50ern deutlicher als die meisten anderen Filmemacher auf die Frauen, aber emanzipiert sind sie nicht (vielleicht am ehesten noch die Figur von Ingrid Thulin in "Wilde Erdbeeren"). Jetzt weiß ich auch, warum das so ist.
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Alt 06.03.2024, 06:17   #1922  
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Mitunter denke ich mir, ich sollte mal eine Pause machen beim Digitalisieren meiner Videos. Aber ich bleibe doch lieber dran, denn im Augenblick warten noch eine Menge Filme darauf, verarbeitet zu werden. Und dann tun sich immer wieder Bezüge und Parallelen auf, die mir vielleicht weniger auffallen würden, wenn ich die Filme mit größeren Abständen sehen würde. Jetzt habe ich John Cassavetes ausgewählt, von dem ich zwei Filme aufgenommen habe. Ich beginne mit seinem Debüt, „Schatten“ (1958). Cassavetes hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon einen Namen als Kinoschauspieler gemacht, Als Regisseur wollte er jedoch aus dem Hollywood-System ausbrechen. Wie Ingmar Bergman interessierte er sich nicht fürs Geschichtenerzählen, sondern nur für die Gefühle und Beziehungen seiner Figuren. Häufig wird sein Erstlingsfilm mit „Außer Atem“ von Jean-Luc Godard verglichen. Und in einem Detail erinnert der Film auch an „Fahrstuhl zum Schafott“ von Louis Malle: Er hat einen bemerkenswerten Jazz-Soundtrack, diesmal nicht von Miles Davis, sondern mit Beiträgen von Charles Mingus.

Die Darsteller tragen in „Schatten“ ihre wirklichen Namen. Sie kommen aus Cassavetes‘ Bekanntenkreis oder wurden sogar von der Straße weg engagiert. Cassavetes, der eine Schauspielschule betrieb, ließ sie alle Szenen nach den Prinzipien des method acting in New York sowie in echten Wohnungen improvisieren. Der Film hat nur eine bruchstückhafte Handlung. Wir erleben eine Jugendclique, die Clubs und Partys besucht, mit Frauen anzubandeln versucht und sich Kämpfe mit anderen Jugendgruppen liefert. Erfahrung mit Romanzen haben sie offenbar noch wenig. In der Mitte des Films verdichtet sich plötzlich die Liebesgeschichte von Tony (Anthony Ray) und Lelia (Goldoni). Sie verläuft zwar sexuell unbefriedigend, aber die beiden öffnen sich einander und verlieben sich so.

Tony merkt aber erst später, als er Lelias Bruder Hugh Hurd begegnet, daß sie eine Schwarze ist. Er versucht zwar, es nicht zu zeigen, aber er hat Vorurteile und Vorbehalte gegen Schwarze. Hugh merkt das allerdings sehr wohl und verbietet ihm, seine Schwester wiederzusehen. Stattdessen bemüht er sich, sie mit einem Afroamerikaner zu verbandeln. Lelia kämpft zwar um ihre Selbständigkeit, aber aus der Liebe zu Tony wird nichts mehr. Diese Vorgänge nehmen allerdings weniger als die Hälfte des Films ein. Am Ende nimmt er die Clique wieder in den Blick, die in einer Auseinandersetzung mit Italoamerikanern (vermute ich) übel verprügelt wird. Man sieht daran, daß die Figuren nicht filmtypisch überhöht, sondern in ihrer Ziellosigkeit gezeigt werden (James Dean ist bei Nicholas Ray zwar auch ziellos, taugt aber durchaus zum Idol für das Publikum). Cassavetes‘ Film soll nichts demonstrieren, sondern – noch vor der Herausbildung einer richtigen Jugendkultur – eine Atmosphäre einfangen.

„Schatten“ wurde auf 16-Millimeter-Film aufgenommen (nachträglich auf 35 Millimeter aufgeblasen) und kostete nur 40 000 Dollar. Er dürfte nur in wenigen Filmkunstkinos gelaufen sein, wurde aber von der Kritik stark beachtet und gewann auch Filmpreise. „Schatten“ gilt heute als erster wichtiger Vertreter des Independent-Kinos. Ich finde, man kann sich seiner Wirkung nur schwer entziehen, auch wenn mir sonst die erzählte Geschichte – hier praktisch nicht vorhanden – sehr wichtig ist.
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Alt 09.03.2024, 06:38   #1923  
Peter L. Opmann
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Mein zweiter Cassavetes-Film sieht beinahe wie ein Gangsterfilm aus: „Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers“ (1976). Der eigenwillige Stil des Regisseurs kommt gut zur Geltung. Die Entstehungsgeschichte des Films irritiert mich jedoch. Nachdem der Film sich an der Kasse als Reinfall erwiesen hatte – was nicht wundert, da Cassavetes keinerlei Genreregeln befolgt -, schnitt er ihn neu. Im Gegensatz zum üblichen Director’s Cut hat er keine weggefallenen Szenen eingefügt, sondern sein Werk um etwa 25 Minuten gekürzt. Ich habe damals die ursprüngliche 135 Minuten lange Fassung im Fernsehen gesehen und weiß nicht, ob die Kürzungen etwas gebracht haben. Wäre sicher reizvoll, beide Filmversionen zu vergleichen. Ich denke aber, daß auch der Director’s Cut die Fans von Gangster- und Actionfilmen nicht zufriedengestellt haben dürfte.

Das Grundgerüst der Handlung: Ben Gazzara ist ein New Yorker Nachtclubbesitzer, der wegen Spielschulden von 23 000 Dollar gezwungen wird, einen chinesischen Gangsterboß, der seinen Gläubigern im Weg ist, zu liquidieren. Er schafft es, bekommt dabei aber eine Schußwunde in der Hüfte ab. Seine Auftraggeber wollen nun ihn als lästigen Mitwisser abservieren. Er kann ihnen aber entkommen. Er kehrt in seinen Club zurück, wird aber wohl nicht mehr lange am Leben bleiben, weil er sich scheut, zum Arzt zu gehen.

Das ist in den entscheidenden Szenen durchaus spannend inszeniert. Man merkt aber, daß Cassavetes sich alle Mühe gibt, die Gangsterstory eher nebenbei abzuhandeln. Der tödliche Anschlag auf den Chinesen ist so unspektakulär wie nur möglich gemacht. Die Begegnung Gazzaras mit seinem Möchtegern-Killer in einem Parkhaus wird mittendrin abgebrochen; man kann nur vermuten, daß der Killer sein Opfer nicht stellen kann.

Die Krimihandlung wirkt nicht sehr glaubwürdig. Nachdem Gazzara am Spieltisch verloren hat, kann er seine Schulden nicht per Scheck bezahlen. Seine Kreditkarte akzeptieren seine Gegner dagegen zunächst. Später machen sie ihm aber klar, daß er die Schulden mit dem Mordauftrag begleichen muß. Die Mädchen seines Clubas machen sich Sorgen, daß Gazzara sie nach dem Verlust feuern muß, aber alles läuft wie zuvor weiter. Der Killer, der schließlich auf Gazzara angesetzt wird, wirkt hochprofessionell. Da frage ich mich, warum man nicht ihn den Chinesen umlegen ließ, sondern einen Amateur. Einen Profi, wie ihn etwa Lee Marvin dargestellt hat, gibt es allerdings bei Cassavetes nicht. Bei ihm haben die Menschen Glück oder kein Glück.

Ähnlich wie in „Schatten“ beginnt die Haupthandlung erst nach rund einer halben Stunde. Vorher und auch zwischendurch erleben wir, wie Gazzara seinen Club führt. Er hat ein beinahe familiäres Verhältnis zu seinen Angestellten (vielleicht für einen Italiener nicht untypisch). Er geht mit einem seiner Animiermädchen aus und schickt sich an, ein anderes Mädchen, das bisher als Kellnerin gearbeitet hat, als Tänzerin einzustellen. Viel Aufmerksamkeit schenkt Cassavetes der Gemütsverfassung seines Helden. Anfangs wirkt er sehr sympathisch. Mit der Zeit erscheint seine freundliche Art zunehmend aufgesetzt. Doch seltsam, daß er als Nachtclubbesitzer vor seiner fatalen Pokerrunde offenbar nie mit Mafiaaktivitäten zu tun hatte.

Ein ungewöhnlicher und für mich auch ziemlich interessanter Film, wiederum mit geringen Mitteln realisiert, oft mit der Handkamera gedreht. Er läßt jedoch einige Fragen offen. Ich muß sagen, daß sich Cassavetes nicht als Gangsterfilm-Regisseur eignete.
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Alt 09.03.2024, 12:07   #1924  
Servalan
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Die Fernsehausstrahlung war damals mein erster Cassavetes, und dem Titel nach hatte ich natürlich einen Gangsterfilm erwartet. Ich war noch ziemlich jung und bei weitem noch nicht reif dafür, zumal ich dabei war, mir durch das Fernsehen einen Überblick über die Klassiker der Filmgeschichte anzueignen. Soweit ich mich erinnere, lief der am Freitagabend als Spätfilm vor dem Sendeschluß, was auch bedeutete, dass ich wohl ein wenig müde gewesen sein muss.
Für mich war der Film weder Fisch noch Fleisch; ich fand ihn einfach mißlungen, weil ich mich über weite Strecken gelangweilt hab. Ich hatte das Gefühl, der Film hätte sein Thema verfehlt, und ich habe mich gefragt, worin der Anspruch bestanden haben soll. Insofern habe ich nach dieser Lektion Cassavetes-Filme mit spitzen Fingern angefaßt und habe eher erwartet, enttäuscht zu werden. Meist traf meine Einschätzung zu, denn richtig begeistert hat mich nur „Gloria“ mit Gena Rowlands. Ich nehme an, dazu kommst du später noch, oder?
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Alt 09.03.2024, 12:39   #1925  
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Nein, mehr von Cassavetes habe ich nicht zu bieten. Es gibt noch einen längeren Ausschnitt aus "Faces" (1968) in Scorseses "personal Journey". Ich bin auch nicht sicher, ob ich einen Film habe, in dem Gena Rowlands mitwirkt.
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