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Alt 20.01.2024, 09:48   #1851  
Peter L. Opmann
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Gute Frage.

Ich habe einige Bücher zu Rate gezogen und meinte, ich hätte das auch mehrfach gelesen, aber jetzt habe ich es beinahe nicht wieder gefunden.

Zitat:
Gedreht wurde zunächst in Italien, wo man auf dem Gebiet des historischen Monumentalfilms große Erfahrung hatte. Nun betrieben die Amerikaner hier mit viel Geld ein Unternehmen, das die italienische Filmproduktion inmitten politischer Wirren total ruinierte. Man okkupierte fast alle Produktionsstätten und verdarb mit Höchstgagen die Preise.
Christoph Fritze, Georg Seeßlen, Claudius Weil: Der Abenteurer. Geschichte und Mythologie des Abenteuer-Films. Reinbek bei Hamburg 1983

Gemeint ist sicher, daß die Italiener ein paar Jahre lang keine Filme mehr drehen konnten. Daß sie später mit eigenen Sandalenfilmen zurückkehrten und auch Hollywood dort wieder drehte, ist schon klar.
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Alt 20.01.2024, 09:50   #1852  
Schlimme
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Die italienische Filmindustrie ging jedenfalls Mitte der 20er Jahre kaputt und erholte sich erst in der Tonfilmzeit.

Schuld daran wird auch einer "Quo Vadis"-Version mit Emil Jannings gegeben, die nicht genug Geld einspielte.
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Alt 20.01.2024, 12:48   #1853  
Fauntleroy
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Moin,

Ben die Hu.. äh..Ben Hur habe ich das erste Mal im Kino gesehen.
Die Verfilmung mit Charlton Heston.
War Ende der 70ger in einem Kino in Hamburg Harburg.
Das war der erste Film, der ca. nach der Hälfte für ca. 15 Minuten Unterbrochen wurde, zwecks Toiletten/Raucherpause.
Sowas kannte ich bis dahin nicht.


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Alt 20.01.2024, 13:06   #1854  
Peter L. Opmann
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Der war auch nochmal mehr als eine Stunde länger.
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Alt 20.01.2024, 15:29   #1855  
Nante
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
Die Seeschlacht fand ich nicht mißglückt. Man sieht höchstens ein bißchen, daß das alles wohl im Studio gedreht ist. Aber auch hier gibt es wuselnde Massenszenen.
Ich habe ja auch nicht gemeint, daß sie schlecht wäre. Damals (irgendwann um 1990 und noch nicht CGI-verdorben) fand ich die Szenen auch beeindruckend.

Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.
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Alt 22.01.2024, 03:16   #1856  
Mick Baxter
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Zitat:
Zitat von Rusty Beitrag anzeigen
Woher stammt denn diese Info? Gerade in 1960er Jahren wurden viele Sandalenfilme in Cinecitta gedreht. Z. B. die ganzen Maciste-Streifen.
Vielleicht haben ja die Karl-May-Verfilmungen die Preise so verdorben, dass die Italiener sich Lex Barker nach 1963 nicht mehr leisten konnten.

1958: Rebell ohne Gnade (Capitan Fuoco)
1959: Misión en Marruecos
1959: Der Sohn des roten Korsaren (La scimitarra del Saraceno)
1960: Das Geheimnis der roten Maske (Il terrore della maschera rossa)
1960: Küste der Piraten (I pirati della costa)
1960: Die Rache des roten Ritters (Il cavaliere dai cento volti)
1960: Robin Hood und die Piraten (Robin Hood e i pirati)
1960: Das süße Leben (La dolce vita)
1961: Die Karawane nach Zagora (El secreto de los hombres azules)
1963: Der Henker von Venedig (Il boia di Venezia)
1963: Kali Yug: Die Göttin der Rache (Kali Yug, la dea della vendetta)
1963: Kali Yug, 2. Teil: Aufruhr in Indien (Il mistero del tempio indiano)

Der Maciste-Darsteller Mark Forrest ist übrigens vor zwei Jahren mit 89 Jahren gestorben.
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Alt 22.01.2024, 06:09   #1857  
Peter L. Opmann
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Wie gesagt: Es war von den 20er und 30er Jahren die Rede, nicht von den 60er Jahren.
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Alt 22.01.2024, 06:11   #1858  
Peter L. Opmann
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Noch ein etwas problematischer Stummfilm: „Ein Mensch der Masse“ (1928) von King Vidor. Ein Film, der gewissermaßen auf eine Handlung verzichtet und bei Erscheinen deshalb umstritten war. Heute ist er als Meisterwerk anerkannt. Für mich stellt sich trotzdem die Frage: Kann man in einem kommerziellen System einen Film machen, der im wesentlichen nur Alltag zu bieten hat? Und der nebenbei den amerikanischen Traum in Frage stellt? Vidor war wohl der erste, der so etwas wagte, aber es ist zumindest fraglich, ob man so ein Projekt öfters wiederholen kann. Ein Theoretiker hat mal behauptet, daß am Anfang der Filmkunst zwei Konzepte standen: der Realismus von Lumiere und der Illusionismus von Melies. Durchgesetzt hat sich der Illusionismus. Realismus im Film lebt hauptsächlich im Dokumentarfilm fort, aber wann wird ein Dokumentarfilm schon einmal ein Blockbuster?

Vidor arbeitete größtenteils mit unbekannten oder gar Laienschauspielern; Ausnahme war seine Frau, Eleanor Boardman, die zu dieser Zeit ein Star war. Was er in immerhin eindreiviertel Stunden erzählt, ist das Leben eines Durchschnittsamerikaners (James Murray), der nach New York kommt, um sein Glück zu machen, aber es nur zu einem schlecht bezahlten und völlig unbedeutenden Bürojob bringt. An einem der seltenen Abende, an dem er mit einem Freund ausgeht, lernt er seine Frau (Boardman) kennen, heiratet sie und bekommt mit ihr zwei Kinder. Seine kleine Tochter kommt bei einem Unfall ums Leben, und das wirft ihn so aus der Bahn, daß er seinen Job verliert und es nicht schafft, einen neuen zu finden. Die Familie seiner Frau, die sich immer nur für seinen beruflichen Aufstieg und den Umfang seiner Lohntüte interessiert hat, will sie von ihm wegbringen, aber im letzten Moment wird er als Werbeclown engagiert und rettet zumindest sein Familienglück.

Wenn man bedenkt, daß in fast allen Filmen sich ein Held gegen alle Widerstände durchsetzt, ist das eine ziemlich gewagte Story. Außerdem inszeniert sie Vidor überhaupt nicht langweilig. Die erste Filmhälfte hat mich an „Menschen am Sonntag“ erinnert (ein Film, der vielleicht von „Ein Mensch der Masse“ inspiriert war); danach wird er ein wenig zu einem Melodram. Vidor deutet den Abstieg von Murray zu einem Dropout der Gesellschaft an. Die meisten Leute denken ja, daß manche Menschen einfach unfähig sind, ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. In Wirklichkeit steckt hinter Armut und Obdachlosigkeit meist ein Schicksalsschlag, den der Betreffende nicht verkraftet hat. Frappierenderweise erlebte das der Schauspieler Murray Anfang der 1930er Jahre selbst, als er alkoholsüchtig wurde, keine Rollen mehr bekam und schließlich in der Gosse starb.

Wie Martin Scorsese in „Mythos Hollywood“ erwähnte, bekam Vidor grünes Licht für diesen Film, weil er zuvor einen der größten Kassenschlager der Stummfilmzeit, „The Big Parade“, gedreht hatte. Die Bosse der MGM mochten sein Herzensprojekt (seine eigene Berufslaufbahn war ähnlich verlaufen) jedoch von Anfang an nicht. Trotzdem war er, anders als an manchen Stellen zu lesen, kein Flop, sondern erzielte einen, wenn auch keinen außerordentlichen Gewinn. Man kann ihn sich gut ansehen: Das Leben eines kleinen Angestellten wird zunächst mit leiser Ironie, dann dramatisch bewegt dargestellt. Das ist durchaus unterhaltsam gemacht. Nur ist an der Geschichte (fast) nichts Ungewöhnliches. „Ein Mensch der Masse“ bestätigt indirekt die Strategie Hollywoods, auf spannende Genrestoffe zu setzen sowie auf erstaunliche Plots, Überraschungsmomente und die Überwältigung durch Actioneffekte – oder große Gefühle.

Ich würde freilich sagen, Hollywood hat nie völlig auf Realismus verzichtet. Ein Kino als reine Illusionsmaschine, wie es etwa Josef von Sternberg verstand, ist das andere Extrem und wäre vermutlich stetig wiederholt auch eintönig geworden. „Ein Mensch der Masse“ wird allerdings nicht deshalb als bedeutend betrachtet, weil der Film geschickt eine Durchschnittsexistenz schildert, sondern weil Vidor der Vorstellung, jeder (Amerikaner) könne es mit genug Fleiß und vielleicht ein bißchen Glück schaffen, eine klare Absage erteilt. Er zeigt zwar konsequent ein Einzelschicksal, macht aber an vielen Stellen deutlich (etwa durch das riesige Großraumbüro, in dem Murray arbeitet, oder viele Straßenszenen, die damals noch mit echten Passanten gedreht werden konnten), daß es so wie ihm Millionen Amerikanern ergeht, jedenfalls in den großen Städten. Das ist übrigens eine unterschwellige Botschaft, die in „Menschen am Sonntag“ völlig fehlt.
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Alt 22.01.2024, 10:50   #1859  
Phantom
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Dazu passt ein Stummfilm, den ich am Wochenende gesehen habe: "The Patsy" (1928), King Vidors nächster Film.

Die Schauspielerin Marion Davies war die Lebensgefährtin von William Randolph Hearst, dem Zeitungszar, der von Orson Welles kaum verfremdet in Citizen Kane porträtiert wurde. Hearst war verheiratet (und blieb es bis zu seinem Tod) und schon über 50, als er die damals 19jährige Davies kennenlernte. Er machte es sich dann zur Aufgabe, die Karriere seiner Geliebten zu fördern, u.a. mit positiven Kritiken in seinen Zeitungen und Rundfunkanstalten sowie durch Finanzierung von (aus seiner Sicht) geeigneten Filmen.

Davies war talentiert und in ihrer Zeit (vor allem in der Stummfilm-Ära) ein großer Star, der auch in nicht von Hearst kontrollierten Zeitungen gelobt wurde. Leider hinterließ Citizen Kane bei Leuten, die diese Zeit nicht erlebt haben, ein falsches Bild von Marion Davies. In Citizen Kane ist die Geliebte von Kane/Hearst eine völlig untalentierte Sängerin, die zum Star aufgebaut werden soll (Kane baut ihr ein eigenes Opernhaus), obwohl ja jeder sehen und hören kann, dass die Kaiserin keine Kleider anhat; am Ende wird Kane von ihr verlassen und stirbt vereinsamt in Xanadu. Mit Davies hat das nicht viel zu tun; Marion Davies hätte es vielleicht auch ohne Hearst zum Star geschafft, genug Talent hatte sie jedenfalls. Und sie ist bis zum seinem Tod, also über 30 Jahre lang, bei Hearst geblieben.

Im Vorwort zur posthum erschienenen Autobiografie von Davies schreibt Orson Welles, dass er Davies in Citizen Kane nicht porträtieren wollte. Na ja, ob man ihm das glauben kann? Ich bin ja bei Vorworten schon grundsätzlich skeptisch; wer weiß, ob das überhaupt wirklich von Welles geschrieben wurde. Und selbst wenn, hätte er Jahrzehnte später und nach Davies' Tod kaum zugegeben, dass ihm damals vielleicht egal gewesen war, ob er Davies Unrecht getan hatte.

Zurück zu "The Patsy". Es ist eine Komödie voll Situationskomik, die Story ist eher nebensächlich. Davies ist in den Freund ihrer Schwester (gespielt von Orville Caldwell) verliebt und schmachtet ihn bei jeder Gelegenheit an; er nimmt sie aber kaum wahr, zumindest nicht als Frau. Auch die strenge Mutter (Marie Dressler mit wunderbarer Mimik) tut alles, um Davies vom geplanten Ehemann der Lieblingstochter fernzuhalten. Davies bekommt von Caldwell, den sie um Rat wegen ihrer unerfüllten Liebe fragt (ohne dass er weiß, dass es eigentlich um ihn geht), den Tipp, sich eine "personality" zuzulegen. Das macht Davies, indem sie fortan schlaue Sprüche aus Büchern zitiert, was bei der Familie den Eindruck erweckt, sie wäre verrückt geworden. (Ein Spruch, an den ich mich erinnere: "work is the curse of the drinking class"; stammt, wie mir das Internet erzählt, von Oscar Wilde, als Abwandlung von "drink is the curse of the working class".) Zwischendurch parodiert Davies noch ein paar Stummfilm-Kolleginnen, zum Beispiel Pola Negri, und am Ende schafft sie es tatsächlich, das Subjekt ihrer Begierde für sich zu gewinnen.

Ein lustiger Film, vor allem, wenn man ihn (wie ich) im Kino mit Live-Klavierbegleitung erleben kann.
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Alt 22.01.2024, 11:27   #1860  
Peter L. Opmann
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Der Name Marion Davies ist mir auch gerade begegnet. Sie gehört nämlich zu den prominenten Zuschauern beim Wagenrennen in Niblos "Ben Hur" (siehe oben). Ich dachte erst, ich kenne sie aus anderen Stummfilmen, das war aber doch nicht der Fall, und mir ist auch nicht eingefallen, mit wem ich sie vielleicht verwechselt habe.

Die Gelegenheit, einen Stummfilm im Kino zu sehen, hatte ich leider schon länger nicht mehr.
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Alt 25.01.2024, 06:14   #1861  
Peter L. Opmann
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„Emil und die Detektive“ (1931) von Gerhard Lamprecht lief im Jubiläumsjahr 1995 im Fernsehen und wurde vom Ansager als „der erste Kinderfilm“ angekündigt. Kann das stimmen? In USA gab es schon in den 1920er Jahren Kinderstars und „Die kleinen Strolche“. Aber gab es damals ein junges Kinopublikum? Vielleicht war die Ansage nicht ganz falsch, denn „Emil und die Detektive“ wendet sich tatsächlich speziell an jugendliche Zuschauer. Mit den „kleinen Strolchen“ ist die Kästner-Verfilmung insofern zu vergleichen, als es dem Regisseur gelingt, seine Kinder recht natürlich agieren zu lassen. Lamprecht war ein bedeutender Kinopionier, der vielleicht im Westen etwas aus dem Blickfeld geriet, weil er 1946 bei der DEFA landete.

Das Drehbuch stammt übrigens von „Billie“ Wilder, wie er sich zu dieser Zeit noch schrieb. Wie ich gelesen habe, sollte Erich Kästner zunächst zusammen mit einem filmerfahrenen Autor das Drehbuch verfassen, das scheiterte aber daran, daß er sich zu sehr gegen Änderungen an seiner auch erst 1928 erschienenen, sehr erfolgreichen Buchvorlage wehrte. Wilder schrieb dann filmgerecht, ohne aber zu viel am Roman zu ändern.

Wer weder die „Emil“-Geschichte gelesen noch jemals den Film gesehen hat, für den eine kurze Inhaltsangabe: Emil fährt allein mit dem Zug nach Berlin, um seine Tante zu besuchen, und bringt ihr von seiner Mutter einen größeren Geldbetrag (140 Mark) mit. Ein finsterer Mitreisender (Fritz Rasp) bekommt das mit, betäubt Emil mit einem Bonbon, das mit einem Betäubungsmittel präpariert ist, und klaut ihm das Geld. In Berlin versucht Emil, ihn zu verfolgen, und stößt auf eine Kinderbande, die ihn dabei unterstützt. Als Rasp das Geld auf der Bank einzahlen will, kann Emil beweisen, daß die Scheine ihm gehören, und eine große Kinderversammlung hindert den Dieb an der Flucht. Aus heutiger Sicht stört etwas, daß Lamprecht daran noch ein etwas umständliches happy end anhängt, das vielleicht unnötig gewesen wäre. Der lockere Erzählton Kästners, aber auch die deutliche Moral fehlen dem Film.

Der 70 Minuten lange Film erzählt seine einfache Geschichte insgesamt packend (wenn auch natürlich kindgerecht), doch mit einem realistischen Einschlag. Man sieht etliche Ecken von Berlin, das dann wenige Jahre später im Bombenkrieg weitgehend unterging. Und man erhält auch einen Eindruck vom Alltagsleben in dieser Stadt um 1930. Es ist jedoch ein schon recht modernes Leben mit Autos und Telefon und Gebäuden der Neuen Sachlichkeit. In „Klassiker des deutschen Tonfilms“ wird inhaltlich eine Parallele zu Fritz Langs „M“ gezogen. Nicht nur spielt die Darstellerin der Pony Hütchen, Inge Landgut, auch in „M“ mit, nämlich das Mordopfer von Peter Lorre, sondern auch die Jungenbande, die am Ende Rasp unschädlich macht, entspricht der Unterweltorganisation, die auf eigene Faust Lorre aus dem Verkehr zieht. In meiner Filmliteratur ist allerdings wenig über „Emil und die Detektive“ zu finden – es ist eben nur ein Kinderfilm. wikipedia zitiert immerhin einige zeitgenössische Filmkritiken.
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Alt 25.01.2024, 06:30   #1862  
Marvel Boy
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M hab ich vor ein paar Wochen gerade mal wieder gesehen, Emil hingegen nie, wenn ich das so lese sollte ich das aber mal nachholen.

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Alt 25.01.2024, 06:34   #1863  
Peter L. Opmann
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Ich habe leider keinen Vergleich zum neuen "Emil und die Detektive", aber er ist auf jeden Fall filmhistorisch interessant. Und er ist nach übereinstimmendem Urteil der Kritiker besser als alle Remakes bis in die 1960er Jahre.
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Alt 25.01.2024, 06:37   #1864  
Marvel Boy
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Filmhistorisch interessant ist Grund genug für mich einen Film zu schauen.

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Alt 25.01.2024, 07:56   #1865  
Nante
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Von dem Buch habe ich als Kind eine sehr schöne illustrierte Ausgabe gehabt.

Von dem Film habe ich eigentlich nur noch die Traumsequenz in Erinnerung.

Jeder Idiot kann eine Krise meistern. Es ist der Alltag, der uns fertig macht.
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Alt 25.01.2024, 08:36   #1866  
Peter L. Opmann
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Walter Trier!

Die Traumsequenz - eigentlich ein Drogentraum - soll Alfred Hitchcock in "Eine Dame verschwindet" ziemlich genau nachgefilmt haben. "Eine Dame verschwindet" habe ich vor einiger Zeit auch gesehen, aber daran kann ich mich auf Anhieb nicht erinnern.
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Alt 25.01.2024, 09:48   #1867  
pecush
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In den nächsten Wochen läuft auf verschiedenen ARD-Sendern der deutsche TV-Film "Kästner und der kleine Dienstag", der über die Freundschaft zwischen Erich Kästner und dem Dienstag-Darsteller Hans-Albrecht Löhr berichtet.
Löhr starb im 2. Weltkrieg an der Front.
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Alt 25.01.2024, 10:18   #1868  
Peter L. Opmann
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Das ist auch ein interessanter Punkt. Die Kinderschauspieler waren zwar überwiegend Laien, hätten aber im Filmgeschäft Fuß fassen können. Viele von ihnen starben aber im Zweiten Weltkrieg.

Inge Landgut (Pony Hütchen) war, wie erwähnt, schon filmerfahren, obwohl sie erst neun Jahre alt war; nach dem Krieg war sie überwiegend Synchronsprecherin. Hans Richter, der "fliegende Hirsch" (geboren 1919), machte tatsächlich als Filmschauspieler Karriere. Das war aber die Minderheit.
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Alt 27.01.2024, 06:42   #1869  
Peter L. Opmann
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Kürzlich ist Norman Jewison gestorben, was mich darauf brachte, mir seinen Film „In der Hitze der Nacht“ nochmal anzusehen, ein Anti-Rassismus-Drama mit Rod Steiger und Sidney Poitier. Dann habe ich’s mir aber anders überlegt und erstmal „Flucht in Ketten“ (1958) von Stanley Kramer rausgesucht. Da geht es zehn Jahre früher, als es noch keine Bürgerbewegung in USA für die Gleichberechtigung der Schwarzen gab, um etwas prinzipiell Ähnliches. Hier agiert Poitier in der Hauptrolle zusammen mit Tony Curtis. Im Zusammenhang mit diesem Film habe ich mehrmals das Attribut „gut gemeint“ gelesen, aber es ging ja nun gerade darum, eine Botschaft zu vermitteln, und immerhin gelingt das Kramer im Rahmen eines guten Action- und Suspensefilms. Wenn ich bedenke, was alles zu lesen ist, welcher Star aus welchen Gründen nicht mit Poitier zusammen spielen wollte und wie Curtis sich dafür einsetzte, daß er die selbe Gage wie er erhielt, war die Botschaft nicht fehl am Platz.

Curtis und Poitier sind zwei während eines Transports entflohene Sträflinge, die dummerweise aneinandergekettet sind. (Robert Mitchum lehnte die Rolle des Weißen ab, weil er sagte, ein Weißer und ein Schwarzer würden niemals eine Kette teilen – im Film heißt es einfach, der Gefängnisdirektor sei ein Spaßvogel.) Zunächst verachten sie sich gegenseitig, aber da sie auf der Flucht aufeinander angewiesen sind, lernen sie sich gegenseitig nach und nach besser kennen, auch die unterschiedlichen Positionen, die sie ihrer Hautfarbe wegen im Leben einnehmen. Poitier will vor allem in die Nordstaaten, wo er nicht mehr katzbuckeln und alle Benachteiligungen herunterschlucken muß. Curtis träumt davon, reich zu werden und ein gutes Leben zu haben. Sie wollen sich zu einem Zug durchschlagen, mit dem sie als blinde Passagiere in eine große nördliche Stadt gelangen können. Die ganze Zeit ist die Polizei mit Bluthunden auf ihrer Fährte, aber meist gelingt es den Entflohenen, sie auf Distanz zu halten.

Sie wollen freilich so schnell wie möglich die Kette loswerden und brechen auf der Suche nach Werkzeug in einem abgelegenen Nest in ein Lager ein. Dabei werden sie aber von den Dörflern geschnappt. Einige von ihnen wollen Poitier sofort lynchen und lassen sich auch nicht dadurch abhalten, daß der andere Einbrecher ein Weißer ist – der soll notfalls mit aufgeknüpft werden. Ein besonnener Einwohner (Lon Chaney jr.) läßt sie daraufhin heimlich laufen. Danach kommen Curtis und Poitier zu einer Farm, die von einer alleinlebenden Frau (Cara Williams) und ihrem Sohn (Kevin Coughlin) bewohnt wird. Williams sieht die Chance, mit Curtis ein neues Leben zu beginnen; seinen Begleiter will sie heimtückisch in einen Sumpf schicken, wo er nach ihrer Überzeugung sicher umkommen wird. Curtis merkt, daß er mit ihr fast nichts gemeinsam hat, aber Poitier, mit dem er so viel durchgestanden hat, verpflichtet ist. Gemeinsam schaffen sie es, den Sumpf zu durchqueren, und versuchen, auf den vorüberfahrenden Zug aufzuspringen. Curtis schafft es nicht; darauf gibt auch Poitier auf, und gemeinsam warten sie auf die nahende Polizei.

Auch Marlon Brando, den Kramer zuerst für die Curtis-Rolle wollte, lehnte übrigens ab. Laut der englischen wikipedia lag das aber nur an Terminproblemen. Trotz der eingestreuten zugegeben belehrenden Dialoge ist „Flucht in Ketten“ zunächst mal ein ziemlich spannender Ausbruchfilm. Mir gefällt auch, daß weder die Fliehenden noch ihre Verfolger Superhelden sind, sondern die Mühen der Verfolgung gut herausgearbeitet werden. Am Anfang lauschen Poitier und Curtis öfters den Geräuschen der Natur und herumschleichender wilder Tiere; ein Detail, das in den meisten Filmen mit ähnlicher Thematik wohl unter den Tisch fällt. Die Moral, die in den Dialogen deutlich wird, finde ich nie aufdringlich – die wechselseitigen Erzählungen von Curtis und Poitier helfen mir auch, ihre Lebensbedingungen besser zu verstehen. Und wie ich lese, war „Flucht in Ketten“ ein Kassenerfolg und wurde vom Publikum gut aufgenommen. Inwiefern er geeignet war (und ist), daß richtige Südstaatler ihre Vorurteile überdenken, will ich allerdings mal dahingestellt lassen. Wie Randy Newman bemerkte: „We’re Rednecks, we don’t know our ass from a hole in the ground. We’re Rednecks and we’re keeping the niggers down.“

Die englische wikipedia weist übrigens eine lange Liste von Nachahmungen und Parodien auf den Film mit den ungleichen, aber aneinenander gefesselten Partnern auf. Die ist sicher nicht vollständig.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 27.01.2024, 07:24   #1870  
Nante
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Zitat:
Zitat von Peter L. Opmann Beitrag anzeigen
...(Robert Mitchum lehnte die Rolle des Weißen ab, weil er sagte, ein Weißer und ein Schwarzer würden niemals eine Kette teilen – im Film heißt es einfach, der Gefängnisdirektor sei ein Spaßvogel.) ...
Auch Marlon Brando, den Kramer zuerst für die Curtis-Rolle wollte, lehnte übrigens ab. Laut der englischen wikipedia lag das aber nur an Terminproblemen. ...
Wilder ulkte später darüber, Brando hätte wohl doch mitgespielt, aber nur, wenn er den Schwarzen hätte spielen dürfen.

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Alt 27.01.2024, 07:46   #1871  
Marvel Boy
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Den hab ich gesehen in einem Alter als ich ihn einfach spannend fand, von Rassenproblematik hatte ich damals zwar gehört aber im Grunde keine Ahnung.

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Alt 29.01.2024, 06:31   #1872  
Peter L. Opmann
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Kürzlich habe ich angekündigt, die Abteilung französischer Filme unter meinen Videos näher in den Blick zu nehmen. Ich wollte mit einem Vorläufer der Nouvelle Vague beginnen, Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“. Das war mal der Beginn einer Malle-Reihe im Bayerischen Rundfunk, und davor lief eine Dokumentation: „Louis Malle zwischen Paris und New York“ (1995) von Angelika Wittlich. Nicht besonders ambitioniert, aber eine informative Übersicht über sein gesamtes Schaffen. Malle gab hier ein Jahr vor seinem Tod ein Interview; seinen letzten Film mit Uma Thurman konnte er nicht mehr fertigstellen. Die Doku eignete sich daher gut als Auftakt der Reihe.

Malle: Ich war 13 Jahre alt, als ich meiner Mutter sagte, ich wolle Filme machen, Regisseur werden. Sie war so erstaunt, so schockiert, daß sie mir eine Ohrfeige gab. Ich glaube, diese Ohrfeige hat meine Entscheidung besiegelt. Ich bin ihr im Grunde dankbar. Vielleicht sagte ich das damals mit 13 nur, um sie zu provozieren. Aber seit dieser Ohrfeige war ich fest entschlossen, den Film zu meinem Beruf zu machen.

Kinobilder aus 35 Jahren. Bilder aus Filmen von Louis Malle. Blicke, mit denen die Liebe erwacht. Die Freuden des französischen Landlebens. Eine das Leben prägende Kindheitserinnerung. Träume eines alternden Gangsters. Zwei Zirkusartistinnen und die Revolution in Mexiko. Ein Selbstmord. Ein Mädchen erobert Paris. Eine unbedingte Liebe. – Paris im November letzten Jahres. Nach vielen Versuchen endlich ein Treffen mit Louis Malle. Erstes Arrondissement, Rue de Louvre No. 15. Im Hinterhaus im dritten Stock ist das Büro der NEF, der Produktionsfirma, die Louis Malle 1958 kaufte. Kleine, unprätentiöse Büroräume, überall Dokumente aus fast 40 Jahren Filmarbeit. 20 Spielfilme, zehn Dolumentarfilme hat Malle bisher gedreht, als Regisseur, meist auch als Autor und Produzent. Seine Filmografie verrät eine in diesem Metier einzigartige Freiheit und Vielseitigkeit.

Geboren 1932, stammt er aus einer der reichsten Industriellenfamilien Frankreichs. Er besucht zunächst eine Jesuitenschule, dann ein Karmeliterinternat. Ein Studium der politischen Wissenschaften wie auch ein Filmstudium führt er nicht zuende. Malles Filme sind immer neue Forschungsreisen, persönlich, riskant, ohne jedes Schielen auf Sicherheit oder Erfolg. Sie verraten einen Horror vor Routine und Wiederholung. Und doch gibt es einige Themen, die wie Leitmotive wiederkehren. Was als erstes auffällt, ist Neugier – auf Geschichten und auf die Wirklichkeit, auf Spielfilme und Dokumentarfilme. Dieses doppelte Interesse war früh da.

Malle: Schon als Kind drehte ich Filme mit der Kamera meines Vaters. Er benutzte sie nie. Ich nahm sie ihm einfach weg. Ich machte Filme, die sehr naiv waren, absurd, inspiriert vom Surrealismus, ganz im Bereich der Fantasie angesiedelt. Glücklicherweise habe ich diese Filme verloren. Sie waren sicher grauenhaft. Doch gleichzeitig interessierte es mich, Menschen auf der Straße zu filmen, Reportagen zu machen.

Jacques-Yves Cousteau, damals schon ein berühter Ozeanograf, Autor und Unterwasserdokumentarist, holt den 20jährigen Malle zur Arbeit an seinem Film „Die schweigende Welt“. Als der Film fertig ist, gibt er Malle einen gleichberechtigten Titel als Autor.

Malle: Ich arbeitete vor allem als Kameramann, aber ich machte auch den Schnitt, den Ton. In diesen zwei Jahren, die ich mit Cousteau verbrachte, war ich eine kleine Filmcrew, ganz allein. Ich habe also die Technik des Filmemachens gelernt, indem ich sie ausübte.

Der Tiefseefilm gewinnt die Goldene Palme in Cannes und einen Oscar. Beides ist Malle nie mehr widerfahren. Malle ist gerade 24 Jahre alt, als er seinen ersten Spielfilm realisiert, „Fahrstuhl zum Schafott“, ein raffinierter Thriller mit Reminiszenzen an Hitchcock, und ein neuer Star: Jeanne Moreau. Ihr langer nächtlicher Gang durch Paris eröffnet eine neue Ära des Kinos.

Malle: Als ich von Cousteau wegging, um diesen Spielfilm zu drehen, waren alle sehr beunruhigt, weil ich keinerlei Erfahrung mit Schauspielern hatte. Ich hatte nur Fische gefilmt. Ich muß zugeben, ich hatte Angst vor den Schauspielern. Ich wußte nicht, was ich ihnen sagen sollte. Aber bei Jeanne Moreau mußte ich nicht Regie führen. Sie wußte viel mehr als ich über die Arbeit, die sie zu tun hatte. Im Gegenteil: Ich lernte viel, indem ich ihr einfach zuschaute, wie sie spielte. Ich glaube, das war das Intelligenteste, was ich machen konnte. Ich nahm sie so, wie sie war, und ich zeigte das, was faszinierend an ihr war. Sie konnte von unglaublicher Schönheit sein, aber im nächsten Augenblick, in der nächsten Einstellung veränderte sie sich vollständig. Sie besaß dabei eine Wahrhaftigkeit. Sie war eine komplexe, interessante Frau. Und plötzlich war sie für alle eine Offenbarung. Eine unglaublich spannende Schauspielerin. – Die bewegte Kamera hat wirklich etwas Dokumentarisches. Im Vergleich zum französischen Kino der Epoche, das sehr statisch war, sehr gut ausgeleuchtet, gab es in diesem Film Elemente der Reportage.

Auf einen Kinderwagen montiert folgt die Kamera Jeanne Moreau. Gedreht wird ohne Licht.

Malle: Wir benutzten damals ein neues, hochempfindliches Schwarzweiß-Material, das Tri-X hieß. Man konnte damit nachts ohne zusätzliches Licht auf der Straße drehen. Das wurde zum ersten Mal so gemacht.

Die Musik zum Film stammt von Miles Davis.

Malle: Er hatte keine große Lust, diese Musik zu machen. Er improvisierte nicht gern. Er hätte gern länger daran gearbeitet, doch hatte er nur einen Abend Zeit. Ich konnte ihn aber überreden, keine Ahnung, warum. Wir begannen am Abend und machten die Nacht durch. Er war schlecht gelaunt, doch er fand diese wundervolle Musik, die den Bildern eine poetische Dimension gibt, ohne je zu aufdringlich zu sein. Sie ist nie pure Verdoppelung, sondern stets Kontrapunkt. Sie schafft eine Atmosphäre, sie gibt dem Film eine Poesie, die er nicht hatte.

„Fahrstuhl zum Schafott“ wird enthusiastisch aufgenommen, bei der Kritik, beim Publikum. Louis Malle dreht sofort seinen nächsten Film: „Die Liebenden“. In der Hauptrolle: Jeanne Moreau.

Malle: „Die Liebenden“ sind meine Liebeserklärung an Jeanne Moreau. Ich wollte einen Film nur für sie machen. Vom ersten bis zum letzten Bild ist es ihr Film.

Jeanne Moreau spielt eine mit einem reichen, ungeliebten Mann verheiratete Frau in der französischen Provinz. Die Heuchelei in den Beziehungen des Großbürgertums, dem Malle selbst entstammt, wird er auch später sehr präzise bloßstellen. Als sie in einer Nacht die Liebe entdeckt, verläßt sie Mann, Kind und alle bürgerlichen Sicherheiten.

Malle: Das Wichtigste an diesem Film war für mich, eine Variation des Themas des coup de foudre, der Liebe auf den ersten Blick, zu drehen. Man trifft sich, sieht sich an – es ist passiert. Ich machte das bei den „Liebenden“ auf sehr romantische, lyrische, naive Weise.

In langen, ruhigen Einstellungen läßt Malle die Liebe entstehen.

Malle: Was die Leute damals sehr frappierte, außer der Kühnheit der sexuellen Szenen, die heute allerdings ziemlich schüchtern wirken, damals aber schockierten, war die Tatsache, daß ich so lange und ausführlich den Spaziergang durch die Nacht, durch den Park zeigte. Meine Inspiration waren dabei Gemälde des deutschen Malers Caspar David Friedrich. Als der Film auf dem Festival in Venedig lief, hatte noch niemand ihn gesehen; er war gerade eine Woche vorher fertig geworden. Es gab sofort einen unglaublichen Skandal. Die italienische Zensur war damals noch sehr streng. Der Bischof – natürlich hatte er den Film nicht gesehen – attackierte ihn am Sonntag im Dom von San Marco. Also, ich war sehr zufrieden.

In einigen amerikanischen Staaten wurde der Film verboten, in Deutschland um mehrere Szenen gekürzt, zensiert.

Malle: Normalerweise hätte man in dieser Szene einen Schwenk auf das Fenster gemacht. Schnitt. Der nächste Morgen. Ich aber blieb mit der Kamera auf Jeanne Moreau und Jean-Marc Bory, die sich lieben. Denn mir war wichtig zu zeigen, daß dieser Frau etwas widerfährt in dieser Nacht, in ihrem Körper, das sie vorher nie erlebt hatte. Das war ziemlich simpel und naiv. Aber ich war 25 Jahre alt. Ich hatte diese Idee im Kopf, daß sie die sexuelle Lust entdeckt, die sie vorher weder mit ihrem Ehemann noch mit ihrem Geliebten erlebt hatte. Heute würde ich das so nicht mehr erzählen. Ich denke, die Dinge sind doch etwas komplizierter. Aber diese einfache und starke Idee verpflichtete mich, mit der Kamera bei dem Orgasmus von Jeanne Moreau zu bleiben. Und plötzlich hatte dieser Film einen unglaublichen Skandal verursacht. Er hatte enormen Erfolg auf der ganzen Welt. Ich war schlagartig mit 25 ein berühmter Regisseur. Ich wußte überhaupt nicht, was ich damit anfangen sollte. Es störte mich sehr.

Paris Ende der 50er Jahre. Neben Louis Malle erobert eine neue Generation von Regisseuren das Kino. Sie drehen Filme, die die Studios verlassen, auf die Straße gehen. Sie erzählen sehr persönliche Geschichten. Das Autorenkino, die Nouvelle Vague, die „neue Welle“ entsteht. Zentrum des neuen Films ist die Zeitschrift „Cahiers du Cinema“. Fast alle Regisseure dieser Zeit schreiben hier. Eric Rohmer hat seinen Erstling gedreht, „Im Zeichen des Löwen“. Francois Truffaut schreibt begeisterte Texte über die Filme von Louis Malle. Er debütiert gerade mit seinem ersten Spielfilm, „Sie küßten und sie schlugen ihn“. Claude Chabrol, hier am Krankenbett seines Hauptdarstellers Jean-Claude Brialy, hat mit dem Geld einer Erbschaft seinen Erstling, „Der schöne Serge“, gemacht. Louis Malle ist der bis dahin weitaus erfolgreichste dieser jungen Regisseursgeneration.

Malle: Mir sagt dieser Begriff „Nouvelle Vague“ nicht viel. Denn im Grunde waren wir alle sehr verschieden. Einige kamen von der Literatur, ich kam eher vom Visuellen, von der Fotografie. Aber einig waren wir uns in der Überzeugung, daß der Film die totale Kunst ist, die große Kunst des 20. Jahrhunderts, und daß es außer dem Film nichts Interessantes gibt.

Zwei Jahre später. Ein vollkommen anderer Film: „Zazie in der Metro“ nach dem genialen experimentellen Roman von Raymond Queneau.

Malle: „Zazie“ war ein formal kühner Film. Ich hatte dabei zunächst ein ganz genaues Ziel. „Zazie“ sollte für mich eine Stilübung sein. Ich sagte mir: Ich nehme dieses Buch, das ich sehr liebe, und es wird mir die Gelegenheit geben, so, wie Queneau die Literaut erforscht, den Film zu erforschen. Queneau spielt mit der Sprache in einer Serie von Parodien. Er macht sich lustig über die Literatur. Er erstellt ein Inventar aller möglichen literarischen Formen. Gleichzeitig ist er sehr komisch. Ich sagte mir also: Ich will ein filmisches Äquivalent machen. Ich bin am Beginn meiner Karriere. Ich werde eine Art Bestandsaufnahme, eine Grammatik des Films herstellen. – Wir drehten den Film praktisch nie mit 24 Bildern pro Sekunde, der Normalgeschwindigkeit. Wir drehten sehr verlangsamt, zwischen 26 und 78 Bildern pro Sekunde oder sehr schnell mit acht Bildern pro Sekunde. Meistens aber drehten wir etwas schneller oder etwas langsamer. Manchmal, wenn wir mit acht Bilder pro Sekunde drehten, bat ich die Schauspieler, sich langsamer zu bewegen. Das mißlang oft, wir mußten alles wiederholen. Aber wenn es funktionierte, wenn die Kamera schneller drehte, die Schauspieler sich aber langsamer bewegten, bekam man etwas, das so aussah wie die Realität. Zugleich aber gab es irgendeinen Gegenstand, der schnell herunterfiel. Andere flogen vorbei. Es war sehr seltsam. In „Zazie“ gibt es viele komische Sachen, die der Zuschauer oft gar nicht wahrnimmt. Aber ich machte das für mich. – Wir haben mitten in Paris gedreht, ohne Erlaubnis der Polizei. Wir riskierten viel, ich darf gar nicht daran denken. Wir schickten dieses Kind zusammen mit der Frau in Violett – die Frau konnte nicht einmal autofahren – auf den Place de l’Etoile, im vollen Verkehr. Es war ein Film der Jugend und Verrücktheit. – Tief im Inneren bleibt für mich von „Zazie“ aber noch etwas anderes. So wie „Die Liebenden“ eine Liebeserklärung an Jeanne Moreau ist, so ist „Zazie“ eine Liebeserklärung an Paris, an das Paris von Raymond Queneau, den ich sehr bewunderte. Ein Paris, das damals bereits zu verschwinden begann. Es gab also auch eine starke kritische, satirische Absicht bei „Zazie“. Ich wollte zeigen: Man ist dabei, dieses Paris zu zerstören. Man wird es mit Plastik überhäufen, es auf abscheuliche Weise modernisieren. Und so beschreibt mein Film auch ein Stück Nostalgie.

Zudem nimmt „Zazie“ ein Thema auf, das Malle immer wieder beschäftigen wird: das Chaos der Erwachsenen, betrachtet aus der hellsichtigen Perspektive eines Kindes.

Malle: Dieser durchdringende Blick eines Kindes, ohne Schwäche, ohne Heuchelei, auf uns Erwachsene, die wir Lügner sind, Betrüger, Schwächlinge, Verräter, das war wunderbar.

In „Herzflimmern“ erlebt ein 15jähriger, der viel von Malle hat, die Verwirrungen des sexuellen Erwachens, einen Inzest. „Lacombe, Lucien“: Ein 17jähriger wird 1944 zum Kollaborateur, bis er sich in eine Jüdin verliebt. Er wird ein Opfer politischer Korruption. „Pretty Baby“: Eine zwölfjährige Prostituierte in New Orleans zu Anfang des Jahrhunderts. „Auf Wiedersehen, Kinder“: Louis Malles eigene Geschichte aus seiner Kindheit. Im unerbittlichen Blick der Kinder entlarvt er die gestörte Welt der Erwachsenen.

(Rest folgt morgen)

Geändert von Peter L. Opmann (29.01.2024 um 06:51 Uhr)
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Alt 30.01.2024, 06:07   #1873  
Peter L. Opmann
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1963 dreht Malle „Das Irrlicht“ nach dem Roman von Drieu la Rochelle. Ein Mann großbürgerlicher Herkunft, Alkoholiker, gescheiterter Schriftsteller, beschließt den Selbstmord. In der Hauptrolle Maurice Ronet.

Malle. Der Film war mir so nah. Er entsprach einer schweren Krise, die ich damals durchlebte. Ich glaube, das ist mein bester Film aus dieser Zeit. – Als ich 30 wurde, hatte ich das Gefühl, alt zu sein. Heute erscheint das einigermaßen lächerlich. Wie die Person in „Irrlicht“ fühlte ich mich verpflichtet, erwachsen, seriös zu werden. Bald würde man mich mit Orden dekorieren. Ich rebellierte wie ein verspäteter Jugendlicher. Ich sagte mir: Es ist nicht möglich. Wenn ich wirklich ehrlich bin, kann ich nicht so weitermachen. Es war ein sehr angstvoller Zustand, gleichzeitig naiv, romantisch. Mir gefällt sehr gut, daß man fühlt: Hier ist jemand, der sich weigert, ein Mann zu werden, weiter ins Leben zu gehen. Er macht weiter mit den Schwächen eines Heranwachsenden. Ein Mann zu sein, bedeutet aber, Verantwortung zu übernehmen, fähig sein zu geben, zu lieben. Auch ich bin erst in den Jahren danach ein menschliches Wesen geworden. Ich war damals zwar nicht so schwach wie der Sohn in „Irrlicht“, sondern sehr hart, aggressiv, egozentrisch, besessen von meiner Arbeit. Aber als Mensch war ich nicht gut. – Während der Dreharbeiten war ich sehr streng mit Maurice Ronet. Ich identifizierte mich derartig mit dieser Figur, daß ich ihn nie gut genug fand. Im Grunde hätte ich die Rolle gern selbst gespielt. Ich traute mich nicht – zum Glück. Ronet ist sehr gut, ich bin ein miserabler Schauspieler.

Maurice Ronet und Louis Malle auf dem Festival in Venedig – sie sehen sich ähnlich wie zwei Brüder. Der Film erhält den Spezialpreis der Jury.

Malle: Ich glaube, „Irrlicht“ war sehr nützlich für mich. Es befreite mich von diesen schwarzen, sehr schwarzen Wolken.

Zwei Jahre später. „Viva Maria“, eine Komödie mit großem Budget. Die beiden großen Stars Frankreichs (Brgitte Bardot und Jeanne Moreau) in einem Film. Es ist eine Sensation. Gedreht wird in Mexiko. Malle erfüllt sich einen Kindheitstraum von Abenteuerfilm und Western. Die Cowboys sind zwei Frauen. Brigitte Bardot und Jeanne Moreau singen, tanzen, erfinden den Striptease und machen die Revolution. „Viva Maria“ wird zum Kultfilm der 68er. Ein weiterer Kostümfilm, „Der Dieb von Paris“, beendet die erste Phase in Louis Malles Schaffen. Genevieve Bujold und Jean-Paul Belmondo, ein Paar aus bürgerlichem reichem Hause. Belmondo ist ein Gentleman-Dieb. Dann 1967 ein Bruch. Louis Malle geht nach Indien, um Dokumentarfilme zu drehen.

Malle: Für mich ist der Dokumentarfilm wie ein Schub Sauerstoff. Ich muß ins wirkliche Leben zurückkehren, die Kamera in die Hand nehmen, die Gesichter der Menschen filmen. Es ist eine gute Art, etwas zu erfahren. Man läßt einfach die Kamera laufen, sehr frei, sehr direkt. Man filmt zuerst, dann überlegt man. Das gefällt mir. Es ist eine sehr sinnliche, sehr instinktive Weise des Filmens. Ein großes Vergnügen und eine gute Übung.

Sechs Monate dreht Malle in Indien. Daraus werden später der Dokumentarfilm „Calcutta“ und die fünfteilige Fernsehserie „Phantom Indien“. Jahre später setzt Malle diese umfangreiche dokumentarische Arbeit in den USA fort. „God’s Country“ (1979), und 1985 fährt Malle in den 5000-Einwohner-Ort Glenco im Mittelwesten. Ein sehr unprätentiöser Film ist das Ergebnis.

Malle: Wir fingen dort an, das alltägliche Leben der Menschen aufzunehmen. Das einzige, was mich leitete, was mich vorantrieb, war meine Neugier. Die Idee dahinter ist, daß alle Menschen interessant sind. Man hätte dort einen satirischen Film drehen können, hätte sich über die Leute mokieren können, denn sie sind abgeschnitten von der Welt. Es sind sehr einfache Leute, Farmer, sehr konservativ, mit auch durchaus lächerlichen Seiten. Sie sind nicht besonders schön, aber ich habe sie geliebt, sehr geliebt. Ich habe sie viel interessanter gefunden, als sie normalerweise gezeigt werden, viel informierter, viel neugieriger, mit eigenen Meinungen über vieles. Ich fand, daß ihr Leben eine gewisse Würde hatte, aber ich finde alle Menschen interessant.

Was frappiert, ist die uneingeschränkte Sympathie, mit der Louis Malle den Menschen in seinen Dokumentarfilmen begegnet.

Malle: Ich habe also das Leben dieser Menschen für eine Weile geteilt, und ich sagte mir: Das ist eine unglaubliche Chance, als könnte ich ein anderes Leben leben, als wäre ich nicht mehr ich. Das geht nur mit der Kamera.

Für eine amerikanische Fernsehanstalt macht Malle einen Film zum 100. Geburtstag der Freiheitsstatue: „…und das Streben nach Glück“.

Malle: Es war eine Reihe von Porträts, und wieder waren es Menschen, die mich interessierten. Der Eindruck, den ich mit meinem Film vermitteln wollte, der sich im übrigen ganz natürlich ergab, war: Ihr Amerikaner habt das große Glück, daß eine Auswahl der mutigsten, chancenreichsten und intelligentesten Menschen zu euch kommt. Also seid froh, statt euch zu beklagen über diese Einwanderer, über diese Bedrohung durch Einwanderer. – Ich denke, die dokumentarische Arbeit ist sehr wichtig für mich. Sie beeinflußt meine Spielfilme und sogar die Arbeit mit Schauspielern. Denn wenn ich Menschen beobachte, sie filme, wenn ich mit ihnen spreche, wenn sie mit mir sprechen, wenn ich sehe, wie sie reagieren, finde ich bestimmte Ausdrücke, bestimmte Überraschungen, eine Art von Spontaneität, die oft überwältigend ist. Nachher versuche ich mit sehr viel Mühe, das mit den Schauspielern wiederherzustellen.

„Pretty Baby“ ist der erste Spielfilm, den Malle in den USA dreht, eine Produktion für die Paramount. Brooke Shields als zwölfjährige Prostituierte, Susan Sarandon als ihre Mutter. Eine historische Figur ist der Fotograf Bellocq (Keith Carradine). Er fotografierte Anfang des Jahrhunderts die Prostituierten von New Orleans. Malle hat Schwierigkeiten, seine individuelle Produktionsweise im amerikanischen, streng reglementierten System zu erhalten. „Pretty Baby“ gelingt dennoch. Trotz einer guten Besetzung und einer hintergründigen Geschichte um lauter Verlierer kommt es bei Malles nächster Studioproduktion, „Crackers“, zum Desaster. Zwölf Millionen Dollar kostet dieser Film für die Universal. „Crackers“ wird Malles größter Flop, künstlerisch und an der Kasse. Seither hat Malle nicht mehr für ein amerikanisches Studio gearbeitet.

Malle: Ich habe gemerkt, daß das amerikanische System vollkommen kommerziell ist, beherrscht vom Geld. Nur das Geld interessiert, der Rest ist sekundär. Es war sehr schwierig für mich, in der amerikanischen Filmindustrie zu arbeiten.

Atlantic City, in den 30er Jahren ein mythischer Ort, Ende der 70er eine Phantomstadt, wird in Malles nächstem Film Schauplatz eines poetischen Thrillers mit Burt Lancaster als altem Gangster, der sich heimlich in seine Nachbarin (Susan Sarandon) verliebt. Burt Lancaster hat mit dem Gangster Lou eine seiner schönsten Rollen. In „Mein Dinner mit Andre“ treffen sich nach Jahren der Trennung zwei New Yorker Künstler in einem Restaurant in Manhattan, der Theaterregisseur Andre Gregory und der Autor Wallace Shawn. Ein Zwei-Personen-Film, intelligent, einfach. Die Helden von Malles amerikanischen Filmen: Außenseiter, kleine Leute. Immer präsent: die politischen Hintergründe. Im Süden von Texas, in Alamo Bay, geht Ende der 70er Jahre der Vietnamkrieg auf andere Weise weiter. Heimische Fischer bekämpfen vietnamesische Flüchtlinge, wollen sie verjagen. Inspiriert von aktuellen Ereignissen dreht Malle mit „Alamo Bay“ ein sozialkritisches Melodram. Nach zehn Jahren Arbeit in den USA kehrt er 1987 nach Frankreich zurück und dreht dort die autobiografische Geschichte „Auf Wiedersehen, Kinder“. 1944 im von Deutschen besetzten Frankreich treffen sich Julien, alter ego von Louis Malle, und Jean, ein jüdischer Junge.

Malle: Diese Geschichte passierte mir, als ich elf Jahre alt war. Sie hat mich traumatisiert. Der jüdische Junge war mein Freund. Er versteckte sich. Die Gestapo holte ihn aufgrund einer Denunziation ab. Das ist die stärkste Erinenrung meiner Kindheit. Ich glaube, ich habe mich niemals davon erholt. Ich habe damals ganz nebenbei in einigen Minuten die Gewalt, die Korruption, die Grausamkeit und die Ungerechtigkeit der Welt der Erwachsenen begriffen. Und da stehe ich noch heute.

Unspektakulär, mit unglaublich präzise spielenden Kindern hat Malle den Film inszeniert.

Malle: Ich glaube, meine Treue, meine innere Wahrheit haben wesentlich ihren Ursprung in diesem Ereignis, das ich nie vergessen habe. Am Ende handeln alle Filme, die ich mit Kindern und Jugendlichen gemacht habe, von mir. Es ist meine Art, dieses Trauma aus meiner Kindheit wiederzuerleben.

Heiterer und näher ist die Vergangenheit in der „Komödie im Mai“. Der Mai 1968 in der französischen Provinz. Kinder schwenken eine rote Fahne. Die Revolution als unbeschwerte Nebensache im eigentlich unveränderten ländlichen Leben. Mit „Damage“ („Verhängnis“) greift Louis Malle die Themen aus den „Liebenden“ auf. Bürgerliche Heuchelei, Liebe auf den ersten Blick. Juliette Binoche und Jeremy Irons in den Hauptrollen. Wie in den „Liebenden“ genügt ein Blick, um die Liebe zu wecken, doch die Folgen sind tödlich.

Malle: „Damage“ gab mir die Möglichkeit, mir vertraute Themen neu zu betrachten. Doch sie haben hier eine dramatische, tragische Düsterheit. Dieses Gefühl korrespondierte mit meinen Empfindungen, als ich mich für die Geschichte entschied.

Louis Malle war am offenen Herzen operiert worden. Er hat seitdem einen weiteren Film gedreht: „Vanya on 42nd Street“. Eine Theaterprobe des Tschechow-Stücks „Onkel Wanja“ spielt in New Yorks 42. Straße.

Malle: An Amerika bewundere ich die Energie. Sie ist roh, manchmal lästig, brutal. Auch die Gewalt ist Teil davon. Das beeindruckt mich, denn ich komme aus einem etwas müden Land.

„Vanya“ ist auch ein Treffen mit alten Freunden. Wallace Shawn ist Vanya, Andre Gregory der Regisseur des Stücks. Louis Malles Film fehlt die ambitionierte Angestrengtheit üblicher Theaterverfilmungen. Er hat die Gelassenheit und Direktheit eines Dokumentarfilms. Louis Malle lebt heute vor allem in New York.

Malle: Ich werde Ihnen etwas Furchtbares gestehen. Morgen fliege ich nach New York. Ich habe das Gefühl, nach Hause zurückzukehren.

In New York bereitet er gerade einen neuen Film vor. Uma Thurman wird Marlene Dietrich spielen in einer Geschichte, die eine Phase im Leben der Dietrich Mitte der 30er Jahre in Hollywood beschreibt.

Malle: Wenn ich heute durch die Straßen von Paris gehe, dann sage ich mir: Dort, in diesem Haus lebt ein Freund. Es sind immer Erinnerungen, die kommen. Und da im Moment in Frankreich nicht viel passiert, ist Paris das Museum meiner Erinnerungen.
Peter L. Opmann ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.01.2024, 06:46   #1874  
Marvel Boy
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Danke für diesen Ausführlichen Bericht!
Ich stelle fest ich habe zu wenig von Malle gesehen.

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Alt 30.01.2024, 06:57   #1875  
Peter L. Opmann
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Morgen schaue ich mir dann "Fahrstuhl zum Schafott" an.
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